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Chronik von Eden
Sammelband der Armagddon-Reihe
© 2019 Begedia Verlag
Coverdesign: Atelier Tag Eins
Innengrafiken: Lothar Bauer
ebook-Bearbeitung und Satz: Harald Giersche
ISBN: 978-3-95777-128-5
Erstes Buch: Gottes letzte Kinder
von D.J. Franzen
Die Apokalypse ist über die Menschheit hereingebrochen.
Die Toten stehen wieder auf und machen Jagd auf die Lebenden.
In dieser Welt versucht Frank zu überleben. Bei seiner Suche nach dringend benötigter Nahrung und Ausrüstung im völlig zerstörten Köln trifft er auf Sandra. Sie ist eine weitere Überlebende des Untergangs, ebenso wie Pfarrer Patrick Stark, ein Mann Gottes, der sich scheinbar in sein Schicksal ergeben hat.
Die drei glauben, die letzten lebenden Menschen in der toten Stadt zu sein und werden von einem Zombie verfolgt, der schneller, stärker und schlauer ist, als die anderen Untoten.
Doch es haben noch mehr Menschen Armageddon überlebt. Und gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach ...
Gottes letzten Kindern
Kapitel I - Der Sturm
T-Minus 90 Tage … Phase 1:
Es wurde kein neuer Virussubtyp bei Menschen entdeckt. In Tieren können Virussubtypen umlaufen, die auch Menschen infizieren, jedoch wird das Risiko als gering bewertet.
(Definition Pandemiephasen nach WHO)
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T-Minus 85 Tage … Phase 2:
Es wurde kein neuer Virussubtyp bei Menschen entdeckt. Ein in Tieren umlaufender Subtyp stellt ein erhebliches Risiko einer Erkrankung von Menschen dar.
(Definition Pandemiephasen nach WHO)
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Eigentlich ging es Patient Null gut, wenn man von dem Husten absah, der ihn seit einigen Tagen plagte. Aber als Schäfer kannte man keine Krankenkasse und Erkältungen gehörten eben manchmal dazu, wenn man einen Beruf wie diesen ausübte. Er blickte über seine Herde, die auf einer städtischen Wiese im Auftrag der Kommune das Gras niedrig halten sollte. Im Hintergrund verdeckte der graue Bau irgendeines Pharmakonzerns die Sicht auf den Horizont, aber er hatte keinen Blick dafür übrig. Seine Schafe waren nicht gut dran, und das war weiß Gott wichtiger. Die meisten blickten stumpf vor sich hin, statt das saftige Gras zu weiden. Er seufzte. Vielleicht bekamen seine Tiere die Traberkrankheit? Ein sämiges Husten rollte seine Brust hoch, und Patient Null räusperte einen dicken Schleimklumpen hoch.
Verfluchte Erkältung.
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T-Minus 75 Tage … Phase 3:
Beginn der Alarmphase: Vereinzelt werden Menschen infiziert, eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist jedoch sehr selten und tritt allenfalls bei engem Kontakt zu einem Infizierten auf.
(Definition Pandemiephasen nach WHO)
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Patient Null lag im Bett. Seine Frau hatte heute die Herde übernommen, obwohl sie sich auch nicht gut fühlte. Aber immerhin ging es ihr besser als ihm. Morgen oder spätestens übermorgen wäre er wieder bei seinen Schafen. Wenn nur das verdammte Fieber nicht wäre! Ächzend griff er nach dem Glas auf seinem Nachttisch. Er lag im Sterben ohne es zu ahnen, und hatte unter anderem auch seine Frau sowie seine drei Aushilfen bereits angesteckt, die aus England, Schottland und Australien angereist waren, um das Handwerk aus der Sicht eines anderen Landes zu erlernen. Zwei dieser Aushilfen hatte er vor einigen Tagen zu einem Kollegen geschickt, der mit grippeähnlichen Symptomen im Bett lag. Seine dritte Aushilfe lag bereits im städtischen Krankenhaus in der Leichenhalle, was er nicht wusste.
Drei Stunden später war auch Patient Null tot.
