Moderne Sklaven

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„Eigentlich bin ich Auslandskorrespondent und werde in den meisten Fällen von meiner Zeitung in Krisengebiete geschickt.“ Sein Gesprächspartner runzelte die Stirn „Und warum befassen sie sich jetzt mit diesen Problemen?“

Richard Gruber lachte trocken auf. „Eigentlich habe ich jetzt frei. Aber einfach nur herum sitzen, das liegt mir nicht. Also befasse ich mich mit menschlichen Problemen, so wie ihres.“

„Das ist aber nett von Ihnen.“ strahlte Heinrich Weitermann „Endlich mal jemand, der sich mit den Problemen des kleinen Mannes beschäftigt.“ Heinrich Weitermann machte eine kleine Pause „Wenn ich es recht überdenke, haben sie recht. Auch hier werden Menschenleben vernichtet. Wir werden nur nicht erschossen, sondern langsam zu Tode gequält. Wann meinen sie, dass der Artikel erscheint?“

„Oh, das kann ich nicht sagen, ich denke es wird nicht nur ein Artikel, sondern eine ganze Serie. Kommt ganz darauf an, was mir noch alles berichtet wird. Ich denke, sie sind nur der Erste. Sollten sie jemanden kennen, der ähnliche Dinge zu berichten hat, darf er sich ruhig bei mir melden. Sie haben meine Visitenkarte?“

„Ja, der Doktor hat mir eine gegeben.“ Er schaute auf die Uhr „Oh, schon so spät. Ich muss los, meine Frau wartet sonst mit dem Essen auf mich. Sie arbeitet nämlich auch, seit ich meine Stelle als Schweißer verloren habe. Das muss sie nämlich, weil wir sonst nicht über die Runden kommen würden.“

„Auch bei einem Verleiher?“

„Nein, bei einer ordentlichen Firma als Sekretärin. Aber auch sie hat nur einen Zeitvertrag.“ Heinrich Weitermann zog seine Geldbörse aus der Tasche. Richard Gruber schüttelte den Kopf „Das übernehme ich. Wenn sie noch einmal mit mir sprechen wollen, rufen sie mich einfach an. Ich wünsche ihnen viel Glück.“ Mit einen gemurmelten „Danke“ stand Heinrich Weitermann auf und eilte hinaus auf die Straße.

8

Richard Gruber schaute auf die Uhr. Es war schon fast halb eins. Er winkte den Besitzer der Weinstube heran und fragte „Was gibt es denn heute Gutes zu Essen? Nach diesem Gespräch brauche ich etwas Leckeres.“

„War es so schlimm?“

„Oh, ja! Ich sprach gerade mit einem hochqualifiziertem Sklaven.“

„Wenn sie mögen, höre ich ihnen gerne zu. Aber erst gehe ich in die Küche und lasse ihnen als Vorspeise ein wenig Parmaschinken mit Melone anrichten. Ist ihnen als Hauptspeise ein Saltimboca alla Romana recht. Und wenn sie dann noch ein wenig Platz in ihrem Magen haben, kann ich ihnen ein Panna Cotta an Himbeermousse servieren.“ Richard Gruber lachte „Bevor ich mich dazu äußere, darf ich ihnen das du anbieten?“

„Sehr gerne. Ich heiße übrigens Rüdiger. “Rüdiger, offensichtlich kennst du meine Schwächen. Das Menü ist gekauft und wenn du das Maß deiner Güte voll machen willst, bitte ein Glas trockenen Weißwein. Ich heiße Richard.“

„Die Bestellung rollt, Richard.“ mit diesen Worten eilte der Wirt in die Küche und kurz darauf erschien eine Bedienung mit einem Glas Weißwein und entfernte die Tasse mit dem kalt gewordenen Kaffee. Richard Gruber nippte an seinem Wein und stellte fest, dass Rüdiger Weissendorn genau seinen Geschmack getroffen hatte. Kaum hatte er sein Glas zurück gestellt, als ihm der Wirt die Vorspeise servierte. Richard Gruber schaute ihn an und sagte „Sieht wirklich appetitlich aus. Wenn du magst und Zeit hast, setz dich doch zu mir.“

Rüdiger Weissendorn setzte sich und winkte der Bedienung, die sofort mit einer Tasse Kaffee erschien und diese vor ihrem Chef abstellte. Richard Gruber genoss derweil seine Vorspeise. Als der Teller leer war, wandte er sich an den Wirt. „Ich muss schon sagen, was ich vorhin gehört habe, konnte ich kaum glauben.“ Richard Gruber begann zu erzählen.

