Das Tass(ch)enbuch Nr. 4

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Das Tass(ch)enbuch Nr. 4
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Dagmar Salawa

Das Tass(ch)enbuch Nr. 4

1. Die Party

2. Flucht

3. Griechenland

4. Costas Absturz

5. Nina

6. Eine kreative Aufgabe

7. Jens

8. Nicht nur ein Haus, sondern auch ein zu Hause!

9. Einladungen

10. Das verhängnisvolle Fest

11. Kain und Abel

12. Zurück in Deutschland

13. Die Aussprache

14. Ein großer Fehler

15. Die neue Heimat

16. Oh nein!

17. Ja oder nein

18. Schicksalsentscheidung

19. Im Doppelpack

20. Die Therapie

21. Eine Familie

22. Babyglück

23. Die Erkenntnis

24. Die Aussprache

25. Der 18. Geburtstag

26. Zweimal „Ja“

DIE LIEBE

Impressum neobooks

Dagmar Salawa

Das Tass(ch)enbuch Nr. 4

„Nö einfach NÖ“

Amors Pfeil

Liebe/r Leser,

am Tag meiner Pensionierung bekam ich eine jener Sprüchetassen, die man bekommt, wenn der Schenkende auf originelle Weise eine bestimmte Botschaft übermitteln möchte, oder ihm nicht Besseres einfällt.

Meine Tochter stellte, an diesem besonderen Tag, diese „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum“ Tasse auf den Tisch und sagte:

„So Mama, da hast du einen „Aufhänger“ für dein neues Buch.“

Ein guter Freund überredete mich dann, ein Buch über Frauen in der zweiten Lebenshälfte zu schreiben. „Du und deine Freundinnen, ihr habt doch so vieles erlebt im Leben. Sicher ist es für viele Frauen ein Trost, dass sie mit ihren ‚Problemchen‘ nicht alleine auf der Welt sind“, meinte dieser.

Aus meinem ersten Tass(ch)enbuch Nr.1 „Das Haus der alten Schachteln“ wurde eine Romanreihe von bislang drei weiteren Büchern: Das Tass(ch)enbuch Nr.2 (Ich bin eine Frau…), das Tass(ch)enbuch Nr.3 (Ich bin nicht dick, ich bin flauschig), und das Tass(ch)enbuch Nr. 4 (NÖ einfach NÖ). Diese Buchreihe erweitere ich kontinuierlich immer dann, wenn ich eine dieser Tassen geschenkt bekomme.

Dagmar Salawa

Das Tass(ch)enbuch Nr. 4

„Nö einfach NÖ“

Amors Pfeil

„Schon wieder so eine bescheuerte Tasse“, dachte Betty als sie das Päckchen, das wohl ihre Kinder ihr, neben Frühstücksteller gestellt hatten, öffnete.

Es war ihr vierzigster Geburtstag. Betty hasste diese billigen, dämlichen Sprüche-Tassen, die ihr jeder zu jeder Gelegenheit schenkte, tat aber so, höflich wie sie war, als würde sie sich darüber freuen. Sie las die drei Worte auf dieser Tasse laut vor, als ihr Mann Costa zur Tür hereinkam:

„Nö einfach Nö“!

„Guten Morgen, ich habe doch noch gar nichts gesagt“, meinte Costa verblüfft.

„Kannst du bitte heute bei der Post vorbei fahren und ein Paket abholen?“, fragte er, ohne ihr zum Geburtstag zu gratulieren.

„Nö“ sagte Betty und nahm die Tages- Zeitung in die Hand.

„Wieso Nö?“, fragte Costa erstaunt. Er hatte natürlich ein: „Ja Schatz selbstverständlich“, erwartet.

„Nö einfach Nö!“, betonte Betty und hielt ihm lächelnd die Tasse entgegen.

Costa schenkte ihr Kaffee ein und seufzte.

„Also gut, mach ich das nach der Arbeit selbst“, sage er mit einem trotzigen Unterton in der Stimme.

Betty wollte schon sagen: „War nur Spaß, natürlich mache ich das!“, als Costa schon mit laut knallender Haustüre die Wohnung verließ.

Kein Widerspruch? Betty konnte nicht glauben, dass ein einfaches „Nö“ von ihr reichte, um etwas nicht tun zu müssen. Von den Kindern war sie ja ein: „Nö keine Zeit“, oder ein „nö nicht jetzt, später“, gewöhnt, aus dem später dann ein „nie“ wurde, aber dass das auch bei ihr funktionieren sollte......hm.

