Tales of Beatnik Glory, Band III (Deutsche Edition)

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Im Verlauf des Jahres 1967 gab es Hunderte von Artikeln über die Bedeutung von LSD in den Massenmedien, wobei diejenigen, die dessen Gebrauch zur Gänze verbieten wollten, langsam den Pressekrieg gewannen. Die New York Times veröffentlichte in diesem Jahr mehr als fünfzig Artikel über LSD.

In diesem Frühjahr mietete die Bundesregierung gegenüber dem Psychedelicatessen zu Überwachungszwecken Geschäftsräume an. Zur Tarnung eröffneten die Regierungstypen ein Unternehmen namens Bananadine, Ltd.


Früher war hier eine Pizzeria gewesen und nun wurde die Reihe der bis an die Decke reichenden Ofen mit Stahltüren zum Backen und Haltbarmachen von Bananadine verwendet. Das Unternehmen Bananadine, Ltd. expandierte so schnell, dass die Agenten schon Witze machten, sie sollten sich besser pensionieren lassen, um dann ernsthaft ins Bananengeschäft einzusteigen. Sie vertrieben kleine bananenförmige Pfeifen, mit denen ihr Produkt geraucht werden konnte, und Woche für Woche wurden Tonnen von Bananadine verschifft. Reporter und Fernsehteams kamen regelmäßig, um Interviews zu machen, und die Agenten konnten ihre Umsätze noch steigern, indem sie Anzeigen in Untergrundzeitungen im ganzen Land veröffentlichten.

Die Bullen begannen das Telefon abzuhören und setzten eine Wanze in den vorderen Raum des Psychedelicatessen. Es dauerte nicht lange, bis die Beamten mit ihren Kopfhörern im Hinterzimmer von Bananadine, Ltd. in Aufregung gerieten wegen einer neuen psychedelischen Droge, die auf der anderen Straßenseite in Umlauf gebracht werden sollte.

Folgendes war passiert: Ein verdächtiger Lastwagen mit Alaska-Nummernschild und gelenkt von jemandem namens Reindeer Ron hatte vor dem Psychedelicatessen geparkt, und Agenten beobachteten mit Feldstechern von Bananadine, Ltd. aus, wie Dutzende von verdächtigen Schachteln ausgeladen wurden. Mittels eines auf einem Dreifuß stehenden Teleskops auf dem Dach war es einem Agenten möglich, durch eine dünne Platte in den vorderen Raum zu schauen, wo die Schachteln geöffnet wurden.

Es war gespenstisch. Reindeer Ron hatte buchstäblich Tausende und Abertausende kleiner Phiolen sterilisierten Rentierurins von Tieren gebracht, die im nördlichen Sibirien vermutlich psychedelische Pilze gefressen hatten.

Bei Bananadine, Ltd. kritzelte ein mit Kopfhörer und Tonbandgerät ausgestatteter Agent Notizen des Gesprächs, das jenseits der Straße geführt wurde, auf Papier.

»Woher stammt das Zeug eigentlich?«, fragte eine Stimme.

»Aus Sibirien«, sagte Reindeer Ron.

»Das kommt im Ernst aus Sibirien?«

»Ja, tatsächlich«, meinte Reindeer. »Der Schamane veranstaltet jeden Frühling und Herbst, wenn die Pilze in den Birkenwäldern wachsen, einen Wulstlingspilztanz. Sie haben ihre eigenen Rentierherden und wissen genau, wann die Herden die Wulstlinge fressen. Dann sammeln sie den Urin, und der wird schließlich in heiligen Zeremonien getrunken.«

»Und dann passiert was?«

»Wir kennen eine Möglichkeit, von der Küste aus an Land zu gehen. Wir kaufen ihnen das Zeug ab. Wir kochen es auf, und man hilft uns, es aus Sibirien herauszuschaffen. Es ist nicht für jeden bestimmt, aber Mann, es macht vielleicht high! Wir haben Etiketten drucken lassen«, sagte Reindeer Ron und hielt eine Phiole mit einem regenbogenfarbenen Etikett und dem Aufdruck Reinshine in die Höhe.

Alle lachten.

