Seewölfe - Piraten der Weltmeere 546

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 546
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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-953-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Die Tochter des Kalifen

Sie soll als Sklavin verkauft werden – doch die Seewölfe befreien sie

Der Kapitän der Schebecke, ein feister Mann mit einem fetten Hängebauch, raufte sich verzweifelt Haare und Bart. Über sein rosiges Gesicht rannen zwei dicke Tränen. „Allah sei’s geklagt“, jammerte er laut, „das sind doch, beim Barte des Propheten, diese Hurensöhne vom Stamme der Beni Yas, deren unselige Väter nur Piraten und nochmals Piraten gezeugt haben! Sie werden mir mein Schiff nehmen, aber was noch schlimmer ist: Sie werden Parisade, die Tochter des Kalifen von Bagdad, rauben und schänden. O Allah, sage mir, was ich tun soll!“

Die Kaufleute, die sich an Bord der Schebecke befanden, waren ebenfalls keine Helden. Sie waren zwar große Schlitzohren und Roßtäuscher, aber angesichts der schnell heranjagenden Sambuke sank ihnen jetzt doch das Herz in den Kaftan.

Sehr viel zu holen war bei ihnen zwar nicht, nur ein paar Kästchen indischer Perlen, die in Bagdad verarbeitet werden sollten. Aber sie hatten Parisade an Bord, die Tochter des Kalifen

Die Hauptpersonen des Romans:

Moshu El Kekir – Er huldigt mit seinen wüsten Kerlen der Piraterie und dem Sklavenhandel, aber bei letzterem bricht er sich das Genick.

Parisade – Die Tochter des Kalifen von Bagdad ist ein liebreizendes Geschöpf, und da nutzt es ihr gar nichts, daß sie sich als Junge verkleidet.

El Dschaliz – Einer der übelsten Kerle aus der Horde des El Kekir, obwohl oder gerade weil er ziemlich schwach im Kopf ist.

Luke Morgan – Hat überhaupt nichts dagegen, sich als Schleier-Lady verkleiden und auf dem Basar als hübsches Täubchen anbieten zu lassen.

Philip Hasard Killigrew – Ihm stinkt es immer, wenn Menschen wie eine Ware verschachert werden, und darum zieht er vom Leder.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Al Kut lag hinter den Arwenacks, ein Städtchen am Tigris oder, wie man den Fluß hier nannte, Dijlah.

Dieser Strom hatte sich inzwischen als reichlich tückisch und mitunter unberechenbar erwiesen. Da war das Segeln auf dem Nil dagegen ein Klacks gewesen.

Dennoch herrschten Fröhlichkeit und Zuversicht an Bord der „Santa Barbara“, denn außer seinen Tücken hatte der Strom auch noch etwas anderes zu bieten – und das war einfach eine Köstlichkeit.

Tigrislachs gab es in dem Fluß, kapitale Burschen mit einem Gewicht bis zu hundert Pfund und einer Länge von eineinhalb Yards.

Dabei hatte Smoky diese Burschen nur durch einen Zufall entdeckt.

Der Decksälteste lümmelte ziemlich faul am Backbordschanzkleid der Kuhl und stierte in den Fluß.

Smoky sah zur Zeit noch ein wenig zum Fürchten aus. Auf die Kaftanmänner und Turbanträger wirkte sein Anblick wie ein Schock, und wenn sie Allah nicht ewige Gefolgschaft geschworen hätten, dann hätten sie sich zweifellos bekreuzigt.

Der Grund war Smokys Haarpracht, obwohl man von einer solchen nicht unbedingt reden konnte. Aufgrund einer „saublöden“ Wette, wie er das später selbst nannte, hatte er sich eine Glatze scheren lassen. Jetzt wuchs das Haupthaar kräftig wieder nach – und das sah noch schlimmer aus als seine polierte Kugel.

Smoky standen Borsten vom Schädel ab, die sich nicht mehr bändigen ließen, weil sie noch zu kurz waren. So sah er aus wie ein gedrungener Igel, dem sich die Stacheln sträuben. Der Profos hatte ihn schon mit einem „abgewrackten Seeigel“ verglichen. Das focht den Decksältesten allerdings nicht mehr an. Die Haare wüchsen wieder, und darüber freute er sich.