Als die Kinder aus der Schule kamen, war deren erste Frage:

„Gibt es heute keine Pommes wie jeden Mittwoch?“. „Nö“ sagte Betty kurz. Die beiden Kinder sahen sie an, als hätte sie einen schlechten Scherz gemacht.

„Machst du noch welche?“, „Nö einfach Nö“, betonte Betty, zog die Schultern hoch und drehte ihre Handflächen nach oben. Schlecht gelaunt aßen die beiden Kinder ihre Spagetti.

,Betty dachte nach. Sollte diese einfache, dämliche Sprüche-Tasse, die sie an ihrem Geburtstag bekommen hatte, sie wirklich zum Umdenken bewegen?

„Von wem war eigentlich das Tassen-Geschenk heute Morgen auf dem Tisch?“, fragte Betty. Die beiden Kinder sahen ihre Mutter verständnislos an.

„Welches Geschenk?“, fragte Milli, ihre fünfzehnjährige Tochter.

Schlagartig fiel ihr ein, dass ihre Mutter an diesem Tag Geburtstag hatte.

„Oh Mama, wir haben deinen Geburtstag ganz vergessen, entschuldige bitte!“ Sie stand auf und küsste Betty auf die Wange.

Lars, Bettys dreizehnjähriger Sohn, tat es seiner Schwester gleich. Nach dem Mittagessen gingen die Kinder auf ihre Zimmer, um Hausaufgaben zu machen. Betty hatte am Abend zuvor Kuchen für ihren Geburtstagskaffee gebacken und wartete nun auf ihre Schwiegereltern. Während sie den Tisch deckte, dachte sie über ihr Leben nach. Nach dem Schulabschluss hatte sie ihren Mann Costa, auf einer Weihnachtsparty kennengelernt. Er war damals vierundzwanzig und noch Student der Physik im letzten Semester und sah umwerfend aus. Er war groß, hatte dunkle, fast schwarze etwas längere Haare, die er zum Mittelscheitel trug. Seine Augen waren saphirblau und bildeten einen tollen Kontrast, zu seinem fast schwarzen Haar und seinem markanten, sonnengebräuntem Gesicht. Der hellblaue Pullover, den er trug, hatte die gleiche Farbe, wie seine Augen. Er sah aus wie ein griechischer Gott. Er war tatsächlich Halbgrieche, wie sich später herausstellen sollte. Seine Mutter kam aus Athen. Er hatte einen deutschen Vater, der aber den Nachnamen Theodorou seiner griechischen Frau Eleni angenommen hatte. Alle Mädels auf der Weihnachtsparty waren verrückt nach ihm und hingen an ihm wie Weintrauben an der Rispe. Er lachte und scherzte und genoss offensichtlich die Aufmerksamkeit, die ihm entgegengebracht wurde.

Betty beteiligte sich nicht an dem Hyphe, den Costa durch seine bloße Anwesenheit auslöste. Sie stand an der großen Glasschale, in der dunkelroter Glühwein war und schenkte sich gerade mit einer Suppenkelle die Tasse voll, als jemand hinter sie trat. „Hallo schöne Frau. Sie habe ich hier ja noch gar nicht gesehen“, erklang eine dunkle warme Stimme, die bei ihr Gänsehaut verursachte. Langsam drehte sie sich um und schaute geradewegs in diese saphirblauen Augen. Seit diesem Abend waren sie ein Paar. Vier Jahre später heirateten sie. Costa hatte eine gute Stelle als Physiker in Köln bekommen und Betty arbeitete als Fremdsprachen-Korrespondentin bei einer großen Im-und Exportfirma in der Nähe. Ein Jahr später kauften sie diesen schönen, hellen Bungalow mit viel Glas und sechs Zimmern, in dem sie heute noch wohnen.

Mit fünfundzwanzig bekam Betty ihr erstes und mit siebenundzwanzig ihr zweites Kind. Seitdem war sie Hausfrau und Mutter. Costa war immer ein treuer Ehemann. Das glaubte sie zumindest. Er hatte viele verschiedene Hobbys, trieb Sport und hatte viele Freunde, sodass er oft abends nur zum Essen nach Hause kam um dann ins Fitnessstudio, oder zu einem seiner Hobbys zu verschwinden.

