SOS - Save Our Ship! eine Anthologie zur Klimakatastrophe

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Ich weiß leider auch nicht, warum der Alte-Männer-Anteil unter den Greta-Hatern so hoch ist. Eigentlich sollten sich gerade Männer zurücknehmen, hatten und haben sie den deutlich größeren Anteil an Entscheidungen, die uns überhaupt erst hierhergeführt haben. Aber offenbar sind die Wachstumsschmerzen beachtlich schlimm, wenn ausgerechnet ganz junge Menschen einem die Tomaten von den Augen operieren müssen, die man da 50 Jahre mit sich rumgetragen hat. Wirkt der Penis besonders schlaff und träge, wenn all die Männlichkeit nicht mal ausreicht, um argumentativ gegen ein 16-jähriges Mädchen mit Aspergerdiagnose anzukommen?

Nein, damit will ich keine Menschen mit Asperger verunglimpfen, ich greife nur die Logik dieser Menschen auf, die dieses Syndrom argumentativ ausschlachten und meinen, dass allein diese Diagnose ausreicht, um die Person und ihre Argumente zu diskreditieren. Es muss deprimierend sein, wenn man Menschen mit dieser Normabweichung für per se nicht zurechnungsfähig hält und dann merkt, dass selbst diese, aus der eigenen Warte unzurechnungsfähigen Menschen, mehr auf die Kette bekommen als man selbst.

Greta Thunberg sagt über ihre Erkrankung selbst, dass ihr Einsatz ohne diese gar nicht möglich wäre. Dass eine gewisse Schwarz-Weiß-Perspektive hilft, bei bestimmten Themen eine sinnvolle Position einzunehmen. Und genau das ist es, was all die Verfechter von schwammigen Kompromissen nicht kapieren: Man kann sich über die Höhe von Rentenbeiträgen streiten, über den Leitzins der Zentralbank oder über die Vorspeisenauswahl bei einer Hochzeit. Bei Fragen, deren Antwortmöglichkeiten nur A) das Fortbestehen unserer Zivilisation oder B) einen Rückfall in eine Welt irgendwo zwischen Mad Max und Wall-E sind, machen Kompromisse, die sich in der Mitte treffen, einfach keinen Sinn.

Sollte ein Meteorit mit 10 Kilometern Durchmesser auf die Erde zurasen, der in 20 Jahren alles Leben auf dem Planeten vernichtet, dann würde niemand auf die Idee kommen, eine Weltraummission zur Sprengung dieses Objekts zu planen, die 40 Jahre dauert. Genau das machen wir aber gerade. Wir sagen: „Oh, wir können die Rakete aber nicht bezahlen, erst müssen wir die Angestellten in der Kohlebranche versorgen und dann bauen wir die Rakete.“ Würde nicht auch der RWE-Chef wissen, dass ein dickes Bankkonto nicht vor einem Einschlag mit einer Sprengkraft von 2.600 Gigatonnen TNT schützt? Vermutlich schon.

Jetzt schlägt man uns als Kompromiss eine Rakete vor, die in 30 Jahren den Meteoriten zerstört. Und trotzdem schwänzt diese undankbare Jugend die Schule, es ist aber auch wirklich unerhört. Und dann folgt sie dieser Schwedin, die sich so wichtig nimmt und viel zu jung ist, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Tja, da stimmt Greta Thunberg zu, sie sagt:

„Denen stimme ich zu. Ich denke, ich bin zu jung, um zu handeln. Es ist absurd, dass Kinder das hier tun müssen. Aber da niemand sonst etwas tut, habe ich das Gefühl, das hier tun zu müssen.“

Der einzige Grund, dass diese junge Frau so viel Aufsehen erregt, ist dass wir es so hart verkackt haben. Ihr wollt keine Jugendlichen ohne Erfahrung in der Debatte? Dann kümmert Euch halt selbst um den Mist. Solange Ihr das nicht tut, Euch null einbringt und zudem noch Parteien wählt, denen das offenbar recht egal ist, könnt Ihr Euch nicht beschweren. Man kann nicht morgens das eingeschaltete Bügeleisen auf dem Hemd stehen lassen und sich dann beschweren, dass abends die Feuerwehr mit großen Mengen Löschwasser das Wohnzimmer ruiniert.

