Die Ruhrpotters

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Die Ruhrpotters
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DieEin Geschrieben fvon Dietrich BussenBand III ,AbgrundtiefAltwarp, DeutschlandParaza, FrankreichApril ISBN 978-3-8442-9264-0published by epubli GmbH, Berlin

1. Kapitel

Die Stimme hörten alle. Wie hätte man sie auch überhören können. Wie der Schrei von jemandem, der sich über einem todbringenden Abgrund an einen brüchigen Ast klammert, hallte sie durch den Frühstücksraum. Diesen Schrei nach Hilfe hatten alle gehört, aber nur einer hatte sie auch gesehen: Finn. Die Stimme gesehen? Geht nicht, oder? Geht doch! Wenigstens bei Finn.

Der Hilferuf hatte sich in seinem Kopf schon in ein Wesen aus Fleisch und Blut verwandelt, bevor irgendjemand sonst sie sah, diese wahrscheinlich menschliche Gestalt, die den Schrei ausgestoßen hatte. So, wie es bei einer Erscheinung zugeht, die nur vor einem auftaucht und für alle anderen unsichtbar bleibt.

Alle starrten in die gleiche Richtung.

Finns Mutter war aufgesprungen, Jana hatte sich mit einem plötzlichen Ruck zum Flur hin gedreht, ihre Tasse dabei umgeschmissen und erst gemerkt, was sie angerichtet hatte, als Kohlrabi in den totenstillen Raum sagte: «Bei mir tropft was.»

Stimmt, dachte Jana, aber wie, und nicht erst seit heute.

Edel fuhr der Schrei durch alle Glieder und sie sah Finn und sie dachte, wie ist der denn drauf, so komisch wie der kuckt.

Auch Oma Schmitz hatte ein merkwürdiges Geräusch gehört. Irgendeinen Ton - zum Gotterbarmen, hatte sie gedacht -, und so etwas wie einen Schatten in Menschengestalt hatte sie gesehen, glaubte sie.

Am Hörgerät kann’s diesmal ja wohl nicht gelegen haben, dachte Oma Schmitz. Oder vielleicht doch, dass die bei der letzten Reparatur irgendwas …? Da hat einer - wer weiß - in die falsche Schublade gegriffen, und - schwupp die wupp - seh ich plötzlich Sachen, die gibt’s gar nich und höre Jammertöne, nur weil allen zum Jammern ist? Mein lieber Scholli, was denn noch alles, 'demnächst auf diesem Kanal' sozusagen. Heutzutage ist doch alles möglich, mit street view und diesen Touchdingern und Satelliten und dem ganzen Gedöns.

Und plötzlich sahen alle die Gestalt in der Tür. Wie auf Kommando ließ Konradi sein Taschentuch, mit dem er versuchte, seine kaffeenasse Hose trocken zu rubbeln, fallen. Er schwenkte seinen Kopf zu Finn, dann wieder zur Tür und wieder zurück zu Finn. Er öffnete seinen Mund, aus dem er ein ungläubiges «Aha» heraus würgte. Dann klappten die Mundhälften wieder zusammen, er neigte seinen Kopf und sah in seine Kaffeetasse. Aber dieser Klotz ist das da auf jeden Fall nicht, soviel steht jedenfalls fest. Eine Frau, und was für eine, kann ja wohl nicht Klotz sein. Und der Finn will uns weiß machen, dass er Klotz im Flur …

«Dann sag doch endlich, wo er ist, Herr Gott noch mal», unterbrach die Frau Konradis Gedanken. «Bitte Finn. Wir wissen doch nicht mehr, was wir … Ich weiß, wo Klotz ist, hast du gesagt. Ich hab`s doch gehört eben im Flur.»

Weiter kam sie nicht. Sie griff mit beiden Händen an ihren Kopf und bedeckte ihre Augen, und alle sahen, dass sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten konnte.

In diesem Augenblick wusste Frau Kantelberg, wer dort in der Tür stand, sprang auf, lief zur Tür, nahm die Frau in den Arm, führte sie zu dem Tisch und bat sie, auf ihrem Stuhl Platz zu nehmen. Eine Tasse Kaffee oder Tee würde ihr jetzt sicher gut tun.

