Seewölfe - Piraten der Weltmeere 574

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 574
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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-981-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Totentanz der Galgenvögel

Sie kapern ihr eigenes Schiff und verkaufen die Ladung

Die drei Kerle waren unrasiert und rochen nach Schnaps. Sie gingen bis zum Achterdeck der Galeone und blieben am Niedergang stehen.

Marc Fletcher, der Captain der englischen Handelsgaleone, ahnte sofort, daß die drei was im Schilde führten.

„Was gibt es?“ fragte er ruhig.

„Wir wollen bessere Verpflegung auf diesem stinkenden Eimer!“ stieß Toolan hervor. In seinen Augen glitzerte es böse. „Wir haben von diesem Fraß endgültig die Nase voll. Außerdem ist es zu wenig.“

„Ist mir bekannt“, sagte Fletcher. „Aber das Geld ist knapp, und den Offizieren und mir geht es nicht besser. Ich kann es vorerst nicht ändern.“

„Aye, Sir, dann werden wir auch nichts mehr für Sie tun“, sagte Toolan hitzig. „Keinen Lohn, keine Arbeit.“

„Ihr wollt also meutern?“

„Wir verweigern nur die Arbeit, Sir.“

Der Captain blickte zur Großmastrah. „Meuterer werden aufgeknüpft“, sagte er ausdruckslos. „Ihr werdet also in kurzer Zeit da oben baumeln …“

Die Hauptpersonen des Romans:

Marc Fletcher – als Kapitän einer englischen Handelsgaleone ist er dem Geiz und den Launen seines Reeders ausgesetzt, was ihn keineswegs entzückt.

Duffy – ebenfalls einer Laune des Reeders hat es der Kontorist zu verdanken, daß er bei Kapitän Fletcher anheuern muß.

Toolan – dem Decksmann auf der englischen Handelsgaleone platzt der Kragen, als sich herausstellt, daß eins der letzten Fässer mit Pökelfleisch voller Wunderland und Leben ist.

Ferris Tucker – der Schiffszimmermann der Arwenacks entdeckt in einem venezianischen Spiegel seltsame Dinge.

Philip Hasard Killigrew – der Seewolf hat zwar nichts gegen Bumboote, aber sein Gespür für schräge Vogel läßt ihn Übles ahnen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Begonnen hatte alles vor knapp drei Monaten, im Oktober 1597, in London.

Proviant und Trinkwasser wurden an Bord der Galeone „Golden Lion“ gebracht. Hundertachtzig long tons Waren aller Art, vom Schießpulver bis zum Tafelsilber, befanden sich in den Laderäumen der Galeone.

Die „Golden Lion“ sollte in der Frühe des nächsten Morgens mit dem ablaufenden Ebbstrom unter Segel gehen.

Ihr Zielhafen war Genua.

Captain Marc Fletcher, ein hartgesichtiger Mann mit Bartschatten im verkniffen wirkenden Gesicht, sah mit zusammengepreßten Lippen zu, wie der Proviant gestaut wurde. Der Erste Offizier, Williams, hakte auf einer Liste mit ebenfalls mürrischem Gesicht alles ab.

Im Hintergrund auf der Pier standen fünf zerlumpte und liederliche Gestalten. Sie waren bärtig und sahen verlaust aus. Auch ihre Haare hätten längst mal geschnitten werden müssen.

Fletcher streifte die Kerle nur mit einem flüchtigen Blick und rümpfte dabei verächtlich die Nase.

Der einzige, der eitel Wohlwollen an den Tag legte, war ein dicklicher feister Mann mit einem Spitzbauch. Er trug einen Backenbart und hatte listig blinzelnde Augen, denen nichts entging. Seine fleischigen Hände hielt er vor dem spitzen Bauch verschränkt.

Der dickliche Mensch war Mister Starbuck, der Eigner der Galeone „Golden Lion“, der mitunter an seiner eigenen Knauserigkeit und seinem Geiz fast erstickte.

Williams hakte auf seiner Liste ein paar Fässer ab. Der Inhalt bestand aus weißem, gesalzenem Kohl und war selbst durch die Faßdauben zu riechen. Diesmal zog Williams die Nase hoch, als der Geruch ihn intensiv streifte.

