Exkursionsdidaktik

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4Methodische Grundtypen

Exkursionen können in mehrere methodische Grundtypen unterschieden werden (siehe Kap. 1), von denen alle ihre Vorzüge wie auch Nachteile haben und die sich am Beispiel der Regionalen Geographie in bestimmten historischen Strömungen verorten lassen. Die einzelnen Typen lassen sich grundsätzlich nach folgenden Gesichtspunkten unterscheiden:

 nach dem Selbstbestimmungsgrad des Lernprozesses von stark fremdbestimmt bis vollkommen selbstbestimmt

 nach dem Grad der Passivität bzw. Aktivität der Lernenden

 nach ihrer lerntheoretischen Verortung von kognitivistisch bis konstruktivistisch

 nach vorwiegend angewendeten Lehrformen (z. B. Frontalvortrag, Arbeitsaufträge)

 nach beabsichtigten und eingesetzten Methoden (z. B. Gruppenpuzzle, Fotorallye)

 nach den Lernzielen (werden feststehende Lerninhalte vermittelt oder erfolgt eine selbstständige Wissenskonstruktion)

Unterschieden werden demnach folgende Exkursionstypen (Abb. 4.2 und Abb. 4.3):

 Die „Fahrt ins Blaue“ (in starkem Maße fremdbestimmt, stark deskriptiv und kognitivistisch, mit überwiegendem Frontalunterricht, hoher Passivität der Lernenden und feststehenden Lerninhalten und ohne eine genau festgelegte Problem- oder Fragestellung).

 Die problemorientierte Überblicksexkursion (wie vorstehend, jedoch mit feststehender Problem- oder Fragestellung und u. U. verstärkter Interaktion zwischen dem Lehrenden und den Lernenden).

 Die handlungsorientierte Arbeitsexkursion (höherer Selbstbestimmungsgrad und höhere Aktivität der Lernenden, feststehende Lerninhalte mit offenem Ergebnis und festgelegtem, handlungsorientiertem Methodenspektrum nach Art einer empirischen Untersuchung; vgl. Abb. 4.1).

 Die gemäßigt oder radikal konstruktivistische Arbeitsexkursion (in starkem Maße selbstbestimmt, konstruktivistisch mit freiem oder nur vage festgelegtem Methodenspektrum, aktiver Wissenskonstruktion und offenem Ergebnis).

Die Zweckmäßigkeit der einzelnen Exkursionstypen richtet sich stark nach der thematischen Ausrichtung und dem Fachzusammenhang einer Exkursion, dem Exkursionsanlass, der Örtlichkeit, der Gruppenzusammensetzung, der Gruppengröße und den Lernzielen bzw. Kompetenzen. Dabei gilt der Grundsatz, dass es kein Patentrezept gibt und ein kreativer Methodenmix in der Regel die beste Wahl ist. Dazu kommt, dass die Vorbereitung handlungsorientierter Exkursionen in der Regel deutlich aufwendiger ist und die Gruppe in der Lage sein muss, selbstständig zu arbeiten. Bei Seminaren zum Thema fällt immer wieder auf, wie unterschiedlich die einzelnen Fachkulturen in dieser Hinsicht aufgestellt sind und wie wenig sich einige Exkursionsleiter mit den zur Verfügung stehenden methodischen Möglichkeiten auskennen. So ist es für Geographen, Geologen, Biologen und Archäologen gang und gäbe, mit ihren Studierenden und Schülern nach draußen in die Landschaft zu gehen und dort bestimmte Sachverhalte zu analysieren. Zudem sind Exkursionen in diesen Fächern häufig fest im Lehrplan verankert. Auch Historiker kennen didaktisch ausgefeiltere Exkursionskonzepte. In vielen anderen Fächern (Abb. 4.4) haben Exkursionen dagegen Seltenheitswert und beschränken sich auf den gelegentlichen Besuch außerschulischer Lernorte, bei denen es sich zumeist um Besichtigungsexkursionen handelt. Beispiele dafür sind Besuche in Betrieben (z. B. in den Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften), Parlamenten, Behörden (z. B. in den Politikwissenschaften) oder in Museen. Solche Besuche laufen meist nach dem Schema einer themengebundenen Überblicksexkursion ab, bei der Dritte im Frontalunterricht bestimmte Sachverhalte erläutern. Fragen sind möglich, Diskussionen teilweise auch. Weiterführende Konzepte finden aber zumeist keine Anwendung, zumal es sich oft um Tagesexkursionen mit einem einzigen Programmpunkt handelt. Ähnlich verhält es sich auch mit klassischen Stadtführungen. In anderen Fächern stehen soziale Aspekte und die Förderung motorischer Fähigkeiten im Vordergrund. Besonders Exkursionen im Fach Sport zeichnen sich durch zahlreiche erlebnispädagogische Elemente aus, bei denen der Erwerb sozialer Kompetenzen eine wichtige Rolle spielt (vgl. Schwier 2016, Klein 2015: 7).


