Seewölfe - Piraten der Weltmeere 668

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 668
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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-082-4

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Die königliche Preßgang

Fünf Arwenacks auf eine Kriegsgaleone gepreßt

Juli 1599, Bombay – Westküste Indiens.

Selten hatten die Arwenacks ihren Kapitän Philip Hasard Killigrew so verlegen gesehen wie heute.

Um diese Verlegenheit zu überspielen, räusperte sich Hasard ein paarmal die Kehle frei. Sein Blick war aber nach wie vor auf das gerichtet, was sich in dem Magazin stapelte – ein Geschenk des Ischwar Singh, des Maharadschas von Bombay.

Es war eine Schiffsladung voll erlesener Kostbarkeiten von ungeheurem Wert, die da auf Abruf bereitlag. Dabei handelte es sich um etliche Tonnen Elfenbein, Seide, Silber, Muskat, Pfeffer, Ingwer, Kardamom und andere Pretiosen, deren Wert sich nicht mal annähernd abschätzen ließ. Und das alles gehörte jetzt ihnen. Es war unglaublich …

Die Hauptpersonen des Romans:

Ischwar Singh – der Maharadscha von Bombay hat eine Mission für die Seewölfe, denen er vertraut, aber es ist ein heikler Auftrag.

Edwin Carberry – ist als die Reinkarnation des Gottes Schiwa der Held des Tages und sonnt sich in seinem Ruhm.

Mac Pellew – hat dem Profos ein Duftwässerchen verehrt, was allgemeines Naserümpfen hervorruft.

Sir Thomas Carnavon – ist zwar Kommandant eines Dreideckers, aber seine Offiziere tanzen ihm auf der Nase herum.

Philip Hasard Killigrew – wird ganz übel gelinkt, weil ihm fünf seiner Arwenacks abgepreßt werden.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Genaugenommen hatten sie diese Kostbarkeiten dem Profos Edwin Carberry zu verdanken, jenem Profos, der erneut bewiesen hatte, daß er doch das Salz der Erde war, ohne das nun mal gar nichts lief.

Die Arwenacks sahen die Szene noch deutlich vor sich.

Da hockte ein kleines, elf Jahre altes Bürschchen auf Bombay-Reede in einer Jolle und angelte unverdrossen Haie. Eins dieser Exemplare – etwa von Mannsgröße – hing bereits am Haken und drohte, das übereifrige Bürschchen ins Wasser zu ziehen.

Der Profos rief dem Bengel eine Warnung zu, doch die wurde nicht verstanden. Da sprang der Profos kurzentschlossen über Bord, und noch, bevor er die Jolle erreichte, kenterte sie, und ein zweiter Hai tauchte auf.

Dem Profos gelang es, den Hai zu erledigen und das nasse Bürschchen aus dem Wasser zu ziehen, während die anderen Arwenacks eine weitere Jolle abfierten und sich um den zweiten Hai kümmerten.

Normalerweise hätte kein Mensch weiter von dieser Angelegenheit Notiz genommen, denn kleine Jungen angelten tagtäglich auf der Welt, ohne daß es jemanden interessierte.

Bei diesem Bürschchen handelte es sich um Tuti Ischwar, den Sohn des Ischwar Singh, und das war das Besondere an der Sache.

Tuti Ischwar war wieder mal heimlich aus dem Palast ausgebüxt, um seiner Leidenschaft zu frönen. Während die Bediensteten aufgeregt nach ihm suchten, angelte Tuti in aller Ruhe und begab sich dabei in Lebensgefahr.

Ohne den Profos Edwin Carberry wäre der Junge, zweifellos von den wütenden Haien zerrissen worden.

Von da an änderte sich alles schlagartig. Die Seewölfe, die in Surat – was die Handelskonzessionen betraf – eine herbe Niederlage erlitten hatten, wurden jetzt plötzlich mit offenen Armen empfangen.

Carberry aber war der Held des Tages und wurde als Reinkarnation des Gottes Schiwa mit allen Ehren und einem rauschenden Fest gefeiert.

