Die Ruhrpotters - Band II - Jana und der Supergau ...

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Die Ruhrpotters

Ein Jugend-Roman in vier Bänden

Geschrieben für alle, die sich was trauen…

von Dietrich Bussen

Band II
‚Jana und der Supergau …’

Altwarp, Deutschland - Paraza, Frankreich

Februar 2013

Impressum

Die Ruhrpotters - Band II - Jana und der Supergau

Dietrich Bussen

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2013 Dietrich Bussen

ISBN 978-3-8442-4794-7

Band III erscheint Ende 2013

Am Anfang taucht - wie angekündigt - ein brandgefährliches Mädchen auf.

Ein verschwundener Junge hinterlässt Traumspuren.

Am Ende versetzt ein Loch Dortmund-Brünninghausen und das ganze Ruhrgebiet in Angst und Schrecken.

Erstes Kapitel

«Es tut mir leid, aber es muss sein. Der Zusammenhang mit dem Einbruch liegt doch auf der Hand. Schließlich war ich fast fünfzig Jahre …»

Nicht schon wieder die Story von der Polizei und ‚früher war alles besser’ stöhnte Edel in sich hinein.

«Aber das wissen Sie ja selbst, liebe Frau Schmitz.»

Jetzt nochen bisschen lächeln, und die Anmache wäre perfekt, dachte Edel.

Herr Konradi sah statt dessen angestrengt auf die Tischplatte vor sich.

Sieh mal einer an, liebe Frau Schmitz, dachte Oma Schmitz. Und verlegen wird er auch noch, dieser alte Streifengänger. Aber trotzdem, den armen alten Anton wieder ausbuddeln, wo der sich vielleicht gerade gewöhnt hat an … an seine neue Umgebung. Ach du Himmel, von wegen seine neue Umgebung … Bei dem Gedanken fühlte sie unangenehme Wärme in sich aufsteigen.

Farbe bekennen, sagt man wohl zu so was, oder auch Geheimnis lüften. Eigentlich schade, bedauerte sie, wo wir uns doch so angestrengt haben, dass keiner was mitkriegt. Und keiner war in diesem Fall in erster Linie ein gewisser Herr Konradi. Son schönes Grab. Ich könnt’s ihm sogar von hier aus zeigen. Genau gegenüber vom Fenster, vorm Busch dahinten, mit den schönen Blumen, von Klotz eigenhändig geklaut, gepflanzt natürlich. Entschuldige!

Sie wandte sich mit freundlichen Augen zu Klotz, der neben ihr an ihrem Wohnzimmertisch saß.

Aber leider illegal das ganze. Manche sagen auch das hässliche Wort ‚verboten’ zu so was.

«Ich fasse mal zusammen.»

Konradi holte einen nagelneuen Notizblock aus seiner Aktentasche.

Könnte nen Erbstück von seinem Urgroßvater sein, die alte Speckschwarte, dachte Edel. Hat aber was, das Teil, muss man schon sagen.

«Also», Konradi sah mit strengem Blick und wichtiger Miene in die Runde.

«Was wissen wir. Erstens: bei Frau Schmitz ist eingebrochen worden.»

Is ja ganz was Neues, dachte Klotz. Schließlich waren wir die ersten am Tatort.

What of news, Kohlrabi, oder auch, kalter Kaffee Oldyman, war Edels stummer Kommentar.

Liebe Frau Schmitz vorhin, hat sich irgendwie besser angehört, dachte Oma Schmitz.

«Zweitens: eine Police ist verschwunden.»

How, der Fachmann hat gesprochen, dachte Finn. Der Herr vermisst eine Police!

Was geht uns deine ‚Police’ an. Ich kenne nur Politessen, und die kann unsere Familie überhaupt nicht leiden, von wegen Gemüsestand und Lieferwagen und Knöllchen. Und …»

«Die Versicherungspolice ist seit dem Einbruch auf jeden Fall abgängig, genauer gesagt», unterbrach Konradi Klotz’ Gedanken.

