Atemlose Spannung für den Urlaub: Vier Krimis: Krimi Quartett

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

Förnheim hob kurz die Schultern. “Irgendetwas passt hier nicht zusammen.”

“Was meinen Sie damit?”

“Kann ich Ihnen noch nicht sagen. Es betrifft die Schussbahn, die Position des MdBs… Naja, ich habe mehrere Video-Aufzeichnungen aus unterschiedlichen Perspektiven des Vorfalls gesehen und mir ist schon klar, dass das Ganze eine sehr chaotische Situation war.”

“Sie meinen wahrscheinlich das Eingreifen des Leibwächters.”

“Ja, das vor allem. Dadurch ist das entstanden, was man eine hochkomplexe Ereigniskette nennen könnte. Sehen Sie, der Schütze hat gezielt, aber offenbar wurde der Laserstrahl bemerkt und der Leibwächter konnte rechtzeitig eingreifen. Allerdings ist da ein Faktor, der mich etwas irritiert.”

“Und der wäre?”

“Also gehen wir mal davon aus, der Attentäter ist ein Profi und hat eine militärische Ausbildung genossen. Bei einem islamistischen Terroristen wäre das nicht ungewöhnlich. Manche nutzen den Dienst in einer Armee gezielt dafür aus, um entsprechende Kenntnisse zu erwerben…”

“Ja, und?”, fragte ich.

“Der Killer müsste doch gewusst haben, dass man die Laserzielerfassung erst im letzten Moment vor dem Schuss einschalten darf, weil sonst vielleicht bemerkt wird. Wenn man unter den gegebenen Verhältnissen nicht sogar besser darauf verzichtet! Aber um das zu beurteilen, müsste ich mir noch einmal genau die Lichtverhältnisse in den Video-Aufzeichnungen ansehen.”

“Jetzt schwurbeln Sie nicht so herum”, meinte Wildenbacher. “Worauf wollen Sie hinaus?”

“Also zurzeit gehe ich davon aus, dass der Täter schlecht gezielt hat. Und das, obwohl er ein High-Tech-Equipment zur Verfügung hatte! Und im Augenblick denke ich über die möglichen Gründe dafür nach.”

“Er wurde gestört”, gab ich zu bedenken. “Darum wurde der Wachmann erschossen!”

“Das ist zwar bis jetzt nur eine Hypothese, aber in der Tat eine, für die sehr vieles spricht”, nickte Förnheim. “Es gibt noch zwei weitere Möglichkeiten, die in Frage kämen.”

“Und die wären?”, hakte ich nach.

“Er könnte einfach ein schlechter Schütze gewesen sein. Ein Amateur mit der Ausrüstung eines Profis - aber eben doch ein Amateur.”

“Glaubenskriegern und anderen Extremisten kommt es meistens in erster Linie auf die richtige Gesinnung und den nötigen Fanatismus an”, meinte ich. “Nicht auf militärische Präzision.”

“In so fern würde das zum Profil der mutmaßlichen Tätergruppe passen”, meinte Rudi.

“Sie erwähnten noch eine weitere Möglichkeit”, wandte ich mich an Förnheim. Der Forensiker kratzte sich am Kinn. “Naja, vielleicht war das auch keine, die man ernstnehmen sollte und es bleibt bei denen, die ich aufgezählt habe… Im Moment warte ich sowieso dringend auf die Ergebnisse des ballistischen Tests.”

“Wer macht den?”, fragte ich.

“Ein hinlänglich versierter Kollege.” Förnheim seufzte. “Und alles kann man ja schließlich nicht selber machen.”

In diesem Augenblick klingelte Förnheims Handy. Er langte in die Innentasche seines Jacketts und holte sein Smartphone hervor, um das Gespräch anzunehmen.

“Es freut mich überaus, endlich von Ihnen zu hören, Kollege”, sagte er. Wildenbacher verdrehte die Augen, was sicherlich an dem überdeutlich hervortretenden hamburgischen Akzent lag. Ich hingegen hegte die begründete Hoffnung, dass es sich bei der Person am anderen Ende der Verbindung um niemand anderen handelte, als den Kollegen, der die ballistischen Tests durchgeführt hatte.

Förnheim verstummte plötzlich.