Liebe SchülerInnen, lasst Euch nicht entmutigen. Ihr mögt nicht alles wissen und auch Ihr macht Fehler, aber wir hatten schon 20, 30 oder mehr Jahre Zeit und machen genauso viele Fehler und wählen seit Ewigkeiten Parteien, die gar nichts wissen wollen. Ihr frustriert viele Menschen, weil Ihr ein Symbol für deren eigenes Versagen seid. Zudem liegen die meisten Eurer Kritiker längst im Grab, wenn die Folgen Euch oder Eure Kinder richtig hart treffen, von denen solltet Ihr Euch nun wirklich nichts sagen lassen. Ach ja, und Ihr müsst auch nicht über Nacht vegan, flugfrei und autolos werden. Nur die Richtung, die sollte es schon sein, wenn Ihr mit Euren Kindern mal Kopenhagen ohne Taucherausrüstung besuchen wollt.

Ich mache auch mit. Menschen können sich nämlich ändern.

3 „Fünf nach Zwölf“ oder „Die letzte Chance“

Ein Text von Christian von Kamp:

Ich erinnere mich noch genau, wie es damals begann, vor gut zwanzig Jahren. Ohne diesen entscheidenden Schritt wären die Katastrophen noch weit schlimmer geworden, und statt der zu beklagenden 27 Millionen Opfer hätte es alleine bis jetzt hunderte Millionen Tote geben können, von den zahllosen Klimaflüchtlingen ganz zu schweigen. Auch meine Frau starb. Sie wurde bei der historischen Flut, in der vor fünf Jahren Hamburg fast vollständig versank, ins offene Meer gerissen, zusammen mit unseren Enkelkindern.

Als Staatssekretär begleitete ich im Spätherbst 2020 die Bundeskanzlerin zu dem Treffen in Reykjavik. Erst auf dem Flug weihte sie mich ein, worum es ging: Um das Überleben der Menschheit. Es hatte, berichtete sie mir, im Oktober bereits ein geheimes Treffen von Regierungschefs fast aller Staaten gegeben. Nur ein Thema hatte auf der Tagesordnung gestanden: der Klimawandel. Den meisten von ihnen war in den letzten Jahren klar geworden, dass ein gewaltiges Problem mit Riesenschritten auf die Menschen zukam. Die Bürger waren selbstverständlich nicht darüber informiert worden, denn dann hätte die Politik sich für Versäumnisse rechtfertigen müssen, vermutlich wäre es auch zu Unruhen und anderen unliebsamen Folgen gekommen, die man hatte vermeiden wollen.

Bei dem Treffen vor einem Monat, zu dem auch führende Klimawissenschaftler geladen waren, hatten diese erschreckende neue Daten präsentiert. Der Uhrzeiger hatte die Zwölf bereits überschritten. Die Naturkatastrophen waren nicht mehr aufzuhalten. Lähmendes Entsetzen im Saal. „Es wird viele Millionen Tote geben, unter den Reichen und unter den Armen, in Metropolen wie auf dem Land – wir können es nicht verhindern, nicht mit allen Geldern der Welt“, hatte Prof. James Laurel aus Sydney langsam gesagt. „Dennoch gibt es Hoffnung. Die Hoffnung, dass weniger Menschen infolge der Katastrophen sterben müssen – nicht eine Milliarde oder mehr schon in den kommenden Jahrzehnten, sondern vielleicht nur fünfzig Millionen. Denn die Anreicherung der Treibhausgase in der Atmosphäre durch den Menschen ist nicht blindes Schicksal; wir haben es in der Hand, diesen Prozess umzukehren. Ohne unser entschiedenes Handeln wird es zu immer mehr Dürren und Landüberflutungen kommen, Missernten ungeahnten Ausmaßes werden die Welt in Hunger stürzen, um nur ein paar Auswirkungen zu nennen, und letztlich steht das Überleben der Menschheit auf dem Spiel.“