Wie jetzt, doch keine kleine Nachwuchspolitesse verschwunden? Auf Klotz’ Stirn zeigten sich erste Falten.

Ach herrje, dein Polizeideutsch hättest du aber auch schon entsorgen können. Abgängig, genauer gesagt, dachte O. Schmitz.

«Wir haben Fußabdrücke, wir haben Blutspuren, wir haben Haare. Alles vermutlich vom Täter. Und wir haben eine Täterbeschreibung von Ihnen, liebe alte Freundin, wenn ich das so sagen darf.» Er versuchte ein Lächeln in Oma Schmitz’ Richtung.

Ohne alt, wenn’s geht, alter Freund, dachte Oma Schmitz und sandte ein dünnes Lächeln zurück.

Na, na, na, ob sich da was tut?, dachte Edel und lächelte zu Oma Schmitz hinüber.

Die bemerkte den Blick und schüttelte energisch den Kopf. Auf den Kopf gefallen ist die Edel auf jeden Fall nich, dachte sie.

«Und das ganze brauchen wir leider Gottes nochmal», erklärte er weiter, «vom lebenden Objekt, so zu sagen. Also, Haare sind immer noch das einfachste, aber Blut?» An seinen Kopfbewegungen konnte man erkennen, was er dachte: schwierig, äußerst schwierig.

Very difficult, indeed, dachte Edel.

An einem scharfen Messer soll’s nicht scheitern, dachte Klotz. Da könnte ich aushelfen. Eine superrattenscharfe Schneide. Und damit einmal ritsch-ratsch und der Saft sprudelt.

Seit dem Überfall auf seinem Onkel hasste er Nazis. Bis dahin konnte er sie nur nicht leiden.

Dass es sich in beiden Fällen um Nazis handelte, stand für ihn fest.

«Und Fingerabdrücke. Die sind immer nützlich. Vielleicht sind die schon gespeichert und lassen Rückschlüsse zu. Aber auch das müsste zu schaffen sein. Die notwendigen Laboruntersuchungen ..., eigentlich auch kein Problem. Da gibt es noch ein paar alte Kollegen. Aber der Fußabdruck …, also das Original …, wie soll ich sagen …?»

«Ich tippe mal auf die Schuhe des Täters.» Edels Stimme klang irgendwie genervt. «Genau, genauer des Verdächtigen. Aber das ist jetzt nicht so … Der wunde Punkt ist, wir können ja nicht so ohne weiteres die Wohnung von ihrem Neffen, Frau Schmitz, durchsuchen, dazu noch ohne …»

Ein paar K. O.-Tröpfchen wären nicht schlecht, überlegte Klotz, und dann ab mit den Schühchen von den Füßchen.

Endlich kommen wir auch mal zum Zug, dachte Finn, gab Edel einen leichten Fußtritt ans Schienbein, die verstand das Zeichen, drehte sich zu Herrn Konradi und erklärte ihm, dass sie sich darüber auch schon Gedanken gemacht hätten.

«Was halten Sie als Fachmann denn davon …»

Schmeichel, schmeichel, dachte Klotz.

Sie berichtete ihm von dem Plan mit der Einladung und Schuhe ausziehen wegen frisch gebohnert, Fotografieren von Schuhsohle und Vergleich mit dem Foto von dem Abdruck auf der Wiese.

«Was halten Sie davon? Wir dachten, Sie, nach so vielen Jahren als Profi, hätten vielleicht schon ähnliche Fälle …». Ein kleines Lächeln packte sie noch oben drauf. Den brauchen wir schließlich noch, dachte sie.

Nicht mal übel, diese Edel, dachte Herr Konradi und versicherte, dass er an diese Möglichkeit natürlich auch schon gedacht habe - natürlich!, wer’s glaubt, zweifelte Klotz. -, aber, so fuhr Herr Konradi fort, mangele es ihm an einem entsprechendem Gerät.

