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Ritter von Harmental

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VII.
Der Consul Duilius

An dem Tage, welcher der Nacht folgte, in der die so eben erzählten Begebenheiten stattgefunden hatten, begab sich der Herzog von Orleans, der glücklich wie der in dem Palais Royal angelangt war, nachdem er die Nacht über recht gut geschlafen hatte, zu der gewöhnlichen Stunde, das heißt um elf Uhr Morgens, in ein Arbeits-Cabinet. Dank dem sorglosen Charakter, mit dem ihn die Natur begabt hatte, und der ein Resultat eines Muthes, seiner Verachtung jeglicher Gefahr und seiner Geringschätzung des Todes war, war es nicht nur unmöglich, in einem Gesicht auch nur die geringste Veränderung zu bemerken, sondern er hatte, wahrscheinlich in den Armen eines gesunden Schlafs, die seltsame Begebenheit deren Opfer er fast geworden wäre, ganz und gar vergessen.

Das Cabinet, welches er betrat, hatte das Merkwürdige, daß es zu gleicherzeit das Arbeitszimmer eines Politikers, eines Gelehrten und eines Künstlers war. Ein großer Tisch, bedeckt mit einem grünen Teppich, auf dem eine Menge Papiere und Schreibmaterialien lagen, fand in der Mitte des Gemachs. Auf Notenpulten und Staffeleien aber sah man angefangene Compositionen, halbbeendete Zeichnungen u. s. w. Der Herzog von Orleans besaß eine solche Beweglichkeit des Geistes, daß er oft von den schwersten Aufgaben der Politik zu den heitersten Productionen der freien Künste, oder zu Belustigungen überging. Der Herzog fürchtete nur eines: die Langeweile. Diese Feindin bekämpfte er unablässig mit Studien und mit Vergnügungen, und dennoch trat sie ihm immer wieder und wieder drohend entgegen. Deshalb sah man ihn nie unbeschäftigt, deshalb sprang er so schnell von einem Gegenstande zu dem andern über.

So wie er in sein Cabinet getreten war, wo sich das Conseil erst einige Stunden später versammeln sollte, nahm er eine begonnene Zeichnung zur Hand. Man berichtete ihm, daß Madame Elisabeth Charlotte, seine Mutter, schon mehrmals habe nachfragen lassen, ob er schon aufgestanden say. Der Prinz, welcher die größte Ehrerbietung vor ihr hatte, ließ antworten: daß er sich, wenn sie ihm die Ehre erzeigen wolle, ihn zu empfangen, sofort zu ihr begeben werde. Der Prinz trat wieder an seine Staffelei; wenige Augenblicke darauf aber öffnete sich die Thür und seine Mutter selbst trat ein.

Der Herzog eilte ihr sofort entgegen, begrüßte sie ehrfurchtsvoll, erfaßte ihre Hand, führte sie zu einem Armsessel und blieb neben ihr stehen, um ihre Befehle zu vernehmen.

»Mein Prinz,« begann Madame, indem sie in dem Lehnsessel bequem Platz genommen hatte, »was muß ich hören! Was ist Ihnen diese Nacht, begegnet? erzählen Sie mir.«

»Diese Nacht?« wiederholte der Herzog von Orleans, indem er nachsann und sich selbst befragte.

»Ganz recht, diese Nacht, als Sie sich von Frau von Sabran hinwegbegaben.«

»Ach, nichts weiter als das?« rief lachend der Regent.

