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Ritter von Harmental

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VII.
Gott lenkt

Harmental war unterdessen, wie wir wissen, im Galopp davon gesprengt, überzeugt, daß er keinen Augenblick zu verlieren habe, um die durch den plötzlichen Tod des Capitains zur Ausführung des gewagten Unternehmens nothwendig gewordenen Veränderungen zu treffen. Er begab sich demnach, so eilig ihn ein Roß fortzutragen vermochte, nach dem Pferdemarkt; aber so viele Mühe er sich auch gab, er konnte die zwölf bis fünfzehn Leute des Capitains nicht herausfinden, da sie wie die übrigen Pferdeverkäufer gekleidet waren.

Vergebens durchstrich Harmental den Markt bis fünf Uhr. Um acht oder neun Uhr sollte der Regent von Chelles zurückkehren, es war also kein Augenblick Zeit zu verlieren, zumal da dies der letzte verzweiflungsvolle Schlag der Verschworenen war, welche mit jedem Moment arretiert zu werden befürchten mußten. Er hatte die Ehre des Unternehmens verlangt, und auf ihm lastete daher auch die ganze Verantwortlichkeit.

Harmental war aber ein Mann von entschlossenem Charakter, und sein Entschluß war daher auch schnell gefaßt. Er durchstrich noch einmal den Markt, nach allen Richtungen hin, um zu sehen, ob sich nicht einer von denen, die er suchte, etwa durch seine Ungeduld verrathen würde, da indeß auch dieser letzte Versuch neuerdings fruchtlos blieb, so setzte er sein Pferd in Galopp, sprengte nach dem faubourg St. Antoine, stieg vor dem Hause No. 15 ab, flog fünf Stiegen hinan und fand oben angelangt, in einem Dachstübchen die Herzogin von Maine, mit ihren oft erwähnten vier Begleitern.

Alle stießen bei einem Erscheinen einen Schrei des Erstaunens aus. Harmental erzählte alles was sich zugetragen, alles, den Tod des Roquefinette, sein vergebliches Nachsuchen, und forderte alsdann Laval Pompadour und Valef auf, mit ihm allein die kühne That zu vollbringen. Die genannten Herren erklärten sich auch sofort dazu bereit, und versprachen dem Chevalier in Allem zu folgen.

Noch war also nichts verloren, denn vier entschlossene Männer, die für ihre Rechnung handelten, konnten leicht zwölf bis funfzehn erkaufte Landstreicher ersetzen. Die Pferde fanden gesattelt, alle waren gut bewaffnet; Avranches war noch nicht fort, welches die kleine Schaar um einen kräftigen Mann vermehrte; man ließ schwarzsammtne Masken holen, um dem Regenten die Züge einer Entführer wenigstens so lange als möglich zu verbergen, ließ die Herzogin von Maine, Malezieux und Brigaud zurück, gab sich ein Rendezvous bei St. Mandé und sprengte alsdann einzeln von dannen, um keinen Verdacht zu erwecken. – Eine Stunde darauf hatten sich die fünf Verschwornen wieder vereinigt, und nunmehr legten sie sich zwischen Vincennes und Nogent-für-Marne in einen Hinterhalt. Es schlug sechs ein halb Uhr auf dem Thurm des Schlosses.

