Pyria

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Elin Bedelis

Pyria

II. Jagd im Schatten

Elin Bedelis

Pyria

Jagd im Schatten

High Fantasy Roman

Dieser Titel ist auch als E-Book erschienen

Vollständige Taschenbuchausgabe

Deutsche Erstausgabe

Text: © 2021 Copyright by Elin Bedelis

Cover-Illustration: © 2021 Copyright by Maren Gloger

Verantwortlich für den Inhalt:

Elin Bedelis

c/o Block Services

Stuttgarter Str. 106

70736 Fellbach

info@elinbedelis.de

Druck: epubli - ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Lektorat: Irina Siefert

Korrektorat: Ida Salingré

Für Irina,

Danke für deine liebevolle Unterstützung,

dein offenes Ohr

und dass du wie eine Schwester für mich bist.



Content Notes


Eine dunkle Ecke

Gwyn hasste Schiffe. Trotzdem hatte er sich nicht beschwert, als sie wieder in See gestochen waren. Er hatte sich in der letzten Woche über nichts beschwert. Er hatte sich auch nicht gefreut, gesorgt oder geärgert. Wenn es möglich war, schwieg der Feuerspucker. Was hätte er auch sagen sollen, nachdem er es sich mit Machairi verscherzt hatte und von seinem Gewissen heimgesucht wurde? Allein saß er im Schiffsbauch, starrte die Wand an, während sich der Raum um ihn herum unangenehm bewegte, und übte sich im Unsichtbarsein.

Das kleine Schiff schaukelte beträchtlich mehr als das Sklavenboot, mit dem sie nach Hareth gekommen waren. Es war wesentlich wendiger, schmaler und kürzer und hatte weniger Tiefgang. Eilig schnitt es durch die Wellen und wären sie erneut auf einen Sturm getroffen, hätte der das kleine Ding in einem Schlag verschlungen. Doch ein kleineres Schiff bedeutete eine kleinere Mannschaft, bedeutete unauffälligeres Reisen und die benötigte Geschwindigkeit. Nichts davon machte die Seefahrt für Gwyn angenehmer. Ohne dazu aufgefordert werden zu müssen, hatte er sich in die dunkelste Ecke verkrochen. Eine Besenkammer. Er wollte niemanden sehen und niemand, so glaubte er, würde ihn so schnell wiedersehen wollen.

Gwyn folgte Mico. Der hatte lange gebraucht, um zu entscheiden, ob er sich direkt auf den Rückweg nach Cecilia machen sollte oder den Rest der Gruppe um den legendären Schatten folgen wollte, die sich nach Osten aufmachten. Nach den Geschehnissen in Hareths Hauptstadt Om’falo, wo Gwyn das Unaussprechliche getan hatte und Machairi in den Rücken gefallen war, war der Magier verunsichert. Einerseits wollte er nach Hause eilen und nach einem Mädchen suchen. Andererseits schien sich ein Gefühl der Verantwortung eingestellt zu haben.

Vielleicht lag das auch an Gwyn. Der Gaukler hatte die schwarze und rote Tracht der Feuerspucker abgelegt und trug nun braun. Es hatte ihn niemand dazu aufgefordert, Mico am allerwenigsten, und doch war es ein unausweichlicher Schritt. Die Dinge hatten sich geändert in ihrer kleinen Runde von Sonderlingen.

Die Stunden, die Gwyn allein im Halbdunkel der Besenkammer verbrachte, waren gezeichnet von Gedanken, die ebenso düster waren wie die Schatten um ihn herum. Gwyn dachte an Om’falo, an Berge verbrannter Körper und feinen Ascheregen, der sich rau in die Atemwege legte und ihn noch für Tage bei jedem Atemzug daran erinnerte, was er getan hatte. Das sonst unabdingbare Grinsen war spurlos von seinen Zügen verschwunden und er wartete. Er wartete darauf, dass das grausige Gefühl hinter seinem Brustbein endlich aufhörte, dass die Schuld ihm nicht mehr auf der Seele lag und er sich selbst vergeben konnte. Er war dumm. So dumm.