Rüdiger Weissendorn grinste. „Sag mal warum grinst du so?“ fragte Richard Gruber erstaunt. In diesem Moment kam die Bedienung an den Tisch und servierte das Saltimbocca. Sie wünschte „Guten Appetit.“ und verschwand wieder in Richtung Küche. Während Richard Gruber genussvoll aß, berichtete der Wirt. „Also, du weißt doch, dass ich in der Stadt noch ein großes Restaurant, hauptsächlich für den Mittagstisch, betreibe und das auch nur an Wochentagen.“ Richard Gruber nickte. „Du wirst es nicht glauben, aber Vertreter von diesen Verleihfirmen rennen mir die Bude ein und wollen mir unbedingt Personal vermitteln. Ich habe mir mal ein Angebot machen lassen. Die Bedienung bekommt den Mindestlohn und ich soll für diese Kraft 3100,00 € zuzüglich Mehrwertsteuer pro Monat bezahlen.“ Richard Gruber hustete, weil er sich an einem Stück Fleisch verschluckt hatte „Entschuldigung“ Richard Gruber räusperte sich noch einmal „und was bekommst du dafür?“

„Eben eine Bedienung, ungelernt. Na, und ich brauche mir keine Sorgen machen, wenn eine Bedienung krank wird. Dann bekomme ich Ersatz. Also in meinen Augen ist das unseriös und Ausbeutung dazu. Ich bezahle meine Leute nach Tarif und das Trinkgeld dürfen sie behalten. Dafür kann ich mich aber auch darauf verlassen, dass sie freundlich, zuvorkommend und schnell sind.“ Rüdiger Weissendorn kicherte „Ich habe ja ganz vergessen zu sagen, dass ich eine Ablöse zahlen muss, wenn ich einen Leiharbeiter übernehmen möchte.“ Richard Gruber legte das Besteck aus den Händen, schaute den Wirt verdutzt an und fragte „Wie darf ich das denn verstehen? Ist ja wie beim Fußball. Kennst du den Grund dafür?“

„Keine Ahnung!“ sagte Rüdiger Weissendorn.“Aber ich vermute, dass es ein Trick ist, der verhindern soll, dass Leiharbeiter übernommen werden sollen. Ich denke, der Grund dafür ist, dass ein Leiharbeiter Geld in die Kasse des Verleihers spült und mit dieser Ablöse soll der künftige Arbeitgeber verschreckt werden.“ Richard Gruber schob den geleerten Teller etwas von sich und trank den letzten Schluck Wein, schaute den Wirt an und fragte „Sag mal, hast du so einen Vertrag?“ Rüdiger Weissendorn lachte laut auf „Als ich nicht auf dieses Angebot eingegangen bin, hat die Vertreterin dieses Verleihers, schwuppdiwupp, den Vertrag gegriffen, bevor ich ihn überhaupt lesen konnte und ihn wieder in ihr Aktenköfferchen gestopft. Kann sein, dass in diesem Vertrag irgend ein Haken ist, den ich nicht finden sollte. Danach...“ Rüdiger Weissendorn unterbrach sich, da die Bedienung das Dessert servierte. Richard Gruber bestellte noch einen großen Kaffee, kostete von der Panna Cotta mit ein wenig Himbeermousse und schloss genießerisch die Augen. „Mhh, hervorragend.“ Der Wirt grinste „Möchtest du dem Koch dieses Kompliment gerne selbst machen?“

„Ja, wenn er Zeit hat. Vielleicht verrät er mir das Rezept von diesem wirklich außergewöhnlichen Himbeermousse.“

„Ich weiß nicht. Aber du kannst ja gerne einmal fragen.“

Rüdiger Weissendorn winkte nach der Bedienung, die sofort kam und nach seinen Wünschen fragte. „Der Küchenchef möchte bitte zu uns kommen.“ Die Bedienung hob leicht die Augenbrauen und verschwand in der Küche.

Als sich die Küchentür wieder öffnete, trat eine junge Frau in blütenweißem Anzug heraus. Eine kleine Strähne tizianroten Haares lugte unter der Kochmütze hervor. Sie steuerte den Tisch von Richard Gruber und dem Wirt an. Dort blieb sie, die Hände hinter dem Rücken, stehen, richtete ihre grünen Augen auf den Wirt und fragte „Ist etwas nicht in Ordnung?“

Während Richard Gruber die junge Frau eingehend betrachtete sagte Rüdiger Weissendorn „Dieser junge Mann möchte ihnen ein Kompliment machen.“ Die Augen der Köchin wanderten zu Richard Gruber und musterten ihn eindringlich. „Ehm das Essen war hervorragend.“

„Richard, wolltest du nicht noch eine Frage an meine Küchenchefin richten?“ fragte Rüdiger Weissendorn grinsend.