»Da, wollt ihr’s probieren?«

»Iii-uuu!« meinte Soy Flower, eines der Kinder, die im Stock darüber im Apartment des Psychedelicatessen wohnten, »Daddy trinkt Rudolphs Pipi. Iii-uu, iii-uu!«

Den Beobachtungsposten im Hinterzimmer von Bananadine, Ltd., der via Kopfhörer die Gespräche im gegenüberliegenden Psychedelicatessen mitgehört hatte, ekelte es sogar noch mehr als Soy Flower. Er war so aufgebracht, dass ihm die Kopfhörer herunterfielen, während er seinen Vorgesetzten in Washington anrief und wiederholte, was er soeben gehört hatte.

Sein Chef unterbrach ihn. »Moment mal. Wie war das: Sie haben also diesen Rentierurin, und was ist dann?«

»Den pasteurisieren sie.«

»Und der wird getrunken?«

»Ja. Von den Leuten dieses Stammes, offenbar. Sie kriegen davon einen Rausch oder werden high oder irgendwas in der Art.«

»Da ist Rauschgift drin?«

»Ja.«

»Sind Sie sicher?«

»Ja.«

»Es kommt aus Sibirien?«

»Ja. Aus Westsibirien, ungefähr hundert Meilen landeinwärts von der nach Alaska reichenden Küste.«

»Aber wie zum Teufel schaffen die das raus?«

»Das weiß ich nicht. Es ist ein Stamm von Rentierzüchtern.«

»Sie haben nichts darüber gesagt, wie es verschifft wurde? Wer ihnen geholfen hat? Das ist ein völlig abgelegener Teil von Sibirien. Es sind Lenkwaffen stationiert in diesem Gebiet.«

»Darüber wurde nichts gesagt. Irgendwie schaffen sie es nach Alaska herüber. Wie, das ist nicht klar. Danach wird es offenbar per Flugzeug oder Lastwagen nach New York gebracht. Der Lastwagen, aus dem es geladen wurde, hat ein Kennzeichen von Alaska.«

»Diese verdammten Russen wieder.«

»Russkis.«

»Sie versuchen uns mit Hilfe von Drogen zu schwächen.«

»Es scheint so.«

»Es ist ein Überraschungsangriff.«

»Ja, Sir.«

»Finden Sie alles, was Sie können, über diese Gruppe heraus.«

»Ja, Sir.«

Innerhalb von Minuten fing die Belegschaft von Bananadine, Ltd. an, sich bei den Leuten vom Psychedelicatessen anzubiedern und nach Schäden aufgrund der kommunistischen Verschwörung gegen die verwirrte amerikanische Jugend zu suchen.

Agenten machten sich an die verhasste Arbeit, Mitschriften von sämtlichen Unterhaltungen, die sie auf Band aufgenommen hatten, anzufertigen. Das war nicht einfach. Besonders schwierig waren die Telefongespräche von Lilona of the Space Shadows, in denen sie sich auf ihre verschiedenen literarischen Projekte bezog. Ziemlich lange waren sie der Meinung, sie spräche in einem besonders blumenreichen Rauschgift-Kode. »Diese Hippies reden seltsames Zeug, Chef«, bemerkte ein Beamter, als er das Wort Schamane mit Schah-Mann transkribierte.

Die Agenten wurden zunehmend gereizter, als die Sache in Gang kam und schließlich Phiolen von Reinshine in einem offenen Regal neben Ausgaben der Village Voice und des East Village Other zum Verkauf standen. Der Bundesstaatsanwalt, der für die ganze Angelegenheit zuständig war, gab grünes Licht für eine Razzia im Morgengrauen.

In dieser Nacht verabredete sich Vera Kommissarzhevskaya mit Johnny Ray, um in die Kiva hinunterzusteigen und beieinanderzusitzen und die Stille zu genießen. Sie kletterten über die Leiter nach unten, zuerst Johnny, dann Vera so dicht hinter ihm, dass ihre frisch rasierten Beine an seinen Schultern rieben.

Die Kiva war in Form eines großen Ovals gebaut worden, wobei vom Boden bis zur Decke reichende Zweige zusammengebunden und dann mit Gips und Mörtel bedeckt worden waren, um der Kiva eine überraschende Ähnlichkeit mit einer Lehmbehausung zu verleihen. In ihren abgerundeten Mauern waren alle paar Schritte Nischen für Kerzen gemacht worden, und in der Mitte gab es einen kleinen Altar für eine Feuerstelle mit einer Abzugshaube, die den Rauch in den Hinterhof leitete.

