Exkursionsdidaktik

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2Theoretische Verortung der Exkursion als methodische Großform und lerntheoretische Grundlagen



Die Vorteile des Lernens vor Ort liegen auf der Hand – egal, ob das Exkursionsziel in der unbebauten Natur, in der Stadt, in einer Kiesgrube oder in einem Museum liegt. Durch die reale Anschauung, die praktische Anwendung von Lerninhalten und die direkte Konfrontation mit Lerngegenständen wird eine höhere Lernmotivation erzielt, die mit einer besseren Behaltensfähigkeit einhergeht, weil Inhalte kognitiv mit eigenen Erfahrungen und Erlebnissen vor Ort verknüpft werden (vgl. Ohl & Neeb 2012).



Sinnvoll erscheint es in jedem Fall, eine Exkursion anhand einer übergeordneten Themen-, bzw. Fragestellung zu konzipieren und eine erkennbare Verknüpfung mit anderen Unterrichtseinheiten sicherzustellen. Das Lernen in Kontexten und die Vernetzung von Inhalten, die nicht zuletzt auch in den länderspezifischen Curricula gefordert wird, kann mithilfe dieser Einbettung erreicht werden.



Theoretische Konzepte zur Analyse und schlussendlich zur Optimierung der methodischen Großform Exkursion werden seit Langem erforscht und erprobt. Für eine detaillierte Beschäftigung mit dieser Thematik sei jedoch auf die einschlägige fachdidaktische Literatur verwiesen.





2.1Unterschiedliche Raumkonzepte



Jede Exkursion beinhaltet ein Muster aus unterschiedlichen Formen der Raumwahrnehmung. Eine Schlüsselrolle kommt daher den unterschiedlichen, theoretisch formulierbaren Raumbegriffen zu (Wardenga 2002), deren Beachtung und Integration in das Gesamtkonzept bei vielen Exkursionstypen, insbesondere im Bereich der Geographie, sinnvoll ist. Denn die Betrachtung eines Raums kann auf höchst unterschiedliche Weise erfolgen:





 als „Behälter“ (Container-Raum),



 als ein „System von Lagebeziehungen“,



 „als Kategorie der Sinneswahrnehmung“ und



 als „Raum in der Perspektive einer sozialen, technischen und politischen Konstruiertheit“ (Wardenga 2002: 5ff.) (siehe Infobox zu Raumkonzepten).





Traditionelle Exkursionskonzepte, egal in welcher Fachdisziplin, fußen zumeist auf dem Container-Raum-Prinzip.



Ein Beispiel für die konkrete Umsetzung bietet die Exkursion zu einer Mülldeponie im weitreichenden Kontext des Themas Umwelt (Rhode-Jüchtern 2009: 142). Eine Mülldeponie kann als Container-Raum wahrgenommen werden, indem man die Wechselwirkung von Geofaktoren vor Ort betrachtet. Vielmehr aber noch ist sie Teil eines Systems von Lagebeziehungen, weil der Raum der Mülldeponie in starkem Maße durch andere Raumstrukturen, z. B. Wirtschaftsstandorte und private Haushalte, geprägt wird. Das heißt im Klartext, dass die Betrachtung der Mülldeponie als abgeschlossener „Container-Raum“ nicht zufriedenstellend ist, weil ansonsten nicht verständlich wird, wie es zu den vor Ort erkennbaren Eigenschaften des Ortes kommt. Andererseits ist die Mülldeponie aber auch ein Raum aus der Kategorie der Sinneswahrnehmung, weil sie subjektiv verschieden wahrgenommen und bewertet wird. Der eine sieht darin die Zerstörung eines ursprünglich „intakten“ Stücks Natur; für den anderen steht der positive wirtschaftliche Nutzen für die abfallproduzierende Gesellschaft im Vordergrund. Die Mülldeponie ist aber auch ein sozial konstruierter Raum, wenn in die Betrachtung mit einfließt, wer in das Müllproblem involviert ist (Rhode-Jüchtern 2009).





Raumkonzepte nach Heineberg (2004) und Wardenga (2002)





 Container-Raum: „Räume als Wirkungsgefüge natürlicher und anthropogener Faktoren, als das Ergebnis von Prozessen, (…) die die Landschaft gestaltet haben oder als Prozessfeld menschlicher Tätigkeiten“ (Länder- und Landschaftskunde, seit dem 19. Jahrhundert).