„Oh, ja!“ Richard Gruber wirkte etwas verwirrt. Der Wirt half ihm. „Stella, Herr Gruber hätte gern das Rezept von ihrem Himbeermousse.“ Die Küchenchefin schaute Richard Gruber mit ihren verblüffend grünen Augen an und ein leichtes Lächeln spielte um ihrem Mund. „Es tut mir leid, meine Rezepte gebe ich nicht weiter.“ Der Wirt grinste „Nicht mal ich kenne die genauen Rezepte.“ Wieder lächelte Stella Rückert „Wenn ihnen das Himbeermousse so gut geschmeckt hat, dann lasse ich ihnen gerne noch eine Portion bringen. Vielleicht mit einem Hauch flüssiger Sahne?“

Richard Gruber schaute auf die Uhr. „Oh, vielen Dank, aber leider habe ich jetzt keine Zeit mehr.“ an den Wirt gewandt sagte er „Machst du mir bitte die Rechnung?“ Der Wirt erhob sich grinsend. Richard Gruber schaute die Küchenchefin an und sagte mit etwas belegter Stimme „Wenn sie es mir etwas aufheben bis zum nächsten mal, dann nehme ich das Angebot sehr gerne an.“ Die Augen der Köchin blitzten „Das ist doch wohl nicht ihr Ernst. Dieses Mousse verliert alles was es leicht macht, wenn es auch nur einen Tag aufgehoben wird. Ich werde ihnen selbstverständlich ein frisches Mousse zubereiten, wenn sie wiederkommen.“ Damit drehte sie sich herum und verschwand mit einem eleganten Hüftschwung in der Küche.

Rüdiger Weissendorn kam zurück, setzte sich wieder zu Richard Gruber an den Tisch und legte ihm die Rechnung vor. „Das ist eine Frau, was?“ grinste der Wirt. „Wo hast du die aufgetrieben?“ fragte Richard Gruber. „Sie hat sich bei mir beworben und war mir eigentlich zu teuer. Aber bei den Referenzen konnte ich einfach nicht nein sagen. So unverschämt gut sind die. Sie ist nicht gerade ein Sonderangebot, aber seit sie bei mir kocht, ist der Laden jeden Abend ausgebucht.“ Richard Gruber zahlte, verabschiedete sich und verließ die Weinstube.

9

Er eilte zu seinem Wagen und fuhr zur Redaktion. Es waren noch mehr als zwei Stunden bis Redaktionsschluss. „Na, dann wird Gunter noch einigermaßen entspannt sein.“ murmelte Richard Gruber als er die Treppen hinauf stieg. Der übliche Lärm schlug ihm entgegen als er die Tür zu dem Großraumbüro öffnete. Richard Gruber ging zum Büro des Chefredakteurs und als er die Tür öffnete, schlug ihm der gewohnte Zigarrenqualm entgegen. „Gunter, bist du hier?“

 

„Richard, immer wieder die gleiche blöde Frage, wo soll ich sonst sein? Was willst du von mir, wieder Sonderwünsche?!?“

„Ich habe da etwas, was du dir anhören solltest. Ich bin davon überzeugt, dass an dieser Sache mehr ist als ich ahnte.“

„Na dann lass hören.“ Richard Gruber legte sein Diktiergerät auf einen Stapel Papier und startete es.

Gunter Willich richtete sich in seinem Sessel auf, als Heinrich Weitermann von der Agentur für Arbeit berichtete.

Er griff nach einer neuen Zigarre, zündete sie an und verdichtete damit den Qualm in seinem Büro noch mehr. Als der Abschiedsgruß von Heinrich Weitermann ertönte, schaltete Richard Gruber das Diktiergerät ab, schaute den Chefredakteur an und fragte „Na, könnte das was werden?“

Ohne sich irgendwelche Begeisterung anmerken zu lassen knurrte Gunter Willich „O.K. Mach weiter. Meinst du die Story hat genug Fleisch für eine Artikelserie?“

„Mmh, ich werde mal sehen, was ich noch so ausgraben kann.“ Er griff nach seinem Diktiergerät und verließ das Büro des Chefredakteurs. „Halt mich auf dem Laufenden.“ brüllte Gunter Willich durch die geschlossene Tür so laut, dass es die ganze Redaktion hören konnte.

Richard Gruber durchquerte die Redaktion wechselte mit dem einen oder anderen Kollegen ein paar Worte. Sein Ziel war der wieder der Schreibtisch von Sabine Mann, genannt Hummelchen. Als er vor ihrem Schreibtisch stand, schaute sie auf „Hallo Richard. Warum brüllt denn unser Chefredakteur wieder durch den ganzen Laden? Hast du ihn wieder mal geärgert?“

„Hallo Hummelchen, ich habe ihn nicht geärgert. Oder vielleicht doch ein bisschen. An dem Thema, das ich ihm vorschlug ist was dran. Ich glaube das ärgert ihn ein wenig.“

