Moderne Sklaven

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Moderne Sklaven
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Moderne Sklaven

1

Richard Gruber saß auf seiner Dachterrasse. Die Tageszeitung lag unberührt auf seinem Schoß und er schaute in den wolkenlos, blauen Himmel, der nur durch die silbern aufblitzenden Flugzeuge zerrissen wurde. Gerade war er aus seinem Einsatz in Syrien zurück gekommen und genoss die leisen, zu ihm herauf dringenden, Geräusche der Geschäftigkeit einer Großstadt und tat ...nichts.

Das Telefon klingelte. Richard Gruber seufzte kurz auf und meldete sich mit einem etwas brummigen „Richard Gruber“

„Hallo Richard, hier ist Walter. Ich hörte, dass du wieder zu Hause bist. Wie geht es dir?“

„Ja, ich bin gestern erst zurück gekommen. Und wie immer bin ich froh, dass ich wieder einmal zu Hause bin, denn hier geht es mir gut. Du weißt schon, keine einstürzenden Häuser, kein Gewehrfeuer, keine Granaten, keine Bomben und vor allen Dingen liegen keine verletzten und toten Menschen herum. Übrigens, woher weißt du, dass ich wieder im Lande bin? Aber - Moment mal! Es ist drei Uhr und du telefonierst mit mir. Hast du keine Patienten?“

Walter Almrath ließ ein kurzes trockenes Lachen hören. „Da sind wir auch schon beim Thema. Mein Wartezimmer ist zum Bersten voll. Ich würde dich heute Abend gerne zum Essen einladen. Was hältst du von acht Uhr in der Weinstube? Ach, und übrigens, dass du wieder im Lande bist, weiß ich von einem ziemlich brummigen Menschen in deiner Redaktion. Ich habe da nämlich angerufen.“

Richard Gruber lachte trocken auf. „Da hast du bestimmt mit unserem Chefredakteur gesprochen, der ist immer etwas brummig. Aber ja, gerne gehe ich mit dir essen. Ich werde pünktlich sein. Bis heute Abend und viel Spaß beim Arbeiten.“

2

„Sehr witzig. Ich berichte dir beim Essen.“

„Aber nur wenn es nicht zu blutig ist.“ Im Hintergrund hörte Richard Gruber die Stimme von Anna-Lena, der Sprechstundenhilfe. „Herr Doktor, das Wartezimmer ist fast überfüllt.“

„Richard, du hörst, ich muss jetzt ein wenig arbeiten.“

„Na, dann hilf mal die Leiden dieser Welt zu lindern. Bis heute Abend.“

Richard Gruber trennte die Leitung, griff nach seiner Zeitung und begann zu lesen. Nachdem er seinen ersten freien Tag vertrödelt hatte, machte er sich gegen halb acht auf den Weg in die Tiefgarage. Als er in seinem Aston Martin Vanquish saß atmete er tief durch, ließ den Wagen aus der Garage rollen und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. Richard Gruber genoss die kurze Fahrt zu der Verabredung mit seinem Freund Walter Almrath. Direkt vor der Weinstube fand er eine Parklücke. „Das Glück ist auf meiner Seite.“ murmelte Richard Gruber und stellte seinen Wagen ab.

Dr. Walter Almrath saß bereits an einem Tisch am Fenster und winkte ihm zu. Richard Gruber betrat die Weinstube und wurde von dem Wirt Rüdiger Weissendorn freundlich begrüßt. Er ging zum Tisch von Walter, der ihm freudestrahlend die Hand schüttelte und sagte „Ich bin froh, dich heil und unversehrt zu sehen.“

„Danke, ich bin auch froh, wieder hier zu sein.“

„Dann lass uns etwas bestellen. Ich habe nämlich Hunger.“ verkündete Dr. Walter Almrath.

Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben und jeder ein Glas Wein vor sich stehen hatte, sagte Richard Gruber „Walter, du hörtest dich ein wenig besorgt an. Stimmt etwas mit deiner Praxis nicht?“ Walter Almrath lachte „Oh, nein, die Praxis läuft wunderbar. Nur habe ich viele Patienten, die unter akuten, multiplen Belastungsstörungen leiden.“

„Multiple Belastungsstörungen? Was ist das? Ist das schlimm?“

„Weißt du, da gibt es Magen- und Darmprobleme, schmerzhafte Probleme mit dem Bewegungsapparat, wie Rückenschmerzen und Muskelverspannungen, die Kopfschmerzen hervor rufen. Auch Hautprobleme sind dabei und noch vieles Andere mehr. Im Moment habe ich Patienten, die gleich einen ganzen Strauß dieser Beschwerden haben. Das nennt man dann multiple Belastungsstörungen.“

