Read the book: «Von der Kunst, ein Schriftsteller zu sein»
Klingenberg
Von der Kunst, ein
Schriftsteller zu sein
AXEL KLINGENBERG
Von der Kunst, ein Schriftsteller zu sein
oder
Aufzeichnungen eines Literaturdienstleisters
Axel Klingenberg, geb. 1968, lebt als freier Schriftsteller und Dozent für Literatur und Kreatives Schreiben in Braunschweig. Er ist Co-Herausgeber des Buchmagazins »The Punchliner«, Gründer der Lesebühne »Bumsdorfer Auslese« und Mitglied des Rockliteratur-Leseensembles »Read ‘em all«.
© 2010 Oktober Verlag, Münster
Der Oktober Verlag ist eine Unternehmung
des Verlagshauses Monsenstein und Vannerdat OHG, Münster
Alle Rechte vorbehalten
Satz: Monsenstein und Vannerdat
Umschlag: Linna Grage
unter Verwendung eines Fotos von Roger Lecuyer
Herstellung: Monsenstein und Vannerdat
ISBN: 978-3-938568-96-5
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
DEM UNBEKANNTEN VERFASSER GEWIDMET
Mein Dank geht an Clemens Naujoks, Frank Niemann, Ralf-Olaf Pfarr und Volker van der Heyden für ihre selbstlose Unterstützung meiner Arbeit.
»Eine seltsamere Ware als Bücher gibt es wohl schwerlich in der Welt. Von Leuten gedruckt, die sie nicht verstehen; von Leuten verkauft, die sie nicht verstehen; gebunden, rezensiert und gelesen von Leuten, die sie nicht verstehen; und nun gar geschrieben von Leuten, die sie nicht verstehen.«
Georg Christoph Lichtenberg
VORWORT: WARUM BERUFSVERBOTE DOCH NICHT VÖLLIG FALSCH SEIN MÜSSEN
»Keine Klasse von Menschen urteilt billiger von der anderen als die Denker von den Denkern und keine unbilliger als die Literaten von den Literaten.«
Georg Christoph Lichtenberg
Schriftsteller haben gegenüber anderen Berufsgruppen einen enormen Vorteil: Sie haben einen gewissen Einfluss auf die Darstellung ihrer Person in der Öffentlichkeit, indem sie ihre Biografien selbst schreiben können. Werden diese von anderen Menschen geschrieben, werden es meist Skandalbücher. Einige Schriftsteller machen es sich noch einfacher, indem sie von vornherein nur von sich selbst berichten.
Dieses Buch ist allerdings keine Autobiografie, wenngleich es einige memoirenartige Abschnitte hat. Da ich weiß, dass es neben mir noch einige andere Schriftsteller gibt, schreibe ich aber auch über die. Manchmal lasse ich sie sogar selbst zu Wort kommen.
Mit anderen Worten: Dieses Buch ist eine hybride Mischung aus ganz unterschiedlichen Elementen. Das Thema »Der Schriftsteller im Wandel der Zeiten (unter besonderer Berücksichtigung des Lebens und des Werks von Axel Klingenberg)« bedingt diese Herangehensweise.
Denn so wenig wie es die Bäckereifachverkäuferin oder den Versicherungskaufmann gibt, gibt es den Schriftsteller.
Es existieren nämlich gute und schlechte Autoren, so wie auch gute und schlechte Autoverkäufer. Ein guter Gebrauchtwagenhändler wird Ihnen in Ihrem Heimatort auch nach Abschluss des Kaufvertrages (»Der ist noch gut in Schuss, die paar hunderttausend Kilometer machen dem gar nichts aus. Als der gebaut worden ist, gab es noch deutsche Wertarbeit. Und wenn Sie ihn selbst durch den TÜV bringen, kriegen Sie ihn sogar billiger.«) nicht aus dem Wege zu gehen brauchen. Und ein guter Versicherungskaufmann kann Ihnen auch noch nach Jahren kraftvoll in die Augen blicken.
