SOS - Save Our Ship! eine Anthologie zur Klimakatastrophe

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SOS - Save Our Ship! eine Anthologie zur Klimakatastrophe
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1 Der Anfang vom Ende der Ewigkeit.

2 Über die Klimaproteste und eine Generation alter Nörgler, die gar nichts mehr kapiert

3 „Fünf nach Zwölf“ oder „Die letzte Chance“

4 Heiliges Plastik

5 No future for food waste!

6 Eine Zukunft

7 Kälte

8 „Verbockt“ - ein Dramolett

9 Und dabei will ich doch auch irgendwie die Welt retten

10 Tagebuch-Notiz

11 Wandelnatur

12 Märchen aus der Zukunft

13 Eis XXIX

14 „Wenn die Schüler lehren“

15 MUTTER ERDE

16 Die Erde, der blaue Planet

17 Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Klimakatastrophe?

18 UMWELT – RAP

19 Klima-Generaldebatte im Stuttgarter Gemeinderat

20 Ich bin sprachlos!

21 Klimaschutz weltweit

22 Parents for Future

23 Mit Eiern gegen die Unvernunft

24 Status Erde 2019

25 Dein Einkaufszettel ist dein Stimmzettel

26 Das kleine Schweinchen

27 SOS Poesie und Prosa von Elvira Lauscher:

28 Ein Liebesbrief an meine Heimat

29 Über die Würde der Umwelt.

30 Im Garten

31 Fridays for Future

32 Mutter Erde

33 Rede: Ernst Ulrich von Weizsäcker

34 Jüngstes Gericht

35 Aufstand der Jugend

36 Warum wir bisher nichts unternommen haben und was nun zu hoffen bleibt

37 Kurz, kritisch, kreativ: Slogans bei Fridays For Future in Stuttgart

38 Greta – Oder: Wie ein Mädchen uns lehrt, dass niemand zu klein ist, um etwas zu bewirken.

39 Brief von Robert Habeck: Zeit der Kinder. Jetzt.

40 Die Wahlsiegerin: Planet Erde

41 Klimakatastrophe – Menschheitskrise

42 Klimaflucht

43 Die Zeit sie rennt ...

44 Stellvertreterkrieg

45 Die Forderungen von FFF vom 08. April 2019 in Berlin:

46 EndeGelände ...

47 Nachwort

SOS - Save Our Ship!

Von Gerhard D. Wulf (Hrsg.) u.a., Coverbild: Wolfgang "Berti" Weichert

Die Anthologie „SOS – Save Our Ship!“ ist ein dokumentarischer Blick „inside“ Fridays for Future: Ängste und Wut, Verzweiflung und Mut, Kraft und Kreativiät, Utopien und Visionen einer Bewegung, die zunehmend die politische Landschaft verändert.

Buchbeschreibung:

Ein Blick "inside" Fridays for Future: Ängste und Wut, Verzweiflung und Mut, Kraft und Kreativiät, Utopien und Visionen einer Bewegung, die zunehmend die politische Landschaft verändert. Die Jugend erklärt die sich rapide beschleunigende Klimakatastrophe zur Überlebensfrage der Menschheit und fordert ihr Recht auf Zukunft. Diese Anthologie versammelt Texte unterschiedlichster Art von reinster Poesie und realistischer Prosa bis schwärzester Dystopie mit provozierender Schärfe, bissigem Humor und viel Liebe zu Mensch und Natur.

Über den Autor:

Herausgeber Gerhard D. Wulf (Jahrgang 1960), freier Autor und Journalist ist seit Februar 2019 dank seiner Tochter ein "Papa for Future" und engagiert sich in Stuttgart bei den Kundgebungen und Demos von Fridays for Future. Er hat u.a. dort Redebeiträge, Slogans, Statements etc. von Schüler*innen, Wissenschaftler*innen und Eltern etc. gesammelt. Mit dem Erlös aus dem Verkauf des Buches wird die Bewegung unterstützt.

SOS - Save Our Ship!

