Chong

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Claus-Peter Bügler

Chong

Actionthriller

Das folgende Werk ist urheberrechtlich geschützt, u. a. nach§ 1061 UrhG und darf ohne Genehmigung des Autors weder vollständig noch teilweise in irgendeiner Form wiedergegeben werden. Das gleiche gilt ebenso für die Mikroverfilmung und die Einspeicherung in elektronische Medien. Unerlaubte Vervielfältigung und missbräuchliche Nutzung ziehen eine strafrechtliche Verfolgung nach sich.

Imprint

Chong

Claus-Peter Bügler

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Copyright: © 2013 Claus-Peter Bügler

ISBN 978-3-8442-8374-7

Lektorat: Erik Kinting / www.buchlektorat.net

Covergestaltung: Erik Kinting

Auch als Druckversion erhältlich: ISBN 978-1495389405

Ich möchte mich noch einmal bei meinem Lektor, Herrn Erik Kinting bedanken, ohne den es dieses Buch wohl nie gegeben hätte.

Inhalt

Imprint

Inhalt

Vorwort

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Vorwort

Chong ist ein knallharter, blutiger, actionreicher Roman, der den Leser bis zur letzten Seite auf eine rasante Jagd um die halbe Welt entführt. Ich wünsche gute Unterhaltung. Und vergessen Sie die Baldrianpillen nicht — Sie werden sie brauchen ...

Herzlichst

Ihr C.-P. Bügler

C.P. Bügler wurde 1968 im Saarland geboren. Nach dem Besuch eines naturwissenschaftlichen Gymnasiums absolvierte er eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Neben der Pflege belegte er unter anderem einen Heilpraktiker- sowie einen Pflegemanagementkurs, bevor er 2006 mit dem Bücherschreiben begann.

1.

>>Prinzessin Pei-Pei saß in einem finsteren Verließ, sie fror und zitterte. An der Wand des Kerkers, in den sie der böse Zauberer Fu-Chen geworfen hatte, loderte hoch über ihrem Kopf die gelbe Flamme einer Fackel ... ihr schönes, pechschwarzes Haar war ganz zerzaust und ihr hübsches weißes Kleid schmutzig geworden, denn sie lag auf dem kalten Kerkerboden in einem Bett aus Stroh ... überall um sie herum quietschten kleine Ratten ... <<

Su-Lin stieß ein kurzes, entsetztes >>Iiiieeehhhhh!<< aus und verkroch sich ganz spontan unter ihrer kuscheligen Bettdecke.

>>Ich glaube, die Geschichte ist zu gruselig für dich, deswegen sollten wir das Gutenachtmärchen besser hier beenden ... sonst bekommst du Angst und kannst schließlich die ganze Nacht nicht einschlafen ... <<

Su-Lin reckte wie eine Schildkröte ihren Kopf unter der Bettdecke hervor. >>Weitererzählen ... weiter ... weiter ... weiter ... bitte ... bitte ... <<, quengelte sie aufgeregt, doch Chong deutete mit sanftem Lächeln auf seine Armbanduhr.

>>Liebling, wir haben uns für Morgen viel vorgenommen ... wenn wir heute zu spät schlafen gehen, dann werden wir beide morgen früh so müde und schlapp wie zwei alte Elefanten sein und man wird uns auf den Eiffelturm hochtragen müssen, weil es unsere Beine nicht schaffen ... nein ... morgen haben wir alle Zeit der Welt für uns, um ganz viele tolle Dinge zu machen: Eis essen gehen, Spielen, Kino ... was immer du möchtest. Außerdem möchte ich nachher noch mit Mami telefonieren ... <<

Su-Lin seufzte. Am liebsten hätte sie den bösen Zauber Fu-Chen in einen Berg Eiscreme verwandelt und mit der Prinzessin gespielt, aber man konnte ja schließlich nicht alles haben und so gab sie schließlich klein bei. >>Einverstanden ... <<

>>Dann gute Nacht, mein Schatz, ich liebe dich ... << Chong gab seiner Tochter ein Küsschen auf die Stirn und löschte das Licht.

>>Ich hab' dich auch lieb, Papi ... gute Nacht ... <<

Er trat leise ins Nachbarzimmer und schaltete den Fernseher ein, doch die seichte Unterhaltung amerikanischer Sitcoms, die über die Mattscheibe flimmerte, konnte ihn nicht so recht begeistern und so schaltete er wenig später den Apparat wieder aus.