»Wie, nichts weiter als das! Ihr Freund Simiane erzählt überall, daß man Sie habe entführen wollen, und daß Sie sich nur gerettet hätten, indem Sie über die Dächer entflohen. Ein seltsamer Weg, in der That, für den Regenten des Königreichs!«

»Simiane ist ein Narr, meine Mutter,« erwiderte der Regent lachend, daß seine Mutter ihn noch immer wie ein Kind behandelte, »es war keineswegs die Rede davon, mich zu entführen, es waren trunkene Bursche, die aus irgend einer Schenke kamen und in der Rue des bons Enfans tobten und lärmten. Was aber den curiosen Weg über das Dach betrifft, so galt das keineswegs einer Flucht, sondern das war eine Wette, welche verloren zu haben der Trunkenbold Simiane sich ärgert.«

»Mein Sohn, mein Sohn, sprach die Herzogin, »wollen Sie denn niemals an die Gefahr glauben, und dennoch wissen Sie nur zu gut, wessen Ihre Feinde fähig sind. Sie wissen, daß selbst die Herzogin von Maine gesagt hat: sie wolle sobald für ihren Bastard von Gemahl nichts mehr zu hoffen say, Sie um eine Audienz ersuchen und Ihnen einen Dolch in die Brust bohren.«

»Bah, bah,« lachte der Regent, »glauben Sie, Madame, denn nicht an Vorherbestimmung? Ich glaube fest daran. Warum soll ich mich also vor einer Gefahr fürchten, die vielleicht gar nicht besteht, und die ich wenn fiel besteht, doch nicht abzuwenden vermag? Glauben Sie mir, meine Mutter, alle übertriebenen Vorsichtsmaßregeln trüben nur das Leben und nutzen zu nichts. Die Tyrannen mögen zittern, ich aber – was habe ich zu fürchten?«

»Nichts mein Prinz, wenn jedermann. Sie kennte, wie ich,« versetzte Madame, indem sie eine Hand erfaßte und ihn zärtlich anblickt. Sie sind so gut, daß Sie nicht einmal die Kraft besitzen, Ihre Feinde zu haßen. Heinrich IV. aber, dem Sie in vieler Hinsicht gleichen, war auch gut, und dennoch fiel er unter dem Dolche eines Ravaillac! Die guten Fürsten sind es grade, die man ermordet, die Despoten sind auf ihrer Huth, und der Dolch dringt nicht bis zu ihnen! Sie sollten nie ohne Escorte den Palast verlassen.«

»Meine Mutter,« entgegnete der Herzog, »gestatten Sie mir, daß ich Ihnen eine Geschichte erzähle.« »Ich bin ganz Ohr, mein Prinz, denn Sie erzählen sehr schön.«

»So hören Sie mich an. Es gab vormals in Rom zur Zeit der Republik, ich weiß nicht mehr in welchem Jahre, einen Consul, der wie Heinrich IV. und ich die Gewohnheit hatte, bei Nacht die Straßen zu durchstreifen. Dieser Consul nun ward gegen die Carthagenienser gesandt. Er erfand eine Kriegsmaschine, mittelst welcher er in einer Seeschlacht einen so glänzenden Sieg davon trug, daß er bei seiner Rückkehr nach Rom auf den ruhmvollsten Empfang hoffte. Er hatte sich nicht getäuscht: ganz Rom erwartete ihn vor den Thoren und führte ihn im Triumph zum Capitol, wo der Senat einer harrte.

»Als er dort erschien, verkündete ihm der Letztere, daß er ihm zur Belohnung seines Sieges eine Auszeichnung zugedacht habe, die seinem Stolze ungemein schmeicheln würde, er sollte nämlich niemals seine Wohnung verlassen, ohne daß ihm ein Musiker voranginge, der unter Pfeiffenklang der Menge verkündete, daß derjenige, welcher ihm folge, »der berühmte Duilius, der Sieger der Carthagenienser say.«

»Duilius, meine Mutter, war, wie Sie leicht denken können, über diese Ehre ungemein glücklich. Er kehrte in seine Behausung zurück, vorgetreten von dem Pfeiffer, welcher mit lauter Stimme verkündete, wer er say und was er alles vollbracht, und jubelnd schrie das Volk: »Es lebe Duilius, der Besieger der Carthagenienser, der Befreier Roms.« Der Consul war trunken vor Entzücken und mehrmals verließ er täglich eine Wohnung, wenn er auch außer derselben nichts zu thun hatte, um sich der ruhmvollen Auszeichnung zu erfreuen.

