Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

3. Adressatenregelung

Grundsätzlich hat die Polizei ihre Maßnahmen gegen den Störer zu richten. Das ergibt sich aus dem Prinzip, dass der auch für die Beseitigung herangezogen werden soll, dem dieser Gefahrenzustand zuzurechnen ist. Die Gefahr kann durch sein vorausgegangenes Handeln hervorgerufen worden sein (Handlungsstörer, § 4 Abs. 1 PolG NRW). Es kann auch „nur“ sein, dass allein seine Verantwortlichkeit für den Zustand einer Sache den Bezug bringt (§ 5 PolG NRW). Auf ein Verschulden des Betreffenden kommt es nicht an. Nur im Ausnahmefall darf die Polizei auch andere Personen zur Beseitigung einer Gefahr heranziehen. Sind Maßnahmen gegen den Verhaltens- oder Zustandsstörer nicht oder nicht rechtzeitig möglich, z. B. weil dieser nicht mehr vor Ort ist, kann die Polizei unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 PolG NRW auch nicht verantwortliche Personen (Nichtstörer/Dritte) in Anspruch nehmen (sog. Polizeilicher Notstand):

– Nr. 1: Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr

– Nr. 2: Maßnahmen gegen die nach den §§ 4 oder 5 Verantwortlichen sind nicht oder nicht rechtzeitig möglich oder versprechen keinen Erfolg

– Nr. 3: die Polizei kann die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch die Beauftragung Dritter im Rahmen des Abschlusses eines Vertrages abwehren und

– Nr. 4: die nicht verantwortliche Person kann ohne erhebliche Eigengefährdung und ohne Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden.

Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 PolG NRW müssen kumulativ erfüllt sein. Erforderlich ist insbesondere, dass die Gefahr durch die Polizei auf andere Weise – insbesondere durch Inanspruchnahme von Störern – nicht hätte abgewehrt werden können. Dieses Tatbestandsmerkmal ist die entscheidende Sperre gegen die durchaus verständliche Versuchung, den Weg des geringsten Widerstandes zu beschreiten. Grundsätzlich ist die Polizei verpflichtet, alle ihr tatsächlich zur Verfügung stehenden eigenen und alle ihrer Verfügung zu unterstellenden fremden Kräfte einzusetzen, ehe sie sich für das Einschreiten gegen Nichtstörer entscheiden darf. Vorliegend ist bei dem Brand der Nachbar weder für den Zustand der Sache verantwortlich, noch war sein vorausgehendes Handeln die Ursache für den Brand. Wenn ihm aber dennoch ein Mitwirken an der Brandbekämpfung abverlangt wird (Leiter zur Verfügung stellen), dann wird er als „nichtverantwortlicher Dritter“ (§ 6 PolG NRW) in Anspruch genommen. Auch eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr (Lebensgefahr) liegt vor. Bei der gegenwärtigen Gefahr steht das schädigende Ereignis unmittelbar bevor oder hat bereits begonnen. Soweit ein Schaden schon eingetreten ist (realisierte Gefahr, Störung der öffentlichen Sicherheit) und durch den eingetretenen Zustand weiterhin Schäden drohen (Schadensausweitung), besteht die Gefahr weiterhin. Bei der gegenwärtigen erheblichen Gefahr wird dem Zeitfaktor ein qualitatives Element hinzugefügt. Gefahr droht einem bedeutsamen Rechtsgut, insbesondere Leben, Gesundheit oder wichtigem Gemeinschaftsgut. Der Nachbar ist, da er weder durch sein Handeln noch für den Zustand der Sache verantwortlich zeichnet, unbeteiligter Dritter im Sinne des § 6 PolG NRW.

Auch wenn die drei erstgenannten Voraussetzungen im konkreten Fall gegeben sind, scheidet die Inanspruchnahme des Nichtverantwortlichen aus, wenn bei ihm eine erhebliche eigene Gefährdung oder eine Verletzung höherwertiger Pflichten zu besorgen ist. Diese Opfergrenze ist Ausdruck des Übermaßverbots und gilt deshalb auch dort, wo sie das positive Recht nicht ausdrücklich normiert. Eine erhebliche Selbstgefährdung bei Hilfeleistungen darf nicht gefordert werden.