Chong sah auf die Uhr. In etwas mehr als einer Stunde würde das Flugzeug seiner Frau landen. >>Also noch ein wenig Zeit für etwas Bewegung ... <<

Während er in einen bequemen Jogginganzug schlüpfte dachte er darüber nach, wie rasend schnell doch die Zeit verging. Su-Lin, seine Tochter war jetzt acht Jahre alt, ein süßes Mädchen mit lustigen dunklen Augen und einem schwarzen Pagenhaarschnitt. Chongs Frau arbeitete als Stewardess und flog beruflich praktisch in der ganzen Welt umher, während Chong (mit richtigen Namen hieß er Li Chong Hanzhiou, aber da sich kein Mensch diesen Namen merken konnte, wurde er von allen Leuten, die beruflich oder privat mit ihm zu tun hatten, einfach nur kurz und bündig Chong genannt) als Geschichtsprofessor an der Pariser Universität beschäftigt war. Er trug sein pechschwarzes Haar kurz geschnitten und seine geheimnisvollen, dunklen Augen, die ihm gerade aus dem Garderobenspiegel entgegenlächelten, strahlten unverhohlen Freundlichkeit, Wärme und Weltoffenheit aus. Der dunkle Jogginganzug den er trug ließ niemanden nur im Geringsten etwas von dem durchtrainierten und muskulösen 42-jährigen Körper darunter erahnen, denn Chong war ein Kampfsportmeister ...

Er reckte und streckte sich einige Male genüsslich, tat ein paar tiefe Atemzüge, machte ein bisschen Stretching und trat schließlich hinaus auf die Straße. Mild-warme, sommerliche Abendluft schwebte über den Häusern und Straßen und die drückende Schwüle trieb Chong schon nach wenigen Minuten Jogging den Schweiß aus allen Poren. Er beschloss ein paar Kilometer am Seine-Ufer entlangzulaufen, doch es sollte anders kommen.

>>Seht euch mal den verkackten Reisfresser da an ... <<

Lautes Gelächter.

Chong erblickte eine Gruppe Jugendlicher, die er dem Drogenmilieu zuordnete. Sie saßen alle auf Bänken. Er beschloss weiterzulaufen, sich nicht um die Kids zu kümmern, als er von einer leeren Bierdose am Kopf getroffen wurde.

>>He ... Hop-Sing ... <<

>>Was glotzt du so dämlich, du Schlitzauge? Willst du was aufs Maul?<<, hörte Chong einen anderen rufen.

Er lächelte gelassen über das ganze Gesicht, während er langsam an die Gruppe herantrat. >>Bitte, ich bin bereit ... <<

Der Wortführer der Bande, ein langhaariger, unrasierter Schmuddeltyp in Jeans und Lederjacke, beäugte Chong wie einen Geistesgestörten. Ein leises Klicken ertönte und schon lugte zwischen den Fingern des Langhaarigen die silbrig-glänzende Klinge eines Stiletts blutgierig hervor. Die Spitze deutete auf Chongs Brust. >>Du bist offensichtlich nicht ganz normal, Alter ... wir sind zu fünft ... und wir werden dir gleich deinen gelben Arsch aufreißen, dass du es dein Leben lang nicht mehr vergessen wirst ... <<

Aus den Augenwinkeln konnte Chong nun erkennen, dass seine Gegner sich langsam verteilten, um ihn einzukreisen. Die meisten waren mit Flaschen und Messern bewaffnet, während ein dicker, rundlicher Kerl eine umgeschmiedete Fahrradkette in seinen fleischigen Wurstfingern umklammert hielt. Sein verschwitztes, rosafarbenes Gesicht versuchte zu grinsen, während der über seinem Gürtel schwabbelnde Fleischberg mit jedem Atemzug auf und nieder hüpfte.

Dann ging es los ...

Chong sah gerade noch rechtzeitig das Messer auf sich zuschießen, hörte das bedrohliche, böse Zischen der Klinge und duckte sich. Das Messer schoss über seinen Kopf hinweg und bohrte sich dem Kerl, der hinter ihm stand, bis zum Schaft ins rechte Auge. Der stieß einen markerschütternden Schrei aus und sackte zusammen, doch Chong hatte keine Zeit auf ihn zu achten. Er hechtete zur Seite, rollte sich ab, um aus dem Zentrum der Schläger herauszugelangen.