Er schien ausgesprochen angestrengt zuzuhören. Eine sehr energisch wirkende Falte bildete sich dabei in der Mitte seiner Stirn und zog sich von der Nasenwurzel bis zum Haaransatz. “Okay, dann weiß ich Bescheid”, sagte Förnheim schließlich.

“Gibt es Neuigkeiten?”, fragte Wildenbacher.

“Ich bin sehr froh, dass Sie bei dem Attentat nicht getroffen wurden, Gerold. Ihre intelligenten Fragen würde ich nämlich sehr vermissen.”

“Ich vermisse im Moment eine Antwort!”

Förnheim hob die Augenbrauen. “Das Ergebnis der ballistischen Vergleichstests ist da. Die Waffe, die der Täter benutzt hat, wurde bereits einmal verwendet. Und zwar bei dem Mordanschlag auf einen gewissen Franz Lutterbeck.”

“Wann war das?”, fragte ich.

“Vor zwei Monaten”, antwortete jetzt Wildenbacher anstelle von Förnheim. “Ich war auf der Beerdigung. Franz Lutterbeck stammte wie ich aus Antonsburg, Bayern. Wir sind auf dieselbe Gesamtschule gegangen und hatten auch später noch immer wieder mal miteinander zu tun, als Franz als Staatsanwalt tätig war.”

“Interessant, dass ein guter Bekannter von Ihnen offenbar in diesen Fall verwickelt ist”, sagte Förnheim.

“Ich hatte mit der Morduntersuchung im Fall Lutterbeck nichts zu tun”, sagte Wildenbacher.

“Was sicher auch besser so gewesen ist”, gab Förnheim zurück. “Sie wären schließlich befangen gewesen.”

Ich wandte mich an Wildenbacher. “Ein MdB wird in Ihrer unmittelbaren Nähe mit derselben Waffe erschossen wie ein alter Schulfreund von Ihnen”, stellte ich fest. “Ich hoffe nicht, dass Sie auch auf der Todesliste des Täters stehen.”

“Da bin ich mir ganz sicher”, sagte Wildenbacher. “Es gibt tatsächlich eine sehr plausible Verbindung zwischen beiden Opfern.”

“Und die wäre?”, hakte ich nach.

“Meinen Sie Lutterbecks rechtliche Einschätzung zur Gefahr durch islamistischen Terror in der Enquéte-Kommission des Bundestages und MdBs Moldenburgs militantes Eintreten für die Verschärfung der Anti-Terror-Gesetze?” warf Förnheim ein.

“Sie sprechen da ein paar wichtige Dinge an”, bestätigte Wildenbacher. “Genau darauf wollte ich hinaus.”

“Es wäre nett, wenn Sie beide uns vielleicht einweihen könnten”, verlangte Rudi. “Welche Enquete-Kommission? Und was hat das mit unserem Fall zu tun?”

“Ich schlage vor, Sie übernehmen das, Gerold”, schlug Förnheim an Wildenbacher gerichtet vor. “Schließlich scheinen Sie ja einiges mehr über Lutterbeck zu wissen als die wenigen Informationsschnipsel, die man mir gerade am Telefon mitgeteilt hat.”

Wildenbacher nickte. “Mein Freund Franz Lutterbeck war ein brillanter Jurist mit einer Bilderbuch-Karriere”, sagte der Pathologe aus Quardenburg. “Im Vorfeld verschiedener Geheimoperationen der Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr, die letztendlich zur Tötung einiger Terroristen geführt hat, hat die Bundesregierung sich durch eine Kommission hochrangiger Juristen beraten lassen, in wie fern eine derartige Operation gegen Terroristen im Ausland durch deutsches Recht gedeckt ist. Man wollte verhindern, dass möglicherweise irgendwann Angehörige oder Nachfahren vor Gerichten einzelne Mitglieder der Regierung verklagen.”

“Wie ich annehme hat Lutterbeck der Regierung juristisch grünes Licht gegeben”, sagte ich.

“So kann man das nicht sagen”, meinte Wildenbacher. “Es ist vielmehr so, dass diese Kommission aus Spitzenjuristen für die Regierung eine Art rechtlichen Rahmen erstellt hat, innerhalb dessen sie handeln konnte und dabei durch die Expertise der Kommissionsmitglieder juristisch einigermaßen abgesichert war.”

