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Krone.tv-Moderatorin machte Lockvogel für Strache schön

Die Kontakte zwischen dem „Ibiza“-Detektiv Hessenthaler und dem Bundeskriminalamt bestanden also schon länger. Dies bestätigte Hessenthaler auch vor dem Untersuchungsausschuss.

Tatsächlich wurden die Bemühungen, den FPÖ-Chef in verfängliche Situationen zu bringen, um dies dann politisch nutzen zu können, intensiviert. Wer als Mastermind dahinter stand, inwieweit hier noch immer die ÖVP oder andere Interessengruppen involviert waren oder ob tatsächlich die Ibiza-Bande alleine Regie geführt hat, konnte der Untersuchungsausschuss nicht aufklären. Fakt ist aber, dass Julian Hessenthaler zu diesem Zeitpunkt in die Pläne von Rechtsanwalt Ramin M. eingebunden war. Das Ibiza-Projekt nahm somit seinen Lauf.

Vielmehr noch: Hessenthaler wollte seinen Kumpanen zeigen, wie man ein derartiges Projekt aufzieht. Parallel zum laufenden Bundespräsidentenwahlkampf entstand im Sommer 2016 bei „ein paar Drinks“ die Idee, Strache wegen seines angeblichen Drogenkonsums auffliegen zu lassen. Schon damals setzte Hessenthaler auf schöne Frauen, die als Lockvögel fungieren sollten, um dem FPÖ-Parteichef näher zu kommen. Die damalige Freundin des Anwalts M., eine heutige „Krone.tv“-Moderatorin, machte ihrer eigenen Aussage zufolge die Ex-Freundin von Julian Hessenthaler in der Wohnung des Ibiza-Anwaltes „schön“.17 Sie soll von der Moderatorin für den Besuch einer Geburtstagsfeier geschminkt und aufreizend angezogen worden sein, um so den geladenen Politikern näherzukommen und im Zuge dessen belastendes Material zu sichern.

Später gab Hessenthaler zu Protokoll, dass es sich dabei um eine „eher amateurhafte“ und nicht „ernst gemeinte“ Aktion gehandelt habe. Man habe sich dann damit gegenseitig gehäkelt und gehänselt, „dass wir Strache nicht erwischen“. Anwalt M. dürfte die Sache allerdings nicht gefreut haben, denn es kam zum Disput mit Hessenthaler, dem er vorwarf, bei der Strache-Geschichte nicht weiterzukommen. Hessenthaler rechtfertigte sich damit, dass ja kein Budget da sei, worauf M. ihn fragte, was er denn brauchen würde. Laut Hessenthaler warf er dann eine „Nummer“ in den Raum.18

Im ORF-Report sagte Hessenthaler am 18. Mai 202119, dass das Geld für die Sachkosten der „Ibiza-Falle“ – rund 100.000 Euro – von Anwalt M. stammte. Das Interview wurde im Gefängnis aufgenommen, wo Hessenthaler wegen mutmaßlichem Drogenhandel und mutmaßlicher Erpressung von Heinz-Christian Strache in Untersuchungshaft sitzt.

Es bestehen große Zweifel an der Darstellung, dass Julian Hessenthaler das Drehbuch für das „Ibiza-Video“ alleine geschrieben haben könnte. Fraglich ist auch die Aussage Hessenthalers, dass die 100.000 Euro allein vom „Ibiza“-Anwalt kamen. Experten bezweifeln weiters auch die Höhe der Summe für die aufwändige Aktion in Spanien, sie wird als viel zu niedrig eingeschätzt. Gab es also noch weitere Hintermänner, die das alles finanzierten? Und wer waren sie?

Sex und Drogen: Video-Falle für eine Edelprostituierte

Als gesichert gilt, dass der Detektiv Julian Hessenthaler ein Fachmann für versteckte Kameras ist. Das bestätigt eine ziemlich unappetitliche Geschichte, die im Zuge des Untersuchungsausschusses medial bekannt wurde. Ein Jahr nach Auftauchen des „Ibiza-Videos“ wurde im selben Stil eine Prostituierte beim Sex und Drogenkonsum gefilmt. Zweck dieser Aktion: Der Sohn eines ORF-Promis wollte im Sorgerechtsstreit um ein gemeinsames Kind harte Fakten schaffen. Die betroffene Dame sollte in einem Verfahren vor dem Bezirksgericht als „unzuverlässig“ punziert werden und so das Sorgerecht zugunsten des Auftraggebers verlieren.