„Und woher kommen diese Beschwerden?“

„Ach,“ seufzte Walter Almrath „erst nach intensiverem Nachfragen habe ich heraus gefunden, dass es sich in fast allen Fällen um gleich mehrere Problem mit den Arbeitsstellen handelt. Die meisten dieser Patienten arbeiten bei Verleihern, den so genannten Zeitarbeitsfirmen. Die Einen stehen permanent unter Leistungsdruck und die Anderen haben permanente Angst ihren Arbeitsplatz zu verlieren, da sie nur Zeitverträge haben – und das sind meist auch nur sehr kurzfristige Verträge, so sechs bis zwölf Monate. Aus diesem Grund leiden diese Menschen dann auch noch unter Existenzangst.“

„Kannst du mir das näher erklären? Du weißt, ich bin mehr damit beschäftigt meinen Hintern aus der Schusslinie zu halten.“ Walter Almrath kicherte „Das solltest du auch weiterhin tun, denn mit der Entfernung von Kugeln habe ich so gar keine Erfahrung.“

Der Wirt näherte sich mit dem Essen, platzierte die Teller mit appetitlich angerichteten Steaks, Ofenkartoffeln und Gemüse vor seinen Gästen. Er wünschte „Guten Appetit“ und entfernte sich wieder. Dr. Walter Almrath schnüffelte ein wenig „Mhh, wenn es so gut schmeckt wie es duftet, sollten wir erst einmal essen. Anschließend können wir über meine Probleme reden. Bis dahin kannst du mir ja ein wenig über deine Erlebnisse erzählen.“ Richard hatte sich gerade ein Stück Steak in den Mund geschoben und kaute genussvoll. „Ach, das Alles ist nicht besonders erfreulich.“

„Ja, ich las in eurer Zeitung, dass du in Syrien warst. Auch deine Beiträge habe ich gelesen. Ehrlich, ich beneide dich nicht um deinen Job. Auch wenn du in der Welt herum kommst.“

Richard Gruber legte das Besteck zur Seite und schaute Walter mit verschleierten Augen an. „Es ist eine böse Sache, gerade dort. Da werden Zivilisten, Frauen und Kinder ermordet. In den Städten steht kaum ein Stein auf dem anderen. Ich hoffe nur, dass ich dort nicht noch einmal eingesetzt werde. Es gibt sehr viel nettere Gegenden als den nahen Osten, Nordafrika und Afghanistan.“ Er nahm sein Besteck wieder auf, schnitt ein Stück von seinem Steak ab und schob es sich in den Mund „Das Essen ist wieder sehr gut. Meinst du nicht auch?“

Walter Almrath hatte sich gerade eine Gabel voll Gemüse in den Mund geschoben und nickte nur. Er wusste, wenn Richard Gruber nur so knapp antwortete, wollte er über dieses Thema nicht mehr sprechen. Schweigend nahmen die beiden Männer das Essen ein. Als der Wirt die leeren Teller abgeräumt und den Kaffee serviert hatte, lehnte Richard Gruber sich auf dem Stuhl zurück und nahm das Gespräch wieder auf. „So, jetzt lass mal deine Sorgen hören.“

„Das ist nicht so einfach.“ Walter Almrath seufzte „Die Patienten mit den multiplen Belastungsstörungen haben alle nur Zeitverträge, egal, ob bei den Verleihern oder bei normalen Firmen. Am übelsten sind die Patienten dran, die bei Leiharbeitsfirmen arbeiten. Die schuften für sehr wenig Geld, haben nur kurzfristige Arbeitsverträge und werden - ich sage mal - rum geschubst und mies behandelt. Die können kaum ihre Familien versorgen. Meistens müssen die Frauen noch mit arbeiten, damit die Kasse einigermaßen stimmt und darunter leiden natürlich auch die Kinder.“

„Das hört sich ja ziemlich übel an. Gibt es dafür denn keine Tarifverträge?“

„Das kann ich dir nicht sagen Richard. Ich höre mir immer nur die Klagen an und meistens muss ich die Patienten krank schreiben.“

„Und wie kann ich dir dabei helfen?“

„Ich dachte, du könntest vielleicht in eurer Zeitung einen Artikel darüber schreiben.“ Richard Gruber runzelte die Stirn „Ich hätte jetzt Lust auf ein gutes Glas Wein und eine etwas intimere Umgebung. Was meinst du, hast du noch Lust mit zu mir zu kommen? Du kannst auch gerne im Gästezimmer übernachten.“ Dr. Walter Almrath runzelte die Stirn und überlegte einen Augenblick und sagte dann „Die Idee ist gut und ich komme mit.“

Richard Gruber winkte dem Wirt und wollte zahlen. „Nein, nein, das ist meine Einladung.“ Dr. Walter Almrath schüttelte den Kopf, griff in seine Hosentasche, zog eine Geldbörse hervor und zahlte die Rechnung. Die beiden Männer standen auf und verließen die Weinstube.