D’Avranches hatte Erkundigungen eingezogen. Der Regent war um drei ein halb Uhr den Weg passirt, er hatte weder Gefolge noch Wachen bei sich, er befand sich in einem vierspännigen, von zwei Jokeys geführten Wagen, ein einziger Courier eilte voran. Es war also durchaus kein Widerstand zu fürchten. Man hielt den Prinzen an, was brachte ihn nach Charenton, wo der Postmeister, wie schon erwähnt, der Herzogin von Maine durchaus ergeben war. Man fuhr dort in den Hof, dessen Thür sogleich hinter dem Wagen geschlossen wurde. Man zwang ihn darauf, in eine Postchaise zu steigen, die dort angespannt, der Postillon im Sattel, bereit stand. Harmental und Valef setzten sich neben ihn, man fuhr im Galopp von dannen, man passierte die Marne, die Seine, erreichte Grandvaux, und befand sich zu Montthery auf dem Wege nach Spanien. Wollte der Regent unterweges nach Hilfe rufen, so wollte man ihn durch Drohungen zum Schweigen bringen, und wenn es ihm dennoch gelingen sollte, den erwähnten Paß benutzen, welcher den Regenten als einen Wahnsinnigen bezeichnete, der sich für den Herzog von Orleans halte, und den man zu seiner Familie zurückführe, welche in Saragossa wohne. Kurz man begreift, das Ganze war ein wenig gewagt; solche Unternehmungen aber pflegen in der Regel zu gelingen.

Es schlug sieben, es schlug acht Uhr. Harmental und seine Gefährten bemerkten mit Vergnügen, daß es immer dunkler und dunkler ward; um acht ein halb Uhr war es ganz finster geworden. Um neun Uhr glaubte man endlich ein fernes Geräusch zu vernehmen. Avranches legte sich platt auf die Erde, und hörte deutlich das Rollen eines Wagens. In demselben Augenblick gewahrte man in einiger Entfernung von tausend Schritten, bei einer Biegung des Weges, ein Licht, einem Sterne gleich, aufblitzen. Kein Zweifel mehr, das war der Courier mit der brennenden Fackel; bald erkannte man auch wirklich den Wagen an den beiden Laternen. Die Verschwornen drückten sich einander noch einmal die Hand, nahmen ihre Larven vor das Gesicht, und jeder flog alsdann auf seinen Posten.

Der Wagen rollte rasch heran; es war in der That der des Herzogs von Orleans, bei dem Lichte der Fackel erkannte man den rothen Anzug des Couriers, welcher sich ungefähr 25 Schritte vor dem Wagen befand. – Die Straße war todtenstill und menschenleer, Alles schien den Plan der Verschwornen zu begünstigen. Harmental warf noch einen Blick auf seine Gefährten, er sah in der Mitte des Weges Avranches, welcher sich trunken stellte; Laval und Pompadour fanden an jeder Seite des Weges, ihnen gegenüber stand Valef das Pistol im der Hand.

Der Wagen kam immer näher und näher. Schon war der Courier an Harmental und Valef vorüber; da aber sprengte. Jener plötzlich gegen Avranches an, welcher sich rasch aufrichtete, seinem Pferde in den Zügel fiel, ihm die Fackel entriß und sie verlöschte. Bei diesem Anblick wollten die Jokeys mit dem Wagen umwenden, aber es war zu spät, Pompadour und Laval waren herbei geeilt, und hielten sie durch die vorgehaltenen Pistolen in Respect, während Harmental und Valef sich an jede Seite des Wagens begaben, die Laternen verlöschten, und dem Regenten andeuteten, daß man ihm gar nicht nach dem Leben trachte, daß man aber, falls er Widerstand leisten, oder um Hilfe rufen würde, zu dem Aeußersten schreiten werde.

Ganz gegen Harmentals und Valefs Erwarten, die den Muth des Prinzen kannten, erwiderte dieser ganz ruhig: »Schon gut, meine Herren, fügen Sie mir nur kein Leid zu, ich bin bereit, Ihnen überall hin zu folgen.«

Harmental und Valef warfen jetzt einen Blick auf die Landstraße, und sahen ihre drei Gefährten, welche den Courier, die beiden Jokeys, so wie das Pferd des Ersteren und zwei, die man von dem Wagen abgespannt, in das Dickicht führten. Der Chevalier sprang darauf von seinem Pferde, warf sich auf das des Jokeys; Laval und Valef ritten an jedem Wagenschlage. Der Wagen rollte rasch von dannen, schlug den Weg links ein, und rollte geräuschlos und ohne Licht auf Charenton zu.

