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Das schwache Herz

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Doch die Gäste mußten aufbrechen. Man versuchte natürlich, sie zurückzuhalten, Wassja erklärte aber mit aller Entschiedenheit, daß es nicht ginge. Arkadij Iwanowitsch bestätigte dies. Man fragte sie selbstverständlich nach den Gründen, und nun kam es heraus, daß Julian Mastakowitsch Wassja mit einer höchst dringenden und furchtbar wichtigen Arbeit betraut hatte, die unbedingt übermorgen früh abgeliefert werden mußte, während Wassja diese Arbeit nicht nur nicht fertig gemacht habe, sondern auch furchtbar im Rückstande sei. Mütterchen schrie vor Entsetzen förmlich auf; auch Lisa erschrak sehr; sie wurde unruhig und drängte Wassja zum Gehen. Der Abschiedskuß hat aber unter dieser Eile nicht im geringsten gelitten: er war kürzer und hastiger, dafür aber glühender und leidenschaftlicher. Schließlich trennte man sich, und beide Freunde traten den Heimweg an.

Sobald sie auf der Straße waren, begannen sie sofort ihre Eindrücke auszutauschen. Das war, ja durchaus natürlich: Arkadij hatte sich bereits sterblich in Lisa verliebt! Und wem sollte er es anvertrauen, wenn nicht dem Glückspilz Wassja? Er tat es auch ganz ohne Bedenken und gestand Wassja alles. Wassja mußte furchtbar lachen und war ganz außer sich vor Freude; er meinte sogar, daß die Verliebtheit Arkadijs durchaus nicht überflüssig sei und daß sie beide von nun an noch bessere Freunde sein würden als zuvor. »Du hast mich richtig verstanden, Wassja,« sagte Arkadij Iwanowitsch: »ich liebe sie genau so wie dich; sie wird mein Schutzengel sein ebenso wie der deinige, denn euer Glück wird sich auch über mich ergießen, und ich werde mich in seinen Strahlen wärmen. Sie wird auch meine Hausfrau sein, Wassja. In ihren Händen wird mein Glück ruhen; ich möchte, daß sie auch in meinem Leben ebenso walten wie in dem deinigen. Ja, meine Freundschaft zu dir ist zugleich auch die Freundschaft zu ihr; ihr beide seid jetzt für mich unzertrennbar; nur werde ich jetzt zwei solche Wesen wie du haben, statt des einen … « Arkadij konnte vor Aufregung nicht weiter sprechen, während Wassja durch diese Worte bis ins Innerste seiner Seele erschüttert war. Er hatte nämlich von Arkadij niemals solche Worte erwartet. Arkadij Iwanowitsch verstand ja sonst gar nicht zu sprechen und war allen Schwärmereien abhold; jetzt baute er auf einmal Luftschlösser, das eine freudiger, lichter und kühner als das andere! »Wie werde ich für euch sorgen und euch bemuttern!« begann er von neuem. »Erstens werde ich der Taufpate aller deiner Kinder sein, Wassja, aller ohne Ausnahme; und zweitens – muß man auch an die Zukunft denken. Man muß Möbel kaufen, eine Wohnung mieten und zwar eine solche, daß jeder von uns dreien ein Zimmer für sich hat. Weißt du, Wassja, ich will gleich morgen gehen, die Zettel an den Haustoren studieren. Drei … nein – zwei Zimmer, mehr brauchen wir nicht. Ich glaube sogar, Wassja, daß ich Unsinn gesprochen habe: das Geld wird euch schon reichen; ganz gewiß! Als ich ihr vorhin in die Äuglein blickte, rechnete ich im Nu aus, daß das Geld reichen wird. Alles für sie! Ach, wie wir nun arbeiten werden! Man muß riskieren und fünfundzwanzig Rubel für die Wohnung auswerfen. Denn die Wohnung bedeutet alles! Wenn man gute Zimmer hat, so ist man auch gut gelaunt und hat angenehme Gedanken! Zweitens, wird Lisa unsere gemeinsame Kasse verwalten: es darf keine Kopeke unnütz ausgegeben werden! Daß ich jetzt wieder einmal ins Wirtshaus gehe? Für wen hältst du mich eigentlich? Um nichts in der Welt! Auch wird es Gehaltszulagen und Gratifikationen geben, denn wir werden jetzt mit doppeltem Eifer arbeiten. Herrgott, wie wir arbeiten werden! Wie die Ochsen! Nun stelle dir vor,« – Arkadij Iwanowitschs Stimme wurde vor Seligkeit ganz matt, »stelle dir vor, daß jeder von uns so ganz unerwartet dreißig oder fünfundzwanzig Rubel als Gratifikation bekommt! Jede Gehaltszulage bedeutet aber ein neues Häubchen, oder Tüchlein, oder ein Paar Strümpfchen! Sie muß mir, übrigens, unbedingt einen neuen Schal stricken; schau, wie der meinige aussieht: gelb, ekelhaft; heute hat er mir genug Kummer gemacht! Auch du bist gut, Wassja! Stellst mich ihr vor, während ich in diesem Kummet dastehe … Doch das gehört nicht zur Sache! Weißt du: das ganze Silber nehme ich auf mich! Ich muß ja euch ein Hochzeitsgeschenk machen, – das verlangt meine Ehre und meine Selbstachtung! Eine Neujahrszulage kriege ich ja sicher; wem wird man sie denn sonst geben? Vielleicht dem Skorochodow? Das Geld würde bei ihm nicht lange in der Tasche bleiben. Ich will euch silberne Löffel kaufen, gute Tafelmesser, keine aus Silber, aber vortreffliche Messer, und eine Weste; d. h. die Weste für mich selbst, denn ich will ja euer Trauzeuge sein! Du mußt dich aber jetzt zusammennehmen, mein Lieber! Von heute ab werde ich dich Tag und Nacht mit dem Stock antreiben, auf dich aufpassen, dir keinen Augenblick Ruhe geben, bis du mit der Arbeit fertig bist! Du mußt sie schnell fertig machen! Und wenn du fertig bist, gehen wir wieder abends hin, und werden beide glücklich sein, werden Lotto spielen, – Gott, wird das herrlich sein! Pfui, Teufel! Wie schade, daß ich dir nicht helfen kann. Ich würde mich einfach hinsetzen und alles statt deiner fertig schreiben … Warum haben wir nicht die gleiche Handschrift?«