In diesem Zusammenhang kam neuerlich ein Name ins Spiel, der im Zentrum der „Ibiza-Affäre“ steht: Rechtsanwalt Ramin M.. Er kannte seinen Klienten seit zehn Jahren und war geschäftlich mit ihm „verbandelt“, wie der Beschuldigte in einem Gerichtsverfahren aussagte.20

Diese Videofalle wurde allerdings nicht auf Ibiza, sondern in einem Wiener Luxushotel auf der Donauplatte umgesetzt. Zwei Bekannte von Hessenthaler spielten die Kunden des Edel-Callgirls: Vor den Geheimkameras ließen sie die Prostituierte Kokain konsumieren, anschließend wurde das Trio beim ungeschützten Verkehr gefilmt. Die Ausbeute: 53 Video-Dateien.

Das Beispiel zeigt, wie skrupellos M. und Hessenthaler auch in anderen Fällen vorgingen, um ihr Ziel zu erreichen. Wenigstens verwies man in diesem Fall nicht auf ein „zivilgesellschaftliches Projekt“ wie nach der Veröffentlichung des „Ibiza“-Videos.

Zurück zur Vorbereitung des Videos: Nachdem M. zumindest einen Teil des Geldes bereitgestellt hat, ist Hessenthaler im Sommer 2016 also bereit, Beweise zu erbringen, um Strache in einen Skandal zu verwickeln. Er erfindet die falsche Oligarchen-Nichte Alyona Makarov. Diese trifft nach Vermittlung der Immobilienmaklerin Irena Markovic, die sowohl M. als auch Johann Gudenus kennt, im März 2017 erstmals auf das Ehepaar Gudenus.

Standesgemäß fährt die vermeintlich reiche Russin in einer Maybach-Luxuskarosse vor. Sie gibt an, sich für eine Jagd im niederösterreichischen Waldviertel zu interessieren, wo Gudenus Grundstücke geerbt hat.

Bei der Besichtigung des Grundstücks wird man schnell handelseins, wobei es aber nie zur Geschäftsabwicklung kommt. Interessant dabei ist, dass zwischen der Immobilienmaklerin Markovic und Gudenus‘ Ehefrau Tajana ein Nebenvertrag ausgehandelt wurde. Inhalt: Bei Vertragsabschluss würden sich Markovic und Tajana Gudenus die Provision teilen.2122

Über die Anbahnung mit der vermeintlichen Oligarchen-Nichte über die Immobilienmaklerin Markovic sagte Johann Gudenus im Untersuchungsausschuss:

„Das Vertrauen habe ich auch deswegen gehabt, weil sie [Markovic] erstens mit meiner Frau befreundet war, ich sie kenne und auch bekannt war, dass sie mit Heinz-Christian Strache ein paar Jahre davor eine als intim zu bezeichnende Beziehung gehabt hat. Deswegen war das für mich eine sehr vertrauenswürdige Kontaktaufnahme.“23

„Wir haben uns das Ganze einmal angehört und es hat geheißen, diese Dame will vielleicht nach Österreich ziehen. Es kam dann im März zum ersten Treffen. Im Jänner war die erste Kontaktaufnahme, im März – Ende März – kam es zum ersten Treffen, bei dem wir uns kennengelernt haben – das ist ja schon allseits bekannt – im Grand Hotel, im Restaurant Le Ciel. Da war dieser Anwalt […] dabei, der Immobilienanwalt ist, der gemeint hat, er ist der nicht nur langjährige Freund oder Bekannte der Dame, sondern eben auch ihr Anwalt; da waren dieser Julian Thaler/Hessenthaler dabei und Irena Markovic; meine Frau habe ich mitgenommen, meinen kleinen Bruder habe ich mitgenommen. Warum? – Weil mein kleiner Bruder sich erstens einmal jagdlich gut auskennt, forstlich gut auskennt und ein Immobilienfachmann ist, was man von mir nicht behaupten kann. Somit fand das erste Abendessen im Le Ciel statt.“24