„Wie kommst du den darauf?“

„Na, es geht um Leiharbeiter und diese Problematik ist ja schon lange bekannt. Vielleicht denkt Gunter, dass er es auch hätte aufgreifen können.“

„Nein, Richard, der hat ganz andere Sorgen. Der Verleger hängt ihm an den Hacken. Die Auflage ist zurück gegangen.“

„Na, dann ist mir seine Laune klar. Ich muss mal sehen, ob ich raus kriege, was Gunter vorhin von unserer Klatschbase Henriette wollte. Außerdem habe ich vielleicht eine Neuigkeit für sie. - Bis dann.“

Richard Gruber kämpfte sich durch die Redaktion, blieb hier und da stehen und wechselte mit den Kollegen wieder ein paar Worte. Dann stand er vor dem Schreibtisch der Kolumnistin Henriette, genannt die Klatschbase. „Hallo Henriette, was macht die Prominenz?“ Die Frau hob den Kopf und schaute Richard Gruber durchdringend an „Hallo Richard, was willst du von mir?“ Richard lächelte „Ich hätte einen Tipp für dich.“

„Und was muss ich dafür tun?“ Richard Gruber grinste „Sag mal, warum bist du immer so misstrauisch?“ Jetzt schlich sich ein kleines, freundliches Lächeln um den exakt und unaufdringlich geschminkten Mund. „Meistens werden Wünsche nach irgendwelchen Premierenkarten, Events oder sonstigen Veranstaltungen geäußert. Aber setz dich doch, du scheinst etwas anderes auf dem Herzen zu haben.“ Richard Gruber zog einen Stuhl heran und setzte sich. „Du machst doch auch Restaurantbewertungen oder?“ Henriette nickte „Aber nur wenn es etwas besonderes ist.“

„Was hältst du von einer kleinen Weinstube, die über eine junge, attraktive und dazu auch noch exzellente Küchenchefin verfügt?“

„Kennst du sie persönlich?“ Richard schüttelte den Kopf „Leider nein, aber ich kenne den Restaurantchef sehr gut und wenn der sagt, die Dame hat unverschämt gute Referenzen, dann ist das so. Interesse?“

„Was muss ich dafür tun?“

„Unseren Chefredakteur ein wenig schubsen. Damit er Hummelchen nicht immer nur füttert.“ Henriette begann auf ihrem, mit bunten Prospekten und Notizen übersätem, Schreibtisch zu wühlen. „Ha, ich wusste doch, dass mir da noch jemand einen Gefallen schuldet.“ Sie reichte Richard Gruber den Prospekt eines Wellness-Hotels. „Ist das so etwas, dass du dir vorgestellt hast?“ Richard Gruber lachte „Ich wusste doch, dass du eine geniale Idee hast.“

Richard Gruber griff nach einem Zettel und schrieb die Adresse der Weinstube auf. „Bestelle dem Wirt schöne Grüße von mir, dann wird er mit dir sprechen.“

„Augenblick, warte mal. Ich will nur kurz telefonieren.“

Henriette wählte und begann in das Telefon zu säuseln. Nach ein paar Minuten grinste sie Richard Gruber an und sagte „Alles klar. Am nächsten Wochenende werden Hummelchen und Gunter zu einem kompletten Entspannungs- und Wellness-Wochenende erwartet. Ich werde nachher mit Gunter reden. Wenn es was umsonst gibt, ist er doch immer dabei, dieser alte Geizkragen.“

„Danke dir.“

„Schon gut, wenn bei deiner Weinstube ein Artikel raus springt.“

„Das garantiere ich dir. Nimm einen Fotografen mit.“

Richard Gruber stand auf, winkte kurz und verließ die Redaktion. Fröhlich pfeifend machte er sich auf den Weg zum Parkplatz und fuhr nach Hause.

12

Dort angekommen machte er sich einen Kaffee und setzte seine Recherchen fort. Kaum hatte er damit begonnen, als das Telefon klingelte.

„Richard Gruber“

„Guten Tag Herr Gruber, ich habe ihre Nummer von Dr. Almrath.“

„Sie haben auch Probleme mit ihrem Arbeitgeber?“

„Das können sie laut sagen. Ich würde ihnen auch gerne darüber berichten. - Ehhm, aber nur, wenn sie meinen Namen nicht nennen. Der Doktor hat mir gesagt, dass sie mir das zusichern.“

„Da hat Herr Dr. Almrath völlig recht. Sie bleiben anonym. Nur ich kenne ihren Namen und sie können auch den Artikel vor Drucklegung lesen und mit mir darüber sprechen.“

Aus dem Hörer tönt ein erleichtertes Schnaufen. „Gut, dann rede ich mit ihnen. Ich bin krank geschrieben. Also hätte ich Zeit.“

„Wann möchten sie mit mir sprechen?“

„Am besten sofort, ehe ich mir das anders überlege. Können wir uns sofort treffen?“