Das Muster und die Häufigkeit der Erkrankungen zwang die WHO, die Pandemiestufe umgehend auf 5 zu setzen. Das Virus sprang nun weltweit von Tieren auf Menschen über.
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T-Minus 70 Tage … Phase 5:
Erhebliches Pandemierisiko: Größere, aber noch örtlich und zeitlich eng begrenzte Ausbrüche in zwei Gebieten einer der sechs WHO-Regionen. Das Virus ist besser, aber noch nicht vollständig an den Menschen angepasst. Letzte Chance, die globale Verbreitung zu verzögern.
(Definition Pandemiephasen nach WHO)
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»Ob ihr mich jetzt auslacht oder nicht, ich habe heute Vorräte bis zum Arsch gebunkert! Von wegen Grippe! Die verarschen uns nach Strich und Faden. Da ist was schiefgelaufen, als entweder die Militärs einen Supervirus erschaffen wollten, oder die Pharmaindustrie einen neuen Weg suchte, um uns das Geld aus der Tasche zu ziehen. Wie auch immer, Leute, das ist kein Spaß mehr! Die schaffen die Leichen der Grippetoten in diesen Säcken für biologisch gefährlichen Abfall mit Lastwagen aus den Krankenhäusern!! Legt euch Vorräte an, verrammelt eure Buden und betet. Das geht nicht gut aus. Das Jüngste Gericht kommt, und mit ihm der Herr. Und glaubt mir, meine Brüder und Schwestern, der ist bestimmt nicht in der Laune, uns unsere Sünden zu vergeben!«
(Eintrag aus dem Internetblog apokalypsis.sf-fan.com)
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T-Minus 60 Tage … Phase 6:
Verlauf der Pandemie: Wachsende und anhaltende Übertragungen von Mensch zu Mensch in der gesamten Bevölkerung. Räumlich getrenntes Ausbruchsgeschehen in mindestens zwei WHO-Regionen.
(Definition Pandemiephasen nach WHO)
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Als offiziell bekannt gegeben wurde, dass die Grippetoten in speziellen Säcken in ihre Särge gelegt und auf gesonderten Friedhöfen beigesetzt werden sollten, befiel Frank eine diffuse Unruhe. Man wusste über diesen Grippevirus einfach nicht genug, um vorhersagen zu können, was er bei einer Umgrabung der jeweiligen Ruhestätte nach zwanzig Jahren noch anrichten könnte. Aber die Opfer dieses Virus deswegen in Beuteln für biologisch gefährliche Abfälle beerdigen? Und zudem auch noch neue Friedhöfe eröffnen, in denen die Leichen einbetoniert wurden, weil die Krematorien hoffnungslos überlastet waren und die Angehörigen scharenweise gegen eine Verbrennung der Leichen ihrer Liebsten in Müllverbrennungsanlagen klagten? Frank befand, dass Vorsicht und vorausschauendes Handeln angebracht wären. Geld war kein Problem. Als Mechaniker eines Werkteams in der DTM verdiente er mehr als genug. Außerdem hatte er sich für schlechte Zeiten etwas auf die Seite gelegt. Das Haus, in dem er lebte, hatte er von seinen Eltern geerbt, eine feste Freundin war ein schöner Traum, und was die Rennen betraf, so konnte er definitiv davon ausgehen, dass die kommende Saison mangels Teilnehmern abgesagt werden würde.
Nach intensiven Planungen, was man zum Überleben so alles benötigte, und was nicht ganz so wichtig wäre, kaufte er innerhalb weniger Tage den Baumarkt am Barbarossaplatz beinahe im Alleingang leer. Den Aldi, den Lidl und den Rewe um die Ecke in weiteren Touren gleich mit. Er war nicht der einzige Hamsterkäufer. Die Schlangen an den Kassen reichten oft bis in die hintersten Ecken der Läden. Ängstlich dreinblickende Verkäufer hatten alle Hände voll zu tun, die geplünderten Regale aufzufüllen. Frank blieb immer in der Nähe seines Wagens und hielt die Augen offen, nachdem er gesehen hatte, wie andere Vorsorger sich an scheinbar herrenlosen Wagen bedient hatten, um noch eine Palette Vollmilchschokolade oder Konserven zu ergattern. Bei Saturn kaufte er sich noch schnell eine zweite Gefriertruhe.