Die „Santa Barbara“ vollzog einen leichten Schwenk nach Backbord zum Ufer hin, weil sich auf der anderen Seite das Wasser kräuselte und dadurch eine Untiefe verriet. Sie war vom Ausguck rechtzeitig bemerkt worden.

Smoky stierte also ins Wasser und zuckte zusammen, als ein riesiger Fisch urplötzlich hochschnellte, sich zwei oder drei Yards durch die Luft schlängelte und zurück in sein Element klatschte. Der Bursche schwamm mühelos und wie ein Wilder gegen die Strömung.

„Heiliger Aaron“, brummte Smoky verdutzt. „Das ist vielleicht ein Brocken.“ Er starrte auf die Stelle, wo der „Brocken“ verschwunden war. Gleich darauf hob er wie abwehrend den rechten Arm hoch, denn ein zweiter kapitaler Bursche schnellte kraftvoll aus dem Wasser. Auch er hatte eine beachtliche Größe. Und er sprang so hoch aus dem Wasser, daß er Smoky fast ins Gesicht geklatscht wäre.

Auf der anderen Seite der Kuhl lehnten der Profos, Stenmark, Luke Morgan und Batuti.

Als Smoky abwehrend den Arm hob und zusammenzuckte, zuckte auch der Profos Edwin Carberry wie im Reflex zusammen, denn er dachte, da käme was geflogen.

Als nichts heranflog, ärgerte er sich, weil er annahm, Smoky wolle ihn veralbern, und so ging er mit wuchtigen Schritten hinüber und baute sich vor dem Decksältesten auf.

„Spinnst du?“ fragte er drohend. „Oder willst du mir Grimassen schneiden? Du zuckst ja so erbärmlich, als würde dich dauernd etwas stechen. Oder sind das deine Igelborsten, die dich jucken?“

Smoky schüttelte den Kopf. Dann riß er die Arme weit auseinander und deutete eine riesige Größe an.

„Solche Knechte paddeln hier im Wasser“, sagte er.

„Knechte?“ In Carberrys Augen flackerte es verdächtig, als er sich übers Schanzkleid beugte und ebenfalls stierte. Er sah allerdings nichts, schon gar keine Knechte, die im Wasser paddelten.

„Wo siehst du denn paddelnde Knechte, du quergeriggte Hafenlaus? Dir scheint wohl die Sonne zu stark auf deinen abgemähten Vorgarten?“

„Fische meine ich, riesige Fische. Sie springen aus dem Wasser, fliegen gegen den Strom und verschwinden dann wieder. Die Biester sind halb so schwer wie ein ausgewachsener Mann.“

„Und sie springen – einfach so, obwohl sie so schwer sind, was?“

„Ja, natürlich. Ich habe sie ja eben selbst gesehen.“

„Dann laß sie doch springen“, riet der Profos, „aber hör mit dieser dämlichen Zuckerei auf, davon wird man ganz verrückt.“

Der Profos hatte kaum ausgesprochen, als er selbst ziemlich verstört zusammenzuckte und ebenfalls abwehrend den Arm hob. Gerade wieder hatte sich ein Riesenfisch auf eine kurze Flugreise begeben und war dabei so hoch gesprungen, daß er Carberry nur um Haaresbreite verfehlte.

Smoky grinste süffisant.

„Eben warst du der Zuckerer“, erklärte er. „Hör doch mit dieser dämlichen Zuckerei auf, davon wird man ja ganz verrückt.“

Die anderen, die dem hochintelligenten Dialog lauschten, grinsten ausnahmslos.

„War nicht so gemeint“, sagte Carberry einlenkend. „Aber das Biest tauchte ganz überraschend auf, und da kriegt man einen Schreck.“

„Eben“, sagte Smoky, „eben, eben. Mich plagt da aber ein ganz anderer Gedanke, als ich die Knechte sah. Die könnte man doch zur Abwechslung in die Pfanne hauen. Es sind prächtige fette Burschen.“

„Hm, da hast du nicht ganz unrecht.“ Carberry überlegte und kratzte sich über seinen Dreitagebart. „Hm, wirklich prächtige und fette Burschen oder Knechte, wie du das nennst. Aber ich kenne die Fische nicht. Vielleicht sind sie giftig.“

„Dann muß der Kutscher her“, entschied Smoky, „der kennt alles.“

„Fast alles“, schränkte Carberry ein. „Er ist zwar ein belesener Mann, aber das heißt noch lange nicht, daß er diese Fische kennt, zumal er meines Wissens noch nie in dieser Ecke der Welt war.“

Als der Kutscher endlich an Deck war, zog er ein entsagungsvolles Gesicht und seufzte verhalten.