“Aber ein Terrorist, der sich als islamistischer Glaubenskrieger versteht, könnte in jemandem wie Lutterbeck natürlich ebenso ein Feindbild erkennen wie in MdB Moldenburg mit seinem Eintreten für schärfere Gesetze”, stellte Rudi fest.

“Das bedeutet, dass sich der Verdacht damit erhärtet hat, dass tatsächlich Terroristen für den Anschlag auf den MdB verantwortlich sind”, meinte Förnheim.

“Fehlt nur noch eine Bekennerbotschaft”, erklärte ich.

Wildenbacher machte eine wegwerfende Handbewegung. “Ich wette, die wird nicht lange auf sich warten lassen”, glaubte er. “Harry, da ist noch was anderes.”

“Was?”, fragte ich.

“Es ärgert mich ungemein, dass man mich in diesem Fall bislang nichts tun lässt, weil man mich anscheinend als irgendwie betroffen ansieht.”

“Sind Sie das denn nicht?”, fragte ich zurück.

“Ach, Harry! Nur weil ich neben einem MdB gesessen habe, auf den geschossen wurde, muss man mich doch nicht wie ein rohes Ei behandeln! Ich bin arbeitsfähig, in keiner Weise in den Fall involviert, der mich voreingenommen oder befangen erscheinen lassen könnte und trotzdem lässt man die Obduktion des toten Wachmanns jemand anderen durchführen.”

“Dieser andere ist auch ein renommierter Kollege”, gab Förnheim zu bedenken. “Das sollte man nicht unerwähnt lassen, Gerold. Und so sehr Sie alle Welt als Papst der Pathologie schätzen mag: Leichen aufschlitzen und in den Gedärmen herumwühlen können auch andere. Mag es Ihnen auch noch so schwer vorstellbar erscheinen!”

“Es ist nicht so, dass ich nicht noch genug Leichen in Quardenburg auf dem Tisch des Hauses liegen hätte”, meinte Wildenbacher, der Förnheims Bemerkung anscheinend gar nicht weiter zur Kenntnis nahm, sondern stattdessen die Unterhaltung mit mir fortsetzte. “Trotzdem werden Sie verstehen, dass mich dieser Fall nicht loslässt.”

“Natürlich”, sagte ich.

“Sie sollten vielleicht mal mit MdB Moldenburgs Frau sprechen”, meinte Wildenbacher. “Sie war nicht an dem Abend anwesend, weil die Tochter der Moldenburgs an dem Abend eine Schulaufführung hatte.”

“Hat Ihnen das der MdB erzählt?”

“Er saß ja neben mir”, sagte Wildenbacher. “Und er hat ein ziemlich mitteilsames Wesen, wenn Sie verstehen, was ich meine.”

Ich verstand das sehr gut. Bei Wildenbacher war das die Umschreibung für einen Dauerredner.

“Ich nehme an, Frau Moldenburg ist jetzt in Berlin, wo ihr Mann behandelt wird”, meinte ich.

 

“Ja, aber ich habe mit ihr inzwischen zweimal telefoniert. Das erste Mal, als ich sie darüber informiert habe, was passiert ist. Und das zweite Mal heute Morgen. Ich wollte nämlich Näheres wissen. Und offenbar ist es so, dass die Moldenburgs in letzter Zeit Drohungen erhalten haben, die explizit Bezug auf Moldenburgs politische Positionen nahmen.”

“Ich nehme an, die Behörden wissen davon.”

“Nein, anscheinend wusste nur Moldenburgs engere Umgebung darüber Bescheid, Harry.”

“Wieso das denn?”, mischte sich Rudi ein. “Normalerweise wird doch gleich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, wenn ein MdB von Terroristen bedroht wird.”

“Genau”, nickte Wildenbacher. “Und genau das wollte Moldenburg offenbar verhindern. Seine persönlichen Sicherheitsleute waren gewarnt, aber er wollte auf gar keinen Fall, dass davon etwas in die Öffentlichkeit dringt oder er sich vor lauter Sicherheitsmaßnahmen gar nicht mehr frei bewegen kann. Möglicherweise hätte dann dieses Charity-Essen hier in Wismar gar nicht stattgefunden…”

“...sondern an einem Ort, der sich besser sichern lässt”, vollendete ich.