Oh Gott, seufzte Oma Schmitz, das hält ja kein Schwein aus. Bei dir im Kopf scheint es auch zu mangeln, aber ein bisschen sehr heftig.

«Damit können wir aushelfen, Herr Konradi», sagte Finn, und er schaffte es noch so gerade pas de probleme herunterzuschlucken.

«Nich Klotz, du hast doch schon den Abdruck auf der Wiese in 1a Qualität …»

«Logo», brummte Klotz. Warum sind die eigentlich alle so scheißfreundlich zu dem. Ist doch schließlich nur ein Bulle, ein ehemaliger. Hoffentlich ist diese Session hier bald zu Ende. Ich habe Wichtigeres im Speicher als Fußabdrücke und son Krempel.

Seine Gedanken kreisten um eine Schatzkiste, und der Überfall auf seinen Onkel auf dem Schrottplatz an der Lütgeheidestraße saß ihm auch noch in den Knochen, und dass es höchst wahrscheinlich einen Zusammenhang gäbe mit dem Einbruch bei Oma Schmitz.

Aber ich darf ja nicht drüber reden. Weiß der Henker, warum.

Klotz ist irgendwie nicht in Form heute, dachte Edel. Komisch. Der ist schon den ganzen Tag so …, so neben der Rolle.

Herr Konradi lehnte sich in seinem Sessel zurück, strich mit einer Hand über sein glatt rasiertes Gesicht, während er mit der anderen an seinem Kugelschreiber herumfummelte.

«Übrigens», sagte er plötzlich, «wo befindet sich denn eigentlich ihr Hund jetzt, Frau Schmitz?»

Nun wurde es auf einmal ganz still in Oma Schmitz’ Wohnzimmer.

Oha, das war’s dann wohl, war Edels erster Gedanke. Sie sah zu Oma Schmitz. Die antwortete mit leichtem Schulterzucken.

Omas Höckerchen bewegt sich, dachte Klotz, und Finn erinnerte sich an Oma Schmitz’ Spruch: in der Ruhe liegen Saft und Kraft.

«Oder haben sie den etwa endgültig …» - Die ungewöhnliche Stille im Raum war inzwischen auch bis zu ihm vorgedrungen. - «oder gibt es den am Ende gar nicht mehr? Das wäre nun aber …, ich meine, das würde die Angelegenheit natürlich …»

Klotz unterbrach Konradis Rede mit einem heftigen Hustenanfall. Oma Schmitz brachte es nur zu: «Aber lieber Konradi.»

Finn tat so, als ob ihn das Ganze nichts anginge. Er schaute sich, so gelangweilt es eben ging, die vier Wände von Oma Schmitz’ Wohnzimmer an.

Die wenigen Sekunden hatten gereicht, um Edels graue Zellen in höchste Alarmbereitschaft zu versetzen. Und nachdem sie sich warm gelaufen hatten, sagte sie: «Und wie es den noch gibt, Herr Konradi. Der liegt» - Jetzt hilft auch kein Hustenanfall mehr, dachte Oma Schmitz. - «der liegt bei uns im Kühlraum, so, wie wir ihn gefunden haben.»

«Wo liegt Anton jetzt?» Klotz sah ein wenig verwirrt in Edels Richtung. Seine Gedanken schienen tatsächlich überall zu sein, nur nicht in Oma Schmitz’ Wohnung.

 

«Im Kühlraum natürlich», wiederholte Edel. Und du bist der nächste, der da liegt, bei der nächsten dämlichen Frage, glaubte Klotz an ihrer Stimme und in ihren Blicken zu erkennen.

«Is klar, natürlich. Hab gerade an was anderes ..., alles klar, im Kühlschrank.»

«Im Kühlraum, Klotz.» Langsam reicht’s, dachte sie.

«Meine Rede, klar doch.»

Na endlich, dachte Finn, sah zu Herrn Konradi und stellte erleichtert fest, dass dem offensichtlich nichts aufgefallen war.

Der hatte sich Edel zugewandt, die von ihrem Vater und seinem Beerdigungsinstitut berichtete.