„Richard, fahr du schon vor. Ich hole meine Auto und komme nach.“ Richard Gruber nickte „Ich werde dem Concierge Bescheid sagen, dass du in die Garage fahren kannst und bei mir übernachtest. Dann steht dein Auto sicher und trocken.“ Dr. Walter Almrath lachte kurz und trocken auf „Nun, das ist sehr wichtig. Ich fahre nämlich immer noch meinen alten, noch etwas klappriger gewordenen Ford. Aber irgendwie hänge ich an diesem Teil.“

Als die beiden Männer vor dem Restaurant standen sagte „Ich hole jetzt das Auto von meinem Praxisparkplatz und bin dann auch gleich bei dir.“ Richard Gruber winkte ihm zu, stieg in seinen Aston Martin und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. Kurze Zeit später kam er in seiner Wohnung an. Er hob den Hörer des Haustelefons auf und sofort meldete sich der Concierge „Ruben hier, was kann ich für Sie tun Herr Gruber?“

„Hallo Ruben, gleich kommt Dr. Almrath, bitte öffnen Sie die Garage für ihn. Er wird bis morgen früh hier bleiben.“

„Kein Problem. Dr. Almrath, möchte sich morgen früh hier melden, dann wird das Garagentor für ihn geöffnet und er wird ausgetragen. Ich wünsche ihnen einen schönen Abend.“

„Vielen Dank Ruben.“ Kurze Zeit später hörte Richard Gruber den Aufzug surren, die Türen öffneten sich und Dr. Walter Almrath stieg aus. Richard Gruber rief aus der Küche „Hallo Walter, setz dich doch schon mal. Was möchtest du für einen Wein? Rot oder weiß?“

Dr. Walter Almrath ließ sich in einen Sessel fallen. „Ich möchte rot. Ist besser für meine Koronargefäße.“

„Walter, du sprichst mit einem Journalisten und nicht mit einem deiner Kollegen. Was sind diese Gefäße?“

„Das sind die Herzkranzgefäße.“ Aus der Küche drang jetzt ein leises Klingen von Gläsern, dann ein gedämpftes Plopp und Richard Gruber erschien mit zwei Gläsern und einer Flasche Wein in den Händen im Wohnzimmer. Er stellte die Gläser auf den Tisch, goss einen Schluck Wein in sein Glas und kostete ihn. „Mmhh, gut, kann vernichtet werden.“

 

Richard Gruber goss Wein in das Glas seines Gastes und anschließend in sein eigenes. Dann setzte er sich in einen Sessel, zog einen Block mit Stift heran und schaute seinen Gast an „So Walter, dann lass mal hören, was deine Patienten so bedrückt.“

„Das ist relativ einfach erzählt. Es geht um die Belastungen in der Arbeitswelt. Einmal sind es Patienten, die für Verleihfirmen arbeiten. Die haben nur sehr kurzzeitige Arbeitsverträge, so 4 – 12 Monate. Außerdem bekommen sie nur den Mindestlohn. Das belastet natürlich, ich habe keine Ahnung wie hoch der Mindestlohn ist. Aber fast alle Patienten, die bei solch einem Verleiher schuften, klagen, dass sie nicht einmal ihre Familie ernähren können. Die Frauen müssen mitarbeiten.“ Dr. Walter Almrath seufzte und trank einen Schluck Wein „Oder was noch schlimmer ist, dass allein erziehende Väter oder Mütter gleich mehrere Jobs brauchen, um einigermaßen klar zu kommen. Dann haben sie auch noch das Problem, dass die Kinder nicht beaufsichtigt sind, weil die Kitas offensichtlich nicht sehr elastisch sind, zumindest was die Öffnungszeiten betrifft. Die anderen Patienten sind bei normalen Firmen, also nicht bei Verleihern beschäftigt. Aber auch dort gibt es hauptsächlich befristete Arbeitsverträge, in der Regel ein bis zwei Jahre. Jedes mal wenn ein Arbeitsvertrag droht auszulaufen, setzen die gesundheitlichen Probleme ein.“ Dr. Walter Almrath griff erneut nach seinem Weinglas und trank einen Schluck. “Oh, der Wein ist wirklich hervorragend.“