Am Ende der Straße aber, traf Harmental auf das erste Hinderniß. Sey es Zufall oder Absicht, genug, die Barriere war geschlossen, man mußte also umkehren und einen andern Weg einschlagen. Der Chevalier wandte also die Pferde, und nahm eine andere gleichfalls nach Charenton führende Straße. Einen Augenblick lang glaubte er Menschen vor sich zu erblicken, bald aber verschwand diese Vision wieder und der Wagen rollte ungehindert weiter.

Als man sich darauf einem Kreuzweg näherte, glaubte Harmental plötzlich das Schnaufen von Pferden und ein Waffengerassel zu vernehmen, so als ob Säbel aus den Scheiden gezogen würden; aber say es nun, daß er meinte, es say der Wind, der durch die Blätter pfeife, genug er achtete nicht darauf, sondern setzte die Fahrt mit der bisherigen Schnelligkeit fort. Bei dem Kreuzwege angelangt aber, gewahrte Harmental, daß die zu demselben führenden Wege durch eine Art von Mauer verschlossen waren. Der Chevalier hielt sofort den Wagen an und wollte umwenden, aber plötzlich hatte sich hinter demselben ebenfalls eine Art von Mauer erhoben. In diesem Augenblick hörte er, wie Laval und Valef riefen: »wir sind umringt, rette sich wer kann!« worauf Beide über den Graben setzten und im Dickicht des Waldes verschwanden. Harmental war es durchaus unmöglich, seinen Gefährten zu folgen, da er auf einem angespannten Pferde saß; da er also die lebendige Mauer, die wie er sich erst jetzt überzeugte aus grauen Musquetairs gebildet war, nicht umgehen konnte, beschloß er sie über den Haufen zu rennen, bohrte seinem Pferde die Sporen in beide Seiten, neigte sich, in jeder Hand ein Pistol haltend, so tief hinab als er konnte, und sprengte verzweiflungsvoll in das lebendige Gemäuer hinein; kaum aber hatte sein Pferd zehn Sprünge gemacht, als es von einer Musketenkugel getroffen, unter ihm zusammenstürzte, so daß das eine Bein Harmentals unter dem Thiere lag.

Acht oder zehn Reiter saßen sofort ab und eilten auf Harmental zu, welcher das eine Pistol aufs Gerathewohl auf sie abfeuerte, während er das andere gegen seine Stirn hob, um sich den Kopf zu zerschmettern; er hatte indeß hierzu nicht Zeit, zwei Musquetairs fielen ihm in die Arme und vier andere zogen ihn unter dem Pferde heraus. Man ließ den vorgeblichen Prinzen aus dem Wagen steigen, der nur ein verkleideter Diener war; man hob Harmental hinein, zwei Offiziere setzten sich zu ihm, man spannte ein anderes Pferd vor, der Wagen ward wieder in Bewegung gesetzt, und schlug, von einer Escadron Musquetairs begleitet, einen anderen Weg ein. Eine Viertelstunde darauf rollte derselbe über eine Zugbrücke, eine schwere Pforte knarrte in ihren Angeln und Harmental fuhr durch einen gewölbten Gang, an dessen anderem Ende ein Herr in Obristen-Uniform einer harrte. – Es war Herr de Launay, Gouverneur der Bastille.

Sollten unsere geneigten Leser noch nicht errathen haben, auf welche Weise dieser neue Entführungsplan entdeckt worden, so bitten wir sie, des Gesprächs zwischen Dubois und der Fillon zu gedenken. Die Gevatterin und Spionin des ersten Ministers hatte hinter einer hölzernen Wand versteckt gehört, was Harmental und Roquefinette mit einander sprachen. Dubois war noch an demselben Abend von Allem benachrichtigt worden, und hatte die erzählten Maßregeln ergriffen, um die Schuldigen auf der That zu ertappen.