„Es war von Anfang an auch ihr Anspruch, sie würde gerne Heinz-Christian Strache kennenlernen. Für mich ist das nichts Ungewöhnliches, weil oftmals Leute aus dem In- oder Ausland kommen oder an uns herantreten und dann natürlich auch den Parteichef kennenlernen wollen. Das ist für mich weiter nichts Ungewöhnliches. Ich habe ihm das damals auch berichtet – wenn nicht im März, dann im April –, dass es eine wohlhabende Dame gibt, die in Österreich investieren will, die hier eben auch ein Umfeld haben will, die wegen mancher ideologischer Ansätze auch gut auf die FPÖ zu sprechen ist, die will, dass ihre Kinder in Wien sicher in die Schule gehen können und vieles mehr.“25

„Jedenfalls wurde schon beim ersten Treffen seitens der Dame und ihres Begleiters Julian Hessenthaler angeführt, dass die beiden oft nach Ibiza fahren und dass sie das so gerne haben, es eine gute Mischung aus Entspannung und Party ist und so weiter. Das hat dann in weiterer Folge ergeben, dass man sich gedacht hat – H.-C. Strache hatte unter dem Semester bis zum Sommer keine Zeit, sich zu treffen, sie war auch nicht in Wien –, man trifft sich auf Ibiza; und das ist dann zustande gekommen“.26

Viel wichtiger im Zusammenhang mit der Video-Falle war allerdings, dass die vermeintliche Oligarchin bei einem dieser Treffen Pläne äußerte, wonach sie nicht nur am Kauf des Jagdgrundstückes interessiert sei, sondern rund 300 bis 350 Millionen Euro in Österreich investieren wolle. Auch zu diesem Zweck wollte sie bessere Kontakte zur österreichischen Politik knüpfen. Als vertrauensbildende Maßnahme zeigte Anwalt M. Gudenus auch einen Überweisungsbeleg über mehrere Millionen Euro auf ein Treuhandkonto seiner Kanzlei und eine Reisepass-Kopie der vermeintlichen Oligarchin. Gudenus‘ Zweifel waren damit ausgeräumt, wie er selbst sagte.27

Russischer Oligarch hatte gar keine Nichte

Ein Bekannter von Gudenus gab jedoch an, ihn als langjährigen Freund im Frühjahr 2017 vor der falschen Nichte gewarnt zu haben. Er kenne Igor Makarov, den angeblichen Onkel, und wisse, dass dieser als Waisenkind keine Geschwister habe und daher auch keine Nichte haben könne. An diese Warnung konnte sich Gudenus allerdings nicht mehr erinnern. Sehr wohl aber hat sich Gudenus bei einem befreundeten ukrainischen Oligarchen über die Dame informiert. Auch dort wurde ihm gesagt, dass Makarov keine Nichte habe.28 Die vorgelegten Unterlagen von M. und ihr Vorhaben, sein Jagdgrundstück zu einem über dem Marktpreis liegenden Preis zu kaufen, dürften ihn dennoch von ihrer Vertrauenswürdigkeit überzeugt haben.

 

Tatsächlich sagte der russische Milliardär und Oligarch Igor Makarow später der „Berliner Tageszeitung“, dass er die Frau, welche sich unter Vortäuschung einer falschen Identität gegenüber Strache und Gudenus als seine Nichte ausgegeben hatte, nicht kenne und mit ihr auch nicht verwandt sei.29

Sämtliche Warnungen werden also in den Wind geschlagen: Gudenus plant einen gemeinsamen Abend auf Ibiza. Ziel ist es, die vermeintliche Oligarchin und Strache zusammenzubringen. Strache selbst erfährt erst auf Ibiza von der Dame und ihrem Wunsch, ihn kennenzulernen. Während er aufgrund von Zeitmangel zuerst noch den Termin verschieben lässt, willigt er letztlich ein, an dem Abend teilzunehmen. Strache sagte im U-Ausschuss:

„Ich wusste nicht, wann dieses Treffen von ihm geplant und zugesagt worden ist, erst auf Ibiza“.30

Am 23. Juli 2017, dem Vorabend der Video-Erstellung, treffen sich Hessenthaler und Gudenus in einem Strandlokal auf Ibiza, um das Setting für den nächsten Abend zu besprechen. Ironischerweise erzählt Gudenus noch an diesem Tag, dass er und Strache besonders aufpassen müssten, da aktuell versucht werde, sie mit einer Videofalle hereinzulegen. Diesbezügliche Warnungen aus dem Kurz-ÖVP-Umfeld habe er erst kürzlich bekommen.31

Der Abend findet nun tatsächlich in dem von den Drahtziehern geplanten Rahmen statt. Die Video-Falle wird trotz zwischenzeitlicher Skepsis Straches ungestört ausgeführt und erfüllt vermutlich vorerst den gewünschten Zweck.