Abb. 4.1 Eine Arbeitsexkursion in der Physischen Geographie setzt in den meisten Fällen den Einsatz entsprechender fachspezifischer Arbeitsmethoden voraus. Das Beispiel zeigt die Arbeit mit einem Pürckhauer-Bohrstock zur Entnahme eines Sedimentprofils im nordfriesischen Wattenmeer mit Mainzer Studierenden.


Abb. 4.2 Exkursionstypen: Lernprozess und lerntheoretische Verortung


Abb. 4.3 Exkursionstypen: Methoden und Lernziele


Abb. 4.4 Exkursionen in anderen Fächern außerhalb der Geographie

4.1Die klassische „Fahrt ins Blaue“

Angenommen, ein Biologie- oder Erdkundelehrer oder einfach der fachunabhängige Klassenlehrer unternimmt mit seiner Klasse einen Ausflug „in den Wald“ (vgl. Riedel 1979) oder eine Tagesfahrt „ins Gebirge“. Dort angekommen, wandert er mit den Schülern von A nach B, bleibt hin und wieder stehen und erläutert im Frontalunterricht grundsätzliche Sachverhalte zu den örtlichen Raumeigenschaften (Abb. 4.5). Er benennt die Bäume im Wald, erklärt ein Bodenprofil am Wegesrand und die aktuelle Wetterlage. Vielleicht stößt auf halbem Weg noch der örtliche Förster hinzu und erklärt seinerseits Details zur Waldbewirtschaftung. Die Ergebnissicherung erfolgt bei den Schülern durch Mitschreiben zur Anfertigung eines Protokolls. In einem anderen Fall besichtigt die Klasse eine Burgruine, während ein Burgführer Allgemeines sowie detaillierte historische Daten über die Burg vorträgt und sich der Lehrer selbst weitgehend im Hintergrund hält.


Abb. 4.5 Wander-Exkursionen müssen nicht ausschließlich rein überblickshaft organisiert sein. Unterschiedliche kognitivistische Konzepte mit klarer Fragestellung und selbst konstruktivistische Elemente lassen sich integrieren. Das Bild zeigt Mainzer Studierende im Nationalpark Jasmund und Königsstuhl auf der Insel Rügen.

Eine solche Exkursion, die hier mit „Fahrt ins Blaue“ betitelt wird, war bis in die frühe Nachkriegszeit die fast ausschließlich praktizierte Form, Schülern und Studierenden außerschulische Lernorte näherzubringen. Sie ist stark mit dem geographischen Konzept der Landschafts- und Länderkunde verbunden, die aufgrund ihrer Deskriptivität in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhebliche Kritik erfahren hat. Eine Überblicksexkursion (Tab. 4.1, S. 33) dient im Grundsatz der Demonstration bestehender Sachverhalte und „der rezeptiven Aneignung kognitiver Lerninhalte“ (Ohl & Neeb 2012: 261). Kognitiv meint in diesem Zusammenhang die Aneignung von Wissen durch Information. Doch auch heute noch laufen viele Exkursionen, besonders in den eher untypischen Exkursionsfächern, exakt nach diesem Schema ab. Dasselbe gilt für weite Teile der Erwachsenenbildung, z. B. auf Bildungs- oder Rundreisen, bei Heimatvereinen und Betriebsbesichtigungen. In vielen Fächern, z. B. in Technik oder Chemie, sind derartige Exkursionen sogar durchgängig die einzigen außerschulischen Veranstaltungen, die überhaupt stattfinden, wie Kollegen immer wieder berichten. Man besichtigt z. B. ein Kraftwerk oder eine Werft und spricht erst später im Unterricht darüber.