Und dann, so die Kanzlerin, sprach Laurel die entscheidenden Sätze: „Der Konsum tierischer Produkte aus der Massentierhaltung einschließlich vieler damit zusammenhängender Faktoren wie der Umwandlung von Wäldern in Weideflächen oder der gigantischen Futtermittelproduktion ist für 70 bis 80 Prozent der Klimaerwärmung verantwortlich. Wenn wir es nicht schaffen, innerhalb der nächsten drei Jahre die Weltbevölkerung dazu zu bewegen, keine tierischen Produkte mehr zu konsumieren, dann ist es fast schon gleichgültig, ob wir den Verbrauch fossiler Brennstoffe reduzieren oder andere der vieldiskutierten Maßnahmen ergreifen.“

Und Dr. Ellen Schmidtberg aus München hatte mutig ergänzt: „Die Politik muss radikal beschleunigt werden und alle müssen an einem Strang ziehen. Die jetzige Situation der Entscheidungsprozesse ist die, dass jemand mit einem Baseballschläger Ihnen die Rübe einschlagen will, und was machen Sie? Sie lesen ihm ‚Die Erklärung der Menschenrechte‘ vor.“ Das kurz aufkeimende Lachen einiger Politiker war schnell erstorben. Fast alle hatten den Ernst der Lage erfasst.

Das – ebenfalls geheime – Sondertreffen aller Regierungschefs in Reykjavik, an dem auch der UNO-Generalsekretär teilnahm, sollte die Wende bringen. Ich erlebte, dass Politik auch anders ablaufen konnte als bisher. Zu Beginn wurde bereits nach wenigen Minuten fast einstimmig entschieden, dass die einfache Mehrheit alle Regierungschefs auf die Entscheidungen verpflichten würde. Ein Vetorecht gab es nicht. Nationale Sonderinteressen hatten zurückzustehen. Unabhängig von juristischen Regelungen galten das gegebene Wort und die Ehre der Anwesenden. Nur fünf Staatsführer verließen daraufhin die Versammlung; danach waren noch 97% der Weltbevölkerung dort vertreten.

Innerhalb eines einzigen Tages beschlossen die Anwesenden mit großer Mehrheit, dass in einem Zeitraum von zwei Jahren die Staaten vollständig zu einer veganen Lebensweise umgestiegen sein mussten. Der Fleischkonsum sollte im ersten Jahr auf die Hälfte reduziert werden, nach einem weiteren Jahr durfte kein Fleisch mehr angeboten werden. Da viele dadurch ihre Arbeit verlieren würden, sollten die Staaten u.a. den betroffenen Landwirten, der Belegschaft der Fleischindustrie, dem Handel usw. übergangsweise finanzielle Hilfen gewähren und Umschulungsmöglichkeiten anbieten.

Zur Reduzierung der Nutztiere war eine weitere Vermehrung durch Befruchtung zu vermeiden. Die nach Ablauf der Fristen noch vorhandenen Tiere waren artgerecht, z.B. auf großzügigen Weiden, getrennt nach Geschlechtern zu halten. Wälder, die für Tierfutteranbau abgeholzt worden waren, mussten möglichst schnell wieder aufgeforstet werden. Auch sollte der Obst- und Gemüseanbau, insbesondere klimafreundliche Anbaumethoden wie Permakultur und Bioanbau, durch kräftige Subventionen gefördert werden. Selbstverständlich mussten auch die anderen Klimaschutzmaßnahmen etwa im Verkehr, im Kohleverbrauch usw. weiterhin verfolgt werden.

 

Weitere Details wurden der Gesetzgebung der einzelnen Länder überlassen. Alle vertretenen Staaten sicherten einander gegenseitige Unterstützung zu, nicht nur finanziell, sondern vor allem auch politisch: Wenn fast die ganze Welt an einem Strang zog, würden regionale kontraproduktive Diskussionen die Anderswollenden ins Abseits stellen.