„Es waren noch achthundert Eier bestellt worden, Mister Starbuck“, sagte Fletcher. „Ich kann sie nirgends entdecken.“

„Die Preise sind gestiegen, Fletcher“, sagte der Spitzbäuchige lächelnd. „Zu teuer – gestrichen.“

„Und die zwölf Laib Käse?“

„Nichts zu machen, Fletcher. Sie müssen sich mit einem Faß begnügen. Überall haben die Preise angezogen.“

„Sir“, sagte Fletcher eindringlich. „Wir haben eine lange Reise vor uns. Das meiste an Proviant ist gestrichen worden, und was nicht gestrichen wurde, ist von schlechter Qualität. Wir können nicht drei Monate lang verrunzelte Rüben essen. Mir laufen ja wieder die Kerle weg. Die halbe Mannschaft ist bereits verschwunden, weil sie nicht mehr satt wurden.“

„Mannschaften gibt es wie Sand am Meer, Fletcher. Kapitäne übrigens auch, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten. Ich muß scharf kalkulieren, sehr scharf, sonst fahre ich nicht den geringsten Gewinn ein. Und daß ich mein Schiff nur spazierenfahren lasse, das glauben Sie ja wohl selbst nicht.“

„Ich verlange ja auch nicht zuviel“, sagte Fletcher verärgert, „nur ein paar kleine Zugeständnisse.“

„Ich habe Ihnen ein paar Sack Mehl mehr bestellt, als Sie angefordert haben. Das ist bereits ein Zugeständnis. Außerdem haben Sie mehr Schiffszwieback und mehr Hartfleisch erhalten.“

Der Kapitän der Galeone lachte erbittert.

„Hartfleisch“, sagte er, „das sieht nach zwei Wochen wie verschimmeltes Mahagoniholz aus und schmeckt wie Schmierseife. Den Leuten fallen bei der erbärmlichen Kost die Zähne aus, und dann sind sie nicht einmal mehr in der Lage, das Hartfleisch zu essen.“

„Dann muß der Koch es eben länger kochen.“

Fletcher fragte sich insgeheim, ob Starbuck wohl schon mal das harte Zeug gegessen hätte. Nein, ganz sicher nicht. Der gab sich nur mit Fasanenbrüstchen oder bestenfalls noch Gans oder Ente zufrieden. Er hatte auch die unverhüllte Drohung herausgehört, daß es Kapitäne wie Sand am Meer gäbe.

Es stand noch mehr auf der Proviantliste, das ebenfalls gestrichen oder angeblich zu teuer war, so daß Mister Starbuck es nicht kaufen konnte.

Mit zorngerötetem Gesicht nahm Fletcher die Abstriche zur Kenntnis.

Der Wein, der für Kapitän und Offiziere bestimmt war, hatte ebenfalls eine äußerst miserable Qualität. Das Zeug war so sauer wie der Essig, den sie reichlich erhielten.

Dann sah sich Starbuck auf dem Schiff um und hatte überall etwas zu bemängeln.

„Mein Schiff sieht wie ein Dreckhaufen aus“, tadelte er. „Das laufende und stehende Gut ist brüchig. Es hätte mal gelabsalbt werden müssen.“

„Es ist immer wieder geflickt worden“, knurrte Fletcher. „Wenn ich Tauwerk angefordert habe, wurde nichts geliefert.“

„So was besorgt man sich“, sagte Starbuck kalt. „Das sind Kleinigkeiten. Neues Tauwerk kostet eine Menge Geld.“

„Soll ich es vielleicht auf anderen Schiffen klauen?“

Der feiste Eigner ging auf die Frage nicht ein. Er deutete zur Pier, wo immer noch die zerlumpten Kerle herumstanden.

„Ich habe fünf neue Leute für Sie. Drei von den Kerlen mußte ich auslösen, auch das war nicht gerade billig.“

Fletcher unterdrückte seine Wut mit einem Husten.

„Die Galgenvögel sollen an Bord? Ich habe schon genug Halunken in der Mannschaft. Aber gut, mir bleibt nichts anderes übrig. Wie steht es mit der Heuer für die Kerle?“

„Keine Heuer, sie fahren für Kost und Logis. Das ist bereits mit ihnen abgesprochen.“

„Und unterwegs werden sie frech, das kennt man ja.“

„Ihr Problem, Fletcher, Sie sind der Kapitän und wissen, wie Sie mit Aufsässigen umzugehen haben. Darum muß ich mich ja schließlich nicht auch noch kümmern.“

Ein kleines, vor Starbuck katzbuckelndes Männchen erschien an Bord. Das Männchen war Starbucks Kontorist, ein Kerl mit dünnen grauen Haaren und einem lächerlich wirkenden Bart, den jeder Ziegenbock empört zurückgewiesen hätte.