Der Langhaarige starrte fassungslos auf die blutige Klinge in seiner Hand, dann wieder auf den sich vor Schmerzen am Boden krümmenden Mann und urplötzlich spiegelte sich in seinen Zügen grenzenlose Wut. >>Macht den Scheißkerl fertig ... legt das Arschloch um ... reißt ihm seine verdammten Eier ab ... lasst ihn nicht entkommen ... <<, schrie er hasserfüllt.

Schon stürzten sich die verbliebenen vier gleichzeitig auf Chong.

Mit einem blitzschnellen, rückwärts gedrehten Fußtritt trat Chong einem der Schläger die Bierflasche aus der Hand und setzt ihn mit einem hammerharten Kick zum Kopf außer Gefecht, als ihn die Fahrradkette mit aller Wucht im Rücken traf. Ein wahnsinniger Schmerz jagte wie ein Expresszug durch Chongs Körper, lähmte ihn förmlich, ließ ihn für ein paar Sekunden straucheln.

 

>>Ich hab' ihn erwischt<<, jubelte der Dicke.

>>Und jetzt ... <<

Chong spürte, dass sich etwas Kaltes, Unnachgiebiges um seinen Hals legte und fühlte das Blut in seinen Schläfen hämmern und klopfen. Es dauerte eine Weile, bis sein Gehirn registrierte was sich abspielte, bis ihm klar wurde, dass gerade jemand dabei war, ihn unbarmherzig und eiskalt mit einer Fahrradkette zu erwürgen. Unzählige Schläge und Tritte prasselten unaufhörlich auf seinen Körper nieder. Vor seinen Augen begann sich bereits alles zu drehen, während seine Finger sich an der seinen Hals umschließenden Fahrradkette entlang tasteten und fieberhaft nach den Händen seines Würgers suchten. Chong wusste, dass dies seine einzige Chance war.

Endlich ertastete er etwas, das sich wie Daumen anfühlte. Es gab ein ekelhaftes, hässliches Geräusch, als der Knochen brach, wie ein dürrer Zweig der zerknackt.

Der Dicke stieß einen grellen Schrei aus und Chong konnte spüren wie sich der Druck, den die Kette auf seinen Hals ausgeübt hatte, schlagartig auflöste. Blitzschnell schlug er dem Dicken seinen Ellbogen ins Gesicht, wich geschmeidig dem Angriff des Kerls rechts vor sich aus, dem er mit einem Seitwärtstritt den Kiefer brach, als auch schon eine Messerklinge über Chongs Oberarm schrammte, den Stoff auftrennte und eine zehn Zentimeter lange, haarnadelfeine rote Linie auf der Haut zurückließ. Der Messerstecher stieß mit einem lauten, wütenden Aufschrei erneut zu, doch Chong war auf den Angriff vorbereitet. Er wich zur Seite aus, ließ die Messerklinge an sich vorbeizischen, ergriff das Handgelenk des Angreifers und führte einen harten Kniestoß zu dessen Ellbogen aus. Der brüllte wie ein wilder Stier, als sein Arm wie ein Streichholz brach.

>>Na, was ist? Ist dir die Lust schon vergangen? Wolltest du mir nicht eben noch aufs Maul hauen, oder irre ich mich da?<<, wandte sich Chong gefährlich ruhig an den Langhaarigen.

Der blickte unschlüssig zwischen dem Messer in seiner Hand und Chong hin und her. Dann wischte er sich plötzlich die blutige Klinge kurzerhand am Hosenbein ab, klappte das Messer zusammen und rannte wie vom Teufel gejagt davon. Chong wollte hinterher, doch der Dicke warf sich plötzlich mit seinem ganzen Gewicht auf ihn und sie stürzten beide zu Boden.

Chong hatte keine große Mühe seinen korpulenten Gegner, der durch seine unlängst gebrochenen Daumen sichtlich gehandicapt war, unter Kontrolle zu bekommen. Der Dicke schwitzte und ächzte, zappelte wie ein Fisch, winselte vor Schmerz und Erschöpfung, als Chong ihm hart den Ellbogen in die Leber rammte.

>>Jetzt wirst du am eigenen Leib erfahren wie es ist, wenn man gewürgt wird ... merk' dir die Lektion gut<<, sagte Chong kühl, während er dem Dicken dessen ledernen Gürtel aus der Hose zog.

Das Pfannkuchengesicht mutierte schlagartig von rosarot in eine fahlgraue Leichenblässe, denn der Dicke ahnte nur zu gut, was ihm bevorstand.