Man konnte ja nie wissen.
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T-Minus 49 Tage … Ausnahmezustand
»Unbestätigten Meldungen zufolge ist es in weiten Teilen der Welt zu Übergriffen von Plünderern gekommen, welche die Angst vor der weltweiten Grippepandemie ausnutzen. Die Gewalttätigkeit der Plünderer gegen Ordnungskräfte, aber auch untereinander ist dabei so groß, dass wir Ihnen leider keine Bilder zeigen können. Es wird aber von zahlreichen Verletzungen berichtet, die auch durch Bisse der unglaublich aggressiven Plünderer verursacht wurden. Das Auswärtige Amt rät derzeit von Reisen nach Amerika, den Westen Russlands und nach China ab. Innerhalb der Europäischen Union sei die Lage aber noch stabil, und Reisen problemlos möglich.
Weitere Meldungen …«
(Bericht aus der Tagesschau der ARD)
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T-Minus 45 Tage … Kriegsrecht
Alle Fluglinien canceln ihre Flüge in folgende Länder: England … Frankreich … Italien … Polen … USA … Ausnahmezustand verhängt … EU-Innenminister einigen sich auf allgemeinen Ausnahmezustand in allen Ländern der EU … Um Versorgungsengpässe zu verhindern, werden NATO-Einsatzkräfte an den Brennpunkten eingesetzt, um Trinkwasser und Notrationen zu verteilen … Ausgangssperre ab 19:00 Uhr in folgenden Städten … Frankfurt … Berlin … Köln …
(Per SatWas während einer Sondersendung aller öffentlich-rechtlichen Sender als Laufschrift eingeblendet)
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Das Dach von Franks Elternhaus zierte eine Solaranlage, die er schon vor mehreren Jahren, als seine Eltern noch lebten, dort installiert hatte. Sie erzeugte an hellen Tagen soviel Strom, dass sich ihre Anschaffungskosten schnell wieder amortisiert hatten. Einen Teil des zweiten Kellergeschosses hatte er damals für drei Monsterbatterien vom gleichen Typ ausgebaut, wie er laut Herstellerangaben auch in U-Booten Verwendung fand. Sein Vater hatte den Kopf geschüttelt, und ihn gefragt, ob er noch ganz dicht im Kopf sei, so viel Geld für diesen neuartigen Schnickschnack auszugeben.
Frank hatte damals gelächelt.
»Weißt du Paps, die Dinger haben mich kaum etwas gekostet. Die bekommst du teilweise sogar im Internet gebraucht zu kaufen. Du musst nur wissen wo.«
»Und was sollen wir mit dem ganzen Mist?«
»Paps, wenn wir die alle vernünftig aufladen, können wir die ganze Hütte wie einen Christbaum mit 1000-Watt-Leuchten für etwa eine Woche erstrahlen lassen, ohne einen einzigen Cent Stromkosten zu zahlen.«
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T-Minus 25 Tage … Chaos
… folgende Notstationen sind noch intakt … Deutz, Gymnasium Schaurtestraße … Lanxess Arena … Jahnwiesen … Rheinenergie Stadion … alle anderen Notstationen sind bis auf Weiteres geschlossen … bitte bleiben Sie zu Hause … verriegeln sie Fenster und Türen … legen Sie Wasservorräte an … NATO-Einsatzkräfte ziehen sich zurück … meiden Sie den Kontakt mit Infizierten und Reanimierten …
(Laufschrift eines öffentlich-rechtlichen Lokalsenders unter einem Testbild)
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Frank blickte entsetzt aus einem Fenster im oberen Stockwerk auf die nächtliche Straße. Menschen, wenn es denn noch Menschen waren, fielen in dem kleinen Vorortviertel von Köln übereinander her, krallten ihre Finger in Augenhöhlen, gruben ihre Zähne in warmes Fleisch … und direkt gegenüber vom Haus kauerte Dietmar Hellmers, der Ortsvorsteher des Viertels, im Rinnstein vor seinem kleinen Einfamilienhaus. Er kaute auf einem menschlichen Bein herum, als sei es ein besonders kross gebratener Hühnerschenkel. Dem Schuh und den blutigen Fetzen bunter Kniestrümpfe nach zu urteilen, war es ein Bein seiner Enkelin, aber Frank war sich nicht sicher. Der Rest des grausigen Mitternachtssnacks zuckte als blutiges Bündel vor Hellmers auf dem kalten Asphalt herum. Glücklicherweise war die Straßenbeleuchtung größtenteils ausgefallen, sodass Frank weitere Details erspart blieben.
