Initiale Topiks und Foki im gesprochenen Französisch, Spanisch und Italienisch

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Initiale Topiks und Foki im gesprochenen Französisch, Spanisch und Italienisch
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Christoph Hülsmann

Initiale Topiks und Foki im gesprochenen Französisch, Spanisch und Italienisch

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

ePub-ISBN 978-3-8233-0168-4

Inhalt

  Danksagung

  « [A]près la faculté ...

  1 Untersuchungsgegenstand, Zielsetzungen und Aufbau der Arbeit

 2 Grundlagen der Informationsstruktur2.1 Geschichtlicher Überblick und erste Termini2.2 Informationeller Status von Referenten2.3 Topik-Kommentar-Gliederung2.4 Fokus-Hintergrund-Gliederung2.5 Zur Kombination der Dimensionen

  3 Das Zusammenspiel von Informationsstruktur, Syntax und Prosodie 3.1 Informationsstruktur und Syntax 3.2 Informationsstruktur und Prosodie 3.3 Prosodie und Syntax 3.4 Exkurs: Fokus, Topik und Kontrast 3.5 Zwischenresümee

 4 Zur Informationsstruktur-Syntax-Prosodie- Schnittstelle in den romanischen Sprachen4.1 Zu den unmarkierten Mustern in den gesprochenen romanischen Sprachen4.1.1 Französisch4.1.2 Spanisch und Italienisch4.2 Topik-Fronting4.2.1 Grammatisch-syntaktische Eigenschaften4.2.2 Pragmatisch-semantische Eigenschaften4.2.3 Prosodische Eigenschaften4.2.4 Zwischenresümee4.3 Fokus-Fronting4.3.1 Grammatisch-syntaktische Eigenschaften4.3.2 Pragmatisch-semantische Eigenschaften4.3.3 Prosodische Eigenschaften4.3.4 Zwischenresümee

 5 Korpusanalyse5.1 Das Korpus5.2 Methodik und Forschungsfragen5.3 Initiale Topiks5.3.1 Präpositional markierte Konstituenten5.3.2 Hanging topics5.3.3 Segmental nicht markierte Objekte5.3.4 Subjekte5.4 Initiale Foki5.4.1 Französisch5.4.2 Spanisch5.4.3 Italienisch

  6 Kontrastives Fazit und Ausblick

  Bibliographie

 AnhangErgebnisse der KorpusanalyseAbbildungsverzeichnisTabellenverzeichnisAbkürzungsverzeichnis

Danksagung

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung meiner Ende 2017 an der Paris-Lodron-Universität Salzburg eingereichten Dissertationsschrift.

Zu danken habe ich zahlreichen Personen, von denen an dieser Stelle nur einige wenige genannt seien. Mein Dank gilt zunächst Matthias Heinz, dem Hauptbetreuer und Erstgutachter der Arbeit, Bernhard Pöll, dem Nebenbetreuer, sowie der (externen) Zweitgutachterin Manuela Moroni. Andreas Dufter danke ich sehr herzlich für seine vielen konstruktiven Hinweise zur Überarbeitung des Manuskripts und – zusammen mit Bernhard Teuber – für die Aufnahme des Bandes in die Reihe Orbis Romanicus. Für das Einräumen der für die Überarbeitung notwendigen Zeit danke ich Margareta Strasser.

Der VG Wort bin ich für die Übernahme der Druckkosten zu Dank verpflichtet. Für die Betreuung seitens des Verlags bedanke ich mich bei Kathrin Heyng.