>>Ich werde dir jetzt aus deinem Gürtel eine hübsche, nette, kleine Schlinge machen und sie dir um deinen fetten Hals legen. Vorher ... << Chong lächelte sanft. >> … hätte ich ganz gerne ein paar Fragen von dir beantwortet ... <<

>>Einen Scheiß werde ich tun<<, schnaubte und keuchte der Dicke. >>Du wirst es nicht wagen ... <<

>>So, meinst du wirklich? Wie du willst ... ganz offensichtlich stehst du auf die harte Tour — hätte ich eigentlich nicht von dir erwartet, aber ... wenn du es so willst — bitte ... << Chong zerrte seinen weitaus schwereren Gegner mühelos zu der gut hüfthohen Brüstung am Wegrand, die das Ufer von der Seine abgrenzte. Mit leisem, gedämpftem Murmeln trieb der Fluss dahin, wobei er immer wieder kleine schaumige Wellen gegen das Ufer warf. Chong knotete das andere Ende des Gürtels an der Brüstung fest und stemmte schließlich seinen massigen Gegner wie ein Spielzeug in die Höhe, um ihn über das Geländer zu wuchten.

Der war mittlerweile von Panik und Erschöpfung geradezu gelähmt.

>>Also ... bist du jetzt endlich bereit, mit mir ein bisschen zu plaudern? Oder soll ich loslassen und zusehen wie du dich strangulierst?<<

Der Dicke schüttelte heftig den Kopf.

>>Na endlich wirst du vernünftig ... wird aber auch Zeit<<, sagte Chong lächelnd, doch registrierte, dass die Augäpfel des Kerls zitterten und nervös, geradezu suchend hin und her wanderten. >>Falls du nach deinen Freunden Ausschau hältst ... wie es aussieht haben sie dich im Stich gelassen ... genauso wie dein langhaariger Boss, der ebenfalls längst auf und davon ist.<<

Langsam aber unaufhörlich begann die Abenddämmerung den Tag aufzufressen.

>>Was ... was willst du von mir?<<, röchelte der Dicke schwerfällig.

>>Nun ... sagen wir mal eine kleine Auskunft. Wer ist der langhaarige, zottelige Typ — und vor allem: wo finde ich ihn?<<

>>Marcel, sein Name ist Marcel ... es gibt da ein Versteck ... tief unter der Erde ... in den Katakomben unter der Stadt ... dort halten wir uns oft auf ... <<

>>Die Katakomben ... das klingt ja richtig romantisch.<<

Als Geschichtsprofessor kannte Chong das viele Jahrhunderte alte riesige Labyrinth aus Stollen, Gängen und Höhlen tief unter Paris nur zu gut, wenngleich er noch nie die Gelegenheit gehabt hatte, jene berüchtigten Katakomben persönlich zu begutachten, doch das sollte sich schon bald ändern. Um die Katakomben, das wusste Chong, rankten sich unzählige schaurige Sagen und Legenden. Wahr ist, dass ein Teil jener unterirdischen Gewölbe in früheren Zeiten als eine Art Friedhof genutzt worden war. In manchen Abschnitten stapeln sich heute noch Skelette und Knochen bis unter die Decke. Für Touristen finden hier und da regelmäßig Führungen statt, jedoch ist bis heute der größte Teil dieser unvorstellbar riesigen unterirdischen Konstruktion praktisch unerforscht. Über die tiefer in der Erde liegenden Abschnitte existieren keinerlei überlieferte Karten oder Ähnliches. Wahr ist aus eben diesem Grund, dass immer wieder Menschen in den Katakomben spurlos verschwinden, weil sie sich in den zahllosen unterirdischen Gängen verirren, ohne jemals wieder das Tageslicht zu sehen ...

>>Hier ... in der Nähe ... Avenue St. Etienne ... dort kommt man am einfachsten rein ... <<

***

Das Telefon läutete mittlerweile schon ewig. Schließlich krabbelte Su-Lin schlaftrunken unter ihrer kuscheligen Decke hervor, tapste benommen durch ihr dunkles Zimmer, betätigte unbeholfen den Lichtschalter und fragte sich fieberhaft, wieso und warum ihr Vater denn nicht ans Telefon ging. >>Immer auf die Kleinen ... ich komme ja, du dummes Telefon ... <<

Kurz darauf nahm sie den Hörer ab und meldete sich mit einem schüchternen, zaghaften >>Hallo?<<

>>Su-Lin?<<

>>Mami?<<

>>Kleines, Mami wollte eigentlich deinen Vater sprechen ... wieso bist du noch nicht in deinem Bett?<<

>>War ich doch ... im Bett ... das Telefon hat mich geweckt<<, verteidigte sich Su-Lin entrüstet.