 

Betty war gerne zu Hause. Versorgte die Kinder, ging mit Freundinnen shoppen und hielt das Haus in Ordnung. Zeit mit ihrem Mann alleine zu verbringen, waren seltene Momente, wie z.b. der Restaurantbesuch am Hochzeitstag. Manchmal vermisste sie die Zeit als Paar, als sie noch ohne Kinder waren und abends zusammen ausgehen konnten, ebenso die romantischen Urlaube zu zweit.

Trotzdem war sie glücklich. Das dachte sie bis heute. Bis zu dieser Tasse, die sie zum Nachdenken brachte. Wer hatte die auf den Tisch gestellt? Es war doch außer den Kindern und Costa niemand im Haus gewesen.

Sie war auch eine dieser Frauen, die zu den Wünschen anderer immer: „Ja, klar mache ich“, gesagt hatte und darüber ihre eigenen Wünsche, Bedürfnisse und sich selbst fast vergessen hatte. Sie war in erster Linie Mutter und Ehefrau. Die Türglocke läutete und riss sie aus ihren Gedanken. Ihre Schwiegereltern standen vor der Tür.

„Alles Liebe zu deinem vierzigsten Geburtstag“, sagte ihre Schwiegermutter und umarmte sie herzlich.

Sie war klein und rundlich. Ihre schwarz gefärbten, halblangen, lockigen Haare umrahmten ihr immer noch hübsches Gesicht mit den dunklen Augen, das erahnen ließ, wie schön sie einst war. Die saphirblauen Augen und die große, schlanke Figur hatte Costa von seinem Vater geerbt. Ja, ihr Mann Costa war eine gelungene Mischung beider Kulturen. Sie war stolz auf ihren gutaussehenden, erfolgreichen Mann.

Nach dem Kaffeetrinken und Smalltalk, kam Costa von der Arbeit. Als er ins Zimmer trat, meinte er:

„Oh Mama, Papa, welche Überraschung. Was macht ihr denn heute hier?“ Seine Eltern und Betty wechselten fragende Blicke. Betty sagte kein Wort. Costas Mutter sah ihren Sohn entgeistert an.

„Sag mal, du hast doch nicht etwa den Geburtstag deiner Frau vergessen?“, fragte sie, in der Hoffnung, dass er gleich irgendein teures Geschenk aus der Tasche ziehen würde.

„Äh... ich na ja, wisst ihr...ja, ich gebe es zu. Ich habe den Geburtstag vergessen, aber in der Firma ist im Moment ...“

„Verdammt nochmal Costa, du immer mit deinen Ausreden! Immer sind andere schuld, das hast du schon als kleiner Bub so gemacht!“, unterbrach ihn sein Vater. Costa drehte sich zu Betty um, breitete seine Arme aus und wollte sie umarmen.

Betty machte eine abwehrende Handbewegung und drehte sich mit Tränen in den Augen um. Costa zuckte nur mit den Schultern. Eine Entschuldigung war immer noch nicht über seine Lippen gekommen. Betty verließ fluchtartig den Raum. Sie hörte, wie seine Mutter sich ein ziemlich lautstarkes Wortgefecht mit Costa lieferte. Das tat sie immer auf Griechisch, wenn sie ihren Sohn versuchte zu maßregeln. Der wurde ebenfalls laut und Betty hörte, wie die Haustüre lautstark in die Zarge knallte, dann war es totenstill. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen, schniefte leise und schaute durch den Türspalt der Wohnzimmertür. Der Raum war leer. Alle waren gegangen.

„Oh Mann, jetzt ist der auch noch beleidigt abgezogen. Typisch Costa“, dachte sie.