Oma Schmitz atmete erleichtert auf.

«Das interessiert mich jetzt aber sehr, mein kleines Fräulein. Ein Beerdigungsinstitut, so, so.»

Hört sich an, wie ranziges Öl riecht, ging es Oma Schmitz durch den Kopf, und sie kräuselte ihre Nasenflügel.

Wie blöd ist das denn: mein kleines Fräulein!, ärgerte sich Edel, und sie bot ihm an, sie doch einfach Edel zu nennen.

«Gern, mein kleines …, Entschuldigung, Edel natürlich. Da können wir doch eigentlich gleich zur Tat schreiten, wegen der Gewebeproben meine ich. Und auch noch im Kühlraum … Sehr vernünftig», fügte er nach einer kleinen Pause anerkennend hinzu.

Nu bin ich mal gespannt, wie du da wieder raus kommst, Edel, dachte Oma Schmitz.

«Ja schon», erklärte Edel, «nur, der Kühlraum ist abgeschlossen, weil mein Vater heute den ganzen Tag wegen einer …, einer Leichenüberführung unterwegs ist, und da schließt er immer ab, damit auch nur ja nichts passiert. Verstehen Sie?... Und, soviel ich mitgekriegt habe, dauert die Überführung sogar bis morgen Abend.» Sicher ist sicher, dachte sie.

«Alle Achtung, sehr verantwortungsvoll dein Vater, wirklich.» Herr Konradi war sichtlich beeindruckt.

Mein Gott, von wo holt der denn seine Leichen?, wunderte sich Oma Schmitz. Bis morgen Abend! Ausflug mit Leiche, Übernachtung mit Frühstück inclusive, huschte ihr noch durch den Kopf.

So schön möchte ich auch mal lügen können, wünschte sich Finn. Ich wäre jetzt bestimmt schon wieder knallrot.

Und, einmal in Fahrt, fuhr Edel fort: «Wenn Sie uns erklären, was wir machen müssen, könnten wir das mit dem Gewebe auch übernehmen. Haben wir außerdem erst vor kurzem in Bio mit ’ner Ratte. Und Ihnen vorbeibringen natürlich, morgen, ich meine übermorgen, oder so», verbesserte sie sich.

«Tatsächlich, das traut ihr euch zu? Alle Achtung, denn ganz so einfach ist das nicht. Nicht wie in den Krimis im Fernsehen, in einer Hand das Skalpell, in der anderen ’ne Zigarette und in der dritten ’ne Tasse Kaffee. Kleiner Scherz, muss ja auch mal sein.» Er grinste in die Runde. Dann erklärte er ihnen, was und an welchen Stellen.

«In diesem Fall setzt ihr das Messer am besten am Hals an, hier etwa.» Er berührte mit dem Zeigefinger seinen Kehlkopf.

Als er ihnen daraufhin die besten Schnitttechniken erklärte - er sei schließlich oft genug dabei gewesen -, entschuldigte sich Finn. Er müsse mal dringend zum Klo.

«Na ja, kennt ihr wahrscheinlich alles schon aus dem Bio…»

«Aber haargenau», unterbrach Edel. «Alles klar.»

Ich würd’s am liebsten auch nicht hören, der arme Anton, dachte Oma Schmitz. Aber es muss ja wohl sein. Du weißt, wer dich umgebracht hat, Anton, und ich will’s auch wissen.

In zwei Tagen sollte die Übergabe der Gewebeproben stattfinden, nachmittags, bei Konradi.

«Und vor allem den Mageninhalt, der ist ganz wichtig», hatte er noch mit Nachdruck zu verstehen gegeben.

Nach den Laborergebnissen würde man weitersehen. Das könne aber ein paar Tage dauern. Er müsse schließlich erstmal jemand finden, der dazu bereit sei. Aber da sei er ganz zuversichtlich. Er denke an jemanden, der einmal versehentlich die falsche Leiche aufgeschnitten habe, und dem habe er beim Zunähen …

«Ja, ja, lieber Konradi», unterbrach Oma Schmitz, die fürchtete, dass es Finn noch vor dem Klo erwischen würde. «Die alten Zeiten.»