„Geht es wieder um eine dämliche Wette oder irgendwelche hirnrissigen Sprüche?“ erkundigte er sich.

„Diesmal nicht“, sagte Carberry. „Hier tummeln sich ein paar kapitale Burschen im Fluß, aber keiner kennt sie. Smoky meint, sie gäben eine prächtige Mahlzeit ab.“

„Zackenbarsche sind es jedenfalls nicht“, meinte Smoky, „aber sie sind fast genauso groß.“

Der Kutscher drehte sich um und blickte in den Fluß. Es dauerte keine halbe Minute, da sprang der nächste Fisch schlängelnd hoch und verschwand mit einem lauten Aufklatschen.

„Das sind Lachse“, erklärte der Kutscher mit der größten Selbstverständlichkeit. „Sie wandern die Flüsse hoch. Diese Sorte hier ist der sogenannte Tigrislachs, eine Delikatesse übrigens. In den nordeuropäischen Meeren gibt es ebenfalls Lachse und Salme. Sie schwimmen jetzt zu ihren Laichplätzen und überspringen dabei mühelos Hindernisse bis zu mehr als drei Yards.“

 

„Woher weißt du das denn schon wieder?“ fragte der Profos argwöhnisch.

„Man liest viel, kommt viel herum, und man überlegt gewissenhaft und macht sich Gedanken. Ich kaufe mir an manchen Orten eben entsprechende Lektüre, und daraus kann man viel lernen.“

„Eines Tages wirst du noch mal wegen fortgesetzter Lektüre eingesperrt“, sagte Carberry grinsend. „Du behauptest also, diese Lachse seien Delikatessen.“

„Das ist eine Tatsache, sie schmecken vorzüglich.“

„Bald haben wir eine Menge von den Dingern an Bord“, versicherte Carberry. „Ich werde sie mit den Blinkdingern fangen, mit denen die Zwillinge geangelt haben – was bei Smoky die Glatze zur Folge hatte. Ganze Berge voll werde ich herausziehen.“

„Ich wette, du fängst mit den Blinkdingern keinen einzigen“, sagte der Kutscher so beiläufig.

„Die Wette halte ich“, versicherte Carberry eilig. „Um was geht es?“

„Nicht schon wieder um ’ne Glatze!“ rief Smoky.

„Nein, nein!“ Der Kutscher wehrte lächelnd ab. „Ed muß alle Lachse ausnehmen und säubern, die auf dem Tigris gefangen werden. Einverstanden, Ed?“

Der Profos grinste listig und schlug ein.

„Diesmal hast du dich selbst übertölpelt vor lauter Eifer, Kutscherlein. Erst wettest du, daß ich keine fange, und dann soll ich sie auch noch putzen. Was hältst du dagegen? Ich meine, weil das doch absolut unlogisch ist.“

„Wenn du meinst. Gut, ich gebe dir drei Buddeln von dem selbstgebrannten Dattelschnaps aus meinen Beständen. Er ist gerade fertig geworden und schmeckt prächtig.“

Der Profos grinste bis an die Ohren. Gleich darauf flitzte er los, um sich bei den Zwillingen das Angelzeug zu holen. Philip und Hasard brachten es ihm und standen neugierig daneben.

Der Kutscher lehnte wie gelangweilt am Mast und schaute zu. Auch die anderen umstanden Carberry, der jetzt zu angeln begann. Sie alle wußten um die Wirksamkeit der kupfernen Blinker. Die Zwillinge hatten es demonstriert und bewiesen, wie und daß es funktionierte. Bestes Beispiel für das Funktionieren war immer noch Smokys Glatze.

Der Profos warf die Angel aus. Im Sonnenlicht waren in dem klaren Wasser deutlich die Reflexe des Blinkers zu sehen, die sich wie eine vergoldete Spur durch das Wasser zogen.