Eine Anthologie zur Klimakatastrophe

Von Gerhard D. Wulf (Hrsg.) u.a., Coverbild: Wolfgang "Berti" Weichert

Annidivini

gdwulf@annidivini.com

https://www.annidivini.com

Inhaltsverzeichnis

1 Der Anfang vom Ende der Ewigkeit. 7

2 Über die Klimaproteste und eine Generation alter Nörgler, die gar nichts mehr kapiert 14

3 „Fünf nach Zwölf“ oder „Die letzte Chance“ 25

4 Heiliges Plastik 32

5 No future for food waste! 35

6 Eine Zukunft 41

7 Kälte 48

8 „Verbockt“ - ein Dramolett 53

9 Und dabei will ich doch auch irgendwie die Welt retten 57

10 Tagebuch-Notiz 71

11 Wandelnatur 72

12 Märchen aus der Zukunft 74

13 Eis XXIX 145

14 „Wenn die Schüler lehren“ 157

15 MUTTER ERDE 162

16 Die Erde, der blaue Planet 166

17 Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Klimakatastrophe? 170

18 UMWELT – RAP 184

19 Klima-Generaldebatte im Stuttgarter Gemeinderat 190

20 Ich bin sprachlos! 201

 

21 Klimaschutz weltweit 203

22 Parents for Future 206

23 Mit Eiern gegen die Unvernunft 209

24 Status Erde 2019 217

25 Dein Einkaufszettel ist dein Stimmzettel 221

26 Das kleine Schweinchen 224

27 SOS Poesie und Prosa von Elvira Lauscher: 230

28 Ein Liebesbrief an meine Heimat 232

29 Über die Würde der Umwelt. 235

30 Im Garten 238

31 Fridays for Future 241

32 Mutter Erde 243

33 Rede: Ernst Ulrich von Weizsäcker 246

34 Jüngstes Gericht 248

35 Aufstand der Jugend 253

36 Warum wir bisher nichts unternommen haben und was nun zu hoffen bleibt 264

37 Kurz, kritisch, kreativ: Slogans bei Fridays For Future in Stuttgart 270

38 Greta – Oder: Wie ein Mädchen uns lehrt, dass niemand zu klein ist, um etwas zu bewirken. 273

39 Brief von Robert Habeck: Zeit der Kinder. Jetzt. 283

40 Die Wahlsiegerin: Planet Erde 289

41 Klimakatastrophe – Menschheitskrise 300

42 Klimaflucht 303

43 Die Zeit sie rennt ... 307

44 Stellvertreterkrieg 308

45 Die Forderungen von FFF vom 08. April 2019 in Berlin: 311

46 EndeGelände ... 315

47 Nachwort 319

1. Auflage, 2019

© annidivini Gerhard D. Wulf (Hrsg.) u.a., Coverbild: Wolfgang "Berti" Weichert – alle Rechte vorbehalten.

gdwulf@annidivini.com

https://www.annidivini.com

1 Der Anfang vom Ende der Ewigkeit.

Ein politisch inkorrektes Vorwort des Herausgebers:

... Eigentlich sollten wir warten. Warten, einfach warten. Auf den nächsten Urknall, wenn sich unser Universum wieder zusammenzieht auf den kleinsten Punkt, alle Masse ein Nichts wird und dann wieder auseinanderfliegt und dann wieder sich zusammenzieht und dann wieder ... oder es dehnt sich weiter und weiter und weiter aus, bis es unendlich verdünnt wie homöopathische Lösungen einen neuen Impuls aus dem Jenseits hinter einer übergelagerten Membran anzieht, streng osmotisch ohne Plan und von dort die Zündung eines neuen Urknalls startet. Dauert noch ewig bis dahin.

Passiert wohl nur ungefähr alle 20 Milliarden Jahre. Haben Wissenschaftler genau berechnet. Kann man bei Professor Lesch im Fernsehen lernen. Vorher aber geht unserer Sonne das Licht aus in vier Milliarden Jahren, bis dahin sollte die Menschheit in diesem oder einem anderen Universum einen anderen Lebensplatz gefunden haben für die nächsten 15 Milliarden mal 365 Tage. Hoppla, das ist aber schön etwas früher, trotzdem, jede Menge Zeit. Aber, wer glaubt schon daran, dass wir es bis dahin überhaupt schaffen? Ich jedenfalls nicht. Sicherer droht uns wohl die Selbstauslöschung in ziemlich absehbarer Zeit, wenn die unerträglichen Folgen der Zerstörung und Umwandlung von „Planet Blau“ zu „Planet Grau“ die globalen Selbstmörder auf die Auslöser drücken lassen. Oder ganz modern per Sprachbefehl: „Alexa, bitte, Apokalypse Now!“