Salzburg, 2019

Christoph Hülsmann

« [A]près la faculté de penser, celle de communiquer ses pensées à ses

semblables est l’attribut le plus frappant qui distingue l’homme de la brute. »

(Robespierre, séance du 11 mai 1791 au club des Jacobins)

« On peut entrer dans la phrase par différentes portes, mais il n’y a rien

d’arbitraire dans le choix que l’on fait. »

(Weil 1844, 28)

1 Untersuchungsgegenstand, Zielsetzungen und Aufbau der Arbeit

Zwischenmenschliche Kommunikation kann grundsätzlich unterschiedlichen Zwecken dienen. Eine ihrer zentralen Funktionen besteht zweifelsohne im Austausch von Information. Dabei hängt die Art und Weise, wie Information von einem Sprecher (oder Produzenten) an einen Hörer (oder Rezipienten)1 vermittelt wird, nicht nur maßgeblich vom Kommunikationsziel ab, das der Sprecher in der konkreten Sprechsituation verfolgt, sondern auch vom Informationsstand des Hörers, der vom Sprecher im Zuge seiner Äußerung zu berücksichtigen ist. (cf. Musan 2010, 1) Darüber hinaus sind die unterschiedlichen Möglichkeiten der Strukturierung von Information aber auch an die formalen Eigenschaften der jeweiligen Sprache gebunden. Im Allgemeinen können hier prosodische, morphologische, lexikalische sowie syntaktische Mittel zur Anwendung kommen. (cf. Musan 2010, 73)

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Informationsstruktur gesprochener Sprache und ihren Schnittstellen mit der Syntax und der Prosodie. Von besonderer Relevanz für die Strukturierung von Information ist nach allgemeiner Ansicht das initiale Feld von Positionen linear mehrteiliger Diskurseinheiten, in dem – je nach den kommunikativen „Bedürfnissen“ der Gesprächspartner – sehr heterogene Elemente auftreten können.2 Häufig sind hier diskursalte Konstituenten zu beobachten, über die der Sprecher in der weiteren Folge der Äußerung eine Aussage tätigt. Strukturen, in denen solch initiale Topiks wie in (1) und (2) mit einer syntaktisch markierten Wortfolge einhergehen, werden in der Literatur meist als Linksdislokationen bzw. als hanging topic left dislocations bezeichnet.3 Zum anderen können Sprecher ihre Äußerungen auch mit Konstituenten beginnen, die fokale, d.h. die aus kommunikativer Sicht besonders relevante Information ausdrücken, und somit, wie etwa in Satz (3), Fokus-Fronting-Strukturen realisieren.4


(1) it. La dieta, non la rispetta tanto.
(2) fr. Les moustiques, là-bas, il y en a beaucoup.
(3) sp. Un ÓSCAR se lleva.5 (C-Oral-Rom, Cresti/Moneglia 2005)

Die Arbeit verfolgt mehrere Ziele. Zunächst sollen die einzelnen Dimensionen, aus denen sich die Informationsstruktur zusammensetzt, eingehend beschrieben werden. Nach einem kurzen, theoretisch möglichst unvoreingenommenen Überblick zu den grundlegenden Mechanismen des Zusammenspiels zwischen Informationsstruktur, Syntax und Prosodie im Allgemeinen sowie für das gesprochene Französische, Spanische und Italienische im Speziellen sollen die bisherigen Erkenntnisse zu den grammatisch-syntaktischen, pragmatisch-semantischen sowie prosodischen Eigenschaften der Topik- und Fokus-Fronting-Strukturen zusammengefasst werden. Die Ergebnisse dieses Teils sollen in der Folge durch eine empirische Analyse gesprochener Belege aus dem C-Oral-Rom-Korpus von Cresti und Moneglia (2005) überprüft werden. Die Verifizierung bzw. Falsifizierung der postulierten Eigenschaften der Konstruktionen6 anhand von authentischen Belegen ist insofern von Relevanz, als bislang vor allem nicht spontane oder semi-spontane Sprachaufnahmen für prosodische Analysen zur Informationsstruktur herangezogen wurden. Neben der mangelnden Authentizität dieser Äußerungen ist auch die Tatsache problematisch, dass der Großteil der Studien auf Daten basiert, die von einer relativ geringen Anzahl von Sprechern stammen.7 Bei der vorliegenden Arbeit handelt sich um die meines Wissens erste Studie, die die Thematik auf der Grundlage authentischen spontansprachlichen Korpusmaterials, das in möglichst natürlichen Kontexten erhoben wurde, in den drei genannten romanischen Sprachen kontrastiv untersucht.