 Räume als Systeme von Lagebeziehungen: „Räume als Systeme von Lagebeziehungen materieller Objekte“, als Ergebnis der Raumstrukturforschung der 1970er-Jahre.



 Räume als Kategorie der Sinneswahrnehmung: „Räume werden als Kategorie der Sinneswahrnehmung und damit als Anschauungsformen gesehen, mit deren Hilfe Individuen und Institutionen ihre Wahrnehmungen einordnen und so die Welt in ihren Handlungen räumlich differenzieren“ (Wahrnehmungsgeographie).



 Räume als Konstruktion: „Räume werden in der Perspektive ihrer sozialen, technischen und gesellschaftlichen Konstruiertheit aufgefasst“. Räume entstehen damit durch Kommunikation und tägliches Handeln, sie werden „fortlaufend produziert und reproduziert.“







2.2Kompetenzorientierung



Zur Sicherung der Qualität und der Weiterentwicklung des Bildungsprozesses innerhalb der Schulgeographie hat die Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGFG) nationale Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss konzipiert und der Kultusministerkonferenz sowie den Kultusbehörden übermittelt. Durch diese Bildungsstandards sind die Kompetenzen festgelegt, über die Schüler am Ende eines jeweiligen Ausbildungsabschnittes verfügen sollen (Deutsche Gesellschaft für Geographie 2014: 1). Dies ist in anderen Fächern ähnlich.



Im Rahmen von Exkursionen (Abb. 2.1) können prinzipiell alle Kompetenzbereiche gefördert und entwickelt werden, selbstverständlich in Abhängigkeit des Schwerpunktes und des Faches. Verdeutlichen lässt sich dies am Beispiel der Kompetenzbereiche des Faches Geographie (Deutsche Gesellschaft für Geographie 2014: 10ff.), die im Rahmen der Kompetenzorientierung formuliert wurden (siehe Infobox zu Kompetenzbereichen). Auch in anderen Fachdisziplinen werden im Rahmen von Lehrveranstaltungen unterschiedliche Kompetenzen gefördert und erworben. Da diese jedoch fachspezifisch abweichen können, wird die Thematik exemplarisch anhand des klassischen Exkursionsfachs Geographie dargestellt. Alleinstellungsmerkmale der Geographie sind dabei die Kompetenzbereiche „Räumliche Orientierung“ und „Handlungskompetenz“. Sie kommen in anderen Fächern so nicht vor.








Abb. 2.1 Lernziele einer Exkursion im Rahmen der Kompetenzorientierung





Die kontinuierliche Förderung und Entwicklung dieser Kompetenzen bildet optimalerweise den zentralen Ansatz für die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen. Neben den curricularen Vorgaben und der konkreten Realisierung im Fachunterricht werden der Kompetenzerwerb sowie die Bildungsstandards auch mithilfe von Exkursionen umgesetzt, dies gilt insbesondere für geographisches Lernen (Falk 2015). Daher sind Exkursionen an der Entwicklung einer Raumverhaltenskompetenz maßgeblich beteiligt. Jedoch ist kritisch anzumerken, dass Exkursionen häufig nur über kurze Zeiträume wirksam sind, was einem gefestigten Kompetenzerwerb entgegenstehen kann.





Kompetenzbereiche am Beispiel des Fachs Geographie im Hinblick auf Exkursionen



(nach Deutsche Gesellschaft für Geographie 2014: 8ff.)





 Fachwissen: Fachwissenschaftliche Kompetenz wird dadurch gefördert, dass Wechselbeziehungen natur- und geistes-/sozialwissenschaftlicher Faktoren innerhalb des Mensch-Umwelt-Systems anhand exemplarischer Exkursionsziele konkretisiert und verdeutlicht werden. Hierbei werden auch bedeutende Kenntnisse aus anderen Gebieten integriert, sodass Grundlagen eines systematischen Wissensaufbaus entstehen. Dies geschieht konkret und exemplarisch in lebensweltlicher Perspektive.



 Räumliche Orientierung: Die Räumliche Orientierung bildet ein Kernelement des Unterrichtsfachs Geographie. Diese Kompetenz wird auf Exkursionen durch die Arbeit mit Karten im Realraum weiterentwickelt (z. B. Karten lesen, interpretieren, konstruieren). Die Verzahnung von theoretischem Wissen und praktischer Anwendung bzw. Umsetzung fördert die Kartenkompetenz. Zudem wird topographisches Orientierungswissen durch eigens erfahrene Verortung gefestigt und verknüpft.



