Person und Religion

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6.2 Husserls Beiträge zur Beantwortung der „Kardinalfrage der ErkenntnistheorieErkenntnistheorie, die ObjektivitätObjektivität der ErkenntnisErkenntnis betreffend“1

Wenn im Folgenden das WesenWesen und die MethodeMethode der Realistischen PhänomenologiePhänomenologie herauszuarbeiten gesucht wird, dann geschieht dies durch einen kritischen Vergleich mit gewissen Husserlschen Thesen.2 Was die nachmaligen Realistischen Phänomenologen unter Husserls Studenten an seinem Frühwerk begeisterte, war sein konsequenter Objektivismus. Die MaximeMaxime, die ihn in Logische Untersuchungen leitete, lautete: „Wir wollen auf die ‚Sachen selbst‘ zurückgehen“3. Mit dieser Maxime stellte HusserlHusserlEdmund sich entschieden gegen alle subjektivistischen Reduktionismen und alle konstruktiven Tendenzen, welche häufig im IrrtumIrrtum enden.4

Gegen den RelativismusRelativismus in der FormForm des AnthropologismusAnthropologismus, demnach für die Spezies MenschMensch nur das wahr ist, „was nach ihrer Konstitution, nach ihren Denkgesetzen als wahr zu gelten habe“, stellt er die Widersinnigkeit der „Rede von einer WahrheitWahrheit für den oder jenen“.5 „Denn es liegt in ihrem Sinne, dass derselbe Urteilsinhalt (SatzSatz) für den Einen, nämlich für ein SubjektSubjekt der Spezies homo, wahr, für einen Anderen, nämlich für ein Subjekt einer anders konstituierten Spezies, falsch sein kann.“6 Derselbe Wortinhalt kann aber nicht beides zugleich sein, nämlich wahr und falsch. „Die Wahrheit relativistisch auf die Konstitution einer Spezies gründen, […] ist aber widersinnig.“7 Denn wenn die Wahrheit ihre alleinige Quelle in der allgemeinen menschlichen Konstitution hätte, so bestünde keine Wahrheit, wenn keine solche Konstitution bestünde. Die Widersinnigkeit zeigt sich auch an der Behauptung, dass keine Wahrheit besteht, „denn der Satz ‚es besteht keine Wahrheit‘ ist dem Sinne nach gleichwertig mit dem Satze „es besteht die Wahrheit, dass keine Wahrheit besteht‘“8. „Was wahr ist, ist absolut, ist ‚an sich‘ wahr; die Wahrheit ist identisch Eine, ob sie Menschen oder Unmenschen, Engel oder Götter urteilend erfassen.“9

Die WahrheitWahrheit wird im WissenWissen besessen. Doch „nicht jedes richtige UrteilUrteil, jede mit der Wahrheit übereinstimmende Setzung oder Verwerfung eines Sachverhalts ist ein Wissen vom Sein oder Nichtsein dieses Sachverhalts“10. Die Wahrheit hat ein Kennzeichen: die EvidenzEvidenz. Die „lichtvolle GewissheitGewissheit, dass ist, war wir anerkannt, oder nicht ist, was wir verworfen haben“11. „Evidenz ist […] nichts anderes als das ‚Erlebnis‘ der Wahrheit“12, d.h. der „Idee, deren Einzelfall im evidenten Urteil aktuelles Erlebnis ist“13. Ja, die Evidenz ist ein „unmittelbares Innewerden der Wahrheit selbst“14, auf der „jede echte und speziell jede wissenschaftliche ErkenntnisErkenntnis“15 beruht. „Wissen im engsten Sinne des Wortes ist Evidenz davon, dass ein gewisser SachverhaltSachverhalt besteht oder nicht besteht“16. Auch wird die echte und rechte WissenschaftWissenschaft nicht erfunden, „sondern sie liegt in den Sachen, wo wir sie einfach vorfinden, entdecken“17. Diese Einsichten sind grundlegend für den phänomenologischen Realismus.