»So ging alles vortrefflich bis zum Abend. Nun aber hatte besagter Consul eine Geliebte, die er anbetete und nach deren Anblick ihn verlangte, so eine Art von Frau von Sabran, mit der Ausnahme, daß der Gemahl der Römerin eifersüchtig war, welche Lächerlichkeit sich, wie Sie wissen, der Herr von Sabran nicht zu schulden kommen läßt.«

»Der Consul begab sich also ins Bad, machte seine Toilette, salbte sich, und als seine Sanduhr die elfte Stunde verkündete, schickte er sich an, insgeheim seinen Palast zu verlassen, um sich unbemerkt zu seiner Geliebten zu begeben. Er hatte aber die Rechnung ohne den Wirth, oder vielmehr ohne seinen Pfeiffer gemacht. Kaum aber hatte er die Straße betreten, als auch ein Pfeiffer, der beständig in seinem Dienste war und sein Hinaustreten aus der Pforte gewahrt hatte, ihm voraneilte und unter hellem Pfeifenton mit lauter Stimme verkündete: »Seht her, hier kommt der Consul Duilius, der Besieger der Carthagenienser, der Befreier Roms.« Was noch auf den Straßen war, hemmte seine Schritte und starrte den Ruhmgekrönten an, alle Fenstern und Haustüren thaten sich auf diejenigen, welche sich bereits zur Ruhe gelegt hatten, sprangen von ihrem Lager empor, kurz die ganze Bevölkerung des Stadtviertels kam auf die Beine und jubelte und schrie: »Hier kommt der Consul Duilius, der Besieger der Carthagenienser, der Befreier Roms.«

»Das war nun sehr schmeichelhaft für ihn aber auch sehr belästigend. Der Consul gebot seinem Pfeiffer zu schweigen, dieser aber entgegnete, daß er viel zu strenge Befehle von dem Senate erhalten habe und daß er pfeiffen und rufen würde, bis ihm der Athem ausginge. Da der Consul endlich einsah, daß sein Musiker, gestützt auf das Gebot des Senats, keine Vernunft annehmen wollte, fing er an zu laufen, hoffend seinem melodieusen Begleiter zu enteilen; dieser aber setzte sich jetzt gleichfalls in Lauf und alles was der Consul erreichen konnte, war, daß er nunmehr von seinem Pfeiffer gefolgt wurde, statt daß ihm dieser früher voranging. Dem armen berühmten Mann, blieb nur noch eine einzige Hoffnung, die nämlich, daß in dem Hause seiner Geliebten alles schlafen und daß es ihm gelingen würde, unbemerkt in das Nebenpförtchen zu schlüpfen, das, wie sie ihm versprochen hatte, für ihn offen bleiben sollte. Als er aber in der Nähe des theuren Hauses anlangte, war auch schon dort alles munter und auf den Beinen, und er gewahrte zu seinem Schrecken, in einem Fenster desselben, den Gemahl seiner Geliebten, welcher, so wie er ihn erblickte, aus vollem Halse schrie: »Hier kommt da berühmte Consul Duilius, der Besieger der Carthagenienser, der Befreier Roms!« – Verzweiflungsvoll kehrte der Gefeierte in seinen Palast zurück.