Hasard dachte an die rauschende Feier mit einem Augenzwinkern zurück. Der gute Ed war nun wirklich in den Augen vieler Inder zu einem frommen Pilger ganz besonderer Art geworden, und Big Old Shane erwog bereits den Gedanken, Carberry einen Heiligenschein zu schmieden, damit er ihn immer mit sich herumtragen konnte.

Nur der Kutscher hatte lächelnd vor einer Hybris gewarnt, damit der Profos nicht in einen frevelhaften Übermut verfalle.

Da Carberry in seiner Verkörperung als Schiwa auch den Fruchtbarkeitsgott darstellte, hatte man ihm willige Mädchen geschickt. Der ahnungslose Profos lehnte sie jedoch aus gewissen Gründen ab.

Daraufhin erwartete ihn anschließend zum Lobe des Gottes eine körperliche Tortur, an die er nur noch mit sehr gemischten Gefühlen zurückdachte. Als Reinkarnation einer Gottheit hatte man es wirklich nicht leicht.

„Unglaublich“, sagte Hasard leise zu den Männern, die ihn umstanden. „Anfangs gab es derart viele Mißverständnisse und Unannehmlichkeiten, daß wir fast aufgegeben hätten. Und jetzt fällt uns alles buchstäblich in den Schoß. Es ist mir peinlich, dieses Geschenk so einfach anzunehmen.“

Zwei Hofbeamte begleiteten die Arwenacks, die jetzt schweigend neben ihnen in dem großen Magazin standen, wo die kostbaren Geschenke gelagert waren.

„Es ist eine Menge“, sagte Dan O’Flynn, der gerade einen riesigen Elfenbeinzahn betrachtete. „Das Geschenk können wir aber nicht ablehnen oder zurückweisen, Sir. Für den Maharadscha wäre das eine tödliche Beleidigung.“

„Ja, ich weiß. Dennoch fühle ich mich zu einer Gegenleistung verpflichtet. Aber wie?“

„Die Gegenleistung, oder besser, Vorleistung, hat Ed ja bereits erbracht“, sagte Ben. „Der Maharadscha hat sich dafür in dieser Form revanchiert oder bedankt. Es dürfte jetzt nicht mehr schwerfallen, um Handelskonzessionen nachzusuchen?“

„Bist du verrückt“, sagte Hasard leise. „Erst werden wir großzügig beschenkt, und dann soll ich noch um Handelsbeziehungen nachfragen. Das erscheint mir reichlich unverschämt.“

Der Kutscher, der dem Dialog gelauscht hatte, lächelte fein.

„Das ist doch keine Bittstellerei, Sir. Es ist nichts weiter als ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, von dem beide Teile profitieren. Du bist manchmal wirklich zu bescheiden, Sir. Später werden andere hier aufkreuzen und mit der größten Selbstverständlichkeit Handelsbeziehungen anknüpfen. Man soll das Eisen schmieden, solange es heiß ist, und dazu haben wir augenblicklich die besten Aussichten. Auch der Maharadscha lebt nach dem Motto: Manus manum lavat, was soviel bedeutet, als daß eine Hand die andere wäscht. Wir haben schließlich eine königliche Aufgabe zu erfüllen.“

Hasard nickte langsam und nachdenklich. Einer der beiden Hofbeamten öffnete ein kleines Fäßchen und deutete auf den Inhalt. Er hielt das Fäßchen dem Seewolf dicht unter die Nase.

Darin befanden sich kleine, grünliche Schoten, die einen unglaublichen exotischen Duft verströmten. Von diesen Gewürzfäßchen gab es noch eine ganze Menge.

Alle Wohlgerüche des Orients vereinigten sich in den Schoten. Hasard konnte sie nicht klassifizieren, denn der Geruch war eigentümlich, aber äußerst aromatisch. Er glaubte, Zitrone und Ingwer herauszuriechen.

„Was ist das?“ fragte er gespannt.

Der Kutscher, dieser Schlauberger, wußte es natürlich wieder mal. Hasard fragte sich insgeheim, woher dieser schmalbrüstige Mensch nur seine Informationen bezog.