»Ja!« sagte Wassja. »Ja! Ich muß mich beeilen … An die Arbeit!« Bei diesen Worten wurde Wassja, der die ganze Zeit über bald gelacht, bald die Ergüsse seines Freundes mit irgendeiner Zwischenbemerkung zu unterbrechen versucht hatte und, mit einem Worte, die größte Begeisterung für alles gezeigt hatte, plötzlich nachdenklich, schweigsam und still und begann zu rennen. Es war, als ob irgendein schwerer Gedanke seinen glühenden Kopf mit Eis abgekühlt hätte; als ob sein Herz zusammengeschrumpft wäre.

Arkadij Iwanowitsch wurde sogar unruhig; auf seine hastigen Fragen bekam er fast keine Antwort von Wassja; dieser reagierte nur mit wenigen Worten, und Ausrufen, die zuweilen gar nicht zur Sache gehörten. »Was hast du nur, Wassja?« rief er schließlich aus, als er ihn mit großer Mühe einholte. »Bist du denn so um deine Arbeit besorgt?« – »Ach, mein Lieber, wir haben genug geschwatzt!« entgegnete Wassja ärgerlich. »Wassja, verzage nicht, beruhige dich!« unterbrach ihn Arkadij Iwanowitsch: »Wie oft habe ich schon gesehen, daß du ein viel größeres Pensum in viel kürzerer Frist bewältigt hast … Das macht dir wirklich keine Mühe! Du hast doch eine solche Begabung! Im äußersten Falle kannst du einfach das Schreibtempo beschleunigen: deine Abschrift soll doch nicht als eine Vorlage für den Schönschreibeunterricht lithographiert werden! Du wirst schon fertig werden! Jetzt bist du eben etwas aufgeregt und zerstreut, und die Arbeit wird anfangs etwas schwieriger vonstatten gehen … « Wassja gab keine Antwort, oder brummte etwas Unverständliches vor sich hin. Endlich erreichten beide, von Unruhe gepeinigt, ihre Wohnung.