»Während der beiden nächsten Abende wiederholte er seine Versuche insgeheim zu einer Geliebte zu gelangen, allein sie schlugen sämmtlich fehl um ganz außer sich niemals ein Incognito bewahren zu können, begab er sich wieder nach Sicilien, wo seinen Zorn an den Carthageniensern ausließ und sie noch einmal schlug, und zwar so total, daß man glaubte es wäre mit den Punischen Kriegen an immer zu Ende. Rom war vor Freude außer sich und man beschloß den Sieger auf noch glänzende Weise zu empfangen als das Letztemal. Der Senat versammelte sich, um sich in dieser Rücksicht zu bereithen. Man wollte ihm eine Statue setzen, sein Haupt krönen und was dergleichen mehr war, da aber vernahm man plötzlich den durchdringen Schall der Pfeiffe und das Jubelgeschrei des Volks. Es war der Sieger, der früher als man es erwartet hatte, heimkehrte. Da er vermuthete, daß man auf eine neue glänzende Auszeichnung für ihn bedacht say, erschien er um der Berathung beizuwohnen. Rasch trat er vor: »Ihr Väter Roms,« sprach er, nicht wahr, Ihr berathschlagt mit einander was Ihr mir erzeigen könnt, das mir angenehm wäre?«

 

»Wir möchten, lautete die Antwort »Dich gern zu dem glücklichsten Sterblichen machen.« – »Wohl an« sprach Duilius, »wollt Ihr mir das gewähren, was ich am meisten wünsche?« – »Sprich, sprich,« rief der ganze Senat, wie mit einer Stimme. »Beim Jupiter, was Du verlangt, es soll Dir gewähret werden.«

»Gut, Ihr Väter Roms,« entgegnete der Consul, »nehmt mir zur Belohnung dieses meines zweiten glorreichen Sieges den verwünschten Pfeiffer wieder, den Ihr mir zur Belohnung meines erste verliehen habt,–

»Allerliebst, versetzte die Herzogin, »welchen Zusammenhang aber hat dieses Geschichtchen mit meine Besorgniß, daß man Sie ermorden könnte?«

»Welchen Zusammenhang?», lachte der Regent »bedenken Sie doch, wenn den Befreier Roms, der Consul Duilius ein solches Mißgeschick mit einen einzigen Pfeiffer traf, wie würde es mir erst ergehe hätte ich eine ganze Escorte um mich herum?

»Philipp, Philipp, bemerkte die Herzogin, halb lächelnd, halb zürnend, »wirst Du denn nie aufhören die ernsten Dinge so leicht zu behandeln!«

»Doch doch, meine Mutter, für ernste Ding habe ich auch den ernsten Sinn, antwortete der Regent, »und da Sie gewiß nicht hierher gekommen sind, um mir Moral über meine nächtlichen Spaziergänge zu predigen, sondern mit mir unfehlbar vor Geschäften zu reden haben, so bin ich ganz Ohr.«

Die Herzogin berichtete ihm jetzt ausführlich daß sie in der That gekommen say, ihn zu warnen zugleich aber auch ihm zu berichten, daß seine Tochter, Mademoiselle de Chartres, gestern unter dem Vorwande, in der Abtei du Chelles ihre Andacht zu verrichten, sich dorthin begeben, statt aber wieder zurückzukehren, an ihre Mutter und an ihn einen Brief gesandt habe, welcher die Kunde enthielt, daß sie dort bleiben und den Schleier nehmen wolle. Ein mächtiger Eindruck, den die Schönheit des Tenorsängers Cauchereau in der Oper plötzlich auf sie hervorgebracht habe, und in den sie bis über die Ohren verliebt say, habe, so versicherte die Herzogin, diesen Entschluß bei ihr herbeigeführt.

Der Regent nahm, wie man leicht denken kann, auch diese Sache auf die leichte Schulter, versprach indeß seiner Mutter, sich noch an demselben Tage selbst nach der Abtei begeben zu wollen, und geleitete dann sehr ehrerbietig die Herzogin bis zu der Thür seines Gemachs, worauf er wieder zu einer Staffelei trat.

Im Vorzimmer begegnete Madame einem kleinen Manne, in großen Reisestiefeln, das Haupt mit einer Pelzmütze bedeckt, und den Körper in einen weiten Mantel gehüllt Als er die Herzogin erblickte, steckte er aus demselben ein Fuchsgesicht mit spitzer Nase hervor.

»Ha, Sie sind’s, Abbé!« rief die Mutter des Regenten.

