Wikipedia und der Wandel der Enzyklopädiesprache

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Bettina Eiber

Wikipedia und der Wandel der Enzyklopädiesprache

Ein französisch-italienischer Vergleich

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de • info@narr.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-8233-8407-6 (Print)

ISBN 978-3-8233-0274-2 (ePub)

Inhalt

  Vorwort

  1 Einführung

  2 Die Geschichte der Enzyklopädie 2.1 Wort- und Begriffsgeschichte 2.2 Von den Anfängen bis zur Aufklärung 2.3 Aufklärung 2.4 Bürgerliches Zeitalter 2.5 Zeitalter nationaler Enzyklopädien 2.6 Gegenwart und Digitalisierung 2.7 Resümee

 3 Wikipedia und der Wandel der Diskurstradition Enzyklopädieartikel3.1 Diskurstraditionen3.1.1 Konzept3.1.2 Wandel3.1.3 Zwischenresümee3.2 Gedruckte Enzyklopädieartikel3.2.1 Abgrenzung zu benachbarten Diskurstraditionen3.2.2 Kommunikationssituation3.2.3 Artikelaufbau3.2.4 Sprachlich-stilistische Merkmale3.2.5 Zwischenresümee3.3 Wikipediaartikel3.3.1 Wikitechnologie und Entstehung der Enzyklopädie3.3.2 Hierarchien und kommunikative Praktiken3.3.3 Kommunikationssituation3.3.4 Artikelaufbau3.3.5 Sprachlich-stilistische Merkmale3.3.6 Zwischenresümee3.4 Print- und Wikipediaartikel im Vergleich3.5 Resümee

 4 Korpus und Methodik4.1 Forschungsdesign4.2 Korpuszusammensetzung4.3 Korpusaufbereitung4.4 Korpuslinguistische Analyseverfahren4.4.1 Definition: Token, Type, Lemma4.4.2 Korpusfrequenzen und Dispersion4.4.3 Schlüsselwortextraktion4.4.4 Kookkurrenzanalyse4.4.5 Kritische Betrachtung4.4.6 Zwischenresümee4.5 Resümee

 5 Inhaltlicher Vergleich5.1 Behandelte Aspekte eines Konzepts5.1.1 „Chemische Substanz“5.1.2 „Land“5.1.3 „Krankheit“5.1.4 „Wirtschaftliches Konzept“5.1.5 Anzahl, Logik, Vollständigkeit5.1.6 Zwischenresümee5.2 Schlüsselwörter zu einem Konzept5.2.1 „Chemische Substanz“5.2.2 „Land“5.2.3 „Krankheit“5.2.4 „Wirtschaftliches Konzept“5.2.5 Zwischenresümee5.3 Kulturspezifische Bezüge5.3.1 Länderspezifische Kapitelüberschriften5.3.2 Verweise auf Frankreich und Italien5.3.3 Anspielungen auf kulturelles Wissen5.3.4 Standortabhängige Formulierungen5.3.5 Zwischenresümee5.4 Resümee

 6 Fachsprachlichkeit6.1 Wortlänge6.2 Fachausdrücke6.2.1 Prozentualer Anteil6.2.2 Semantische Bereiche6.2.3 Zwischenresümee6.3 Lehngut6.3.1 Gelehrte Bildungen6.3.2 Anglizismen6.3.3 Zwischenresümee6.4 Erläuterungsstrategien6.4.1 Erklärungen6.4.2 Alternative Ausdrücke6.4.3 Zwischenresümee6.5 Resümee

 7 Neutralität der Sprache7.1 Positive und negative Bewertungen7.1.1 Kapitelüberschriften7.1.2 Adjektive7.1.3 Substantive7.1.4 Metaphern7.1.5 Zwischenresümee7.2 Hyperbolische Formulierungen7.2.1 Superlative7.2.2 Hochwertende Ausdrücke7.2.3 Zwischenresümee7.3 Ideologische Positionierung7.3.1 Politisch wertende Bezeichnungen7.3.2 Politisch sensibler Sprachgebrauch7.3.3 Zwischenresümee7.4 Umgang mit Belegen7.4.1 Verweis auf Experten7.4.2 Verweis auf Studien7.4.3 Pseudoobjektivität7.4.4 Zwischenresümee7.5 Resümee