Da schnellte wieder ein Lachs dicht neben dem Blinker hoch.

„Ha, der beißt gleich an!“ prophezeite Carberry.

Aber der Edelfisch dachte nicht daran, auf das Talmi hereinzufallen. Er schenkte dem blitzenden Zeug überhaupt keine Beachtung.

„Na, er wird gerade satt sein“, meinte der Profos. „Da ist man schon ein wenig verwöhnt, wenn nichts Kringeliges dranhängt.“

Eine halbe Stunde lang stand er sich die Beine in den Bauch. Sein Gesicht mit dem wilden Amboßkinn und den vielen Narben färbte sich allmählich knallrot, zumal der Kutscher wie gelangweilt am Mast herumlümmelte und dazu süffisant grinste.

Auf dem Achterdeck der „Santa Barbara“ grinste auch einer, und der verstand von Fischen mehr als alle anderen zusammen, denn er hatte den Beruf des Fischers schon als kleiner Bengel gelernt. Ben Brighton war es, der sich über den eifrigen Profos amüsierte.

„Wir sollten den guten Ed auf den Planken festnageln“, sagte er, „damit er nicht umfällt. Er wird in einer Woche immer noch so dastehen und keinen einzigen Lachs fangen.“

„Laß ihn doch, er weiß ja immer alles besser“, sagte Dan. „Aber ohne ihn hätten wir nur halb soviel Abwechslung an Bord.“

Das bestätigte auch Don Juan, der interessiert zusah, wie der Profos immer wieder die Blinkerschnur aus dem Wasser holte und erneut auswarf. Schon jetzt war ihm anzusehen, daß er sich mächtig ärgerte, denn die Lachse scherten sich den Teufel um seinen blinkenden Köder.

Mac Pellew war mittlerweile auch aus dem Kombüsenschott getreten und schaute so melancholisch drein wie ein erfolgloser Leichenbestatter, dem alle potentiellen Kunden abgeschworen hatten.

„Wie lange dauert das denn noch, bis du den ersten Hering endlich an Bord hast?“ erkundigte er sich bei Ed, der gerade schwungvoll die Angel kreisen ließ.

„Ich fange keine Heringe, sondern Lachse“, belehrte ihn der Profos. „Weil sich Heringe zu fein sind, um in orientalischen Gewässern herumzuschwimmen.“

„Soso, Lachse fängst du“, sagte Mac gähnend. „Bisher sieht man aber nicht einen einzigen.“

„Du wirst noch genug davon kriegen. Das dauert eben ein bißchen.“

Der Profos hatte die Worte aus dem Mundwinkel heraus gezischt, denn gerade als Mac zu nörgeln anfing, schwamm ein riesiger Brocken direkt hinter dem Blinker her. Er war auch jetzt noch dran.

Der Profos kniff die Lippen zusammen, kriegte schmale Augen und bewegte den Blinker auf und nieder.

„Hierher, Bürschchen“, lockte er, „schau mal, was wir hier für eine feine Sache haben. Beiß endlich an, du Krüppel!“ schrie er dann wutentbrannt, als dem Lachs das Blinkern zuviel wurde. Er schwamm an dem Blinker vorbei und verschwand.

„Die Fische hier sind genauso hochnäsig wie die lausigen Kamele“, fluchte Carberry. „Na schön, wenn sie die Glitzerdinger nicht wollen, dann nehme ich eben Speck.“

Er scheuchte Mac in die Kombüse, damit der ihm ein paar Speckwürfel schnitt. Mac tat das bereitwillig, wenn auch mit mürrischem Gesicht und leisem Herumgenöle.

Unter den Augen der erwartungsvoll blickenden Arwenacks, die alle diese prächtigen Lachse immer wieder springen sahen, versuchte der Profos es jetzt mit Speckwürfeln. Er wollte auch noch ein paar Zaubersprüche aufsagen und Beschwörungsformeln murmeln, wie er das einmal bei Fischern in der Südsee gesehen hatte, aber dann lachten sich die Rabauken vermutlich krank. Also begnügte er sich mit lautlosen Sprüchen, die ja auch manchmal wirkten.