Betty ging nach oben und warf sich heulend und wütend auf das Ehebett. Gott sei Dank hatten die Kinder nichts mitbekommen. Die waren in ihren Zimmern im Dachgeschoss und schauten fern. Mittlerweile war es schon 19 Uhr und es läutete an der Tür. Betty schreckte auf. Oh Gott schon so spät, das war sicher der Partyservice mit den kalten Platten und den Getränken, die sie für die Party mit den Freunden für heute Abend geordert hatte. Sie sprang auf, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und ging die Treppe hinunter, um die Tür zu öffnen. Die Platten wurden auf das schon vorbereitete Buffet gestellt und die Getränke verschwanden im Getränkekühlschrank. Nachdem Betty den Lieferanten ein großzügiges Trinkgeld in die Hände gedrückt hatte, lief sie wieder nach oben, um sich frisch zu machen. Sie erwartete ca. dreißig Geburtstagsgäste. Als sie vor ihrem prallgefüllten Kleiderschrank stand, fiel ihr Blick auf die große Reisetasche, die Costa ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte. Wie in Trance griff sie danach und begann die Tasche zu packen. Pullis, T-Shirts, Hosen, Unterwäsche, Schuhe. „Was mache ich da eigentlich?“, fragte sie sich. Wieder läutete es an der Tür. Sie lief, immer noch verheult die Treppe hinunter. Dieses Mal stand Jens, Costas Bruder vor der Tür. Er war das krasse Gegenteil seines Bruders. Er war sicher einen halben Kopf kleiner als er, mit blonden Locken und zierlicher, knabenhafter Figur. Nur seine Augen waren genauso blau, wie die seines Bruders. Hätte man ihm Pfeil und Bogen in die Hand gedrückt, wäre er glatt als Amor-Abbild durchgegangen. Betty mochte ihn vom ersten Tag an. Er war Musiker und so vollkommen aus der Familientradition der Naturwissenschaftler herausgefallen.

„Hast du geweint?“, fragte er mitfühlend.

„Nein, ja,.... ach Jens es ist alles so traurig. Deine Eltern waren zum Kaffee da und Costa hatte Streit mit ihnen bekommen, weil er meinen Geburtstag vergessen hatte. Dann sind alle wütend verschwunden. Ich habe gar keine Lust mehr zu feiern.“ Jens nahm Betty in seine Arme und versuchte, sie zu trösten. Sie war schon immer seine heimliche große Liebe gewesen. Von dem Tag an, an dem er sie zum ersten Mal gesehen hatte, als Costa sie seinen Eltern vorstellte, liebte er seine Schwägerin. Er hatte bis heute keine feste Freundin gehabt und seine Eltern hatten sich schon damit abgefunden, keine Enkelkinder von ihm zu bekommen. Jens verglich alle Frauen, die er kennenlernte mit Betty.

„So und jetzt ab mit dir nach oben und mach dich schön. Ich nehme derweil deine Gäste in Empfang“, sagte er und schob seine Schwägerin in Richtung Treppe.

Jens befreite die Partyplatten, die mit allerlei Leckerem belegt waren, von der Alufolie und holte die Wein-, Bier- und Sektgläser aus der modernen Küche. Diese bestand aus weißen Lackmöbeln, Glastüren und viel Chrom. Alles in diesem Haus war klar strukturiert, irgendwie kalt und ohne Seele. Jens fühlte sich jedes Mal, wenn er seinen Bruder Costa besuchte, wie in der Luxusabteilung eines Möbelhauses. Trotz der beiden Teenager lag noch nicht einmal eine Zeitschrift oder eine CD herum. Das Haus wirkte immer unbewohnt. Jens hatte einen Schlüssel, um sich um die wenigen Pflanzen zu kümmern, wenn Betty, Costa und die Kinder in Urlaub waren. Er hielt sich dann ein paar Stunden dort auf und spielte dann meistens auf seinem großen weißen Flügel. Den hatte er bei seinem Bruder vorläufig untergestellt, bis sein Haus auf Kreta fertig gestellt sein würde. Von dem Haus und seinen Plänen auszuwandern, hatte er noch niemandem aus der Familie etwas erzählt. Er war immer wieder froh, in seine chaotische Junggesellenbude zurückzukehren. Dort wartete sein Borderdcollie Rüde. Ein ausgesprochen schönes Tier, mit seinem schwarz-weißen Fell und seinen verschiedenfarbigen Augen. Eines war blau wie das Meer in Griechenland und eines braun wie Schokolade. Darum hatte er auch den Namen Blue-Chocolate von Jens bekommen.

„Der passt viel besser als Charlie von der Waterkant, wie es in den Papieren stand“, meinte Jens.