Er ließ so leise wie möglich die Rollos herunter, als ein dumpfes Pochen von der Haustür nach oben schallte. Vorsichtig schlich er in den Hausflur. Ein Blick durch den Türspion, und vor Schreck fiel Frank beinahe ohnmächtig um.
Es war seine Tante Martha, die da vor der Tür stand. Sie sah aus, als wäre sie nur auf einen kleinen Snack vorbeigekommen. Ihre rechte Schulter war nur noch ein Stück angekautes Fleisch, das Schultergelenk eine weiße Kugel in roter Masse. Ihre linke Wange war so weit heruntergefressen, dass ihr Auge beinahe aus der Höhle fiel. Stöhnend pochte sie gegen die Haustür. Frank befürchtete, dass sie noch mehr von diesen Dingern anlocken würde. Die Ersten blickten schon dumpf die Straße entlang zu seiner Tür. Es blieb ihm nichts anderes übrig. Mit zitternden Fingern griff er nach seinem Baseballschläger, öffnete die Tür und ließ seine Tante eintreten.
Dann gab er ihr den letzten Frieden.
Es war eine fürchterliche Sauerei, und es dauerte länger, als es Frank lieb war.
Aber schließlich zuckte sie nicht mehr.
Er zerrte ihre Leiche in den Flur, vergewisserte sich mit einem schnellen Blick, dass keiner von den anderen da draußen etwas von dem Spektakel mitbekommen hatte, und schloss die Tür wieder. Anschließend verbarrikadierte er sie mit den neu angeschafften Sicherheitsbalken. Mit zitternden Gliedmaßen sank er neben Tante Marthas leblosem Körper zu Boden und weinte und kotzte und hoffte, dass dies alles nur ein böser Traum sei.
Doch der Geruch von Tante Martha holte ihn schließlich zurück in die Gegenwart. Nicht dass er ihr Parfüm zu Lebzeiten besonders gemocht hätte, aber das, was sie heute Abend aufgelegt hatte, war einfach eine zu starke olfaktorische Herausforderung für ihn.
Vielleicht Fäulnis exklusiv, der neue Duft von Chanel?
Die Mauer aus albernen Gedanken und Assoziationen, die Frank als Schutz um sein Denken herum aufgebaut hatte, bekam in einem zittrigen Laut, der zugleich hysterisches Lachen und panisches, atemloses Schreien war, Risse. Die Realität rollte mit ungeahnter Wucht über ihn hinweg. Zurück blieb nach einem kurzen Gefühlschaos nur noch eine betäubte Leere in seinem Denken und Fühlen. Wie ein Schlafwandler zog er Tante Marthas Leiche in den Garten hinter dem Haus, der glücklicherweise von einer hohen Mauer umgeben wurde. Dann wischte er die Sauerei im Flur weg, holte eine Schaufel aus dem Gartenhäuschen, und begann im Licht des Vollmondes zu graben.
Mechanisch.