Dann, plötzlich, straffte sich ihr Körper. Sie saß fast senkrecht auf ihrem Stuhl, streckte den rechten Arm zum Fenster hin und sagte: «Sehe ich Gespenster, oder is der das wirklich?»

Alle drehten nun ihre Köpfe zum Fenster, dann wieder zu Oma Schmitz. Die saß nach wie vor mit ausgestrecktem Arm kerzengerade auf ihrem Stuhl. Keiner hatte irgendetwas Ungewöhnliches gesehen. Aufregendes erst recht nicht.

Nicht mal ein Gespenst, dachte Klotz.

Vielleicht war das alles ein bisschen zu viel für sie, dachte Edel, das mit Anton und dem Ausbuddeln und den Gewebeproben. Die wird doch keine Erscheinung haben? Anton mit aufgeschlitztem Bauch und Kehle durchgeschnitten auf der Flucht vor den Grabschändern! Nicht, dass die noch …

«Das is er», unterbrach sie Edels Schreckensbilder, «das is er wirklich! Schnurstracks auf dem Wege zu mir, mein sauberer Neffe.»

Wie auf Kommando drehten alle wieder ihre Köpfe zu dem Fenster. Tatsächlich, ein junger Mann stapfte etwas staksig über die Wiese und Klotz glaubte, nach genauerem Hinsehen, irgendetwas zu erkennen, dass ihm schon einmal aufgefallen war. Er kam aber nicht drauf, was es gewesen sein könnte.

«Was soll der sonst in dieser Gegend. Wenn der gleich hier reinplatzt, und diese Versammlung bei mir sieht. Du lieber Himmel! Der is zwar ein bisschen dämlich, aber son Volltrottel is er nun auch wieder nich, dass er …, dass er …»

«Nich Lunte riecht», ergänzte Klotz.

«Das wäre sicher nicht hilfreich», gab Konradi von sich.

Schnelldenker, unser Konradi, dachte Finn.

«Lange dauert’s nicht mehr, dann steht der vor der Tür, Konradi. Was macht man denn bei so was?» Der müsste es eigentlich wissen, wer denn sonst, dachte Oma Schmitz.

Aber bevor er antworten konnte, schlug Edel vor, sie könnten es doch so machen wie im Film - wenigstens in Liebesfilmen. Wenn da der Ehemann früher als erwartet nach Hause käme, versteckte die Ehefrau ihren Lover meistens entweder unterm Bett oder im Kleiderschrank.

«Korrekt», bestätigte Klotz.

Aber nich unterm Bett, ohne mich, dachte Finn.

«Zu Viert geht nur im Kleiderschrank», erklärte Oma Schmitz.

Hundert Punkte für Oma, dachte Finn.

Aber nicht mit mir, beschloss Edel. Ich und Konradi zusammen im Kleiderschrank. Das geht überhaupt gar nicht! Mit Kumpel Klotz kein Problem und mit Finn …, mit Finn gerne. Vielleicht, dass er sich noch mal traut. Der guckt mir heute so komisch. Meistens an mir vorbei, als ob er sich schämt. Ach Finn … Aber nich mit unserm Witwentröster, never!

«Herr Konradi könnte auch normaler Besuch sein, also ohne verstecken». Oma Schmitz sah in die Runde und sie sah, wie Edel heftig Zustimmung nickte.

Das klang wie ein Befehl und war auch so gemeint, und keiner widersprach.

Na Gott sei Dank, dachte Edel.

Der im Kleiderschrank, vielleicht noch unter meinen Röcken, zum Gruseln!, dachte Oma Schmitz.

Schade eigentlich, dachte Klotz, der den Gedanken saukomisch fand, Konradi auf dem Klo einzusperren.