Die wesentlichste Voraussetzung ist der Ausschluss seiner eigenen Gefährdung. Polizeiliche Maßnahmen dürfen nicht die durch § 6 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW markierte Zumutbarkeitsgrenze überschreiten. Durch die Verfügung, die Leiter herauszugeben, wird der Nachbar weder in seiner Gesundheit noch in einem anderen wesentlichen Rechtsgut gefährdet. Überdies dürfen die Maßnahmen nach Absatz 1 nur aufrechterhalten werden, solange die Abwehr der Gefahr nicht auf andere Weise möglich ist. Daher durfte die Verfügung gem. § 6 PolG NRW rechtmäßig sein.

4. Rechtsfolge der konkret herangezogenen Ermächtigungsgrundlage
a) Rechtsfolge entspricht der Ermächtigungsgrundlage

Die Rechtsfolgen der Generalklausel sind auf den Erlass der „notwendigen Maßnahmen“ gerichtet. Die „notwendigen Maßnahmen“ sind die Maßnahmen, die auch i. S. des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlich sind. An dieser Notwendigkeit bestehen vorliegend keine Zweifel.

b) Bestimmtheit (§ 37 Abs. 1 VwVfG NRW)

§ 37 VwVfG NRW enthält mit dem Bestimmtheitserfordernis in Abs. 1 ein materiell-rechtliches Erfordernis.35 Mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot in § 37 Abs. 1 VwVfG NRW erfährt der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung eine einfachgesetzliche Konkretisierung. Die Bestimmung trägt damit insbesondere der Individualisierungs- und Klarstellungsfunktion des Verwaltungsaktes Rechnung. Die Behörde wird gezwungen, sich eindeutig und unmissverständlich gegenüber dem Adressaten zu äußern. Darüber hinaus wird durch die Forderung nach der Bestimmtheit auch deren Akzeptanz durch den Adressaten erhöht.36 Verstöße sind hier nicht ersichtlich.

c) Ermessen (§ 3 PolG NRW)

Gem. § 3 Abs. 1 PolG NRW trifft die Polizei ihre Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Ermessen ist also nicht frei, sondern an Recht und Gesetz gebunden und in die Systematik des Polizeirechts integriert. Im Rahmen des Opportunitätsprinzips kann die Polizei die ihr rechtmäßig zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergreifen. Das Ermessen kommt auf der Rechtsfolgenseite zur Anwendung und ist im Polizeirecht in Entschließungs- und Auswahlermessen zu unterscheiden. Grundsätzlich entscheidet die Polizei, ob die Störung überhaupt ein Einschreiten des Staates abverlangt (Entschließungsermessen). Denkbar sind dabei Situationen, wo jede andere Entscheidung als einzuschreiten falsch ist (Ermessensreduzierung auf Null).37

Ob eine Ermessensreduktion auf Null vorliegt, ist im Rahmen einer Güterabwägung zu ermitteln. Ermessensreduzierende Gründe sind dabei:38

– Schwere und Ausmaß der Gefahr,

– die hohe Bedeutung des gefährdeten Rechtsguts und

– die Möglichkeit der Polizei zum Handeln und das Fehlen anderer vorrangiger Aufgaben.

Überwiegt das Integritätsinteresse des gefährdeten Rechts, ist die Polizei verpflichtet, Schutzmaßnahmen zu treffen. Der schutzsuchende Bürger hat dann einen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten. Eine Ermessensreduktion auf Null liegt stets vor bei „erheblichen Gefahren für wesentliche Rechtsgüter“.

Hat sich die Polizei jedoch zum Handeln entschieden, dann hat sie unter mehreren möglichen Maßnahmen, die alle zum Ziel führen, diejenige auszuwählen, die den Betroffenen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigen (Auswahlermessen).39 Rechtsfehler hinsichtlich der pflichtgemäßen Ermessensausübung, insbesondere eine Missachtung der Grundsätze aus § 40 VwVfG NRW40 sowie des Differenzierungsge- und -verbotes sind dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Hier konnten die Beamten angesichts der Gefährdung der Heimbewohner nicht warten. Jede Form des Wartens hätte die Gefahr für das Leben der Bewohner erhöht. Die Entscheidung, mit Löschmaßnahmen sofort zu beginnen, war danach die einzig mögliche und richtige (Entschließungsermessen).

d) Übermaßverbot, Verhältnismäßigkeit i. w. S. (§ 2 PolG NRW)