„Kardamom“, erklärte er mit der größten Selbstverständlichkeit. „Es wächst im Süden Indiens und findet als hervorragendes Gewürz Verwendung für Currygerichte und Reis. Man kann aber auch herrliche Fruchtsalate damit anrichten oder es zu anderen Speisen verwenden. So was ist selbst bei Hofe eine Rarität und wird sehr geschätzt. Deshalb, Sir, sollten wir das Revier selbst beackern, ehe wir es einem Bauernlümmel wie Ruthland überlassen.“

„Du hast recht, Kutscher. Man muß nur die Anfangsschwierigkeiten überwinden. Dimidium facti qui coepit habet.“

„Könnt ihr das nicht in unserer Sprache sagen?“ fragte der Profos erbittert. „Ich verstehe immer nur Delirium.“

„Kein Wunder“, sagte der Kutscher trocken. „Von deiner Erleuchtung als Schiwa bist du noch weit entfernt. Du mußt erst das große Nirwana überwinden, um aus dem Delirium zu gelangen. Der Sir wollte mit den Worten nur ausdrücken, daß frisch gewagt halb gewonnen ist.“

„Als Schiwa könnte ich dich elenden Erdenwurm jetzt mühelos vernichten“, tönte Carberry. „Nur ein Hauch von mir, und du bist weg.“

„Ja, deine Fahne ist umwerfend“, gab der Kutscher zu. „Wieder an der Buddel genuckelt, wie? Eines Tages wird man dich wegen Desertion von Schnapsgeruch verurteilen und es als Fahnenflucht begründen.“

Carberry blieb nichts anderes übrig, als zähneknirschend die Waffen zu strecken. Auch seine Drohung, das letzte Wort sei noch nicht gesprochen, verhallte ungehört, denn die Mannen beschäftigten sich ausgiebig mit der Ladung.

 

„He! Du sprichst mit dem großen Fruchtbarkeitsgott“, nölte Mac Pellew, der sich berufen fühlte, diesmal sein Eddielein in Schutz zu nehmen. „Er ist hier der große Yogi und Asket.“

„Asket ist gut“, sagte der Kutscher mit einem leisen Kichern. „Ich werde ihn gelegentlich an die Askese erinnern, wenn er wieder ein Faß Bier vor sich stehen hat.“

„Hört damit auf“, zischte Hasard, „und laßt die verschiedenen Gottheiten aus dem Spiel. Man könnte es uns verübeln.“

Carberry stand aber doch hoch im Kurs, wie er feststellen mußte. Die beiden Hof beamten begegneten dem Profos mit allergrößtem Respekt, und sobald er sie nur wohlwollend ansah, legten sie die Hände an die Stirn und verneigten sich ehrfürchtig. Bei den anderen wurden die Hände nur bis zur Brust gefaltet, und auch die Verneigung fiel nicht so tief aus.

Somit wurde dem Profos stets die höchste Ehre zuteil, und daher war sein Blick auch manchmal hochmütig und erhaben auf den Kutscher gerichtet, der zwar Lateinisch faseln konnte, von der Reinkarnation aber noch sehr weit entfernt war. Ganz zu schweigen von der großen Erleuchtung, die den Profos längst heimgesucht hatte.

„Wieviel mag das insgesamt sein?“ fragte Ferris Tucker leise. „Das Magazin ist randvoll mit Fäßchen, Stoßzähnen, Ballen und Kisten.“

Hasard hatte vorhin schon versucht, die Menge zu überschlagen.

„Zwischen dreißig und vierzig tons, schätze ich, eher mehr. Wenn wir das an Bord nehmen, ist unser Indien-Törn beendet. Wir werden dann nach England zurücksegeln und unsere Mission als erfolgreich abschließen, falls wir noch Zusagen des Maharadschas erhalten sollten.“

Er sah in enttäuschte und erstaunte Gesichter.