Eine Stunde lang badete er den Speck, zog ihn hoch, beäugte ihn mißtrauisch, schnupperte daran und warf ihn erneut aus.

„Wie lange gilt denn unsere Wette?“ wollte der Kutscher wissen. „Bis heute abend, morgen mittag oder bis zum Sankt Nimmerleinstag?“

„Eine halbe Stunde noch“, knurrte der Profos. „Dann habe ich zwar die Wette vielleicht verloren, aber ich brauche auch keine Fische zu putzen, was mir sowieso ganz besonders stinkt.“

Der Kutscher gab keine Antwort. Als die halbe Stunde abgelaufen war, verschränkte er die Arme vor der Brust und grinste dünn.

„Kein Lachs, kein Schnaps“, sagte er trocken. „Manchmal geht das eben ins Auge.“

„Das verstehe ich nicht, zum Teufel!“ brummte der Profos. Er war von einem heiligen Zorn über die „hochnäsigen“ Fische erfüllt. „Bei den Zwillingen klappte das doch, sogar auf Anhieb.“

„Die fingen ja auch keine Lachse.“

„Was hat das damit zu tun? Fisch ist Fisch“, wetterte Carberry.

„Eben nicht. Lachse nehmen bei ihrer Wanderung flußaufwärts keinerlei Nahrung zu sich, auch wenn die leckersten Krebschen vor ihren Nasen herumscharwenzeln. Folglich nehmen sie dann auch keine Köder an. Jedenfalls halte ich das für logisch.“

Der Profos stemmte die Fäuste in die Hüften und blies seinen gewaltigen Brustkorb zur Größe einer Tonne auf. Seine Augen blitzten den Kutscher drohend an.

„Und das hast du gewußt?“ brüllte er fassungslos.

Der Kutscher blieb die Ruhe in Person.

„Natürlich war mir das bekannt. Ich weiß das schon lange.“

„Und warum hast du nichts davon gesagt, verdammt? Ich stehe mir die Beine in den Bauch, und du grinst wie ein Vollmond. Ich – ich stehe da wie ein – äh – wie …“

„Wie ein lotrecht geriggter Prielwurm“, half der Kutscher aus. „Oder so ähnlich jedenfalls. Du wolltest doch ganze Berge von Lachsen an Bord hieven. Oder hast du das nicht gesagt?“

Carberry schmiß dem Kutscher die Angel vor die Füße.

„Na schön“, grollte er, „dann habe ich eben die Wette verloren. Du kannst mir jetzt ja die Fische zum Ausnehmen und Putzen geben. War ein prächtiger Witz.“

Der Kutscher bestätigte das ernst und gemessen.

„Später, Ed. Du wirst noch genug kriegen. Unser Kapitän hat bereits beschlossen, etwas weiter voraus vor Anker zu gehen. Da gibt es Untiefen im Wasser, und da springen die Lachse fröhlich darüber hinweg.“

Carberry fiel von einem Extrem ins andere. Er sah, daß ein paar grinsende Arwenacks bereits Fallen und Schoten lösten und die ersten Segel schlackernd im lauen Wind hingen.

Auf der anderen Seite aber war eine Stelle, wo es von Lachsen nur so wimmelte. Sie sprangen wie irrsinnig über eine steinerne Barriere, die ein halbes Yard aus dem Wasser ragte.

„Blöde Viecher!“ schimpfte er. „Statt den leichten Weg zu wählen, suchen sie sich den umständlichsten aus.“

„Das ist nicht nur bei Lachsen so“, meinte der Kutscher, „in gewisser Hinsicht bestehen deutlich erkennbare Parallelen zu gewissen Zweibeinern. Manche gehen extrem umständlich vor, obwohl alles doch so einfach ist.“

Dem guten Carberry verschlug es erst einmal die Sprache.

2.

Hasard hatte auf Anraten Ben Brightons beschlossen, für ein oder zwei Stunden vor Anker zu gehen, um Lachse zu fangen. Das stellte eine Bereicherung des Speisezettels dar und war eine Köstlichkeit, die sie sich keinesfalls entgehen lassen wollten.

Es kam auf ein paar Stunden nicht an. Sie hatten Zeit genug, und in Ländern wie diesen hatte man es schon gar nicht eilig, sonst fiel man nur unangenehm auf.