 

Das Interesse an informationsstrukturellen Fragestellungen ist in der Linguistik bereits seit längerer Zeit ausgeprägt. Die zahlreichen Publikationen und Forschungsprojekte der letzten Jahre geben eine ungefähre Vorstellung von der Forschungsrelevanz des thematischen Großkomplexes der Informationsstruktur, der zentrale Fragen des Funktionierens von Sprache umfasst, die teils noch nicht hinreichend verstanden sind.8

Dabei sind die theoretischen Zugänge und Methoden, die zu dessen Erforschung herangezogen werden, sehr heterogen. Auch die rezentesten Monographien, die sich mit der Informationsstruktur romanischer Sprachen auseinandersetzen, spiegeln die Diversität der Ansätze wider. Der pragmatisch basierte Beitrag von Ewert-Kling (2010) etwa untersucht die funktionalen Aspekte von Links- und Rechtsdislokationen im gesprochenen Französischen und Spanischen anhand von Korpusanalysen. Als analoge Untersuchung für das Italienische kann die Arbeit von Meier (2008) genannt werden. Einen vor allem diskursorientierten Ansatz wählt Hidalgo-Downing (2003) für das Spanische. Auch Avanzi (2012) gründet seine Analysen zum Französischen auf Korpora gesprochener Sprache. Er widmet sich in erster Linie der Prosodie ausgewählter Strukturen wie Links- und Rechtsdislokationen. Die Tatsache, dass in den letzten Jahren vermehrt auch generative Beiträge im Bereich der Informationsstruktur zu verzeichnen sind, wie etwa die Arbeiten von Frascarelli (2000) und Bocci (2013) zum Italienischen sowie von Gabriel (2007) zum Spanischen, zeugt von der zunehmenden Bedeutung, die dieser sprachlichen Dimension mittlerweile auch in stärker auf formalen Theorien basierenden Ansätzen beigemessen wird.9

Zweifellos bedarf die gleichzeitige Beschäftigung mit verschiedenen sprachlichen Ebenen wie der Informationsstruktur, der Syntax und der Prosodie einer Kombination unterschiedlicher Methoden. Es ist ersichtlich, dass für den Zweck dieser Arbeit, deren Untersuchungsgegenstand die gesprochene Sprache ist, primär jene Zugänge geeignet sind, die die Akzeptabilität bzw. Angemessenheit von (markierten) Strukturen aus dem Zusammenspiel von grammatisch-syntaktischen und nicht syntaktischen, d.h. prosodischen, aber auch diskursspezifischen sowie außersprachlichen Faktoren zu erklären versuchen, und die damit auch den kommunikativen Kontext von Äußerungen in ihrer Analyse berücksichtigen.10 Einen derartigen Zugang bieten vor allem funktional-pragmatische Ansätze.

Die vorliegende Untersuchung zielt darauf ab, einen klärenden wie auch neue Aspekte erschließenden Beitrag zum Gesamtbild dieser komplexen Thematik zu leisten. Aus funktionaler Perspektive ist die initiale Realisierung von Fokus- und Topikkonstituenten zunächst auf die informationsstrukturellen „Bedürfnisse“ der Gesprächsteilnehmer zurückzuführen. Die im Vergleich zur als unmarkiert geltenden Struktur häufig zu beobachtende Alternation der linearen Abfolge der Konstituenten im Satz und die prosodischen Charakteristika, die mit dieser modifizierten Wortfolge einhergehen, sind demnach – wie die vorliegende Arbeit darzulegen versuchen wird – in erster Linie diskursanalytisch zu erklären und als Manifestationen bzw. als Markierungsmechanismen der Informationsstruktur zu analysieren.