Zusätzlich zu der für spirituelle Zwecke einladenden Gestaltung war das vom Psychedelicatessen angestrebte Klima in der Kiva für erotische Zwecke nicht ungeeignet, indem es mit Pritschen und dick mit Quasten geschmückten Polstern, die im Umkreis herumlagen, recht bequem ausgestattet war. Es war schon so manches Seufzen, Schmatzen, Stöhnen und freudiges Aufjaulen bei Tag und bei Nacht in den mörtelbedeckten Rundungen der Kiva zu hören gewesen.

Es gab eine kleine Glocke am oberen Ende der Leiter, die vor dem Herabsteigen geläutet werden sollte, um dies den im Dunkeln Schmusenden anzukündigen. An diesem Abend bewachten Lilona of the Space Shadows und Indian Annie die Leiter, um zu verhindern, dass irgendjemand zum Meditieren nach unten stiege.

Johnny Ray und Vera verbrannten Salbeiblätter auf dem Altar und kosteten lange Minuten des Schweigens aus. Sie kauten ein paar Brösel magischer Pilze, gerade genug, um der Sache Farbe zu verleihen, und legten sich dann zusammen auf einer Pritsche nieder, die an die Wand stieß, welche die Kiva vom Kellergeschoß der nebenan gelegenen Total Assault Cantina trennte.

Vera reichte ihm einen Salbeizweig, und er rieb ihr damit den Nacken ein und sie ihm den seinen. Dann ließ sie ihr Kleid von den Schultern fallen, und er zögerte, hielt den Salbei, aber sie hielt ihre Brüste in den hohlen Händen, und er wusste, was sie wollte. Er strich mit dem Salbei über ihre Nippel, wobei winzige Partikel der Blätter an dem nach Myrrhe duftenden Öl kleben blieben, mit denen sie sie bereits eingerieben hatte in der Vorahnung, dass er sie wohl genauer betrachten würde.

Sie zog das Tuch über ihren Busen, öffnete aber dafür unten ihr Kleid, um ihm den kleinen gelben Schmetterling zu zeigen, der rot und blau eingerahmt an der Innenseite ihres Oberschenkels zu sehen war. Sie wünschte sich so sehr, dass er ihn berühren möge, aber da in unmittelbarer Nähe des Schenkels die Scham wohnt, zögerte sie, ihn darum zu bitten.

Johnny Ray sah sich den Schmetterling genau an, beugte sich dann hinunter, zog sein langes blondes Haar zu einem Knoten nach hinten, damit es nicht seine Lippen verdeckte, und küsste die gelben Flügel. »Ich küsse Schmetterlinge immer«, sagte er.

 

Das mochte durchaus so sein, aber nun war Johnny sich nicht sicher, was er als Nächstes tun sollte. »Zieh deine Hose aus«, drängte sie. Diesmal war die Scham bei ihm. Vera half ihm, die Hose auszuziehen, und da er das Hemd anbehielt, knüpfte sie es ihm auf und zog es über seine scheuen Arme.

Endlich fickten sie. Sie hatte Tränen in ihren Augen, als der Engel in ihr war. »Es macht nichts, wenn du sofort kommst«, sagte sie. »Ich mach dich wieder steif.« Vera legte mit dem wildesten Stöhnen und Herumgezappel los, das die Lower East Side seit den Tagen von Emma Goldman gesehen haben mochte. Als sie sich wie toll hingab, ähnelte die sehr magere Vera ein klein wenig einem Sack voller motorbetriebener Golfschläger, der sich selbstständig gemacht hat. Johnny ließ sich das nicht zweimal vormachen und drehte ebenfalls durch.

So hingegeben sie auch waren, sowohl Vera als auch Johnny Ray bemerkten langsam ein leises Klopfen und Flüstern, das aus der Wand hinter ihren Köpfen zu kommen schien — der Wand zum Kellerraum der alten Total Assault Cantina.

Und — Wunder über Wunder — sie hörten Applaus! Dazu gab es ein seltsames Schnipsen, das klang, als würden alle in einem Raum mit den Fingern schnipsen, wie es als Applaus bei Dichterlesungen üblich war — rhythmisch, leise, und begleitet von etwas, das wie das Stampfen von Füßen klang, wozu noch ein Instrument, vielleicht ein Saxophon, im Hintergrund leise klagend gespielt wurde.

Spielte da jemand ein Tonband oder eine Platte und kam der Klang durch einen Luftschacht oder eine Abzugsöffnung? Oder vielleicht wirkte das Psilocybin, das, auch wenn die Wirkung schon nachließ, immer noch stark genug war. Da hörten Johnny und Vera etwas, das eindeutig eine Stimme war. »Es ist die Wand!«, flüsterte eine zutiefst erschrockene Vera. »Sie spricht!«

Johnny kniete sich auf der Pritsche nieder und versuchte die Quelle des Lärms auszumachen.