Ein paar große und weitmaschige Kescher wurden mitgenommen, und schon seilten sich die ersten ab. Sie stiegen einfach auf die Rüste, ließen sich ins Wasser fallen und mit der Strömung zu der Untiefe treiben. Die Fluten des Tigris waren frisch und kühl. Das Wasser selbst war fast kristallklar. Deutlich war der feine Sand unter der Wasseroberfläche zu erkennen.

An der steinernen Barriere blieben sie erst einmal staunend stehen. Das Wasser schäumte und brodelte, und aus den zischenden Fluten lösten sich alle Augenblicke dicke Leiber, die elegant über die Hindernisse schnellten.

„Und alles mit dem Ruderblatt“, sagte Carberry. „Die bewegen nur ein bißchen ihren Achterquirl und schon sind sie drüben. Weshalb schwimmen die nicht durch das tiefe Wasser?“

„Weiß ich auch nicht“, sagte der Kutscher. „Einige schwimmen ganz sicher durch tiefes Wasser, andere eben nicht. Da mußt du schon Gottvater persönlich nach dem Grund fragen.“

„Den sehe ich heute sowieso nicht mehr“, brummte Ed. Der Profos war immer noch ein wenig angesäuert, daß er sich so blamiert hatte. Aber immerhin war es ja seine eigene Schuld gewesen, was, wie?

Die Zwillinge waren dabei, der Kutscher, Ferris Tucker, Matt Davies, Al Conroy und Batuti. Der schwarze Riese hatte ein riesiges Netz zum Abtransport der Beute dabei.

Es erstaunte sie, daß die Lachse absolut keine Notiz von ihnen nahmen. Ganz dicht vor ihnen schnellten sie kraftvoll aus dem Wasser und schwangen sich über die Barriere aus Steinen und Fels.

Matt Davies war einer der eifrigsten Fischer. Er hatte keinen Kescher und probierte es mit seiner Hakenprothese. Als dicht vor ihm ein riesiger Lachs aus dem Wasser schoß und gerade wieder eintauchen wollte, hieb Matt schwungvoll zu. Einen Lidschlag später zappelte der Lachs wie wild an seinem Haken. Nach einem kurzen Schlenker mit der Hakenprothese landete er im Netz von Batuti.

„Der erste“, sagte der Kutscher. „Sieht so aus, als würdest du eine Menge Arbeit kriegen, Ed.“

Der Profos gab keine Antwort. Er holte nur tief Luft und blickte verblüfft auf die vielen zappelnden Leiber. Einer sprang mit solcher Wucht in Jung Hasards Kescher, daß der Junior alle Mühe hatte, auf den Beinen zu bleiben. Im Nu hatten sie ein halbes Dutzend Lachse gefangen, die Batuti im großen Netz zur Galeone hinüberbrachte.

„Man kann sie übrigens auch räuchern“, erläuterte der Kutscher. „Geräucherter Lachs ist was für vornehme Leute. Doc Freemont hatte sich immer welchen bringen lassen.“

„Hast du ihm hin und wieder mal ein Stück geklaut“, fragte der Profos anzüglich, „weil du so gut darüber Bescheid weißt?“

„Ich war in die Köstlichkeiten der Küche bestens eingeweiht und hatte es nicht nötig, zu klauen.“

Der Profos sah zähneknirschend eine Menge Arbeit auf sich zukommen. Und als Matt Davies ihn dann noch fragte, ob er sich nicht auch freundlicherweise am Fischfang beteiligen wolle, da griff der Profos zu, denn das wollte er sich denn doch nicht entgehen lassen.

Batuti trat die zweite Reise über den Fluß an. Seine zappelnde Beute wurde an Bord gehievt.

 

Der Profos stöhnte verhalten, als er das sah. Da würde er Fische, ausnehmen und putzen können, bis ihm ein yardlanger Bart wuchs.

Sie hörten mit dem Lachsfang auf, als von „oben“ zwei Guffas sichtbar wurden, die den Tigris hinuntertrieben.

Diese Guffas hatten sie schon oft gesehen, aber die Gerüstrundboote mit der Fellbespannung erregten immer wieder ihre Aufmerksamkeit, einfach aus dem Grund, weil sie so ungewohnt wirkten.