Die nach wie vor große Popularität dieses Exkursionstyps liegt in der Einfachheit ihrer Durchführung und ihrer klaren Lernzielorientierung begründet. Zudem ist es äußerst zeitsparend, feststehende Lerninhalte einfach nur vor Ort vorzutragen. Das ist per se nichts Schlechtes. Die Nachteile liegen jedoch auf der Hand und jeder, der schon einmal eine derartige Führung mitgemacht hat, kennt sie. Sehr viel Wissen wird in einer Art Dauerberieselung – häufig ohne Reflexion – in sehr kurzer Zeit vermittelt. Dasselbe gilt für zu hohe Anforderungen in Bezug auf die Alters- und Zielgruppe (Klein 2015: 69). Die Zuhörer werden von der Informationsfülle regelrecht „erschlagen“ und nehmen häufig nur das Nötigste mit. Schon lange ist bekannt, dass die nachhaltige Behaltensleistung in so einem Fall eher gering ist und der eigentlich positive Effekt einer Exkursion, nämlich die eigene Anschauung, darunter leidet. Kritiker halten Überblicksexkursionen zudem für ungeeignet, anwendungsfähiges Wissen zu vermitteln, und verweisen auf die häufige Demotivierung der Lernenden (z. B. Wirth 1968, Ritter 1976 und Rinschede 2007). Ein weiterer Punkt ist, dass auf leistungsschwächere Schüler nicht individuell eingegangen werden kann.

Dennoch kann im Rahmen von Exkursionen kaum auf den Einsatz von Frontalunterricht verzichtet werden. Dies trifft z. B. auf die Einführung in das jeweilige Thema, die Hypothesenbildung und die Verortung des Raums zu. Auch eine Besichtigung, wie z. B. jene der Burgruine, muss nicht für sich allein stehen, sondern kann davor oder danach durch andere Methoden ergänzt werden, die das vermittelte Wissen wiederholen und vertiefen. In jedem Fall empfehlenswert ist es, die Schüler und Studierenden durch Fragen in die Inhalte mit einzubinden und zu einer Gruppendiskussion anzuregen. Zudem muss der vermittelte Stoff so heruntergebrochen werden, dass er eingängig ist. Fünf verschiedene Jahreszahlen, die die Geschichte der Burg(ruine) zeitlich verankern, kann sich niemand auf Anhieb merken. Dagegen kann eine z. B. geschickt in eine Geschichte verpackte Begebenheit sehr wohl beim ersten Hören eingängig sein. Hervorragend eignen sich auch Handstücke, Karten oder Abbildungen, um den vermittelten Stoff zu untermauern. Dies können – bezogen auf den Wald – z. B. Blätter oder Früchte von Bäumen, in jedem Fall topographische Karten zur Verortung des Standortes oder auch vor Ort anzufertigende Skizzen oder Mindmaps sein, in deren Erstellung die Schüler mit eingebunden werden können. So hat es sich bewährt, möglichst immer einen kleinformatigen Zeichenblock und einen Filzstift mitzuführen. Derartige Skizzen erleichtern es auch, Fragen zu beantworten, die während der Exkursion aufkommen.

 

Ganz ähnlich verhält es sich mit Schülerreferaten auf Exkursionen oder mit der Vorbereitung und Vorstellung einzelner Exkursionspunkte durch Schüler. Ohne weitere Vorgabe läuft dies erfahrungsgemäß zwangsläufig auf reine Faktenvermittlung im Frontalunterricht hinaus. Deswegen ist von klassischen Referaten auf Exkursionen ohne handlungsorientierte Elemente, z. B. in Form von Stationsarbeit, grundsätzlich abzuraten.

Am Ende einer Exkursion bzw. beim Verlassen eines Standorts ist es in jedem Fall notwendig, das Gelernte möglichst unter Einbindung der Schüler zusammenzufassen und noch ein letztes Mal Fragen zuzulassen bzw. gezielt nach Unklarheiten zu fragen, um nicht verstandene Zusammenhänge oder Details zu klären.

Die „Fahrt ins Blaue“

Ein Exkursionsleiter geht oder fährt mit einer Exkursionsgruppe durch einen Raum und erklärt an unterschiedlichen Standorten bestimmte Sachverhalte, zeigt Artefakte oder kleine Experimente. Eine Lehrer-Schüler-Interaktion ist dabei möglich, indem z. B. Fragen an die Gruppe gestellt werden.