»Hier, fühl es!«, sagte die Schauspielerin. Sie legten beide ihre Hände auf die alten grauen Bretter und spürten ein leises Zittern und ein Summen, das ein wenig wie die surrenden Flügel einer Wespe klang.

»Sie spricht! Die Mauer der Total Assault redet!«

Johnny hörte etwas anderes. Er war der Meinung, dass da jemand vielleicht eine elektrische Säge oder einen Bohrer benutzte, aber einen in der Tat schrecklich gesprächigen.

»Komm ganz nahe an die Wand«, sagte Vera. Sie lehnten sich beide an sie und lauschten vielleicht fünf Minuten den immer wieder einsetzenden Vibrationen und summenden Geräuschen.

»Ist da vielleicht von einer Polizeirazzia die Rede?«, fragte Vera.

»Ich habe nichts dergleichen gehört«, antwortete Johnny.

»Ja! Da, drück dein Ohr direkt an die Wand.« Sie legte ihren Arm um ihn, wobei ihre Brüste seine Schulter küssten, und sie legten ihre Köpfe an das Grau.

Eros unterbrach ihre Abhörtätigkeit und Johnny wurde wieder hart unter Veras freundlicher Hand. Sie setzte sich rittlings auf ihn und half ihm, in sie einzudringen. Diesmal gab es kein Aufstöhnen und keine Schreie, während sie Eros lauschten und zugleich dem Schnipsen, Flüstern und Summen in der Wand.

»Und ich sag dir, ich bin mir sicher«, meinte Vera und beugte sich hinunter, um die zitternden Handflächen auf seine Brust zu legen, »dass es eine Polizeirazzia im Psychedelicatessen gibt. Hörst du das denn nicht?«

Das Knacken und Klirren und die Laute aus der Wand waren stärker geworden, wie ein Radiator, der Töne von sich gibt, nur dass eben Sommer war. Spielte da jemand, der an der anderen Seite der Mauer im Keller der Total Assault Cantina auf der Lauer lag, dem Liebespaar einen Streich?

Johnny Ray drückte ein Brett weg und streckte eine Kerze in Reichweite der Arme in die Dunkelheit, aber es war niemand da.

Dann war eine Reihe von Flüstergeräuschen von oben in der Nähe der Decke zu hören, die wie Vokale und Konsonanten klangen: »Rai ... Psi ... Tom Mor ...«

Die große Rebellenkantine warnte sie. »Hör doch, bitte!«, befahl Vera Kommissarzhevskaya. »Morgen früh wird es eine Polizeirazzia im Psychedelicatessen geben. Wir müssen es allen sagen!«

In diesem Augenblick war auch Johnny überzeugt und zog die Jeans über die Beine hoch. Vera verschloss ihr Kleid mit Johnnys Gürtel, um Lilona und Indian Annie die Geschichte der Pritsche zu erzählen, und stand dann auf der Leiter und rief nach oben, dass sie herunterkommen und an der Wand lauschen sollten.

Innerhalb der nächsten paar Stunden telefonierten sie überall in der East Side herum, um die Leute zu warnen. Sie verteilten das Haschisch, das Marihuana, das LSD, das Psilocybin, das Ibogen und das Peyoteknospen- / Salbeizweige- / Marihuanablätter-Potpourri auf verschiedene Örtlichkeiten die Avenue A hinauf und hinunter. Sie saugten sogar die Ritzen des Bretterbodens, sodass bei Beginn der morgendlichen Razzia das Psychedelicatessen so sauber und frei von Drogen war wie J. Edgar Hoovers Limousine.

Anstelle eines in aller Früh angesetzten Razziaschauspiels mit halbangekleideten, grantigen Leuten, die das Marihuana durch die Spülung verschwinden zu lassen und die Tabletten zu schlucken versuchten, fand die Polizei eine Ansammlung zur Gänze bekleideter und ordentlicher Leute, die in der Kiva und in der Wohnung oberhalb »schliefen«.