Wassja setzte sich sofort an die Arbeit. Arkadij Iwanowitsch wurde ganz still, zog sich leise aus und legte sich ins Bett, ohne seine Blicke auch nur für einen Augenblick von Wassja zu wenden … Ihn überfiel eine eigentümliche Angst … »Was ist mit ihm los?« fragte er sich, Wassjas blasses Gesicht, brennende Augen und unruhige Bewegungen betrachtend. »Seine Hand zittert … Verflucht! Soll ich ihm am Ende zureden, daß er sich für etwa zwei Stunden hinlegt, damit er wenigstens seine Aufregung ausschläft? … « Wassja hatte gerade eine Seite beendet; er hob die Augen, doch als sein Blick zufällig Arkadij traf, schlug er sie sofort nieder und ergriff von neuem ie Feder.

»Höre einmal, Wassja,« begann plötzlich Arkadij Iwanowitsch, »wäre es nicht besser, wenn du etwas ausruhtest? Sieh nur: du bist wie im Fieber! … « Wassja warf Arkadij einen ärgerlichen, sogar gehässigen Blick zu und erwiderte nichts.

»Höre einmal, Wassja, was machst du mit dir?« Wassja schien plötzlich zur Vernunft gekommen zu sein.

»Sollte ich nicht etwas Tee trinken, was meinst du, Arkascha?« sagte er.

»Warum? Wozu?«

»Das kann mich etwas stärken. Ich will nicht mehr schlafen, ich werde nicht schlafen! Ich werde die Nacht durcharbeiten. Beim Teetrinken kann ich mich etwas erholen und den schweren Augenblick überstehen.«

»Ausgezeichnet, mein Lieber! Glänzend! Ich wollte eben dasselbe vorschlagen. Ich wundere mich nur, daß ich nicht schon früher auf diesen Gedanken kam. Weißt du aber was? Mawra wird nicht aufstehen wollen, sie wird um nichts in der Welt aufwachen … «

»Ja!«

»Unsinn! Das macht nichts!« schrie Arkadij Iwanowitsch auf und sprang barfuß wie er war aus dem Bette. »Ich werde selbst den Samowar bereiten. Das ist doch wirklich nicht das erste Mal!«

Arkadij Iwanowitsch lief in die Küche und machte sich am Samowar zu schaffen; Wassja schrieb indessen weiter. Arkadij Iwanowitsch kleidete sich an und lief in eine Bäckerei, damit Wassja sich zur Nacht ordentlich stärken könnte. Nach einer Viertelstunde stand der Samowar auf dem Tisch. Sie tranken Tee, doch ein Gespräch wollte nicht zustande kommen. Wassja war zu zerstreut.

»Ja,« sagte er plötzlich, wie zur Besinnung kommend, »morgen muß ich ja Neujahrsvisiten machen … «

»Du mußt gar nicht!«

»Nein, mein Lieber, es geht einfach nicht anders!« sagte Wassja.

»Ich will mich statt deiner bei allen Vorgesetzten in die Gratulantenlisten eintragen. Brauchst gar nicht auszugehen. Bleibe nur zu Hause und schreibe. Ich würde dir raten, heute bis fünf Uhr aufzubleiben und dann schlafen zu gehen. Wie wirst du denn sonst morgen aussehen? Ich werde dich dann um punkt acht Uhr wecken … «

»Geht denn das, daß du dich für mich in die Listen einträgst?« wandte Wassja ein, der mit dem Vorschlag schon halb einverstanden war.