 

VIII.
Das Gedächtniß eines Premierministers

Als Bathilde ihre Augen wieder aufschlug, fand sie sich auf einem Bette in dem Zimmer der Demoiselle Emilie Denis. Mirza ruhte am Fuße ihres Lagers, die beiden Schwestern standen neben demselben und Buvat saß in einem Winkel mit niedergesenktem Haupte.

Anfangs schwammen Bathildens Gedanken wild durch einander. Ihr erstes Gefühl war ein physischer Schmerz, sie führte die Hand nach ihrem Kopf, die Wunde war hinter der Schläfe. Ein Wundarzt, den man herbeigerufen hatte, hatte einen Verband darauf gelegt, und bemerkt, man möge ihn wieder rufen, wenn das Fieber sich zeigen sollte. Staunend blickte sie um sich, bis endlich die Erinnerung an das, was sich zugetragen, nach und nach bei ihr erwachte. Sie stieß neuerdings einen lauten Schrei aus. In diesem Augenblick gewahrte die Buvat, sie streckte ihm ihre Arme entgegen.

Der ehrliche Abschreiber näherte sich unter heißen Thränen ihrem Lager. »Kannst Du mir verzeihen, Bathilde! – ach, ich wußte ja nicht – hättest Du gesprochen –«

»Sprechen Sie so nicht, mein lieber Papa!« sprach Bathilde, »suchen Sie nur in Erfahrung zu bringen, was aus ihm geworden ist, ich beschwöre Sie darum.«

»Ich gehe, gehe schon,« sprach Buvat, indem er seine Thränen trocknete, »wollte Gott, mein liebes Kind, ich könnte Dir gute Nachrichten bringen.«

So sprechend nahm er Hut und Stock und verließ das Zimmer.

Es war in der That nicht leicht, Harmentals Spur zu verfolgen. Zwar erfuhr er von einer Nachbarin, daß jener auf einem Apfelschimmel fortgeritten, und zwar um die Ecke der Rue Gros Chenet gebogen say. Weiter bis zu der Porte St. Denis aber reichte diese Art von Nachforschung nicht.

Buvat fand bei seiner Rückkehr seine Pflegetochter kranker als er sie verlassen hatte, denn das von dem Wundarzt prophezeihte Wundfieber bereitete sich vor. Madame Denis hatte wieder zu dem Arzt geschickt, die gute Frau war gleichfalls in großer Unruhe, denn sie befürchtete jetzt, und wie wir wissen mit Recht, daß der Abbé Brigaud mit in die Verschwörung verwickelt say.

Der Arzt erschien und in seinem ernsten Gesicht war zu lesen, daß er Bathildens Zustand sehr verschlimmert fand. Er schlug ihr die Ader, verordnete einen kühlenden Trank und gebot, fortwährend jemand bei der Kranken wachen zu lassen. Emilie erklärte, daß sie dies Amt für die mit. Nacht übernehmen wolle, während Buvat sich, auf Bathildens ausdrückliches Verlangen, in seine Wohnung zurückzog.

Alle Uebrigen begaben sich nach und nach hinweg. Emilie hatte schon ihre Nachtwache angetreten, als plötzlich zwei bis dreimal stark an die Hausthür gepocht wurde. Bathilde schrak zusammen und richtete sich von ihrem Lager auf, Emilie legte das Buch, in welchem sie las, bei Seite, und trat zu dem Bett der Kranken; man hörte die Hausthür und einige andere Thüren öffnen und wieder schließen. Endlich vernahm man eine Stimme, und noch bevor Emilie bemerkte: »es ist nicht die Stimme des Herrn Raoul, sondern die des Abbé Brigaud, war Bathilde wieder zurück auf ihr Kissen gesunken.«