4.2Die problemorientierte Überblicksexkursion

Es erscheint generell sinnvoll, einer Exkursion oder einem Exkursionsstandort eine klar definierte Frage- oder Problemstellung zuzuordnen, die während der Exkursion bearbeitet und beantwortet wird. Diese Vorgehensweise sensibilisiert die Lernenden für das Thema und regt sie zur eigenen Beschäftigung mit den Inhalten an. Während der Wald-Exkursion könnte es z. B. explizit um die ökologischen Zusammenhänge in einem Wald gehen oder um die verschiedenen Nutzergruppen (z. B. Spaziergänger, Holzwirtschaft, Jagd und Naturschutz) und die Nutzungskonflikte, die sich daraus ergeben. Die Fragestellung hilft dabei, die deskriptiv vermittelten Inhalte in einen inhaltlichen Rahmen einzubinden und Querverbindungen aufzuzeigen. Sie kann zudem exemplarisch für ähnliche Räume sein, z. B. – im Falle des Waldes – für die Ökologie und die Nutzungsmuster einer Grünlandfläche oder eines Parks. Im Falle der Burg könnte es beispielsweise um das Leben im Mittelalter gehen und die Frage nach historischen Problemlösungsmechanismen und Unterschieden im Vergleich zu heute.

Auch die Ergebnissicherung in Form eines Exkursionsberichts muss in diesem Fall nicht mehr rein inhaltlich erfolgen, sondern kann thematisch und in verstärktem Maße auf die Fragestellung ausgerichtet sein. Sinnvoll ist es daher auch, Überblicksexkursionen möglichst nach thematischer Einführung inklusive Fragestellung, inhaltlichem Teil und Gesamtfazit zu gliedern; in Letzterem wird schlussendlich die Fragestellung mehr oder weniger ergebnisoffen beantwortet (vgl. Klein 2015: 51). Der inhaltliche Teil enthält eine Problemanalyse mit Hypothesenbildung, die in die eigentliche thematische Bearbeitung überleitet und sich nach den unterschiedlichen didaktischen Konzepten richtet (vgl. Haubrich et al. 1997: 210). Auf diese Weise ist eine Verknüpfung mit handlungsorientierten Phasen auch viel einfacher möglich, wobei sich die Schüler oder Studierenden bestimmte Inhalte selbstständig erarbeiten oder diese beobachten und sie später gemeinschaftlich interpretieren.

Wenn auf Exkursionen konfliktlastige Themen zur Sprache kommen, muss sich der Lehrende – wie auch sonst im schulischen Unterricht – grundsätzlich neutral verhalten und muss sich mit seiner eigenen Meinung oder Parteinahmen jedweder Art zurückhalten, um die Mündigkeit des Schülers zu wahren (vgl. Ohl & Neeb 2012: 277). Über allem steht das demokratische Grundprinzip. Persönliche Meinungen des Lehrenden zu politischen, weltanschaulichen oder religiösen Fragen sind daher in jedem Fall fehl am Platz. Vielmehr soll den Exkursionsteilnehmern die Fähigkeit vermittelt werden, zwischen unterschiedlichen Interessen verschiedener Akteure oder Gruppen abzuwägen (z. B. bei Nutzungskonflikten) und unstrittige Punkte herauszuarbeiten.

Wichtige Punkte bei Überblicksexkursionen sind:

 Wenn möglich, sollte mit Frage- und Problemstellungen gearbeitet werden.

 Mit den Lernenden in Interaktion treten und zu Gruppendiskussionen anregen.

 Die Lehrveranstaltung sollte inhaltlich nicht überladen werden.

 Eine Gliederung in Einführung, Verortung, inhaltlichen Teil, Zusammenfassung und Fazit darf nicht fehlen.

 Nach Möglichkeit sollte die Vermittlung der Inhalte mit handlungsorientierten Methoden kombiniert werden.

Mögliche Methoden (Auswahl)

Problemorientierte Überblicksexkursion: Ein oder mehrere Räume werden durch die Gruppe besucht, der Exkursionsleiter erläutert bestimmte Sachverhalte und tritt mit den Lernenden durch Fragen und Diskussionen in Interaktion. Kleine Experimente u. Ä. sind möglich. Beispiele sind eine Wattwanderung mit einem Wattführer, eine naturkundliche oder geschichtsorientierte Wanderung.