»Warum denn nicht? So machen es alle!«

»Ich fürchte … «

»Was fürchtest du?«

»Bei den andern ginge es ja noch; doch bei Julian Mastakowitsch – er ist ja mein Wohltäter, Arkascha! Und wenn er merkt, daß es nicht meine Handschrift ist … «

 

»Du glaubst, daß er das merkt? Du bist wirklich sonderbar, Wassjuk! Wie kann er es merken? Du weißt ja, daß ich deine Namensunterschrift täuschend ähnlich nachmachen kann und sogar dieselbe Schleife anhänge wie du sie machst, bei Gott! Laß das! Wer kann das merken?«

Wassja antwortete nichts und trank eilig sein Glas aus. Dann schüttelte er zweifelnd den Kopf.

»Wassja, mein Lieber! Wenn das uns doch gelingen würde! Wassja, was ist mit dir? Du machst mir angst! Weißt du, Wassja, jetzt werde ich mich gar nicht mehr hinlegen, denn ich werde nicht einschlafen können. Zeig mir: ist dir noch viel übriggeblieben?«

Wassja warf Arkadij Iwanowitsch einen solchen Blick zu, daß diesem das Herz still stand und der Atem stockte.

»Wassja! Was ist mit dir? Was hast du? Was siehst du mich so an?«

»Arkadij! Ich werde morgen zu Julian Mastakowitsch gehen und gratulieren!«

»Gut! Gehe meinetwegen!« sagte Arkadij, ihn erwartungsvoll anblickend. »Höre, Wassja, beschleunige das Tempo: ich werde dir doch nichts Schlechtes raten, bei Gott! Wie oft hat dir schon Julian Mastakowitsch selbst gesagt, daß ihm an deiner Handschrift am meisten die Leserlichkeit gefällt! Nur Skoropljochin verlangt, daß die Handschrift leserlich und zugleich auch kalligraphisch sei, doch nur um später irgendein Papier auf die Seite zu schaffen und es seinen Kindern als Schönschreibvorlage nach Hause zu bringen; als ob sich der Schafskopf nicht richtige Vorlagen kaufen könnte! Doch Julian Mastakowitsch verlangt nur das eine: Leserlichkeit! … Was willst du noch mehr? Ich weiß schon gar nicht, Wassja, wie ich mit dir sprechen soll … Ich habe sogar Angst … Du bringst mich mit deinem Trübsinn um!«

»Es ist nichts, es ist nichts … « sagte Wassja und fiel ermattet in seinen Sessel zurück. Arkadij wurde unruhig.

»Willst du Wasser? Wassja! Wassja!«

»Nein, laß nur,« sagte Wassja, ihm die Hand drückend. »Es ist nichts … Mir wurde etwas traurig zumute, Arkadij … Ich weiß selbst nicht warum … Höre einmal, sprich doch lieber von etwas anderem, erinnere mich nicht daran … «

»Beruhige dich, Wassja, beruhige dich, um Gottes willen! Du wirst schon fertig! Bei Gott, du wirst fertig! Und wenn du sogar nicht fertig wirst, so ist es auch kein großes Unglück! Das wäre doch wirklich kein Verbrechen!«

»Arkadij!« sagte Wassja und blickte dabei seinen Freund so bedeutungsvoll an, daß dieser noch mehr erschrak; er hatte Wassja noch nie in solcher Unruhe gesehen. »Wäre ich allein, wie früher … Nein, das ist nicht das Richtige! … Ich will dir ja alles sagen und anvertrauen wie einem Freunde … warum soll ich dich, übrigens, beunruhigen? … Siehst du, Arkadij: den Einen ist viel gegeben, und die Andern verrichten nur Geringes, wie ich. Nun stelle dir vor, daß man von dir ein Zeichen der Dankbarkeit und Anerkennung verlangt, und du es nicht geben kannst? … «

»Wassja, ich verstehe dich wirklich nicht!«

»Ich bin niemals undankbar gewesen,« fuhr Wassja fort, als redete er zu sich selbst. »Doch wenn ich nicht die Kraft habe, alles auszudrücken, was ich sagen will, so sieht es so aus, als ob … Das sieht so aus, Arkadij, als ob ich wirklich undankbar wäre, und das bringt mich um.«