Damit sowohl präventive als auch die repressive Rechtsanwendung nicht rechtswidrig erfolgen, muss die Polizei darauf achten, dass neben den Voraussetzungen der Rechtsgrundlagen auch die allgemeinen Anforderungen an die Rechtsanwendung und hier insbesondere die Verhältnismäßigkeit gewahrt sind. Das alleinige Vorliegen der Voraussetzungen einer Rechtsgrundlage bedingt noch nicht die Rechtmäßigkeit der angewandten Rechtsfolgen, die Beachtung der Verhältnismäßigkeit hat Verfassungsrang und ist eine elementare Bedingung für die rechtmäßige Rechtsanwendung. Zu prüfen ist mithin, ob die Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen war.

aa) Geeignetheit

Geeignet ist eine Maßnahme, die rechtlich und tatsächlich möglich ist und den erstrebten Erfolg, die Abwehr der Gefahr für die öffentliche Sicherheit herbeiführt oder zumindest fördert. Zu beantworten ist die Frage der objektiven Zwecktauglichkeit. Mit dem Grundsatz der Geeignetheit wird ein allgemeines Sachlichkeitsgebot postuliert, das in seinen praktischen Auswirkungen mit dem Willkürverbot zu vergleichen ist. Die Maßnahme muss zur Verwirklichung des angestrebten Zwecks geeignet sein. Ob dieser Zweck tatsächlich erreicht wird, lässt sich erst im Nachhinein feststellen. Eine derartige Forderung zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zu erheben, ist dem Gefahrenabwehrrecht fremd. Eine voraussichtlich vollständige Zweckerreichung ist mithin nicht erforderlich. Vielmehr kommt es darauf an, dass die Maßnahme ein „Schritt in der richtigen Richtung“ ist.41 Die Inanspruchnahme des Nachbarn war sinnvoll und am ehesten erfolgversprechend.

 

bb) Erforderlichkeit

Das Gebot der Wahl des milderen Mittels verlangt, dass von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenigen zu wählen sind, die den einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigen (Gebot der Wahl des milderen Mittels). Die Polizei ist verpflichtet, von mehreren voraussichtlich gleich wirksamen Maßnahmen die am wenigsten belastende zu wählen. Eine mildere Maßnahme war nicht ersichtlich.

cc) Verhältnismäßigkeit i. e. S. (Angemessenheit)

Generell gilt, dass die Polizei ihre Aufgabe nicht mit allen erforderlichen Mitteln, also nicht um jeden Preis ausüben darf. Der Preis eines im Verhältnis zum Schutzzweck außerverhältnismäßigen Schadens beim Adressaten soll nicht gezahlt werden müssen. Wird festgestellt, dass das gewählte Mittel/die Maßnahme zur Verwirklichung des Zwecks geeignet und unter mehreren möglichen auch das mildeste Mittel ist, so ist schließlich auf einer dritten Stufe eine Abwägung vorzunehmen. Zu prüfen ist, ob die durchgeführte Maßnahme nicht außer Verhältnis zum angestrebten Zweck steht, d. h. die polizeiliche Maßnahme darf nicht zu einem Schaden führen, der zu dem beabsichtigten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht (Maßnahmezweck vs. Maßnahmefolge). Eine Abwägung der kollidierenden Interessen bzw. Rechtsgüter führt nicht (erkennbar) zu einem Missverhältnis, d. h. die polizeilich zu schützenden Güter überwiegen in ihrer Bedeutung die Beeinträchtigungen, die der Nachbar hinnehmen musste. Die Verfügung an den Nachbarn litt nicht am Übermaß, da hier eine Maßnahme abverlangt wurde, die zu dem angestrebten Erfolg des Löschens in keinem unzumutbaren Widerspruch stand. Sie war daher auch verhältnismäßig.

Parallelnormen zu § 8 Abs. 1 PolG NRW (Generalklausel): § 14 Abs. 1 BPolG; § 3 BWPolG; Art. 11 Abs. 1 BayPAG; § 17 Abs. 1 ASOG Bln; § 10 Abs. 1 BbgPolG; § 10 Abs. 1 BremPolG; § 3 Abs. 1 HambSOG; § 11 HSOG; § 13 MVSOG; § 11 NdsSOG; § 8 Abs. 1 NRWPolG; § 9 Abs. 1 RhPfPOG; § 8 Abs. 1 SPolG; § 3 Abs. 1 SächsPolG; § 13 LSASOG; § 174 SchlHVwG; § 12 ThürPOG