Er tat einen Kratzfuß vor Starbuck und überreichte ihm eine Liste.

„Die Sachen, die Sie zu ordern geruhten, Sir“, dienerte er. „Wein, Tee, Branntwein, Butter, Käse und frisches Fleisch.“

Starbuck schob die Liste unwillig in sein Wams.

„Ja ja, verschonen Sie mich damit, Duffy, ich weiß, was ich geordert habe.“

„Das Beste vom Besten“, sagte das Männchen kriecherisch. „So, wie es Ihnen zusteht, Sir.“

Der dicke Mensch räusperte sich etwas verlegen und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

„Ich dachte, das sei zu teuer“, sagte Fletcher höhnisch. „Oder haben Sie vor, das Zeug an Bord bringen zu lassen, Mister Starbuck?“

„Werden Sie nicht frech, Fletcher. Das ist eine rein private Angelegenheit, die Sie nichts angeht. Sie haben mein Schiff nach Genua zu bringen, die Ladung zu löschen und mit einer anderen Ladung, die man Ihnen noch mitteilen wird, zurückzukehren. Und zwar pünktlich, denn jeder unnütze Tag kostet Geld.“

 

„Ihr Geld, Sir“, warf das Männchen untertänigst ein, als sei das eine riesengroße Neuigkeit.

„Holen Sie die Kerle an Bord, Duffy, und halten Sie hier keine Reden“, sagte Starbuck ärgerlich.

Das Männchen schob wichtigtuerisch ab und lotste die vergammelten und verluderten Gestalten an Bord.

Der Erste Offizier nahm sie in Empfang und sah sie sich an.

„Schon mal zur See gefahren?“ fragte er.

Zwei waren ehemalige Fischer, wie sie angaben. Der eine war Seifensieder, der bisher nur die Themse gesehen hatte, der vierte war ein arbeitscheuer Herumstreuner, und der fünfte konnte eine Galeone nicht von einer Hammelherde unterscheiden.

„Das letzte Gesindel“, beschwerte sich Williams, „wenn es Seeleute wie Sand am Meer gibt, Mister Starbuck, warum haben Sie dann nicht für bessere Leute gesorgt? Uns fehlen außerdem immer noch mindestens vier Mann.“

„Heuern Sie noch zwei oder drei Leute heute abend in einer Kneipe an“, empfahl der Reeder. „Da treiben sich genug Kerle herum, die nicht einmal satt zu essen haben und froh sind, wenn sie auf einem Schiff unterkriechen können.“

„Und denken Sie an die Ladung, Fletcher!“ rief das graue Männchen eifrig und erhob den spitzen Zeigefinger wie ein Schulmeister. „Sie ist überaus wertvoll. Nicht, daß etwas kaputtgeht.“

„Wenn Sie kriecherisches Würstchen mich noch einmal Fletcher nennen, dann hänge ich Sie an den Ohren im Großmars auf“, sagte der Captain.

Daraufhin zuckte das Männchen empört zusammen.

Starbuck sah grinsend auf den Kleinen. Hm, er war Kontorist bei ihm und ein Speichellecker. Er wollte das Männchen schon einmal vor einem Monat feuern, weil der Kerl ihm auf den Geist ging. Vielleicht würde ihm eine kleine Seereise mal ganz gut tun.

„Mir ist das gerade etwas eingefallen“, sagte er genüßlich. „Ihnen fehlen also noch Leute.“

„Richtig, Sir, ihm fehlen noch Leute“, tönte das Männchen. „Sie sagen es, Sir.“

„Einen hätte ich noch“, sagte der Dicke hinterhältig. „Er hat das Wasser zwar nur aus der Ferne gesehen, aber das läßt sich ändern und stellt kein Problem dar.“

„An wen dachten Sie, Sir?“ fragte Duffy. „Ich werde sofort veranlassen, daß man ihn holt.“

„Nicht nötig, Duffy. Ich dachte an Sie.“

Das Gesicht des kleinen bärtigen Kontoristen veränderte sich von einem Augenblick zum anderen in erschreckender Weise.