«Frau Öztürk», sagte Finn mit einer Stimme, als ob er gerade aus einem tiefen Schlaf erwacht wäre, «ich …»

«Ja?, sag doch endlich, wo …», unterbrach Frau Öztürk. «Sag’s doch endlich, verdammt noch mal.»

Langsam versteh ich den auch nicht mehr, dachte Edel.

Die arme Frau, dachte Oma Schmitz, und Jana zischte: «Spuck’s aus, Finn.»

Herr Konradi starrte weiter in seine Kaffeetasse. Sein Denkapparat schien nicht mehr zu funktionieren, obwohl er vorsichtshalber nichts gegessen hatte - so wie er immer keine Nahrung zu sich nahm, wenn er glaubte, besonders scharf nachdenken zu müssen -.

Was ist nur mit Finn?, dachte Frau Kantelberg. Warum sagt der nicht endlich, was er weiß? Voller Sorge sah sie zu ihrem Sohn hinüber.

Der erwiderte den Blick. Er sah seine Mutter und auch die anderen an dem Tisch, aber irgendwie schien er nicht zu begreifen, was sich um ihn herum eigentlich abspielte.

Wie ein Außerirdischer kurz nach der Landung auf einem fremden Planeten, dachte Jana.

Finn ist nun mal anders, sagte sich Edel. Und als Oma Schmitz der Junge muss ins Bett sagen wollte, sagte Finn: «Ich hab Klotz gehört, heute Nacht. Er hat gerufen, und die Nazis waren auch da.»

Im Gegensatz zu dir, dachte Jana. Du bist immer noch woanders, aber megamäßig außerhalb.

«Dann sag doch um Himmels Willen endlich: Wo!»

«Ich darf dann mal …», unterbrach Herr Konradi, der inzwischen wieder über seine Kaffeetasse hinwegsah.

Oh Gott, der nicht auch noch, dachte Oma Schmitz, nahm allen Mut zusammen und sagte: «Herr Konradi, Sie dürfen im Augenblick gar nichts. Entschuldigen Sie, aber der Einzige, der im Augenblick darf, ist Finn, aber der braucht wohl noch einen Augenblick. Oder Finn, biste schon soweit?»

Man ist die cool. Edel sah bewundernd zu Oma Schmitz.

Jana lächelte und zeigte Oma Schmitz ihre Faust mit einem senkrecht nach oben ausgestreckten Daumen.

Erleichtert lächelte Oma Schmitz zurück. Und in dem Augenblick sagte Finn: «Klotz ist im Krater.»

«In welchem Krater? Wo ist denn hier ein Krater? Und wieso ist Klotz, ich meine mein Sohn, da drin? Finn, da stimmt doch was nicht.»

Das kannste laut sagen, dachte Edel.

Was für ein Durcheinander. Klotz im Krater und womöglich nicht mehr am…Oh Gott, das darfst du nicht mal denken, Oma Schmitz, versuchte sie, ihre Befürchtungen zu verscheuchen.

Man nennt es, glaub ich, Hellsehen, huschte es durch Janas Kopf. Und Bilder aus Filmen mit meist älteren Damen beim Tischerücken im flackernden Licht einer einzelnen Kerze tauchten auf. Son Quatsch, absoluter Blödsinn, ab in die Kiste, knallte sie ihren Gedanken um die Ohren.

Konradi hob seinen Körper, genauer gesagt seinen Kopf, von der Kaffeetasse weg, bewegte seine Blicke einmal um den Tisch, verharrte bei Frau Öztürk und erklärte: «Einen Krater haben wir schon, seit gestern. Das ist aber auch alles.» Und es hörte sich so an wie: Außerdem übernehme ich jetzt wieder das Kommando hier.

Wie mit der Stimme aus einem Automaten wiederholte Frau Öztürk: «Hier gibt es einen Krater seit gestern und seitdem ist mein Sohn …?» Weiter kam sie nicht. Ihr Kopf neigte sich zu ihrer Brust und ihre Schultern sackten aus Frau Kantelbergs Händen.