>>Das tut mir leid, Liebes ... aber wieso bist du ans Telefon gegangen und nicht dein Papi? Er hat doch sicher ebenfalls das Läuten gehört, oder?<<

Su-Lin biss sich verlegen auf die Unterlippe, während sie aufgeregt in die Stille der sie umgebenden Wohnung lauschte, die lediglich durch die Stimme aus dem Telefonhörer unterbrochen wurde. Dann kam ihr plötzlich eine Idee. Sie legte rasch den Hörer neben dem Telefon auf der kleinen Kommode ab und sauste in den angrenzenden Flur, um ihren Verdacht bestätigt zu sehen, denn mit einem Blick konnte sie feststellen, dass ein paar Schuhe — die ihres Vaters — fehlten. Auch der Wohnungsschlüssel hing nicht im Schlüsselkasten.

>>Su-Lin? Su-Lin? Ich möchte, dass du mir auf der Stelle erklärst was hier vor sich geht ... <<

Erschrocken hastete das Mädchen zum Telefon zurück. >>Vati ... er ... er ... also ... er wollte spazieren gehen ... genau ... er hat gesagt, dass er noch spazieren gehen wollte ... <<

>>Um diese Urzeit? Es ist weit nach Mitternacht ... will er etwa irgendwelche Geister vertreiben? ... geht einfach fort und lässt dich allein ... na, dein Vater bekommt von mir aber gründlich was zu hören ... <<

>>Mami, ich bin doch kein kleines Baby mehr<<, widersprach Su-Lin energisch, doch sie biss bei ihrer Mutter auf Granit.

>>Schatz, darum geht es nicht ... es geschehen heutzutage so viele schlimme, böse Dinge auf der Welt und deine Mama hat einfach Angst, dass dir was passiert ... versteh' das bitte ... <<

***

Der Mann war ziemlich ungepflegt und roch streng nach einer unangenehmen Mischung aus Schweiß, Alkohol und Nikotin. Während er sein Portemonnaie hervor fingerte warf er der hübschen jungen Frau, die vor ihm auf einem schäbigen Bett in einem winzig kleinen und spärlich eingerichteten Zimmer saß, einen verächtlichen Blick zu. >>Du dreckige, geile kleine Schlampe ... du kannst es wahrscheinlich kaum noch erwarten, du geile, kleine Sau, was?<<

Mina schloss angewidert ihre dunklen, großen Augen, so wie sie es eigentlich immer tat, bis sich ihr jeweiliger Freier in ihr ergossen hatte. Doch diesmal war es anders, vollkommen anders sogar, denn sie hatte endgültig genug von der Prostitution und war fest dazu entschlossen auszusteigen.

Die junge Thailänderin erinnerte sich schmerzlich daran, wie sie mit 14 Jahren bereits vergewaltigt, missbraucht und zur Prostitution gezwungen worden war. Schließlich hatte man sie kurzerhand nach Europa verschleppt, wo sie, bar jeglicher Verwandter und Freunde — ihren Zuhältern hilflos ausgeliefert war. Mina wusste, dass niemand sie vermissen würde, wenn sie einfach von der Bildfläche verschwand, so wie es ihre Zuhälter schon mit etlichen Mädchen, die genau wie sie aussteigen wollten, gemacht hatten, doch sie war mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem sie lieber sterben würde, als weiter die Beine breitzumachen. >>Verpiss' dich!<<, spie sie schließlich ihrem Freier verächtlich entgegen.

>>Ich hör' wohl nicht recht ... pass auf was du sagst, du Schlampe, sonst ... <<

Mina erkannte, wie die Schläfenarterien des Freiers energisch zu arbeiten begannen und ihm förmlich das Blut ins Gesicht schoss, während seine rechte Hand weit zum Schlag ausholte.

>>Sonst was? Willst du mich schlagen, du Schwein? Versuch' es ... dann kannst du danach ziemlich sicher sein, dass man dich aus diesem Haus raus tragen wird ... aber in einer dieser grauen Metallbüchsen ... <<

Minas Stimme hatte einen warnenden, gefährlichen Unterton, den der Mann klugerweise nur zu gut verstand. Da er absolut keine Lust verspürte, sich mit irgendwelchen Zuhältern anzulegen, ließ er schließlich seine Hand wieder sinken.