Eben hatte der Kerl noch sehr überlegen gewirkt und sich hundertmal wichtiger gegeben, als er war.

Jetzt wurde sein Gesicht grau wie Asche, und seine Hände zitterten. In seinen Augen stand nacktes Entsetzen, während er aufgeregt an seinem lächerlichen Bart herumzupfte.

„Aber, Sir“, greinte Duffy. „Das können Sie mir nicht antun. Ich bin schon ein alter Mann.“

„Ach was! Sie sehen nur so alt aus. Sie sind ja gerade erst vierzig.“

„Aber – aber das Schiff hat doch schon einen Kapitän, Sir.“

Der Dicke schüttelte sich in boshafter Schadenfreude.

„Ich hatte nicht vor, Sie als Kapitän fahren zu lassen, Duffy. Aber da ich Sie im Kontor augenblicklich nicht beschäftigen kann, muß ich Sie eben anderweitig einsetzen, bei gleichem Lohn, versteht sich. Sie werden die Ehre haben, ein wenig Erfahrungen zu sammeln, und wenn Sie wieder in London sind, haben Sie einen ganz anderen Überblick über die Seemannschaft.“

„Ich bin doch aber auch kein Offizier“, jammerte Duffy, dem jetzt der Schweiß aus allen Poren brach.

„Natürlich nicht. Dafür haben wir ja Mister Williams. Oder verstehen Sie etwas von der Navigation?“

„N-neiiin, Sir.“

„Na, sehen Sie!“ Mister Starbuck klopfte dem Männchen gönnerhaft auf die Schulter. „Als Kontorist können Sie ja schlecht fahren, weil gewöhnlich keiner auf einem Schiff gebraucht wird. An Land kann ich Sie momentan auch nicht verwenden. Andererseits möchte ich Sie nicht entlassen, es sei denn, das wäre Ihnen lieber bei der allgemein herrschenden Arbeitslosigkeit.“

Der Zickenbärtige wußte kaum noch, was er sagen sollte. So unvermittelt mit der rauhen Seefahrt konfrontiert zu werden, war absolut nicht nach seinem Geschmack. Ihm wurde ganz übel bei dem Gedanken, mit diesen Galgenvögeln an Bord sein zu müssen. Dem grauen Männchen wurde es richtiggehend schlecht.

„Tun Sie mir das nicht an, Sir“, jammerte Duffy. „Ich war noch nie auf dem Meer, und ich werde ganz krank davon. Ich will auch alles für Sie tun, Sir, den Hof fegen, den Garten bestellen und das Haus in Ordnung halten. Ich werde auch Ihre Hunde ausführen, Sir.“

„Dazu habe ich genügend Leute, Duffy. Was ich jetzt brauche, sind Männer, ganze Männer, Duffy, so wie Sie einer sind. Sie werden über sich selbst hinauswachsen. Ich bin sicher, daß Sie ein zweiter Francis Drake werden.“

„Davon bin ich restlos überzeugt, Mister Starbuck“, sagte Fletcher erschüttert. „Es ist doch wohl nicht Ihr Ernst, mir diesen nachgemachten Hanswurst bis nach Genua und zurück mitzugeben. Der Mickermann fliegt doch bei der ersten Bö davon.“

„Sie können ihn ja an den Wanten festbinden, Fletcher, mit seinem Bart“, sagte Starbuck höhnisch. „Dann wird ihm schon nichts passieren. Er wird ein gelehriger Schüler sein.“

Das Männchen jammerte sich seine Not von der Seele, aber all sein Bitten und Betteln nutzte nichts, denn was Starbuck einmal beschlossen hatte, das hatte er endgültig beschlossen, und von jetzt an mußte das graue Männchen zur See fahren, oder es wurde entlassen und lag dann hilflos auf der Straße.

„Na, haben Sie sich entschieden?“ wollte Starbuck wissen.

Der Kleine, grau im Gesicht vor Angst, nickte zaghaft. Für ihn war die Welt nur noch ein armseliges Jammertal, das er wohl bald verlassen würde, wenn sie erst einmal auf See waren.