Meistens wurde er von seinem Herrchen nur einfach „Blue“ gerufen. Es sei denn, er hatte mal wieder den Mülleimer in der winzigen Küche ausgeräumt, oder ein Sofakissen zerfleddert, sodass es im Wohn-Schlafzimmer aussah, als hätte sich ‚Frau Holle‘ ausgetobt. Dann wurde aus dem zärtlichen „Blue komm her“, ein barsches, lautes: „Blue-Chocolate! Sofort hierher!!“

Dann kam der Hund mit gesenktem Kopf und anliegenden Ohren, auf dem Bauch kriechend, unter dem Sofa hervor. Dort versteckte er sich stets, wenn er etwas angestellt hatte und den Schlüssel im Schloss der Wohnungstür hörte.

1. Die Party

Jens begrüßte die ersten Gäste und rief nach einer Weile nach Betty. Die erschien wenige Minuten später oben an der Treppe. Sie trug ein dunkelrotes Kleid mit einem atemberaubenden Ausschnitt, welches einen tollen Kontrast zu ihren honigblonden, schulterlangen Locken bildete. Für einen Moment war es ganz still im Raum als sie auf ihren hohen, weißen Sandaletten die Treppe hinunter kam. Dann erklang ein vielstimmiges „Happy Birthday“ und die Sektkorken knallten.

„Ist Costa immer noch nicht aufgetaucht?“, flüsterte Betty in das linke Ohr von Jens.

„Nein, mein idiotischer Bruder ist immer noch verschollen. Er geht nicht einmal an sein Handy“, flüsterte Jens zurück.

Betty schluckte, räusperte sich, setzte ein süßes Lächeln auf und nahm die Glückwünsche und Geschenke ihrer Freunde entgegen.

„Wo ist denn dein Mann?“, fragte ihre beste Freundin Nina.

Auch die anderen wunderten sich. Vor allem die Damen vermissten den smarten, schönen, redegewandten Costa. Nina nahm Betty am Ellenbogen und bugsierte sie in die Küche.

„Betty, ich muss dir als deine Freundin etwas sagen. Es tut mir leid, dass es heute an deinem Geburtstag sein muss. Aber......Costa betrügt dich mit seiner neuen Sekretärin. Ich habe die beiden vor einer Stunde heftig knutschend im ´Las Palmas` gesehen. So jetzt ist es heraus“, sagte Nina und beobachtete Betty, die sich an der Reling der Küchentheke festkrallte, als müsse sie gleich ertrinken. Langsam sank sie zu Boden.

„Dann hat der Mistkerl den Streit provoziert, um verschwinden zu können“, flüsterte sie kaum hörbar. Aus dem Wohnzimmer war ein lautes „Hallo“ zu hören. Offenbar hatte Costa doch noch den Weg nach Hause gefunden. Mit einem Sprung, wie eine Raubkatze, war Betty wieder auf den Beinen. Richtete ihre Frisur, schüttelte sich, straffte ihren Rücken und ging durch die Küchentüre. Da stand ihr Mann mit einem großen Strauß langstieliger roter, sicher sündteurer Baccara-Rosen. Als er Betty entdeckte, setzte er seinen unschuldigen Dackelblick auf und lief, die Rosen mit ausgestreckten Armen voran, auf Betty zu.

„Da ist ja mein geliebtes Eheweib. Herzlichen Glückwunsch zu deinem vierzigsten Geburtstag!“, rief er dramatisch laut.

„Etwas zu laut“, dachte Jens.

Lächelnd griff Betty nach den Rosen.

„Kannst du mir noch einmal verzeihen?“, fragte er.

„Nö einfach Nö“!!!!, schrie Betty ihn an. „Dieses Mal nicht!!“

Sie schlug ihm bei jedem einzelnen Wort die Rosen um die Ohren, sodass die roten Blütenblätter nur so flogen. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und lief wütend und mit hochrotem Kopf die Treppe nach oben, um wenige Minuten später wieder mit ihrer gepackten Reisetasche zu erscheinen. Wieder unten angekommen, griff sie nach ihrem Autoschlüssel und verließ das Haus. Drinnen war es nun totenstill. In der Mitte des Raumes stand Costa wie ein begossener Pudel, mit Rosenblättern in den dunklen wirren Haaren in einem roten Blütenblättermeer vor seinen Füßen. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet. Er hob den Blick und sah eine schadenfreudige Nina grinsend in der Küchentüre stehen. Wusste sie von seiner Affäre? Hatte sie Nina eingeweiht, als ihre ´beste Freundin`? War das Ninas Rache dafür, dass er sie vor einem halben Jahr abserviert hatte?

