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Ritter von Harmental

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V.
Bathilde

Der gute ehrliche Buvat hatte schon, während er die Anstalten zum Begräbnisse Clarissens traf, sich nach einem Frauenzimmer umgeschaut, dem er die Sorge für die kleine Bathilde anvertrauen konnte, für deren Pflege und Erziehung er etwas persönlich zu thun, nicht im Stande war, theils weil er einen großen Theil des Tages auf der Bibliothek zubringen mußte, während welcher Zeit die Kleine nicht sich selbst überlassen bleiben durfte, theils weil er dergleichen Dinge nicht verstand. Zum Glück war das Gewünschte bald zur Hand: eine Frau von ungefähr 38 Jahren, welche schon bei seiner Mutter gedient hatte und deren Ruf und gute Eigenschaften ihm daher bekannt waren: Es ward mit Nanette, so nannte sie sich abgemacht, daß sie in der Küche schlafen und für die Kleine sorgen solle, wofür ihr ein jährlicher Lohn von 50 Livres nebst freier Kost zugesagt wurde.

Diese neue häusliche Einrichtung veränderte ganz und gar Buvats Lebensweise, der als Hagestolz gelebt und in einer Garküche gegessen hatte; auch konnte er sein Dachstübchen nicht behalten, da jetzt für den ihm gewordenen Zuwachs zu klein wie und er sah sich daher schon am andern Tage nach einer andern Wohnung um. Er fand eine solche in der Rue Pagevin, denn er wollte sich nicht zu weit von der Bibliothek entfernen. Sie bestand aus zwei Zimmern, einem Cabinet und ein Küche. Er miethete sie sogleich, kaufte die erforderlichen Möbel und bezog mit Bathilden und Nanette die Wohnung noch an demselben Abend.

Am folgenden Tage fand Clarissens Begräbniß statt, es war grade Sonntag, so das Buvat nicht nöthig hatte, seinen Vorgesetzten um einige Stunden Urlaub zu ersuchen. Während der ersten Wochen fragte das kleine Mädchen unablässig nach ihrer lieben Mutter, da der wackere Buvat ihr aber allerhand Spielwerk gekauft hatte, so wurden ihre Fragen nach derselben, nach und nach seltener, und da man ihr gesagt hatte, daß ihre gute Mutter fortgereist sei, um sich zu ihrem Vater zu begeben, so begnügte sie sich bald mit der Erkundigung: wann denn wohl endlich ihre guten Eltern zurückkehren würden. Nach und nach verdichtete sich der Schleier, der die erste Kindheit von unserem Leben trennt, auch bei Bathilden immer mehr und mehr, bis sie endlich erfuhr, was es heißt eine Waise zu sein.

Buvat hatte das beste der beiden Zimmer Bathilden eingeräumt, das andere für sich behalten und Nanette in das Cabinet logiert. Diese Letztere war eine wackere Person, welche recht gut kochte, besonders schön strickte und wie die heilige Jungfrau spann. Trotz diesen verschiedenen Talenten aber begriff Buvat ganz gut, daß sie so wenig als er zur Erziehung Bathildens gänzlich hinreiche, welche seiner Meinung nach mehr lernen sollte als spinnen, stricken und schreiben; denn er wollte sich der übernommenen Pflicht im vollen Maaße entledigen. Er sah ein, daß wenn Bathilde auch sein Pflegekind war, sie doch darum nicht weniger die Tochter Alberts und Clarissens blieb, und er beschloß also ihr eine ihrer Geburt angemessene Erziehung zu geben. Sein Raisonnement lautete ganz einfach folgendermaßen: Er verdankte Albert du Rocher seine Stelle und der Ertrag derselben gehörte also auch seinem Kinde. Sein jährliches Gehalt von 900 Livres verheilte er also auf nachstehende Weise: 450 Livres für Zeichen-, Musik- und Tanzlehrer und 450 Livres für Bathildens Mitgift. Wenn also Bathilde, die jetzt vier Jahre zählte, sich nach vierzehn Jahren, also in ihrem achtzehnten Jahre, verheirathen sollte, so hatte sie, da die Zinsen zu dem Capital geschlagen wurden, alsdann eine Aussteuer von 9 bis 10.000 Livres.

Was die Kosten für den gemeinschaftlichen Unterhalt und die Kleidung und Wohnung, so wie Nanettens Lohn betraf, so beschloß der ehrliche Buvat, seinen Schreibunterricht wieder aufzunehmen. Zu diesem Entzweck wollte er schon um fünf Uhr Morgens aufstehen und sich Abends spät zu Bette legen. Der Himmel segnete auch wirklich diesen frommen Vorsatz; weder der Schreibunterricht noch die Beschäftigung als Abschreiber fehlten ihm, und da er für Bathildens Unterricht für die nächsten zwei Jahre noch allein sorgen konnte, so fügte er während dieser Zeit 900 Livres seinen kleinen Ersparnissen zu, während er 900 Livres für sein liebes Pflegekind placierte.