Machen jedoch Gebrauchtwagenhändler etwas falsch in ihrem Beruf, verhalten sich grob fahrlässig oder gar betrügerisch, kann es sein, dass diese aus dem Verkehr gezogen werden, genau so wie der von Ihnen kürzlich erworbene, leider jedoch grobe Sicherheitsmängel aufweisende Gebrauchtwagen. Mit Schriftstellern kann man das dagegen nicht so einfach machen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Kunst schützen sie davor. Das ist eine gute Sache, die sich bewährt hat und ich bin wirklich der Letzte, der dagegen Einspruch erheben wird, auch wenn ich mir manchmal wünschte, es gäbe die Möglichkeit, Berufsverbote für schlechte Schriftsteller auszusprechen. Damit Sie und ich und die nette alte Dame im Haus nebenan von schlechten Büchern verschont blieben.
Auch einen Schriftsteller-TÜV halte ich für erwägenswert. Ich stelle mir das so vor, dass ein versierter Literaturtechniker den Jahrestextausstoß auf grobe Mängel und Fehler hin abklopft. Er schaut nach, ob Form und Inhalt Rost angesetzt haben, die Wortwahl den neuesten Vorgaben entspricht und der Stil passt, wackelt und Luft hat. Und entspricht die Rechtschreibung eigentlich den DIN-Normen? Bewegt sich die Zeichensetzung noch im Toleranzbereich? Erfüllt die Grammatik die Anforderungen der deutschen Sprache?
»Nee, Meister«, sagt der Prüfer dann, »mit diesem Kram kommen Sie aber nicht durch. Diese Kurzgeschichten müssen Sie noch mal dringend überarbeiten und die Gedichte können Sie gleich gegen neue austauschen, da ist nix mehr zu machen. So lange müssen wir Sie aus dem Verkehr ziehen. Kommen Sie in drei Monaten noch mal wieder, dann dürfen Sie vielleicht wieder was veröffentlichen.«
Doch so ist es leider nicht. Im Schriftstellergewerbe darf man tun und lassen, was man will. Passt es hinten und vorne nicht, bezeichnet man das so Zusammengeschusterte ganz einfach als ein Prosagedicht. Es wird sich schon jemand finden, der »Ahh, wie großartig!!« und »Oh, wie toll!!!« ruft. Wenn Sie niemanden kennen, wenden Sie sich bitte einfach an mich. Ich kann Ihnen Leute empfehlen, die alles gut finden, was irgendwer irgendwann mal geschrieben hat.
Die mangelnde Qualität des literarischen Ausstoßes erklärt vielleicht auch, warum manche Autoren unter Pseudonymen schreiben.
Doch dieses Buch beschäftigt sich auch noch mit anderen Fragen: Was ist ein Schriftsteller? Was macht ein Schriftsteller? Was macht ein Schriftsteller außerdem? Kann man das Schreiben lernen? Warum will man eigentlich unbedingt Schriftsteller werden, wenn es doch leichter ist, sein Geld als Versicherungsvertreter zu verdienen?
Fragen über Fragen.
Zeit für ehrliche Antworten.
NOCH EIN VORWORT: WIE SIE DER IDEALE LESER WERDEN
»Wer wird das Zeug lesen?«
Persius
»Is’ ganz gut«, sagte meine Nachbarin, »aber mehr Bukowski wär’ besser.« Ich bereute sofort, ihr mein Buch geliehen zu haben. Und wenn ich ›mein Buch‹ sage, dann meine ich auch ›mein Buch‹. Ich hatte es selbst geschrieben und nun war es endlich bei einem Braunschweiger Verlag erschienen, der sich auf ›Popliteratur‹ (im allerweitesten Sinne) spezialisiert hatte. Was mich störte, war weniger die nur mäßig euphorische Reaktion dieser Leserin, sondern vor allem die Aufforderung, ich solle anders schreiben. Mehr noch: Ich solle schreiben wie jemand anders.