Dieu merci! Finn atmete erleichtert auf. Den Ausdruck kannte er seit der letzten Französisch-Lektion, in der jemand erfolgreich wiederbelebt worden war. Klinkt irgendwie besser als Gott sei Dank ging ihm noch durch den Kopf. Und was die Oma für’n Ton drauf hat. Klotz ist richtig zusammengezuckt. Mit Edel im Kleiderschrank ist auch nicht so ganz normal, dachte er. Hoffentlich kriege ich keine Platzangst, zu dritt, so eng. Und er fühlte, dass ihm schon jetzt ganz warm wurde, nicht nur wegen der Platzangst.

«Also ihr drei, dann machts euch mal schön gemütlich zwischen meinen Kleidern. Aber schlaft mir nur ja nich ein, wenn’s länger dauert. Nicht dass noch einer anfängt zu schnarchen. Jetzt aber dalli. Edel du übernimmst. Schnapp dir die Jungs.» Viel Spaß im Schrank, wollte sie noch hinterherschicken, aber irgendwie schien ihr das unpassend und sie ließ es bei «bis später dann.»

Und jetzt, ob er’s noch mal macht, dachte Edel. So eng waren wir schließlich noch nie zusammen.

Sie stand zwischen ihren beiden Freunden.

Hat sich nun mal so ergeben, stellte sie fest. Mit nur ein ganz kleines bisschen Nachhilfe, dass ich mich zwischen die beiden geschummelt habe, zugegeben.

Dann spürte Finn Edels Hand an seiner, und er sah, dass sie lächelte, und er fand es auch schön, und er vergaß, weshalb sie sich eigentlich im Kleiderschrank aufhielten, und als er Edels Hand streicheln wollte, ging die Kleiderschranktür auf, und sie sahen Oma Schmitz, die sie herauswinkte. «Entwarnung ihr Lieben. Der ist tatsächlich weitermarschiert. Soll uns nur recht sein, oder?»

Oder war es doch nicht so schlecht im Kleiderschrank, dachte sie mit Blick auf Edel und Finn. Bahnt sich da etwa was an? Ach Unsinn, doch nicht nach den paar Minuten. Oder geht das heutzutage schneller?

Ist doch anstrengender als ich dachte, das alles hier, stellte sie fest, als sie wieder in ihrem Sessel saß. Bin eben doch nicht mehr die Jüngste. Vielleicht liegt’s auch an Konradi. Irgendwie ist das anstrengend mit dem heute. Ich hab son komisches Gefühl, als ob ich auf der Hut sein müsste. Aber wovor nur? Bei dem Zausel doch nicht.

Sie erhob sich und bat um Verständnis dafür, dass sie sich doch ein wenig ausruhen müsse. Sie würden sich ja bald wieder sehen. «Wenn Sie die Laborergebnisse haben, spätestens», fügte sie mit einem flüchtigen Lächeln in Konradis Richtung hinzu.

Flirtet unsere Oma etwa?, überlegte Finn, wobei ihm Edel in den Sinn kam.

Hätte ruhig noch länger dauern können vorhin im Schrank, dachte er.

«Da fällt mir noch etwas ein.» Herr Konradi drehte sich auf dem Weg in den Flur noch einmal um. «Wie soll ich sagen … Da gehen Gerüchte um, also man erzählt sich hinter vorgehaltener Hand, wie das so geht, das kennt man ja. Eigentlich» - er machte eine kleine Pause, wie man das schon mal macht, wenn man die Spannung erhöhen will - «sollte man nichts drum geben. Es ist schnell was in die Welt gesetzt, und nachher kriegt man’s nicht mehr aus den Köpfen, auch wenn’s Fehlalarm war. Aber in diesem Fall …»

Komm endlich ‚auf’en Pott’ – wie mein Verflossener immer sagte - Konradi, eh du Schimmel ansetzt. Ich bin nämlich hundemüde und will ins Bett, und zwar ohne dein Gequassel. Am liebsten würde ich ihn am Schlafittchen packen und eigenhändig rausbefördern, den alten Umstandskrämer, grummelte es in Oma Schmitz.