Allerdings macht sich bei Julian Hessenthaler im Laufe des Abends allmählich das Gefühl von Misserfolg breit; Strache geht auf keinen Vorschlag der falschen Oligarchin ein, im Gegenteil. Trotz reichlichem und offensichtlichem Alkoholgenuss macht er mehrmals darauf aufmerksam, dass jedes Geschäft im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen erfolgen müsse.

„Wer zahlt, schafft an“

Nach der Zusammenkunft auf Ibiza kommt es zu einem weiteren Treffen zwischen Gudenus und Hessenthaler. Im Spätsommer 2017 besprechen sie den Abend auf Ibiza nach und Hessenthaler erklärt, dass die Oligarchin ob der fehlenden Zusagen sehr verärgert sei. Sie verlange, als vertrauensbildende Maßnahme, eine Botschaft in einer Presseaussendung der FPÖ mit dem Hinweis: „Wer zahlt schafft an“. Eine solche Aussendung gab es zwar, jedoch bezogen auf die NEOS und ihren Gönner Hans-Peter Haselsteiner.32

Abbildung 1: Damals war die Welt für Gudenus und Strache noch in Ordnung – Pressekonferenz 2017.

Immer wieder wurde betont, dass das Video nicht aus finanziellen Gründen angefertigt worden sei, sondern als „zivilgesellschaftliches Projekt“ gedacht gewesen sei, um „rechtspopulistische“ Parteien zu stoppen. Ersteller und Eigentümer des Videos und somit auch verfügungsberechtigt waren, laut eigenen Angaben, Hessenthaler und der Anwalt M. Stets behaupteten sie, es gebe keine Auftraggeber und Hintermänner. Eine etwaige finanzielle Verwertung des Videos würde somit in ihren Händen liegen.

Diverse Chat-Nachrichten Hessenthalers deuteten darauf hin, dass seine Aussage, er habe kein finanzielles Interesse gehabt, maximal eine öffentliche Behauptung ist. Am 17. November 2017, also anderthalb Jahre vor der Veröffentlichung, schrieb er in einer SMS-Nachricht:

„Die roten Idioten kommen mit dem Geld nicht mehr weiter“.

Vermutungen legen nahe, dass damit die SPÖ gemeint war, welche bei der Nationalratswahl 2017, wenige Wochen zuvor, erst den Kanzlersessel verlor.

Im Zuge des Untersuchungsausschusses stellte sich heraus, dass es auch vonseiten des Anwalts M. durchaus Interesse und auch konkrete Versuche gab, das Video zu verkaufen. Erste diesbezügliche Gespräche fanden bereits wenige Wochen nach dem Dreh statt.

Mitte August 2017 trifft M. seinen Volksschulfreund Johannes Vetter, damals gerade Wahlkampfmanager der SPÖ unter Bundeskanzler Christian Kern, in der Zigarrenlounge im Park Hyatt in der Wiener Innenstadt. Dort erzählt der „Ibiza“-Anwalt Vetter von brisantem Bildmaterial über Strache und Gudenus. Er erwähnt auch, dass es sich dabei um Bewegtbildmaterial handle und Geld benötigt werde, wobei kein genauer Betrag genannt worden sei.33

Interessant ist in diesem Zusammenhang vor allem der zeitliche Aspekt im Wahlkampf 2017, in dem das „Dirty Campaigning“ seine Hochphase erreichte.