In seiner Schlussrede sagte der indische Premierminister: „Ich gratuliere der Welt, dass sie sich für diesen Weg zur Rettung der Menschheit entschieden hat. Doch es geht sogar noch um mehr, nämlich um das gesamte Leben auf unserem Planeten, und dabei auch um die so lange Zeit misshandelten Tiere. Schon die Jahrtausende alten spirituellen Schriften Indiens betonen immer wieder die Achtung und Einheit allen Lebens.“

Was tat sich nicht alles alleine in Deutschland. Als die Kanzlerin den Bundestag informierte, wozu auch alle bedeutenden Medien eingeladen worden waren, und sie dabei eine Handtasche neben sich stellte, auf der in großen Lettern stand: „Nur VEGAN kann die Welt retten!“, erntete sie einige spöttische Bemerkungen. Bei ihrem nächsten Auftritt, drei Tage später, griffen bereits viele Parlamentarier zu, als ihnen an den Eingangstüren als Snack Schälchen mit veganen Leckerbissen angeboten wurden.

Auf Notstandsgesetze, an die die Kanzlerin als letzte Option gedacht hatte, konnte die Regierung verzichten. Die weltweite politische Entschlossenheit und gewaltige Demonstrationen für die neue Politik ließen großen Widerstand der Wirtschaft gar nicht erst aufkommen. Ein Großteil der um ihre Zukunft bangenden Bevölkerung ging auf die Straße, darunter zahlreiche Schüler und Studenten, Umweltschutz-, Klimaschutz- und Tierschutzvereinigungen, die Kirchen, einige Parteien, karitative Gruppen und viele mehr.

Die Wirtschaft bewies bei den Umstellungen eine erstaunliche Flexibilität. Nicht zuletzt lag das an dem WorldWide-Vegan-Business-Help-Pool, der zahlreiche Möglichkeiten zur Lösung der praktischen Probleme aufzeigte. Als besonders erfolgreich erwiesen sich die weitere Entwicklung und der Verkauf von Fleisch- und Käseersatz, der sich von tierischen Steaks, Würsten und Milchprodukten nur noch von Geschmacksexperten unterscheiden ließ. Für diesen Geschäftszweig gab es besondere staatliche Zuschüsse.

In allen Fernsehprogrammen liefen Sendungen über die neue Ausrichtung. Selbstverständlich äußerten sich in den zahlreichen Diskussionen, Kommentaren und Talkshows auch kritische Stimmen, doch mussten die meisten einräumen, dass der eingeschlagene Weg zwar mancher schönen Gewohnheit entgegenstehen würde, aber letztlich um der Rettung der Menschheit willen unumgänglich wäre. Besonders beliebt waren die veganen Kochshows, und die meisten Fernsehköche überboten einander schon nach wenigen Wochen mit veganen Köstlichkeiten. Erstaunt nahmen viele Menschen wahr, dass ihre Gesundheit sich verbesserte und sie sich leichter und glücklicher fühlten.

Vegane Organisationen wurden in der Politik immer wieder um Rat gefragt und trafen sich regelmäßig mit Regierungskreisen. Mit Unterstützung mehrerer Bundesministerien bauten sie ein deutschlandweites Netzwerk auf, das alle Bürger kostenlos hinsichtlich der veganen Lebensführung beriet. Auch die neuen Kinder, inspiriert von Greta Thunberg und anderen, wurden zu heiß begehrten Experten in puncto Klimaschutz, nachhaltige Ernährung, die Wiederaufforstung von Wäldern etc. Für diese Kinder wurde eigens ein Zukunftsministerium geschaffen, das die praktische Umsetzung ihrer Ideen ermöglichte.

Schon nach relativ wenigen Jahren reduzierte sich der Ausstoß von Treibhausgasen weltweit drastisch und die extremen Wetterschwankungen begannen sich zu normalisieren. Es kommt zwar immer noch zu Naturkatastrophen, und der Meeresspiegel ist weiterhin hoch, wodurch große Landflächen für lange Zeit überflutet bleiben, doch die Klimaerwärmung dürfte in wenigen Jahren ihren Höhe- und Wendepunkt erreicht haben.

Hätten wir politisch doch früher gehandelt, wären wir doch nur mutiger und weniger egozentrisch gewesen – vielleicht könnten meine geliebte Frau, meine Enkel und Millionen andere heute noch leben.