Die Gäste hatten nun auch begriffen, dass die Party wohl vorbei war, bevor sie richtig begonnen hatte. Sie verließen das Haus, nicht ohne den armen Costa zu bedauern, bevor sie gingen.

2. Flucht

Jens war Betty nachgelaufen und erwischte sie gerade noch, bevor sie in ihren silbernen BMW steigen wollte.

„Betty, was war das denn eben? Wo willst du hin? Warum hast du das gemacht?“, fragte er atemlos.

„Zu viele Fragen auf einmal“, sagte seine Schwägerin schluchzend. „Ich weiß noch nicht, wohin ich gehe. Wahrscheinlich erst einmal in ein Hotel“.

„Kommt gar nicht in die Tüte! Du kommst natürlich mit zu mir“, meinte Jens bestimmend und nahm ihr den Autoschlüssel aus der Hand. „Dein Auto kannst du morgen noch holen. Du bist viel zu aufgeregt, um zu fahren.“

Jens schnappte sich die Reisetasche, nahm seine Schwägerin an die Hand und zog sie in seinen alten klapprigen Ford Escort. Er sah noch im Rückspiegel, wie die ersten Partygäste das Haus verließen, und gab Gas.

 

Als sie bei Jens ankamen, begrüßte Blue sie, heftig mit dem Schwanz wedelnd, schon an der Eingangstür. Betty war noch nie bei Jens zu Hause gewesen. Seine kleine Wohnung mit den alten Möbeln und spärlicher Beleuchtung erinnerte sie an ihre eigene Studentenbude in Köln, vor vielen Jahren. Irgendwie gefiel ihr diese Gemütlichkeit. Erschöpft lies sie sich auf das alte, aber gemütliche Sofa fallen. Jens war in der kleinen Küche verschwunden und Blue war ihm gefolgt. Betty hörte, wie eine Dose geöffnet wurde und ein Löffel in einer Blechschüssel klapperte.

„Bin gleich bei dir, Blue hat Hunger und würde keine Ruhe geben, bevor er nicht sein Fresschen bekommen hat. Ich koche uns dann erst einmal einen Tee, der wird dir guttun!“, rief Jens.

Als er mit den Teetassen vor dem Sofa stand, war Betty schon vor Erschöpfung eingeschlafen. Sie lag in ihrem roten Kleid und mit angezogenen Knien auf der Seite wie ein Kind. Sie sah aus wie ein Pandabär mit ihren, von den Tränen verschmierten Augen. Jens stellte die Teetassen auf den Esstisch und deckte Betty mit einer Decke zu. An das Bettzeug kam er nicht heran, weil das in einer Klappe unter dem Sofa untergebracht war. Also setzte er sich auf einen der beiden Küchenstühle und trank den Tee selbst. Jens beobachtete Betty, wie sie schlief. Sie war für ihn die schönste Frau der Welt. Gerne hätte er sie jetzt geweckt und zärtlich geküsst, so wie er es sich schon tausende Male vorgestellt hatte. Was nur hatte sein Bruder ihr angetan, dass sie so ausgerastet war. So kannte er Costas Frau nicht. Betty war die liebe, nette, fröhliche und immer hilfsbereite Frau und Mutter, die niemals eine Bitte anderer abschlug. Die immer „JA“ sagende gute Seele in der Familie. Blue hatte sich Jens zu Füßen gelegt und schlief selig.

Am nächsten Morgen wurde Jens von Kaffeeduft geweckt. Er hatte die ganze Nacht auf dem Stuhl sitzend, mit seinem Lockenkopf auf der Tischplatte, verbracht. Jetzt stand ein großer Pott duftender, dampfender Kaffee vor seiner Nase. Betty saß ihm gegenüber mit einem Kaffeepott in beiden Händen, um sich diese zu wärmen, und machte ein besorgtes Gesicht. Sie hatte nun keine Panda-Augen mehr und war völlig ungeschminkt. So hatte er sie noch niemals gesehen.

„Guck nicht so. Ich weiß, ich sehe furchtbar aus, so ohne Schminke. Aber ich hatte erst einmal eine heiße Dusche nötig“, meinte sie. „Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich mich an deinem Schrank bedient habe“, meinte sie und zupfte an der schlabberigen Jogginghose und an dem scheußlich grünen Rollkragenpullover.