„Ja, selbstverständlich. Kennen Sie die kleine Weinstube in der Nähe der Praxis von Dr. Almrath?“

„Ja, die kenne ich. In einer viertel Stunde könnte ich dort sein.“

„Gut, dann bin ich auch dort. Bis später.“

„Ja, bis gleich.“

Richard Gruber steckte sein Diktiergerät in die Tasche, griff nach dem Autoschlüssel und eilte in die Garage. Kurze Zeit später fand er einen Parkplatz in der Nähe der Weinstube und lief durch den leichten Nieselregen. Als er die Tür zur Weinstube öffnete, schaute Rüdiger Weissendorn ihn erstaunt an. „Nanu, schon wieder Hunger oder soll es noch etwas von der Himbeermousse sein.“ grinste er.

„Nein, ich nehme nur einen großen Kaffee. Ich warte hier auf einen Gesprächspartner.“ Der Wirt runzelte die Stirn „Machst du jetzt hier dein Büro auf?“

„Nein, aber mein Gesprächspartner möchte so weit wie möglich anonym bleiben und da dachte ich, dass hier doch eine recht entspannte Stimmung ist.“ Der Wirt nickte und gab die Bestellung des Kaffees an die Bedienung weiter.

Kurz darauf ging die Tür der Weinstube auf, ein dürrer Mann betrat das Lokal und schaute sich etwas schüchtern um. Richard Gruber stand auf und ging auf den Mann zu „Guten Tag, Entschuldigung, haben wir vorhin miteinander telefoniert?“ Der Mann nickte nur und folgte Richard Gruber zum Tisch. Dort stand bereits der große Kaffee.

Richard Gruber und der dürre Mann nahmen Platz. Richard Gruber lächelte sein Gegenüber an und fragte, was er trinken möchte. Schüchtern bat der dürre Mann um einen Kamillentee und erklärte „Das ist eine Empfehlung vom Doktor, soll gut für meinen Magen sein. Ich mag diesen Tee nicht besonders gerne, aber ich mag Magenschmerzen noch weniger.“

Richard Gruber lächelte „Kein Problem.“ und bestellte das Gewünschte bei der Bedienung.

Als der dampfende Tee vor dem dürren Mann stand fragte Richard Gruber „Darf ich ihrem Namen erfahren?“

„Ja, aber wirklich nur sie. Ich möchte meinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Ich heiße Hartmut Schneider.“

„Ich versichere ihnen noch einmal, dass nur ich ihren Namen kenne und sie den Artikel mit ihrer Geschichte vor dem Druck lesen und auch noch Änderungen vornehmen dürfen.“ Zum ersten Mal huschte ein Lächeln über das Gesicht des dürren Mannes „Ja, der Doktor hat so was schon gesagt. Was wollen Sie denn wissen?“ Richard Gruber griff in seine Jackentasche und zog das Diktiergerät heraus „Ist es ihnen recht, wenn ich das Gespräch aufzeichne? Das dient mir nur als Gedankenstütze und wird gelöscht, wenn Sie den Speicherchip nicht für sich haben wollen.“

„Nein, den möchte ich nicht haben, es reicht mir, wenn sie das Gespräch löschen und ich den Artikel lesen darf, bevor er in der Zeitung erscheint.“

Richard Gruber drückte auf den Aufnahmeknopf und schaute sein Gegenüber an „Herr Schneider, dann erzählen Sie mir einmal ihre Geschichte.“

„Also eigentlich bin ich Maler und Anstreicher. Ich habe fünfzehn Jahre für eine Firma gearbeitet. Dann wurde der Laden geschlossen. Aus Altersgründen. Der Chef hatte keine Lust mehr, kann ich auch verstehen. Er war schon über siebzig und sein Sohn hatte keinen Bock auf die Firma, obwohl die immer gut gelaufen ist. Schon ein halbes Jahr bevor die Firma zu machte, habe ich mich beworben. Aber – ich fand keine neue Stelle. Dabei werden angeblich Facharbeiter gesucht. So sagen es jedenfalls unsere Politiker.“ Hartmut Schneider zuckte mit den Schultern, griff nach seiner Teetasse, trank einen Schluck und verzog das Gesicht. „Also ich glaube, diese Politiker haben keine Ahnung, wie es in der richtigen Welt zugeht. Entweder bekam ich Ablehnungen oder gar keine Antwort. Das finde ich mehr als unverschämt, also das mit keiner Antwort, meine ich. Dann meldete ich mich arbeitslos und bekam sofort die Adresse einer Firma, die Produktionshelfer suchte. Da habe ich mich vorgestellt und den Job bekommen. Bei der Agentur für Arbeit hat man mir natürlich verschwiegen, dass es sich bei diesem Laden um eine Zeitarbeitsfirma handelt. Das habe ich erst raus bekommen, als die mir sagten, dass ich in einer Waschmittelfirma arbeiten soll.“