«Vorsicht», rief Jana. Frau Kantelberg griff wie im Reflex nach den Schultern, die ihr entglitten waren, und bewahrte die bewusstlose Frau vor dem Aufschlag auf die Tischkante.

Edel rief: «Ich hole Wasser», während Oma Schmitz in ihrer Handtasche kramte und vor sich hin murmelte: «Eigentlich müsste ich Tropfen für so was dabei haben. Immer, wenn man se mal braucht, dunnerlütchen.»

Meine Güte, was sich so alles ansammelt. Sogar der Rosenkranz, stellte sie erstaunt fest, der sollte doch eigentlich mit Anton ins Grab, schön um den Hals gehängt, dass er was hermacht, für alle Fälle, auf seiner Wanderschaft ins Hundejenseits. Nu ja, dann muss er halt ohne zurechtkommen. Der is ja schließlich nich von Dummsdorf; oder Anton?, tröstete sie sich, während sie sich weiter wunderte, was sich so alles in ihrer Tasche angesammelt hatte.

Irgendeine Stimme schien ihr wie wär’s mit Aufräumen? zuzuflüstern, und während Oma Schmitz später zurückflüsterte, hob sie ihre Hand aus der Tasche, zeigte Frau Kantelberg ein kleines Fläschchen und sagte: «Hier sind se.»

Geht auch ohne … Aufräumen, wie man sieht. Und drängeln lass ich mich schon gar nicht. Alles klar? Und von irgendsoner Mischpoke erst recht nich. Sie klopfte an ihr Hörgerät und dachte, möglich wär’s ja, heutzutage … Hörgerät mit eingebautem Gedankenleser und mit Ansage, was man tun muss, von wegen 'Aufräumen'. Ach, was weiß ich. Dumm Tuich.

«Die helfen, meistens. Fünf Tropfen unter die Zunge. Schaden tun se auf jeden Fall nich.»

Und du Konradi, dachte sie, bist und bleibst ein hoffnungsloser Fall. Sensibel wie’n Klingelbeutel.

Während Frau Kantelberg den Mund der Besinnungslosen mit Zeigefinger und Daumen aufhebelte, spielte sich in Janas Kopf ein Film mit Transfusionsschläuchen und Mund-zu-Mund-Beatmung und Aus-die- Maus ab und Edel sah vor sich einen Tisch, der ihr sehr bekannt vorkam, mit einer Stahlplatte, und auf dem Tisch sah sie eine Leiche und daneben Tante Trudel mit Gummischürze und Waschlappen.

«Frische Luft», befahl Herr Konradi. «Sauerstoff …»

«Das Fenster befindet sich direkt hinter Ihnen, Herr Konradi», bemerkte Oma Schmitz, während sie noch einmal interessiert das Durcheinander in ihrer Handtasche betrachtete.

Wumms, dachte Jana, voll auf die Nüsse und als Zugabe kriegste noch ein besonders sattes Grinsen von mir persönlich.

Herr Konradi, offensichtlich auf dem falschen Fuß erwischt, grummelte irgendwas mit vielen Os und irgendwelchen unverständlichen Rachenlauten vor sich hin, drehte sich rückwärts, stand auf, öffnete das Fenster, setzte sich wieder und richtete seinen Blick erwartungsvoll auf Oma Schmitz.

Will der jetzt ’ne Belohnung, so wie der guckt? Für so was hättes früher nicht mal ein Fleißkärtchen gegeben, aber wirklich. Nee, nee Konradi, Befehl ausgeführt, mehr nich.

Konradis frische Luft breitete sich in leichten Windstößen im Raum aus, Oma Schmitz’ Tropfen lösten sich unter Frau Öztürks Zunge und warteten auf das Wasser, das sie im Körper verteilen sollte. Nur, das Wasser machte Schwierigkeiten, oder vielmehr der Mund von Frau Öztürk. Das meiste schwappte von ihren Lippen zurück auf und in ihre Bluse, und das Wenige, das in ihren Mund gelangte, spuckte sie wieder aus, und gleichzeitig - das war aber auch höchste Eisenbahn, dachte Oma Schmitz - verließ Frau Öztürk auch die Ohnmacht.