In der vie anecdotique säumen Anekdoten die Bahn des Lebens so dicht, wie die übereinandergeschichteten Reihen von Federn auf einem Habichtflügel liegen, und kaum hat die eine Anekdote begonnen, ist schon die nächste unterwegs. So geschah es, dass gerade während die Polizisten auf der Suche nach dem Verbrechen die quietschenden Bodenbretter hochspreizten, das Telefon läutete, und noch bevor die Beamten es verhindern konnten, hatte Vera Kommissarzhevskaya abgehoben. Es war eine Filmgesellschaft in Los Angeles, und sie wollten, dass sie ins nächste Flugzeug stiege. Leider war dies gerade zu der Zeit, da auch ihr nächstes Stück im Luminous Animal Theatre anlaufen sollte. Sie wusste nicht, ob sie Ja oder Nein sagen sollte, bis Johnny Ray herschaute und sie ihm zuflüsterte: »Möchtest du mit mir nach Kalifornien gehen?« Johnny Ray blickte zuerst seine Gitarre und dann Vera mit vor Zustimmung strahlenden Augen an. Genau in diesem Moment drückten die Polizisten Vera an die Wand und suchten ihren schlanken, wohlgeformten Körper nach versteckten Drogen ab.

Johnny Ray ging zur Leiter hinüber, beugte sich zur Kiva hinunter und legte seine Hand ans Ohr, um zu lauschen, ob irgendetwas aus der Dunkelheit da unten zu hören wäre. Das Herumgetue und das Aufreißen von Paketen drang in seine Ohren, aber wenn er in die Kiva hätte hinuntersteigen dürfen, könnte er hören, wie die Wände der Total Assault Cantina sich vor Lachen bogen, als die Beamten durch den Tropfenraum stürmten und alle Kerzen von dem Felsen stießen, der dem strukturlosen Wesen des Amorphen geweiht war, wütend darüber, dass sie nichts anderes fanden als Jointklammern, Räucherstäbchen, Untergrundzeitungen und allerlei optischen Zauber.

Stöhne weiter, o warnende Wand.

D IE GROSSE VERWANDLUNG DER BEATNIKS IN HIPPIES IM TOMPKINS PARK

Anfang ’67 gab es ein großes Be-In im Golden Gate Park in San Francisco, und der Ruf von dessen spiritueller Bedeutung breitete sich bis in die Lower East Side aus, wo ein Phänomen namens Flower Power bereits seine Macht unter Beweis stellte. In diesem Frühjahr schossen die Be-Ins überall in Amerika wie Flieder, Märzenbecher und Akeleien aus dem Boden. Viele, die daran teilnahmen, trugen die belanglose Kleidung der Neuen Bohème, kamen in Schwarz und Grau, aber mehr und mehr Leute, die sich durch die Straßen und Parks bewegten, trugen Weihrauchduft und Pfauenfedern, kamen in prangenden Friedensgewändern daher, die lang waren und flatterten, trugen Spitzen auf nackter Haut, Stirnbänder, sternengeschmückte Zepter und Halsbänder oder zerschnipselte Einberufungsbefehle. Das Be-In war als eine amorphe, nichthierarchische Versammlung gedacht, die im Unterschied zu den rechteckigen militärischen Präsentationsformen eher die Form eines Tropfens hatte. Dahinter steckte die Vorstellung, dass das Leben wellenförmig und nach Axt der lebendigen Zellen der geheiligten Form eines Rauschgifttropfens ablaufen sollte. Diejenigen, die von der Bühne herabblickten, waren endlich vereint mit denen, die auf die Bühne starrten, und alle liefen zusammen herum im graziösen Tempo der Post-Beatniks und tanzten unter Rauschgift in der zeitlosen Zone des Zen.

Tatsächlich war während der vergangenen Monate der Geist der Primärfarben in der Lower East Side groß in Erscheinung getreten. In den Straßen rund um den Tompkins Park waren Turbane zu sehen, gebatikte Blusen, zehenfreie Zaubererschlappen und nahezu völlige Nacktheit, die nur vorsichtshalber mit ein paar Lederstreifen bedeckt war. Der Laden, der unter dem Namen Psychedelicatessen bekannt wurde, war soeben auf der Avenue A nahe der Zehnten Straße eröffnet worden, neben den mit Brettern vernagelten Räumen der Total Assault Cantina. Ringsum gab es diverse weitere Läden für den psychedelischen Gebrauch, in denen erstmals ganz offen Wasserpfeifen, stroboskopische Leuchten, schwarze Glühbirnen, Poster, die offen den Haschischgebrauch priesen, Haschischpfeifen, Marihuanafilter und ähnliche Gerätschaften für den Kiffer und seine Bedürfnisse feilgeboten wurden.