Es war kühl im Raum. Jens hatte am Abend zuvor vergessen, Holz im Kamin nachzulegen.

„Betty, du bist ohne Make-up noch viel schöner“, sagte Jens. „Jetzt erzähl doch mal, was war da gestern los? So kenne ich dich ja gar nicht.“

„Ich mich auch nicht“, meinte Betty und erzählte, was am Tag zuvor passiert war. Angefangen von der mysteriösen Tasse, über den vergessenen Geburtstag und den Streit, den Costa mit seinen Eltern in folge dessen hatte. Bis zur Erkenntnis, dass Costa sie offensichtlich schon seit Monaten betrog. „Den Rest kennst du ja“, schloss sie ihren Bericht.

Wieder liefen Tränen über ihre Wangen. Jens rückte seinen Stuhl neben Betty, legte seinen Arm um ihre Schultern und wischte ihr mit der anderen Hand ihre Tränen aus dem Gesicht. Er küsste sie brüderlich auf die Stirn und sagte:

„So, nach dem Frühstück holen wir dein Auto und was du sonst noch so brauchst. Für die nächsten Tage bleibst du erst einmal hier in meiner bescheidenen Hütte, bis du weißt, wie du weitermachen willst.“

Costas Auto stand nicht in der Garage und auch nicht vor dem Haus. Die Kinder waren in der Schule. So konnte Betty in Ruhe einige Klamotten, Toilettenartikel, ihre Kreditkarte und etwas Bargeld einpacken und ihr Auto laden. Danach fuhren sie zur Wohnung von Jens zurück, luden Blue in den alten Ford und fuhren zum Waldrand, um mit dem Hund einen Spaziergang zu machen. Von unterwegs schrieb Betty eine kurze Nachricht auf die Handys der Kinder, dass es ihr gut ginge und sie sich keine Sorgen machen sollten und dass sie sich wieder melden würde. Von Costa hatte sie noch nichts gehört.

Nach dem Spaziergang beschloss Betty, ihrer Freundin Nina einen Besuch abzustatten.

Als sie dort ankam, stand Costas Auto vor dem Haus.

„Ach“, dachte sie, „da will er sie wohl aushorchen, um zu erfahren, wo ich bin.“

Aus Nina würde er mit Sicherheit nichts herausbekommen, selbst wenn sie wüsste, wo sie war. Nina wunderte sich, dass Costa wusste, wo Nina wohnte. Sie hatte es ihm nie erzählt. Sie kannte Nina schon seit der Grundschule. Sie war ihre beste Freundin. Sie dachte, ihr blind vertrauen zu können. Betty stieg wieder in ihren Wagen und fuhr zu Jens zurück. Sie beschloss, Nina später noch eine WhatsApp zu schreiben, um sich mit ihr zu verabreden. Sie wollte erstens von ihr erfahren, was sie über Costas Verhältnis wusste und zweitens, ob sie bei ihr für eine Weile unterkommen könnte. Jens war zwar sehr lieb und nett, aber seine Wohnsituation war unmöglich. Da konnte sie nicht länger bleiben.

Jens hatte unterdessen Spagetti gekocht und war gerade dabei den Tisch zu decken.

„Hallo, da bist du ja wieder. Ich habe noch gar nicht mit dir gerechnet. Warte, ich schmeiß noch ein paar Spagetti ins Wasser.“

„Mach dir keine Umstände, ich habe sowieso nicht viel Hunger“, meinte Betty.

„Nix da, du musst was essen. Du hast seit gestern Nachmittag nichts mehr zu dir genommen außer die Tasse Kaffee heute Morgen!“ Jens hatte ein Glas Pesto auf den Tisch gestellt und verteilte die bereits fertigen Spagetti auf die Teller.

„Die nächste Portion teilen wir dann auch, wenn die fertig ist“, erklärte er und deutete auf den Topf, der wieder dampfend auf dem Herd stand.

Betty gab sich geschlagen und setzte sich mit an den Tisch, zumal sie jetzt doch ein tiefes Magengrummeln verspürte.

„Jens, sag mal, es geht mich ja eigentlich nichts an, aber du bist jetzt auch schon Ende dreißig und wohnst immer noch in deiner Studentenbude. Verdienst du so wenig mit deiner Musik?“, fragte Betty, während sie die Spagetti um ihre Gabel wickelte.