HusserlHusserlEdmund war gegen den PsychologismusPsychologismus angetreten und hat ihn überwunden, indem er nachgewiesen hat, dass die WahrheitWahrheit von Sätzen wie „2 + 3 = 5“ sich nicht nach dem tatsächlichen Denken einer Psyche richtet, sondern das tatsächliche Denken jeder Psyche sich nach ihr zu richten hat. In diesem Sinne ist der Schluss auf eine notwendige Folge „nicht ein empirisch-psychologischer Zusammenhang von Urteilserlebnissen, sondern ein ideales Verhältnis von möglichen Aussagebedeutungen, von Sätzen“18. Was im Denken verbunden wird, sind „Begriffe und Sätze mit ihren gegenständlichen Beziehungen“, wobei den „subjektiven Gedankenverknüpfungen“ eine objektive Bedeutungseinheit entspricht.19 Was hier Bedeutung heisst, befasst „durchaus nur ideale EinheitenEinheitenchaotische, zufällige, morphische“20. „Die Idealität der Wahrheit macht aber ihre ObjektivitätObjektivität aus.“21 Diese objektiven Bedeutungseinheiten der Begriffe und Wahrheiten werden nicht gemacht, „als handelte es sich um Zufälligkeiten eines oder des allgemein menschlichen Geistes“, vielmehr werden sie eingesehen und entdeckt.22

„Wo also im Zusammenhang mit dem prägnanten Terminus denken das Wörtchen können auftritt, ist nicht subjektive NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive, d.i. subjektive Unfähigkeit des Sich-nicht-anders-vorstellen-könnens, sondern objektiv-ideale NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive des Nicht-anders-sein-könnens gemeint.“23 Diese objektive NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive kommt im BewusstseinBewusstsein zur Gegebenheit als apodiktische EvidenzEvidenz.24 Ausdrücklich merkt HusserlHusserlEdmund an, dass die NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive in einem Stehen in gesetzlichem Zusammenhang liegt. „Was das Anderssein verwehrt, ist eben das Gesetz, das sagt, es ist nicht bloss hier und jetzt so, sondern überhaupt, in gesetzlicher Allgemeinheit. An dieser Stelle weist er auch auf den grundlegenden Unterschied hin zwischen der apriorischen WesensnotwendigkeitWesensnotwendigkeit und der empirischen NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive.25 Empirische NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive ist jedoch keine Wesensnotwendigkeit, und „‚NaturgesetzeNaturgesetze‘, Gesetze im Sinne der empirischen Wissenschaften, sind keine Wesensgesetze (Idealgesetze, apriorische Gesetze)“26. Bis hierher geht die Realistische PhänomenologiePhänomenologie noch ganz mit HusserlHusserlEdmund einig.27 Auch da noch, wo er zwischen unselbständigen und selbständigen Teilen unterscheidet:

Wir können uns einen Mann mit zwei Köpfen, den Oberleib eines Menschen verbunden mit dem Unterleib eines Pferdes vorstellen, oder auch einzelne Stücke, einen Kopf, eine Nase, ein Ohr für sich. Dagegen ist es unmöglich, eine ‚abstrakte Idee‘ zu bilden, z.B. die ‚Idee‘ einer Bewegung abzutrennen von der eines bewegten Körpers. […]

Wir haben in Ansehung gewisser Inhalte die EvidenzEvidenz, dass die Änderung oder Aufhebung mindestens eines der zusammen mit ihnen gegebenen (aber nicht in ihnen eingeschlossenen) Inhalte sie selbst ändern oder aufheben müsse. Bei anderen Inhalten fehlt uns diese Evidenz […].

In der ‚NaturNatur‘ des Inhalts selbst, in seinem idealen WesenWesen, gründet keine Abhängigkeit von anderen Inhalten, er ist in seinem Wesen, durch das er ist, was er ist, unbekümmert um alle anderen. Es mag faktisch so sein, dass mit dem Dasein dieses Inhalts andere Inhalte, und nach empirischen Regeln, gegeben sind; aber in seinem ideal fassbaren Wesen ist der Inhalt unabhängig, dieses Wesen fordert durch sich selbst, also a prioria priori, kein mitverflochtenes anderes Wesen.28

Während die Gegenstände der empirischen Wissenschaften sinnlich sind, sind diejenigen der apriorischen Wissenschaften kategorial. Jene sind ihm real, diese aber ideal.29 Dass diese Unterscheidungen zur BegründungBegründung der WesensnotwendigkeitWesensnotwendigkeit zu kurz greifen, wird sich weiter unten zeigen, wenn mit Dietrich von HildebrandHildebrandDietrich von die drei grundsätzlich verschiedenen Wesenheiten unterschieden werden, anhand derer die objektive Wesensnotwendigkeit begründet werden kann. Jedenfalls haben sich nach all den objektivistischen Meisterstücken die ersten Anzeichen des Übergangs zum transzendentalen IdealismusTranszendentaler Idealismus30 bei der Gleichsetzung der Realität mit der Zeitlichkeit abgezeichnet.31 HusserlHusserlEdmund unterliegt damit dem seit KantKantImmanuel virulenten Einfluss, dass man sich nicht mehr über das BewusstseinBewusstsein hinaus traut.32 Ein Sein im Bewusstsein ist ihm dementsprechend nur das Sein des Idealen, währenddem das Sein des Realen ein „Sein ausserhalb des Bewusstseins“33 ist. „Real ist das Individuum mit all seinen Bestandstücken; es ist ein Hier und Jetzt.“34