>>Ich hab' dir Geld gegeben ... <<

>>Schieb' es dir in deinen fetten, verdammten Arsch und verschwinde ... hau' endlich ab<<, schrie die junge Frau aufgebracht, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und sich vier massige Männer, von denen jeder mehr Tätowierungen besaß als ein Maori, in das ohnehin schon enge Zimmer hineinzwängten.

>>Mina, du solltest dich etwas gastfreundlicher verhalten ... das kann so nicht weitergehen <<, sagte einer der Kerle, ein bulliger Kleiderschrank mit kahlrasiertem Schädel.

>>Die Schlampe ist einfach bockig ... ziert sich wie 'ne Jungfrau<<, warf Minas vermeintlicher Freier ein, doch unter den drohenden Blicken der ihn umgebenden Männer steckte er schnell zurück und machte sich aus dem Staub.

Der Glatzköpfige kramte plötzlich ein Stilett hervor. Die junge Thailänderin zuckte unwillkürlich zurück, als die Spitze der kalten, glänzenden Klinge sanft über ihre Wange strich. >>Mina ... Schätzchen ... du und deine süße, kleine Muschi ... ihr seid mir in all den Jahren richtig ans Herz gewachsen ... und es täte mir in der Seele weh, wenn ich mit meiner Klinge die hübsche Haut in deiner schönen Hurenvisage ein bisschen peelen müsste ... nur ein wenig — allerdings: Danach wirst du nicht mehr hübsch sein ... <<

>>Bertrand, du kannst dir dein beschissenes Gesabber sparen<<, erwiderte Mina heftig, wobei sie wütend mehrmals nach der Messerhand schlug, bis sie kurzzeitig aus ihrem Blickfeld verschwand. >>Du kotzt mich ganz einfach nur an ... ihr alle kotzt mich an ... ich habe genug, jeden Tag eure erbärmlichen Visagen sehen zu müssen<<, schrie sie nun fast schon hysterisch und sprang auf, um einem der Männer, der versuchte, sie an den Haaren zu zerren, hart zwischen die Beine zu treten.

 

>>Okay, okay ... wir kotzen dich also an, du dreckige Schlampe? Und du würdest gerne aussteigen, oder wahrscheinlich einfach so von hier verschwinden, was? Das kannst du haben, du ausgelutschte Nutte<<, warf der Kerl, der auf den Namen Bertrand hörte, leise und emotionslos ein. Der Zuhälter tauschte mit den anderen Männern eindeutige Blicke aus, dann wandte er sich wieder an die junge Frau: >>Du bist ab sofort draußen ... für immer und ewig. Allerdings wirst du niemals mehr dazu kommen, deine neue Freiheit zu genießen, weil wir dich noch heute Nacht kalt machen werden ... ich weiß auch schon einen netten, gemütlichen Ort, wo wir dich abladen werden, wenn wir mit dir fertig sind ... dir wird es sicher ganz gut dort gefallen ... du wirst um deinen Tod noch betteln, das schwör' ich dir ... <<

Minas Gesichtsfarbe mutierte zu einem käsigen Weiß, denn sie ahnte, wohin man sie verschleppen würde. — In die Katakomben, tief unter der Stadt ... Niemand würde sie schreien hören, nicht einmal, wenn sie sich die Seele aus dem Leib schrie. Niemand würde jemals ihre Leiche finden, oder das, was die Ratten davon noch übrig lassen würden ...

***

Zur gleichen Zeit im Pentagon, dem amerikanischen Verteidigungsministerium: >>Schon wieder so ein beschissener Anruf von irgendeinem Verrückten. Das müssen Sie sich anhören ... vermutlich irgend so ein Drogenfreak<<, rief der Mann im Vorbeigehen Specialagent Heller zu.

Der nippte gerade vorsichtig an seinem siedend heißen Kaffee. Heller war heilfroh, dass ihn der andere, der offenbar in Eile war, nicht angerempelt hatte, denn er trank seinen Kaffee lieber als ihn sich vom Jackett lecken zu müssen.

