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Das schwache Herz

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Nefedewitsch umarmte Wassja und erdrückte ihn beinahe in seinen Löwentatzen.

»Arkadij, es ist abgemacht!«

»Wassjuk, ich wollte dir nur noch das sagen. Sieh mal, Wassjuk, mein Dicker! Hör einmal! Hör einmal! Du kannst ja … «

Arkadij hielt mit offenem Munde inne, denn er konnte vor Begeisterung nicht weiter sprechen. Wassja hielt ihn an den Schultern, starrte ihm ins Gesicht und bewegte die Lippen, als wollte er den Satz statt seiner zu Ende sprechen.

»Nun?!« sagte er schließlich.

»Stelle mich ihnen heute vor!«

»Arkadij! Wir wollen heute zum Tee hingehen! Weißt du was? Weißt du was? Bis zwölf wollen wir nicht sitzen bleiben, sondern vorher heimgehen!« rief Wassja in echter Begeisterung.

»Das heißt, wir wollen im ganzen zwei Stunden dort bleiben, nicht mehr und nicht weniger! … «

»Und dann trennen wir uns, bis ich ganz fertig bin! … «

»Wassjuk!«

»Arkadij!«

In drei Minuten hatte Arkadij seinen besten Anzug an. Wassja bürstete seinen Anzug nur ab; er hatte ihn noch gar nicht abgelegt: mit solchem Eifer war er soeben an die Schreibarbeit gegangen.

Sie traten eilig auf die Straße hinaus, der eine freudiger als der andere. Ihr Weg ging von der Petersburger Seite zur Kolomna-Vorstadt. Arkadij Iwanowitsch schritt rüstig und energisch aus, so daß man schon an seinem Gang seine Freude über das Glück des sich daran immer mehr berauschenden Wassja merken konnte. Wassja machte kleinere Schritte, trippelte beinahe, bewahrte aber seine Würde vollkommen. Arkadij Iwanowitsch glaubte sogar, noch nie einen so günstigen Eindruck von ihm gehabt zu haben. In diesem Augenblick hatte er sogar mehr Achtung vor ihm als je, und der gewisse körperliche Fehler Wassjas, von dem der Leser noch nichts weiß (Wassja war nämlich etwas schief gewachsen), der im empfindsamen Herzen Arkadij Iwanowitschs immer tiefes Mitgefühl hervorgerufen hatte, trug jetzt noch mehr zum Gefühl inniger Rührung bei, das er in diesen Augenblicken seinem Freunde entgegenbrachte und dessen Wassja selbstverständlich in jeder Beziehung würdig war. Arkadij Iwanowitsch hatte sogar Lust, vor Freude zu weinen, doch er beherrschte sich.

»Wohin, wohin, Wassja? Hier ist es näher!« rief er, als er merkte, daß Wassja die Richtung zum Wosnessenskij-Prospekt einschlagen wollte.

»Schweige, Arkascha, schweige … «

»Hier ist es wirklich näher, Wassja … «

»Arkascha, weißt du was?« begann Wassja geheimnisvoll, mit vor Glück bebender Stimme. »Weißt du was? Ich möchte Lisa ein kleines Präsent mitbringen … «

»Was für eines?«

»Gleich an der nächsten Ecke ist der Laden von Madame Leroux, ein wundervoller Laden!«

»So, so!«

»Es ist ein Häubchen, mein Lieber, ein Häubchen; heute habe ich da ein so liebes, nettes Häubchen gesehen und mich danach erkundigt. Die Façon heißt ›Manon Lescaut‹, es ist wirklich ein Wunderwerk! Die Bänder sind kirschrot, und wenn es nicht zu teuer ist … Arkascha! Und wenn es auch teuer ist … «

»Ich glaube, du bist über allen Poeten erhaben, Wassja! Gehen wir also hin!«

Sie eilten weiter und traten nach zwei Minuten in den Laden. Sie wurden von einer Französin mit schwarzen Augen und Lockenfrisur empfangen, die beim ersten Blick auf die Eintretenden ebenso freudig und glücklich wurde, wie diese es waren, womöglich noch freudiger und glücklicher. Wassja hätte Madame Leroux beinahe abgeküßt: so entzückt war er.