4 Heiliges Plastik

Ein Text von Giorgi Ghambashidze:

Ich sitze vor meinem Flachbildfernseher und schaue mir eine Dokumentation an, die zeigt, was wir Menschen unserer Umwelt antun und in welche missliche Lage alle andere Bewohner unseres Planeten unseretwegen geraten sind. Meine fettigen, orangverfärbten Finger greifen nach knusprigen Kartoffelchips – eines meiner unzähligen Laster, gegen die ich ankämpfe. In meinen weit geöffneten Augen stehen Tränen, denn es wird gerade gezeigt, wie ein ausgehungerter Polarbär auf einer kleinen treibenden Eisscholle ratlos sitzt und verzweifelt um sich schaut. Er versteht die Welt nicht mehr.

Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich mir so etwas nicht angeschaut, denn ich sah nicht ein, dass ich damit unvermittelt zu tun hatte, aber langsam erlange ich das Bewusstsein, dass ich ein Teil vom Ganzen bin und wenn mit dem Ganzen etwas nicht stimmt, betrifft mich das auch, teilweise liegt es sogar an mir, an meinem Verhalten als stolzer, eingebildeter, über andere Lebewesen erhabener Homo sapiens mit Chips in der einen und mit Fernbedienung in der anderen Hand.

Jetzt wird gezeigt, wie Meerestiere wegen unseres Plastikabfalls leiden. Eine Erfindung, über die die Menschheit sehr erfreut war, denn sie hat viele unserer alltäglichen Probleme gelöst. Aber was scheinbar gut für uns ist, ist fatal für alles andere. Unsere Erde wäre ohne uns viel besser dran, sie würde mit all ihren Tieren noch Tausende, wenn nicht Millionen Jahre gesund bestehen. Wir haben sie wie Krebszellen befallen und vermehren uns so schnell, bis es so dicht wird, dass Frauen im Stehen gebären müssen, auf einer Müllsammelstelle, die allgegenwärtig geworden ist. Homo plastikus erstickt in seiner eigenen Kreation, eine witzige Vorstellung, wenn davon nicht all die anderen, die keine Schuld daran tragen, betroffen wären.

Mir ist ätzend klar geworden, dass ich für meine ganze Gattung verantwortlich bin. Meine Mitmenschen, Eltern, Großeltern, Urgroßeltern und so weiter und tiefer bis zum Sündenfall. Man wird in eine heikle Geschichte hineingeboren, herauspresst auf ein Fließband, und schon ist man dabei, die Fehler der leichtsinnigen Väter zu übernehmen. Für mich ist es eindeutig ein Vergehen, als Mensch zu erscheinen. Ich hoffe, dass ich keine Wahl hatte, aber wenn ich sie gehabt hätte, hätte ich mich dafür entschieden, ein Vogel zu sein. Nicht weil sie fliegen können. Oh nein! Ich bin kein Träumer. Ich wäre bloß in der Lage, auf Menschen gezielt zu scheißen. Ich bin zuversichtlich, dass ich ganz gut in dieser Sache wäre. Kein eleganter Hut, gut gestyltes Haar, schöner Dutt und keine zum Himmel gerichteten Augen wären vor meinen Fäkalbomben sicher. Aber ich bin nun mal ein Menschenkind und ich muss mich damit abfinden, einfach das Beste daraus machen. Ich habe endlich angefangen, vor meiner Tür zu fegen. Ich werfe zerkautes Kaugummi nicht mehr auf die Straße, denn Vögel verwechseln es manchmal mit etwas Essbarem und sterben daran.

Ich kaufe keine Deospray und Raumlufterfrischer mehr, denn die tragen dazu bei, ein Loch in die Ozonschicht zu fressen. Stattdessen benutze ich einen Deo Roller und Duftstäbchen. Und überhaupt, wenn ich einkaufen gehe, entscheide ich mich bewusster, was in meinen Einkaufskorb landet. Die Einkaufstüten aus Plastik habe ich auch boykottiert. Ich habe mir eine Baumwolltasche gekauft, auf der unser Planet in Form eines Herzens aufgedruckt ist. Ich muss voller Scham zugeben, dass ich am Anfang mit meiner, zumindest zum kleinen Teil, neuen Lebensweise brüstete. Wenn ich meinen Einkauf in meine umweltschonende Tasche gelegt hatte, sah ich auf die anderen von oben herab. Diese Phase liegt schon hinter mir.