 8 Informelle Schriftlichkeit8.1 Orthografie und Interpunktion8.1.1 Buchstaben8.1.2 Diakritika8.1.3 Groß- und Kleinschreibung8.1.4 Interpunktion8.1.5 Zwischenresümee8.2 Satzbau8.2.1 Satzlänge8.2.2 Kongruenz8.2.3 Vollständigkeit8.2.4 Anakoluthe8.2.5 Linksdislokationen8.2.6 Zwischenresümee8.3 Morphosyntaktische Mittel8.3.1 Pronominalformen8.3.2 Konjunktionen8.3.3 Tempusgebrauch8.3.4 Zwischenresümee8.4 Lexik8.4.1 Lexikalische Vielfalt8.4.2 Semantische Adäquatheit8.4.3 Umgangssprachliche Ausdrücke8.4.4 Zwischenresümee8.5 Resümee

  9 Schlussbetrachtungen 9.1 Medienwandel und kulturelle Traditionen in Enzyklopädien 9.2 Fachlich bedingte Variation im Korpus 9.3 Medial bedingte Variation im Korpus 9.4 Kulturspezifische Variation im Korpus 9.5 Mediale Adaptation und (fach-)­kulturelle Tradition in Wikipedia

  Literaturverzeichnis

  Personenregister

  Sachregister

Vorwort

Das vorliegende Werk wurde im Herbst 2019 von der Philosophischen Fakultät der Universität Passau als Dissertationsschrift angenommen.

Mein besonderer Dank gilt der Betreuerin meiner Dissertationsschrift, Prof. Dr. Dr. h.c. Ursula Reutner. Sie begleitete konstant deren Entstehung und unterstützte mich maßgeblich durch ihre kritischen Nachfragen und ihren erfahrenen Blick fürs Detail. Ebenfalls herzlich bedanken möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Rüdiger Harnisch für die Erstellung des Zweitgutachtens und auch dafür, dass er mich an seinem linguistischen Oberseminar teilhaben ließ. Ein herzlicher Dank gilt zudem Herrn Prof. Dr. Walter für die Erstellung des Drittgutachtens.

Bedanken möchte ich mich ebenfalls bei allen Freunden und Kollegen, die mich während der Promotion unterstützt haben. Ganz besonders gilt dieser Dank meiner Kollegin Hannelore Gillich, die fachlich und persönlich eine große Stütze während der Promotion war.

Während des gesamten Schreibprozesses und insbesondere in den letzten Wochen vor der Abgabe konnte ich zudem immer auf die Unterstützung meiner Familie vertrauen. Ganz herzlich möchte ich mich bei meinen Eltern und meiner Schwester für die aufwändige Korrekturlektüre und den moralischen Beistand in der Abschlussphase bedanken.

Dem Gunter Narr-Verlag danke ich für die Aufnahme der Dissertationsschrift in die Reihe Tübinger Beiträge zur Linguistik. Ein herzlicher Dank gilt zudem der Axel Springer Stiftung und dem Graduiertenzentrum Passau für den großzügig gewährten Druckkostenzuschuss.