»Arkascha!« sagte er leise, mit scheinbar gleichgültigem Blicke all das Schöne und Erhabene musternd, das, auf hölzernen Haubenstöcken prangend, den großen Ladentisch schmückte. »Es sind doch wahre Wunderwerke! Was sagst du zum Beispiel zu dem da? Hier dieses Bonbon meine ich, siehst du es?« flüsterte Wassja, auf ein reizendes Häubchen weisend, das ganz am Rande stand, doch durchaus nicht dasjenige war, das er zu kaufen beabsichtigte; denn er hatte schon von weitem seine Blicke in das andere, berühmte, echte Häubchen gebohrt, das am entgegengesetzten Tischende stand. Er starrte es so an, als hätte er Angst, daß jemand es stehlen könnte oder daß das Häubchen selbst, nur damit es nicht Wassja in die Hände fiele, von seinem Haubenstocke in die Luft wegfliegen würde.

»Dieses da,« sagte Arkadij Iwanowitsch, auf ein anderes Häubchen zeigend, »dieses da ist nach meiner Ansicht das schönste.«

»Ja, Arkascha, das macht dir sogar Ehre; ich bringe dir von nun an für deinen guten Geschmack noch mehr Achtung entgegen,« sagte Wassja: seine Rührung vor Arkascha ging so weit, daß er ihm zuliebe aufrichtiges Entzücken vorspiegelte. »Dein Häubchen ist wirklich reizend. Aber komm einmal her!«

»Wo ist denn ein noch schöneres, mein Lieber?«

»Sieh einmal her!«

»Dieses da?« sagte Arkadij etwas unsicher.

Als aber Wassja, der sich nicht länger beherrschen konnte, das Häubchen vom Ständer nahm, das ihm, gleichsam über den langersehnten guten Käufer erfreut, selbst zuzufliegen schien, als alle die Bänder, Rüschen und Spitzen zu knistern anfingen, – da drang aus der mächtigen Brust Arkadij Iwanowitschs ein Schrei des Entzückens. Selbst Madame Leroux, die während der Wahl ihre ganze Würde und Überlegenheit in Sachen des Geschmacks bewahrt und herablassend geschwiegen hatte, belohnte nun Wassja mit einem Lächeln der Anerkennung, und alles in ihr, in ihren Blicken, in ihren Gesten und in ihrem Lächeln schien zu sagen: »Ja, Sie haben das Richtige getroffen und sind des Glückes wert, das Sie erwartet!«

»Es hat ja in seiner Einsamkeit kokettiert!« rief Wassja aus, der nun seine ganze Liebe auf das reizende Häubchen übertrug. »Es hat sich mit Absicht versteckt, das Täubchen, das Schelmchen!« Und er küßte das Häubchen, oder vielmehr die Luft, die es umgab: denn er fürchtete, seine Kostbarkeit auch nur zu berühren.

»So verbirgt sich auch das wahre Verdienst und die echte Tugend,« setzte Arkadij ganz begeistert hinzu: diese Phrase hatte er am Morgen in einer geistvollen Zeitung gelesen und tischte sie nun des humoristischen Effektes wegen auf. »Also was meinst du, Wassja?«

»Hurra, Arkascha! Du bist heute auch geistreich, du wirst Furore machen, wie es die Damen nennen, – ich prophezeie es dir! – Madame Leroux, Madame Leroux!«

»Was steht zu Diensten?«

»Meine liebe Madame Leroux!«

Madame Leroux blickte Arkadij Iwanowitsch an und lächelte etwas herablassend.

»Sie glauben nicht, wie ich Sie in diesem Augenblick verehre … Gestatten Sie, daß ich Sie küsse … « Und Wassja umarmte und küßte die Verkäuferin.