Er sah sich scheu nach allen Seiten um. Alles war so fremd und ungewohnt, obwohl er es schon zigmal gesehen hatte. Aber diese vielen Tampen und Taue jagten ihm Angst ein. Sicher gab es auf See auch einmal einen kräftigen Sturm, und dann würde dieser angegammelte Eimer von einer Seite zur anderen taumeln.

„Dann holen Sie jetzt Ihre Sachen, Duffy“, sagte Starbuck. „In einer Stunde sind Sie an Bord, und nach Sonnenaufgang schwimmen Sie schon auf der Themse und genießen die unvergleichliche Romantik der Seefahrt.“

Unter der „unvergleichlichen Romantik“ konnte sich Duffy allerdings noch nicht viel vorstellen – im Gegensatz zu den anderen, die sich da etwas besser auskannten. Denn für sie bestand die Romantik aus einem nicht endenwollenden Existenzkampf unter schlechtesten Bedingungen.

Duffy schlich nach einem erbarmungswürdigen und mitleidheischenden Blick wie ein geprügelter Hund von Bord. Er wirkte jetzt noch kleiner, als er sich auf der Pier verlor. Nach Fletchers Ansicht glich er einem räudigen Köter mit vor Angst eingeklemmtem Schwanz, dem gerade ein Holzprügel ins Kreuz geflogen war.

„Wie ich mit diesen Kerlen und der schlechten Verpflegung das Schiff von London nach Genua bringen soll, ist mir vorläufig noch ein Buch mit sieben Siegeln“, sagte Fletcher grimmig.

In Starbucks Augen lag plötzlich ein harter Glanz.

„Ich kenne eine ganze Menge Kapitäne, die das ohne weiteres schaffen und sehr froh über diese Reise wären, Fletcher. Sie müssen das Schiff ja nicht hinbringen, Sie können auch ablehnen.“

Fletcher steckte diesen Brocken zähneknirschend weg. Er wußte, wie schwer es war, ein anders Schiff zu kriegen. Im Grunde genommen mußte er diesem feisten Halsabschneider und Geizkragen noch dankbar sein.

Er empfand allerdings keine Dankbarkeit, eher einen Haß auf Starbuck, der andere demütigte, in ihrem Stolz verletzte und sie schließlich noch ausbeutete.

„Ich werde morgen früh bei Sonnenaufgang lossegeln“, hörte er sich wie aus weiter Ferne sagen.

„Sehr gut. Ich habe nichts anderes erwartet. Wenn Sie auslaufen, werde ich noch einmal da sein.“

Starbuck verließ schwerfällig und ächzend das Schiff und stieg in eine Kutsche, die abseits der Pier wartete. Er winkte noch einmal gnädig mit der ringgeschmückten Hand, ehe er fortfuhr.

Fletcher und Williams sahen der Kutsche nach.

„Der vollgefressene Spitzbube sitzt bis zum Hals im Fettnapf“, sagte der Erste Offizier verächtlich. „Und uns läßt der Kerl buchstäblich Dreck fressen. Am liebsten würde ich ihn kräftig in seinen fetten Hintern treten. Oder geht es dir anders, Marc?“

„Ganz sicher nicht. Aber uns bleibt nichts anderes übrig, als das Maul zu halten, und das weiß dieser ehrenwerte Mister Starbuck genau.“

„Wir haben ganz schöne Werte an Bord“, sagte Williams so nebenbei.

„Ja, ich weiß, eine kostbare Ladung.“

Er sah Williams nachdenklich an, schüttelte dann unmerklich den Kopf und ging nach vorn, um sich die Galgenvögel einmal aus der Nähe anzusehen. Dabei kontrollierte er gleichzeitig die Kombüse, wo der Koch hantierte, den sie Snob nannten.

Der Koch hockte mit dem Rücken zu ihm und säbelte sich heimlich dicke Scheiben von einer Dauerwurst ab. Eine nach der anderen stopfte er in sich hinein und kaute.

„Schmeckt’s?“ fragte Fletcher kalt.

Der Koch fuhr herum und stopfte hastig ein paar Wurstscheiben in seine Hosentasche.

„Ich – ich hab nur probiert“, versuchte er sich herauszureden.

„Ob sie genießbar ist, was?“

„Genau, Sir“, sagte der schmuddelige Koch erleichtert.

„Na, das wollen wir doch einmal sehen.“

Fletcher nahm die übriggebliebene Dauerwurst und verglich sie mit einer anderen, die in der Last von einem Deckenbalken baumelte. Die baumelnde Wurst war um ein gutes Drittel länger.