 

Und für Finn gleich ’ne volle Dröhnung hinterher, von den Wundertropfen, dachte Jana. Vielleicht, dass er dann runterkommt von seinem Trip.

Frau Kantelberg beugte sich zu Frau Öztürk herunter, fragte, ob es denn wieder ginge und reichte ihr das Glas mit dem restlichen Wasser.

Frau Öztürk trank das Glas leer, sagte: «Dann werd ich mal suchen in dem Krater. Da soll er doch sein, oder Finn? Kann mir denn einer zeigen, wo der ist, der Krater? Der Herr vielleicht?» Sie zeigte auf Konradi.

Wieder richteten sich alle Augen auf Finn. Der schien langsam zu begreifen, dass alle irgendeine vernünftige Erklärung von ihm erwarteten.

Als ob ihn ein Fremdkörper störte, rieb er seine Augen, vielleicht waren es aber auch die scharfen Blicke, die ihn blendeten. Er schüttelte seinen Kopf, als ob er irgendeinen Ballast entfernen müsste, nahm wahr, dass auch Edel und Jana ihn ohne Unterbrechung anstarrten, und sagte: «Ich habe Klotz gehört, und ich habe die Nazis gesehen, und ich war auch in dem Krater.»

Jetzt schienen alle den Atem anzuhalten, so still war es. Bewegungslos saßen sie und warteten. Vom Fenster aus strich ein Windhauch in den Raum.

Wenn er’s sagt, dachte Jana.

«Und», fuhr er fort, «das war wie in einem Traum, der total wirklich abläuft, so, wie im richtigen Leben und nicht nur geträumt. Ist doch klar, oder?.»

Na ja, dachte Jana, klar is irgendwie anders.

Klar wie Kloßbrühe, dachte Oma Schmitz, hab ich auch manchmal.

«Ich müsste auch noch die Stelle finden, wo ich runtergeklettert bin.»

«Im Traum, ich glaub’s ja nich.» Höhnisch lachend sah Herr Konradi in die Runde.

Ach du Kacke, murmelte Jana vor sich hin. Und du Alter, fick dich, egal wohin.

Geträumt hat er, das stimmt, und zwar ziemlich laut, dachte Frau Kantelberg, und Oma Schmitz sagte: «Warum soll er uns eigentlich die Stelle nicht zeigen? Besser als hier rumsitzen, is es allemal. Oder Herr Konradi?»

Bei ‚Konradi’ hörte sich ihre Stimme an, als ob sie jeden Buchstaben einzeln über eine grobkantige verrostete Reibe reiben würde.

Vielleicht ist es ja das, was der Junge mehr hat als unsereiner, ging Oma Schmitz durch den Kopf. Dass der im Traum Sachen sieht, die irgendwo gleichzeitig tatsächlich passieren, dass der ein paar Zellen im Kopf hat, die unsereiner nich hat, oder die bei uns unterbelichtet sind, die auf so was reagieren, und wenn es sich um einen Freund handelt, erst recht. Ich träume ja immer nur von ollen Kamellen, obwohl, so oll sind die manchmal eigentlich gar nicht. Aber passiert sind die schon, manchmal wenigstens. Na ja, wenn mann's nicht so genau nimmt. Und der Finn hat eben noch ein bisschen mehr auf Lager. Warum eigentlich nich?

2. Kapitel

«Einer müsste Stallwache halten», erklärte Herr Konradi. «Möglich, dass irgendwelche Nachrichten einlaufen, die für den infrage stehenden Fall von Bedeutung sind.»

Frau Öztürk sah ihre Nachbarin, Frau Kantelberg, fragend an. Die flüsterte: «Der meint ihren Sohn.»

«Ach so, natürlich», flüsterte Frau Öztürk zurück und fasste sich an die Stirn. «Ich bin noch ganz durcheinander. Hoffentlich ist ihm nichts …» Wieder kamen ihr Tränen.

Selbst, wenn er recht hat, stehen einem die Haare zu Berge, ärgerte sich Oma Schmitz. Stallwache halten für den infrage stehenden Fall! Mensch Konradi, versuch’s mal mit Normal!