Nicht dass ich hier falsch verstanden werde: Ich schätze Charles Bukowski durchaus. Ich habe seine Bücher einst verschlungen und mag auch diejenigen seiner Werke sehr, die aus dem Nachlass herausgegeben werden. Nur: Sie haben – literarisch – nichts mit mir selbst zu tun. Natürlich habe ich mich in den ersten Jahren, in denen ich mich schreiberisch versucht habe, durchaus von anderen Autoren beeinflussen lassen. (Um ehrlich zu sein: Das ist wohl heute immer noch so – wie sollte es auch anders sein, als dass man das verarbeitet, was man aufnimmt?) Aber in diesem Buch (mit dem, bezieht man ihn auf die Verkaufszahlen, wohl allzu programmatischen Titel »Gute Verlierer«) war von Bukowski meiner Meinung nach gar nichts zu spüren. Null. Niente. Nada. Nothing. Nix. Und so sollte es auch sein.
Aber das ist eine Sache, die jemand, der seine Texte (oder seine Musik, seine Gemälde, seine Fotos) veröffentlicht, als erstes lernen muss. Sobald er sie publiziert hat, verliert er die Kontrolle darüber: Der Leser darf nun damit machen was er will. Und das ist nicht immer schön. Denn er macht es fast immer falsch (auch auf die Gefahr hin, dass ich mir mit diesem Satz sehr viele Feinde mache). Der Autor arbeitet an seinem Werk, er leidet dafür, er quält sich durch einsame Stunden, durch Selbstzweifel, durch Enttäuschungen, durch Langeweile und widersteht – die größte Leistung – den Versuchungen des Sich-Ablenken-Lassens (gerade eben habe ich, als mir das richtige Wort nicht sofort einfiel, ein paar Zeitungen auf der Küchenbank neben mir zurechtgerüttelt, als ob es etwas ausmachen würde, wenn sie nebeneinander und nicht übereinander lägen).
Und dann – ich erhebe anklagend meine Stimme! – kommt so ein unwissender Leser daher und sagt: »Is’ ganz gut«. Um anschließend mitzuteilen, was er (in diesem Falle: sie) eigentlich lieber gelesen hätte.
Meine Damen und Herren: So geht das nicht!
Ist es denn zuviel verlangt, wenn ich ausschließlich – hier neige ich tatsächlich zu einer totalitaristischen Haltung – Begeisterung erwarte? »Phantastisch!«, »Genial!« und »Begnadet!« sind die einzigen angemessenen Reaktionen auf meine Werke.
Die Wirklichkeit sieht natürlich anders aus. Ganz anders.
Es gibt gute Besprechungen. Es gibt mäßige Besprechungen. Es gibt schlechte Besprechungen. Manchmal wird man sogar positiv überrascht und erhält von Rezensenten, die man gar nicht kennt, mit denen man also weder Tisch noch Bett geteilt hat, eine gute, eine sehr gute, eine brillante Besprechung. Vielleicht sogar eine, bei der man merkt, dass dieser Berufsleser das Buch verstanden hat bzw. so verstanden hat, wie es gemeint war. Liest man eine derartige Rezension, erlebt man einen großartigen Augenblick, der all die Mühen der letzten Monate (mitunter: Jahre) vergessen, der einen wieder spüren lässt, warum man eigentlich schreibt.
Weil man Verständnis sucht, weil man sich mitteilen will, weil man etwas zu sagen hat.
Die anderen großartigen Augenblicke sind die, in denen man auf den Kontoauszug blickt und dort ein »+« mit einer Zahl dahinter sieht. Dann verzeiht man auch unwürdigen Lesern und Kritikern und Lektoren und Verlegern und Herausgebern und Veranstaltern und Kollegen ihre Unwissenheit und ihre Unfähigkeit. Denn wenn der Betrag hoch genug ist, kann man sogar die Miete und die Krankenkasse und das Schulgeld und das Kindertagesstättenentgelt und die Versicherungen und die Lebensmittel und die Kleidung für sich und die Frau und die Kinder davon bezahlen. Wenn nicht gerade ein dummer und hässlicher Steuereintreiber um die Ecke biegen würde ...
Also lieber Leser, liebe Leserin, hier noch einmal zusammengefasst: Seien Sie begeistert. Und zahlen sie begeistert. Dann kommen wir ins Geschäft.