»Zu Befehl, Ew. Hoheit, ich komme, nachdem ich Frankreich gerettet!«

»Ich habe davon gehört,« entgegnete die Herzogin. »Man bedient sich oft des Giftes in Krankheiten. Sie müssen das ja wissen, Dubois, denn Sie sind der Sohn eines Apothekers.«

»Madame,« versetzte Dubois mit der ihm eigenthümlichen Insolenz, »ich habe es gewußt, aber ich habe es vergessen, Wie Ew. Hoheit wissen, verließ ich sehr jung die Apotheke, um die Erziehung Ihres Herrn Sohnes zu besorgen.«

»Gleichviel, Dubois,« lachte die Herzogin, »ich bin mit Ihrem Eifer zufrieden, und wenn wir einmal einen Gesandten nach Persien oder China gebrauchen, so werde ich Sie dem Regenten vorschlagen.«

»Warum nicht lieber nach dem Monde, dann wären Sie gewiß sicher, daß ich nicht zurückkehren würde,« erwiderte Dubois, und mit nachlässigem Gruße schritt er nach dieser Rede an der Herzogin vorüber und trat unangemeldet in das Zimmer des Regenten.

VIII.
Der Abbé Dubois

Jedermann kennt den Ursprung des Abbé Dubois, und wir wollen uns nicht mit der Schilderung einer früheren Jahre beschäftigen, die man in allen Memoiren, und besonders in denen des Herzogs von St. Simon findet.

Dubois ist nicht verläumdet worden; das war auch unmöglich. Es verhält sich damit so: man hat von ihm alles Böse gesagt, was man sagen konnte, aber das Gute hat man verschwiegen. Zwischen ihm und Alberoni bestand eine große Charakterähnlichkeit, aber man muß es gestehen, das Genie war auf der Seite Dubois, und in dem langen Kampfe Frankreichs mit Spanien, den wir nur in so weit berühren, als er mit unserer Geschichte in Verbindung steht, trug der Sohn des Apothekers über den Sohn des Gärtners den Sieg davon. Von dem Apothekertische war er in den Salon, von dem Salon war er in den Thronsaal gelangt. Er war einer jener Männer, die, um uns des Ausdrucks des Herrn von Talleyrand zu bedienen, nicht emporkommen, sondern emporsteigen.

Seine letzte Negociation war ein wahrhaftes Meisterstück; diese war mehr als die Ratification von Utrecht, sie war weit vortheilhafter für Frankreich. Der Kaiser entsagte nicht nur allen seinen Rechten auf die Krone Spaniens, wie Philipp V. auf die seinigen und auf die Krone Frankreichs verzichtet hatte, sondern er schloß sich auch mit England und Holland der Ligue an, welche im Süden gegen Spanien, und im Norden gegen Schweden und Rußland gebildet war. Die Theilung der fünf bis sechs großen Staaten von Europa war durch diesen Traktat auf eine so solide und gerechte Grundlage festgestellt, daß nach hundert und zwanzig Jahren der Kriege der Revolutionen, und der Umwälzungen, alle diese Staaten, das Reich ausgenommen, sich jetzt fast in derselben Lage befinden, in der sie damals waren.

Der Regent liebte diesen Mann, der seine Erziehung geleitet, und dessen Glück er gemacht hatte. Er erkannte in ihm alle seine guten Eigenschaften, und übersah die Laster, die ihm eigen waren. Zwischen dem Regenten und dem Abbé befand sich indeß eine große Schranke: die Tugenden und Laster des Ersteren waren die eines vornehmen Mannes, die des Abbé die eines Lakais. Der Regent bemerkte bei häufigen Gelegenheiten, wenn er ihm etwas verlieh: »Dubois, Dubois, nimm Dich in Acht, ich ziehe Dir nur wieder einen Livreerock an.« – Worauf der Abbé dann jedesmal mit der ihm eigenthümlichen, affenmäßigen Grimasse antwortete: »Ich bin ja Ihr Knecht, gnädigster Herr, bekleiden Sie mich nur immer auf gleiche Weise.«