Besichtigung: Ein Betrieb, eine öffentliche Einrichtung o. Ä. werden besucht und durch einen Dritten erläutert. Am Ende können die Lernenden Fragen stellen und Diskussionspunkte einwerfen. Fragen können auch bereits vor dem Besichtigungstermin formuliert werden.

Museumsbesuch: Ein Museum wird besucht, entweder selbst erkundet, durch einen Museumspädagogen erläutert oder beides. In der Regel hat vorher eine Beschäftigung mit den betreffenden Inhalten im Unterricht stattgefunden. In der Praxis hat es sich bewährt, die selbstständige Erkundung voranzustellen und dann erst die Führung mitzumachen. Durch die größere Neugierde am Anfang werden die Lernenden stärker dazu animiert, das Museum auf eigene Faust zu erkunden, als wenn sie vorher bereits alle Highlights des Museums gezeigt bekommen haben. Auf eine Fragerunde im Beisein des Experten sollte nicht verzichtet werden, ebenso wie auf eine nachträgliche Reflexion, die auch später im Unterricht erfolgen kann. Mittlerweile bieten aber auch viele Museen stärker handlungsorientierte Konzepte an, die sich insbesondere an jüngere Schüler richten.

Lehrpfade (vgl. Kremb 2003 und Meyer 2006): Auch Lehrpfade bieten die Möglichkeit einer problemorientierten Überblicksexkursion, indem sich die Lernenden selbstständig mithilfe von Schautafeln oder anderen Medien (z. B. über QR-Codes verlinkte Internetseiten oder Audioaufnahmen) über bestimmte Standorte informieren. Nicht selten leidet dabei die Motivation der Lernenden und der Lernerfolg bleibt überschaubar. Eine ausreichende inhaltliche Vorbereitung und die nachträgliche Reflexion sollten obligatorisch sein. Handlungsorientierte Lehrpfade hingegen greifen das Konzept der Stationsarbeit auf.


Tab. 4.1 Kennzeichen einer Überblicksexkursion
lerntheoretische Verortungkognitivistisch
vorwiegende MethodikFrontalunterricht, Gruppendiskussion
Lernprozessgesteuert, hoher Fremdbestimmungsgrad, geringe Aktivität der Lernenden
LernzieleErlernen von feststehenden Lerninhalten

4.3Die handlungsorientierte Arbeitsexkursion

Seit den 1980er-Jahren ist eine starke Handlungsorientierung, „die das selbstständige und schülerorientierte Lernen forciert“, fester Bestandteil einer modernen Exkursionsdidaktik (Ohl & Neeb 2012: 265). Sie zielt darauf ab, Schüler zur eigenständigen Handlungs- und Problemlösefähigkeit zu erziehen und sie dazu anzuleiten, sich eigenverantwortlich mit den Inhalten bzw. Lerngegenständen vor Ort auseinanderzusetzen; weiterhin ermöglicht sie die aktive Wissenskonstruktion nach einem vorgegebenen Schema (Tab. 4.2). Im Rahmen einer kognitivistischen Exkursionsdidaktik werden die anzuwendenden Arbeitsmethoden klar durch den Lehrenden definiert, d. h., die Schüler oder Studierenden erhalten eine klare Aufgabenstellung. In einfacher Weise auf das Beispiel einer Wald-Exkursion bezogen könnten die Schüler z. B. den Auftrag erhalten, möglichst viele unterschiedliche Blätter und Früchte von Bäumen zu sammeln, diese einander zuzuordnen, die einzelnen Arten miteinander zu vergleichen sowie Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Die Bearbeitung der Aufgabe erfolgt sinnvollerweise in Kleingruppen- oder Partnerarbeit. Jede Gruppe könnte dann am Ende ihre „Funde“ den anderen präsentieren. Wenn die Aufgabenstellung zuvor klar formuliert und ein grober zeitlicher Rahmen abgesteckt wurde, sind die Steuerung des Lernprozesses und das Erreichen des Lernziels in der Regel ohne weitere Probleme möglich. Wichtig ist dennoch immer, dass sich die Aufgabenstellung an der Zielgruppe orientiert, weil weder eine Über- noch eine Unterforderung zielführend ist.