Die Geschichte menschlichen Lebens auf der Erde ist nicht mehr als eine bunt schillernde Schliere auf einer Seifenblase, die eine Millisekunde davor ist, zu zerplatzen. Die Menschen haben versäumt, sich einen Sinn zu suchen jenseits von Macht und Bedeutung. Und Reichtum. Geboren aus der Gier nach mehr und immer mehr. Und dem dadurch erzeugten Neid. Und der daraus resultierenden Wut. Mit brutaler Gewalt und Rücksichtslosigkeit werden diese egoistischen Interessen einzelner im Einklang mit den Systemen und Gesellschaften, in denen diese Individuen leben, durchgesetzt. Nach mir die Sintflut, jeder ist sich selbst der Nächste.

Wir können ja nichts dafür. Ein Programmierfehler von Mutter Natur. Fressen oder gefressen werden. Halt, ohne diesen „Fehler“ hätte sich der Mensch wohl nicht so erfolgreich von den Regeln der Evolution befreien können. Wir sind und bleiben halt rücksichtslose Egoisten. Religionen konnten und wollten daran nichts ändern. Sie wurden ja erfunden, um Macht über Menschen auszuüben, um Profit und immer mehr Profit zu erwirtschaften. Die angeblich so menschenfreundlichen Programmteile im Islam, Juden und Christentum unter dem Motto Nächstenliebe waren nur dazu da, von der wahren Herrschaftsfunktion der Lehre abzulenken. Gottesfurcht als Vehikel für den Erhalt von Machtsystemen. Die Sehnsucht der Menschen nach einer Antwort auf die Frage ihrer Existenz missbraucht, um sie zu knechten. Manipulierte Gefolgsleute, die Ideologien folgen, die die Welt zerstören.

Politische Rattenfänger haben das schon immer gut durchschaut und mit beängstigendem Erfolg kopiert. Die faschistischen, sozialistischen und kommunistischen Ersatzreligionen versprachen Erlösung und Heil. Das Resultat war wieder Versklavung und millionenfacher Mord. Das Ende der Staatsreligionen im Westen nach der Aufklärung, der Monarchien nach den Revolutionen, der furchtbaren Staatsutopien im Osten, führten geradewegs in die Sackgasse des puren materialistischen Kapitalismus. Der äußerst fruchtbar und furchtbar gerade auch im ehemaligen sogenannten Kommunismus gedeiht, ob Gelb oder Rot. Befreit von jedem Sinn, aber dafür ausgestattet mit dem höchsten Zweck, mehr zu haben, und immer noch mehr, noch größer, noch schneller, noch teurer, aller Endlichkeit der Ressourcen zum Trotz taumelt das Raumschiff Erde mit seiner irregewordenen Besatzung in den Abgrund. Dem allgewaltigen Gott des Wachstums huldigend. Das Floß der Medusa treibt verloren im All. Die letzten Vorräte sind aufgebraucht. Kein Wasser zum Trinken, keine Nahrung zum Essen, keine Luft zum Atmen.

Gott ist tot? Von wegen. Nein, es gibt einen Gott! Es ist der Gott der Gier, der die Menschen antreibt. Die Gier nach Reichtum, Ruhm, Macht, Erfolg, Schönheit ... Gier frisst Hirn und was dabei herauskommt, sehen wir überall, hier in diesem Dorf, dieser Stadt, diesem Land, überall in dieser Welt. Und die Religion dieser Gier nennt sich „freier Markt“ oder ein bisschen netter „soziale Marktwirtschaft“ heißt aber ohne Masken und Make Up „Kapitalismus“. The Rat Race ...

Die Sucht, immer mehr zu haben als Selbstzweck ohne jeglichen Wert und ohne jede Vision. Wenn man sich trösten will: Die Gier erschafft und löscht auch alles aus, könnte man zynisch denken. Das geht nicht mehr lange gut. Es ist ja in der großen Geschichte des Lebens noch nie gutgegangen. Wenn aber das Prinzip des Lebens die Gier ist, dann ist der Sinn des Lebens der Tod. Denn sonst könnte es kein Leben geben. Endlose Gier ist bei endlichen Ressourcen unmöglich. Und natürlich auch offiziell als egoistisch und asozial verrufen, genau von denen, die Wasser predigen und Wein trinken. Aber so ist die Natur: Fressen und gefressen werden, „survival of the fittest“, alles für die Cleverles, die Investmentbanker, Immobilienmakler, Versicherungsvertreter, Drecksäcke, Arschlöcher ... Nach uns die Sintflut? Leider nein, sieht ganz so aus, als ob wir alle in der Sintflut untergehen. Die Flut unserer Sünden gegen die Natur, die steigenden Meere, Stürme, Regenmassen und Dürre ihre erbarmungslose Antwort. Wenn der Mieter die Heizung weiter und weiter hochdreht, muss er sich über die Höhe der Nebenkostenabrechnung nicht wundern.