Uebrigens liebte Dubois den Regenten wahrhaft, und war ihm ungemein ergeben. Er fühlte recht gut, daß dessen mächtige Hand allein ihn über dem Sumpfe emporhielt, aus dem er hervorgegangen war, und in den er, so verhaßt und verachtet er war, zog sein Gebieter eine schützende Hand zurück, jeden Augenblick wieder zurücksinken konnte. Er wachte also mit dem größten Eifer und mit dem eigennützigsten Interesse auf die gegen den Regenten gerichteten Complotts, und mehr als einmal wurden es durch seine Gegenpolizei, welche, durch Frau von Tencin die hohe Aristokratie, und durch die Fillon, die untergeordneten Klassen beobachtete, Verschwörungen gegen den Regenten entdeckt, von denen der Polizei-Lieutenant Argenson keine Ahnung hatte.

Der Herzog von Orleans, der seine mehrfachen Dienste zu schätzen wußte, empfing einen Abgesandten mit offenen Armen. »Dubois« rief er, »Du bist in der That mein bester Freund! Der Tractat der Quadrupel-Allianz wird für Ludwig XV. vortheilhafter seyn, als alle Siege eines Vorfahrs Ludwigs XIV.

»Es freut mich, gnädigster Herr, daß Sie mir Gerechtigkeit widerfahren lassen,« versetzte Dubois, »Jedermann aber thut das nicht.«

»Ah, so bist Du so eben meiner Mutter begegnet, die mich augenblicklich verließ.«

»So ist es, und zur Belohnung meiner Dienste wollte sie mir eine Gesandschaft nach China und Persien verschaffen.«

»Sey darüber unbesorgt, mein lieber Abbé,« lachte der Herzog, »meine Mutter steckt voll von Vorurtheilen, sie wird es Dir nimmermehr vergeben, daß Du einen solchen Zögling aus mir gebildet hast. Aber say ruhig, ich bedarf Deiner hier.«

»Und wie befinden sich Seine Majestät, unser allergnädigter König?« fragte Dubois mit boshaftem Lächeln, »er kränkelte sehr, als ich Frankreich verließ.

»Wohl, recht wohl, Dubois,« erwiderte der Herzog ernst, »der Himmel wolle ihn uns erhalten, zum Wohle Frankreichs, und zur Beschämung unserer Verläumder.«

»Und mein gnädigster Herr sieht ihn noch wie gewöhnlich alle Tage?«

»Ich sah ihn noch gestern, und sprach mit ihm von Dir. – Ich bemerkte ihm daß Du aller Wahrscheinlichkeit nach die Ruhe seiner Regierung gesichert hättest.«

»Und was hat der König erwidert?«

»Was er geantwortet hat? daß er die Abbé’s nicht für so nützlich gehalten habe.«

»Seine Majestät sind ungemein witzig! Und der alte Villeroy war ohne Zweifel dabei zugegen?«

»Versteht sich, wie immer.«

»Ich denke, der gute alte Narr muß gelegentlich bei Seite geschafft werden.«

»Laß gehen, laß gehen, Dubois, jedes Ding zu seiner Zeit,« lächelte der Herzog.

»Auch mein Erzbisthum?«

»Sprich, was für eine neue Thorheit ist das nun wieder?«

»Thorheit, gnädigster Herr? Auf mein Wort, nichts ist ernsthafter als das.«

»Wie, jener Brief des Königs von England, der mich um ein Erzbisthum für Dich ersucht – –«

»Haben Ew. Königl. Hoheit nicht den Styl erkannt?«

»Wie, Du hast ihn dictirt, Schelm?«

»Dem Vericault Destouches, der ihn von dem Könige unterzeichnen ließ.«

»Und der König unterschrieb nur so, ohne irgend etwas dabei zu merken?«

»Nun ja, allerdings! Wie wollen Sie, sprach er zu unserm Dichter, daß ein protestantischer Fürst sich damit abgeben solle, in Frankreich ein Erzbisthum zu verleihen? Der Regent wird meine Empfehlung lesen, darüber lachen, und sie weiter nicht beachten. – Der Regent wird vielleicht lächeln, entgegnete Destouches, nachdem er aber gelächelt hat, wird er thun, was Ew. Majestät wünschen.«

»Destouches hat gelogen!« rief der Regent.