Sie mußte in diesem Augenblick unbedingt ihre ganze Würde zusammennehmen, um sich dem Attentäter gegenüber nichts zu vergeben. Ich behaupte aber, daß dazu auch die ganze angeborene natürliche Liebenswürdigkeit und Grazie gehört, mit der Madame Leroux den Ausbruch von Wassjas Begeisterung hinnahm. Sie verzieh ihm. Und wie geschickt, wie graziös fand sie sich in die Situation! Wie könnte man auch Wassja zürnen?

»Madame Leroux, wie hoch ist der Preis?«

»Fünf Silberrubel,« antwortete sie, sich ihre Frisur in Ordnung bringend und wieder lächelnd.

»Und dieses da, Madame Leroux?« fragte Arkadij Iwanowitsch, auf das von ihm gewählte Häubchen weisend.

»Dieses kostet acht Silberrubel.«

»Erlauben Sie einmal, erlauben Sie einmal! Sie werden doch zugeben, Madame Leroux … Nun welches Häubchen ist nach Ihrer Meinung schöner, graziöser, liebenswürdiger, welches sieht Ihnen ähnlicher?«

»Jenes ist etwas reicher, doch das von Ihnen Gewählte – c'est plus coquet.«

»Also nehmen wir dieses!«

Madame Leroux schlug das Häubchen in einen Bogen unendlich feinen Seidenpapiers ein, das sie mit einer Nadel zusammensteckte, und das Papier mit dem darin eingewickelten Häubchen schien nun leichter geworden zu sein, als es vorher ohne Häubchen gewesen war. Wassja nahm das Paket mit verhaltenem Atem, sehr vorsichtig in die Hand, verabschiedete sich von Madame Leroux, sagte ihr noch etwas höchst Liebenswürdiges und verließ den Laden.

»Ich bin ein Lebemann, Arkascha, ich bin zum Lebemann geboren!« schrie Wassja lachend. Er lachte wie in einem Krampfe, nervös und kaum hörbar. Dabei wich er den Passanten aus, denn er hatte sie alle ohne Ausnahme im Verdacht, ihm sein kostbares Häubchen zerknüllen zu wollen.

»Höre einmal, Arkadij, höre!« begann er eine Minute später, und eine große Feierlichkeit, eine unsagbare Liebesseligkeit klang aus seiner Stimme. »Arkadij, ich bin so glücklich, so glücklich!«

»Wassinka, und wie glücklich bin ich, mein Lieber!«

»Nein, Arkascha, nein! Deine Liebe zu mir ist grenzenlos, – ich weiß es, doch du kannst nicht auch den zehnten Teil von dem empfinden, was ich jetzt empfinde. Mein Herz ist so übervoll!! Arkascha, ich bin ja meines Glückes gar nicht wert! Ich fühle es, ich ahne es. Womit habe ich es verdient,« sagte er mit tränenerstickter Stimme, »was habe ich geleistet, das mir ein Recht darauf gibt? Sage es mir nur! Sieh nur hin, wieviel Menschen es gibt, wieviel Tränen, wieviel Kummer, wieviel grauen Alltag ohne Feste! Und ich! Ich werde von einem solchen Mädchen geliebt, ich … Doch du wirst sie gleich selbst sehen, wirst ihr edles Herz selbst kennen lernen. Ich bin von niedriger Herkunft, doch jetzt habe ich einen Beamtenrang und ein unabhängiges Einkommen – mein Gehalt. Ich bin mit einem Gebrechen auf die Welt gekommen: ich bin etwas schief gewachsen. Und siehe: sie liebt mich so wie ich bin. Julian Mastakowitsch war heute so zärtlich, so aufmerksam, so höflich zu mir; er spricht ja sonst fast nie mit mir; heute ging er aber auf mich zu und sagte: ›Nun, Wassja,‹ (bei Gott: er sprach mich mit Wassja an), ›du wirst wohl in den Feiertagen ordentlich bummeln?‹ (Und dabei lachte er!)