Ich bin kein Freund von Kunst, aber eine Skulptur hat sich in mein Gedächtnis tief eingeprägt. Sie stellt die Politiker dar, die über die globale Erwärmung rege diskutieren. Etwas zu spät, denn sie stehen bereits bis zum Kinn im Wasser, abgesehen von ihren körperlich zierlicheren Kollegen, die schon mit Fischen reden.

Wenn ich unsere Gesellschaft betrachte, sehe ich uns in verschiedene Gruppierungen aufgeteilt. Während manche nur rumstehen und nichts tun, handeln die anderen absolut rücksichtslos aus Profitgier und sabotieren die Heilung der Natur. Aber es gibt noch eine wesentlich kleinere Gruppe der Menschen, die alles Erdenkliche tut, um unsere Mutter Erde, unsere einzige Heimat zu retten. Es ist höchste Zeit zu handeln, es ist schon kurz vor Zwölf.

Egal wie fortgeschritten die Erkrankung zu sein scheint, jeder kann etwas Positives bewirken und zur Genesung beitragen. Welcher Gruppe gehörst du an? (2019, E-Mail: g.ghambashidze@web.de

Kurzvita:

Geboren 1990 in Tiflis, Georgien. Nach dem Schulabschluss studierte er vier Jahre an der staatlichen Shota Rustaveli Universität für Theater und Film von Georgien. Während des Studiums drehte er sechs Kurzfilme. Zwei seiner Filme wurden mit einem Preis am Filmfestival „Amirani“ ausgezeichnet. Mit dem sechsten Film namens „I’m With You“ bekam er sein Diplom als Filmregisseur.

Seit 2011 wohnhaft in Deutschland. 2014 drehte er unter dem Pseudonym „Georg Klein“ einen Kurzfilm namens „Day by Day“. Seit 2015 schreibt er auf Deutsch.

Veröffentlichungen: „etcetera“ #73, verdichtet.at, textem.de

5 No future for food waste!

Ein Text von David Jans:

Wir schreiben das Jahr 2025… oder 2030… oder 2040… wie auch immer… ich weiß es nicht. Es kommt darauf an was wir so alles gemeinsam schaffen in den kommenden Jahren. Also, wir schreiben dieses Jahr x.

foodsharing gibt es nicht mehr. Zumindest dieses foodsharing, wo Freiwillige Tag für Tag in zig Bäckereien, Supermärkten und Restaurants kistenweise die Lebensmittel retten, die ansonsten in der Tonne gelandet wären. Nicht mehr den Ansprüchen genügend. Überproduziert. Zuviel bestellt. Dieses Foodsharing gibt es nicht mehr, und das ist gut so!

Ich spaziere durch Stuttgart, das Wetter ist angenehm warm und die Sonne strahlt vom Himmel. Ich schnappe mir beim Vorbeigehen eine reife Himbeere, die auf einem Grünstreifen zwischen Fahrrad- und Fußgängerweg gewachsen ist. So wie all die anderen Beerensträucher, Kräuter und Obstbäume, die die Stadt in einen urbanen Garten verwandeln.

Mein Hunger ist geweckt, und ein paar Schritte weiter steht ein Fair-Teiler. Ich nehme eine Brezel, die ein lieber Mensch wohl kurz zuvor dort abgelegt hat. Fair-Teiler, also öffentliche Kühlschränke und Regale, wo Menschen bedingungslos Lebensmittel teilen dürfen, stehen mittlerweile engmaschig über die ganze Stadt verteilt. Sogar im Rathaus und in anderen kommunalen Gebäuden. Selbstverständlich. Wir haben gelernt, die wenigen übrigen Lebensmittel so zu fair-teilen, dass sie noch gegessen werden.

Jetzt habe ich Lust auf einen guten Kaffee. „Raupe Immersatt - das foodsharing-Café“ steht in großen Lettern über einem sympathischen Café und ich setze mich davor in einen bequemen Liegestuhl. Hier darf ich sein, ohne konsumieren zu müssen, gerettete und geteilte Lebensmittel kostenlos essen und für Getränke so viel bezahlen, was sie mir wert sind. Der Kaffee schmeckt köstlich und ist natürlich fair gehandelt und bio.