Eine Abordnung der Diggers aus San Francisco war aufgetaucht, an der Spitze ein Typ namens Digger John, um ein paar Pennbuden einzurichten sowie eine Küche mit Gratisausspeisung und ein tägliches Flugblattnachrichtensystem. Es war die Rede davon, dass innerhalb der gesamten historischen Entwicklung nun das Ende der Geldwirtschaft herbeigeführt werden sollte, zusammen mit kostenlosem Nahverkehr und dem betörenden Zauber der Blumen.

Im Verlauf dieser seltsamen Ereignisse wurde es immer offensichtlicher, dass das Wort »Beatnik« nicht länger verwendet werden konnte.

»Ich glaube nicht, dass wir noch länger Beatniks sein können!«

»Nicht? Warum?« Ein Gefühl von Verlust brachte einen Ausdruck von Bestürzung in sein Gesicht.

Fünf Sekunden lang Stille. »Weil wir jetzt Hippies sind.«

»Hippies?«

»Hippies.«

Aus dieser kurzen Unterhaltung entstand der Plan für die Große feierliche Verwandlung der Beatniks in Hippies im Tompkins Park.

Das Wort »Beatnik«, das wir zwar nie verwendet, aber insgeheim geliebt hatten, würde uns fehlen. Teilnehmer an einem Bürgerrechtsmarsch würden nicht mehr in irgendwelchen Kaffs in Mississippi als »Rassen vermischende Beatniks« abqualifiziert werden. Diese Nachsilbe mit ihrem Geruch der durchaus möglichen Nähe zu den Kommunisten, dieses wunderbare »-nik«, welches Polizeistatisten vom Schlage J. Edgar Hoovers veranlasste, leeres Geschwätz über zu verschärfende Maßnahmen gegenüber den Beats in Form dringlicher Mitteilungen an das Netzwerk der Geheimpolizei weiterzugeben, hatte etwas ausgesprochen Höhnisches und Erregendes an sich. Jeder ahnte, dass die Bezeichnung, mit der sie bereitwillig eine ganze Generation auf einen gemeinsamen Nenner brachten — Beatnik —, wobei das »nik« wie ein kommunistisches Vorzeichen vor all den vielfältigen Bedeutungen von Beat stand, von den Reportern in den großstädtischen Nachrichtenbüros innerhalb nur weniger Wochen für immer aus dem Verkehr gezogen werden würde, um sie durch Hippie zu ersetzen.

In der Lower East Side hatte die Devise »leben und leben lassen« eine Tradition von wenigstens hundert Jahren, aber dennoch gab es, wenn es um lange Haare und Liebe ging, eine gelegentlich aufflackernde Feindseligkeit gegenüber der Hippiepraxis, alles, was man sich gestattete, auch in den Straßen offen zur Schau zu stellen. Die Hippies waren unverhohlener als die Beats und das erzeugte Druck von Seiten der Polizei, von ethnischen Gruppen, ja sogar von Süchtigen und jungen Kerlen aus den Straßengangs.

So gab es keinerlei Illusionen bezüglich der Erbärmlichkeit eines Ethos, das sich in seine Bestandteile aufgelöst hatte. Aber dennoch entschlossen sich ein paar Tausend Bewohner der East Side dazu, die Möglichkeiten einer Revolution der Blumen zu erkunden, und dasselbe galt für Tausende andere, die gekommen waren, um sich die Sache einfach anzusehen, ein paar Tage herumzuhängen und dann wieder abzuziehen, entschlossen, sich von keinerlei feindseliger Stimmung beeindrucken zu lassen und stattdessen eine Zone der Freiheit zu schaffen, die zumindest behelfsmäßig von Mauern aus hübschen Farben geschützt war. Das Böse und Kriegerische, das überall vorherrschte, bedrohte ohnehin auch das Langweilige und Schreckliche im selben Maße wie alles Schöne und die hübschen Farben. Also war es immer noch besser, sich vorzugsweise dem Schönen zuzuwenden.

 

Am Abend vor der großen Verwandlung der Beatniks in Hippies organisierten die Diggers eine »Hommage für das Fingerschnippen — Die letzte Beat-Lesung«, eine nostalgische Veranstaltung in der Total Assault Cantina, die fünfhundert Leute besuchen wollten und für die mindestens eine halbe Tonne an schwarzer Kleidung angeschafft wurde. Die Bretter vor den Fenstern wurden heruntergerissen und der Boden der großartigen alten Cantina gekehrt, die elektrischen Leitungen legte man vom neu eröffneten, frisch gestrichenen und duftenden Psychedelicatessen herüber.