“Frau Moldenburg hat mir gesagt, dass ihr Mann in der Öffentlichkeit als kraftvoll und durchsetzungsstark dastehen wollte - nicht als jemand, der sich vor irgendwem verstecken muss. ‘Ein paar Spinner, die fiese Mails schreiben, gibt es immer’, hätte er gesagt. Das müsste man nicht ernst nehmen.”

“Nur dass einer von denen in diesem Fall tatsächlich seinen Plan in die Tat umgesetzt hat”, meinte Rudi.

“Wann fahren Sie zurück nach Quardenburg?”, fragte ich Wildenbacher.

Der Pathologe zuckte mit den Schultern. “Keine Ahnung. Ich dachte, ich verfolge erstmal, was hier am Tatort noch sonst ans Tageslicht kommt.”

10

Etwas später sprachen wir mit Richard Catenhusen. Er gehörte zu den Leibwächtern des MdBs und wahrscheinlich war Johannes E. Moldenburg durch Carters entschlossenes Eingreifen gerettet worden. Catenhusen hatte bei dem Attentat selbst etwas abbekommen. Streifschüsse und Fleischwunden, die in einer Ambulanz in Wismar selbst hatten behandelt werden können. Außerdem hatte er eine ganze Reihe von Hämatomen durch Kugeln, die von seiner Kevlar-Weste abgefangen worden waren.

Wir trafen Catenhusen in seinem Hotelzimmer, nur wenige Fußminuten von der Werner Bretzler Halle entfernt. Vom Hotelzimmer aus hatte Catenhusen einen freien Blick auf den Strand und die Ostsee.

“Es gibt schlimmere Orte, um sich auszukurieren”, meinte er.

“Wir möchten Ihnen gerne ein paar Fragen stellen, Herr Catenhusen”, sagte Rudi.

“Nur zu! Wenn ich etwas kurzatmig erscheine, dann liegt das vielleicht daran, dass ich ein paar üble Prellungen am Oberkörper habe. Aber ich bin froh, dass wenigstens nichts gebrochen ist.” Er verzog das Gesicht. Offenbar hatte er reflexartig doch etwas zu heftig geatmet.

“MdB Moldenburg soll in der Zeit vor dem Attentat bedroht worden sein”, stellte ich fest. “Wissen Sie Näheres darüber?”

“Natürlich. Aber das hat den MdB ehrlich gesagt nicht besonders beunruhigt. Eher schon seine Frau.”

“Wie sahen diese Bedrohungen aus?”

“Es kam immer wieder vor, dass sein Email-Account und sein privates Handy gehackt wurden. Er wurde dabei förmlich mit Hassbotschaften überschüttet.”

“Wurde er beobachtet? Sind irgendwelche Personen dabei auffällig geworden?”

“Ja, das ist auch vorgekommen. In diesen Fällen ist das dann von Ihren BKA-Kollegen überprüft worden - aber es ist nie etwas dabei herausgekommen.”

“Seltsamerweise steht nichts davon in unseren Unterlagen”, sagte Rudi.

“Nein, das wollte der MdB nicht. Er ist den kurzen Dienstweg gegangen, wenn Sie verstehen, was ich meine.”

“Und wie sah der aus?”

“Der zuständige Dienststellenleiter der Polizei in Reichenberg ist ein persönlicher Bekannter des MdBs. Und über dessen Büro hat er die Überprüfungen durchführen lassen. Aber wie ich schon sagte, das war jedesmal blinder Alarm. Wenn Sie in einer Position wie MdB Moldenburg sind und sich dann auch noch politisch so stark exponieren, dann kommt es immer wieder vor, dass Sie den Eindruck haben, dass jemand Sie beobachtet. Manchmal waren es Journalisten, die irgendeine Story über das Privatleben des MdB zusammenschmieren wollten.”

“Wir werden mal mit den Kollegen in Reichenberg sprechen”, sagte ich. Was immer auch über diese Vorfälle festgehalten worden war und wie belanglos sie auch sein mochten, so sicher stand fest, dass wir darüber alles wissen mussten, was es zu wissen gab. Schließlich war es durchaus möglich, dass der Attentäter sein Opfer schon sehr viel früher ausgespäht hatte.