„Was – schon wieder zurück?“ fragte Jung Hasard, und sein Bruder Philip sagte: „Wir sind ja noch nicht mal richtig da. Das ging aber verdammt schnell. Ich dachte, wir …“

„Da habt ihr falsch gedacht“, belehrte Hasard seine Söhne. „Wir haben die Aufgabe, Handelsbeziehungen anzuknüpfen, und wenn das erfolgreich verläuft, kehren wir nach England zurück, erstatten der guten Lissy unseren Bericht und verholen uns in die Karibik. Oder soll das Zeug hier vergammeln? Wir haben den Weg geebnet, jedenfalls in Bombay, und nach uns wird die Gesellschaft, die später für den Ostindien-Handel zuständig sein wird, alles übernehmen.“

Für die meisten erfolgte dieser Wechsel zu abrupt. Sie hatten zwar keine konkreten Vorstellungen von dem, was in den nächsten Tagen und Wochen geschehen sollte, aber an Heimkehr dachte niemand. Unbewußt hatten sie sich alle auf einen längeren Aufenthalt eingerichtet.

„Ich dachte, wir klappern noch ein paar andere Städte ab“, murmelte Carberry.

„Mit mehr als vierzig tons Ladung im Bauch?“

„Der Maharadscha hat gesagt, die Ladung liege auf Abruf bereit. Wir können sie also holen, wann immer wir wollen.“

„Wenn wir das allzulange hinauszögern, dürften die Gewürze ihr markantes Aroma verlieren“, sagte der Seewolf. „Dann sind sie auch nichts mehr wert. Ich dachte, ihr freut euch auf die Karibik.“

„Das schon, aber die läuft uns ja nicht weg.“

Dan O’Flynn war ganz sachlich. „Wann stauen wir, Sir?“

Hasard überlegte nicht lange. Sie würden noch einmal mit dem Maharadscha sprechen, die Kontakte vertiefen und abwarten, was sich daraus entwickelte.

„Morgen früh. Bis wir alles sorgfältig für den langen Törn verstaut haben, werden zwei Tage vergehen, einschließlich Verproviantierung und Trinkwasseraufnahme. In spätestens drei Tagen können wir dann lossegeln.“

„Na dann“, sagte Carberry lustlos. „Gerade jetzt, wo ich so schön in Fahrt und auf dem Wege der Erleuchtung bin.“

„In drei Tagen kann noch eine Menge passieren“, tröstete ihn Mac Pellew. Aber er schien selbst nicht daran zu glauben. Er zog ein Gesicht wie ein erfolgloser Leichenbestatter.

Eine halbe Stunde später kehrten sie an Bord zurück.

2.

Um die Mittagszeit war die Hitze in Bombay kaum auszuhalten. Die Sonne stand senkrecht über der Schebecke und heizte sie mit aller Gewalt wie einen glühenden Ofen auf.

Der Monsunregen hatte zwar vor einiger Zeit eingesetzt, doch jetzt gab es eine knochentrockene Zwischenperiode, in der kein einziger Tropfen Regen fiel.

Bombay, von den Indern Mumbai genannt, schien um diese Zeit wie ausgestorben zu sein. Die Leute hielten sich im Schatten ihrer Häuser auf, und selbst in dem prächtigen Palast des Ischwar Singh regte sich nichts.

Auf der Reede lagen zwei portugiesische Galeonen und ein paar hundert Yards von der Schebecke entfernt eine portugiesische Karavelle.

Auf den Schiffen schien ebenfalls alles Leben ausgestorben zu sein.

Old O’Flynn und die Zwillinge waren schon einmal hiergewesen und hatten ein portugiesisches Schiff in Brand gesteckt, das sie unter Feuer genommen und ihren Zweimaster versenkt hatte.

Aber das wußte hier niemand, und außerdem kümmerten sich die Portus nicht um die Engländer, seit sie gemerkt hatten, daß sie unter dem persönlichen Schutz des Maharadschas standen.

Von Ischwar Singh hing alles ab, und keiner, der hier Handel trieb, wollte es mit ihm verderben. Dazu war das Geschäft zu lukrativ. Außerdem waren die meisten indischen Potentaten unberechenbar, und ihre Launen pflegten sehr schnell zu wechseln.