«Wir werden ihn sicher finden, ganz sicher. Jungens in dem Alter können einen schon mal in Angst und Schrecken versetzen, und nachher war alles ganz harmlos», versuchte Frau Kantelberg zu beruhigen.

«Meinen Sie?», flüsterte Frau Öztürk, während sie sich Tränen aus dem Gesicht wischte.

«Bestimmt», bekräftigte Frau Kantelberg. Hoffentlich, dachte sie.

Oma Schmitz bot an, das Haus zu hüten. Sie sei eh nicht besonders gut zu Fuß.

Und womöglich geh ich bei dem Durcheinander am Krater auch noch verschütt. Aber das dachte sie nur.

«Oh Gott, und was ist mit der Kleinen?» Frau Kantelberg fiel ein, dass sie ihre Tochter in der Aufregung aus den Augen verloren hatte.

«Die spielt oben», erklärte Finn.

«Ach ja? Aber … mitnehmen?»

«Ich bin doch schließlich auch noch da», beruhigte Oma Schmitz Frau Kantelberg. «Ich kümmere mich schon. Keine Sorge.»

Ne Oma im Haus ist irgendwie praktisch, ging Edel durch den Kopf. Und unsere Oma sowieso.

Auf dem Weg zum Krater übernahm Herr Konradi wieder die Führung.

Auf Grund alter Beziehungen verfüge er über ein Funktelefon - mit stolzem Grinsen zeigte er auf einen schwarzen Kasten, der an seinem Hosengürtel baumelte - , das ihm einen ständigen Kontakt mit der Einsatzleitung ermögliche.

Aus welchem Jahrhundert stammt das Gerät denn?, dachte Jana. Dieses … dieses Schrottomobil.

Herr Konradi ging also voran, es folgten Frau Öztürk und Frau Kantelberg und zum Schluss Jana und Edel mit Finn in ihrer Mitte.

«Das hast du alles genau so gesehen und gehört?», sagte Edel vor sich hin.

«Wenne mich meinst, ja, wirklich. Ich weiß auch nich. Ich hab das eben manchmal, dass ich Sachen träume, die genau so passiert sind, sogar, wenn ich vorher noch nie was davon gehört habe.»

«Leck mich, ich meine, ach du Scheiße», Jana betrachtete Finn mit ungläubigen Blicken. «Echt scharf die Nummer. Und», sie überlegte, »sind das immer nur Sachen, die schon passiert sind, oder klappt das auch mit der Zukunft, also mehr so science-fiktionmäßig, ich meine in Richtung Wahrsagen oder so was in der Art …?»

Gedanken wie: ich Feuerschlucken - du Wahrsagen - wir Superduo - Zirkus Roncalli - Megakohle - Europatournee - Las Vegas? - purzelten in ihrem Gehirn herum.

Finn blieb stehen, kräuselte die Stirn, so, als ob ihn Janas Worte auf etwas gebracht hätten.

«Quatsch, ich doch nicht. Aber in Frankreich hat es mal einen gegeben, Nostradamus hieß der» - «bitte Finn, nicht schon wieder französisch, wirklich», stöhnte Edel - «nee wirklich, der hat schon vor ein paar hundert Jahren Sachen vorausgesagt» - Finn war jetzt nicht mehr zu bremsen -, «die erst in diesem Jahrhundert passieren sollen. Zum Beispiel …»

«Ja was, zum Beispiel?»

Die ist ja richtig aufgeregt, unsere schwarze Jana, stellte Edel fest. Die ist doch sonst so cool. Oder, interessieren wir uns in Wirklichkeit gar nicht für diesen komischen und schon seit Ewigkeiten toten Nostradingsbums, sondern für den im Augenblick zwar auch ein bisschen durchgeknallten aber dafür sehr lebendigen Finn, my dear? Mit einem strengen Prüfblick sah sie zu Jana hinüber.

«Also», fuhr Finn fort, «zum Beispiel, was war das noch? Ach ja: den Weltuntergang.»

«Ach nur den», bemerkte Edel und dachte, Weltuntergang … Krater …, passt irgendwie, aber nur, wenn man plem plem ist.

«Und wann soll der sein, der Weltuntergang?»