Dasselbe galt für die privaten Handydaten des MdBs. Auch die brauchten wir. Aber das würde noch ein heikles Thema werden und war nicht so einfach durchzusetzen. Schließlich war Moldenburg das Opfer und nicht etwa ein Verdächtiger. Und es gab für Leute wie Moldenburg manchmal durchaus gute Gründe, sich vor der Untersuchung ihrer Handy-Daten zu fürchten. Vor allem dann, wenn es da vielleicht Kontakte gab, deren Existenz nicht an die Öffentlichkeit dringen sollte.

“Ist Ihnen vor Beginn der eigentlichen Veranstaltung irgendetwas aufgefallen, was vielleicht mit dem Anschlag in Zusammenhang stehen könnte?”, fragte ich.

“Also, wenn Sie mich fragen, dann muss ich erstmal eins feststellen: Das ganze war nicht sehr professionell geplant. Das fing schon damit an, dass irgendetwas mit dem Catering nicht so ganz geklappt hat. Da fehlte irgendeine entscheidende Lieferung und es herrschte in der Werner Bretzler Halle die blanke Panik, weil man befürchtete, das Problem nicht bis zum Beginn der Gala lösen zu können. Der Sicherheitsdienst, der eigentlich für die Kontrollen sorgen sollte, war die reinste Chaos-Truppe. Ich hatte den Eindruck, dass die für diesen Anlass eine Menge an zusätzlichem und schlecht geschultem Personal angeheuert haben.”

“Wie kommen Sie darauf?”

“Die Kontrollen beim Einlass waren chaotisch. Erst ging es nicht voran, dann hat man wohl viele Gäste oder vermeintliche Gäste einfach durchgewunken. Meinem ganz persönlichen Eindruck nach war der Einsatz der Kollegen auch schlecht koordiniert. Ich hatte immer das Gefühl, die laufen durcheinander wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Tja, und zu allem Überfluss ist auch noch kurz vor Beginn der Veranstaltung ein Teil der Beleuchtung kaputtgegangen. Zum Glück hat man dann noch ein Elektriker-Team herbeischaffen können.”

“Das heißt, das Licht hat dann doch noch funktioniert.”

“Ja, zum Glück. Die ganze Veranstaltung stand wirklich auf Messers Schneide. Wissen Sie, ich begleite den MdB ja jetzt schon einige Jahre und ich kann Ihnen sagen, dass das unter Sicherheitsgesichtspunkten betrachtet schon sehr… abwechslungsreich war. Gerade in Wahlkämpfen gibt es manchmal Situationen, die der Alptraum jedes Personenschützers sind. Dichtes Gedrängel, aufdringliche Leute, die sich gar nicht nahe genug an ihr politisches Idol herandrängeln können und hin und wieder ein paar Verrückte, die schlicht und ergreifend austicken.”

“Hört sich nicht gerade so an, als wären Sie um Ihren Job zu beneiden!”, meinte ich.

“Ich bin ganz ehrlich. Wenn sich bei einer diese Gelegenheiten ein Selbstmordattentäter mit einem Sprengstoffgürtel in die Nähe meiner Schutzperson begeben würde, wäre ich machtlos.”

“Das wäre jeder.”

“Ja. Aber ich wäre schon froh gewesen, wenn der MdB wenigstens die grundlegenden Vorsichtsmaßnahmen beachtet hätte.”

“Hat er nicht?”

“Er hat das nie besonders ernst genommen. Es gehörte quasi zu seinem Image, keine Furcht zu haben. Einer, der zu einem furchtlosen, kompromisslosen Kampf gegen Terroristen aufruft, kann ja nicht selbst wie eine ängstliche Memme daherkommen und sich verkriechen! So lautete sein Credo.”

“Kann ich nachvollziehen.”

“Außerdem ist MdB Moldenburg auch noch ziemlich eitel.”

“Wie hat sich das ausgedrückt?”

“Er hat keine Schutzweste getragen. Sehen Sie, ich würde jetzt nicht mit Ihnen reden, wenn ich keine Weste angehabt hätte. Kann ja sein, dass man dann etwas pummelig aussieht. Aber ich sage immer: Lieber fett und lebendig als eine Kugel im Bauch. Aber obwohl Frau Moldenburg in diesem Punkt ganz auf meiner Seite war, wollte er davon nichts hören.”

“Aber Sie müssen zugeben, dass bei so einem Charity-Ereignis es schon eher ungewöhnlich gewesen wäre, wenn der MdB da mit einer Kevlar-Weste unter dem Anzug gesessen hätte.”