„Na ja, nachdem ich mir den sündteuren Flügel geleistet hatte, bin ich ziemlich pleite“, grinste Jens und zwinkerte Betty zu. „Aber lass dich von der Zukunft überraschen“, fügte er hinzu.

Betty sah ihn verständnislos an, schwieg aber. Nachdem Blue die Reste vertilgt und beide abgewaschen hatten, schrieb Betty an Nina:

„Hallo Nina, ich wollte dich heute Nachmittag besuchen, aber Costas Auto stand vor dem Haus, da bin ich wieder gefahren. Wann passt es dir denn?“

Es dauerte keine fünf Minuten und Betty bekam Antwort:

„Wenn du willst, kannst du gleich vorbeikommen. Costa war wohl bei seiner neuen Flamme, die wohnt bei mir im Haus unterm Dach“, antwortete Nina.

„Ok. Ich bin schon unterwegs“, schrieb Betty zurück.

„Jens, ich fahre noch einmal zu Nina, warte bitte nicht auf mich.“

„Ich habe heute Abend noch einen Auftritt und werde auch erst sehr spät zu Hause sein. Hier ist mein Zweitschlüssel, falls du früher hier sein solltest“, sagte Jens und verschwand im Bad.

Betty machte sich erneut auf den Weg zu Nina. Die hatte schon eine Flasche kühlen Prosecco geöffnet und erwartete ihre Freundin.

„Na du, du machst ja Sachen, einfach so abzuhauen“, empfing Betty sie. „Komm erst einmal rein. Ich war heute Nachmittag gar nicht zu Hause. Es ist immer besser anzurufen, bevor du kommst“, meinte sie und umarmte ihre Freundin.

Betty erzählte Nina, wie der verhängnisvolle Geburtstag angefangen hatte. Von der „Nö“ Tasse, von der sie nicht einmal wusste, wer ihr die geschenkt hatte, bis hin zu dem vorläufigen Einzug bei Jens.

„Nina, ich wollte dich fragen, ob ich für eine Weile bei dir bleiben kann. Bei der gegenwärtigen Wohnsituation von Jens muss ich da raus, das geht so gar nicht.“ Nina überlegte einen Moment und meinte dann: „Klar, wenn du mit dem Sofa zufrieden bist. Was hast du jetzt weiter geplant?“ „Ich weiß es noch nicht. Ich schwanke zwischen Costa eine Weile schmoren zu lassen und mir eine Arbeit und eine eigene Wohnung zu suchen“, sagte Betty.

„Um dann nach einer Weile wieder zu Costa zurückzugehen?“, fragte Nina. „Nö“, war Bettys knappe Antwort.

„Aber warum nicht, jeder hat doch eine 2. Chance verdient“, meinte Nina und machte ein unschuldiges Gesicht.

„Nö einfach Nö“, wiederholte Betty ihren neuen Lieblingssatz.

Nina schenkte Prosecco ein. Sie drehte ihrer Freundin dabei den Rücken zu und grinste teuflisch zufrieden. Nachdem sie ihre Gläser geleert hatten, meinte Betty, sie würde dann gleich zu Jens fahren und ihre Sachen holen.

„Gut mach das“, ermunterte Nina sie.

Als Betty wieder bei Nina angekommen war, holte sie ihre Reisetasche aus dem Kofferraum. Sie drehte sich um und lief auf die Wohnungstür zu, die sich im Erdgeschoss befand. Die Tür war nur angelehnt und sie betrat den Flur. Gerade wollte sie rufen „Nina, wo soll ich die Sachen abstellen“, da hörte sie zu ihrem Erstaunen Costas wütende Stimme:

„Du Schlange! Warum hast du das gemacht? Aus Rache, weil ich dich für Linda abserviert habe? Eine schöne Freundin bist du für Betty! Was, wenn sie nicht wieder kommt? Was soll ich den Kindern und meinen Eltern erzählen?“

Betty hielt die Luft an, als könne man sie atmen hören.

„Ich bin genau so eine gute Freundin wie du ein guter Ehemann! Und jetzt verschwinde, das hast du dir selbst alles eingebrockt“, erwiderte Nina zuckersüß.

Betty hatte sich indessen hinter dem großen Garderobenschrank versteckt.

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