Das „Ibiza“-Video wird am 24. Juli gedreht. Wenige Tage später wird Vetter Wahlkampfmanager der Bundes-SPÖ. Mitte August werden die Machenschaften des SPÖ-Beraters Tal Silberstein bekannt. Wenige Wochen später trifft der in dieser Zeit sicherlich schwer beschäftigte SPÖ-Wahlkampfchef Vetter seinen Volksschulfreund M. auf einen gemütlichen Kaffee, angeblich ohne zu wissen, worum es dabei gehen soll. Bei diesem Treffen erfährt er von belastendem Bildmaterial über Strache und Gudenus, Politiker jener Partei, welche die SPÖ laut Umfragen bei der kommenden Wahl überholen könnte. Erzählt möchte er davon niemandem haben, da er die „vagen Andeutungen“ für ein Gerücht hielt.34

„Lass uns reich werden! Aber mit lustig“

Im März 2018 kommt es zu einer beruflichen Reise nach Berlin. M. und Vetter sprechen erneut über das belastende Material. Ein interessantes Detail in diesem Zusammenhang ist auch, dass Vetter im Dezember 2018 eine Grußkarte an M. schickt, auf der „Lass uns reich werden! Aber mit lustig.“ geschrieben steht.35

Zeitnah zu dem zweiten Treffen mit Vetter kommt es zu einem Gespräch zwischen M. und dem SPÖ-nahen PR-Berater Nikolaus Pelinka. Die beiden kennen sich aus einer gemeinsamen Tätigkeit in der Rechtsanwaltskanzlei von Gabriel Lansky zu Beginn der 2000er-Jahre. Bei dem Treffen im Kaffeehaus erzählt M. von belastendem Material gegen Strache und fragt Pelinka, ob er ihn mit potenziellen Käufern zusammenbringen könne oder selbst Interesse habe, das Material zu erwerben. Die Rede ist von einem siebenstelligen Betrag. M. macht dabei auch Andeutungen in Richtung einer Provision für die Vermittlungstätigkeit. Auch wenn Pelinka im Endeffekt selbst kein Interesse an dem Material hat, erzählt er mehreren Personen davon.36

Auf die Frage im U-Ausschuss, wie vielen Leuten er vom Video-Material erzählt habe, antwortete Nikolaus Pelinka:

„Eins, zwei, drei, viele ist eine gute Definition. Ich würde vermuten, dass es um mehrere Dutzend Menschen geht, aber immer in verschiedenen Abstufungen.“37

Unter diesen Personen waren jedenfalls die SPÖ-Politiker Thomas Drozda und Christian Kern, deren Interesse Pelinka mit seinen Ausführungen weckte. Pelinka übergab Drozda Ende März oder Anfang April 2018 die Kontaktdaten des Anwalts, was Drozda in seiner Einvernahme beim Bundeskriminalamt später als „Vermittlung“ bezeichnete.

Wie Drozda vor dem Untersuchungsausschuss aussagte, wurde mit der Information zu vermeintlich belastendem Material über Strache und die FPÖ das Interesse der SPÖ-Spitze geweckt. In Folge dessen wurde Drozda von SPÖ-Chef Kern angewiesen, sich die Sache genauer anzuschauen. Am 12. April 2018 kommt es zu einem Treffen zwischen Drozda und Anwalt M. in dessen Kanzlei. Dort unterrichtet M. den SPÖ-Politiker über die Existenz eines Videos, in dem unter anderem Korruptionsideen gesponnen würden. Darüber hinaus legt der Anwalt Fotos von vermeintlichen Geldtaschen vor. Am Tag nach dem Gespräch informiert Drozda seinen Parteiobmann Christian Kern und auch den Anwalt der SPÖ, Michael Pilz.38

Am 24. April 2018 kommt es zu einem einstündigen Gespräch zwischen dem SPÖ-Anwalt Pilz und dem „Ibiza“-Drahtzieher M.. Pilz bekommt dort einige Szenen aus dem Video vorgespielt und hat somit Kenntnis über dessen Inhalte. Für den Erwerb des Materials verlangt M. sechs Millionen Euro. Noch am selben Tag berichtet Pilz Drozda über die Inhalte des Treffens.39

Am 2. Mai 2018 findet ein Sechsaugengespräch zwischen Drozda, Pilz und Kern statt, wo über das Treffen bei M. gesprochen wird. An diesem Tag wird entschieden, eine offizielle Absage der SPÖ an M. per eingeschriebenen Brief zu übermitteln, welche am 9. Mai 2018 versendet wird.40