Es ist Zeit, sich mal wieder ablenken zu lassen. Ist die Waschmaschine eigentlich schon fertig?
WARUM NICHT JEDER AUTOR AUCH EIN SCHRIFTSTELLER IST
»Während der Einquartierung unterhielten sich einmal einige preußische Offiziere in einem Weinhaus Weimars über die Wohnungen, die sie gefunden hatten. Ein alter, dickbäuchiger Major sagte: ›Ich stehe da bei einem gewissen Gothe oder Goethe – weiß der Teufel, wie der Kerl heißt.‹ Man machte ihn aufmerksam, es sei der berühmte Dichter Goethe, wo er stehe, da antwortete er: ›Kann sein, jaja, nunu, das kann wohl sein, ich habe dem Kerl auf den Zahn gefühlt, und er scheint mir Mucken im Kopf zu haben.‹«
Jakob Wassermann
Ein Buch über den Literaturbetrieb haben Sie hier vor sich liegen. Der Erwerb dieses Buches ist eine gute Entscheidung gewesen bzw. wird eine gute Entscheidung sein, das kann ich Ihnen versichern. Ich muss es wissen, ich habe es nämlich geschrieben. Ich bin also der Autor desselben.
Bin ich damit auch ein Schriftsteller? Das ist die erste Frage, die zu klären wir uns hier anschicken wollen. ›Wir‹ meint natürlich in Wirklichkeit ›ich‹, denn ich habe den Text ja geschrieben und bin somit federführend in dieser Sache. Aber dieses ›wir‹ hat so etwas hübsch heimeliges, gemeinschaftsstiftendes, es bezieht Sie, der Sie dieses Buch lesen, in den Text ein, macht Sie zu einem Teil davon. So ein »wir« benutzen sonst nur Krankenschwestern (»Nun müssen wir ganz kurz die Zähne zusammenbeißen, denn es wird ein bisschen wehtun.«) und Kindergärtner (»Nun wollen wir mal aufhören, uns zu streiten. Wolf-Friedrich, legst du bitte die Schaufel weg? Nein, nicht zuhauen damit. Lass das bitte! ... Verdammte Scheiße noch mal, bist du eigentlich total bescheuert!?«) Ist also jeder Mensch, der ein Buch schreibt, auch ein Schriftsteller? Oder müssen es bestimmte Bücher sein? Oder hat es etwas mit der Qualität zu tun? Was also ist eigentlich ein Schriftsteller?
Fragen wir doch einfach mal die Betroffenen:
Ja, bitte, Herr Feuerbach?
»Die echten Schriftsteller sind Gewissensbisse der Menschheit.«
Der Schriftsteller ein Gewissensbiss? Der Mensch also ein Biss? Und setzt das nicht voraus, dass jede Literatur (Verzeihung, jede »echte« Literatur) das Ziel hat, das Menschengeschlecht zu bessern? Gibt es nicht auch lesenswerte Schriftsteller, die sich mit der Schlechtigkeit des Homo Sapiens arrangiert haben oder denen diese Frage einfach mal kackegal ist? Oder sind das keine echten Schriftsteller, sondern nur unechte? Ja, bitte, Monsieur Gide? Was haben Sie zu sagen?
»Aber Wilde vergaß niemals, dass er Künstler war, und konnte es Dickens nicht verzeihen, menschlich zu sein.« Hmm, der Schriftsteller als Außenstehender, der den Menschen bei deren Treiben zuschaut. Oder gar als Übermensch ...? Und auf Herrn Feuerbach rekurrierend: Ist dann der Übermensch ein Überbiss?
»Wäre nun aber das einfache Volk imstande, die Romanciers, die wahren Romanciers zu lesen, so könnte es bei ihnen die nützlichste aller Lehren finden, die Wissenschaft vom Leben ...«
Monsieur de Maupassant, dass Monsieur Gide bei Ihnen offenen Türen einrennt, habe ich nicht anders erwartet, aber der »wahre« Schriftsteller als unverständliches Vorbild scheint mir eine Sackgasse zu sein. Wenn denn ein Mensch überhaupt eine Gasse sein kann, aber er soll ja auch schon ein Biss sein, warum dann nicht auch eine Gasse?