Wieder trank er einen Schluck, verzog erneut das Gesicht und fuhr fort „Dazu kam, dass ich auch noch 20 km fahren musste. Als ich dann nach Fahrgeld fragte, lachte mich die Frau, die mich eingestellt hatte, aus und sagte, dass ich mir das mit meiner Steuererklärung wiederholen könnte. Es würde kein Fahrgeld gezahlt. Die war so was von oben herab, so als ob ich ein Mensch zweiter Klasse wäre. Aber ich habe den Job angenommen. Als ich dann in der Waschmittelfirma ankam, wollte ich eigentlich sofort wieder gehen, es war einfach nur furchtbar. Ich hatte ja in einer alt eingesessenen Firma gearbeitet, aber dort waren immer neue Geräte und es war sauber. Aber in diesem Waschpulverladen sah es aus – unglaublich. Da wurde Waschmittel abgefüllt. Die Maschinen waren wahrscheinlich aus der Zeit der als diese Maschinen gerade erfunden wurden. Immer wieder gab es Störungen. Wenn irgend etwas verstopft war, wurde diese Störung mit einem Hammer behoben.“ Richard Gruber schaute sein Gegenüber erstaunt an „Wie kann man mit einem Hammer eine Störung beheben“

„Es wurde eben so lange auf die Abfüllnase eingedroschen, bis das Pulver wieder rutschte. Außerdem staubte es unsäglich. Wir hatten zwar Arbeitsanzüge bekommen, aber Atemschutz oder so was gab es nicht. Alles hustete. Viele hatten sich selbst Schutzmasken aus dem Baumarkt besorgt. Habe ich dann auch gemacht. Die Arbeitskleidung mussten wir selbst pflegen. Meine Frau hat immer gesagt, dass sie zu den Arbeitsanzügen gar kein Waschpulver mehr benötigen würde, die brächten das schon mit. Außerdem war es mit der Arbeitssicherheit nicht weit her. Wir mussten über Maschinen krabbeln und drunter her kriechen. Ich wundere mich jetzt noch, dass der ganze Laden noch nicht zusammen gebrochen ist. Von Sicherheit ganz zu schweigen. Aber nach ein paar Wochen bekam ich dann einen anderen Job. Da musste ich Maschinen bestücken.“ Hartmut Schneider seufzte und nahm einen Schluck Tee, verzog das Gesicht und fuhr fort „Na, das ging ja einigermaßen, aber auch diese Maschinen arbeiteten nicht störungsfrei.“ Ein Grinsen huschte über das ausgemergelte Gesicht von Hartmut Schneider. „Ständig kamen irgendwelche Anzugträger in die Produktionshalle. Aber denken sie nur nicht, dass die uns gegrüßt hätten oder gar mit uns sprachen. Na egal. Das alles hat mich so fertig gemacht, dass ich krank wurde.“ Er seufzte.

Richard Gruber fragte „Was verdienen Sie denn.“ Jetzt huschte ein Schatten über Hartmut Schneiders Gesicht „Also alles in allem bekomme ich netto ca. 1.300,00 Euro, das richtet sich immer nach der Stundenanzahl. Ach so, ich vergaß, selbstverständlich bekomme ich Urlaubsgeld. 150,00 Euro.“ wieder seufzte er. „Mittlerweile sitzt meine Frau an einer Supermarktkasse, damit wir einigermaßen über die Runden kommen. So ist das eben.“

 

Richard Gruber schaltete das Diktiergerät ab und schaute Hartmut Schneider an. „Ich würde ihnen gerne helfen, aber ich weiß nicht wie ich es anstellen soll.“

„Ach was, machen sie sich keine Sorgen um mich. Vielleicht hilft es ja, wenn diese Machenschaften, die da laufen an die Öffentlichkeit geraten. Ich möchte jetzt auch gerne gehen.“ Richard Gruber nickte „Eine Frage habe ich noch. Den Namen der Waschmittelfirma.“ Hartmut Schneider schaute ihn entsetzt an „Wozu wollen sie den Namen wissen?“

Richard Gruber lächelte „Vielleicht könnte ich ja der Berufsgenossenschaft einen kleinen Tipp geben.“ Ein kleines Leuchten huschte über Hartmut Schneiders Gesicht „Ich kann mir vorstellen, dass die den Laden dicht machen, bei den Zuständen, die dort herrschen. Für alle die dort in der Produktion arbeiten, würde ich es mir wünschen.“

„Eventuell kann ich auch einen kleinen Bericht darüber schreiben.“ sagte Richard Gruber und schob eine Visitenkarte samt Kugelschreiber über den Tisch „Bitte, schreiben sie mir doch ihre Telefonnummer auf, damit ich sie anrufen kann, wenn der Artikel fertig ist.“ Hartmut Schneider griff nach dem Schreiber, notierte auf der Rückseite der Visitenkarte seine Telefonnummer, den Namen und schob sie zurück über den Tisch. Dann verabschiedete er sich und verließ langsam, mit gebeugtem Rücken und hängenden Schultern, das Lokal.