Eine merkwürdige TV-Wette zwischen Kern und Strache

Diese Erkenntnisse lassen vermuten, dass die SPÖ-Spitze, zumindest Parteichef Kern und Bundesgeschäftsführer Drozda, spätestens ab April 2018, also ein Jahr vor der Veröffentlichung des Videos, über dessen grobe Inhalte Kenntnis hatten. Einen Tag nach dem Treffen zwischen Pilz und M. wettet SPÖ-Chef Kern in einem TV-Duell mit Heinz-Christian Strache im ORF um eine Flasche Rotwein, dass er, Kern, „sicher länger Parteichef“ bleiben werde als Strache.41

Jedoch war die SPÖ nicht die einzige Partei, zu der die Hersteller des „Ibiza-Videos“ Kontakt suchten. Im Spätsommer 2017 bittet M. den ehemaligen Politiker des Liberalen Forums und Haselsteiner-Vertrauten Zoltán Aczél um einen raschen Termin. Da Aczél zu dieser Zeit im Ausland weilt, ersucht er seinen Geschäftspartner und ehemaligen Nationalratsabgeordneten des LIF, Alexander Zach, der über seine Unternehmen mehr als 200.000 Euro an die NEOS spendete, den Termin wahrzunehmen. Zach ist ein ehemaliger Schulkollege von M. und somit bestens mit ihm bekannt.42

Ein erstes Treffen zwischen Zach und M. findet Ende August 2017 in der Anwaltskanzlei statt. Dort wird Zach ein Audiofile über ein Tablet vorgespielt, auf dem Strache und Gudenus abschätzig über Haselsteiner sprechen und Andeutungen machen, ihm und der STRABAG Bauaufträge zu entziehen. Mit dieser Information kontaktiert er Aczél und vereinbart einen weiteren Termin, welcher diesmal zu Dritt stattfinden sollte. Es steht jedenfalls von Beginn an im Raum, dass dieses Material seinen Preis hat. An den genauen Betrag konnte sich Alexander Zach im U-Ausschuss nicht mehr erinnern, er sagte:

„Also ich kann jetzt auch nicht mehr sagen, wann welcher Preis genannt wurde, aber diese Zahl von fünf Millionen, um die fünf Millionen stand im Raum“.43

Obwohl laut Zach kein Interesse an dem Material bestand, findet knapp zwei Wochen später der Termin mit M., Zach und Aczél in einem Kaffeehaus statt. Anlass für das Gespräch war demnach lediglich die Absage.

Warum für eine Absage ein Termin zu dritt in einem Kaffeehaus veranstaltet werden musste, obwohl ein einfaches Telefonat gereicht hätte, konnte Zach nicht näher erklären. Mit Haselsteiner sei über dieses Thema jedenfalls nie gesprochen worden, da von seiner Seite vermutlich ohnehin kein Interesse an dem laut Zach „wertlosen“ Material bestanden hätte.

Auch die österreichischen Behörden erfuhren nicht erst am Abend der Veröffentlichung von der Existenz des „Ibiza-Videos“. Slaven K., ein aus dem Umfeld von Julian Hessenthaler stammender V-Mann des Bundeskriminalamtes, hatte seinen Polizeikontakt bereits im Herbst 2018 über die Existenz und die Inhalte des Videos informiert.44

Kurz vor der Veröffentlichung des Videos sprach Hessenthaler erneut mit Slaven K., um dessen Kontakte zu nutzen und das Bundeskriminalamt „vorzuwarnen“. Er wollte dadurch den Eindruck verhindern, dass hier eine aus dem Ausland gesteuerte Wahlmanipulation im Gange sei.45

Wenn man im Zuge des Untersuchungsausschusses mitverfolgt hat, wie massiv die ÖVP mittlerweile mit der Errichtung eines „Tiefen Staates“ vorangekommen ist und dadurch auch Zugriff auf die obersten Organe der Republik hat, kann man nur zu einem Rückschluss kommen: Die ÖVP wusste bereits im Herbst 2018 von der Existenz des „Ibiza-Videos“. Anders als die FPÖ, denn behördenintern wurden die durch die Polizei gewonnenen Informationen nicht an die Spitze des Innenministeriums weitergegeben.