Die lässt nicht locker, dachte Edel.

«In ein, zwei Jahren, glaub ich, nach neuesten Untersuchungen. Eigentlich schon 2012. Soll sich aber um einen Rechenfehler handeln, das mit 2012. Irgendwie logisch, sonst wär ja schon alles im Eimer. Aber egal. Auf jeden Fall soll es einen Punkt, beziehungsweise Ort in Europa geben, wo nix passiert, der also übrig bleibt, oder wo ein Landeplatz für Ufos ist, oder so ähnlich, und wo Außerirdische die Menschen einsammeln, die zu dem Zeitpunkt gerade da sind. Sowas in der Art eben. Und dieser Ort ist in …»

«Lass mich raten», unterbrach Edel. «Kann sein in Frankreich? Vielleicht?»

Würd mich nicht wundern nach dem ganzen Frankreichgedödel, dachte sie.

«Genau. Wieso …?»

«Ach, nur son Gedanke», wehrte Edel ab.

«Und, hat er auch gesagt, wo genau in Frankreich?»

Langsam reicht’s, dachte Edel und sagte: «Lass mich noch mal raten. Ich tippe auf die Gegend, in die wir im Sommer fahren wollen. Stimmt’s? Wir könnten ja dann schon mal ’ne preiswerte Unterkunft …, wär doch ’ne günstige Gelegenheit, oder?»

Finn blieb stehen, sah Edel mit weit geöffneten Augen an und sagte: «Das ist jetzt aber fast unheimlich. Bis auf ein paar Kilometer stimmt’s wirklich. Ein bisschen weiter unten, in den Pyrenäen. Woher», Finn kam ins Stottern, «ich meine wieso…? Haben wir schon mal ..., ich meine darüber ..., eigentlich nich oder?»

«Schon okay Finn, wieder mal nur son Gedanke», wehrte sie erneut ab. «Ich dachte: unsere Fahrt im Sommer, Südfrankreich, Canal du Midi, die Gegend um Paraza, Weltuntergang, beziehungsweise: Weltuntergang mit Ansage, dein komischer Nostradingsda, deine grauen Zellen …,passt doch. Na ja, die Pyrenäen, war jetzt knapp daneben, die Lokation. Aber sonst!»

Edel machte eine Pause, kräuselte Kinn und Unterlippe und sah Finn so an, als ob er beim Mogeln während 'ner Mathearbeit erwischt worden wäre.

«Mal im Ernst, Finn, du glaubst doch nicht etwa an son Quatsch.»

«Eigentlich nich. Können übrigens auch die Maja gewesen sein, oder beide, also die Maja und Nostradamus, das mit dem Weltuntergang. Aber egal.»

- Maja?, überlegte Edel, ich kenne nur Majo und Ketchup und am liebsten rot/weiß mit Pommes, und wenn’s geht, auch noch nach’em Weltuntergang. Und möglichst die von … -.

«Aber», unterbrach Finn ihre Lieblingsspeise, «denk mal an so Sachen wie … wie Tsunamie zum Beispiel und Finnland mit dem Aschevulkan und Erdbeben und davon mehrere gleichzeitig, die ganzen Atommailer und dann noch die - was weiß ich - trillionenmäßigen Strahlen und Signale überall und immer, und … und die ganzen Atombomben, die hab ich noch vergessen. Und jetzt stell ich mir so vor, dass einer von diesen Winzlingen…»

«Welchen Winzlingen?», erkundigte sich Edel mit starken Zweifeln an Finns geistiger Gesundheit in der Stimme.

«Die Strahlen und Signale natürlich, der ganze digitale Kram eben. Dass also eins von diesen Mikronanoteilen, die da so rumschwirren, an einer bestimmten Stelle die vorgesehene Kurve nicht so richtig kriegt, und auf seiner Irrfahrt - mal angenommen wie’n Geisterfahrer - auf andere Winzlinge knallt und die kommen ins Schleudern und fegen irgendwohin, wo sie gar nicht hingehören und dann sausen alle wild durcheinander und krachen aufeinander und veranstalten ein Riesentheater, Chaos im Orbit sozusagen, und dann, wenn zufällig alles zusammenpasst - also im Sinne von erdbeben-, zunami- und sagen wir mal ... atombombenmäßig - gibt’s den großen Knall und Buff, das war’s.»