»Was sagst du da! Besteht denn deine ganze Dankbarkeit nur darin, daß du die Arbeit rechtzeitig ablieferst! Überlege dir selbst, was du sagst! Drückt man denn seine Dankbarkeit auf diese Weise aus?«

Wassja verstummte plötzlich und sah Arkadij mit großen Augen an, als hätte dessen unerwartetes Argument alle seine Bedenken zerstreut. Er lächelte sogar, nahm aber sofort wieder seinen nachdenklichen Gesichtsausdruck an. Arkadij, der dieses Lächeln als das Ende aller Angst, und die neue Unruhe als einen Entschluß zu etwas Besserem auffaßte, war außerordentlich erfreut.

»Also, lieber Arkascha,« sagte Wassja, »wenn du während der Nacht aufwachst, so schaue nach mir: denn wenn ich einschlafe, gibt es ein Unglück. Und jetzt mache ich mich an die Arbeit … Arkascha!«

»Was denn?«

»Nein, nichts … Ich wollte nur … «

Wassja setzte sich an die Arbeit, und Arkadij legte sich zu Bett. Weder der eine noch der andere hatte auch nur ein Wort von ihrem Besuch in der Kolomna-Vorstadt fallen lassen. Vielleicht fühlten sie sich beide etwas schuldig, weil sie den Nachmittag geopfert hatten. Arkadij schlief bald ein, bange Sorge um Wassja im Herzen. Zu seinem Erstaunen erwachte er um punkt acht Uhr. Wassja schlief auf seinem Stuhl, die Feder in der Hand, ganz blaß und erschöpft; die Kerze war niedergebrannt. In der Küche machte sich Mawra am Samowar zu schaffen.

»Wassja! Wassja!« rief Arkadij erschrocken aus: »Wann bist du eingeschlafen?«

Wassja schlug die Augen auf und sprang vom Stuhl.

»Ach!« sagte er, »nun bin ich also doch eingeschlafen!«

Er stürzte sofort zu seinen Papieren: alles war in bester Ordnung. Auf den Papieren gab es weder Tintenklexe, noch Talgflecken von der Kerze.

»Ich glaube, ich bin so gegen sechs eingeschlafen,« sagte Wassja. »Wie kalt es doch in der Nacht ist! Nun wollen wir Tee trinken, und dann fange ich wieder an … «

»Nun, hat dich der Schlaf gestärkt?«

»Ja, ja, jetzt geht es!«

»Prosit Neujahr, Wassja!«

»Guten Morgen, mein Freund, guten Morgen! Auch ich wünsche dir alles Gute zum Neuen Jahr!«

Sie umarmten sich. Wassjas Kinn zitterte, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Arkadij Iwanowitsch schwieg: es war ihm recht bitter zumute. Beide tranken ihren Tee hastig herunter …

»Arkadij! Ich habe mich entschlossen: ich gehe selbst zu Julian Mastakowitsch … « »Er wird es doch gar nicht merken … «

»Ich habe beinahe Gewissensbisse, mein Lieber.«

»Du sitzt doch seinetwegen da und richtest dich seinetwegen zugrunde … Tue es lieber nicht! … Und ich werde zu ihnen gehen … «

»Zu wem?« fragte Wassja.

»Zu den Artemjews, ich werde auch in deinem Namen gratulieren.«

»Mein Lieber, mein Guter! Ja! Und ich werde hier bleiben. Dein Einfall ist wirklich gut; ich arbeite ja und vertrödele meine Zeit nicht! Warte nur einen Augenblick: ich werde gleich einen Brief schreiben.«

»Schreibe ihn nur, mein Lieber, schreibe! Ich werde mich inzwischen waschen und rasieren und den Frack abbürsten. Ja, Freund Wassja, nun werden wir beide zufrieden und glücklich sein. Umarme mich, Wassja!«

»Ach, wenn nur alles gut ausginge!«

»Wohnt hier der Herr Beamte Schumkow?« ertönte eine Kinderstimme auf der Treppe.