Husserls Versuch schliesslich, das objektive AprioriApriori dennoch mit der MethodeMethode der phänomenologischen EpochéEpoché zu retten, vermochte das objektive An-sich weder einzuholen noch zu begründen. Denn durch die Einklammerung der „Generalthesis der natürlichen Einstellung“, die ihm „jedes UrteilUrteil über räumlich-zeitliches Dasein völlig verschliesst“, bleibt er nach all den erhellenden Einsichten in transzendente Wirklichkeiten bei der Sphäre seines eigenen Bewusstseins stehen und studiert, „was wir in ihr immanent finden“, um von da her „die EinsichtEinsicht zu vollziehen, auf die wir es abgesehen haben, nämlich die Einsicht, dass BewusstseinBewusstsein in sich selbst ein Eigensein hat, das in seinem absoluten Eigenwesen durch die phänomenologische Ausschaltung nicht betroffen wird“, sondern „uns das ‚reine‘ Bewusstsein und in weiterer Folge die ganze phänomenologische Region zugänglich macht“.35 Von da her mündeten Husserls Bemühungen mit dem transzendentalen Ego in die transzendentale Subjektivität und den transzendentalen IdealismusTranszendentaler Idealismus.36 Welche Konsequenz er leichtlich hätte umgehen können, wäre er nicht auf den IrrtumIrrtum verfallen, dass es alleine die Einklammerung des Daseins und dadurch die Unabhängigkeit von der NaturNatur des Objekts sei, wodurch Gegenstände apriorisch erkannt werden könnten. Wenngleich HusserlHusserlEdmund die BegründungBegründung apriorischen Erkennens im Letzten nicht gelungen ist, so bereitete er mit der Einklammerungstheorie immerhin den Boden, von dem aus von HildebrandHildebrandDietrich von die Apriorierkenntnis mit den drei grundsätzlich verschiedenen Wesenheiten schliesslich zu begründen vermochte.

6.3 Die Grenzen der husserlschen PhänomenologiePhänomenologie als Ausgangspunkt des phänomenologischen Realismus

Einige der wesentlichen Merkmale der Realistischen PhänomenologiePhänomenologie haben sich aus der Überwindung Husserlscher Irrtümer und falscher Folgerungen ergeben. Da ist an erster Stelle die folgenschwere Identifizierung der Realität mit der Zeitlichkeit, welche unweigerlich zur KonklusionKonklusion führt, dass der MenschMensch zu keinen objektiven Erkenntnissen in der Lage ist. Eine Voraussetzung, deren Überwindung die Denker der Realistischen Phänomenologie sich besonders gewidmet haben. Eng mit der Überwindung dieser falschen Voraussetzung ist dann auch die Zurückgewinnung der ExistenzExistenz als eines Gegenstands der Philosophie verbunden. Auch in dieser Hinsicht hat der phänomenologische Realismus nicht nur um die Bedeutung gewusst, sondern war auf der Basis der Tradition in der Lage, die Erkennbarkeit der realen Existenz zu begründen. Als Tradition wird hier einerseits AugustinusAugustinus mit seiner Überwindung des SkeptizismusSkeptizismus durch die absolut gewisse ErkenntnisErkenntnis der eigenen Existenz verstanden: „Wenn ich mich täusche, bin ich ja. Denn wer nicht ist, kann sich auch nicht täuschen; also bin ich, wenn ich mich täusche.“1 Andererseits auch dessen Wiederaufnahme durch René DescartesDescartesRené (1596–1650), der in der Erkenntnis der eigenen Existenz den archimedischen PunktArchimedischer Punkt fand, an dem jeder Skeptizismus zerschellt.2

 