Die Arbeit gliedert sich wie folgt: Kapitel 2 befasst sich mit den Grundlagen und wichtigsten Modellen der Informationsstruktur. Diesem Abschnitt muss insofern relativ viel Raum gewidmet werden, als die Beschäftigung mit Informationsstruktur seit jeher von einer höchst heterogenen Terminologie geprägt ist. Auch in der aktuellen Literatur manifestiert sich die grundlegende Problematik des Gegenstandbereichs darin, dass elementare informationsstrukturelle Termini mit zum Teil sehr unterschiedlichen Bedeutungen verwendet werden. Ziel des Kapitels ist demnach eine klare Abgrenzung der einzelnen Dimensionen innerhalb der Informationsstruktur sowie die Festlegung einheitlicher und möglichst operabler Definitionen zentraler Termini.

Das anschließende Kapitel 3 soll einen kurzen, theoretisch unvoreingenommenen Überblick über die grundlegenden, teils universalen Aspekte des Zusammenspiels von Informationsstruktur, Syntax und Prosodie geben, ohne bereits systematisch sprachenspezifische Aspekte zu berücksichtigen. Es erhebt dementsprechend keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr sollen die verschiedenen Grundannahmen, die in der Literatur vorherrschen, und ihre zentralen Argumente skizziert werden. Näher eingegangen wird in diesem Kapitel darüber hinaus auf die wichtigsten theoretischen Grundlagen der autosegmentalen Phonologie, die aufgrund der guten übereinzelsprachlichen Komparabilität auch für den empirischen Teil der Arbeit von Relevanz sein werden.

Ab Kapitel 4 wird sprachenspezifisch und sprachvergleichend vorgegangen. Kapitel 4.1 klärt zunächst die Frage der Markiertheit von Sätzen im code parlé der drei romanischen Sprachen. Nach einem Überblick über die unmarkierten Muster auf syntaktischer, informationsstruktureller sowie prosodischer Ebene werden in Kapitel 4.2 und Kapitel 4.3 die bisherigen Erkenntnisse zum Topik- bzw. Fokus-Fronting in den jeweiligen Sprachen resümiert.

Kapitel 5 beinhaltet den empirischen Teil der Arbeit. Nach einer kurzen Vorstellung des gewählten Korpus werden Belege mit initialen Topiks und Foki auf unterschiedlichen Ebenen analysiert. Berücksichtigt werden die Art und die Definitheit der Konstituenten, ihre syntaktischen Funktionen, die Belebtheit der Referenten und mögliche kontrastive Lesarten zu entsprechenden Topik- bzw. Fokus-Alternativen. Ebenfalls untersucht wird der syntaktische und prosodische Integrationsgrad der Topiks und Foki. Neben einzelsprachlichen Analysen wird auch ein kontrastiver Vergleich zwischen den drei Sprachen angestrebt, der typologische Ähnlichkeiten und Differenzen aufzeigen soll.

In Kapitel 6 werden die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst und ein Ausblick auf zukünftige Forschungsfragen gegeben.

2 Grundlagen der Informationsstruktur
2.1 Geschichtlicher Überblick und erste Termini

Der Terminus Informationsstruktur, der heute jenen Teilbereich der Linguistik bezeichnet, der die Art und Weise der Vermittlung von Information auf Satz- und Diskursebene untersucht, geht auf den Beitrag von Halliday (1967a/b) zurück. (cf. Konerding 2003, 209) Halliday (1967a, 55) verwendet den Begriff erstmals, um die Akzeptabilität von Strukturen zu erklären: „[T]he acceptability of a given item is not in fact determined solely by the verb, […] it is often possible to construct acceptable clauses by selecting appropriate lexical items and arranging them in appropriate information structures […].“1