Die Kamera fährt nach oben in den Himmel, die Erde wird kleiner und kleiner, das Sonnensystem, die Milchstraße, ein Kiesweg im All. Darin ein kleiner Wirbel in der Form eines Ammoniten ... Genau jetzt, in diesem Moment prallt weit draußen eine kleine Kugel auf eine etwas größere und gibt ihr einen leichten Schubs. Diese ändert ihre Bahn nur minimal und nimmt gelassen Kurs auf die blaue Murmel auf dem Kiesweg. In siebzehn Jahren, drei Tagen, fünf Stunden, vier Minuten und zwanzig Sekunden schlägt sie mit der dreißigfachen Wucht des Dinosaurierkillers hier auf dem uralten Kalkriff der Schwäbischen Alb ein. Das Klimaproblem hatte sich erledigt. Wahrscheinlich hoffen alle Leugner der längst begonnenen Klimakatastrophe genau das, denn dann kann - und muss - man ja eh nichts machen.

Es läuft leider anders, viel banaler, und zunächst auch nicht ganz so spektakulär wie bei den Filmen von Roland Emmerich. Ein Bild aus den Albträumen, die mich manchmal auch tagsüber heimsuchen, taucht zum wiederholten Male aus den Untiefen meiner Synapsen auf: Ich betrachte die Erde von meiner imaginären Mondsternwarte aus. Ich sehe die schöne blaue Perle im unendlichen schwarzen Meer des Universums treibend. Das Floß der Medusa. Ein Experiment, Petrischale in einem Labor: Auf der Oberfläche einer mit Wasser benetzten Steinkugel wuchert simpler Schimmelschleim. Der Pilz wächst auf dem fruchtbaren Nährboden munter und gedeiht zunächst prächtig, tötet sich dann aber, in dem er seinen Wirt tötet. Ein gefräßiger Schimmelpilz namens Menschheit saugt alles Verwertbare aus seinem Raumschiff Erde heraus und vergiftet seinen Lebensraum mit seinen eigenen Ausscheidungen.

Und genau so handelt der Mensch, seit es ihn gibt. Er hat sich die Erde in kürzester Zeit gierig unterworfen. Er beutet sie und alles Leben darauf aus, sät den Tod in alle Elemente und muss darum mit ihr untergehen. Heiße Stürme brausen über den Planeten. Die grünen Lungen sind unheilbar von Krebs befallen. Das Eis der Pole schmilzt schneller und schneller. Die leergefischten, dafür mit Plastikmüll gefüllten stinkenden Meere steigen und überfluten die Küsten. Die Wüsten der Kontinente wachsen und fressen das letzte Ackerland. Hunger und Durst lösen mehr und mehr Kriege aus um die letzten nicht vergifteten Wasserstellen, die letzten fruchtbaren Böden. Heilige oder Unheilige. Das ist nicht mehr die Frage, endlich nicht mehr, denn niemand wird das mehr bewerten können.

Freuen wir uns: Es sind dies wirklich die letzten Kriege der Menschheit, danach herrscht endlich Frieden. Atompilze blühen über den Metropolen auf. Das Leben in der hauchdünnen Membran zwischen dem Höllenfeuer des Erdinnern und der Eiseskälte des Alls ist schnell hinweggefegt. Geplatzt wie eine schillernde Seifenblase nach Sekunden Universumszeit. Und dann, wenn die schützende Atmosphäre endgültig weg ist, schlagen die Trümmerreste des Urknalls aus den Tiefen des Alls ungehindert auf der Erde ein. Alles wird zermalmt und die Erde wird wüst und leer und voller Krater sein wie der Mond. Das Erbe allen Lebens wird vernichtet, die letzten Spuren einer ebenso genialen wie wahnsinnigen Kreatur verbrennen zu Asche, zerbröseln zu Sand, zu Staub und verwehen ...