Als es leise an der Tür klopfte, fuhr Gwyn zusammen. Er war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass er die schaukelnden dunklen Regale und den Geruch nach Rattenurin beinahe vergessen hatte. Überrascht sah er zur Tür, sagte aber nichts. Er zögerte. Wollte er nicht am liebsten allein sein? Würde es nicht eine untragbare Last sein, mit einer weiteren Person zu interagieren, wenn er sich gerne aus seinem Kopf verbannt hätte?

Es klopfte ein zweites Mal und Gwyn drückte den Rücken gegen das Regal, als könnte er damit verschmelzen, wenn er sich nur eng genug daran schmiegte. Eigentlich hätte er nichts dagegen gehabt, jemanden bei sich zu haben, um dem endlosen Sumpf seiner Gedanken zu entkommen, aber die Kraft, die es gekostet hätte, jemanden tatsächlich sowohl psychisch als physisch einzulassen, konnte er nicht aufbringen.

Also saß er in der Dunkelheit und wartete, dass die Person wieder ging. Er lauschte und war gerade überzeugt, dass er allein war, als sich die Tür einen Spalt breit öffnete. »Gwyn?« fragte Rish leise und schob ganz langsam die Tür auf. »Bist du hier?«, flüsterte sie und schielte vorsichtig in den Raum. Vom Flur aus fiel ein Streifen Licht in die kleine Kammer und Gwyn kniff die Augen zusammen, weil sie sich erst an die Helligkeit gewöhnen mussten. Er antwortete nicht, aber das hielt sie nicht auf. Zögernd trat das Harethimädchen ein und schob die Tür hinter sich wieder zu. »Es ist wirklich furchtbar dunkel hier«, sagte sie, während sie sich zwei Schritte von ihm entfernt auf den Boden kniete, aber Gwyn hörte die Aufforderung darin.

Nein, er würde kein Feuer machen, nicht einmal in der Größe einer Kerzenflamme. Seit dem Vorfall in Om’falo hatte er nicht die kleinste Flamme entzündet und so würde es bleiben. Vielleicht würde er nie wieder mit diesem zerstörerischen Element spielen. Es war geschehen, was er sein Leben lang gefürchtet hatte: Er hatte die Kontrolle verloren und Zerstörung über unschuldige Menschen gebracht. Nichts konnte das wiedergutmachen. Das Feuer hatte ihn verraten, so wie er seine Freunde verraten hatte, als er den gemeinsamen Plan zunichtegemacht hatte. Das Schlimmste daran war, dass er nach wie vor glaubte, dass er es wieder tun würde. Er hatte nicht die nötige Härte, um ein Mädchen zurückzulassen, das er schon einmal einem grausigen Schicksal überlassen hatte. Vielleicht hätte er jedoch eine bessere Lösung finden können. Inzwischen waren ihm hunderte Möglichkeiten eingefallen, wie er das Ganze weniger dramatisch hätte gestalten können. Wie realistisch das alles war, war dabei vollkommen unerheblich. Es fraß ihn auf.

Als sie verstand, dass sie keine Antwort bekommen würde, seufzte Rish deutlich hörbar und einen Augenblick später wurde es etwas heller im Raum. Überrascht sah Gwyn in ihre Richtung und beobachtete das Mädchen. Jetzt konnte er sie erkennen. Den ordentlich geflochtenen Zopf auf ihrer linken Schulter, die saubere Bluse, das weiche rote Korsett, das sie dazu trug und ihre braune Haut, auf der nun ein leichter, fast silbriger Schimmer lag. Er konnte nicht genau sagen, wo das Licht herkam, aber es reichte gerade aus, um den Raum zu erhellen. Es war, als fiele von irgendwo Tageslicht herein, klarer als das Licht einer Kerze und doch ebenso warm und nur unwesentlich heller. Also hatte wenigstens eine mehr über ihre Fähigkeiten gelernt. Es war ebenso unheimlich wie schön. »Wie geht es dir?«, fragte sie mit angespannt sanfter Stimme. Ein konzentrierter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht und man merkte ihr sehr deutlich an, dass ihre Aufmerksamkeit sich hauptsächlich auf das schwache Licht richtete.