12

Rüdiger Weissendorn kam an Richard Grubers Tisch. „Du siehst gar nicht gut aus. Was ist los? Schlechte Nachrichten?“ Richard Gruber schüttelte den Kopf „Ach, weißt du ich bereite eine neue Artikelserie vor. Bisher habe ich nur mit zwei Männern gesprochen, die bei Leiharbeitsfirmen arbeiten und ich muss sagen, was ich bis jetzt gehört habe ist einfach nur furchtbar, ach was, es ist widerlich. Richtige Sklaventreiberei.“

Der Wirt setzte sich zu Richard Gruber an den Tisch. Sofort kam die Bedienung und fragte „Darf ich ihnen etwas bringen?“ Richard Gruber bestellte noch einen Kaffee, der Wirt nickte „Ich nehme auch einen Kaffee.“ Eine Weile saßen die Männer schweigend am Tisch. Erst als der Kaffee vor ihnen stand nahmen sie das Gespräch wieder auf.

Richard Gruber schaute den Wirt an „Schade eigentlich, dass du keinen Vertrag bekommen hast. Ich habe aber auch keine Ahnung, wie ich an einen Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher kommen kann.“

„Ich kann dir da leider nicht helfen, denn ich werde bestimmt keine Leiharbeiterin als Serviererin einstellen. Lieber nehme ich Studentinnen, wenn die auch manchmal keine Zeit haben. Aber damit kann ich leben. Das betrifft aber auch nur mein Geschäft in der Stadt. Hier habe ich nur ausgebildetes Stammpersonal.“ Richard Gruber nahm einen Schluck Kaffee „Ach, ich muss dir noch etwas sagen. Du kennst doch unsere Klatschbase Henriette.“ Rüdiger Weissendorn lachte „Klar, kenne ich die. Ich mag ihre Kolumne. Die ist nie wirklich böse. Aber warum fragst du?“

„Ich brauche einen Gefallen von ihr. Dafür habe ich ihr versprochen, dass sie eine Reportage von deiner Weinstube machen darf.“ Der Wirt zog die Augenbrauen hoch „Was muss ich dafür tun?“

„Du, gar nichts – das ist nicht ganz richtig. Du solltest dich schon mit ihr unterhalten. Sie will auch einen Fotografen mitbringen.“

„Ach, wenn's weiter nichts ist, dann ist das gar nicht so schlimm. Das kriege ich schon hin.“

In diesem Moment öffnete sich die Tür und Henriette stöckelte herein. Ein Mann dem eine Kamera vor der Brust baumelte folgte ihr auf dem Fuß.

Richard Gruber griff in seine Hosentasche und zog die Geldbörse hervor „Ich möchte gerne zahlen.“

„Warum hast du es denn plötzlich so eilig?“

„Sie hat ihren Fotografen im Kielwasser. Ich möchte nicht gerne auf einem der Fotos zu sehen sein. Das könnte ein schiefes Bild bei unseren Lesern hervor rufen. Du weißt,so nach dem Motto, eine Hand wäscht die Andere.“ Der Wirt lachte „Ich verstehe.“ Er winkte die Bedienung herbei. „Herr Gruber möchte gern zahlen.“

Nachdem Richard Gruber gezahlt hatte, wandte er sich an Rüdiger Weissendorn „Komm mit, ich stelle dir Henriette vor, dann ist das einfacher.“ Der Wirt nickte und folgte Richard Gruber.

Henriette strahlte die beiden Männer an. „Hallo Henriette, du hast es ja ziemlich eilig. Darf ich dir Rüdiger Weissendorn, den Chef des Hauses vorstellen? Ich habe dich schon angekündigt, übrigens Rüdiger hat ein Händchen für gute Küchenchefs. Koste einfach mal die Panna Cotta mit Himbeermousse.“ Richard Gruber schaute auf die Uhr. „Ich muss jetzt los. Habe noch zu tun.“ Damit verließ er die Weinstube.