Das Bewusstsein über informationsstrukturelle Aspekte von Sprache reicht bis zur aristotelischen Logik und der dort erfolgten Differenzierung eines Satzes in hypokeimon (‚das Zugrundeliegende‘, ‚Vorhandene‘) und kategorumenon (‚das Ausgesagte‘) zurück, die sich in der Folge zur Dichotomie subjectum-praedicatum entwickelte. (cf. Molnár 1991, 13) Zu einer expliziten und systematischeren Auseinandersetzung mit Informationsstruktur kommt es jedoch erst Mitte des 19. Jahrhunderts durch den Beitrag des deutsch-französischen Philologen Henri (geb. Heinrich) Weil, der Wortstellungsvariationen von Sprachen – am Beispiel des Lateinischen – durch die „succession des idées“ (Weil 1844, 5) erklärt. Weil zufolge muss die Abfolge der Wörter im Satz grundsätzlich mit der Reihenfolge der Gedanken des Sprechers übereinstimmen. Mit anderen Worten ausgedrückt, ist für ihn die Wortstellung von der Informationsstruktur abhängig und ihr damit in gewissem Maße untergeordnet: „[L]’ordre des mots doit correspondre à l’ordre des idées or, pour lui correspondre, si celui-ci change et se renverse, il doit aussi changer et se renverser.“ (Weil 1844, 52) Gleichzeitig weist Weil darauf hin, dass sich Informationsstruktur und Grammatik durchaus auch gegenseitig beeinflussen: „Toutefois dans beaucoup de langues, sinon dans la plupart, la syntaxe et l’ordre des parties de la proposition marchent de front, se déterminent mutuellement.“2 (Weil 1844, 53) Die Zweiteilung des Satzes, auf die Weil in der Folge hinweist, nimmt bereits die zum Teil heute noch gängigen Definitionen der Begriffe Topik und Kommentar3 vorweg:

Il y a donc un point de départ, une notion initiale, qui est également présente et à celui qui parle et à celui qui écoute, qui forme comme le lieu où les deux intelligences se rencontrent et une autre partie du discours, qui forme l’énonciation proprement dite: cette division se retrouve dans presque tout ce que nous disons. (Weil 1844, 25)

Mit Ammann (1928), der in seinem Beitrag der Frage nach dem Verhältnis von Denken und Sprechen nachgeht, wird die Relevanz des Hörers im Zuge einer Äußerung noch stärker berücksichtigt. Ammann verwendet den Begriff Thema, um den Gegenstand einer Mitteilung zu bezeichnen, und schlägt den Terminus Rhema zur Bezeichnung dessen vor, was dem Hörer über das Thema mitgeteilt wird.4 (cf. Ammann 1928, 3) Er weist unter anderem darauf hin, dass Thema und Rhema nicht zwangsläufig mit den grammatischen Kategorien Subjekt bzw. Prädikat korrelieren.5 (cf. Ammann 1928, 22)

Die Systemhaftigkeit, mit der der Gegenstandbereich der Informationsstruktur im 20. Jahrhundert erforscht wird, ist vor allem auf die strukturalistischen Arbeiten der Prager Schule zurückzuführen. (cf. Gabriel/Müller 2013, 123) Einer ihrer wichtigsten Vertreter, der direkt auf Weil Bezug nimmt, ist Mathesius. Er prägt, ähnlich wie Ammann, die Begriffe Thema als „Basis der Äußerung“ und Rhema als jenes Element, das eine Aussage über die Basis macht, und das somit auch als „Kern der Äußerung“ bezeichnet werden kann. (cf. Mathesius 1975 [11961], 81) Die Strukturierung eines Satzes in Thema und Rhema nennt Mathesius funktionale Satzperspektive, da sie – so sein Grundgedanke – von einem funktionalen Zugang des Sprechers bestimmt ist.6 (cf. Mathesius 1975, 82)

Obwohl auch Mathesius auf einer grundsätzlichen Trennung zwischen der funktionalen und der grammatischen Dimension von Sprache insistiert, lassen sich auf einzelsprachlicher Ebene ihm zufolge durchaus Korrelationen beobachten. (cf. Mathesius 1975, 84) Für das (Neu-)Englische etwa stellt der Autor zwei Korrelationen fest. Zum einen wird hier das Subjekt bevorzugt präverbal realisiert, zum anderen weist es meist eine thematische Funktion auf. Dem Deutschen schreibt Mathesius eine vergleichsweise weniger stark ausgeprägte Tendenz zur Kodierung des Themas als Subjekt zu.7 (cf. Mathesius 1964, 64–66)