Schwierigkeiten für den Exkursionsleiter ergeben sich im Gegensatz zur Überblicksexkursion dadurch, dass der Verlauf und das Gelingen der Übung nicht immer genau planbar sind. Dies hängt zum einen von den räumlichen Gegebenheiten ab, andererseits von der Motivation und der Zusammensetzung der Gruppe. Grundsätzlich sollte sich ein Lehrender während der Bearbeitung einer Aufgabe weitgehend im Hintergrund halten und nur eingreifen, wenn Schwierigkeiten auftreten, was vor allem bei lernschwächeren Schülern der Fall sein kann. Bei minderjährigen Schülern ergibt sich zudem häufig das Problem der Aufsichtspflicht, sodass manche Übungen – vor allem solche, die sich über ein größeres Areal erstrecken sollen – überhaupt nicht durchführbar sind.

Für die Lernenden kann sich hingegen der Nachteil ergeben, dass sich bei ausschließlich handlungsorientierten Elementen an einem Standort der Überblick über den Standort selbst nicht richtig erschließt. Daher sind zusätzliche Elemente nach Art einer Überblicksexkursion stets sinnvoll.

Bei der Festlegung der Gruppengröße ist es wichtig, dass während der Übung möglichst alle Gruppenmitglieder beschäftigt sind. Es ist wenig sinnvoll, wenn immer nur eine einzige Person z. B. an einem Messinstrument aktiv werden kann und vier weitere untätig daneben stehen. An eine klar durchführbare Arbeitsteilung ist also von vorneherein zu denken. In der Regel sollte die Kleingruppengröße fünf Teilnehmer nicht überschreiten, was jedoch immer stark themen- und ortsabhängig ist. Wenn die Zahl der verfügbaren Werkzeuge oder Messgeräte nicht ausreicht, ist es dennoch sinnvoll, eine möglichst kleine Gruppengröße beizubehalten, indem einzelne Gruppen Sonderaufgaben erhalten, die sich von denen der anderen Gruppen unterscheiden. Diese können je nach Örtlichkeit manchmal sogar spontan oder nach Interessenslage der Teilnehmer ausgewählt werden, sie sind häufig auf diese Weise gewinnbringend für alle. Während z. B. im Wald vier Gruppen zu je fünf Personen an unterschiedlichen Standorten im Fünf-Minuten-Rhythmus eine Stunde lang Temperatur und Windgeschwindigkeit messen, kann eine fünfte Gruppe losgeschickt werden, um Wettermarken an Bäumen, z. B. vermooste Stammseiten, zu beschreiben und zu fotografieren. Auf die Weise kann auch besonders gut auf leistungsschwächere Schüler eingegangen werden. Weitere methodische Ergänzungen, wie z. B. Gruppenpuzzles, sind bei handlungsorientierten Exkursionselementen fast immer möglich, ebenso Mischformen mit konstruktivistischen Elementen.

Natürlich sind handlungsorientierte Exkursionen immer deutlich aufwendiger in der Vorplanung. Gerade bei mehrtägigen Exkursionen und auf Klassenfahrten kann das mehrere Tage intensive Arbeit bedeuten. Zudem müssen Arbeitsblätter erstellt, gegebenenfalls Geräte und Werkzeuge besorgt bzw. zusammengestellt werden. An manchen Standorten sind zudem Genehmigungen der zuständigen Verwaltung oder von Eigentümern nötig, z. B. wenn es sich um ein Denkmal oder ein Museumsgelände handelt. In Naturschutzgebieten ist z. T. das Verlassen der Wege nicht grundsätzlich erlaubt; ebenso ist die Entnahme von Organismen und Gegenständen aus der Natur häufig genehmigungspflichtig, genau wie Bodenverletzungen jeglicher Art.

 

Das Fangen und Töten von Tieren durch Schüler sollte in jedem Fall ausgeschlossen werden. Das gilt auch für Hochschulexkursionen (!). Es sei denn, die Organismen können nach der Übung wieder unbeschadet in die Freiheit entlassen werden (z. B. Schnecken, Spinnentiere oder aquatische Organismen). Nicht möglich, grundsätzlich verboten und daher auch nicht zu verantworten ist dies beispielsweise bei Schmetterlingen, Kleinsäugern und Vögeln. Dasselbe gilt für geschützte Pflanzen. Auch bei häufigen Arten sollte sich die Entnahme in Grenzen halten. Das Sammeln von archäologischen Artefakten ohne fachkundigen Begleiter und amtliche Genehmigung ist ebenfalls nicht möglich und erfüllt sogar den Tatbestand einer Straftat. Dasselbe gilt für den Einsatz von Metalldetektoren. Auch Umfragen jedweder Art bedürfen in der Regel einer Genehmigung, vor allem wenn sie auf Privatgelände, wie z. B. in Einkaufszentren, stattfinden sollen. Besonders im Ausland können derartige Aktionen weitreichende juristische Folgen haben. Andererseits genügt normalerweise eine einfache, kurze E-Mail an die zuständige Behörde, um derartige Übungen anzukündigen.