 

Die Menschheit ist nun tatsächlich an dem Punkt, wo alles kippt. Am Anfang vom Ende der Ewigkeit. Welcher Weg könnte den Wahnsinn beenden? Wie könnte der Mensch sich umprogrammieren, die eingebaute Selbstzerstörung außer Betrieb nehmen? Was könnte uns helfen? Etwa Philosophie, die alte, weitgehend vergessene Liebe zur Weisheit und die Suche danach? Meditationen über das Jetzt und Hier, das Werden und Vergehen, das Sein und das Nichts und die Erkenntnis, dass der Sinn des Lebens die Suche nach ihm ist und also für jeden in nichts anderem besteht, als für sich einen Sinn zu suchen, der außerhalb materieller Dinge liegt. Die Besinnung auf die wirklichen Werte des Lebens und die Schönheit des Seins trotz dessen Endlichkeit, das wäre vielleicht ein Ansatz. Im altruistischen Zen-Buddhismus wären vielleicht Ansätze und Wege dahin zu finden, wer weiß ... Endlich zu erkennen, dass wir wunderbarerweise nicht mehr, aber auch nicht weniger als kurzzeitig belebter Sternenstaub sind, tanzende Moleküle auf der Reise in die Unendlichkeit, eine besondere Art Eintagsfliege mit dem Bewusstsein ihrer Vergänglichkeit. Unglücklich, verzweifelt und trotzdem voller Freude, weil wir gerade deswegen unsere Existenz genießen und das Glück genau und gerade dann finden, wenn auch die anderen im Frieden mit sich und uns sind. Schöne Utopie ...

Ich habe bei den Streiks und Demos der Schülerinnen und Schüler von Fridays For Future wieder die Hoffnung bekommen, dass wir es doch noch schaffen können, wenn wir es wollen und endlich anpacken. Jetzt! Die folgenden Beiträge stammen von ganz unterschiedlichen Menschen, ganz jungen und älteren, Kinder, Eltern und Großeltern aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen, die eines eint: der Wille, unsere Welt, unser kleines blaues Raumschiff Erde zu retten. SOS – Save Our Ship! NOW!!!

Stuttgart, im Juli 2019, Gerhard D. Wulf (mit Auszügen aus seinem satirischen Roman „Der Anfang vom Ende der Ewigkeit.“ von 2018)

2 Über die Klimaproteste und eine Generation alter Nörgler, die gar nichts mehr kapiert

Text von „Der Graslutscher“ (Jan Hegenberg, ein 40 Jahre alter Papa for future) 08. Februar 2019

facebook.com/Graslutscher

twitter.com/DerGraslutscher

https://graslutscher.de/

Liebe SchülerInnen, die Ihr seit Dezember 2018 hierzulande freitags streikt, um damit für besseren Klimaschutz einzutreten: Es tut mir leid.

Es tut mir leid, dass wir das nicht schon viel früher gemacht haben. Dass es überhaupt so weit kommen musste. Aber noch viel mehr tut mir leid, dass ausgerechnet Vertreter meiner Generation Euch jetzt auch noch mit Hass und Häme überziehen. Ausgerechnet wir, die Typen und Trullas, die den ganzen Scheiß überhaupt erst auf der Kochplatte abgestellt, den Herd auf Stufe 9 hochgedreht, und sich dann verpieselt haben, um ihre bescheuerten Bekannten mit Instagram-Posing von fernen Stränden, dicken Protzkarren und affigen Konsumorgien beeindrucken zu wollen.

Wir haben schon vor 20 Jahren, als die meisten von Euch noch gar nicht geboren waren, von Tyler Durden im Film Fight Club ein paar wahre Worte vernommen: „Durch die Werbung sind wir heiß auf Klamotten und Autos, machen Jobs, die wir hassen, kaufen dann Scheiße, die wir nicht brauchen.“ Oh Mann, was fand ich das damals lässig. Und dann bin ich losgezogen und habe Klamotten und Autos gekauft, bezahlt mit Geld aus wenig inspirierenden Jobs. Auch die meisten Bekannten, die diese Worte ultracool fanden, haben sie mittlerweile gegen einen Haufen Plastikschrott und Selfies vom Strand in Dubai eingetauscht.