Fall 2: Champions-League: Fans vor dem Spiel

Schwerpunkte: Durchsuchung, Identitätsfeststellung, Racial Profiling, Sicherstellung

Sachverhalt:

Am 20.02.2019 findet in Gelsenkirchen ein Europapokalspiel statt. Im Halbfinale der Champion-Leaque trifft der FC Schalke 04 auf den griechischen Verein PAOK Saloniki. Die Polizei Gelsenkirchen hat sich gemeinsam mit dem Verein und den weiteren Netzwerkpartnern intensiv auf das Spiel im Parkstadion Gelsenkirchen vorbereitet. Die Union des Associations Européennes de Football (UEFA) hat als Veranstalter des Champions League Wettbewerbs das Spiel nicht als Risikospiel eingestuft. Die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) stand im Vorfeld der Begegnung im Kontakt mit dem griechischen National Football Information Point (NFIP). Darüber hinaus gab es direkte Kontakte des Polizeipräsidiums Gelsenkirchen mit der Polizei in Saloniki. Im Rahmen dieses Informationsaustausches erhielt die Polizei Gelsenkirchen auch die Information, dass von einer Anreise von ca. 800 PAOK-Fans auszugehen ist, unter denen sich bis zu 220 als Risikofans bezeichnete Personen befinden sollen. Des Weiteren muss damit gerechnet werden, dass die PAOK-Fans pyrotechnische Gegenstände mit sich führen und diese anlassbezogen abbrennen.

Am späten Nachmittag sind mit der Bundesbahn aus Münster der 18jährige Ingo S sowie sein Sportfreund Toby T aus dem Fanclub („Blau und Weiß Osnabrück“) angereist. Sie sind durch entsprechende Kleidung als Schalker Fußballfans erkennbar und bereits bei ihrer Ankunft am Hauptbahnhof Gelsenkirchen erheblich alkoholisiert.

S und T fahren gleich mit der Straßenbahn Richtung Parkstadion. An einer Haltestelle wenige Kilometer vor dem Stadion werden sie von POK A und PK B bemerkt. Als die beiden Fans die Beamten erblicken, geben sie lautstark Prognosen über den Ausgang des Spiels ab, lassen eine von S mitgeführte Fahrradkette in der Luft kreisen und kündigen an, den griechischen Fans „es mal richtig zu zeigen“. Die Beamten entschließen sich, S und T einer Identitätskontrolle zu unterziehen. Wegen der Erfahrungen der Vergangenheit, ihrer aggressiven Stimmung und offensichtlichen Alkoholisierung sollen S und T zuvor durchsucht werden. POK A fordert beide Fans auf, sich mit gespreizten Armen und Beinen an eine Hauswand zu stellen, um sich durchsuchen zu lassen. Die Identität von S und T wird anhand mitgeführter Ausweise festgestellt. Trotz des von S lautstark erhobenen Protestes wird die von ihm mitgeführte Fahrradkette sowie bei ihm aufgefundene Pyrotechnik von POK A und PK B in Verwahrung genommen. Anschließend ziehen S und T zu Fuß weiter in Richtung Stadion.

Aufgabe:

1. Beurteilen Sie rechtsgutachtlich folgende von der Polizei getroffenen Maßnahmen.

– Durchsuchung (Ingo S und Toby T)

– Identitätskontrolle (Ingo S und Toby T)

– Sicherstellung der Fahrradkette und der Pyrotechnik (Ingo S)

2. Im Bereich des Bahnhofs von A-Stadt haben seit geraumer Zeit Taschendiebstähle zugenommen. Die Polizei vermutet, dass auch nordafrikanische junge Männer als Täter in Frage kommen. Der Leiter des zuständigen Kriminalkommissariats möchte an einem Samstagabend alle jungen nordafrikanisch aussehenden Männer kontrollieren. Nehmen Sie Stellung zu dieser (beabsichtigten) Maßnahme.

Hinweis: Die örtliche Zuständigkeit als formelles Erfordernis wird unterstellt.

Es handelt sich bei Aufgabe 1 um den Inhalt einer Originalklausur „Eingriffsrecht/Staatsrecht“ aus dem Grundstudium der HSPV NRW.