In der Geographie sind handlungsorientierte Lehrinhalte im Gelände spätestens seit den 1970er-Jahren weitverbreitet. Man spricht von Geländepraktika, Lehrprojekten und Projektstudien. Dabei geht es regulär um die selbstständige Anwendung von zuvor klar definierten Methoden im Rahmen einer vorab detailliert besprochenen Fragestellung. In der naturwissenschaftlich orientierten Physischen Geographie handelt es sich in erster Linie um Messungen (z. B. meteorologische Messungen oder die standardisierte Aufnahme und Beschreibung von Sedimenten und Bodenprofilen) und in der sozialwissenschaftlich orientierten Humangeographie häufig um Befragungen oder klar definierte Kartierungen (z. B. zur Raumwahrnehmung oder zur Verbreitung von Gebäudenutzungen).


Tab. 4.2 Kennzeichen einer handlungsorientierten Arbeitsexkursion
lerntheoretische Verortungkognitivistisch, handlungsorientiert
vorwiegende MethodikPartner- und Kleingruppenarbeit
Lernprozessangeleitet und/oder selbstständig, hoher Selbstbestimmungsgrad, hohe Aktivität der Lernenden
Lernzieleaktive Wissenskonstruktion nach vorgegebener Methodik

Wichtige Punkte bei handlungsorientierten Arbeitsexkursionen sind:

 eine klare Aufgabenstellung und ein vorgeplanter Verlauf der Übung

 klare Angaben zur Art der Ergebnissicherung (z. B. Mitschriften oder Fotos machen)

 ein klarer zeitlicher Rahmen

 vor Beginn der Übungen Verständnisfragen klären

 Die Lehrperson hält sich weitgehend im Hintergrund und greift nur bei Schwierigkeiten ein.

Die handlungsorientierte Arbeitsexkursion und mögliche fachspezifische Methoden

Messungen, Zählungen und Bestimmungsübungen: Kleine empirische Erhebungen oder Projekte eignen sich sehr gut für die Ausgestaltung handlungsorientierter Exkursionen oder als Element innerhalb methodisch breiter aufgestellter Exkursionskonzepte. Sowohl im natur- als auch im sozialwissenschaftlichen Kontext sind Messungen mittels einfacher Messgeräte oder Mess-Sets möglich (z. B. Wetter-, Wasser- und Bodenparameter, Wuchshöhen). Noch einfacher sind Zählungen (Passanten inkl. geschätzter Altersklasse, Verkehr, Einzelhandelsgeschäfte, Pflanzen, Makrozoobenthos, Geschiebe-, Flusskies- oder Strandgeröllspektren u. a.). Etwas komplizierter sind Bestimmungsübungen und komplexere empirische Methoden aus den einzelnen Fächern (z. B. krautige Pflanzen und Bäume, Feldfrüchte, Insekten, Steine, Fossilien, Korngrößen, Bodentypen, Jahrringe von Bäumen, aber auch Bodendenkmäler, Baustile und Kunstrichtungen), wobei meist Vorkenntnisse und eine entsprechende Fachliteratur vonnöten sind. Bei vielen empirischen Studien mit Schülern und Studierenden ist zudem zu beachten, dass u. U. Genehmigungen der zuständigen Behörden und Grundstückseigentümer einzuholen sind und z. T. auch eine Verletzungsgefahr einkalkuliert werden muss. Nach der Studie lassen sich solche Daten sehr gut vor Ort oder anschließend im Unterricht aufbereiten, auswerten, diskutieren und reflektieren. Der Mehrwert kann mitunter so groß sein, dass sogar kleine Publikationen mit den Ergebnissen möglich sind.