Schliesslich bleibt von den verschiedenen Beiträgen, die hier angeführt werden könnten, vor allem Dietrich von Hildebrands EinsichtEinsicht zu erwähnen, dass sehr wohl auch in der realen Welt Erkenntnisse von Wesensnotwendigkeiten erlangt werden können. Dieser wahrhaft klärende Beitrag von Hildebrands wird des Weiteren zu beleuchten sein, wenn seine epistemologische Hauptschrift Was ist Philosophie? im nächsten Punkt in ihren Grundzügen auseinandergesetzt werden wird. Jedenfalls hat sich aus der Beschäftigung mit Husserls Logische[n] Untersuchungen verdeutlicht, an welcher Stelle sich die Realistischen Phänomenologen von HusserlHusserlEdmund und seiner Philosophie distanzierten: Bei der Abkehr vom konsequenten Objektivismus und seiner Zuwendung zum transzendentalen Ego, das kein archimedischer Punkt in der objektiv existierenden Welt sei, und zudem auch seiner Annahme der Abhängigkeit der notwendigen Wesenheiten vom SubjektSubjekt. Von da her wird die Realistische PhänomenologiePhänomenologie als eine Bewegung verstanden, die Husserls MaximeMaxime „Zurück zu den Sachen selbst“ im Geiste der Logische[n] Untersuchungen in einem realistischen und objektivistischen Sinne deutet.

7 Von Hildebrands „Was ist Philosophie?“ als grundlegende Schrift zur MethodeMethode der Realistischen PhänomenologiePhänomenologie und die Frage nach der Originalität seines Beitrags

Im Blick auf die verschiedenen Irrtümer, die die Philosophie zu allen Zeiten umtreiben, war es von HildebrandHildebrandDietrich von in Was ist Philosophie? vor allem um die Rehabilitierung der Philosophie zu tun, wie vor ihm bereits HusserlHusserlEdmund,1 für den die LogikLogik sich gleichsam im Zustand einer Schlacht aller gegen alle befand (bellum omnium contra omnes).2 Die Entstehung von Was ist Philosophie? hat allerdings eine erwähnenswerte Geschichte, die ihren Anfang mit – dem damaligen Giessener3 – Professor Theodor SteinbüchelSteinbüchelTheodor (1888–1949) nahm, der von HildebrandHildebrandDietrich von 1932 bat, den Einleitungsband zu einer Serie zu übernehmen, die ein philosophisches Handbuch werden sollte. Von HildebrandHildebrandDietrich von nahm diese Einladung nach jahrelanger erkenntnistheoretischer Arbeit gerne an und nach gewissen Änderungsvorschlägen Professor Steinbüchels wurde der Druck sogleich in Angriff genommen. Aufgrund des Kampfes, den von HildebrandHildebrandDietrich von von Wien aus gegen den Nationalsozialismus geführt hatte,4 war es für ihn im nationalsozialistischen Deutschland unmöglich, Bücher zu veröffentlichen. Doch 1948 teilte ihm der Bonner Verlag Hanstein schliesslich mit, das Buch nun zu veröffentlichen.5 1950 erschien es in Bonn unter dem Titel Der SinnSinn philosophischen Fragens und Erkennens. Im Anschluss überarbeitete es von HildebrandHildebrandDietrich von und fügte ihm noch einige Kapitel hinzu, was ein vergleichender Blick in die beiden Bücher6 eindeutig zu erkennen gibt. Ins Englische übersetzt wurde es von William MarraMarraWilliam und erschien 1960 unter dem Titel What is Philosophy? (Milwaukee, 1960). Die deutsche Ausgabe – Was ist Philosophie? (Stuttgart, 1976) – besorgten Karla MertensMertensKarla und Fritz WenischWenischFritz.7