Gwyn zuckte mit den Schultern und sah wieder auf den Boden. Wie sollte es ihm schon gehen? Er hätte ihr sagen können, dass es ihm schrecklich ging, dass der Gedanke, sich von Bord zu stürzen, nur von seiner Angst vor Wasser zurückgehalten wurde und dass er seit sie der Stadt den Rücken gekehrt hatten mit einem seltsamen Gefühl der Leere kämpfte. Er hätte auch so tun können, als sei alles in Ordnung, als hätte er nicht Angst vor sich selbst und der zerstörerischen Macht, die ihm durch die Venen floss und die er nie so sehr gefürchtet hatte wie jetzt. Doch er blieb still.

»Ich hab dir etwas zu Essen mitgebracht«, fuhr Rish fort, als sie keine Antwort erhielt, und schob die Schale, die sie vor sich auf den Boden gestellt hatte, etwas mehr in seine Richtung. »Du musst doch umkommen vor Hunger.« Besorgt musterte sie seine zerwühlten Haare und seine vermutlich ungesunde Gesichtsfarbe, während er auf den körnigen Brei und das Brot in der Schüssel hinabblickte. Sein Magen zurrte sich zusammen bei dem Anblick. Es war, als hätte er Watte gegessen, die nun seinen Bauch vollstopfte und es unmöglich machte, auch nur an Essen zu denken. Er konnte nicht essen, aber auch das konnte er nicht sagen. Er konnte nicht einmal begründen wieso. In den letzten Tagen hatte er fast nichts gegessen, trotzdem bekam er keinen Hunger oder auch nur Appetit. Alles war taub, aber wie sollte er das irgendjemandem begreiflich machen? »Gwyn?«, fragte Rish leise und streckte eine Hand nach ihm aus, als er noch immer nicht antwortete. »Wir machen uns Sorgen um dich«, sagte sie sanft und ihre Hand fand seinen Arm.

Ihre Berührung kribbelte leicht. Das lag wohl an der Magie, die sie aufrechterhielt, auch wenn sie jedes Mal zu flackern begann, wenn sie sprach und ihre Aufmerksamkeit teilen musste. Gwyn unterdrückte ein Schnauben. Er glaubte ihr, dass sie sich Sorgen machte. Darüber hinaus fiel ihm niemand ein, den es auch nur im Entferntesten kümmern würde, was mit ihm war. Mico hatte bestenfalls ein Eigeninteresse daran, dass er sich nicht vom Mast warf. Es war ein weiterer Grund, weshalb er es nicht ernsthaft in Betracht zog.

 

Rish ignorierte sein Schnauben oder hörte es nicht. »Vielleicht würde es dir helfen, darüber zu reden?«, fragte sie leise und dieses Mal flackerte das Licht so bedenklich, dass es sicher gleich zusammenbrechen würde.

Der ehemalige Feuerspucker schüttelte den Kopf. Er wollte nicht darüber reden. Es passte zu ihr, dass sie eine dünne Haut hatte, aber er glaubte nicht, dass sie wirklich etwas über die Schreie sterbender Männer hören wollte, die durch seinen Kopf dröhnten, oder über den Schnitt an seinem Oberarm oder über die gähnende Leere in seiner Brust. Der Schatten hatte die Wunde, die das Horn des Wüstenwurms hinterlassen hatte, perfekt wieder aufgetrennt, als wollte er ihn daran erinnern, dass er ihn von nun an nicht mehr retten würde, wenn alles aus dem Ruder lief. Von Machairi verstoßen zu werden – zu Recht – lastete schwerer auf ihm als alles, was er selbst verbrochen hatte, und dafür schämte Gwyn sich höchstens noch mehr.