Kartierungen: Eine besondere Form empirischer Studien ist die Kartierung, die vor allem in der Geographie und ihren Nachbarwissenschaften stark verbreitet ist. Dabei können unterschiedliche Sachverhalte im Gelände in eine möglichst großmaßstäbliche Karte eingetragen werden. Es bietet sich hier eine Vielfalt an Möglichkeiten. Außerhalb von Siedlungen eignen sich z. B. Bäume, Feldfrüchte, Gesteine, Biotope, Knicks- und Wallhecken, die Gewässerstrukturgüte, kulturhistorische Relikte (z. B. Grabhügel, Meilerplätze oder Feldraine) u. v. m. In der Stadt können Grünanlagen, Spielplätze, Baustile, Gewerbe- und Flächennutzungen, Leerstände u. Ä. kartiert werden. Vor der Kartierung sollten bestimmte Farben oder Legendensymbole für Unterschiede und Kategorien abgesprochen werden. Karten bieten den Vorteil, dass auch das räumliche Orientierungsvermögen geschult wird. Einfacher ist in der Regel die Benutzung von Hand-GPS-Geräten, mithilfe derer sich sogenannte Wegpunkte speichern lassen. Dasselbe leisten aber heutzutage auch schon fast alle Smartphones mit Unterstützung kostenloser Apps (z. B. GPS-Mate free). Die Punkte können anschließend in ebenfalls meist kostenlosen Viewern am PC, in einfachen Geographischen Informationssystemen (z. B. im kostenlosen QGis) oder in Google Earth angesehen, ausgewertet und interpretiert werden. Nicht selten können auf derartige Weise gewonnene Ergebnisse auch für die Öffentlichkeit von Interesse sein.

Befragungen: Befragungen von Passanten, anderen Schülern oder Studierenden, Familienmitgliedern und ausgewählten Personen an einem bestimmten Exkursionsziel können auf unterschiedlichem Niveau durchgeführt werden. Für kleinere Übungen genügen normalerweise vorher mit den Lernenden gemeinsam entworfene oder zumindest abgestimmte Fragen, die mehr quantitativ oder qualitativ orientiert sein können. Bei größeren empirischen Projekten empfiehlt sich vorher ein Blick in die entsprechende Fachliteratur aus dem Bereich der Methodenlehre. Die Ergebnisse können zumeist auf einfache Weise mittels schnell angefertigter Graphen, aber auch in MS-Excel, Open Office oder vergleichbaren Tabellenkalkulationsprogrammen ausgewertet werden. Für komplexere Studien sind u. U. professionelle Statistikprogramme vonnöten. Auch zur Durchführung von Befragungen bedarf es in der Regel behördlicher Genehmigungen. Besonders im Ausland ist Vorsicht geboten.

Orientierungsübungen: Orientierungsübungen und -spiele können sehr gut nach Art einer Schnitzeljagd oder auch mit Elementen des Geocachings, einer GPS-geleiteten Schatzsuche, verknüpft werden. Dafür eignen sich am besten Lernstationen, an denen es thematische Aufgaben zu lösen gilt, um ans Ziel zu gelangen. Möglich ist es aber auch, ganz traditionell topographische Karten einzusetzen, in denen bestimmte Schlüsselpunkte eingetragen sind, die angesteuert werden sollen. Dasselbe funktioniert auch mit Stadt- oder Museumsplänen. Auch Koordinaten können vorgegeben werden. Wegen ihrer Realitätsnähe empfiehlt es sich dabei aber, metrische Systeme, wie Gauß-Krüger- oder UTM-Koordinaten, zu bevorzugen. Sie bieten den Vorteil, dass ein Rechtswert mit einem zehn Meter größeren Koordinatenwert eben auch exakt zehn Meter weiter östlich liegt. Geographische Koordinaten in Grad, Bogenminuten und -sekunden lassen sich dagegen nur schwierig handhaben. Andererseits vermittelt aber allein das Verlesen solcher Koordinaten schon ein wenig das Gefühl von Abenteuer und kann z. B. bewirken, dass sich auch lernschwache Schüler begeistern lassen. Grundsätzlich steht solchen Konzepten zumindest auf größerem Terrain bei jüngeren Schülern das Problem der Aufsichtspflicht entgegen, weshalb von vorneherein einige Varianten ausscheiden oder es mehrerer Aufsichtspersonen bedarf.