Richard Gruber hatte sich Notizen gemacht und fragte „Was sind das denn für Probleme?“

„Oh, die sind sehr vielschichtig. Das kann bei einer Gastritis...“

„Walter--, bitte, ich bin kein Mediziner.“

„Ja, also das beginnt mit Magenschleimhautentzündung, nervösen Darmstörungen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Nervosität und Beschwerden am Bewegungsapparat, also Rückenschmerzen, Nackenschmerzen und hört mit Herzbeschwerden noch lange nicht auf. Außerdem sind Schlafstörungen an der Tagesordnung. Wenn sich so viele Probleme aufstapeln, spielt natürlich auch die Psyche nicht mehr so richtig mit. Da kommen dann erst mal Antriebslosigkeit und später Depressionen dazu.“

„Und das liegt nur an der Arbeit?“ Dr. Walter Almrath kratzte sich am Kopf und trank noch einen Schluck Wein. „Richard, vielleicht verstehst du es besser, wenn ich es dir an einem Beispiel erkläre. Stell dir einmal vor, dein Chefredakteur schickt dich in ein Krisengebiet, in dem es richtig zur Sache geht. Du weißt doch sicherlich, wie lange du dich dort aufhältst – Oder?“

„Na klar, jetzt war ich drei Wochen dort und ich kann dir sagen, die haben mir gereicht.“

„So, und nun stell dir vor, dein Chefredakteur sagt dir, du musst nach Syrien. Du hast den Auftrag zwei Wochen dort zu bleiben. Dann teilt dein Chef dir plötzlich mit, dass du noch länger bleiben musst. Du wirst ihn fragen wie lange der Aufenthalt noch dauern wird. Er sagt kurz und knapp – Weiß ich nicht -. Wie würdest du dich dann fühlen.“

Richard Gruber nahm einen großen Schluck Wein und sagte „Also, dem würde ich ganz schön die Hölle heiß machen. Genau so wie ich ihm die Pistole auf die Brust gesetzt habe, als meine Tochter starb. Ich habe ihm gesagt, dass ich Urlaub haben wollte und als er ihn mir nicht geben wollte, habe ich mit Kündigung gedroht.“

„Siehst du, das ist der Unterschied. Du kannst jederzeit einen neuen Job bekommen, du bist ein guter und auch noch recht bekannter Journalist. Das ist bei meinen Patienten nicht der Fall. Die müssen immer wieder um eine neue Arbeitsstelle kämpfen und ich meine wirklich kämpfen. Und soviel ich weiß ist die Agentur für Arbeit in dieser Sache auch nicht sehr hilfreich.“

„Ah, ich verstehe. Durch die permanente Angst um die Arbeitsstelle treten diese Probleme auf.“

Zwischenzeitlich waren die Gläser leer und Richard Gruber füllte sie erneut. Dr. Walter Almrath nahm das Gespräch wieder auf. „Es ist nicht nur die Suche nach der Arbeitsstelle, es ist auch der geringe Verdienst auf der Seite der Leiharbeiter und bei den Anderen das Problem, dass sie nur einen zeitlich begrenzten Arbeitsvertrag bekommen und oben drauf kommt noch die Erwartung der Arbeitgeber, dass sie so ziemlich rund um die Uhr erreichbar sein sollten.“

„Aber was ist denn mit der Agentur für Arbeit? Können die keine vernünftigen Arbeitsplätze besorgen?“ Dr. Walter Almrath seufzte tief auf und grinste ein wenig schief „Alles was mir so berichtet wird, ist, dass dort auch an Verleiher vermittelt wird und ansonsten die Arbeitssuchenden in den meisten Fällen nur verwaltet werden. Die werden in irgendwelche Maßnahmen gestopft und sind dann erst mal beschäftigt. Außerdem fallen sie dann aus der Statistik der Arbeitssuchenden heraus. Ich habe den Verdacht, dass es für die Agentur für Arbeit vorrangig ist, möglichst viele Arbeitslose in Maßnahmen zu stecken, damit die Statistik stimmt.“