In dieser Hitze taten auch die Arwenacks nichts. Die meisten hockten faul und träge herum. Nur ein paar Unentwegte bummelten durch die menschenleeren Gassen von Bombay.

Arwenack hockte schlafend an Deck. Der Aracanga-Papagei Sir John hatte es ebenfalls vorgezogen, auf der Rahrute vor sich hinzudösen, und die Wolfshündin Plymmie lag hechelnd unter dem achteren Niedergang, wo sie im Schatten vor der sengenden Sonne Schutz suchte.

„Regnen müßte es“, sagte Carberry schläfrig zu Stenmark. „So stark regnen wie in den letzten Tagen. Das erfrischt wenigstens ein bißchen. Bei dieser Affenhitze wird man ganz dösig im Schädel.“

Smoky, der ihm schräg gegenüber unter einem aufgespannten Sonnensegel saß, nickte kläglich.

„Du sagst es, Schiwa-Carberry. Aber der Regen war so lauwarm, daß er auch keine Abkühlung brachte.“

„Wie wär’s denn mit einem kleinen Bad?“ fragte Stenmark. „Das würde schon ein bißchen abkühlen.“

„Dann haben wir wieder einen Hai am Achtersteven hängen“, murmelte Carberry und dachte an Tuti Ischwar, den jungen Prinzen von Bombay, den fast die Haie auf Reede zerrissen hätten. „Wo Haie sind, bade ich nicht unbedingt gern.“

„Ich gehe jedenfalls schwimmen“, verkündete Stenmark. „Haie habe ich heute weit und breit noch keine gesehen. Die sind auch nur durch die blutigen Abfälle angelockt worden.“

Old O’Flynn, Bob Grey, Sam Roskill und Piet Straaten verspürten ebenfalls große Lust auf kühles Wasser.

Das wirkte auf die anderen natürlich ansteckend. Die Trägheit verschwand allmählich, und einer nach dem anderen erhob sich, um ein wenig im Bach zu planschen.

Schiwa-Carberry, diesen Ehrennamen hatte ihm der Maharadscha persönlich verliehen, hüpfte als erster vom Schanzkleid aus ins Wasser.

Er sah gar nicht nach einer Gottheit aus, als er sich wie ein riesiger Ochsenfrosch ins Wasser fallen ließ. Es entstand dann auch der Eindruck, als habe an jener Stelle ein Fünfzigpfünder eingeschlagen. Das Wasser spritzte bis zur abgefierten Rahrute, und so wurde Sir John abrupt aus seinen Träumen geweckt.

„Rübenschweine, verlauste!“ kreischte er so laut und schrill, daß Carberry es noch unter Wasser zu hören glaubte. Was dann folgte, war alles andere als harmlos und hätte jedem Zuhörer die Schamesröte ins Gesicht getrieben.

Der Papagei, auf der linken Seite klatschnaß, regte sich furchtbar auf, und das gab er unbewußt in Ausdrücken wieder, die ihn sein Herr und Meister Edwin Carberry gelehrt hatte.

Es waren wirklich sehr unfeine Wörter, die er von der Rahrute kreischte. Erst als sein Repertoire so ziemlich erschöpft war, begann er damit, sein nasses Gefieder zu putzen.

Inzwischen tummelten sich fast ein Dutzend Seewölfe im Wasser und freuten sich über die Abkühlung. Das Wasser war zwar lauwarm, aber es brachte vorübergehend doch eine leichte Erfrischung.

Eine halbe Stunde später war die Badestunde beendet, und da hockten sie wieder träge und lustlos an Deck unter dem Sonnensegel herum.

Das änderte sich erst, als der Kutscher und Mac von einem Bummel zurückkehrten. Die beiden waren einträchtig losgezogen, um sich die Märkte von Bombay anzusehen. Viel hatten sie allerdings nicht entdeckt in der Mittagshitze, und sie sahen auch ein bißchen abgeschlafft aus.