Und ich sagte ihm: ›Exzellenz,‹ sagte ich, ›ich habe ja zu tun!‹ Doch dann faßte ich mir Mut und sagte: ›Vielleicht werde ich mich auch etwas amüsieren, Exzellenz!‹ Bei Gott, das sagte ich ihm. Er gab mir sofort Geld und richtete an mich noch einige Worte. Ich war, mein Lieber, so gerührt, daß mir Tränen in die Augen traten; er war anscheinend auch etwas gerührt; er klopfte mich auf die Schulter und sagte: ›Sei immer so dankbar und ergeben, wie du es jetzt bist, Wassja!‹«

 

Wassja verstummte für ein Weile. Arkadij Iwanowitsch wandte sich weg und wischte sich gleichfalls einige Tränen aus den Augen.

»Und dann noch etwas … ,« sagte Wassja fortfahrend. »Ich habe es dir ja noch niemals gesagt, Arkadij … Arkadij! Du beglückst mich so sehr mit deiner Freundschaft, ohne dich könnte ich gar nicht leben, – nein, nein, widersprich mir nicht! Laß mich deine Hand drücken, laß mich dir danken … « Wassja kam nicht weiter.

Arkadij Iwanowitsch wollte schon Wassja um den Hals fallen; da sie aber gerade die Straße überquerten und plötzlich dicht hinter ihren Ohren den warnenden Schrei eines Kutschers: »A – achtung!« hörten, liefen sie beide erregt und erschrocken, so schnell sie konnten, aufs Trottoir. Arkadij Iwanowitsch war über diesen Zwischenfall sogar froh. Er entschuldigte Wassjas Erguß von Dankbarkeit nur mit der ganz außergewöhnlich gehobenen Stimmung, in der sich dieser augenblicklich befand.Denn er selbst machte sich Vorwürfe, daß er bisher so wenig für seinen Freund getan hatte! Er schämte sich sogar, als Wassja ihm für die wenigen Gefälligkeiten, die er ihm erwiesen, zu danken begann! Er hatte aber noch sein ganzes Leben vor sich: bei diesem Gedanken atmete Arkadij Iwanowitsch wieder freier auf …

Man hatte schon jede Hoffnung aufgegeben, daß sie kommen würden. Ein Beweis: man saß bereits am Teetische! Doch ältere Leute haben oft einen richtigeren Instinkt als die Jugend, und als was für eine Jugend! Lisa hatte ja ganz ernsthaft behauptet: »Er wird nicht kommen, Mamachen, mein Herz fühlt es, daß er nicht kommen wird.« Doch Mamachen sagte immer wieder, sie habe im Gegenteil das Gefühl, daß er unbedingt kommen werde: daß er keine Ruhe finden und herbeieilen würde, um so mehr als er am Sylvester dienstfrei habe! Doch Lisa glaubte noch immer nicht, selbst als sie die Türe öffnete, und sie traute ihren Augen nicht, als die beiden eintraten. Sie war vor Erregung ganz atemlos; ihr Herzchen begann plötzlich wie bei einem eingefangenen Vöglein zu klopfen, und sie wurde so rot wie eine Kirsche, mit der sie auch sonst einige Ähnlichkeit hatte. Mein Gott, diese Überraschung! Was für ein freudiges »Ach!« flog ihr von den Lippen! »Du Treuloser! Du Lieber!« rief sie, Wassenka umarmend … Doch stellen Sie sich vor, wie sie plötzlich erstaunte und verlegen wurde: gerade hinter Wassjas Rücken stand, etwas verlegen, als wollte er sich hinter seinem Freund verstecken, Arkadij Iwanowitsch. Ich muß an dieser Stelle bemerken, daß Arkadij Iwanowitsch sich in Damengesellschaft immer etwas unsicher fühlte; es passierte ihm sogar einmal … Doch davon später. Versuchen Sie sich nur in seine Lage zu versetzen! Es ist wirklich nicht zum Lachen! Er steht im Vorzimmer in Galoschen und Mantel, will sich seine Mütze mit den Ohrenklappen vom Kopfe reißen, und sein Kopf ist ganz mit einem entsetzlichen gelben gestrickten Schal umwickelt, der zum größeren Effekt im Nacken verknotet ist. Das alles muß er nun entwirren, aufbinden, um so bald als möglich in vorteilhafterer Gestalt zu erscheinen, denn es gibt keinen Menschen, der nicht wünschte, möglichst vorteilhaften Eindruck zu machen. Und neben ihm steht der unausstehliche und unerträgliche, andererseits natürlich der sonst so liebe und gute Wassja, doch in diesem Augenblick – der unerträgliche und erbarmungslose, und schreit: »Hier ist mein Arkadij, Lisa! Wie gefällt er dir? Er ist mein bester Freund! Umarme und küsse ihn, liebe Lisa! Gib ihm zuerst einen Kuß; und wenn du ihn später näher kennen lernst, wirst du ihm noch mehr Küsse geben … « Wie gefällt das Ihnen? Ich frage: was blieb dem Arkadij Iwanowitsch zu tun übrig? Und er hatte seinen Schal erst zur Hälfte aufgebunden! Ich muß mich manchmal selbst für Wassjas übertriebene Begeisterung schämen; sie ist ja meistens der Beweis für Herzensgüte, doch immerhin … Es war peinlich und ungeschickt!