Richard Gruber schüttelte den Kopf „Also ich glaube, ich treibe mich zu viel im Ausland rum. Diese Probleme sind mir völlig unbekannt. Aber ich habe im Moment ein paar freie Tage, da werde ich mal ein wenig recherchieren, was so auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland los ist. Vielleicht ist das ja Stoff für einen Artikel. Morgen rede ich mal mit Gunter, unserem Chefredakteur. Der ist für gute Ideen immer offen.“

Dr. Walter Almrath grinste breit „So habe ich mir das vorgestellt. Vielleicht ist ja der eine oder andere meiner Patienten ja bereit, mit dir zu sprechen, wenn dein Gunter zustimmt.“

- 2 -

Richard nickte „Aber sag mal, bist du zwischenzeitlich eigentlich geschieden?“

„Du wirst es nicht glauben! Aber ich bin geschieden. Das war nicht so ganz einfach.“

„Wieso? Deine Frau ist doch abgehauen. Das ist doch mal ein guter Grund für eine Scheidung.“ Dr. Walter Almrath kicherte „Du wirst es nicht glauben, die hatte doch glatt mitbekommen, dass meine Praxis wieder ganz gut läuft und wollte sich dann nicht scheiden lassen.“

„Und – wie bist du da raus gekommen?“ Wieder kicherte Dr. Walter Almrath leise „Daran ist dein Freund, der Rechtsanwalt Sven Wilkes, schuld. Der hat dem Gericht klar gemacht, dass meine Frau nicht meinetwegen, sondern des Geldes wegen die Scheidung verweigert. Er hat in kurzen Worten erklärt, dass meine Praxis so gut wie fast vor der Pleite stand und nur durch deine Hilfe gerettet werden konnte.“

Dr. Walter Almrath lehnte sich zurück, grinste fröhlich, griff nach seinem Glas und trank es in einem Zug aus. Richard Gruber schenkte nach und fragte „Wie ist das denn mit dem Unterhalt?“ Jetzt lachte Dr. Walter Almrath laut auf. „Die Richterin war der Ansicht, dass meine Frau keine Kinder zu versorgen hätte und somit allein für ihren Unterhalt sorgen könne, das hätte sie ja schon während der Trennung getan, da ich offensichtlich nicht in der Lage gewesen sei einen Trennungsunterhalt zu zahlen und sie auch keinen gefordert hätte. Zack, waren wir geschieden.“

Jetzt lachte Richard Gruber „Und das war wirklich eine Richterin?“

„Jawohl, eine Richterin und eine gut aussehende noch dazu. Offensichtlich verfügt diese Dame über einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.“ Jetzt war auch Richard Grubers Glas leer. Er wollte sich nach schenken, doch die Flasche war gab nichts mehr her. „Soll ich noch eine Flasche öffnen?“

„Nein, für mich nicht, du kannst aber gerne noch etwas trinken. Vorher zeig mir aber bitte dein Gästezimmer, ich bin schon ziemlich müde und außerdem etwas betrunken.“

Richard Gruber stand auf „Dann komm mal mit.“ Er öffnete die Tür neben seinem Büro. Dr. Walter Almraths Blick fiel auf ein gemütlich eingerichtetes recht winziges Zimmer. Dort gab es ein kuschelig aussehendes Bett, einen Fernseher, einen Kleiderschrank und eine winzige Sitzecke.

„Das ist ja sehr nett, nur wo kann ich mich waschen. Ich weiß, eine dumme Angewohnheit, aber ich habe mich so daran gewöhnt.“ Richard Gruber lachte, ging durch das Zimmer und öffnete die schmale Tür direkt neben dem Kleiderschrank. Dahinter tat sich ein sehr winziges, aber komplett eingerichtetes Duschbad auf. „Im Spiegelschrank über dem Waschbecken findest du alles, was du brauchst. Im Schrank unter dem Waschbecken sind die Handtücher. Wann musst du morgen früh in deiner Praxis sein?“

„Mach dir nur keine Mühe. Ich werde mich hinaus schleichen. Um 9.00 Uhr muss ich in der Praxis sein.“ Richard Gruber grinste „Also meistens pflege ich zu frühstücken. Daran habe ich mich so gewöhnt, zumindest, wenn ich zu Hause bin. Möchtest du mir Gesellschaft leisten?“

„Wenn du mich so nett bittest, dann gerne. Jetzt wünsche ich dir eine gute Nacht.“ Dr. Walter Almrath hob die rechte Hand ein wenig. Richard Gruber verließ das Zimmer und erwiderte den Gruß seines Gastes, bevor er die Tür leise schloss.