In Anlehnung an die Arbeiten von Mathesius prägt Firbas in den 60er Jahren den Begriff der kommunikativen Dynamik. Elemente eines Satzes können ihm zufolge einen höheren oder weniger hohen Grad an kommunikativer Dynamik aufweisen. Bestimmt wird der Grad für Firbas durch „the extent to which the sentence element contributes to the development of the communication, to which it ‚pushes the communication forward‘ […]“ (Firbas 1964, 270). Dieses Kriterium nimmt Firbas als Grundlage für seine Definition des Themas, das er als jenes Element im Satz identifiziert, das den geringsten Grad an kommunikativer Dynamik aufweist. (cf. Firbas 1964, 272) Firbas betont, dass der Grad der kommunikativen Dynamik eines Elements nicht mit seinem Status als neue oder alte Information im Diskurs gleichgesetzt werden darf. Auch wenn neue Information offensichtlich kommunikativ dynamischer als alte, bereits gegebene Information ist, sind für ihn auch in einem sogenannten all-new-Satz, also einem Satz, der ausschließlich aus neuer Information besteht, unterschiedliche Grade an kommunikativer Dynamik zu beobachten. Folglich kann auch neue Information als das Thema eines Satzes fungieren. (cf. Firbas 1964, 270–272) In späteren Beiträgen differenziert Firbas den nicht thematischen Teil einer Äußerung in rheme und transition, wobei letzteres Element hinsichtlich seines Grads an kommunikativer Dynamik zwischen dem Thema und dem Rhema einzuordnen ist. (cf. Firbas 1982, 98–99) Mit dieser weiteren Unterscheidung werden die ursprünglich diskreten Begriffe Thema und Rhema zu graduellen. (cf. Casielles-Suárez 2004, 17–18)

Firbas’ Ansatz wurde vor allem aufgrund seines Begriffs der kommunikativen Dynamik kritisiert. Auf dessen eingeschränkte Operabilität weist etwa Sgall (2003, 280–281) hin, der an der grundlegenden Idee des Terminus in informationsstrukturellen Analysen dennoch festhalten will. Für Contreras (1976) hingegen ist Firbas’ Zugang zu arbiträr. Er plädiert dafür, Mathesius’ ursprüngliche Differenzierung in Thema und Rhema zu bewahren, die Termini jedoch neu, basierend auf der – wiederum diskreten – Unterscheidung zwischen neuer und gegebener Information, zu definieren. (cf. Contreras 1976, 16)

 

Spätestens an dieser Stelle manifestiert sich die terminologische Problematik innerhalb der Informationsstruktur. Die zahlreichen Begriffe, die in der Literatur zur Bezeichnung informationsstruktureller Einheiten zu finden sind, wurden und werden immer noch mit zum Teil höchst unterschiedlichen Definitionen verwendet. Der Hauptgrund für diese konfuse terminologische Situation liegt darin, dass im Laufe der Beschäftigung mit Informationsstruktur immer wieder neue Begriffe und Begriffspaare eingeführt wurden, die sich aber nur zum Teil auf tatsächlich neu differenzierte informationsstrukturelle Dimensionen bezogen. Die Begriffe selbst wurden zum Teil unterschiedlich – etwa je nach syntaktischem oder prosodischem Schwerpunkt der Analysen – definiert. (cf. Musan 2010, 59–60) Grundlage der Definitionen zentraler Termini waren damit neben funktionalen auch formale Kriterien, aber auch reine Korrelate. (cf. Molnár 1991, 11) Darüber hinaus wurden bereits bestehende Begriffe immer wieder zu neuen Begriffspaaren kombiniert.8 (cf. Musan 2010, 60)