„Probiert“, sagte Fletcher leise und sehr eisig. „Du dreckiger Hund fällst über den Proviant her, der für alle gedacht ist, und säbelst dir die größten Stücke ab. Von jetzt an wird die Proviantlast verschlossen, und wenn du etwas brauchst, dann wendest du dich an mich oder Mister Williams. Klar?“

„Verstanden“, sagte der Koch heiser.

Fletcher, der ein Rauhbein war und nicht lange fackelte, holte aus dem Schultergelenk aus und setzte dem Koch die Faust kraftvoll auf die Nase.

Snob wurde vom Hocker katapultiert und überschlug sich laut brüllend. Vor dem eisernen Herd blieb er liegen. Blut rann aus seiner Nase, und er jammerte laut.

„Dafür, daß du die anderen beklaut hast“, sagte Fletcher. „Beim nächsten Mal ergeht es dir nicht so gut, du Bastard.“

Der Koch spuckte einen Zahn aus und erhob sich schwerfällig. Er zitterte an allen Gliedern.

Etwas später erschien ein zitterndes Nervenbündel an Bord. Es war der Kontorist Duffy, der einen Sack hinter sich herschleifte.

„Ich bin da“, sagte er kläglich. „Kann ich meine Kammer sehen?“

„Ich weiß nicht, ob du die von hier aus sehen kannst“, entgegnete Fletcher, „aber vielleicht kannst du ja durch die Planken schauen. Deine sogenannte Kammer ist vorn, das Schott beim Fockmast. Dort gehst du die Stufen hinunter, und dann bist du am Ziel. Zeig ihm seinen Salon, Davenport!“ rief er einem breitschultrigen Kerl zu, der an Bord der Galeone als Bootsmann, Profos und Feldscher fungierte.

Der Bootsmann haßte das graue Männchen genauso, wie das die anderen taten. Sonst hatte sich Duffy immer groß aufgeführt, Hochmut an den Tag gelegt und die anderen tadelnd belehrt. Auch jetzt glaubte er noch, einen Sonderstatus innezuhaben, weil er der Ansicht war, er sei etwas Besseres.

Davenport zeigte ihm das Forecastle, einen halbfeuchten niedrigen und vergammelten Raum, durch den kreuz und quer Eichenbalken liefen. Sehen konnte man hier unten nur etwas, wenn eine Laterne brannte. Es brannte auch eine, doch die verpestete die stickige Luft nur noch mehr und verteilte kleine Rußwölkchen in alle Richtungen.

„Ein umständlicher Weg zu den Kammern“, murmelte Duffy eingeschüchtert. „Kann man die Kammern nicht von einer anderen Seite erreichen?“

Davenport starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren.

„Von welchen Kammern faselst du eigentlich dauernd? Ich hör immer nur Kammern und so.“

„Ich spreche von meinen Räumlichkeiten.“

Der Breitschultrige kicherte höhnisch.

„Das sind deine Räumlichkeiten, Duffy. Sie haben nur den Nachteil, daß du sie mit fünfzehn weiteren Leuten teilen mußt. Das dahinten ist deine Koje.“

Er wies ganz hinten in einen dunklen Verschlag, wo Fässer und Kisten herumstanden. Zwischen zwei mächtigen Balken war da eine Art Hühnerverschlag zu erkennen, der im Finstern lag. Erreichen konnte man ihn nur über die Fässer und Kisten, und dann mußte man sich hindurchzwängen, ehe man die Bunk erreichte.

 

„Dann ist das die Gepäckablage?“ fragte Duffy ängstlich. „Da kann ich also meine Sachen hineintun?“

„Sehr richtig“, sagte der Bootsmann grinsend. „Die Gepäckablage für den vornehmen Gentleman. Du darfst auch deinen mickrigen Körper dort ablegen. Und wenn wir einmal kabblige See haben, kannst du dich an dem Eichenbalken dort oben mit deinem Bart festzurren.“

Duffy hatte anscheinend immer noch nicht begriffen, was hier los war. Er sah nur das dunkle stickige Loch und den Verschlag, der an einen Sautrog erinnerte.

„Und wo sind die Waschräume?“ erkundigte er sich.