Als er bis zu den Knöcheln in der Grube stand, reckte er sich. Sein Blick glitt über die Terrasse hinweg auf das Holzkreuz, das wie ein dunkler Blickfang über der Wohnzimmertür hing. Es war ein Erbstück seiner Eltern, die in ihren Werten streng katholisch gewesen waren, es aber nie geschafft hatten, ihm die gleiche Hingabe an die Religion zu vermitteln. Er wollte es schon längst entsorgt haben, aber irgendwie hatte er die Umsetzung dieses Entschlusses immer wieder vor sich hergeschoben. Frank sah genauer hin. Der gepeinigte Jesus blickte finster auf ihn hinab. In Erlöserlaune war der bestimmt nicht, egal was seine Eltern immer behauptet hatten. Und in diesem Moment wurden Frank mit aller Deutlichkeit einige wichtige Fakten bewusst: Das alles war kein Traum, es gab nirgendwo einen Regisseur, der laut »CUT!« rief, es waren definitiv keine Komparsen mit jeder Menge Latex im Gesicht, die da durch das kleine Kölner Viertel auf der schäl Sick herumstromerten und auch keine normalen Plünderer, die sich schnell ein paar Schätze für die Zeit nach dem Desaster sichern wollten. Fakt war vielmehr, dass der große, alte Mann da oben, sofern es ihn wirklich gab, die Nase voll hatte von Kriegen, Umweltverschmutzung, Börsencrashs und all dem anderen schwachsinnigen Zeugs, das seine Schöpfung da auf seine Welt losgelassen hatte. Also war Gott letzten Endes zu dem Schluss gekommen, dass es besser wäre, seine Geschöpfe den Lokus runterzuspülen, um nochmal von vorne zu beginnen. Vielleicht wäre das Programm Dinosaurier 2.0 eine gute Alternative?
Unbewusst verfiel Frank in ein atemloses Dankgebet an alle Heiligen, das ihm seine Mutter als Kind beigebracht hatte. Eigentlich glaubte er ja nicht an diesen Hokuspokus, aber schaden konnte es ja auch nicht. Er dankte ihnen allen für die frühzeitige Vision, die ihn dazu veranlasst hatte, sein Haus rechtzeitig zu einer kleinen Festung auszubauen und sich ordentlich Vorräte anzulegen. Wenn er sich nur tief genug in sein Schneckenhäuschen zurückzog, würde der da oben ihn bestimmt übersehen, und dann hätte er gute Chancen, Armageddon unbeschadet zu überstehen.
Er war kurz vor dem Amen und bei den letzten Schaufeln Erde für Tante Marthas definitiv letzte Ruhestätte angekommen, als der Strom aus seiner Solaranlage ausfiel.
Letzten Endes sah Gott eben doch alles.
Auch U-Boot-Batterien, die in einem zweigeschossigen Keller lagerten.
*
T-Minus 0 Tage …
Sechs Tage brauchte der Herr, um die Erde, den Himmel, die Menschheit und alles Getier zu erschaffen. Am siebten Tag ruhte er, und der Mensch machte sich in seinem Größenwahn Gottes Werk zu eigen. Jetzt ist Gott von seinem freien Tag zurückgekehrt. Und jetzt ist der achte Tag seiner Schöpfung angebrochen. Die Apokalypse.
(Graffiti auf einer Kirchenmauer in Köln)
Kapitel II - Einkaufsbummel
Frank saß in seinem Auto und lauschte den Klängen des Lieds Bittersweet Symphony von The Verve. Die Streicher des Orchesters webten einen Klangteppich, auf dem die Stimme des Sängers in melancholischer Gleichmütigkeit in das Halbdunkel der Garage schwebte. Durch eine Reihe schmaler Fenster fielen Lichtstreifen in die staubige Luft. Metallplatten lehnten an den Wänden. Neben einer Treppe, die zum Wohnhaus führte, stand ein Rollwagen mit ölverschmiertem Werkzeug, direkt daneben drei Druckgasflaschen und ein dazugehöriges Schweißgerät.
Frank hatte seinen Wagen so gut es ging gepanzert. Dach, Außenseiten und Motorhaube schützen Metallplatten, vor jeder Scheibe hatte er Drahtgitter angebracht und ein gewaltiger Rammschutz thronte vor dem Kühlergrill. Am vorderen Ende der Kühlerhaube glitzerte der metallische Stern des Wagens wie das Zielkreuz eines Jagdbombers aus dem Zweiten Weltkrieg.
Frank hatte es nicht übers Herz gebracht, ihn abzumontieren. Das Lenkrad wurde von schwarzem Leder überzogen, in das Armaturenbrett war dunkles Nussholz eingelegt, das Furnier glänzte im Licht der Innenraumbeleuchtung. In der Mittelkonsole gab es keinen Schaltknüppel. Eine CD-Anlage mit einem Bildschirm und ein elektronischer Ziffernblock nahmen diesen Platz ein. Auf dem Beifahrersitz lagen eine Maschinenpistole mit Schalldämpfer, eine Pistole und einige Magazine für beide Waffen.