Lösung zu Aufgabe 1
A. Durchsuchung (Ingo S und Toby T)
I. Ermächtigungsgrundlage

Nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes bedarf es bei einem Grundrechtseingriff einer Ermächtigungsgrundlage, welche auf ein verfassungsmäßiges Gesetz zurückzuführen ist. In Betracht kommt hier ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht sichert jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Geschützt sind insbesondere die Bereiche der Privat- und Intimsphäre. Mit der Durchsuchung müssen S und F gegen ihren Willen persönliche Lebenssachverhalte offenbaren, die sie von sich aus nicht preisgeben wollen und die ggf. weitreichende Rückschlüsse auf ihre Persönlichkeit und private Angelegenheiten zulassen. Dadurch wird ihre Privatsphäre beeinträchtigt, sodass ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG vorliegt.42

Weil die Person für die Dauer der Durchsuchung am Ort bleiben muss, liegt außerdem ein Eingriff in die Bewegungsfreiheit als Freiheitsbeschränkung vor (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 104 Abs. 1 GG).43 Zudem könnte ein Eingriff in die Allgemeine Handlungsfreiheit vorliegen, Art. 2 Abs. 1 GG (Einnahme einer bestimmten Position).44 Das Einschreiten erfolgt hier ersichtlich zur Gefahrenabwehr (Eigensicherung). Zudem liegt ein strafrechtlicher Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO) nicht vor. Die Anordnung einer Durchsuchung, mit welcher der Betroffene zur Duldung der Durchführungshandlung verpflichtet wird, ist ein Verwaltungsakt (§ 35 Satz 1 VwVfG NRW), die Durchführung der Durchsuchung dagegen Realakt. Diese stellt das tatsächliche Element der Standardmaßnahme dar, die nicht mit einer Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung gleichgesetzt werden darf. Begleitverfügungen indes (z. B. die Aufforderung, eine bestimmte Haltung einzunehmen) können als Verwaltungsakte zwangsweise durchgesetzt werden. Der Betroffene kann auch aufgefordert werden, sich zu entkleiden. Weitere Mitwirkungspflichten hat er indes nicht.

II. Formelle Rechtmäßigkeit
1. Sachliche Zuständigkeit

Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1, 2 PolG NRW i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 POG NRW (originäre Zuständigkeit). Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW hat die Polizei die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr). Relevant sind nur solche Gefahren, die der öffentlichen Sicherheit drohen. Die Sicherheitsgüter lassen sich in kollektive (Integrität der Rechtsordnung und Funktionsfähigkeit des Staates) und in die individuellen Sicherheitsgüter (Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum, Vermögen) einteilen.45 Gefahr ist eine Sachlage, die einen Schaden für die öffentliche Sicherheit erwarten lässt. Das ist insbesondere gegeben, wenn ein tatsächliches Geschehen den Schluss rechtfertigt, dass möglicherweise individuelle Rechte wie Leib, Leben, Gesundheit usw. einer Person oder das Sicherheitsgut „Rechtsordnung“ zu Schaden kommen könnten. Hier lag zumindest eine (abstrakte) Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Polizei vor. Unter Hinweis auf die Funktionsfähigkeit war eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren (Kollektivrechtsgut). Daneben lag auch eine Gefahr zumindest für das Individualrechtsgut Gesundheit der Beamten vor. Die Abwehr von Gefahren, die die Funktionsfähigkeit des Staates betreffen, liegt immer im öffentlichen Interesse. Für die Abwehr von Gefahren, die die eigene Funktionsfähigkeit betreffen, ist die Polizei originär zuständig. § 11 Abs. 1 Nr. 1 POG NRW weist die Aufgabe der Gefahrenabwehr den Kreispolizeibehörden zu. Die eingreifenden Polizeibeamten müssen demnach Beamte einer Kreispolizeibehörde (§ 2 POG NRW) sein. Davon ist auszugehen. Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 1 POG NRW liegen somit vor.

2. Verfahren, Form

Soweit Polizeibeamte Verwaltungsakte erlassen, sind die allgemeinen Regeln des VwVfG NRW zu berücksichtigen, insbesondere die §§ 28, 37 Abs. 2 VwVfG NRW. Wenn ein Verwaltungsakt erlassen wird, bedarf es grundsätzlich einer Anhörung (§ 28 Abs. 1 VwVfG NRW). POK A und PK haben den Verwaltungsakt nach § 37 Abs. 2 VwVfG NRW mündlich erlassen. Gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW kann ein Verwaltungsakt u. a. mündlich erlassen werden.46 Ein mündlicher Verwaltungsakt ist an keine Form gebunden. Eine schriftliche Bestätigung wurde nicht verlangt.

You have finished the free preview. Would you like to read more?