„Nichts los“, sagte Mac Pellew kopfschüttelnd. „Selbst auf den Märkten pennen sie alle. Aber wir haben etwas bestellt, was am späten Nachmittag geliefert wird.“

Unterdessen bemerkte Hasard, daß sich hinter dem Hafen auf der linken Seite etwas tat. Dort gab es ein langes Stück hellen Strand, auf dem auch ein paar geschmückte Boote lagen, die ihm schon heute morgen aufgefallen waren.

Jetzt trafen sich dort Inder. Anfangs waren es nur ein paar, dann wurden es immer mehr. Mindestens drei Dutzend Männer mit hellen Turbanen standen dort inzwischen herum. Auch ein paar Inderinnen in bunten Saris erschienen.

Die Frauen brachten Blumen in Körben mit und reichten sie an die Männer weiter. Die Blumen wurden zu Girlanden gebunden und an die Boote gehängt.

Bis zum Nachmittag versammelten sich mehr als hundert Inder am Strand, und das Treiben wurde immer bunter und lebhafter.

„Was mag da vorgehen?“ fragte der Seewolf.

Der Kutscher, der sonst immer die Ohren am Wind hatte und alles wußte, zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung, Sir. Es sieht nach einem Fest aus, das am Strand stattfinden soll. Mir ist nichts darüber bekannt.“

„Doch nicht etwa wieder zu Ehren unseres lieben Ed?“

Carberry zog sich am Schanzkleid hoch. Er blickte zu dem fernen Strand hinüber und schüttelte den Kopf.

„Nicht für Schiwa-Carberry“, erklärte er von oben herab. „In ein paar Tagen beginnt das Ganesh-Chaturthi-Fest, und eine Woche vorher werden die Vorbereitungen dafür getroffen.“

Der Profos sagte das so bestimmt, als sei er seit Jahren mit sämtlichen indischen Sitten und Gebräuchen vertraut.

Hasard blickte ihn erstaunt an.

„Woher weißt du das?“

„Hat mir Seta erklärt, die Inderin, die mich bat, ihre Schwester vor dem Feuertod auf dem Scheiterhaufen zu bewahren.“

„Aha“, sagte Hasard perplex über das Wissen seines Profosen, der zur Zeit alle Weisheiten Indiens gepachtet zu haben schien. „Und welche Bedeutung hat dieses Fest? Weißt du das vielleicht auch noch?“

„Es ist eine festliche Prozession, die dem elefantenköpfigen Gott der Weisheit, Ganesha, geweiht ist. Das Fest beginnt immer Anfang August, und nach der feierlichen Prozession wird der Gott dann im Meer versenkt.“

„So, so“, sagte Hasard verblüfft und blickte zum Kutscher, der wiederum schluckend zu Carberry schaute.

„Schiwa scheint dich ganz schön erleuchtet zu haben“, meinte der Kutscher beeindruckt. „Findet das Fest am Strand statt?“

„Ja, südwestlich vom hinduistischen Walkeshwar-Tempel. Von dort aus kannst du auch den Malabar-Hügel sehen, wo die Parsen ihre Türme des Schweigens errichtet haben. Dort setzen sie ihre Toten den Raubvögeln aus.“

„Mein lieber Schiwa“, sagte Smoky bewundernd. „Jetzt glaube ich doch bald, daß du erleuchtet bist. So was kann man ja von allein gar nicht wissen. Kriegt man die Weisheit bei der Erleuchtung einfach so reingeschüttet?“

„Wie Rum, meinst du? Nein, die Erleuchtung erfolgt schlagartig, und dann wird man weise und weiß alles, so wie ich jetzt. Aber es ist nicht einfach, erleuchtet zu werden.“

Der Kutscher grinste verhalten bei diesen Worten. Carberry hielt sich wieder mal für den Nabel der Welt und schnitt natürlich dementsprechend auf, als sich immer mehr Zuhörer in den Kreis gesellten.

Es gab allerdings auch einige, die an seinen Worten zweifelten und noch nie etwas von dem Elefanten-Gott gehört hatten.

Aber sie mußten bald umdenken und erkennen, daß Edwin Carberry doch die Wahrheit sprach.