»Bist du sicher?«, hauchte sie und löste die Hand von ihm. Mitleidig musterte sie ihn und schwieg einen Moment. »Du hast doch nur getan, was du für richtig gehalten hast«, fuhr sie dann etwas zögerlicher fort.

»Ich habe nicht absichtlich dutzende Menschen getötet!«, fuhr er sie an und erschrak vor sich selbst und das grausige Schuldgefühl schwoll noch weiter an, als sie zurückzuckte und das Licht erlosch. Warum ging sie nicht und ließ ihn allein? Das hätte alles so viel einfacher gemacht. Er wusste doch so schon nicht, wie er das alles weiter aushalten sollte. Es wurde nicht besser davon, dass sie nachbohrte. Trotzdem gab es ihm sicher nicht das Recht, sie so anzufahren. »Tut mir leid«, murmelte er und zog sich noch etwas weiter zusammen. Jetzt, wo es wieder dunkel war, schien der Sumpf in seinem Inneren noch tiefer. Am liebsten hätte er alles vergessen.

Es dauerte einen Moment, dann glomm das Licht wieder auf, noch schwächer dieses Mal. Es reichte gerade aus, um die Umrisse des Mädchens zu erkennen, das mit ihm in dem winzigen Raum saß. »Niemand denkt das«, versicherte sie vorsichtig. Wieder spürte er ihre Hand auf seinem Arm und glaubte, ihr Mitleid in Wellen durch den Raum schlagen zu fühlen. Es tat gut und gleichzeitig war es unvergleichlich schmerzhaft. Er wollte kein Verständnis, wenn er selbst keines hatte. Es gab nichts zu verzeihen und nachzuvollziehen. Alles, was er an jenem Abend getan hatte, war ein einziger großer Fehler gewesen und hatte im Tod zahlloser Menschen und einem wütenden Machairi resultiert. Die Wut, die er auf sich selbst verspürte, musste jeder teilen, der wusste, was geschehen war. Anders konnte es nicht sein. Anders durfte es nicht sein.

Gwyn merkte erst, dass er weinte, als ihm ein jämmerliches Schluchzen entfuhr. Wie konnte ein Schuldgefühl nur so wehtun? Es schnürte ihm den Brustkorb zu, drückte ihm die Kehle zusammen und ließ ihn innerlich brennen. Das Feuer war rebellischer, seit er es so weit zurückdrückte, wie er konnte. Es wartete nur darauf, wieder auszubrechen, wieder Zerstörung zu bereiten und vielleicht dieses Mal Menschen zu verletzen, die ihm wirklich wichtig waren. Dann waren sie auch noch auf einem Schiff. Selbst wenn er dem dummen Impuls nachgegeben hätte, hätte er nicht einmal weglaufen können. Das alles war eine wahnsinnige Katastrophe! Was sollte er tun und wie wollte ausgerechnet Rish, die so unbestreitbar gut war, das verstehen?

»Hey«, flüsterte Rish, als sie hörte, dass er weinte. Das Licht erlosch und er fühlte sich noch schlechter, auch wenn er nicht gedacht hätte, dass das möglich war. Sie wollte ihn umarmen, aber er schob sie fort. Das konnte er nicht ertragen. »Es sind furchtbare Dinge passiert in der Nacht, aber du kannst dir nicht an allem die Schuld geben«, versuchte sie es aus einem anderen Winkel. »Es hätten auch tausende andere Dinge schiefgehen können. Der Plan war reinster Wahnsinn!«

Gwyn schüttelte den Kopf, auch wenn sie das vermutlich nicht mehr sehen konnte. »Sein Wahnsinn funktioniert immer. Wenn ich nicht so dumm wäre, wären alle in Sicherheit gewesen.« Es war bescheuert, einen Plan des Messerdämons umzuwerfen. Hatte er nicht vorher selbst gesagt, dass es zu wahnsinnig war, um zu funktionieren? Er hatte es noch wahnsinniger gemacht und das hatte alles aus dem fragilen Gleichgewicht gebracht, auf dem der Plan basiert hatte.