 Erkenntnisgewinnung/Methoden: Dieser Kompetenzbereich wird bei Exkursionen häufig dadurch angesprochen, dass fachspezifische und -relevante Methoden im Gelände handlungsorientiert eingesetzt und angewandt werden (z. B. Kartierungen, Bodenuntersuchungen, Bestimmungsübungen, Messungen, Befragungen). Der Einsatz hierzu notwendiger adäquater Medien (z. B. Zeichen- und Laborgeräte, Messinstrumente, Literatur etc.) führt zur Daten- und Informationsgewinnung (Deutsche Gesellschaft für Geographie 2014: 19). Dabei ist eine kritische und zielorientierte Informationsauswertung mit eingeschlossen.



 Kommunikation: Kommunikation ist unsere alltägliche Möglichkeit der adäquaten Verständigung. Bei Exkursionen wird permanent fach- und zielbezogen kommuniziert. Dies geschieht auf unterschiedlichen Interaktionsebenen, sodass die Bandbreite vom Verstehen bis hin zum situations- und adressatengerechten Organisieren, Formulieren und Präsentieren reicht. Dabei wird diese wichtige Kompetenz fortwährend geschult und entwickelt. Einen weiteren bedeutenden Bereich stellt die interkulturelle Verständigung dar, die insbesondere bei Auslandsexkursionen Bedeutung erlangt.



 Beurteilung/Bewertung: Kompetenzen in diesem Bereich werden dadurch erworben und gefördert, dass konkrete Beispiele (z. B. bei der Exkursion zur Mülldeponie im Kontext der Umweltthematik) unter Anwendung und Berücksichtigung allgemeiner und fachspezifischer Kenntnisse und Kriterien bewertet und beurteilt werden. Exkursionen bieten hierbei die Möglichkeit, einen „eigenen Eindruck“ vor Ort zu gewinnen und sich daraus eine „eigene Meinung“ zu bilden. Dabei werden möglichst viele für diesen Kompetenzbereich wichtige Perspektivwechsel ermöglicht.

 



 Handlung: Handlungskompetenz wird dadurch entwickelt, dass mithilfe von Exkursionen konkrete Auswirkungen von Wechselbeziehungen auf anschauliche Weise verdeutlicht werden können. Dies leistet, neben aktiven Umsetzungen und Handlungen (z. B. durch ein Exkursionsprojekt zur Verlangsamung des Gletscherrückzugs oder durch den Besuch auf der Mülldeponie), einen Beitrag zur Umwelterziehung und zum Umweltschutz. Damit kann unter strikter Wahrung des politischen Neutralitätsgebots die zukünftige „Handlungsweise“ eines Menschen aufgrund von Einsicht und Verstehen beeinflusst werden. Die originale Begegnung bildet demnach für den Bereich der Umweltbildung und Umwelterziehung eine tragende Säule (Wilhelmi 2011: 4, vgl. Riedel & Trommer 1981). Gemeinsam mit interkultureller und internationaler Verständigung bilden diese das Leitbild „Nachhaltiger Entwicklung“ (Deutsche Gesellschaft für Geographie 2014: 26).







2.3Lerntheoretische Grundlagen



Bei der methodisch-lerntheoretischen Herangehensweise muss zwischen einer klassischen „Überblicksexkursion“ und einer „Arbeitsexkursion“ unterschieden werden (Ohl & Neeb 2012: 261; Tab. 4.1, S. 33). Im Fall der Überblicksexkursion läuft die Wissensaneignung stark rezeptiv ab.



Die Erläuterung praktischer Sachverhalte durch den Exkursionsleiter oder einen externen Experten, wie z. B. bei einer Betriebsbesichtigung, findet vorrangig in Form von Frontalunterricht statt. Interaktion zwischen Lehrer und Schülern, Diskussionen, impulsgesteuerte Vertiefungen, Erfahrungsaustausch und Fragerunden sind aber auch bei diesem Ansatz in der Regel enthalten (vgl. Klein 2015: 69). Zu den Nachteilen zählen die hohe Passivität der Lernenden, der Mangel an Schüler-Schüler-Interaktion und selbstgesteuerten Zugängen zum Thema, weshalb dieser Ansatz in der Vergangenheit viel Kritik erfahren hat (vgl. Haubrich et al. 1997: 208). Dennoch ist der Typ Überblicksexkursion bis heute weitverbreitet.