Wenig später hörte er sich interessiert mit einem runden Dutzend weiterer Sicherheitsleute die Aufzeichnung an. Sie kam von einem Band und was den Männern spontan auffiel, war der geradezu fanatische, hasserfüllte und aggressive Klang der Stimme. Ansonsten verstand zunächst keiner auch nur ein einziges Wort.

>>Shit ... das hört sich verdächtig nach Arabisch oder so etwas in der Art an ... Wir brauchen so schnell es geht einen Übersetzer<<, rief einer der Anwesenden schließlich und grapschte nach seinem Handy.

>>Das war kein Verrückter ... ich glaube, wir haben ein ernstes Problem<<, warf Heller düster ein.

Die Sicherheitsberaterin des Präsidenten starrte ihn fassungslos an. Allen steckte der Schrecken des 11. September noch tief in den Knochen und die Angst vor einem erneuten Terroranschlag wollte niemals mehr aus ihrem Bewusstsein weichen, so grausam war die Erinnerung.

>>Informieren Sie bitte umgehend den Präsidenten ... womöglich haben wir es gerade mit einer erneuten Terrordrohung zu tun ... <<

Einige Zeit später lag im Pentagon die schriftliche Übersetzung der Botschaft, die der offensichtlich ausländische Anrufer hinterlassen hatte, vor. Specialagent Heller griff nach dem Blatt und wurde beim Überfliegen des Textes bleich wie eine alte Leiche: Im Namen Allahs ... des Mächtigen ... des Weisen ... Wir sind die gerechten Krieger Allahs und sind bereit, für unseren Glauben und unsere Ziele zu sterben ... wenn ihr ... amerikanischen, imperialistischen Hunde ... diese Botschaft hört, ist der Tod bereits über euer Land hereingebrochen ... ihr werdet alle sterben ... Tod und Verderben euch allen ... mögen eure Seelen in der Hölle schmoren.

Unter den Anwesenden machte sich schlagartig eine unangenehme, an den Nerven zerrende Stille breit.

>>Diese fanatische Stimme ... das klingt nach<<, überlegte jemand.

>>Karem-Abu Jossr.<<

Die Sicherheitsberaterin des Präsidenten tätigte einen kurzen Anruf mir ihrem Handy und kurz darauf kam ein kahlköpfiger Mittvierziger schnaufend mit einer dicken Akte in den Raum gerannt. Sie nahm dem Mann rasch die Akte ab, überflog eilig die Seiten und wandte sich anschließend wieder an die restlichen anwesenden Pentagonmitglieder.

>>Gentlemen ... Karem-Abu Jossr ... geboren am 10.11.1950 in Riad ... Sohn eines reichen Geschäftsmannes ... sechs weitere Geschwister ... Studium in Oxford und Harvard cum laude ... Promotion in Jura und Medizin ... hochintelligent, aber auch ebenso eiskalt, fanatisch und gewissenlos ... mit 20 Jahren bereits Extremist gewesen ... aktiver Al-Khaida-Terrorist über etliche Jahre hinweg ... wurde allerdings mit der Zeit immer machthungriger und gründete schließlich aus einer Al-Khaida-Splittergruppe eine eigenständige Terrororganisation ... wir hatten zuletzt vor Monaten was von ihm gehört ... aus Europa ... genauer aus Paris ... damals war vor einem Hotel, in dem überwiegend Amerikaner wohnen, eine Autobombe hochgegangen, nachdem uns ein arabischer Anrufer darauf hingewiesen hatte ... der Anrufer war zweifelsohne Jossr ... <<

>>Dann müssen wir unverzüglich das ganze Land wegen der Gefahr eines drohenden Terroranschlags in Alarmbereitschaft versetzen.<<

Die Sicherheitsberaterin nickte düster. >>Allerdings ... wenn etwas passiert, dann wissen wir momentan leider noch nicht wo ... <<

Das Telefon läutete. Es war ein besonderes, rotes Telefon und stand auf einem dunklen Mahagonisideboard. Das Besondere daran war jedoch, dass die Leitung nur in dringenden, die innere Sicherheit gefährdenden Situationen von der jeweiligen Stelle benutzt werden durfte.

>>Ich glaube, das ändert sich gerade<<, fügte Specialagent Heller düster hinzu, indem er auf das Telefon deutete.

Es klingelte ein weiteres Mal, schrill und grell. Price, die Sicherheitsberaterin, fühlte wie ihr Herz zu hämmern begann. Als sie das letzte Mal jenen verdammten Hörer abgenommen hatte war es, um die Informationen über den Terroranschlag auf das World Trade Center in Empfang zu nehmen …

Es klingelte erneut.