13

Gerade als Richard Gruber den Motor seines Aston Martin anließ, klingelte das Handy. Er meldete sich. Etwas leise und stockend drang die Stimme eines Mannes aus dem Lautsprecher. „Entschuldigen sie bitte, dass ich sie auf ihrem Handy anrufe. Aber ich habe es schon bei Ihrer Privatnummer versucht, doch ich wollte nicht auf den Anrufbeantworter sprechen.“ Nach einer kleinen Pause folgte ein tiefer Seufzer. Richard Gruber wartete geduldig. „Doktor Almrath hat mir ihre Visitenkarte gegeben und ich würde gerne mit ihnen sprechen.“

„Kein Problem. Wann und wo?“

„Im Hauptbahnhof. Wenn es geht, sofort.“

„Ich bin gleich da. Wie erkenne ich sie?“

„Bitte kommen sie durch den Haupteingang in den Bahnhof. Ich werde sie ansprechen. Ihr Bild ist ja oft genug in der Zeitung und manchmal auch im Fernsehen. Ich werde in zwanzig Minuten dort sein und auf sie warten.“ Die Leitung wurde getrennt.

Richard Gruber schüttelte den Kopf und murmelte „Donnerwetter, die Leute scheinen alle furchtbare Angst zu haben. Hoffentlich finde ich heraus was dahinter steckt.“ Er steuerte seinen Wagen ich Richtung Innenstadt und nach kurzer Zeit erreichte er die Tiefgarage unter dem Hauptbahnhof.

Richard Gruber betrat den Bahnhof durch den südlichen Nebeneingang, an dem sich eine Buchhandlung befand. Dort kaufte eine englische Zeitung, faltete sie zusammen, verließ den Bahnhof wieder durch den Nebeneingang und schlenderte zum Haupteingang. Kaum hatte er den Bahnhof betreten, kam ein kleiner, blassgesichtiger Mann auf ihn zu. „Guten Tag Herr Gruber, wir haben vorhin telefoniert.“

„Guten Tag, darf ich ihren Namen erfahren? Ich versichere ihnen, dass sie absolut anonym bleiben werden. Nur ich kenne ihren Namen und sie können sicher sein, dass er nicht in der Zeitung erscheint.“

„Warum möchten Sie dann meinen Namen wissen?“ Richard Gruber lächelte freundlich „Ich möchte sie mit ihrem Namen anreden können, damit ich die Informationen, die ich erhalte auch zuordnen kann, wenn ich noch Fragen haben.“

Der kleine Mann kratze sich am Kopf, nickte langsam und sprach leise „Das verstehe ich. Der Doktor hat auch gesagt, dass man ihnen vertrauen kann. Also ich heiße Winfried Sänger und arbeite bei einer Leiharbeitsfirma.“

Richard Gruber nickte „Und welche Probleme haben sie bei dieser Firma?“ Winfried Sänger holte noch einmal tief Luft und begann zu reden „Bitte können wir vielleicht etwas gehen, das ist nicht so auffällig.“

Die beiden Männer schlenderten in Richtung der Gleise, wie zwei Reisende, die zufällig den gleichen Weg haben. Winfried Sänger schaute geradeaus und begann leise zu erzählen „Ich war lange arbeitslos.“

„Entschuldigung wenn ich sie unterbreche, was sind sie von Beruf?“ Winfried Sänger stieß ein kurzes, freudloses Lachen aus „Ich habe Industrieanstreicher gelernt, spezialisiert auf Arbeiten in großer Höhe, so mit Sicherungsseilen frei hängend. Sie wissen schon, dort wo kein Gerüst montiert werden kann.“ Richard Gruber blieb verdutzt stehen „Und da finden sie keine Arbeit? Warum sind sie arbeitslos geworden?“ Wieder erklang das freudlose Lachen. „Mein damaliger Chef hat den Betrieb aus Altersgründen verkauft. Der neue Besitzer hat diesen Betrieb dann auf Maschinen umgerüstet, weil das angeblich billiger wäre. Aber das stimmt nicht. Die Bauwerke müssen jetzt teil eingerüstet werden, damit Schienen für die Roboter gelegt werden können. Was daran billiger sein soll, verstehe ich nicht. Und nein, warum ein Spezialist angeblich nicht vermittelt werden kann, kann ich ihnen auch nicht sagen. Ich wurde dann von der Agentur für Arbeit an einen von diesen Verleiher vermittelt und verdiene jetzt weniger, als das, was ich als Facharbeiter mit Spezialausbildung an Arbeitslosengeld bekommen habe. Bei dem Gespräch mit dem Arbeitsvermittler, drängte sich mir der Verdacht auf, dass dieser Mitarbeiter bei der Agentur für Arbeit einfach nur zu faul war mir eine Arbeit zu suchen, die meiner Qualifikation entspricht. Das ist meine Geschichte.“ Über das Gesicht des kleinen Mannes huschte ein dunkler Schatten und er wischte sich kurz über die Augen. Die Männer schwiegen eine Weile, dann blieb Richard Gruber stehen. „Herr Sänger, darf ich bitte ihre Telefonnummer haben?“ Winfried Sänger nickt nur und diktierte seine Telefonnummer in Richard Grubers Handy.

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