Am nächsten Morgen hatte Richard Gruber bereits das Frühstück zubereitet, ging zu seinem Gästezimmer und klopfte an. Ein etwas brummiges „Herein“ signalisierte ihm, dass Dr. Walter Almrath bereits wach war. Er betrat das Gästezimmer und sah durch die offene Tür zum winzigen Badd im Spiegel Dr. Walter Almraths, mit Rasierschaum bedecktes, Gesicht. „Guten Morgen Walter, das Frühstück ist fertig.“

„Ich komme gleich, lass mich nur kurz meine Morgentoilette beenden.“

„Was möchtest du trinken? Kaffee oder Tee?“

„Ich würde gerne einen Milchkaffee trinken, wenn es möglich ist.“ Richard Gruber grinste „Ich werde meine Kaffeemaschine befragen, ob sie das schafft.“ Er verließ das Gästezimmer und ging zurück in die Küche, aus der bald darauf das Brummen der Kaffeemaschine ertönte. Gerade stellte Richard Gruber den Milchkaffee auf die Küchenbar, als Dr. Walter Almrath aus dem Gästezimmer kam und sich auf einen Hocker vor die Bar setzte. „Wie hast du geschlafen?“ fragte Richard Gruber. „Sehr gut, nur, mir fehlte der Verkehrslärm. Hier oben ist es so still.“ Dr. Walter Almrath schaute sich um. „Aber sag mal, wann bist du denn aufgestanden? Das ist ja ein Frühstück.“ Er griff nach einem Brötchen, schnitt es auf, tat Butter darauf und nahm sich ein Ei. Richard Gruber trank einen Schluck Kaffee „Ich bin schon seit sechs Uhr auf und habe ein wenig recherchiert. In Deutschland gibt es fast eine Million Arbeitnehmer, die bei so genannten Firmen für Arbeitnehmerüberlassung arbeiten – oder wie sagtest du gestern Abend - schuften. Die dort unter Vertrag genommenen Menschen verdienen zwischen 8,80 und 9,00 Euro pro Stunde. Wenn der Verleiher einen Tarifvertrag akzeptiert, dann gibt es noch einen kleinen Zuschlag pro Stunde.“ Er biss in sein Brötchen, griff nach einem Block und legte ihn neben seinen Teller.

Dr. Walter Almrath hustete, denn er hatte sich an einem Stück Ei Verschluckt „Das hast du heute früh schon alles heraus bekommen?“

„Ja, sogar noch ein wenig mehr. Der Durschnittsverdienst eines Leiharbeiters, der als Produktionshelfer eingestellt wurde, beträgt rund 1.449,00 Euro pro Monat, selbstverständlich brutto. Die Stammarbeiter, die direkt bei den Firmen angestellt sind und die gleiche Arbeit leisten bekommen im Schnitt 1.883,70 Euro brutto pro Monat. Das sind 30% mehr. Wohlgemerkt für die gleiche Arbeit.“

„Wie hast du das so schnell heraus bekommen?“

„Das war nur eine erste grobe Recherche, damit ich ein paar Eckdaten habe, die ich Gunter vorlegen kann. Wenn der mir dann grünes Licht gibt, steige ich tiefer in die Recherche ein. Super wäre natürlich, wenn ich mit jemandem sprechen könnte, der für eine Arbeitnehmerüberlassungsfirma arbeitet. Noch spannender wird die ganze Sache, wenn ich mit jemandem sprechen könnte, der direkt bei einer solchen Firma angestellt ist. Diese Person müsste natürlich freiwillig mit mir reden.“

„Und dann stehen die Namen derjenigen in deiner Zeitung?!?“

„Walter, sag mal, wie lange kennst du mich? Habe ich etwa deinen Namen in meinen Artikeln über den Großversuch genannt?“

„Entschuldige, war nicht so gemeint. Soll ich mal einige meiner Patienten fragen, ob er mit die reden würde?“

„Nein, im Moment noch nicht. Ich brauche erst einmal die Freigabe von Gunter. Ich mache mich nach dem Frühstück sofort auf in die Redaktion. Dort muss ich mich sowieso noch persönlich zurück melden und dann kann ich auch gleich mit Gunter über dein Problem sprechen.“

Dr. Walter Almrath schaute auf seine Uhr „Oh, verdammt schon so spät. Ich muss los.“ Er erhob sich,trank noch einen Schluck Kaffee im stehen „Vielen Dank auch für das Frühstück und das Zuhören.“ Mit einem kurzen Wink ging er zum Fahrstuhl, drückte auf den Knopf und als die Türen auseinander glitten stieg er ein und verschwand hinter den sich schließenden Türen.