Das Tolle an den Protesten ist in meinen Augen ja, dass Jugendliche, die einfach nur für das Fortbestehen der Spezies demonstrieren, etwas unglaublich Entwaffnendes haben. Die üblichen politischen Floskeln, die den Gegner in irgendeiner verachtenswerten Ideologie verorten wollen (Ihr blöden Sozis, Ihr Öko-Faschisten usw.), funktionieren irgendwie nicht, wenn Kinder, die noch nie wählen durften, Schilder in der Hand halten, auf denen sie einfach nur für ihr Überleben werben. Was, wenn nicht dieses Eintreten für etwas, das allen anderen Generationen vor ihnen selbstverständlich vergönnt war – eine intakte Biosphäre –, könnte Menschen zum Umdenken bewegen?

Was war ich beeindruckt, als ich Greta Thunberg zum ersten Mal sah, wie sie mit ihrem Schild vor dem schwedischen Reichstag stand und in einer vulkaniergleichen Nüchternheit erklärte, dass Schulbildung allein in einer auf die Klimakatastrophe zurasenden Welt nun mal wenig Sinn ergibt. Viel treffender kann man das nicht ausdrücken, denn wenn Hamburg erst mal unter Wasser steht und die Felder andauernd verdorren, helfen gegen den Hunger auch keine Differenzialgleichungen. Und das sage ich, der Differenzialgleichungen super findet. Ich dachte, okay, jetzt geht es los, jetzt können wir nicht mehr einfach so weitermachen, das muss eigentlich jeder begreifen. Gute Güte, was war ich naiv.

Tatsächlich haben nur selten mehr verweichlichte Jammerlappen so einen Haufen Missgunst und Widerwärtigkeit über einem 16 Jahre alten Mädchen ausgekübelt wie im Fall dieser Aktivistin. Die vegan lebenden Menschen kennen das schon: Sobald Du versuchst, irgendwie die Welt zu verbessern, kommen auf einmal eine Menge Leute auf die Idee, dass Du bitte in allen Aspekten Deines Lebens perfekt zu sein hast, ansonsten ergibt das nämlich alles keinen Sinn. Den Satz „Was, Du lebst vegan, aber Du…“ kann man nicht unsinnig genug beenden, um ihn nicht trotzdem irgendwo im Internet ohne jegliche Ironie vorzufinden.

Das verläuft nach dem Motto, dass VeganerInnen aus ethischen und ökologischen Motiven keine Tierprodukte essen, also sollten sie auch ohne Auto und ohne Handy leben. Sie sollten komplett ohne Plastik auskommen, importiertes Gemüse ist tabu, die Klamotten haben Second-Hand-Kartoffelsäcke zu sein und als Fortbewegungsmittel kommen eigentlich nur Fahrräder aus alten Kriegsbeständen oder Draisinen in Frage. Denn sonst ist man ja inkonsequent. Dass diese Kritik meistens auch noch von Leuten kommt, die beim Eintippen dieser Worte ein übergroßes Handydisplay mit Soße von billigen Chicken Wings besudeln, während sie in einer fetten Karre auf dem Weg zum Flughafen sind, macht die Sache noch absurder. Die Logik dahinter ist: Ich trenne keinen Müll, denn ich habe auf dem Heimweg ja auch mein Altöl in den Wald gekippt, so als gäbe es Treuepunkte für Umweltzerstörung.

Genau dieses absurde Spiel wird sehr gerne bevorzugt von Männern mittleren und höheren Alters unter jeder Nachricht gespielt, in dem die junge Schwedin Thema ist. Nur fürs Protokoll: Greta Thunberg lebt bereits vegan, hat ihren Konsum minimiert und legt auch lange Strecken nur mit Elektroautos oder dem Zug zurück. Während sich die halbe Wirtschaftselite mit Privatjets nach Davos begab, saß sie 65 Stunden im Zug, um vor Ort in einem Zelt zu schlafen. Eine Reise, bei der die meisten ihrer Kritiker vermutlich laut aufheulen würden vor mangelndem Komfort. Daran müsste man sich ja eigentlich mal ein Beispiel nehmen, was? Aber – o weh – dann müssten wir uns ändern! Können wir nicht einfach stattdessen irgendein unwichtiges Detail suchen, um zu beweisen, dass Greta Thunberg auch nicht perfekt ist?