Ja, bitte, Sie möchten noch etwas sagen?
»Von uns kann man nur eine einzige Sache einfordern: Talent. Haben wir das nicht, dann kann man uns gleich erschießen.«
Ich muss doch sehr bitten! Man stelle sich nur einmal dieses Blutbad vor!
Frau von Ebner-Eschenbach – Sie möchten auch etwas zu der Diskussion beitragen?
»Es schreibt keiner wie ein Gott, der nicht gelitten hat wie ein Hund.«
Hmmm, kann man das wirklich so kategorisch sagen? Oder nähern wir uns damit wieder dem Bild des Schriftstellers als Übermenschen? Nur quasi auf einem Umweg über ein noch zu entwickelndes Negativ? Und hat das damit nicht auch etwas Märtyrer-, um nicht zu sagen Messiashaftes?
Vielleicht halten die Damen und Herren Schriftschaffende ganz einfach mal die Klappe. Ist das möglich?
»Wir schreiben nicht für das Volk, wir sorgen uns wenig um das, was so im Großen und Ganzen das Volk angeht; zugegeben, wir gehören nicht zum Volk. Die Kunst, um welche Sparte auch immer es geht, wendet sich nur an die geistige Elite eines Landes. Wie man das eine mit dem andern verwechseln kann, verwundert mich schon ...« Das gilt auch für Sie, Monsieur de Maupassant! Gerade für Sie!
Noch einmal: Wir sollten vielleicht nicht nur die Betroffenen fragen (die sich ja naturgemäß in einem ihnen genehmen Licht präsentieren möchten), sondern auch Außenstehende.
Mit anderen Worten: Was hat die allwissende Mülltonne aka Wikipedia dazu zu sagen? Bitte sehr:
»Der Begriff Schriftsteller wurde im 17. Jahrhundert aus ›(in) eine Schrift stellen‹ im Sinne von ›verfassen‹ gebildet und ersetzt seitdem als Berufsbezeichnung die Fremdwörter Skribent und Autor. […] Die Gebrüder Grimm zitieren u. a. auch noch Immanuel Kant, für den einer, der zum Publikum im eigenen Namen spricht, Schriftsteller bzw. Autor genannt wird, sowie Friedrich Schiller, für den der Begriff Schriftsteller den des Schöngeists ablöste, während Johann Heinrich Campe Schriftstellerei und schriftstellernals ›niedrige, aber deswegen noch nicht verwerfliche Wörter‹ ansah.«
Ein redebedürftiger Schöngeist also, dessen Tätigkeit jedoch nicht unbedingt verwerflich ist. Na ja, das klingt ja nicht so toll.
Aber wir wollten ja vorerst keine Schriftsteller mehr zu Wort kommen lassen. Was hat Wiki also noch zu sagen?
»Autor ist jeder, der einen Text gleich welcher Art in welchem Medium auch immer veröffentlicht und dafür Urheberrechte geltend machen kann. Die rechtlich ebenso ungeschützte Bezeichnung Schriftsteller sucht hiervon eine Abgrenzung.«
Rechtlich ungeschützt also. Hmm, dann kann sich ja wohl jeder Hanswurst Schriftsteller nennen, oder? Das erklärt ja einiges ... Im Gegensatz zum Fleischermeister z. B., dessen Handwerk ja völlig zu Recht vielerlei Vorschriften unterliegt und dessen Ausbildungsgang schon vorgeschrieben ist. Aber weiter im Text:
»Autoren, die Wert darauf legen, als Schriftsteller bezeichnet zu werden, verbinden dies nicht selten mit einem Leistungsnachweis, der sich nach der Anzahl ihrer nicht im Selbst- oder Zuschussverlag veröffentlichten Bücher, der Höhe der jeweils verkauften Auflagen und der etwaig kritischen Aufnahme durch die Rezensenten bemisst. Unterstrichen wird dies auch noch durch die Option, seinen Lebensunterhalt ausschließlich durch Buchveröffentlichungen zu bestreiten.«
Tatsächlich nähern wir uns nun wohl mit großen Schritten einer vernünftig klingenden Definition von Schriftsteller: Man schreibt. Man wird veröffentlicht. Das Veröffentlichte wird gekauft und für gut befunden. Und man lebt von den Erlösen aus den Verkäufen. Aber hier kommt auch gleich die unumgängliche Einschränkung: »Dies wird zuweilen auch mit der Selbstbezeichnung Freier Schriftsteller kenntlich gemacht – obgleich, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, auch sie nur selten allein von den aus Buchveröffentlichungen erwirtschafteten Tantiemen leben können, sondern sich und ihre weitere Arbeit an den Manuskripten durch Lesungen, Vorträge, Anträge für Stipendien und andere immerhin der Literatur nahe Arbeiten finanzieren müssen.«
Und wie viele Schriftsteller gibt es so?