Genaugenommen waren es mehr oder minder große Körbe, an denen Bug und Heck nicht zu unterscheiden waren. Sie waren aus Weiden korbartig geflochten und mit Tierhäuten überspannt. Meist war der Boden der Guffas mit Stroh ausgelegt. Carberry hatte sie schon als Tröge und Waschzuber bezeichnet.

In den herantreibenden Guffas befanden sich je zwei Männer. Jeweils einer steuerte das Ding mit einem langen Paddel, während der andere danebenhockte und über den Fluß stierte.

Jetzt lag allerdings Unsicherheit in den Gesichtern, als sie die Arwenacks im Fluß nach Lachsen fischen sahen. Auch schien ihnen die große Galeone Unbehagen zu bereiten. Sehr skeptisch und mißtrauisch blickten sie sich um.

„Habt ihr schon wieder Angst, ihr Nachttopfsegler?“ knurrte Carberry. „Kein Mensch tut euch was.“

Er grinste den Burnusträgern freundlich zu, doch die zogen ihre hellen Kapuzen noch weiter über ihre Gesichter und verbargen sich im Schatten. Alle vier hockten sich jetzt so hin, daß nur noch ihre Köpfe über den Rand schauten.

„Ein mißtrauisches Völkchen, diese Bierfaßpaddler“, meinte der Profos, als die Guffas auf gleicher Höhe mit ihnen waren. „Haben die vielleicht Angst, daß wir uns an ihren Kakerlakeneimern vergreifen?“

„Sie sind eben sehr mißtrauisch allen Fremden gegenüber“, sagte der Kutscher. „Sehr viele Fremde kriegen sie wohl nicht zu sehen. Paß auf, da springt einer!“ rief er Carberry zu.

Der Profos reagierte zu spät. Ein großer Lachs verfehlte sein Ziel und prallte ihm ins Gesicht. Carberry suchte Halt, geriet auf die glatten Steine und rutschte aus. Mit einem lauten Klatschen landete er im Bach.

Anschließend fluchte er erst einmal ausgiebig, was die Bierfaßpaddler veranlaßte, ihre Köpfe noch weiter einzuziehen. Die lästerlichen Flüche erschreckten sie, obwohl sie sie nicht verstanden.

Schuld an dem Ausrutscher waren natürlich die „Kaftankerle auf ihrem lausigen Blasebalg, die den Fluß hinabritten“, wie Carberry das lautstark verkündete. Die Guffas würden mit Namen belegt, die selbst die Mesopotamier hätten erröten lassen. Die harmloseste Bezeichnung war dabei noch „Allroundgaleone“. Er nannte sie aber auch „Sautrogsegler“, „Dattelmützen“ und „Abfallkübel“. Danach war sein Wortschatz so ziemlich erschöpft.

Nach einer knappen Stunde hörten sie mit dem Lachsfang auf, denn mittlerweile hatte sich ein ansehnlicher Berg angesammelt. Der bloße Anblick schockierte den Profos schon. Auf der Kuhl zappelten und sprangen die Lachse in die Höhe.

„Mein Gott“, sagte er entsetzt, „die soll ich alle ausnehmen, und dazu noch ganz allein? Damit werde ich nie im Leben fertig.“

„Wette ist Wette“, mußte er sich vom Kutscher belehren lassen. „Smoky hat sein Wort gehalten, und von dir erwartet man das natürlich ebenfalls, vorausgesetzt, du willst nichts an Glaubwürdigkeit einbüßen.“

„Will ich nicht. Aber du hast mich einwandfrei hereingelegt, Kutscher. Du hast mich behumst.“

„Ich doch nicht. Du hast schließlich gewettet, und du hast die Wette verloren. Hast noch höhnisch erklärt, daß alles unlogisch sei. Aber daran wirst du dich sicher noch erinnern können.“

Carberry ging mit einem todunglücklichen Gesicht in die Kombüse und holte sich ein Messer. Die Lachse wanderten unterdessen zu einem großen Teil in die Waschbalje. Aber auf den Planken zappelten immer noch etliche herum.