Einen Augenblick darauf öffnete Madame Denis die Thür, und rief Emilie, welche auch dem Rufe folgte, so daß Bathilde nunmehr allein blieb. Plötzlich aber begann Bathilde zu zittern, der Abbé befand sich in einem angränzenden Gemach, und es war ihr, als höre sie den Namen Raoul aussprechen. Sie legte ihr Ohr dicht an die Wand, um nur etwas zu erhorchen. Brigaud erzählte Madame Denis, was sich zugetragen. Valef war nach dem faubourg St. Antoine geeilt, um der Herzogin von Maine zu sagen, daß Alles gescheitert say; die Herzogin hatte sogleich die Verschwornen ihres Wortes entlassen, und Malezieux und Brigaud aufgefordert, – sich durch die Flucht zu retten. Sie selbst zog sich in das Arsenal zurück. Brigaud war demnach gekommen, um der Madame Denis Lebewohl zu sagen, er wollte suchen, in der Kleidung eines Colporteurs nach Spanien zu gelangen.

Es war indeß nicht Zeit zu langem Abschiednehmen, und nachdem Madame Denis und ihre beiden Töchter unter vielen Thränen dem theuren Abbé ein Lebewohl gesagt hatten, verließ dieser mit Bonifaz, der ihn durchaus bis an die Barriere begleiten wollte, das Zimmer, um seine Flucht anzutret

Da aber hörten sie plötzlich, wie unten der Schließer des Hauses sich dem Fortgehen einer Person zu widersetzen schien. Sie eilten hinab. Bathilde welche die Trauerkunde von dem Schicksal ihres Geliebten erhorcht hatte, stand am Fuße der Treppe, mit aufgelöstem Haar, entblößten Füßen, in einen Mantel gehüllt und wollte trotz aller Vorstellungen zum Hause hinaus. Ihr Fieber hatte sich bis zum Irrsinn gesteigert, sie wollte zu Raoul, wollte ihn wiedersehen, wollte mit ihm sterben. Endlich versagte ihr ihre Kraft, man trug sie ohnmächtig auf ihr Lager.

Mit Anbruch des Tages kehrte Bonifaz zurück; er hatte Brigaud bis an die Barriere begleitet, von wo aus der Abbé auf einem raschen Pferde, in seiner Verkleidung die spanische Grenze zu erreichen hoffte.

Das heftige Fieber Bathildens währte fort. Sie phantasirte von ihrem Raoul und nannte oft Buvats Namen, den sie anklagte, den Tod des Letzteren veranlaßt zu haben. Buvat, welcher sich schon mit Tagesanbruch wieder eingefunden hatte, weinte und sann vergebens nach, wie er das Uebel, das er angerichtet, wieder gut machen könne. Endlich schien er einen Entschluß gefaßt zu haben, er drückte einen Kuß auf die fieberhaft brennende Hand Bathildens, welche ihn nicht erkannte, und eilte von dannen.

Der ehrliche Schreiblehrer wollte Dubois aufsuchen und ihn, statt der ihm versprochenen Zahlung seines Rückstandes als Belohnung seiner Dienste, um die Begnadigung Harmentals anflehen. Das war seiner Meinung nach, das Wenigste, was man einem Manne gewähren konnte, den der Minister selbst den Retter Frankreichs genannt hatte.

Es war zehn Uhr vorüber, als Buvat bei dem Palais-Royal anlangte. Er hatte indeß schlecht seine Zeit gewählt, Dubois, welcher seit fünf oder sechs Tagen rastlos auf den Beinen gewesen war, litt entsetzlich an der Krankheit, an der er einige Monate später starb; überdem war er sehr übler Laune, daß Harmental allein gefangen war; und soeben hatte er Leblanc und Argenson anbefohlen, den Proceß mit möglichster Strenge einzuleiten, als ihm von seinem Kammerdiener Herr Buvat gemeldet wurde.

»Wer ist Herr Buvat?« fragte der Minister.