Passau, im September 2020 Bettina Eiber

1 Einführung

Schon im Jahre 1962 postulierte der Medientheoretiker Marshall McLuhanMcLuhan, Marshall (1962: 278) das Ende der Gutenberg-GalaxisGutenberg-Galaxis durch die Einführung neuer Medien in die Gesellschaft. In der Folge scheint sich diese Annahme zu bewahrheiten und es ist die zunehmende Einstellung von gedruckten Büchern und Zeitungen zu beobachten, die durch digitale Ausgaben ersetzt werden. Besonders früh und ausgeprägt zeichnete sich diese Entwicklung bei EnzyklopädienEnzyklopädie ab. So erscheinen die Ausgaben der Encyclopædia Britannica (2020), des Brockhaus (2020), der Encyclopaedia Universalis (2020) und der Encyclopédie Larousse (2020) heutzutage ausschließlich online, die Enciclopedia Treccani (2020) existiert parallel als Online- und als Printausgabe. Diese Angebote reproduzieren in der Regel traditionelle EnzyklopädieartikelEnzyklopädieartikel auf statischen Webseiten und bewirken deswegen nur geringe Veränderungen im Vergleich zu den gedruckten Vorläufern. Allerdings wird schon mit der Gründung der WikipediaWikipedia im Jahre 2001 dieses Modell weitgehend obsolet und die statischen, expertenbasierten EnzyklopädieartikelEnzyklopädieartikel werden durch dynamische, kollaborativ im WikiWiki erstellte Artikel abgelöst (2.). Durch die weltweite Verbreitung und den schwindenden Qualitätsunterschied zwischen Print- und WikipediaartikelnWikipediaartikel (cf. Giles 2005) kann davon ausgegangen werden, dass kollaborativ in einem WikiWiki erstellte Artikel zunehmend Modellcharakter gewinnen, wodurch die DiskurstraditionDiskurstradition EnzyklopädieartikelEnzyklopädieartikel transformiert wird.

 

Angesichts der skizzierten Entwicklungen stellt sich nun die Frage, inwiefern sich EnzyklopädieartikelEnzyklopädieartikel verändern, wenn sie nicht mehr gedruckt, sondern als Wikipediaartikel vorliegen. Des Weiteren ist zu untersuchen, ob die verschiedenen Sprachversionen der WikipediaSprachversion (der Wikipedia) jeweils dieselben trägermedialen Anpassungen aufweisen und deswegen eine Homogenisierung zu beobachten ist oder ob sich sprach- und kulturspezifische Varianten von Wikipediaartikeln herausbilden. Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, in welcher fachlichen Tradition ein EnzyklopädieartikelEnzyklopädieartikel steht und ob diese im neuen Medium erhalten bleibt.

Dass der Wechsel des TrägermediumsTrägermedium das Potential besitzt, EnzyklopädieartikelEnzyklopädieartikel tiefgreifend zu transformieren, legen theoretische Überlegungen nahe, die diese als Diskurstraditionen konzeptualisieren (3.1.1), die sich aufgrund von historischen Ereignissen, wie beispielsweise eines MedienwandelsMedienwandel, sukzessive verändern (3.1.2). Ein Teil dieser Veränderungen kann auf der Basis bisheriger Erkenntnisse zu gedruckten Enzyklopädieartikeln und zu Wikipediaartikeln nachvollzogen werden. Zu deutschen PrintartikelnPrintartikel sind insbesondere die Studien von Hoffmann (1988), Fandrych/Thurmair (2011), Augustin (2016), zu französischen PrintartikelnPrintartikel Mochet/O’Neil (2000) und zu gedruckten italienischen Artikeln d’Achille/Proietti (2011) zu nennen, welche sich mit dem Artikelaufbau und den sprachlich-stilistischen Merkmalen beschäftigen (3.2). Wikipediaartikel der englischen Sprachausgabe werden von Emigh/Herring (2005), Baron (2008), Elia (2008) und Tereszkiewicz (2010) untersucht. Emigh/Herring (2005) vergleichen ein Korpus englischer Wikipediaartikel mit Artikeln der PrintenzyklopädieEnzyklopädie– Print-~ Columbia Encyclopedia und mit denen der OnlineenzyklopädieEnzyklopädie– Online-~ Everything 2. Dabei ergibt der Vergleich zwischen Wikipedia und der Printenzyklopädie kaum Unterschiede, während Everything 2 einen geringeren Grad an sprachlicher FormalitätFormalität aufweist. Angesichts der unterschiedlichen KommunikationsbedingungenKommunikationsbedingungen in Printenzyklopädien und Wikipedia erscheint diese Tatsache erstaunlich, wird jedoch von Emigh/Herring (2005) so erklärt, dass die WikipediarichtlinienWikipediarichtlinien restringierend wirken und somit die Anpassung an die neue mediale Umgebung verhindern. Auf dieses Ergebnis bezieht sich auch die Darstellung der Wikipedia in Baron (2008). Ebenso konstatiert Elia (2008) in ihrem Vergleich englischer WikipediaartikelWikipediaartikel mit Artikeln der Encyclopædia Britannica nur einen etwas höheren Grad an sprachlicher FormalitätFormalität in der Printenzyklopädie. Gravierendere Unterschiede ergeben sich zwischen dem distanzsprachlichenDistanzsprache Charakter der WikilanguageWikilanguage in einem Artikel und der nähesprachlichennähesprachlich WikispeakWikispeak auf der dazugehörigen DiskussionsseiteDiskussionsseite. Zu einem etwas anderen Resultat kommt Tereskiewicz (2010) in ihrem Korpus aus Wikipediaartikeln zum Buchstaben U, das ein ganzes Kontinuum an Artikeln, von traditionellen über etwas abweichende bis hin zu antienzyklopädischen Artikeln, die die InformationsfunktionInformationsfunktion nicht mehr erfüllen, beinhaltet. Im Gegensatz zum Englischen existieren für andere Sprachausgaben der Wikipedia keine größeren Studien. Artikel der deutschen Wikipedia werden in den Aufsätzen von Fandrych/Thurmair (2011) und Augustin (2016) besprochen, die zu dem Urteil kommen, dass in Wikipedia eine etwas abweichende Variante der Diskurstradition entsteht. Studien zu romanischsprachigen Wikipediaversionen liegen von Reutner (2013a, 2013b, 2014a) und d’Achille/Proietti (2011) vor. Im Gegensatz zu Untersuchungen der englischen WikipediakorporaWikipediakorpus konstatieren sie durchaus auffällige Abweichungen der Wikipediaartikel von gleichsprachigen gedruckten Artikeln, was die KommunikationssituationKommunikationssituation sowie inhaltliche und sprachliche Merkmale betrifft (3.3).