In ihrem sechsten Jahre schon, bekam Bathilde einen Zeichen-, Musik- und Tanzlehrer. Uebrigens war es offenbar ein wahres Vergnügen, dem liebenswürdigen Kinde Opfer darzubringen, denn sie war von der Vorsehung mit der glücklichsten Organisation begabt. Was ihre kindliche Schönheit betraf, die so köstliche Erwartungen erweckte, so hielt dieselbe vollkommen, was sie versprach.

Auch fühlte sich unser Buvat ungemein glücklich, denn während der ganzen Woche wurde er mit den guten Zeugnissen ihrer Lehrer überhäuft, und am Sonntag machte er, stolzen Angesichts, mit seinem Pflegetöchterchen in seinem Lachsfarbenen Rock und den schwarzsammtnen Beinkleidern, einen Spaziergang. Die liebliche Kleine jagte alsdann mit ihren flatternd blonden Locken den Schmetterlingen nach, und wen was sich wohl oft ereignete, sie sich ihr sauber weißes Kleidchen beschmutzte, so hatte das nichts weiter auf sich. Zu Hause wieder angelangt, schimpfte zwar Nanette ein wenig, Buvat aber verschloß bald den Mund mit der Bemerkung: Jugend will auch ihr Recht haben.

Mitunter ereignete es sich auch, aber es geschah nur an hohen Festtagen, daß Buvat den Bitten der kleinen Bathilde nachgab, welche gern die Windmühle am Montmartre in der Nähe betrachten wollte; dann machte man sich früher dorthin auf den Weg, Nanette trug das kleine Mittagsmahl, welches man auf der Esplanade der Abtei einnahm und woran man dann fröhlich und guter Dinge den Weg zu Montmartre fortsetzte. An solchen Tagen kehrte man erst um acht Uhr Abends heim; von dem Croix de Torcherons an aber pflegte die kleine Bathilde schon in den Armen Buvats einzuschlafen.

So ging alles ruhig und still seinen Weg, bis zu dem Jahre der Gnade 1712, einer Epoche, welcher sich der große König in seinen Angelegenheiten dergestalt derangiert sah, daß er kein anderes Mittel fand sich der Verlegenheit zu entziehen, als seine Beamten nicht zu bezahlen: Buvat ward von dieser administrativen Maaßregel durch den Cassirer benachrichtigt, der ihm, als er eines Morgens erschien um seinen Monatsgehalt in Empfang zu nehmen, verkündete, daß sich kein Geld in der Casse befinde. Buvat blickte den Cassirer mit großen Augen an, es war ihm nie in den Sinn gekommen, daß es dem Könige jemals an Geld fehlen könne. Die Antwort beunruhigte ihn indeß nicht sehr, denn er glaubte, daß nur hier eine augenblickliche Stockung stattfinden konnte, und so begab er sich ruhig in sein Bureau, indem er sein altes Lieblingslied: Laissez moi aller u. s. w. vor sich hinträllerte.

»Ei, ei,« bemerkte der schon früher erwähnte Supernumerarius, der endlich nach siebenjährigem Harren am ersten des letzten Monats wirklich in Function getreten war, »Sie müssen recht fröhlichen Humors sein, Herr College, da Sie singen können, wenn man uns nicht bezahlt.«

»Wie das,« fragte Buvat, »was wollen Sie damit sagen?«

»Daß ich mich höchlich wundre, wie das Ausbleiben des Geldes Sie nicht bekümmert. Was denken Sie davon?«

»Daß man uns im nächsten Monat sicherlich das doppelte Gehalt zahlen wird,« erwiderte Buvat.

»Hören Sie nur, Decoudreau,« sprach der genesene Supernumerarius, indem er sich zu einem andern seiner Collegen wandte, »der glaubt, man werde uns das Gehalt nachzahlen. Der Papa Buvat hat einen guten Glauben!«

»Nach einem Monat wird es sich ausweisen antwortete der Angeredete.

»Ja, ja,« rief Buvat, indem er den Wort des Collegen beipflichtete, »nächsten Monat wird sich auch ausweisen.«

»Und wenn man Sie nun weder in dem nächsten Monat noch in den darauf folgenden bezahlt Papa Buvat, was werden Sie alsdann thun?«

»Was ich dann thun werde? Ich werde nicht desto weniger hier mein Amt verrichten.«

»Wie, wenn man Sie nicht bezahlt, werden Sie doch hier erscheinen?«

»Mein Herr,« entgegnete Buvat, »der König hat mich volle zehn Jahre lang auf das Pünktlichste bezahlt, wenn es ihm also für den Augenblick an Geld mangelt, so ist es nicht mehr als billig, daß ich ihm ein wenig Credit gebe.«

Der Monat verging, der Zahltag erschien, Buvat begab sich an die Kasse, wo ihm aber leider verkündet ward, daß dieselbe noch immer leer sei. Buvat fragte, wann sie denn wohl wieder gefüllt sein würde, der Kassirer entgegnete: daß er bedeutend neugierig sei. Buvat entschuldigte sich wegen seiner dreisten Frage, und begab sich in ein Bureau, diesmal aber ohne zu singen.