Und so kristallisierte sich als primäre Kritik an der Konferenzteilnahme einer 16-jährigen Klimaaktivisten von der Generation der vielfliegenden Fleischhaufenabonnenten heraus, dass der Toast im Zugabteil ihrer 65-stündigen Reise in Plastik eingepackt war. Falls in 50 Jahren mal irgendwer fragt, wie unfassbar satt, träge und gleichgültig wir eigentlich waren, antwortet ihr oder ihm, dass wir das Level „Die Kinder sollen sich bitte nicht so laut wegen der Klimakatastrophe beschweren, solange sie ihr Toastbrot nicht selbst backen“ bereits 2019 erreicht hatten.

Warum kaufen junge Menschen denn eigentlich Toast in Plastikverpackungen? Weil sie blöd sind und nicht einfach die vielen Produkte kaufen, die von Herstellern in biologisch abbaubaren Moostäschchen oder Bambusschachteln abgepackt werden? Nein, das ist doch wohl eher der Fall, weil unsere Generation süchtig ist nach Plastik, Mineralöl und Fleisch und eine Welt erschaffen hat, in der eine 16-jährige eine Reise mit plastikfreier, veganer Bordverpflegung komplett knicken kann.

Das werden die meisten Kommentatoren, die so eine Reise überhaupt nur mit unvernünftig hohem Verbrauch von Kerosin unternehmen, nicht wissen, aber wenn man nur 20 Minuten zum Umsteigen hat und in der Zeit veganen Proviant erwerben möchte, der auch nur grob dem Nährstoffbedarf eines menschlichen Körpers entspricht, und jetzt noch ohne Verpackungsmüll auskommen möchte, dann wird die Auswahl echt eng. Für die Strecke Wiesbaden – Kopenhagen kann ich noch die Thai-Ketten und den Inder in der Wandelhalle am Hamburger Hauptbahnhof empfehlen, aber besonders preisgünstig oder zeitsparend ist das beides nicht. Ja, man kann sich auch vorher was einpacken, aber nach 40 Stunden bei Zimmertemperatur sieht so ein mitgebrachtes Stück Lauchquiche auch nicht mehr ganz so frisch aus.

Wir werfen diese Kinder in eine Welt, die wir selbst gestaltet haben, als hätten wir dabei konsequent unter Drogeneinfluss gestanden, und beschweren uns dann darüber, dass sie Toast aus Plastikverpackungen essen. Oder wir monieren, dass sie im SUV zur Demo gefahren werden, dass sie Fast Fashion bei Primark konsumieren und zu McDonalds gehen. Tja, da frage ich mal zurück: Warum werden sie denn im SUV zur Demo gefahren? Wenn wir Städte gestalten, als wären es Autobahnen mit Häusern drum rum, und Fußgänger sowie Radfahrer behandeln wie Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse, dann darf man sich nicht wundern, wenn junge Menschen lieber im Auto fahren.

Wenn wir ihnen erzählen, dass ein vegetarischer Tag pro Woche Ökofaschismus ist und ihnen vorleben, dass ein Haufen Klamotten und das erfolgreiche Abschreiten eines Catwalks mit dümmlichem Duckface wichtiger sind als unsere Lebensgrundlage, dann hauen sie ihre Kohle bei McDonalds und Primark raus. Aber nein, bitte keine Reflektion, wir erwarten von der demonstrierenden Jugend nun einfach, dass sie sich in allen Bereichen einschränkt, nachdem wir ihr 18 Jahre lang gezeigt haben, wie toll wir unsere Wohnungen mit Schwachsinn 2.0 vollgestopft haben, und während wir einfach so weitermachen wie bisher. Was sind wir für ein Haufen satter, verlogener Konsumjunkies.

Für alle Leserinnen und Leser, die ihren Plastikkonsum lobenswerter tatsächlich nahe null gebracht haben: Prima. Aber Greta Thunberg hätte dieses Spiel auch nicht gewinnen können, wenn sie sich ausschließlich von selbst mitgebrachten, in recyceltem Klopapier verpackten Rüben ernährt hätte. Dann hätte man ihr die Fahrt vom Bahnhof zum Pressezentrum unter die Nase gerieben, die Verwendung eines Regenschirms oder dass in ihren Impfstoffen homöopathische Mengen Hühnerei enthalten sind. Ich übertreibe? Auf der Facebook-Präsenz der FAZ hatte ich eine Diskussion mit einem älteren Herrn, der die ohne Anzeichen von Ironie die klimaschädlichen Auswirkungen beim Bau der Eisenbahnbrücken moniert hat, über die Greta Thunberg bei ihrer Reise ja sicherlich fahren musste. Diese Menschen würden es nicht einmal anerkennen, wenn sie die Reise komplett zu Fuß in selbstgebastelten Schilfsandalen angetreten hätte.