Am Strand waren jetzt noch mehr Gestalten aufgetaucht. Denen folgte etwas später eine ganze Kolonne. Da die größte Hitze jetzt vorbei war, wurden die Inder wieder munter.

 

Etwa zwanzig Inder waren jetzt zu erkennen, die zwei lange Stangen trugen. Das Ding auf den Stangen sah wie eine riesige Sänfte aus, die gleich darauf abgesetzt wurde. Die Männer wechselten die Positionen. Jeweils zehn andere hoben das sänftenartige Gebilde wieder an und trugen es weiter zum Strand hinunter.

„Tatsächlich, du hast recht“, sagte der Kutscher. „Die Gestalt sieht wirklich wie der Kopf eines Elefanten aus.“

„Ach! Habe ich auch mal recht? Das freut mich aber.“

Der riesige Elefantenkopf wurde etwa zwanzig Yards vor dem Wasser abgesetzt. Von hier aus sah der Schädel mit dem langen Rüssel wie eine buntbemalte Porzellanfigur aus. Das Ganze wirkte ein bißchen naiv, wie von einem kitschigen Künstler angefertigt.

Sehr sorgfältig wurde die große Figur, die den Gott der Weisheit verkörperte, in den Sand gesetzt.

„Warum wird die Gottheit im Meer versenkt?“ wollte der Kutscher wissen. „Das ergibt doch keinen Sinn.“

„Du bist eben nicht erleuchtet“, entgegnete der Profos. „Wenn der Gott im Meer versenkt wird, bewacht er das Land und die Küste und sorgt dafür, daß es keine Überschwemmungen gibt. Und jetzt laß mich in Ruhe, ich will noch ein bißchen dösen, schließlich habe ich einen anstrengenden Besuch vor mir.“

„Wen willst du denn besuchen? Deine lieben, kleinen Gespielinnen im Palast? Du kannst doch da nicht einfach hingehen, als seist du dort zu Hause.“

Carberry lehnte sich wieder ans Schanzkleid und schloß die Augen. Er war noch ein wenig müde, denn die Ereignisse der vergangenen Tage hatten ihm doch ganz schön zugesetzt.

„Klar kann ich das“, murmelte er schläfrig. „Ich kann sogar noch mehr, wenn ich will. Aber man wird mich abholen.“

„Jetzt ist er auch noch unter die Propheten gegangen“, sagte der Kutscher erschüttert. „Man wird mich abholen! Möchte gern wissen, woher du das erfahren hast. Oder kannst du jetzt auch schon hinter die Kimm blicken wie Donegal?“

„Ich bin erleuchtet und durchgeistigt“, sagte der Profos schlicht. Und dann war er auch schon eingeschlafen.

Der Kutscher sah mißtrauisch auf den schlafenden Profos, dessen narbiges Gesicht auf eine seltsame Art verklärt wirkte. Offenbar befand sich dieser Rabauke irgendwo auf einer Zwischenstation ins seligmachende Nirwana, denn genauso sah er jetzt aus.

„Vielleicht ist er doch ein Heiliger geworden“, meinte Paddy Rogers fast andächtig. „Gesprochen hat er ja schon oft davon, daß er ein frommer und friedlicher Pilger werden will.“

„Der hat schon viel versprochen und es trotzdem nie geschafft, ein frommer Pilger zu werden. Warum sollte sich das ausgerechnet jetzt und hier in Indien ändern?“ fragte der Kutscher skeptisch.

„Aber irgend etwas ist mit ihm geschehen“, beharrte der knubbelnasige Paddy. „Er wirkt ganz anders als sonst.“

„Das vergeht wieder“, sagte Smoky. „Manchmal hat er so seine Anwandlungen, und dann hält er sich für das Salz der Erde.“

Am Strand wurde der elefantenköpfige Gott geputzt und geschmückt. Es sah schon jetzt alles nach einer feierlichen Prozession aus, obwohl die erst in frühestens einer Woche stattfinden würde.

Mittlerweile befanden sich mehr als zweihundert Leute am Strand, und immer neue strömten hinzu.

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