«Es wird behauptet, oder besser gesagt, man hält es für wahrscheinlich, auf jeden Fall für möglich, einige Anzeichen sollen auch dafür sprechen …,»

Konradi ich habe ein scharfes Messer in der Küche, und wenn das so weiter geht, garantiere ich für nichts mehr.

«dass sich hier jemand rumtreibt, de r…» Er ging zurück zu Oma Schmitz und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

Was geht denn hier ab?, dachte Klotz, stubste Finn mit dem Ellenbogen, der sah mit fragenden Blicken zu Edel, die zuckte mit den Schultern. Sie standen da wie drei Verirrte nachts im Dschungel bei Mondfinsternis.

«Nun ja, das ist ja sehr unerfreulich Herr Konradi, vorsichtig ausgedrückt. Und weil das so ist, sollte man auch offen darüber sprechen, auch vor den …, vor den dreien hier. Das sind nämlich keine Kinder mehr. Im Fernsehen wird doch fast täglich über so was berichtet. Also keine Geheimniskrämerei.»

«Na ja, ganz wie Sie meinen, Frau Schmitz, Aber so ganz jugendfrei …»

Als ob der vor unser aller Augen zusammenschrumpft, so klein wie der sich macht, der Herr Expolizist. Von dem ist js gleich nichts mehr übrig, wenn das so weiter geht, dachte Oma Schmitz und sie sagte: «Dann mal raus damit, Herr Konradi.»

«Nun ja, wie Sie meinen.» Er wandte sich von den dreien ab hin zu Frau Schmitz. «Aber meinen Sie nicht auch, dass Sie als Frau …, bei Lichte besehen besser …»

Und im Dunkel nicht?, dachte Oma Schmitz. Aber bevor der wieder anfängt herumzustottern, meinetwegen. Aber komisch ist es schon, immer wenn’s brenzlig wird, müssen wir ran, in unserer Eigenschaft als Frau! Eigentlich sollte ich ihn schmoren lassen.

Dann klärte sie die drei darüber auf, dass hier in der Nähe und vor allem auch im Romberg-Park ein Mann gesehen worden sei, der sich immer dort zu schaffen mache, wo sich kleinere Kinder aufhielten, vor allem Jungens. Man habe auch beobachtet, wie er Süßigkeiten verteilte. Und nun bestehe der Verdacht, dass es sich um einen Pädophilen handele. Ihr wisst, was sich dahinter verbirgt? »

Die drei nickten. «Haben wir in der Schule drüber gesprochen. Weil das so oft in den Nachrichten kommt mit den Internaten und so», erklärte Klotz.

 

«Vor allem in den katholischen», ergänzte Finn.

«Genau», beeilte sich Edel, «weil die Pfarrer bei denen nicht heiraten dürfen und deshalb …»

«Ich glaube, das sollten wir jetzt nicht vertiefen, Edel. Hauptsache, ihr wisst, worum es geht. Und falls euch was auffällt …»

«Schalten wir meinen Vater ein», unterbrach Finn. «Der, als Pastor, kennt sich da aus, ich meine mit dem Thema und was da so läuft.» Nicht dass noch einer auf den Gedanken kommt, er hätte auch schon mal zugelangt, dachte er. «Der kennt sich wirklich aus.»

Oma Schmitz lächelte zustimmend. Herr Konradi jedoch schien beleidigt, dass Finn nicht an ihn gedacht hatte. Er sah wenigstens so aus.

Da soll sich einer auskennen, dachte Oma Schmitz. Erst will er nich und jetzt hätt er’s gerne.

Bei Finn tauchte für einen kurzen Moment der Karnickelmann auf. Wie ein Schatten kam er und war sofort wieder verschwunden.

Und bei Edel und Klotz wanderten die Gedanken geradewegs - oder auch straight on, wie Edel sagen würde - von dem Mann im Park hin zu dem Einbruch bei Oma Schmitz und dem Geheimnis der Eisenkiste.