Dieses Spiel hat außerdem einen Tipping-Point: Findet der Wohnzimmerkritiker tatsächlich gar nichts, was er als Inkonsequenz auslegen kann, ist die zu kritisierende Person halt total fanatisch und verbohrt, weil sie ja nicht mal einen Regenschirm benutzt. Anstand sucht man hier vergeblich, das einzige Ziel ist, dass sich der Scheinwerferkegel endlich vom eigenen Nichtstun wegbewegt.

Und ja, unter all den demonstrierenden Jugendlichen sind bestimmt auch ein paar, die einfach nur mitmachen, weil sie gerade keinen Bock auf Trigonometrie haben oder total auf eine Mitschülerin stehen, die auch mitdemonstriert. Und weiter? Wenn die Opel-Belegschaft demonstriert, dann könnte ich das Gleiche unterstellen. Da es recht unrealistisch ist, dass solche Streiks nur aufgrund der Faulheit der Beteiligten zustande kommen, sollte man das bei beiden nicht unterstellen. Ja, die könnten auch in ihrer Freizeit demonstrieren, aber hätte das den gleichen Effekt? Es geht ja gerade darum, als junge Generation ein System zu bekämpfen, das die eigene Existenz gefährdet. Warum soll sich eine Generation an einen Vertrag halten, wenn die andere das auch nicht tut?

Ständig höre ich von allen möglichen Eltern, dass ihre Kinder es mal besser haben sollen als sie, dass sie für ihre Kinder nur das Beste wollen. Und dann stopfen sie sie mit Fleisch voll und fliegen mit ihnen ans andere Ende der Welt, um hübsche Selfies von einer sterbenden Welt mit nach Hause zu nehmen. Wie schön, die können sich die Kinder dann ins Regal stellen, und wenn dann in 20 Jahren die Malediven unbewohnbar sind, haben sie noch ein hübsches Foto von Mama und Papa, die genau auf dem Strand dümmlich in eine Kamera grinsen, der dann nur noch Meeresboden ist.

Es gibt keine rhetorische Ablenkung von den Folgen globaler Erwärmung, die den Leuten zu peinlich ist, um sie wirklich auszuformulieren. Ich hatte jüngst ein Gespräch, in dem die Folgen eines Anstiegs des Meeresspiegels gekonnt damit entkräftet wurden, dass wir dann einfach mehr Fisch essen können. Ja, drollig, ich weiß, aber genau das ist das Problem: Große Teile der alten Generation kapieren offenbar überhaupt nicht, wie groß die Bedrohung ist.

Das Bevölkerungswachstum wird bereits langsamer, aber auch in Zukunft wollen über 7 Milliarden Menschen ernährt werden und müssen irgendwo leben. Wenn man denen jetzt auf lange Sicht große Küstenabschnitte wegnimmt, die Städte flutet und am Äquator Zonen entstehen, in denen menschliche Organismen aufgrund von Hitze und Luftfeuchtigkeit nicht mehr funktionieren, dann werden unsere Kinder irgendwann Verteilungskämpfe um Kalorien und Trinkwasser führen. Aber ja, Eure Kinder sollen es ja mal besser haben, fliegt also mit ihnen in ein Strandhotel nach Bali, von der Erinnerung können sie hoffentlich noch lange zehren.

Vor dem Hintergrund kann man sich dann schon mal überlegen, ob man auf den Schulunterricht an einem von fünf Tagen pfeift. Ja, dann bekommt man vielleicht einen Eintrag ins Zeugnis, aber ein makelloses Zeugnis hilft ja auch niemandem, wenn regelmäßig die Kartoffeln auf den Feldern verdorren. Ich habe leicht reden, mein Zeugnis spielt keine Rolle mehr, aber ich verspreche was: Sollte ich jemals an einer Personalentscheidung teilhaben und es besteht Auswahl zwischen einer Person mit so einem Eintrag und einer ohne, dann hat die mit dem Eintrag sensationelle Chancen, die Stelle zu bekommen.