Doch was zeigt er mit dieser Schrift, was ist ihr origineller Beitrag? Wie für HusserlHusserlEdmund, so ist die Frage nach der apriorischen ErkenntnisErkenntnis auch für seinen Schüler von HildebrandHildebrandDietrich von „die Kardinalfrage“, „die erkenntnistheoretische Frage schlechthin“.8 Dabei zielt sein Werk „darauf ab, das wahre WesenWesen philosophischer Erkenntnis, ihre existentielle Lebendigkeit sowie den wahren Gegenstand der Philosophie herauszuarbeiten“9. Unterteilt in acht Kapitel, geht er in seiner erkenntnistheoretischen Hauptschrift erst auf das ErkennenErkennen im Allgemeinen (1. Kap.), die Grundformen der Erkenntnis (2. Kap.) und die Eigenart des philosophischen Erkennens im Gegensatz zu vorwissenschaftlichem Erkennen ein (3. Kap.), um sodann den genuinen Gegenstand des philosophischen Erkennens zu untersuchen (4. Kap.). Aufgrund der entscheidenden Bedeutung dieser Untersuchungen des vierten Kapitels, sei dessen Inhalt im Anschluss an die Skizzierung der letzten vier Kapitel gründlich erörtert. Und zwar deswegen, weil in diesem vierten Kapitel detailliert nachgewiesen wird, welche objektiven KorrelateKorrelateobjektive das absolut gewisse Erkennen bedingt. Doch vorerst zu den letzten vier Kapiteln. Als erstes untersucht er die ObjektivitätObjektivität und Unabhängigkeit der Erkenntnis vom menschlichen GeistGeist und grenzt sie ab von der Abhängigkeit bestimmter subjektiver Akte vom menschlichen Geist (5. Kap.). In einem nächsten Schritt thematisiert er die beiden Grundthemen der Erkenntnis: Erstens das Notionsthema, d.h. das Thema des Wissens, und zweitens das kontemplative Thema (6. Kap.), welches im weiteren Verlauf der vorliegenden Untersuchung noch beschäftigen wird.10 Des Weiteren interessiert er sich für die charakteristischen Merkmale des philosophischen Fragens und Erkennens, wobei er auf die Tiefendimension der Wesenserkenntnis verweist, welche ihren Grund darin hat, dass das philosophische Erkennen sich auf notwendige Wesenheiten und Sachverhalte richtet und diese nicht von aussen betrachtet, sondern von innen her erkannt und verstanden werden. Daraufhin lenkt er die Aufmerksamkeit auf den existentiellen Wirklichkeitskontakt der PhänomenologiePhänomenologie (7. Kap.). Was ihn überleitet zu einer Besprechung der Bedeutung, die die Philosophie für den Menschen hat (8. Kap.).

Nach diesem gerafften Durchgang durch den Inhalt von Was ist Philosophie? nun wieder zurück zum vierten Kapitel. Wichtig ist vor allem die Frage, ob, und wenn ja, wie von HildebrandHildebrandDietrich von die von HusserlHusserlEdmund aufgeworfene Kardinalfrage der ErkenntnistheorieErkenntnistheorie beantwortete. Auch HusserlHusserlEdmund suchte im Letzten ja nach einer ErkenntnisErkenntnis, die notwendig, unvergleichlich intelligibelintelligibel und absolut gewiss ist, welche Merkmale das apriorische ErkennenErkennen in sich vereint. Bevor diese Merkmale im Einzelnen auseinandergesetzt werden, zuerst zu dem, was das AprioriApriori nicht bedeutet, als was es im Laufe der Geschichte der Philosophie aber wiederholt verstanden worden ist. Seinem Wortsinn nach bezeichnet das Apriori das Erkennen unabhängig von der Erfahrung, im Gegensatz zum AposterioriAposteriori, das für das Erkennen aufgrund von Erfahrungen steht. Obzwar die Begriffe soweit klar zu sein scheinen, kam es in der Geschichte der Philosophie zu voneinander abweichenden Deutungen. Differenzierend ist dabei die Frage, ob es Erkenntnisse gibt, die unabhängig von der Erfahrung erlangt werden können. Gibt es Gehalte, die nicht ein einziges Mal wahrgenommen werden müssen, um erkannt werden zu können?

PlatonPlaton bejahte diese Frage mit seiner Lehre von der AnamnesisAnamnesis(Wiedererinnerung) (WiedererinnerungWiedererinnerung) ebenso wie René DescartesDescartesRené mit seiner Theorie der eingeborenen IdeenIdeen. Zwischen ihren Theorien bestehen allerdings bedeutende Unterschiede. Denn während die SeeleSeele nach Platon an jenem „überhimmlischen Ort“11 das „farb- und gestaltlose und untastbare Sein, das wirklich ist“12, vor ihrer Geburt geschaut hat und sich bei der ErkenntnisErkenntnis einer Idee wieder an das einstmals Geschaute erinnert, wird der MenschMensch nach DescartesDescartesRené mit dem apriorischen WissenWissen bereits geboren. Auch Immanuel KantKantImmanuel folgte ihnen mit einer prinzipiell gleichen, aber im Einzelnen doch davon abweichenden Lehre, die an dieser Stelle jedoch nicht entfaltet wird, da sie weiter unten des Näheren zu untersuchen sein wird.13