Eine handlungsorientierte Arbeitsexkursion kann dagegen sowohl kognitivistische wie auch konstruktivistische Herangehensweisen beinhalten. Sie wird von den meisten Didaktikern als besonders effektiv in Bezug auf einen problemlösungsorientierten Lernprozess bewertet, was mit lernpsychologischen Prozessen begründet wird (z. B. Hemmer 1996). So können die Lernenden innerhalb eines vorgeplanten, systematischen Lernprozesses selbstständig weitgehend festgelegte Lerninhalte und Problemstellungen bearbeiten und Methoden anwenden, wobei das Lösen vorgegebener Fragestellungen im Vordergrund steht.



Lernprozesse können im Gegenzug aber auch rein selbstgesteuert verlaufen, wobei Fragestellung und Fazit ergebnisoffen sind. Vielperspektivigkeit, individuelles Denken, Kreativität, soziale Prozesse, z. B. innerhalb einer Kleingruppe, und die individuelle Prägung des Lernenden, z. B. individuelle Raumvorstellungen, erhalten dadurch eine besondere Wertschätzung (vgl. Dickel & Glasze 2009).



In der Praxis zeigt sich häufig, dass mit einer Verknüpfung beider Ansätze die größten Lernerfolge erzielt werden. Die Gewichtung kann unterschiedlich sein und ist abhängig von der Gruppenzusammensetzung, der Gruppengröße, dem Thema und dem jeweiligen Ort. Fast immer ist es sinnvoll, zunächst im Seminar, vor Ort oder an jedem Standort individuell in das Exkursionsgebiet und die zu behandelnde Problemstellung einzuführen. Danach können Elemente einer problemorientierten Arbeitsexkursion angefügt werden, über die sich die Exkursionsteilnehmer mehr oder weniger selbstbestimmt mit dem jeweiligen Ort und Thema befassen. Eine „konzeptionelle Vielfalt“ ist daher „Kennzeichen einer modernen Exkursionsdidaktik“ und bezieht Stärken und Schwächen der einzelnen Konzepte und Methoden von vorneherein mit ein (Ohl & Neeb 2012: 264).



Darüber hinaus eröffnen Exkursionen die Möglichkeit, Lehr- und Lernprozesse didaktisch so zu gestalten, dass lernpsychologisch relevante Alltagsvorstellungen hin zu fachwissenschaftlichen Sichtweisen verändert werden können. Lernende besitzen hinsichtlich bestimmter Sachverhalte meist bereits ein Alltagsverständnis und eigene Vorstellungen, die im wissenschaftlichen Kontext nicht adäquat sind und einer Veränderung bedürfen (Reinfried 2010, Felzmann 2013). Diese Vorstellungen gewinnt das kognitive System aus sensomotorischen Erfahrungen. Sie werden durch neuronale Erregungsmuster und Strukturen bestimmt, die sich durch Umweltinteraktionen, Bewegungen und Wahrnehmungen formen. Sie entsprechen Begriffen und werden als verkörperte Begriffe gekennzeichnet (Niebert 2007: 39). Diese wiederum sind mit einer funktionellen Gruppe von Neuronen gleichzusetzen, die Bestandteil des sensomotorischen Systems sind oder dessen Aufgabe nutzen (Niebert 2007: 40, Gropengießer 2007). Verkörperte Begriffe werden von uns unmittelbar verstanden. Um abstrakten Zielbereichen imaginativen Zugang zu unseren Kognitionen zu verschaffen, werden verkörperte Begriffe genutzt, die in sensomotorischen Ursprungsbereichen liegen. Daher können wir über Sinneseindrücke, die wir nicht direkt erleben, hinausgehen. Hierbei werden Vorstellungen eines Ursprungsbereichs, die auf Erfahrungen basieren, in Zielbereiche übertragen, die nicht unmittelbar erfahren werden können (Niebert 2007: 40). So bieten auf zahlreichen Themengebieten Exkursionen für Lernende eine Chance, bestimmte Sachverhalte und Realobjekte durch eigene Wahrnehmung zu erfahren. Somit ist eine weitere Aufgabe von Exkursionen, naive Vorstellungen zu wissenschaftlichen Vorstellungen zu verändern bzw. dahingehend anzupassen. Hierbei ist eine häufige Vorgehensweise die Auslösung eines kognitiven Konflikts (Horn & Schweizer 2010). Dabei wird gezielt ein Widerspruch zwischen der wissenschaftlichen Vorstellung und der Alltagsvorstellung des Lernenden erzeugt, wodurch eine Anpassung an die wissenschaftliche Sichtweise ermöglicht wird (Reinfried 2007). Hierfür eignen sich z. B. konstruktivistische Ansätze und Strategien, da dabei Handlungsorientierung und Konstruktion von Wissen im Vordergrund stehen. Dies wird jedoch auch durch mehrere Komponenten (z. B. Gruppenzusammensetzung, Interessen der Teilnehmer, Zielsetzung) beeinflusst. In Abhängigkeit vom Alter der Exkursionsteilnehmer sowie von deren Erfahrungen mit Exkursionen können diese auf unterschiedliche Art und Weise beteiligt und einbezogen werden. Die Bandbreite reicht von einem hohen Grad an Instruktion und sehr geringer Beteiligung (z. B. klassische Überblicksexkursion ohne Interaktion zwischen Exkursionsleitung und Teilnehmern) bis hin zu einem hohen Grad an Konstruktion mit hoher Eigenbeteiligung (z. B. Spurensuche ohne eindeutige Aufgabenstellung durch die Exkursionsleitung). Abschließend kann diese Art der methodischen Großform mit ihrer Möglichkeit der Integration unterschiedlicher Lehrformen und Lernmethoden aus den genannten Gründen als besonders lohnend und wertvoll eingestuft werden.