Fair gehandelt und bio, so wie mittlerweile übrigens alle Lebensmittel die wir konsumieren. Niemand auf der Erde wird mehr ausgebeutet, nur damit wir alle möglichen exotischen Früchte möglichst billig zu jeder Jahreszeit haben können. Genuss ist auch regional und saisonal möglich. Und er fühlt sich verdammt gut an.

Aus meinem Liegestuhl heraus kann ich entspannt eine Gruppe Schüler*innen beobachten, die gerade einen Grünstreifen in ein Gemüsebeet verwandeln. Alle packen mit an und haben Freude am Gärtnern. Selbstverwirklichung. Selbstversorgung. Leben. Das sind die dominierenden Schlagworte beim Lernen. Der Unterricht findet nicht mehr strikt nach Lehrplan und für alle gleich statt, sondern richtet sich nach den Talenten und Bedürfnissen der jungen Menschen mit dem Fokus auf ein erfülltes und gesundes Leben in einer wertschätzenden und solidarischen Gesellschaft im Einklang mit der Natur.

 

Apropos solidarisch: die solidarische Landwirtschaft hat sich durchgesetzt. Kein Landwirt und keine Landwirtin muss mehr billig und auf Masse produzieren oder mit viel Pestizideinsatz stumpfe Monokulturen anlegen. Gemeinsam nehmen die Menschen die regionale Ernährung in die Hand und übernehmen Verantwortung.

Mein Blick schweift auf eine Infotafel neben dem Eingang; im Café Raupe Immersatt findet wohl heute eine Ausstellung statt: Stuttgart 2019 – ein historischer Rückblick. Das klingt spannend. Ich verlasse meinen Liegestuhl und schaue mir die Ausstellung an:

Stuttgart 2019

313 Kilogramm genießbare Lebensmittel haben wir damals weggeworfen. Pro Sekunde. In Deutschland. Krass. Das waren 18 Millionen Tonnen im Jahr. Was war da los mit uns?

Und nicht nur Gemüse, Obst und Backwaren haben wir weggeworfen, sondern natürlich auch Fleisch und Wurst. Und zwar ne ganze Menge. Zusammengerechnet waren das 230.000 Rinder. Über 4 Millionen Schweine. 45 Millionen Hühner. Und das pro Jahr. Nur in unseren privaten Haushalten. Was war da los mit uns?

Wir haben in großen Supermärkten und Discountern eingekauft, immer auf der Jagd nach billigen Schnäppchen und der großen Menge fürs kleine Geld. Ganz egal woher, ganz egal von wem produziert, ganz egal was drin war. Die Werbung hat uns gezeigt was wir brauchen und was gut schmeckt. Was war da los mit uns?

Wir haben uns blind auf ein Datum verlassen, das auf allen Lebensmitteln gedruckt war. Auch auf Lebensmitteln, die bei richtiger Lagerung niemals schlecht werden wie Honig, Zucker, Reis oder millionen Jahre altes Salz. Und sobald dieses Datum abgelaufen war, haben wir das Lebensmittel einfach so weggeworfen. Was war da los mit uns?

Wir haben unterstützt, dass riesige Flächen Regenwald und anderer wertvoller Lebensraum abgeholzt wurde, nur weil wir jeden Tag Fleisch konsumieren wollten und die Tiere in den Mega-Mast-Ställen ja irgendwie gefüttert werden mussten. Wir haben unterstützt, dass Menschen in Ländern des Globalen Südens gewaltsam ihr seit Jahrhunderten bewirtschaftetes Land weggenommen wurde, nur damit wir ganzjährig alle erdenklichen Früchte und SuperFood genießen konnten. Was war da los mit uns?

Über 800 Millionen Menschen litten im Jahr 2019 an Hunger. Jedes Jahr starben 9 Millionen Menschen an Hunger, also alle 3 Sekunden ein Mensch. Und das, obwohl wir doch damals schon für 12 Milliarden Menschen Lebensmittel produzierten? Was war da los mit uns?