»Nicht Kendra! Du hast sie gerettet.« Ihre warme Hand fasste sein Handgelenk fester, als wollte sie ihre Aussage unterstreichen. »Es war richtig, sie nicht einem so grausigen Schicksal zu überlassen«, versicherte sie und er konnte hören, dass sie lächelte.

Der Zhaki konnte nicht benennen, warum er zu zittern begonnen hatte. Es war kein wütendes Beben. Es war eine körperliche Reaktion, die vielleicht von der Enge in seiner Brust kam, oder von dem eisigen Schauer, der ihn bei der Erinnerung überlaufen hatte. »Und wenn schon. Ich hätte mich auch festnehmen lassen können, anstatt alle umzubringen!« Für ihn war es schon fragwürdig genug, für das Leben eines Mädchens zahlreiche andere zu opfern. Die Wahrheit war aber noch etwas frustrierender. Er hatte nicht sie beschützt, oder die Prinzessin, die er eigentlich hätte dabeihaben sollen. Auch nicht Vica, Mico und Machairi oder die Faust, die alle irgendwo in Reichweite hätten sein müssen. Nicht einmal den armen Harethi, der in einen Teppich verwandelt gewesen war. Nein, er hatte allein sich selbst beschützt. Es wäre nicht unmöglich gewesen, sich festnehmen zu lassen, als er in die Sackgasse gelaufen war, und vielleicht darauf zu hoffen, dass die anderen ihn befreien würden, bevor sein Kopf über den Boden rollte.

»Du hast doch selbst gesagt, dass du das nicht vorsätzlich ausgelöst hast. Das war ein Schutzreflex. Ila hat auch darüber gesprochen: Das ist normal. Außerdem hast nicht du diese Menschen getötet, sondern das Feuer.« Wie sie das sagte, klang es tatsächlich, als würde sie sich selbst glauben. Sie verstand nichts.

Es war in Ordnung, wenn sie Schutzreflexe hatte. Schließlich war sie neu im Anwenden ihrer Magie. Es war auch in Ordnung, wenn damit ein Übel abgehalten wurde, aber bei ihm war es anders. Er hatte sein Leben lang mit dem Feuer trainiert und ein Kontrollverlust wie dieser hätte ihm nicht widerfahren dürfen. Außerdem hatte er ein viel größeres Übel angerichtet als abgewendet und nichts, wirklich nichts konnte das rechtfertigen. Schon gar nicht, wenn er sich absolut sicher war, dass er es hätte aufhalten können. Zumindest hätte er den Schaden früher begrenzen können. Er war nicht ohnmächtig geworden, so wie es ihr jedes Mal passiert war, er war wie im Rausch gewesen, aber theoretisch im Vollbesitz seiner selbst. Die Tode waren unnötig gewesen und das machte es so grausam. »Wenigstens hab ich ansatzweise bekommen, was ich verdient hab«, murmelte er und merkte, wie Rish ihre Hand verschreckt zurückzog.

»Nein.« Plötzlich klang sie eher bitter als mitleidig. »Seine Reaktion war absolut überzogen und unangebracht.« Ihre Stimme bebte und etwas darin wackelte. Für einen kurzen Moment dachte Gwyn, dass sie sich selbst nicht glaubte, aber dann wurde ihm bewusst, was es wirklich war. Sie fürchtete sich. Noch etwas, woran er schuld war.