Angesichts der Tatsache, dass die Charakteristika von englischsprachigen Wikipediaartikeln bereits an größeren Korpora untersucht wurden und für die romanischsprachigen Versionen lediglich einzelne kleinere Untersuchungen zur Verfügung stehen, setzt sich die vorliegende Studie zum Ziel, die bereits beobachteten Eigenschaften romanischsprachiger Wikipediaartikel an einem größeren Korpus zu überprüfen und mögliche Unterschiede zudem durch die systematische Gegenüberstellung der Artikel nach Fach, Medium und Sprachversion zu erklären (4.1). Zu diesem Zweck wird ein Korpus aus 120 vollständigen Enzyklopädieartikeln in CQPwebCQPweb aufgebaut. Dabei wird ein Korpus mit französischen und eines mit italienischen Artikeln erstellt. Artikel aus französischen Printenzyklopädien werden deswegen analysiert, weil die Kultur Frankreichs über eine bedeutende Tradition verfügt, mit der die gedruckten italienischen Werke verglichen werden. Ein intermedialer Vergleich stellt den gedruckten Enzyklopädieartikeln die gleichnamigen Einträge aus der französischen und der italienischen Wikipedia gegenüber. Die französische Wikipedia ist zudem die größte romanischsprachige Ausgabe, was die Bedeutung von Enzyklopädien für Frankreich auch im Zeitalter des Internets unterstreicht. Pro Sprache werden Artikel aus zwei Printenzyklopädien und der jeweiligen Sprachversion der WikipediaSprachversion (der Wikipedia) ausgewählt. Zudem stammen die Artikel aus den vier Bereichen Chemie, Geografie, Medizin und Wirtschaft, wobei die Artikel pro Fach ein übergeordnetes Konzept präsentieren. Im Chemiekorpus sind deswegen nur StoffnamenEigenname– Stoffname, im Geografiekorpus Ländernamen und im Medizinkorpus Bezeichnungen für Krankheiten ausgewählt worden. Etwas heterogener ist das Wirtschaftskorpus, das Artikel enthält, die mehrere unterschiedliche Konzepte aus dem Bereich der Wirtschaft beschreiben (4.2). Die Artikel werden mit korpuslinguistischen Verfahren wie der Auszählung von TokensToken, TypesType, LemmataLemma, POS-TagsPOS-Tag, der Analyse statistisch auffälliger KeywordsKeyword und KookkurrenzenKookkurrenz und der Interpretation von KonkordanzenKonkordanz analysiert, durch die eine quantitativ informierte Interpretation linguistischer Auffälligkeiten möglich wird. Diese wird durch manuelle Auswertungen und qualitative Interpretationen ergänzt (4.4).