“Ein Personenschützer wird ja wohl mal träumen dürfen.”

Ich gab Catenhusen eine der Visitenkarten, die das BKA für seine Kriminalinspektoren drucken lässt. “Ich nehme an, Sie bleiben noch ein paar Tage hier in Wismar”

“Mein Boss braucht mich im Moment wohl kaum.”

“Falls Ihnen noch irgendetwas einfallen sollte, dass Sie für relevant halten, dann…”

“...werde ich mich bei Ihnen melden. Ganz bestimmt.”

“Okay.”

“Und wer immer auch hinter dieser Sache stecken mag - ich hoffe, dass Sie sie kriegen.”

“Wir geben uns alle Mühe”, ergänzte Rudi.

11

Als wir ins Freie traten, wehte ein kühler Wind. Es dämmerte bereits.

“Ein fanatischer Attentäter, der nacheinander einen Top-Juristen und einen MdB umbringt”, meinte Rudi. “Dass dabei auch noch ein Wachmann sterben musste, wird das Gewissen dieses Täters nicht sonderlich belasten, wie ich vermute.”

“Für einen Glaubenskrieger geht der Täter überraschend kühl und professionell vor, findest du nicht auch, Rudi?”

“Die Terroristen des 11. September waren auch exzellent vorbereitet”, gab Rudi zu bedenken. “Und das ist nicht das einzige Beispiel. Das sind nicht einfach nur Fanatiker, sondern häufig Personen, die sich über Jahre hinweg auf ihre Taten vorbereiten.”

“Ja, aber der Täter dachte ganz sicher nicht daran, sich selbst aufzuopfern.”

“Das ist zwar ein sehr häufiges, aber kein zwingendes Tatmerkmal bei Verbrechen dieser Art”, gab Rudi zu bedenken.

“Also wenn sich der MdB jetzt für schärfere Gesetze gegen Geldwäsche ausgesprochen hätte und dieser Franz Lutterbeck als ein superharter Staatsanwalt seine Lebensaufgabe in der Bekämpfung des organisierten Verbrechens gesehen hätte, anstatt dem Präsidenten zu helfen, Anti-Terror-Operationen im Ausland juristisch zu rechtfertigen, dann…”

“Dann was?”, hakte Rudi nach, nachdem ich zunächst gestockt und nicht weitergesprochen hatte.

Ich zuckte mit den Schultern, während wir ein Stück weiter gingen. “Dann hätten wir doch wahrscheinlich als erstes vermutet, dass ein Profi-Killer hier aktiv war, oder?”

“Die Umstände sind aber nunmal nicht so, Harry.”

“Vielleicht trifft ja sogar beides zu”, meinte ich.

“Was meinst du jetzt?”

“Na, dass Lutterbeck sich in seiner aktiven Zeit als Staatsanwalt jede Menge Feinde im organisierten Verbrechen gemacht hat und MdB Moldenburg für die Verschärfung von Gesetzen eingetreten ist, die genau diese Leute hart getroffen hätten.”

“Ja, wenn wir jetzt viel Zeit hätten, könnten wir das alles mal sorgfältig überprüfen, Harry.”

“Das lässt sich schon herausfinden…”

“Im Moment würde ich sagen, sollten wir den offensichtlichen Spuren folgen und vor allen Dingen erst einmal die naheliegendsten Fragen endlich vernünftig beantworten.”

Ich sah Rudi etwas erstaunt an. “Und was sind deiner Meinung nach die naheliegendsten Fragen?”

“Na, da gibt es einige. Aber ganz oben steht diese auf meiner Liste, Harry: Wie hat es der Schütze geschafft, unbemerkt in die Veranstaltung zu kommen, sich offenbar unbehelligt hinter dem Vorhang an der Balustrade zu postieren und das Attentat durchzuführen. Nur mit Schlamperei und Nachlässigkeit bei dem Security Service oder meinetwegen auch der mangelnden Professionalität von Hilfskräften ist das nicht zu erklären. Und selbst wenn das der entscheidende Faktor gewesen sein sollte, dann wüsste ich doch ganz gerne, wie genau das vor sich gegangen ist!”

“Du sprichst immer so von dem Täter, dass man annehmen könnte, du meinst einen Mann.”

“Naja…”

“Genau genommen wissen wir noch nicht einmal das, Rudi.”