Endlich traten sie in den Salon … Die alte Dame war unsagbar erfreut, Arkadij Iwanowitsch kennen zu lernen; sie hätte ja schon so viel von ihm gehört, sie … Sie kam nicht weiter. Ein helles, freudiges »Ach!«, das plötzlich ertönte, unterbrach sie mitten im Satze. Mein Gott! Lisa stand mit kindlich gefalteten Händen vor dem Häubchen, das plötzlich aus seiner Umhüllung zum Vorschein gekommen war, und lächelte, lächelte … Mein Gott! Warum hat es bei Madame Leroux nicht ein noch viel schöneres Häubchen gegeben?!

Aber, mein Gott, wo kann man denn auch ein schöneres Häubchen finden? Ich meine es durchaus ernst! Mich ärgert und kränkt es sogar, wenn Verliebte so undankbar sind! Schauen Sie nur her, meine Herrschaften, und sagen Sie selbst, ob es überhaupt etwas Schöneres als dieses entzückende, göttliche Häubchen geben kann! Bitte, schauen Sie es sich nur an! Doch nein, nein, meine Vorwürfe sind unbegründet: sie sind mit mir bereits alle einverstanden; es war nur eine momentane Verirrung, ein Fieberanfall, der ihre Sinne verwirrte; und ich will ihnen gerne verzeihen … Schauen Sie es sich dennoch an! … Sie müssen mich schon entschuldigen, meine Herrschaften, ich spreche noch immer von diesem Häubchen: es ist aus ganz leichtem Tüll, zwischen dem Kopfteil und der Rüsche läuft ein breites, von einer Spitze verdecktes kirschrotes Band, und zwei weitere breite und lange Bänder sind rückwärts angebracht: sie werden etwas unterhalb des Nackens auf den Hals herabfallen … Man muß das ganze Häubchen etwas in den Nacken rücken: schauen Sie nur her! Und ich werde Sie dann nach Ihrer Ansicht fragen! Ich sehe aber, daß Sie gar nicht hinschauen! Das Häubchen scheint Sie gar nicht zu interessieren … Sie haben Ihren Blick auf etwas anderes gerichtet … Sie sehen, wie zwei große perlengleiche Tränen blitzschnell in die pechschwarzen Augen treten, wie sie einen Augenblick in den langen Wimpern zittern und dann in dieses Nichts, das eigentlich Tüll ist und aus dem das Kunstwerk der Madame Leroux gebildet ist, herabfallen. Doch ich muß mich schon wieder ärgern: diese beiden Tränen galten anscheinend nicht nur dem Häubchen allein! Nein, so einen Gegenstand soll nur ein ganz kaltblütiger Mensch schenken; nur dann kann man seinen Wert richtig einschätzen! Ich muß gestehen, meine Herrschaften, ich gäbe für das Häubchen alles her!