»Hier, Väterchen, hier!« antwortete Mawra und ließ den Gast eintreten.

»Wer ist da? Wer?« rief Wassja, von seinem Platz aufspringend und ins Vorzimmer stürzend. »Bist du es, Petinka?« »Guten Morgen, Wassilij Petrowitsch, habe die Ehre, Ihnen ein glückliches Neues Jahr zu wünschen!« sagte ein reizender etwa zehnjähriger Bengel mit schwarzen Locken. »Mein Schwesterchen läßt grüßen, Mamachen ebenfalls, und Schwesterchen hat mich beauftragt, Sie von ihr zu küssen … «

Wassja hob den Boten in die Luft und drückte auf seine Lippen, die den Lippen Lisas ungemein ähnlich sahen, einen langen, honigsüßen, leidenschaftlichen Kuß.

»Küsse auch du, Arkadij!« sagte er zu seinem Freund, ihm Petja übergebend; und Petja wanderte, ohne die Erde zu berühren, in die mächtige und wirklich gierige Umarmung Arkadij Iwanowitschs.

»Willst du Tee, Schätzchen?«

»Ich danke verbindlichst! Wir haben schon Tee getrunken. Heute sind wir früh aufgestanden. Die Unsrigen gingen zur Messe. Schwesterchen hat mir zwei Stunden lang die Locken gekämmt und pomadisiert, hat mich gewaschen und mir die Hose geflickt; denn ich habe sie gestern auf der Straße zerrissen, als ich mit Saschka Schneeballen spielte … «

»Nun, und weiter?«

»Sie putzte mich also aus, um zu Ihnen zu gehen; dann pomadisierte sie mir das Haar, dann küßte sie mich halb tot und sagte dabei: ›Geh jetzt zu Wassja, gratuliere ihm zum Neuen Jahr und frage ihn, ob er sich wohl fühlt, ob er gut geschlafen hat … ‹ Und dann sollte ich noch etwas fragen … Ja, ob die Arbeit beendet sei, wegen der Sie gestern … Wie hieß es noch? Sie hat es mir aufgeschrieben,« sagte der Junge und las vom Zettel ab, den er aus der Tasche holte: »Ja! Wegen der Sie gestern so besorgt waren.«

»Ich werde sie fertigmachen! Es wird schon werden! Sage ihr, daß ich die Arbeit unbedingt fertig machen werde, mein Ehrenwort drauf!«

»Und dann noch etwas … Ach ja! Ich hätte es beinahe vergessen: Schwesterchen schickt Ihnen ein Brieflein und ein Präsent!«

»Mein Gott! Wo hast du es, mein Schätzchen? Hier! Sieh nur her, was sie mir schreibt! Die Liebe, Gute! … Weißt du, ich sah gestern eine Brieftasche, die sie für mich gestickt hat; das Geschenk ist noch nicht fertig. Nun schreibt sie mir: ›Also schicke ich Ihnen vorläufig eine meiner Locken, und das Geschenk bekommen Sie ein anderes Mal.‹ Sieh nur her, mein Lieber!«

Und der erschütterte Wassja zeigte Arkadij Iwanowitsch eine Locke dichtester und schwärzester Haare, die es nur in der Welt gibt; dann küßte er sie und verwahrte sie in der Brusttasche, dem Herzen am nächsten.

»Wassja! Ich werde dir für diese Locke ein Medaillon machen lassen!« erklärte schließlich Arkadij Iwanowitsch sehr entschieden.

»Und zum Mittag gibts bei uns heute Kalbsbraten, und morgen Hirn. Mama will auch noch Zuckerbrot backen … Hirsenbrei wird es heute nicht geben!« setzte der Junge nach kurzer Überlegung hinzu, um seinen Bericht abzuschließen.

»Teufel noch einmal! Was das für ein hübscher Knabe ist!« rief Arkadij Iwanowitsch aus: »Wassja, du bist wirklich der glücklichste der Sterblichen!«