»Es gab nur eine Regel, auf die ich mich eingelassen habe, als ich mich ihm damals angeschlossen habe, anstatt zu fliehen: kein Hintergehen. Ich wusste, was passiert, wenn ich den Plan ignoriere und verändere – schon wieder – und ich habe es trotzdem getan. Das ist nicht seine Schuld. Sondern meine.« Es war wichtig, dass sie das verstand. Gwyn war sich immer absolut sicher gewesen, dass er in der Nähe des Schattens wenig zu befürchten hatte, weil er in der Lage war, sich an diese eine goldene Regel zu halten: Man durfte Machairi keinen Grund geben, wütend zu werden, und er hatte stets den Kopf geschüttelt über die dummen Idioten, die es trotzdem taten. Nun war er selbst so dumm gewesen und es war ihm unbegreiflich, wie tatsächlich irgendjemand überrascht über die Konsequenz sein konnte. Tatsächlich war er selbst nur überrascht, dass er nicht tot war. Vielleicht hatte ihre jahrelange Zusammenarbeit, die man fast als Freundschaft hätte betiteln können, ihm doch einen kleinen Gnadenbonus eingebracht … und Mico natürlich.

Rish schwieg. Jetzt hätte Gwyn gerne ihr Gesicht gesehen, um zu wissen, was sie dachte. Dankenswerterweise war sie ein offenes Buch, aber in einem dunklen Raum half das nicht weiter. Stimmte sie ihm zu? Dachte sie noch darüber nach? Wollte sie das Offensichtliche weiterhin abstreiten? Eine ganze Weile war es still. »Du hast es nicht verdient«, flüsterte sie schließlich kaum hörbar aus der Dunkelheit. »Das hier…«, er nahm an, dass sie auf den kleinen Raum oder die braunen Kleider deutete, »hast du nicht verdient.«

Für ihn fühlte es sich wohlverdient an. Dass sie das nicht sah, konnte man ihr allerdings nicht vorwerfen, schließlich kannten sie sich noch nicht lange genug, dass sie das Gesamtbild hätte sehen können. »Spielt keine Rolle«, antwortete er leise und senkte den Kopf.

»Es wird bestimmt alles wieder gut«, versuchte sie nun ihn aufzuheitern, aber er musste sich nicht einmal anstrengen, um den Zweifel zu hören, der in ihrer Stimme mitschwang. Sie war sogar im Dunkeln leicht zu lesen. Wollte er wissen, was Machairi alles sah, wenn er mit ihr sprach? »Und ich mache mir trotzdem Sorgen um dich. Du bist zu hart zu dir.« Das Licht kehrte zurück und obwohl er sie nicht ansah, fühlte er ihren besorgten, mitleidigen Blick. Vielleicht war Licht tatsächlich keine schlechte Idee. Alles schien sofort ein bisschen weniger erdrückend, was nicht viel heißen wollte angesichts der Last, die auf ihn niederpresste. Seufzend schob sie die Schale mehr in seine Richtung. »Iss wenigstens etwas«, flüsterte sie dann.

Ebenfalls seufzend gab er auf und griff nach der Schale. Um sie zufriedenzustellen nahm er sogar einen Bissen von dem Brot. Er kaute eine Ewigkeit darauf herum, während sie ihn beobachtete, als wollte sie ganz sichergehen, dass er es auch nicht wieder ausspuckte. Tatsächlich hätte er gerne genau das getan. Es schien absolut unmöglich, das Stück herunterzuwürgen, egal wie lange er darauf kaute. Als er es schließlich doch über sich brachte, würgte er, weil es sofort seinen Weg hinaussuchen wollte, aber er riss sich zusammen. »Danke«, murmelte er. Irgendwie rührte ihre Sorge ihn schließlich.

»Jederzeit«, antwortete sie leise und dann wurde es wieder still, während sie ihm seinen Freiraum ließ und er damit beschäftigt war, einen weiteren Bissen herunterzuwürgen.