 

3

Kurz darauf öffneten sich die Türen des Fahrstuhls wieder und Ruben trat mit der Zeitung in der Hand in die Wohnung. „Guten Morgen Herr Gruber, ich bringe die Zeitung.“

„Guten Morgen Ruben, legen Sie sie nur auf den kleinen Tisch neben dem Aufzug. Vielen Dank.“ Leise verschwand der Concierge und Richard Gruber begann die Küche in Ordnung zu bringen. Als das leise Rauschen der Spülmaschine erklang, bereitete er sich noch einen Kaffee zu, ging die Zeitung holen und setzte sich mit Kaffee und Zeitung in einen Sessel. Auf der Titelseite fand er seinen letzten Bericht aus Syrien. Gunter Willich, der Chefredakteur, hatte nicht die kleinste Änderung vorgenommen. Richard Gruber lächelte zufrieden und murmelte „Dann hat er heute gute Laune und ist leichter von meiner Idee zu überzeugen.“ Er blätterte die Zeitung durch und trank seinen Kaffee. Als die Tasse leer war, brachte er sie in die Küche, griff nach seinen Notizen, dem Autoschlüssel und verließ seine Wohnung.

Als der Aston Martin auf den Redaktionsparkplatz einbog, sah Richard Gruber wie sich der Polizeireporter Claus Richter aus seinem historischen Porsche schälte. Richard Gruber stellte den Aston Martin in die Parklücke neben dem Porsche und stieg aus. „Hallo Claus, was gibt es Neues in der Redaktion?“

„Oh, hallo Richard, schön, dass du unbeschadet wieder da bist. In der Redaktion gibt es wenig Neues, außer dass Gunter hin und wieder mit Hummelchen ausgeht, aber mehr scheint sich da auch nicht zu entwickeln.“ Claus Richter kicherte „Gunter läuft wie ein waidwunder Hirsch durch die Redaktion. Wenn du mehr wissen willst, frag doch Henriette. Die hört nicht nur bei den Promis, sondern auch in der Redaktion die Flöhe husten.“

Die beiden Männer gingen nebeneinander auf das Redaktionsgebäude zu. „Na, dann wird Gunter nicht gut drauf sein. Ich wollte ihn nämlich für eine neue Artikelserie begeistern.“ Wieder kicherte Claus Richter „Ohch, das dürfte dir nicht schwer fallen. Gunter ist gestern durch die Redaktion gestiefelt, hat jedem deinen Artikel unter die Nase gehalten und verkündet, das er sich solche Artikel nur noch wünschte. Hummelchen hat dann gesagt, dass sie auf keinen Fall nach Syrien geht. Was meinst du was dann passiert ist?“

„Gunter ist in seinem Büro verschwunden und hat den Rest des Tages nur noch brüllend kommuniziert.“ lachte Richard Gruber. „Ich sehe, du kennst unseren Chefredakteur schon ziemlich gut.“ Zwischenzeitlich waren Claus Richter und Richard Gruber in der Redaktion angekommen. Claus Richter strebte seinem Büro zu, winkte kurz und rief „Man sieht sich.“

Richard Gruber winkte zurück und steuerte das Büro des Chefredakteurs an. Als er die Tür öffnete, schlug ihm, wie eigentlich immer eine dicke Qualmlwolke entgegen. „Hallo Gunter, bist du hier, ich sehe dich gar nicht, ist so nebelig hier.“

„Richard komm rein. Hast du noch etwas druckreifes mitgebracht.“

„Nein, habe ich nicht. Vorgestern, das war der letzte Artikel. Aber ich habe einige Informanten gefunden, die mir ein paar Hintergründe über den IS erzählen wollen. Aber bitte, gönne mir eine Pause. Ich möchte nicht sofort wieder zurück in dieses Elend.“

„Wir werden sehen.“ brummte Gunter Willich „Hast du vielleicht eine Idee, wo ich dich hier einsetzen könnte?“

Richard Gruber setzte sich auf den Stuhl vor den Schreibtisch des Chefredakteurs. „Gunter, ich glaube, ich bin auf eine Story gestoßen. Leiharbeiter und Zeitarbeitsverträge.“

„Och nein, Richard, wer sollte sich für so etwas interessieren?“ Richard Gruber berichtete über das Gespräch mit seinem Freund Dr. Walter Almrath. „Meinst du, dass du da Fleisch dran bringen kannst?“ fragte Gunter Willich mit gerunzelter Stirn.