Das mithilfe von Exkursionen erworbene Wissen kann durch stattgefundene originale Begegnung und eigene Erfahrungen besser gespeichert werden. Der Begriff der „originalen Begegnung“ wurde in der Vergangenheit durchaus kritisch diskutiert, da eine originale Begegnung genau genommen nicht frei sein kann von konstruierten Mustern (Hard 1993b, Kanwischer 2006). Dass jedoch persönlich Erlebtes bei Exkursionsteilnehmern für lange Zeiträume – auch noch nach Jahren – im Gedächtnis verbleibt, belegen auch zahlreiche Praxiserfahrungen. Äußerst eindrucksvoll kann dies im Rahmen von Evaluationen oder Abschlusstreffen von Klassen oder Kursen erlebt werden. Die jeweiligen Erinnerungen hängen aber auch stark vom Alter und Interesse der Beteiligten sowie von den angewandten Methoden (inklusive Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung), der Dauer und dem Ziel ab. Bedingt durch die Komplexität kann zwar keine pauschale Erfolgsgarantie ausgesprochen werden, aber die Vorteile gegenüber anderen Lehr- und Lernmethoden sind deutlich erkennbar. Exkursionen können Inhalte so vermitteln und transportieren, dass sie sowohl fachlich als auch persönlich einen Mehrwert bieten, den andere Lehrformen und Lernmethoden teilweise nicht in diesem Maße leisten können. Dennoch bedarf es einer fachlichen und pädagogischen Abwägung, ob diese methodische Großform im konkreten Einzelfall angebracht und für die Lernenden angemessen erscheint.





3Die Entwicklung der Exkursion als methodische Großform



Es ist unklar, ob die Exkursion als lernmethodische Großform eine Erfindung der Geographie ist. Zumindest aber wird sie in keinem anderen Fach derart intensiv eingesetzt. Denn „das Herz der Geographie schlägt im Gelände“ (Falk 2015). Die Wurzeln dazu sind im Zeitalter der Entdeckungen zu finden. Seither hat sich „der empirisch gestützte Erkenntnisgewinn im Gelände in der Geographie etabliert“ (Falk 2015). Von dieser Entwicklung können auch andere Fächer profitieren.



„Wenn wir also den Schülern wahres und zuverlässiges Wissen von den Dingen einpflanzen wollen, so müssen wir alles durch eigene Anschauung und sinnliche Demonstration lehren.“



Dieses Zitat des Pädagogen Johan Amos Comenius von 1657 (Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung München 1995: 3) ist bis heute gültig. Es betont die Notwendigkeit der Verlagerung des Unterrichts mit Schülern und Studierenden in außerschulische bzw. außeruniversitäre Kontexte und legitimiert damit die Exkursion als didaktische Methode. Dennoch ist der positive Effekt, den Exkursionen auf die Lernleistung von Schülern haben, kaum empirisch belegt. Er fußt vielmehr auf historisch gewachsener Erfahrung und ist daher unbestritten (Lößner 2011: 15).