Die InformationsfunktionInformationsfunktion der EnzyklopädieartikelEnzyklopädieartikel legt es nahe, zunächst inhaltliche Unterschiede herauszuarbeiten (5.). Dazu werden jeweils dreißig Artikel zu den Konzepten „chemische Substanz“, „Land“, „Krankheit“ und „wirtschaftliches Konzept“ ausgewählt. Zu einem Konzept werden die in den Artikeln behandelten Aspekte identifiziert und die Verteilung nach Medium und Sprachausgabe ausgezählt (5.1.1–5.1.4). Zudem werden Anzahl und logische Anordnung der behandelten Aspekte in den Artikeln analysiert (5.1.5). Zusätzlich zu dieser relativ globalen Inhaltsanalyse werden SchlüsselwörterSchlüsselwort statistisch erhoben (5.2) und Kulturbezügekulturspezifischer Bezug im Korpus untersucht (5.3). Als Indikatoren für Kulturbezüge fungieren länderspezifische Kapitelüberschriften, Verweise auf Frankreich oder Italien, Anspielungen auf kulturelles Wissenkulturelles Wissen und standortabhängige Formulierungen (5.3.1–5.3.4).

Die folgenden drei Kapitel legen den Schwerpunkt auf die sprachliche Formulierung der ermittelten Inhalte. In Bezug auf die Tatsache, dass EnzyklopädieartikelEnzyklopädieartikel dazu dienen, Fachwissen an Laien zu vermitteln, wird der Grad der FachsprachlichkeitFachsprachlichkeit und der Umgang mit FachausdrückenFachausdruck in den Artikeln untersucht (6.). Der Grad der Fachsprachlichkeit wird anhand der durchschnittlichen WortlängeWortlänge analysiert, da davon ausgegangen wird, dass Ausdrücke mit zunehmender Länge einen spezifischeren Inhalt versprachlichen (6.1). Zudem wird der prozentuale Anteil fachsprachlicher TokensToken– fachsprachliches und Lemmata an der Gesamtzahl der Tokens und Lemmata im Korpus bestimmt, wobei die Einschätzung eines Items als fachsprachlich auf der Basis von MarkierungsangabenMarkierungsangabe, lexikografische in Wörterbüchern und der konkreten Verwendung des betreffenden Ausdrucks im Korpus vorgenommen wird (6.2.1). Zu den identifizierten Ausdrücken werden die semantischen Bereiche angegeben, aus denen sie stammen, und es wird eine quantitative Auswertung dieser Bereichsangaben pro Korpus vorgenommen (6.2.2). Die ermittelten fachsprachlichen Ausdrücke werden zudem hinsichtlich gelehrter Wortbildungselementegelehrtes Wortbildungselement untersucht, da diese insbesondere zum Eindruck der Fachsprachlichkeit beitragen und bei Laien möglicherweise die Lektüre erschweren. Da nicht alle Fächer gelehrte Elementegelehrtes Wortbildungselement zur Bildung ihrer TerminologieTerminologie verwenden, werden fachsprachliche AnglizismenAnglizismus untersucht (6.3.2). Zuletzt wird analysiert, in welchem Maß Strategien zum Einsatz kommen, die FachausdrückeFachausdruck erläutern, wobei zwischen Erklärungen und der Angabe alternativer Ausdrücke unterschieden wird (6.4).