»Ich bin es, gnädigster Herr, erwiderte Buvat, welcher sich zwischen die Thür und den Kammerdiener durchwagte und sich demüthig vor Dubois verbeugte.

»Wer sind Sie? fragte Dubois, so als ob er ihn nie gesehen hätte.

»Wie, erkennen Sie mich nicht?« fragte Buvat ganz erstaunt. »Ich komme Ew. Eminenz über die Entdeckung der Verschwörung meinen Glückwunsch darzubringen.«

»Ich habe solche Gratulationen schon genug empfangen, ich danke für die Ihren,« versetzte Dubois in einem trocknen Tone.

»Aber gnädigster Herr, ich komme auch noch um eine Gnade zu bitten.«

»Eine Gnade, und was wäre das?«

»Ew. Eminenz werden sich erinnern, daß Sie mir huldreicht eine Belohnung versprachen.«

»Eine Belohnung, Ihnen?«

»Wie, gnädigster Herr, erinnern Sie sich doch, haben Sie mir nicht in diesem Cabinette gesagt, daß mein Glück in meinen eigenen Händen ruhe?«

»Heute,« unterbrach ihn Dubois, »heute beruht Ihr Leben auf Ihren Beinen, denn wenn Sie sich nicht schnell davon machen – –«

»Aber – gnädigster Herr!!« –

»Was, Du raisonnierst noch, Bursche!« rief Dubois, indem er sich in seinem Lehnsessel ein wenig aufrichtet, nimm Dich in Acht, oder Du sollst sehen – –«

Buvat hatte schon genug gesehen. Bei der drohenden Geberde des Ministers wandte er sich rasch und eilte von dannen. Er hörte indeß noch, daß Dubois seinem Kammerdiener fluchend befahl, ihn todt zu prügeln, wenn er sich je wieder im Palais-Royal zeigen sollte.

Buvat begriff jetzt nur zu gut, daß von dieser Seite nichts mehr zu hoffen say, und da ein Weg an der Bibliothek vorüber führte, beschloß er hinauf zu gehen und sich bei seinem Vorgesetzten über ein langes Wegbleiben zu rechtfertigen. Hier aber erwartete ihn ein neuer Schmerz, als er die Thür des Bureaus öffnete, sah er zu einem Schrecken seinen Platz bereits durch einen Andern besetzt.

Buvat hatte eine Stelle auf der Bibliothek verloren weil – er Frankreich gerettet hatte. Das war mehr Mißgeschick als der arme Mann ertragen konnte, er kehrte in seine Wohnung zurück, fast eben so krank wie Bathilde.

IX.
Bonifaz

Unterdessen ließ Dubois den Prozeß gegen Harmental mit der größten Strenge fortsetzen, denn er hoffte, daß dessen Aussagen ihm die Waffen gegen diejenigen liefern würden, die er so gern treffen wollte. Harmental aber blieb in dieser Rücksicht verschwiegen wie das Grab, und beschränkte sich auf die Erklärung, daß er jene That ganz allein für sich unternommen habe, um sich für die, ihm von Seiten des Regenten gewordene Zurücksetzung zu rächen. Hinsichtlich der beiden Männer, die ihm bei dem Unternehmen hilfreiche Hand geleistet, versicherte er, es sayen ein Paar armselige Bursche gewesen, die er angeworben, und die nicht einmal gewußt hätten, wen sie eskortierten. Auch erwiderte er auf alle an ihn ergangene Fragen, daß er den Herzog und die Herzogin von Maine nur ein- oder zweimal gesprochen habe, und daß sie ihm niemals eine politische Mission übertragen hätten.

Man hatte nach und nach Laval, Pompadour und Valef arretiert, und gleichfalls in die Bastille geführt. Da sie aber wußten, daß sie auf den Chevalier zählen kannten, so läugneten sie hartnäckig Alles. Dubois war wüthend, und da ein Plan, den Herzog und die Herzogin von Maine durch diesen Schlag zu vernichten, durch Harmentals Festigkeit vereitelt wurde, so richtete sich jetzt sein ganzer Zorn gegen diesen.