Auch heute ist der terminologische status quo innerhalb der Informationsstruktur noch dermaßen uneinheitlich, dass letztendlich jedem Beitrag zur Thematik konkrete Definitionen der zentralen Termini vorangehen müssen, wenn das Verständnis für den Leser gewährleistet werden soll. De facto werden die Termini, wie Casielles-Suárez (2004, 15) anmerkt, aber oft stillschweigend vorausgesetzt, als ob es allseits anerkannte Definitionen gäbe.9

Ein grundsätzlicher Konsens besteht heute für viele Autoren darin, dass sich die Informationsstruktur aus drei Dimensionen zusammensetzt.10 Die erste Dimension betrifft den vom Sprecher beim Hörer angenommen Status von Referenten in dessen Bewusstsein bzw. Gedächtnis. Je nach Status können die einzelnen Bestandteile von Äußerungen auf Satz-, vor allem aber auch auf Diskursebene allgemein als neue, gegebene oder inferierbare Information klassifiziert werden. Die zweite Dimension, jene der Topik-Kommentar-Gliederung, bezieht sich auf die grundlegenden Strukturierungsmöglichkeiten, über die ein Sprecher auf Satzebene verfügt. Die Ebene der Fokus-Hintergrund-Gliederung schließlich betrifft die Markierung der aus informationeller Sicht besonders relevanten Teile der Äußerung bzw. die Nicht-Markierung von weniger relevanten (Hintergrund-)Informationen.

Ebenfalls relativ unbestritten ist die Erkenntnis, dass im Zuge von informationsstrukturellen Analysen auch den Differenzen zwischen gesprochener und geschriebener Sprache Rechnung getragen werden muss.11 Dass die diamesischen Unterschiede nicht zuletzt die Informationsstruktur betreffen, stellt etwa Klein (2012, 105) fest: „[T]he information flow is different in spoken interaction.“ In diesem Zusammenhang weitestgehend akzeptiert ist auch die Ansicht, dass die Informationsstruktur das Primat über die Wortstellung innehat, und zwar insofern, als sie zu Veränderungen der kanonischen, d.h. syntaktisch unmarkierten Abfolge von Wörtern im Satz führen kann.12 (cf. Helfrich/Pöll 2012, 340–341) „Ob ein neutrales oder markiertes syntaktisches Muster aktiviert wird, hängt von der jeweiligen Zuweisung der Informationsrollen durch den Sprecher im konkreten Diskurskontext ab.“13 (Helfrich/Pöll 2012, 341)

Darüber hinaus lässt sich im Bereich der Informationsstruktur jedoch eine Pluralität von Ansätzen und Methoden feststellen. Auch innerhalb einer theoretischen Ausrichtung ist die Rolle der Informationsstruktur im Vergleich zu den weiteren Dimensionen von Sprache nicht immer unumstritten. Während etwa manche Anhänger der Prager Schule – in Anlehnung an die Arbeiten von Daneš und Firbas – die Organisation einer Äußerung als dritte, eigenständige Strukturierungsebene neben der syntaktischen und semantischen Struktur von Sätzen verstehen14, wird die Informationsstruktur von anderen aufgrund ihrer potenziellen Auswirkungen auf den Wahrheitsgehalt von Aussagen innerhalb der Semantik verortet.15 (cf. Molnár 1991, 17) In generativen Ansätzen wiederum werden informationsstrukturelle Kategorien wie Topik und Fokus in der Regel auf der Ebene der Syntax analysiert.

Das Zusammenspiel zwischen der Informationsstruktur und den weiteren Dimensionen von Sprache soll in Kapitel 3 näher beleuchtet werden. Zuvor jedoch sollen die Unterkapitel 2.2–2.4 einen umfassenden Überblick über die drei genannten informationsstrukturellen Ebenen, ihre zentralen Begriffe und die damit verbundenen problematischen Aspekte geben.