Aufgrund des sprachlichen Ideals moderner Enzyklopädien, Informationen sachlich-nüchtern und neutral zu präsentieren, ist zudem herauszuarbeiten, ob die sprachlichen Formulierungen in den Artikeln neutral gehalten sind oder ob sie einem Werturteil gleichkommen (7.). Obwohl die Einschätzung, ob eine Formulierung eine Tatsache beschreibt oder ob sie ein Werturteil vornimmt, auf einer letztendlich subjektiven Interpretation basiert, wird aufgrund der Bedeutung dieses Aspekts für die Diskurstradition eine Einschätzung anhand möglichst eindeutiger Fälle vorgenommen. Dabei werden positive und negative BewertungenBewertung durch ganze Kapitelüberschriften, aber auch auf der Mikroebene durch Adjektive, Substantive und MetaphernMetapher analysiert (7.1). Zudem wird eine übertreibende Darstellung durch den Einsatz der morphologischen SuperlativformSuperlativ, aber auch auf lexikalischer Ebene durch die Verwendung von HochwertwörternHochwertwort berücksichtigt (7.2). Ein weiterer Aspekt des Konzepts von NeutralitätNeutralität, insbesondere in Wikipedia, besteht darin, keine politische Position einzunehmen. Deswegen werden Ausdrücke untersucht, die eine politische Bewertung beinhalten (7.3.1). Nicht zuletzt ist es das Ziel von Wikipedia, eine sprachliche Präsentation zu gewährleisten, die keine gesellschaftlichen Gruppen verletzt, weswegen die Orientierung der Artikel an einer politisch korrekten Darstellung untersucht wird (7.3.2). Das Verständnis einer multiplen Neutralität in Wikipedia umfasst zudem die Möglichkeit, mehrere Positionen mit Angabe von Autoritäten nebeneinanderzustellen. Diese Strategie wird in 7.4 untersucht.

Ein weiterer Aspekt der sprachlichen Analyse sind nähesprachlichenähesprachlich Merkmale und deren Häufigkeit, weil diese darüber Aufschluss geben, ob WikipediaartikelWikipediaartikel stärker als gedruckte Artikel vom Pol der DistanzsprachlichkeitDistanzsprache abrücken (8.). Auffälligkeiten werden in OrthografieOrthografie und InterpunktionInterpunktion untersucht (8.1), weil Studien zur computervermittelten Kommunikationcomputervermittelte Kommunikation darauf hinweisen, dass dieser Bereich die auffälligsten Erscheinungen beinhaltet, und Abweichungen in der Grammatik weitaus geringer sind (Stark 2015; Strätz 2011; Reinkemeyer 2013). Ergänzend werden aus dem Bereich der Syntax korpusvergleichend die SatzlängeSatzlänge, Verstöße gegen die KongruenzKongruenzschwäche, unvollständige Sätze, AnakolutheAnakoluth und DislokationenLinksdislokation untersucht (8.2). Im Bereich der Morphosyntax wird im italienischen Korpus die Häufigkeit von gehobenen Pronomina und Konjunktionen ausgewertet (8.3.1 und 8.3.2). Sprachübergreifend wird der TempusgebrauchTempusgebrauch analysiert, wobei die Häufigkeit einzelner Tempora, aber auch das Zusammenspiel der einzelnen Formen zur Erzeugung einer kohärenten Darstellung untersucht wird (8.3.3). Im Bereich der Lexik wird die lexikalische Vielfaltlexikalische Vielfalt der Korpora mithilfe von Maßen wie dem MSTTRmean-segmental type-token-ratio (MSTTR) oder dem MTLDmeasure of textual lexical diversity (MTLD) berechnet. Es wird der semantisch adäquate Einsatz von Ausdrücken überprüft und umgangssprachlicheumgangssprachlich Ausdrücke werden analysiert (8.4).

 

Die genannten Merkmale werden pro Korpus ausgezählt. Dabei werden zum einen die Korpora der vier gewählten Fächer gegenübergestellt, um die Verteilung der Häufigkeiten nach Fach zu analysieren. Zudem werden die Häufigkeiten pro Sprache jeweils im Print- und im Wikipediakorpus ermittelt, um intermediale Vergleiche zu ermöglichen. Die Gegenüberstellung von Frequenzen im französischen und im italienischen Korpus erlaubt den interkulturellen Vergleich der beiden Sprachkorpora.

Die Ergebnisse dieses interfachlichen, intermedialen und interkulturellen Vergleichs werden in einer Zusammenfassung präsentiert und vor dem Hintergrund historischer Entwicklungen und theoretischer Annahmen reflektiert. Abschließend wird herausgestellt, inwiefern Wikipediaartikel Merkmale einer Adaptation an das neue Medium aufweisen, aber auch welche fachlichen und kulturellen Merkmale aus den Printenzyklopädien übernommen und im neuen Medium unverändert fortgesetzt werden.