Unterdessen hatte sich Bathildens Krankheit immer mehr gesteigert, so daß das arme Mädchen an den Rand des Grabes gebracht wurde; aber endlich trug ihre Jugend den Sieg davon. Nach und nach erkannte sie ihre freundliche Umgebung wieder; sie reichte der Madame Denis und ihren Töchtern die bleiche, zitternde Hand hin, sie richtete Worte an sie; den Namen Raoul aber sprach sie nie aus, und Jedermann glaubte, ihre Krankheit habe die furchtbaren Begebenheiten aus ihrem Gedächtnisse verwischt; Jedermann aber irrte sich, es verhielt sich damit folgendermaßen:

Eines Morgens, als man Bathilde eingeschlummert glaubte, und sie einen Augenblick lang allein gelassen hatte, hatte Bonifaz, der trotz des erhaltenen Korbes noch immer eine große Anhänglichkeit für seine Nachbarin hegte, wie er jeden Tag zu thun pflegte, die Thür ein wenig geöffnet und einen dicken Kopf hinein gesteckt. Bathilde aber, welche nicht schlief, hatte sich schnell entschlossen, von ihm dasjenige zu erlangen, worüber sie, wie sie glaubte, die Andern nur vergeblich befragen würde: nämlich Nachrichten hinsichtlich Raouls. Sie streckte ihm ihre bleiche Hand entgegen, und der treuherzige Bonifaz, der früher nur durch einen augenblicklichen Unmuth verleitet worden war, harte Aeußerungen über Bathilde auszusprechen, den aber sehnlichst nach einer Gelegenheit verlangte, diesen seinen Fehler wieder gut machen zu können, folgte freudig ihrem Winke. Bathilde beschwor ihn darauf, ihr Alles, Alles zu sagen, was er von Harmental erfahren habe. Er theilte ihr nunmehr auch wirklich mit, daß derselbe sich in der Bastille befinde. Bathilde ließ sich von dem wackeren Bonifaz auf das Feierlichste geloben, die täglich und insgeheim in Kenntniß zu setzen, wie es mit ihrem Geliebten stände, ja, sie drang ihm sogar das feierliche Versprechen ab, sie, falls Harmental zum Tode verurtheilt werden sollte, davon zu benachrichtigen, und sie, wenn sie es von ihm verlangen sollte, selbst bis zu dem Schafotte zu begleiten.

So erfuhr Bathilde denn nach und nach, daß Harmental zwar strenge verhört werde, daß er aber durchaus nichts eingestände, und da auf diese Weise der Brust der armen Dulderin ein schwacher Hoffnungsstrahl erhalten wurde, so trug dieser unstreitig viel dazu bei, die ihrer Genesung bald entgegen zu führen, so daß sie nach vierzehn Tagen, zur Freude ihrer Umgebung, ihr Lager verlassen konnte.

Eines Tages kehrte Bonifaz gegen seine Gewohnheit schon gegen drei Uhr von seinem Procurator zurück, und trat in das Zimmer der Kranken. Der arme Bursche sah so bleich aus, daß Bathilde auf der Stelle überzeugt war, er bringe ihr eine böse Kunde, sie stieß einen lauten Schrei aus und rief: »Es ist gewiß keine Rettung mehr!«

»Ach,« seufzte Bonifaz, »es ist seine eigene Schuld, er ist auch gar zu eigensinnig! Man hat ihm eine Begnadigung versprochen, wenn er seine Mitverschwornen nennen wolle, aber Alles vergebens, er schwieg.«

 

»So ist also alle Hoffnung dahin,« jammerte Bathilde, »er ist also verurtheilt.«

»Diesen Morgen, Mademoiselle Bathilde, diesen Morgen!«

»Zum Tode, zum Tode?« fragte Bathilde verzweifelnd.