»Destouches hat nie wahrer gesprochen, gnädigter Herr!«

»Du Erzbischof! Du! Du! Der König Georg verdiente, daß ich ihm als Erwiderung einige Schelme Deines Gleichen für das Erzbisthum von York vorschlüge!«

»Es würde Ew. Hoheit schwer fallen, meines Gleichen zu finden. Ich kenne nur einen Mann.

»Und wer wäre das? Ich bin neugierig ihn nennen zu lernen.«

»Das ist unnöthig. Er hat schon sein Aemtchen gefunden. Er hat eine so gute Stelle, daß er sie nicht für alle Erzbisthümer der Welt vertauschen würde.«

»Unverschämter!« lachte der Herzog.

»Ruhig jetzt, gnädigster Herr, fiel Dubois ein, ich höre im Vorzimmer die Stimme ihres Polizei-Lieutenants.

»Wer hat ihn rufen lassen?«

»Ich, Ihre Königliche Hoheit.«

»Und weshalb?«

»Um ihm den Kopf zu waschen.«

»Und warum das?«

»Sie werden es sogleich erfahren, gnädigster Herr,« erwiederte Dubois; er zog die Klingel, ein Huissier erschien.

»Laßt den Herrn General-Lieutenant eintreten,« gebot der Abbé.

»Aber Dubois,« lächelte der Herzog, »es scheint mir, als ob Du hier befiehlst?«

»Es ist zu Ihrem Heile, gnädigster Herr, lassen Sie mich gewähren.«

»Meinetwegen denn,« versetzte der Herzog, »man muß gegen heimgekehrte Freunde einige Nachsicht üben.«

Herr Voyer d’Argenson trat herein; er glich Dubois in Hinsicht der Häßlichkeit. Nur war es eine Häßlichkeit von anderer Art.

»Herr General- Lieutenant,« begann der Abbé, ohne Jenem auch nur die Zeit zu lassen, den Herzog zu begrüßen; »hier der Herr Regent, der kein Geheimniß vor mir hat, hat mich beauftragt, Sie rufen zu lassen, damit ich von Ihnen erführe, in welcher Kleidung derselbe gestern Abend ausgegangen say, wo er die Nacht zugebracht hat, und was ihm begegnet ist, als er zurückkehrte. – Wenn ich nicht so eben von London anlangte, so würde ich diese Frage nicht an Sie richten; da ich mich aber unterweges befand, so konnte ich natürlich von Nichts wissen.«

»Aber,« fragte d’Argenson, ahnend, daß ihm eine Schlinge gelegt werde, »hat sich denn in dieser Nacht etwas zugetragen? Was mich betrifft, ich habe durchaus keinen Rapport erhalten. Ich hoffe, es ist dem Herrn Regenten nichts begegnet.«

»O nein, nichts weiter, als daß Ihre Hoheit, welche sich in der Uniform eines Musketairs gestern Abend acht Uhr zur Frau von Sabran begab, um dort zu soupiren, auf dem Rückwege fast entführt worden wäre.«

»Entführt!« rief d’Argenson, erblassend, während der Herzog staunte. »Entführt! Und durch wen?«

»Das eben ist es, was wir nicht wissen, entgegnete Dubois, Sie aber sollten es wissen; Sie, Herr General-Polizei-Lieutenant, wenn Sie, statt in der Nacht über die Polizei zu wachen, jene nicht auf andere Weise verbracht hätten.« – Der Regent hielt sich vor Lachen die Seiten, als er d’Argensons verdutztes Gesicht gewahrte.