»Angesichts des Gefälles zwischen dem hohem Anspruch und der Lebenswirklichkeit dürften sich nach der engsten Definition in Deutschland bestenfalls hundert von mehreren tausend in Schriftstellerverbänden organisierten Autoren als Schriftsteller bezeichnen.« So, das saß!
Halten wir auch das noch einmal fest:
1 Schriftsteller darf sich jeder nennen.
2 Die meisten, die sich Schriftsteller nennen, sind – in einem engeren Sinne – gar keine, sondern lediglich Autoren.
3 Schriftsteller gibt es daher kaum.
Wir werden auf den nächsten Seiten auf diese Problematiken noch näher einzugehen wissen.
Wenden wir aber unsere Blicke von diesem Trauerbild ab und der Frage zu, warum einer eigentlich Schriftsteller werden möchte.
WARUM MAN SCHRIFTSTELLER WIRD
»Eine unglückliche Kindheit ist Voraussetzung dafür, Schriftsteller zu werden.«
Ernest Hemingway
Frau von Ebner-Eschenbach (das war die mit dem leidenden Hund und dem schreibenden Gott) wies ja schon im letzten Kapitel darauf hin, dass eine kaputte Kindheit eine gute Motivation oder Inspiration sein kann, den Beruf des Schriftstellers erfolgreich auszuüben. Sie selbst hatte das zweifelhafte Glück, in den Genuss einer solchen gekommen zu sein: Ihre Mutter starb bei ihrer Geburt und auch ihre gar nicht so böse Stiefmutter verlor sie in ihrem siebten Lebensjahre. Weitere Beispiele gefällig? Bitte sehr: Selma Lagerlöf wurde mit einem Hüftleiden geboren und sah sich aufgrund des daraus resultierenden Außenseitertums zur Schriftstellerin prädestiniert. Infolgedessen schrieb sie das nicht unerfolgreiche Buch »Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen«. Auch Gerhart Hauptmann fühlte sich zurückgesetzt und litt unter der Besserbehandlung der adligen Mitschüler. Er rächte sich mit der Erfindung des Naturalismus. Hermann Hesse wusste ebenfalls aus seiner schlimmen Schulzeit und dem darauf folgenden Aufenthalt in einer Nervenheilanstalt literarisches Kapital zu schlagen und feierte mit seinen Jugendromanen »Peter Camenzind« und »Unterm Rad« seine ersten großen Erfolge. Knut Hamsun schoss jedoch in Sachen unglückliches Kind sicherlich den Vogel ab. Seine Eltern gaben ihn nämlich als Pfand für ihre Schulden auf den Pfarrhof seines Onkels, wo man ihn zwang, tagaus, tagein christliche Texte vorzulesen.
»Und wie sieht es bei Ihnen aus, Herr Klingenberg?«, werden Sie jetzt sicherlich völlig zu Recht fragen. »Wie unglücklich waren Sie eigentlich?« Nun, um ehrlich zu sein, bin ich nur deshalb Schriftsteller geworden, weil ich nicht Fußball spielen konnte. Darin war mein nur wenig älterer Cousin wesentlich besser – ich musste mir also etwas suchen, worin ich ihn übertrumpfen konnte. Ich widmete mich also der Schriftstellerei und orientierte mich in meinen ersten Werken an meiner Lieblingsbuchreihe »Burg Schreckenstein«. Auch mein Versuch, eine Karriere als Shouter einer Punkband zu starten, endete schon nach dem allerersten Vorsingen. Selbst für diese Musikrichtung klang meine Stimme zu scheußlich ...