7.1 Welche Art von Erfahrungsunabhängigkeit bedingt das apriorische ErkennenErkennen?

PlatonPlaton, DescartesDescartesRené, KantKantImmanuel und auch HusserlHusserlEdmund, sie alle haben mit ihren jeweiligen Theorien nicht zu erklären vermocht, wie das apriorische ErkennenErkennen zu begründen ist, welches nicht analytischanalytisch, sondern synthetischsynthetisch ist. Denn analytische Erkenntnisse sind zwar notwendig und allgemeingültig, aber sie sind eine bloss erläuternde Begriffsanalyse und bedeuten keine Erweiterung des Wissens. Das WissenWissen erweitern dagegen die synthetischen Erkenntnisse. Synthetisch in diesem Sinne ist beispielsweise die EinsichtEinsicht in das KausalprinzipKausalprinzip, „jede Veränderung und jedes nicht-notwendige Sein bedürfen einer Wirkursache“. Denn die ErkenntnisErkenntnis, dass das PrädikatPrädikat dieses Satzes („einer UrsacheUrsache bedürfen“) dem SubjektSubjekt („jede Veränderung und jedes kontingente Seiende“) etwas Neues hinzufügt, macht den synthetischen, wissenserweiternden Charakter offenbar. Wissenserweiternde Erkenntnisse werden für gewöhnlich vermittels der Erfahrung erlangt, also aposteriorisch. Wie z.B. das Wissen um den Geschmack einer Schweizer Schokolade oder eines Wiener Schnitzels. Ohne diese Geschmäcke einmal erfahren zu haben, gelangt man nicht in den Stand des Wissens über diese Geschmäcke. Wohl kann es jemand schildern und beschreiben, doch ist es auch dann noch lange kein Wissen um den Geschmack der Schweizer Schokolade bzw. des Wiener Schnitzels.

An dieser Stelle geht die Suche jedoch nicht nach aposteriorischen, sondern nach apriorischen Erkenntnissen, also nach Erkenntnissen, die unabhängig von der Erfahrung gewonnen werden. Solcherart ist beispielsweise die ErkenntnisErkenntnis des AugustinusAugustinus: Was immer schön sei, sei nach unveränderlichen Gesetzen geordnet, „denn wo Ordnung, da ist auch SchönheitSchönheit“1. Womit er nichts anderes sagen will, als dass Schönheit und Ordnung notwendig verbunden sind, es also gleichermassen unmöglich ist, sich das Schöne als etwas zu denken, das nicht geordnet, wie das Geordnete als etwas, das nicht schön ist. Dass es solche Erkenntnisse gibt, war auch PlatonPlaton und DescartesDescartesRené klar, die Frage ist nur, wie sie begründet werden können. Bevor diese Möglichkeit begründet wird, ist erst die Erfahrungsunabhängigkeit des apriorischen Erkennens zu prüfen. Bezieht sich diese Unabhängigkeit auf jedwede Erfahrung, oder ist dieses Verständnis zu verfeinern?

Die Erfahrungsunabhängigkeit ist nicht im Sinne von PlatonPlaton oder DescartesDescartesRené als Unabhängigkeit von jedweder Erfahrung in der Gegenwart zu verstehen. Die Unabhängigkeit von der Erfahrung bezieht sich nur auf die „RealkonstatierungRealkonstatierung und InduktionRealkonstatierung und Induktion“2, d.h. die „Beobachtung von aussen“ mit nachfolgender InduktionInduktion, um verborgene Merkmale zu erreichen,3 nicht aber auf die Erfahrung des Soseins einer notwendigen EinheitEinheit. Vielmehr ist es gerade diese letztgenannte Erfahrung, die das apriorische ErkennenErkennen eines in dieser Einheit gründenden Sachverhalts überhaupt erst ermöglicht. Das apriorische Erkennen unterscheidet sich damit grundlegend von dem Wirklichkeitszugang eines PositivistenPositivisten, für den „nur die nackte Beobachtung oder Realkonstatierung zuverlässig“ und die allein „ernst zu nehmende, systematische ErkenntnisErkenntnis“ ist.4 Das apriorische Erkennen unterscheidet sich von dem positivistischen zudem auch dadurch, dass das apriorische Erkennen nicht der leibhaften Gegenwart des konkreten Gegenstands bedarf, sondern sein objektives Korrelat auf dem Wege der rationalen IntuitionIntuition von innen her durchdringt.5