Irgendwann sind wir aufgewacht. Irgendwann haben wir begriffen, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Wir sind aufgestanden und haben uns verändert. Zum Glück – lange wäre das wohl nicht mehr gut gegangen.

Wir haben uns zuallererst an die eigene Nase gefasst.

Wir haben begriffen, dass wir beim Einkaufen und Konsumieren Tag für Tag eine Stimme abgeben und so zeigen können, dass es uns nicht egal ist, woher die Lebensmittel kommen, unter welchen Bedingungen sie angebaut und geerntet wurden und wer daran wie viel verdient.

Wir haben begriffen, wie viel wertvoller es ist, sich mit Lebensmitteln zu beschäftigen, die Natur verstehen zu lernen, selbst anzubauen, selbst zu kochen und dieses Wissen auch an unsere Kinder weiterzugeben. Wir haben begriffen, dass wir das sind, was wir essen.

Wir haben begriffen, dass dieses Datum auf den Lebensmitteln keine Aussagekraft bzgl. der Genießbarkeit hat und wir haben endlich wieder angefangen, die Lebensmittel anzuschauen, zu riechen, zu schmecken und dann so lange zu essen, solange sie eben noch gut sind.

Wir haben begriffen, dass es nicht auf die Menge, sondern auf die Qualität unserer Lebensmittel ankommt. Wir haben es endlich geschafft, nicht mehr auf Sonderangebote und Schnäppchenpreise hereinzufallen, sondern nur das und so viel zu kaufen, was wir auch wirklich brauchen und was uns gut tut.

Wir haben begriffen, dass hinter den Mauern der Mastanlagen und Zuchtbetriebe mitfühlende Wesen sitzen und haben es geschafft, nicht nur die Tiere, sondern auch die Landwirte und Landwirtinnen endlich von dieser Massentierhaltung zu befreien. Wir haben kapiert, dass Empathie nicht bei uns Menschen enden darf.

Aber wir haben nicht nur uns selbst, sondern auch die Politik, den Handel und die Industrie in die Pflicht genommen. Wir haben gefordert, gekämpft und durchgeboxt. Es war nicht einfach, und es war anstrengend. Aber es hat sich gelohnt.

Wir haben uns eine Welt gewünscht, in der es nicht mehr legal ist, Unmengen an genießbaren Lebensmitteln einfach so zu entsorgen, aber Menschen dafür verurteilt werden, wenn sie diese aus dem Container retten. Wir haben es geschafft, dass Strafgesetzbuch so anzupassen, dass Ressourcenschutz nicht mehr als Diebstahl ausgelegt werden kann.

Wir haben uns gewünscht, dass Ehrenamt und Engagement für ein gerechteres und ressourcenschonenderes Miteinander auch geschützt ist und durch Gesetze bestärkt, und nicht verkompliziert wird. Wir haben es geschafft, dass Foodsaver und Fair-Teiler von den Behörden mit Verhältnismäßigkeit und Wertschätzung behandelt, und nicht mit allen Auflagen eines Lebensmittelunternehmens belegt werden.

Wir haben uns eine Welt gewünscht, in der junge engagierte Menschen mit einer tollen Idee auch eine passende und bezahlbare Räumlichkeit dafür bekommen, und nicht mit den horrenden marktüblichen Mieten alleine gelassen werden und mit ungleichen Mitbewerber*innen konkurrieren müssen. Wir haben es geschafft, dass das foodsharing-Café Raupe Immersatt Wirklichkeit wird und die Räumlichkeit von der Stadt Stuttgart gestellt und mitfinanziert wird.

Wir haben uns gewünscht, dass wir auf Preisverleihungen, auf welchen foodsharing und die Raupe Immersatt für ihr Wirken ausgezeichnet wurden, auch die Reste vom Buffett mitnehmen dürfen und es uns nicht untersagt wird. Und wir haben es geschafft.

Berührt und ergriffen gehe ich wieder nach draußen und setze mich in den Liegestuhl. Vögel zwitschern, die Luft ist klar und rein, die Sonne scheint.

Was für ein schönes Jahr. Dieses Jahr x, in dem wir es endlich geschafft haben. Foodsharing gibt es nicht mehr. Und es fühlt sich verdammt gut an.