Inzwischen segelte die „Santa Barbara“ langsam weiter. Es wurde immer schwieriger, auf dem Fluß zu segeln. Nur selten mal gab es eine gerade Strecke. Links und rechts am Ufer standen Dattelpalmenwälder. Über dem Fluß spannte sich der Himmel seidig-blau.

Der Profos hockte mit hervorquellenden Augen auf der Gräting und nahm Lachse aus. Nach einer Weile gesellte sich Paddy Rogers zu ihm.

„Ich werde dir helfen, Mister Profos“, sagte er. „Dann geht es schneller, und wir kriegen auch schneller was zu futtern. Das stimmt doch, oder nicht?“

„Klar stimmt das“, versicherte Carberry dankbar. „Du bist eben doch ein feiner Kerl, Paddy.“

So nach und nach – und weil es ohnehin kaum etwas zu tun gab, als hin und wieder die Segel nachzutrimmen – gesellten sich noch weitere zu Ed und Paddy hinzu. Die Zwillinge hatten sich mit Messern bewaffnet, und selbst das „liebe Mackileinchen“ Pellew half kräftig mit, indem er die geputzten Lachse in Scheiben schnitt.

So wanderte einer nach dem anderen in die Kombüse, wo der Kutscher für die weitere Verarbeitung sorgte. Schon bald zog ein lieblicher und sehr würziger Duft über die Decks.

„Masgouf gibt es nachher, wenn die Fische geputzt sind“, verkündete der Kutscher. „Gerösteter Tigrislachs mit viel Zwiebeln, Tomaten und Knoblauch. Und jeder kann essen, soviel er will.“

Den Kerlen lief bereits das Wasser im Mund zusammen, als die lieblichen Düfte immer intensiver wurden. Und weil sie alle so langsam Hunger kriegten, halfen immer mehr mit.

Der Kutscher brachte eine Buddel voll Dattelschnaps aus eigener Herstellung an Deck. Das Gebräu hatte er schon in der Schwemmlandebene Mesopotamiens, im Schatt al-Arab, angesetzt, und es war hervorragend vergoren.

Als die ersten jetzt einen Schluck probierten, verdrehten sie entzückt die Augen. Der Dattelschnaps war scharf und erinnerte im Geschmack an Arrak.

Carberry war restlos begeistert, einmal über das liebliche Gesöff und zum zweiten, weil die Kerle alle kräftig mithalfen, damit er nicht tagelang vor Bergen von Lachs saß, die noch geputzt werden mußten. Ein bißchen schlitzohrig war das schon, fand er, aber schließlich hatten sich die anderen ja fast darum gerissen, ihm zu helfen. Dabei tat sich ganz besonders Paddy hervor. Der putzte Lachse, als ob er sein Leben lang nichts anderes getan hätte.

Nach einer Weile war der riesige Berg verschwunden. Das Deck wurde gewaschen, danach brachte der Kutscher eine Köstlichkeit an Deck, wie sie schon lange keine mehr gehabt hatten.

Es gab Masgouf, diesen delikaten dickscheibig geschnittenen und gerösteten Lachs mit Zwiebeln, Tomaten und Knoblauch.

Sie schlugen sich die Bäuche voll, bis sie nicht mehr konnten. Hinterher stellte der Kutscher drei riesige Kummen an Deck mit Pfirsichen, Granatäpfeln, Melonen und Weintrauben, und als Dreingabe gab es noch einmal eine Muck Dattelschnaps.

Alle waren restlos begeistert. Der nimmermüde Kutscher aber ging daran, den restlichen Lachs zu räuchern. Einen weiteren Teil davon schnitt er in dicke Würfel und steckte sie auf lange Spieße. Das sollte es am nächsten Tag geben.

Bis zum Schatt al-Arab hin war Moshu El Kekir gefürchtet und berüchtigt. Bekannt war er allerdings bis nach Bagdad hinauf, wo er gewöhnlich Sklaven auf den Märkten zu verkaufen pflegte. Sklaven, die er sich auf den Schiffen beschafft hatte, die er vorher geentert und ausgeplündert hatte.

Seine Beziehungen reichten weit. Er hatte viele Zuträger und Spione, die für ihn unterwegs waren. Außerdem gehörte ihm das „Revier“ jetzt so gut wie allein.

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