Bonifaz machte ein bejahendes Zeichen.

»Und wann – wann?«

»Morgen früh – acht Uhr!«

»Gut,« sprach Bathilde.

»Aber vielleicht ist doch noch Hoffnung, bemerkte Bonifaz.

»Und welche, welche?« fragte Bathilde rasch. »Wenn er sich entschließt, bis dahin die Mitschuldigen zu nennen. Sehen Sie, Mademoiselle ich meinerseits, ich würde ohne Umstände sprechen: ich bin es nicht, aber der ist es und der und der

»Bonifaz,« rief Bathilde plötzlich entschloßen. »Ich muß auf der Stelle fort!«

»Sie, Mademoiselle Bathilde, es würde Ihnen den Tod bringen.«

»Ich muß fort, sage ich Ihnen, ich muß, ich muß!«

»Aber Sie können sich ja kaum auf den Beinen erhalten.«

»Sie irren Bonifaz, ich habe Kraft genug, sehen Sie!« Und mit festem Schritt ging Bathilde im Zimmer auf und ab.

»Ueberdem bitte ich Sie, mir einen Fiacker zu besorgen.«

»Aber Mademoiselle – –

»Bonifaz, mein lieber Freund, Sie haben versprochen, mir zu gehorchen. Bis jetzt haben Sie getreulich Wort gehalten. Sind Sie etwa mein Freund nicht mehr? Sind Sie etwa Ihres Versprechens überdrüssig?«

»Ich, ich Ihr Freund nicht mehr! Bewahre mich der Himmel! Ich eile den Wagen zu holen!«

So sprechend eilte er fort.

Bathilde ordnete schnell ihren Anzug; sie trug ein einfaches weißes Kleid, das ein Gürtel zusammenhielt, sie warf einen kleinen Mantel über die Schultern und schickte sich an das Zimmer zu verlassen, da trat ihr Madame Denis entgegen. »Um Gotteswillen was haben Sie vor liebes Kind?« fragte die gute Frau.

»Ich muß fort, Madame Denis, ich muß fort! Halten Sie mich zurück, würde ich sterben.«

»Aber wohin wollen Sie?«

»wissen Sie denn nicht daß er verurtheilt ist, Madame?«

»Wie, um Gotteswillen, haben Sie das erfahren ?

»Gleichviel!« rief Bathilde.«Noch ein Mittel besitze ich vielleicht ihn zu retten. Lassen sie es mich also versuchen, es ist das Letzte, was uns übrig bleibt!«

»So gehen Sie mein liebes Kind, und Gott say mit Ihnen, sprach Madame Denis, von dem bewegten Tone Bathildens überredet. Bathilde eilte fort, die Treppen hinab, über die Straße in ihr Zimmer, welches sie seit dem Tage der schrecklichen Catastrophe nicht wieder betreten hatte. Buvat und die ehrliche Nanette versuchten vergebens, sie von ihrem Vorsatze abzuhalten. Was aber willst du thun mein liebes Kind?« fragte der ehrliche Abschreiber unter Thränen.

»Meine Pflicht, antwortete Bathilde. Sie öffnete darauf ihren Schreibeschrank, und zog aus demselben einen Brief hervor.

»Ja, ja Du hast Recht, Kind Du hast Recht, rief Buvat, »den Brief hatte ich ganz vergessen.«

»Ich gedachte seiner,« sprach Bathilde, indem sie den Brief küßte und ihn auf ihrer Brust barg.

»Es ist das einzige Erbtheil, das mir meine Mutter hinterlassen.«

In diesem Augenblick rollte der Wagen vor.

»Vater! Nanette! betet, betet inbrünstig, daß mir mein Vorhaben gelinge,« rief sie und eilte hinab in den Wagen.

»Wohin?« fragte der Kutscher, »Ins Arsenal,« antwortete Bathilde.