Man nahm Platz: Wassja neben Lisa, und das alte Mütterchen neben Arkadij Iwanowitsch; ein Gespräch kam in Fluß, und Arkadij Iwanowitsch war der Situation durchaus gewachsen. Ich stelle dies mit Genugtuung fest. Nach einigen einleitenden Worten über Wassja, brachte er das Gespräch sehr geschickt auf Wassjas Wohltäter – Julian Mastakowitsch. Und er sprach so klug, so klug, daß das Gespräch eine ganze Stunde im Flusse blieb. Man muß es wirklich mit angehört haben, mit welchem Geschick und Takt Arkadij Iwanowitsch einige Eigentümlichkeiten Julian Mastakowitschs streifte, die eine direkte oder indirekte Beziehung zu Wassja hatten. Die alte Dame war nun auch wirklich ganz bezaubert: sie gestand es auch selbst ein; sie rief Wassja etwas zur Seite und sagte ihm, daß sein Freund ein ganz ausgezeichneter und wohlerzogener junger Mann sei; vor allen Dingen aber ein ernster und solider junger Mann. Wassja war nahe daran, vor Entzücken aufzulachen. Er mußte denken, wie dieser solide Arkascha ihn eine viertel Stunde lang auf dem Bette gewürgt hatte! Die alte Dame zwinkerte Wassja zu und bat ihn, ihr leise und unbemerkt in das andere Zimmer zu folgen. Ich muß gestehen, daß ihre Handlungsweise gegen Lisa nicht ganz einwandfrei war: von überschwenglichen Gefühlen verleitet, beging sie einen Treuebruch an ihrer Tochter und zeigte Wassja das Geschenk, das diese ihm als Überraschung zu Neujahr zugedacht hatte. Es war eine mit Glasperlen und Gold bestickte Brieftasche; die Zeichnung war entzückend: auf der einen Seite war ein sehr schnell rennender Hirsch dargestellt, so natürlich, so ungemein ähnlich und lebenswahr! Auf der anderen Seite war das Bildnis eines sehr bekannten Generals gestickt, gleichfalls vorzüglich ausgeführt und sprechend ähnlich. Von Wassjas Entzücken will ich schon gar nicht reden. Doch auch die im Salon Zurückgebliebenen hatten ihre Zeit nicht unnütz vergeudet. Lisa war auf Arkadij Iwanowitsch zugegangen, hatte seine beiden Hände ergriffen und ihm für irgend etwas gedankt; Arkadij Iwanowitsch hatte begriffen, daß die Rede wiederum vom teuren Wassja war. Lisa war sogar tief gerührt: sie hätte gehört, daß Arkadij Iwanowitsch ein so guter und aufrichtiger Freund ihres Bräutigams sei, daß er ihn so liebte, bemutterte und auf Schritt und Tritt mit seinen heilsamen Ratschlägen begleitete; darum könne sie, Lisa, nicht umhin, ihm zu danken; ja, sie könne das Gefühl ihrer Dankbarkeit gar nicht unterdrücken; sie hoffe, daß Arkadij Iwanowitsch auch sie liebgewinnen würde, und wenn auch nur halb so wie er seinen Freund liebte. Dann erkundigte sie sich, ob Wassja seine Gesundheit genügend schone, äußerte einige Bedenken wegen der allzugroßen Entzündbarkeit von Wassjas Charakter, wegen seines Mangels an Menschenkenntnis sowie seiner Unkenntnis des praktischen Lebens überhaupt; sagte, daß sie hingebungsvoll auf ihn aufpassen und sein Schicksal mit liebevoller Hand leiten würde, und daß sie schließlich hoffe, Arkadij Iwanowitsch werde sie beide nicht verlassen, sondern bei ihnen wohnen.

»Wir wollen alle drei wie ein Mensch sein!« rief sie in naiver Begeisterung aus.