Ein letztes Mal erstrahlte die Total Assault Cantina in altem Glanz. Viele hatten vergessen, von welch existentieller Bedeutung es war, zum Applaus mit den Fingern zu schnippen, anstatt auf plumpe Weise in die Hände zu klatschen, während, unterstützt von einer Gruppe Freiwilliger aus der Nachbarschaft, die die Bongos und Congas bedienten, das Celestial Freakbeam Orchestra den zum Bersten vollen Raum mit orthodoxen Jazz/Poetry Riffs in Erregung versetzte, nachdem Beat-Klassiker wie Kerouacs »Mexico City Blues«, Ginsbergs »Sunflower Sutra« und Corsos »Bomb« vorgetragen worden waren.

Aufgeregte Ermahnungen aus dem Publikum, die bald schon für überspannt und tabu angesehen werden sollten, etwa »Contact high! Contact high!« wurden angenommen, mit dem Ergebnis, dass auch die altmodischen Kerouac-Zwischenrufe »Go! Go! Go!« beispielsweise bei Bob Kaufmans »Abomunist Manifesto« durchaus geschätzt wurden. Das Publikum ließ sich die Wörter wie kostbaren Wein auf der Zunge zergehen, Wörter, die schon bald der Vorvergangenheit angehören würden, unter anderem diese historischen

Neologismen mit der Nachsilbe »ville«, wie in »squaresville« oder »nowheresville« ebenso wie die übertrieben häufige Verwendung von Ausdrücken wie »groovy«, »hipster«, »bop kabbalah«, »North Beach«, »fried shoes« und »like, dig it man«. In Zukunft würde es nichts ausmachen, wenn so etwas hin und wieder verwendet werden sollte, aber wenn es allzu oft vorkam, musste es einfach verwunderte Blicke ernten. Leider blieben die Ausdrücke »chick« und »man«, Letzteres mit einem gedehnten und eiernd-klagenden »a« ausgesprochen, irgendwie im Sprachgebrauch erhalten.

Am Morgen nach der letzten Beat-Poetry-Lesung in der Total Assault wurde ein gewaltiger Umzug durch die Straßen der Lower East Side veranstaltet, der sich auf den Tompkins Square Park zubewegte. Die Leute versammelten sich vor der Total Assault Cantina und dem Psychedelicatessen und marschierten in Zweier, Dreier- oder Viererreihen hinter dem Celestial Freakbeam Orchestra her, das in gebatikten Felduniformmützen ausgesprochen elegant war, und ihre Basstrommel dröhnte, spielte den »No More Beatnik March«, wobei die gesamte Menge der Marschierenden in den Chor einstimmte: »When O Lord — boom boom — Am I Going to Be Able — boom boom — to Go Into the Supermarket — boom boom — and Get What I Need With My Good Looks!!?« (»Wann, o Herr, werde ich in den Supermarkt gehen können und dort kriegen, was ich brauche, nur für mein gutes Aussehen?«)

Gelungene Umzüge sind voller Überraschungen. Die erste Überraschung gab es bereits, als der Beitrag, den sich das Psychedelicatessen für den Umzug ausgedacht hatte, von der Höhe der Vierzehnten Straße die Avenue A hinuntertrottete — eine Giraffe, die einen Wagen voller Haschischkostproben zog!! Der Umzug bewegte sich durch die Straßen der Lower East Side, hielt bisweilen an, um Freunde aus den Wohnungen der Beatniks herauszurufen. Die ganze Avenue B hinauf und hinunter zogen sie an den Beat-Bars vorüber — dem Annex, Mazurs, Stanleys — und riefen, riefen, riefen.

Sie marschierten an dem Gebäude 212 Dreizehnte Straße Ost vorbei, in dem einst Emma Goldman gewohnt hatte, und hielten ehrfurchtsvoll an, um die Psychedelische Internationale anzustimmen — »Arise Ye Space Cadets of All Nations!«

Sie stampften an Allen Ginsbergs Klitsche an der Fünften Ost Ecke Avenue C vorbei; am Peace Eye Bookstore an der Zehnten Straße schlossen sich die Fugs an, die mit Songs wie »Kill for Peace« und »I Couldn’t Get High« loslegten, von einem Tieflader herab, auf dem ein großes geheimnisvolles Objekt lagerte, das von einem mit Friedensbemalung geschmückten Fallschirm bedeckt war; und dann ging es an Louise Adams’ Mindscape Gallery vorbei zum Luminous Animal Theatre in der Bowery, dann wieder in Richtung Osten zur Neunten zwischen Avenue B und C, da, wo die Dichter Frank O’Hara und Ted Berrigan einmal gewohnt hatten.