„Was hältst du von Ausbeutung, möglicherweise Betrug an den Sozialkassen und die Finanzminister werden auch nicht gerade begeistert sein, wenn sie raus kriegen, dass ihnen eine Menge Lohnsteuer durch die Lappen geht.“ Gunter Willich kaute auf seiner erkalteten Zigarre herum, nahm sie aus dem Mund, schaute sie angewidert an und warf sie in den Papierkorb. „O.K. Du hast die Freigabe. Ich gebe dir eine Woche, bis dahin muss Fleisch an die Sache kommen. Wenn nicht, ist die Story gestorben.“

„Na, dann mach ich mich mal auf die Socken. Aber erst sage ich Hummelchen noch guten Tag.“ Richard Gruber schloss schnell die Tür und hörte ein Bündel Papier dagegen klatschen. Er durchquerte die Redaktion, blieb hier und da stehen um ein paar Worte mit den Kollegen zu wechseln. Dann erreichte er den Schreibtisch von Sabine Mann. „Hallo Hummelchen, wie geht's?“

„Oh, Richard, schön, dass du wieder da bist. Vor allen Dingen heil und gesund. Mir geht eigentlich ganz gut.“

Richard Gruber schaute sie ernst an „Nur eigentlich.“

„Ach ich weiß nicht. Gunter geht jetzt häufiger mit mir essen.“

„Aber?!?“

„Richard, ich mag ihn doch wirklich, aber immer nur essen gehen, das bringt es doch wirklich nicht.“

„Sabine, mein kleines Hummelchen, das weiß ich doch schon lange. Was meinst du, soll ich Gunter mal ein wenig anschieben?“ Sabine Mann strahlte ihn an „Hast du ihm nicht schon mal einen Schubser gegeben?“

Richard Gruber grinste breit „Schuldig im Sinne der Anklage. Ich werde mir etwas einfallen lassen. Wie sehen uns.“ Er ging zurück zum Redaktionsausgang und Sabine Mann rief hinter ihm her „Richard aber mach nicht zu viel. Das könnte schief gehen.“ Richard Gruber hob die Hand, winkte nur kurz und verließ die Redaktion.

4

Auf dem Parkplatz blieb er in seinem Auto sitzen und überlegte. „Wo setze ich am Besten an?“ murmelte er und startete den Wagen. Als er vom Parkplatz rollte sagte er laut und deutlich „Sven Wilkes“ Bereits nach dem zweiten Klingelton meldete sich eine etwas piepsige Stimme „Anwaltskanzlei Wilkes und Partner.“

„Guten Tag, Richard Gruber, bitte geben Sie mir Herrn Wilkes.“

„Herr Wilkes möchte nicht gestört werden. Kann ich etwas ausrichten?“ piepste es arrogant aus dem Hörer. „Dann geben Sie mir bitte Frau Falkenroth.“ brummte Richard Gruber.

„Einen Termin können Sie auch mit mir vereinbaren.“ piepste es jetzt zickig aus dem Telefon.

Richard Gruber atmete tief durch „Fräulein, wie immer Sie heißen, geben Sie mir bitte Frau Falkenroth!“ Richard Gruber konnte gerade noch „Unhöflich“ verstehen. Dann meldete sich die Sekretärin von Sven Wilkes „Falkenroth“.

„Richard Gruber hier. Guten Tag Frau Falkenroth, geht es Ihnen gut?“

„Oh, Herr Gruber, sind Sie wieder einmal in der Heimat?“

„Ja, vorgestern bin ich zurück gekommen. Ich würde sehr gerne mit Herrn Wilkes sprechen.“

„Ja, natürlich. Aber bitte fassen Sie sich kurz. Er muss gleich zu Gericht.“

„Geht ganz schnell, ich wollte nur fragen, ob er heute Abend Lust hat mit mir etwas zu essen.“

„Ich verbinde Sie.“ Sofort meldete sich die sonore Stimme von Sven Wilkes. „Hallo Richard, schön dass du wieder mal im Lande bist. Was kann ich für dich tun?“

„Magst du heute Abend mit mir essen?“ Sven Wilkes lachte „Ja, klar. Muss ich Gesetzbücher mitbringen?“ Diesmal lachte Richard Gruber „Nein so schlimm ist es nicht. Ich bin da an einer Sache, zu der hätte ich nur ein paar Fragen an dich. Wäre dir gegen acht recht? Ich brutzle etwas für uns.“

„Ja, gerne, ich bin um acht bei dir. Jetzt muss ich aber los. Habe einen Termin und Richter – Perfekt - sitzt vor. Das wird nicht einfach.“

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