Frank atmete tief durch. Er trug einen Helm und darunter eine feuerfeste Rennfahrerschutzmaske. Ein Overall mit zahlreichen Sponsorennamen und Firmenlogos bedeckte seinen Körper bis zum Hals, sodass außer seinen Händen sein gesamter Körper geschützt war. Er sah sich noch einmal um, zögerte den Moment hinaus, in dem er das Garagentor öffnen würde. Die Tür zum Haupthaus war verriegelt und mit zahlreichen Querbalken gesichert. Eine weitere Tür aus dichtem Drahtgitter schützte sie zusätzlich.
Ein Seufzen erklang unter dem Helm. Es gab kein Zurück mehr. Er musste erneut sein Haus verlassen. Frank zog sich ein paar Rennfahrerhandschuhe an, gewissenhaft darauf achtend, dass kein Stück Haut frei blieb. Dann tippte er einen Code in das Zahlenfeld auf der Mittelkonsole des Wagens, drückte einen Knopf und der Motor sprang mit einem dumpfen Grollen an. Auf einen weiteren Knopfdruck öffnete sich langsam das Garagentor und gab den Blick auf eine Gruppe Reanimierter frei, die dumpf in Franks Richtung blickten.
In der Wange einer älteren Frau, die einen Kittel trug, klaffte ein ausgefranstes Loch. Ihre Backenzähne waren weiße Felsen im fauligen Meer ihres Mundes. Die Beine der Frau steckten in knielangen Nylonstrümpfen, die mehrere lange Laufmaschen hatten. Ihrem Nebenmann, der in einem halb offenen Morgenmantel vor der Garage stand, fehlte ein großes Stück Fleisch im Nacken- und Schulterbereich. Er hielt eine Kaffeetasse und eine zusammengerollte Tageszeitung in den Händen. Der Untote wedelte unbeholfen mit der Zeitung und es sah aus, als wolle er einen Hund zurechtweisen, der auf den teuren Teppich gepieselt hatte. Ein anderer Mann trug einen Blaumann mit dem Emblem der Stadtwerke Köln auf der Brust. Knapp unter seiner Brusttasche klaffte ein blutiges Loch in seinem Bauch. Seine Därme hingen wie dicke, graue Bratwürste heraus. Ein weiblicher Zombie in einem blutverschmierten Hochzeitskleid wollte sich in die erste Reihe der Menge drängeln, als ginge es um den besten Platz an einem gerade eröffneten kalten Buffet.
Dantes Kreaturen der Hölle hatten sich vor Franks Haus zu einem spontanen Happening versammelt. Er schluckte trocken, nahm den Fuß von der Bremse und der Wagen raste durch die Menge. Dumpf prallten die Körper auf das Metall des Wagens. Torkelnd wandte sich die Menge um, Hände streckten sich in verzweifelt wirkenden Gesten nach dem Wagen. Ein Mann in einem dunklen Geschäftsanzug griff im Fallen mit einer Hand nach der hinteren Stoßstange. Der Wagen schleifte ihn über den Asphalt, bis einer seiner Füße, die in teuren Kalbslederschuhen steckten, an einem Kanaldeckel hängen blieb. Ein schmatzender Laut, dann hing der Ärmel des Jacketts wie ein dunkles Segel bei Windstille auf den Boden herab. Verblüfft blickte der Geschäftsmann seinem nackten Arm hinterher, der immer noch an der Stoßstange hing. Unbeholfen versuchte er sich mit dem verbliebenen Arm aufzurichten, ohne dabei seine Aktentasche loszulassen. Ein letztes Souvenir, aus einer anderen Zeit, einem anderen Leben. Ächzend und stöhnend wandte sich die restliche Meute um und folgte schlurfend dem Auto, das um eine Ecke bog.
Frank ging auf Einkaufsbummel im entvölkerten Köln und die Toten wankten hinter seinem Wagen her.