Die meisten Teilnehmer des Marsches waren mit Absicht in ihrer schönsten Beatnik-Ausstaffierung gekommen. Als der Umzug sich jedoch Indian Annies Kommune näherte, kam die Zukunft angetanzt, als aus allen Stockwerken des sechsgeschossigen Gebäudes die Kommunarden in ihrem besten Hippiestaat strömten — mit Turbanen, magischen Stäben, Roben, Pantalons, Schnabelschuhen, Bergarbeitersturzhelmen mit stroboskopischen Leuchten und losen Überwürfen, die viel vom Körper zeigten und nur von Flower Power zusammengehalten wurden.

Vor der einzigen Tagesbetreuungsstätte der East Side drängte sich eine Abordnung der Burned Beatnik Women in den Umzug, ohne sich allzu große Hoffnungen zu machen, obgleich sie sich immerhin von den Männern aus dem Hippie-Milieu etwas mehr erwarteten, als sie es bislang von den Beatniks gewohnt waren. Hipp-ee! Hipp-ee! No ... more ... Beat-nik! Hipp-ee! Hipp-ee!«

Aus einer dunklen Unterkunft im Kellergeschoss an der Neunten Ost drängte sich plötzlich Bebop Bill, der einen zerschrammten Kontrabass vor sich herschob, an dessen Unterseite er einen Kinderroller befestigt hatte. Bebop Bill zog und zupfte die Saiten in der schrägen Art der wahren Bebop-Jünger, sodass seine Baskenmütze wackelte und nickte, während der Schweiß über den Rand seiner Proto-Hipster-Bebop-Sonnenbrille tropfte. Es war dies eine Brille, durch die er einst seinen Blick auf Bird, Bud Powell und Miles gerichtet hatte, bei Sessions in den fünfziger Jahren, nur fehlte jetzt eines der dunklen Gläser, sodass sein völlig abwesendes, in anderen Sphären schwebendes linkes Wahnsinnsauge wie der wilde Entenblick der Unendlichkeit wirkte, als er mit dem Umzug die Neunte Straße bis zum Park hinunterstolzierte, wo die zeremonielle Verwandlung der Beatniks in Hippies stattfinden sollte.

»Mann, ich habe bereits die Verwandlung der Bebop-Leute in Beatniks hinter mir«, sagte Bebop Bill. »Das war vor fünfzehn Jahren in der Künstlergarderobe des Five Spot, und jetzt passiert also noch so ein Ding! Mann, die Zeit reißt sich hier wahrlich den Arsch auf!!!«

Und so strömte der Umzug in den Tompkins Square Park zur feierlichen Verwandlungszeremonie der Beatniks, die zu Hippies werden sollten, am Fuße des sogenannten Flippie Hill. Vor Kurzem waren im Park neue Bänke, Zäune und ein Musikpavillon aufgestellt worden. Der flache Lehmhügel mit Aushubmaterial vom Bau des Musikpavillons war bereits von den Blumenkindern in Beschlag genommen worden.

Am Flippie Hill war ein Zelt für die Verwandlungszeremonie der Beatniks in Hippies errichtet, und rundherum hatten die Diggers heiße Kessel mit farbigen Eintopfgerichten aufgestellt. Das Zelt für die Verwandlungszeremonie war mit Hippie-Prunkgegenständen angefüllt, die Digger John aus ganz Manhattan zusammengetragen hatte. Ein Blick in das Zelt blendete die Augen mit farbigem Glanz, der durch Haschischkostproben aus dem Psychedelicatessen noch verstärkt wurde.

Als Erstes wurde ein »Heiliger Gesang zu Ehren der Verwandlung der äußeren Erscheinung« angestimmt. Jeder wusste, dass von nun an hübsche Farben verehrt werden sollten. Alles Graue und das an Tweedstoffe erinnernde Schwarz waren dem Altkleiderbehälter für Malfetzen in Larry Rivers’ Loft zu überantworten. Es kursierten Texte für die Gesänge, die angestimmt wurden:

Wir werden prächtige, prächtige Farben tragen!

Die nächsten fünfhundert Jahre lang!

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