 

»Es ist kein großes Verdienst, Herr Abbé, daß Sie wissen, was sich zugetragen,« nahm endlich, sich sammelnd der Letztere das Wort. »Der Herr Regent hat Ihnen ohne Zweifel. Alles erzählt.«

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort,« fiel der Herzog ein, »daß ich ihm auch keine Silbe davon gesagt habe.«

Dann ist allerdings die Sache sehr ernsthaft, sprach der Polizei-Lieutenant, »und ich bin strafbar, daß ich nichts davon gewußt habe; aber noch ist nichts verloren, wir werden die Verbrecher schon kennen lernen, und sie nach Verdienst bestrafen.

»Aber, bemerkte der Regent, »man muß der Sache keine gar zu große Wichtigkeit geben; ohne Zweifel waren es einige trunkene Offiziere, welche glaubten, es mit einem ihrer Kameraden zu thun zu haben.«

»Ich sage Ihnen, es ist eine vollständige Verschwörung, gnädigster Herr,« versetzte Dubois, »sie beginnt im Palast des spanischen Gesandten, zieht sich durch das Arsenal, und ist gegen das Palais-Royal gerichtet.«

»Nun d’Argenson, was ist ihre Meinung? fragte der Regent.

»Daß Ihre Feinde zu Allem fähig sind, gnädigster Herr,« erwiderte der Polizei-Lieutenant, »aber wir werden ihre Complotte vereiteln, wer sie auch immer seyn mögen, ich gebe Ihnen mein Wort darauf.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Thür, der Huissier trat herein, und meldete. Seine Hoheit den Herrn Herzog von Maine, der sich zum Conseil einfand, und als Prinz von Geblüt das Vorrecht hatte, nicht warten zu dürfen. Er trat mit jenem schüchternen Wesen ein, das ihm eigenthümlich war, und warf einen Seitenblick auf die drei Anwesenden, so als wolle er erforschen, wovon man bei einer Ankunft gesprochen habe. Der Herzog errieth seine Gedanken.

»Seyn. Sie willkommen, Vetter, sprach er, hier stehen ein Paar boßhafte Menschen, welche mich so eben überreden wollen, daß Sie eine Verschwörung gegen mich vorhätten.«

Der Herzog von Maine wurde bleich wie der Tod, er fühlte, daß seine Füße schwankten, und war genöthigt, sich auf den Krückenstab zu stützen, den er gemeinhin trug.

»Ich hoffe, gnädigster Herr, daß Sie einer Verläumdung keinen Glauben beigemessen haben,« erwiderte er mit einer Stimme, der er sich vergebens bemühte, Festigkeit zu geben.

»O mein Gott nein!« entgegnete nachlässig wie hingeworfen, der Regent. »Ich habe es indeß mit zwei eigensinnigen Köpfen zu thun, welche versichern, daß die Sie nächstens auf der That ertappen werden; ich glaube kein Wort davon, da ich aber ein guter Spieler bin, so theile ich es Ihnen mit. Seyn Sie also vor ihnen auf Ihrer Hut, ich sage Ihnen, es sind ein Paar Schlauköpfe.«

Der Herzog von Maine wollte etwas erwidern, in diesem Augenblicke aber öffnete sich die Thür, und der Huissier meldete den Herzog von Bourbon, den Prinzen von Condé und die übrigen Mitglieder des Conseils, welche sämmtlich eingeladen worden waren, um den Abschluß von der Quadrupel-Allianz zu vernehmen.

Da dieser Tractat aber nur einen sehr geringen Bezug auf unsere Erzählung hat, so ersuchen wir den Leser, mit uns das Cabinet des Regenten zu verlassen, und uns nach dem wohlbekannten Dachstübchen der Rue du Temps perdu zu folgen.