Exkursionen und allgemein die Bildung durch Anschauung entwickelten sich erst seit der Renaissance, als langsam damit begonnen wurde, die Bildung aus rationaler Begründung heraus zu systematisieren (Lößner 2011: 17). Einer der Vorreiter des Lernens durch eigene Anschauung vor Ort war der Lübecker Pädagoge und Theologe August Hermann Francke (1663–1727). Er unterstrich die Bedeutung der Lehrmittelsammlungen, empfahl Naturkundestunden im Schulgarten und besuchte mit seinen Schülern Handwerker bei ihrer Arbeit (Lößner 2011). Weitere Vorreiter waren der englische Pädagoge John Locke (1632–1704) und der französische Aufklärer Jean Jaques Rousseau (1712–1778). Auch Johann-Heinrich Pestalozzi (1746–1827) kritisierte „den Verbalismus in der Schule“ (Reble 1995, vgl. Lößner 2011). Doch erst durch die Reformpädagogik Ende des 19. Jahrhunderts hielten Exkursionen unter Begriffen wie „Lehrwanderungen“ oder „Freiluftunterricht“ verstärkt Einzug in die Schule. Gestärkt wurde die Entwicklung durch die Jugend- und Wanderbewegung im beginnenden 20. Jahrhundert. Hervorzuheben ist außerdem die Idee der „originalen Begegnung“ des Pädagogen Heinrich Roth (1906–1983), der selbst Mitglied in einer Wandervogelgruppe war, jedoch heute wegen seiner Rolle im Nationalsozialismus umstritten ist (Harth-Peter 1997, Lößner 2011).



Die Geographie hat in den letzten 150 Jahren mehrere tief greifende Paradigmenwechsel erlebt, die sich in den einzelnen Teildisziplinen z. T. verzögert bemerkbar gemacht haben, was besonders in der Humangeographie zur parallelen Existenz unterschiedlicher Paradigmen geführt hat. Von einer deskriptiven, durch die Landschafts- und Länderkunde dominierten Wissenschaft entwickelte sich das Fach in den 1970er-Jahren zur quantitativ ausgerichteten raumanalytischen Geographie (Weichhart 2001). Heute stehen vor allem in der Humangeographie unterschiedliche Raumwahrnehmungskonzepte, qualitative Forschungsmethoden und Fragen der Globalisierung sowie des Global Change im Mittelpunkt. In der Physischen Geographie ist einerseits eine starke Hinwendung zu anderen physikalischen (Geo-)Wissen­schaften zu beobachten, die mit einer großen Methodenvielfalt, Interdisziplinarität und Internationalisierung einhergeht. Auch hier stehen drängende Probleme, wie der Klimawandel, Bodenerosion und Desertifikation, im Vordergrund, aber auch Archiv- und Grundlagenforschung mit Schwerpunkten im Bereich Paläoklima und Geoarchäologie (Deutscher Arbeitskreis für Geomorphologie 2009). Andererseits treten auch in der Physischen Geographie bzw. in der angeschlossenen Mensch-Umwelt-Forschung verstärkt theoretische Konzepte und angewandte Fragestellungen in den Vordergrund. Eine ähnliche Entwicklung ist auch im Bereich der Regionalen Geographie zu beobachten. Gleichzeitig scheinen die Grenzen zwischen den traditionellen Teildisziplinen immer weiter zu zerfließen.



Daran anknüpfen lässt sich die Entwicklung in der Geographiedidaktik, die sich von der ursprünglichen rein deskriptiven und rezeptiven Wissensvermittlung nach länderkundlichen Aspekten seit den 1950er-Jahren auch zu theoriegeleiteten, kognitivistisch orientierten Lehrkonzepten hinwandte. Während die Bedeutung von Exkursionen im länderkundlich geprägten Erdkunde-Schulunterricht der 1950er- und 60er-Jahre im schulischen Kontext eher gering war, änderte sich das in der Zeit danach zusehends (vgl. Rinschede 2007: 251). In der Schule verlor das „Lernen vor Ort“ seit den 1970er-Jahren verstärkt an Bedeutung. In der Grundschule war dies vor allem mit der Einführung des Fachs Sachunterricht anstelle der Heimatkunde der Fall (Lößner 2011: 21). Gleichzeitig veränderten sich seitdem auch die Konzepte geographischer Exkursionen in Richtung der Angewandten Geographie und weg von der klassischen Landschaftskunde. Seit den 1980er-Jahren