„Die Waschräume? Ah ja, die Waschräume. Also, die Waschräume sind weiter draußen, sozusagen hinter dem Balken deiner Koje. Du hast die Wahl zwischen Nordseewasser, Atlantikwasser und später, wenn du dich gut geführt hast, auch noch zwischen etwas wärmerem Mittelmeerwasser.“

„In Badewannen?“ fragte Duffy, der überhaupt nichts kapierte.

„In ganz großen“, versprach der Bootsmann. „In riesigen Badewannen mit silbernen Spiegeln, wenn gerade die Sonne scheint.“

Duffy war wirklich beeindruckt. Nur mit der „Gepäckablage“ kam er noch nicht ganz klar. Er wollte auch noch weitere Einzelheiten wissen, die der Bootsmann mit einem hinterhältigen Grinsen beantwortete. Dieser Idiot von einem Kontoristen hatte nicht die geringste Ahnung davon, wie es in und auf einem Schiff aussah.

„Und wann gibt es Frühstück?“ erkundigte er sich.

„Frühmorgens. Dafür haben wir extra eine Serviererin. Die bringt allen Männern das Frühstück direkt an die Koje.“

„Die habe ich noch nie gesehen“, staunte Duffy. Er merkte überhaupt nicht, daß er kräftig veralbert wurde.

„Ja, das sollte Mister Starbuck auch nicht wissen. Aber wir bezahlen sie aus unserer eigenen Tasche. Wenn du an dem Frühstück teilhaben willst, mußt du ein Goldstück bezahlen.“

Duffy kriegte lüsterne Augen. Mit Frauen hatte er noch nicht viel Erfahrungen gesammelt. Schien ja toll hier an Bord zuzugehen. Hastig kramte er ein Goldstück aus der Tasche und überreichte es Davenport, der es grinsend in der Tasche verschwinden ließ.

„Was muß ich hier eigentlich tun?“ fragte Duffy weiter. Er sah sich schon erregt nach der „Serviererin“ um, konnte sie aber nirgends entdecken.

„Mal an Deck rumspazieren“, zählte Davenport auf. „Dann bei glatter See darauf achten, daß der Meeresspiegel nicht zerbricht, und vor allem darauf achten, daß keine Nixen an Bord hüpfen, weil die nur Unglück bringen.“

„Aha.“ Duffy war sehr beeindruckt. „Und wie oft gibt es Essen?“

„Sehr oft. Du hast ja gesehen, was uns der liebe Mister Starbuck alles zukommen läßt – und wie er uns verwöhnt.“

„Es ist ziemlich viel gewesen“, bestätigte das graue Männchen. „Alles gleich tonnenweise.“

„Ja, wirklich, sehr viel.“

„Kann ich mal einen Blick in die Baderäume werfen?“ fragte Duffy.

„Später, mein Freund, später. Du wirst noch alles sehen.“

Der Bootsmann ließ Duffy stehen und ging nach achtern. Dort verklarte er grinsend, welche Vorstellungen der Kontorist von der Seefahrt hätte.

Sogar Fletcher, der den Kerl nicht ausstehen konnte, mußte grinsen.

„Der Anfang der Reise wird sicher interessant“, meinte er. „Dann laß Duffy doch das Frühstück von einer Serviererin an die Koje bringen, damit er den richtigen Eindruck erhält.“

„Klar, dann haben wir was zu lachen“, sagte Williams, der ebenfalls gern für derbe Späße zu haben war.

„Aber wir haben doch keine.“

„Nimm Gordon Mill, der soll sich entsprechend verkleiden. Und wenn wir morgen früh lossegeln, laß den kleinen Dummbart schlafen. Der bringt sonst nur alles durcheinander. Für den Anfang ist er absolut überflüssig, wir brauchen ihn nicht.“

Der Bootsmann kramte das Goldstück aus der Tasche und reichte es Fletcher.

„Habe ich von Duffy, Sir. Das ist sein Einstand. Dafür können wir uns ein paar scharfe Buddeln extra kaufen.“

„Einstand muß sein“, sagte Fletcher, „dann hol mal was, damit wir zünftigen Abschied und Einstand feiern können.“

Skrupel hatte niemand. Sie waren alle rauhbeinige und abgebrühte Kerle, und so holte Davenport ein paar kleine Extrafässer, die noch am selben Abend gelenzt wurden.

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