Aber ist das tatsächlich die Regel? Schafft Leiden Leistung? Gibt es darüber überhaupt empirische Erhebungen? Wurden schon Steuergelder in angemessener Höhe verschwendet, um herauszufinden, ob aus metaphernhaften Hunden gottgleiche Autoren werden?
Ich selbst kenne keine diesbezügliche Untersuchung, muss also weiter auf dem glitschglatten Feld der fundierten Spekulation umherschliddern.
Oder verschieben wir die Beantwortung dieser Frage doch einfach noch ein bisschen nach hinten und schauen, ob es noch andere Motivationen gibt, sein Leben dem literarischen Schreiben zu widmen.
These 1: »Solange ein Mensch ein Buch schreibt, kann er nicht unglücklich sein«, behauptet Jean Paul, wogegen ich auch gar nicht opponieren möchte. Aber gibt es nicht auch glückliche Fleischermeister? Oder ausgelassene Fahrlehrer? Gelassene Bäckereifachverkäuferinnen? Lässige Bademeister (gerade die, gerade die!)? Kann also nicht auch ein anderes Gewerk glücklich machen? Das ist zumindest stark zu vermuten.
These 2: »Neun Zehntel unserer ganzen jetzigen Literatur haben keinen anderen Zweck, als dem Publiko einige Taler aus der Tasche zu spielen: dazu haben sich Autor, Verleger und Rezensent fest verschworen«, sagt Schopenhauer, dessen Vorstellung es also war, dass der Schriftsteller den festen Willen hat, sein Dasein auf der Welt damit zu verbringen, den Lesewütigen ein paar Kopeken aus dem Geldbeutel zu leiern. Was aber tut das zehnte Zehntel? Das lehnt sich in den für Philosophen reservierten Ohrensessel zurück und schreibt »Die Welt als Wille und Vorstellung«. Das liest zwar niemand (außer ein paar Zwangsimmatrikulierten) und verdienen lässt sich damit auch nichts, aber wenn man – so wie Schopi – noch damit beschäftigt ist, Vatis Erbe durchzubringen, muss man das ja auch nicht.
Ich sehe mich tatsächlich kaum imstande, dem verehrten Herrn Philosophen an dieser Stelle zu widersprechen. Auch heute will man vor allem Geld damit verdienen, wenn man schreibt und veröffentlicht und eben all das tut, was ein Schriftsteller so den lieben langen Tag treibt. Vielleicht will man damit auch sein vorheriges Dasein als Hund kompensieren, aber auch wenn man das nicht täte, käme man nicht umhin, bei seinem Leben als Schriftsteller den schnöden Mammon nicht zu verachten, denn sonst fehlten einem die nötigen Valuta und man müsste einem anständigen Brotberuf nachgehen – womit wir wieder bei den Fleischern, Soldaten, Fahrlehrern, Bademeistern und Bäckereifachverkäuferinnen wären.
These 3: »Herr Klingenberg, sind Gewinnstreben und Ihre Kindheit in der norddeutschen Tiefebene wirklich die einzigen Gründe, warum Sie Schriftsteller geworden sind?«, möchte ich gerne einmal in einem Interview gefragt werden. »Nein«, werde ich dann lachend antworten, »der eigentliche Grund ist der, dass es so verdammt viel Spaß macht zu schreiben. Man setzt sich an den Rechner. Man ringt um die ersten Wörter. Man überlegt, man probiert aus. Nein, so geht’s nicht.
So auch nicht. Aber so! Man hat den Einstieg gefunden. Endlich! Dann ist man drin im Text und hat einen Flow. Der Text wächst und wächst und wächst bis zu seinem wohlverdienten Ende. Das ist eine so wundervolle Sache!«
Und wenn man einen Text fertig geschrieben hat, freut man sich schon auf das nächste Kapitel.
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