Na dann, dachte Jana, und sah Finn von der Seite an. Hoffentlich kreist bei dir noch alles einigermaßen richtig, hirnmäßig. Obwohl ...

«Außer in den Pyrenäen in Südfrankreich natürlich. Was reden wir überhaupt hier!», fuhr Edel in Janas Gedanken. «Finn, komm mal wieder runter. Der Krater dahinten reicht erstmal, und Klotz. Vielleicht ist ja an deinem Traum wirklich was dran. Schick Nostra und die Majo» - «Maja», verbesserte Finn - «egal, in die Wüste und volle Konzentration auf den Krater und Klotz. Stell dir vor, wir finden ihn wirklich. Ich glaube jedenfalls dran.»

«Genau, alles andere is pille palle, erstmal, jedenfalls», stimmte Jana zu. Und die Winzlinge haben erstmal Pause, dachte sie. Obwohl, worüber der so nachdenkt, der Finn. Toll oder durchgeknallt, auf jeden Fall anders, ganz anders.

«Mein Reden, Nostra war gestern und heute is Klotz», bekräftigte Edel, und sie hoffte, dass etwas dran wäre an Finn und seinem Traum.

Finn nickte. Aber, dachte er, mal angenommen, es käm nochmal so einer wie damals der …, der ... Snowden, genau, wie der Snowden und der würde erzählen, was die inzwischen so alles machen oder machen können, außer abhören. Aber egal, jetzt is erstmal Klotz dran, stimmt schon Mädels.

Herr Konradi marschierte weiter voran. Mit festem Schritt bestimmte er das Tempo der Gruppe. Die beiden Frauen hinter ihm, bemüht, möglichst nah an ihm dran zu bleiben. Wortlos gingen sie nebeneinander her. Die Hoffnung auf ein gutes Ende bewegte ihre Gedanken genau so, wie die Furcht vor dem Schrecklichsten. Ab und zu streichelte Frau Kantelberg Frau Öztürk über die Schulter.

Edel, Jana und Finn hielten Abstand zu den dreien. Sie wollten ihre eigenen Gedanken denken, und nicht ständig durch irgendwelche Hinweise ihrer Erwachsenen abgelenkt werden.

 

Dafür sorgten jedoch immer mehr Menschen, die einzeln und in Gruppen an ihnen vorbeihasteten, so, als ob es um die besten Plätze bei irgendeinem Event ginge, oder die Jagd nach irgendwelchen Schnäppchen in vollem Gange wäre.

Am Straßenrand wurden Stände aufgebaut. Getränkedosen stapelten sich. Der Geruch von Grillwürsten und ranzigem Frittenöl breitete sich aus. Das Gedränge wurde immer dichter. Aus Lautsprechern wehten unverständliche Botschaften über das Gelände. Hubschrauber sah man hoch- und niedergehen, hin und wieder verharrten sie auch über bestimmten Stellen, als ob sie was entdeckt hätten. Polizisten und andere Uniformierte versuchten Chaos zu verhindern. Immer wieder drängten Reporter mit Ihren Teams in die geräumte Sicherheitszone um den Krater.

Herr Konradi winkte seine Leute zu sich, erklärte, dass es nun ernst würde, bis zum Krater sei es nicht mehr weit.

«Da hinten, die riesige leere Fläche, da, wo sozusagen nichts mehr ist, da ist er. Und da, wo sie gerade ein Gerüst aufbauen, da muss die Einsatzleitung sein. Ich werde jetzt dort anrufen und einen Kollegen anfordern, dass wir heil dort ankommen. Geleitschutz sozusagen. Solche Massen wie hier sind unberechenbar.»

Dass ich mich in diesem Leben, ohne jeden Scheiß, mal über einen Bullen an meiner Seite freuen würde … Jana schüttelte mit dem Kopf. Superkrass und nichts für schwache Nerven. Ausgerechnet ein Bulle, der natürlichste aller Feinde in meinen Kreisen.

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