>>Ich finde, wir sollten endlich rangehen<<, hörte Price jemand sagen und fasste sich ein Herz. Schweigend nahm sie den Anruf entgegen, holte tief Luft und wandte sich kurz darauf wieder an die sie umgebenden Männer: >>Gentlemen ... es hat eine heftige Explosion gegeben ... im New Yorker Hauptbahnhof ... die Lage vor Ort scheint ziemlich übel zu sein, denn die Sicherheitskräfte haben derzeit noch keinen Überblick über mögliche Opfer oder Verletzte ... offensichtlich hat sich irgendjemand selbst in die Luft gesprengt ... <<

***

>>He Sie, hallo Sie ... kommen sie da weg ... gehen Sie runter von den Schienen ... mein Gott hören Sie nicht? Runter von den Schienen! Sind Sie noch normal?<<

Der Mann, der da so stillschweigend auf den Gleisen stand, reagierte nicht. Lächelnd wie eine unbewegliche Statue stand er da, als würde er es genießen, von dem in irrsinnigem Tempo heranrasenden Schnellzug in Stücke gerissen zu werden. Er hatte schulterlanges, schwarzes Haar, die mit seinen dunklen, intensiven Augen harmonierten. Niemand konnte ahnen, dass sich unter dem nachtschwarzen Mantel des Mannes — ganz offensichtlich ein Orientale — rund 20 Kilogramm Sprengstoff versteckten. >>Tod ... Tod ... Tod über euch alle ... ihr werdet alle sterben ... ihr habt den Tod verdient ... <<, schrie er plötzlich und riss ruckartig die Hände in die Höhe. Im gleichen Augenblick wurde sein Körper von dem heranpreschenden Zug erfasst und hart durch die Luft geschleudert, als es auch schon einen ohrenbetäubenden Knall gab und ein widerlicher Regen aus Blut und Fleischfetzen auf die in Panik an den Bahnsteigen umherrennenden, schreienden Menschen niederging. Die Nase des Schnellzugs hob fast zwei Meter vom Boden ab, bis die Lok ächzend und stöhnend beinahe auf der Seite zu liegen kam und von den dahinterliegenden Waggons mit immer noch enormer Geschwindigkeit weitergeschoben wurde, geradewegs auf einen Güterzug zu, der 100.000 Liter hochexplosives Kerosin geladen hatte ...

>>Raus hier ... schnell ... hier wird gleich alles in die Luft fliegen<<, schrie irgendwo ein Mann, während woanders Frauen und Kinder weinten und blutüberströmte Verletzte mit abgerissenen Gliedmaßen sich im Todeskampf verzweifelt auf dem Boden wälzten.

Es war ein einziges Bild des Grauens.

Specialagent Jamal hatte an jenem Tag eigentlich dienstfrei und nun fand er sich wider Erwarten in einem unfassbaren, katastrophalen Inferno wieder. >>Sieht aus wie nach einem Bombenangriff ... bin mal wieder zur falschen Zeit am falschen Ort<<, seufzte er.

Die Explosion des Sprengstoffes, den der Selbstmörder am Leib gehabt hatte, war so immens gewesen, dass sie einen Teil des Bahnsteiges förmlich weggerissen hatte. Ein grauer Totenteppich aus Staub und Betonsplittern bedeckte den Boden, über den augenblicklich eine völlig verstörte, verängstigte Herde dahin rannte. Die Lok des entgleisten Zuges ragte über dem Kerosin-Zug auf, wie der schiefe Turm von Pisa, Flammen schlugen aus dem Motorblock.

>>Du lieber Himmel ... meine Tochter ... meine Tochter ist in dem Zug ... <<

>>Madam ... es tut mir leid ... sie können nicht weiter ... bitte kehren sie um ... bringen Sie sich in Sicherheit<<, gab Jamal ihr zu verstehen und bemühte sich seine Stimme ruhig und unbeteiligt klingen zu lassen, doch er spürte, wie seine eigenen Worte ihm eine Gänsehaut über den Rücken jagten, denn unwillkürlich musste er an seine eigene Tochter Cathy denken ... Jamal drängte die Frau sanft aber bestimmt zurück. >>Ich werde versuchen, ihnen zu helfen ... aber Sie müssen mir versprechen — auch, wenn es schwerfällt — vernünftig zu bleiben ... versprechen Sie mir das?<<