An demselben Tage reichte der früher erwähnte College, unwillig keine Bezahlung zu empfangen, seinen Abschied ein; worauf der Chef des Bureaus dessen Arbeit ebenfalls auf die Schultern des guten ehrlichen Buvat lud, so daß dieser jetzt doppelt zu thun hatte. Buvat that alles ruhig, ohne zu murren. Im dritten Monat aber blieb das Geld gleichfalls aus, es war ein vollständiger Bankerott. Wie man es aber schon gesehen hat, so handelte Buvat nicht mit seinen Pflichten; er verrichtete ein Geschäft auf das Pünktlichste, war aber genöthigt, seine kleinen Ersparnisse anzugreifen.

Unterdessen wuchs ein Pflegetöchterchen, Bathilde, heran; sie zählte jetzt dreizehn bis vierzehn Jahre, und ihre Schönheit entfaltete sich immer mehr und mehr; auch sah sie schon jetzt das Schwierige ihrer Lage vollkommen ein. Seit einem Jahre schon, waren unter dem Vorwande, daß sie lieber zeichne oder Clavier spiele, die Ausflüge in die Umgegend von Paris unterblieben. Buvat machte anfangs seine Spaziergänge allein, dies aber langweilte ihn, und da der Pariser Bürger, wenn er die ganze Woche gearbeitet, doch dann und wann frische Luft einathmen will, so kam er auf den Gedanken, eine Wohnung mit einem Gärtchen zu miethen. Solche Logis waren indeß für den damaligen Zustand seiner Finanzen zu theuer, und so miethete er endlich die kleine Wohnung in der Rue du Temps perdu, mit dem Entschlusse, oben eine Terasse und ein Gärtchen anzulegen. Es ward beschlossen, daß Bathilde mit Nanetten das Zimmer im vierten Stockwerk bewohnen solle, während er das Dachstübchen bezöge.

 

Diese Einrichtung war Beiden um so angemessener, da Bathildens Reize sich mit jedem Tage immer mehr und mehr entfalteten und Buvat noch kein alter Mann war, so daß ihr Beisammenwohnen in ihrer vorigen Wohnung bereits die geschäftigen Lästerzungen rege gemacht hatte.

Madame Denis in der Rue du Temps perdu war übrigens die Letzte, welche die nachtheiligen Gerüchte glaubte, die sich über ihre neuen Nachbaren verbreiteten. Wir werden später berichten bei welcher Gelegenheit dieselben zuerst Eingang bei ihr fanden.

Unterdessen war leider die Prophezeihung des ausgetretenen Beamten in Erfüllung gegangen; seit achtzehn Monaten hatte der arme Buvat bereits kein Gehalt empfangen, und dennoch fuhr er fort, seinem Amte mit der gewohnten Pünktlichkeit vorzustehen. Da der ehrliche Mann aber durchaus nicht wußte, ob und wann die Zahlungen seines Gehalts wieder beginnen würden, und sein kleiner erspart Schatz sich zu erschöpfen begann, so umzogen Wolken sein heiteres Gesicht, welches von Bathilde keineswegs unbemerkt blieb. Mit dem richtigen Ton der die edlen weiblichen Wesen bezeichnet, begriff sie daß jede Erkundigung hinsichtlich eines Geheimnisses das Buvat ihr nicht selbst mit heilte, fruchtlos sein würde; sie wandte sich also deshalb an Nanette welche sich anfangs etwas bitten ließ, endlich ab doch ihr offenherzig alles offenbarte. Jetzt erst erfuhr die liebliche Bathilde, was sie alles dem Zartgefühl Buvats verdanke. Sie erfuhr daß der Letztere den ganzen Tag lang nur für sie gearbeitet habe, um daß sein Trübsinn nur aus dem Gedanken entspringt, daß er, da sein Gehalt fortwährend ausblieb, und seine Ersparnisse zu Ende waren, genöthigt sei ihr zu erklären, wie in seinen häuslichen Einrichtung eine Veränderung eintreten müsse. Der erste Gedanke Bathildens, nachdem ihr diese Kunde geworden war, sich, so wie der ehrliche Buvat eintrat, ihm zu Füßen zu werfen und seine Hände zu küssen. Bald aber leuchtete es ihr ein, daß das einzige Mittel ihre Zweck zu erreichen sei, sich durchaus unbekannt mit allem zu stellen; und in dem kindlichen Kuße, den sie bei einer Heimkehr auf seine Stirn drückte, konnte der wackere Mann unmöglich die heißen Dankgefühle erkennen, die ihre Brust für ihn erfüllten.

Am folgenden Tage aber bemerkte Bathilde zu Buvat gewandt, daß sie wirklich nicht glaube, von ihren Lehrern noch etwas lernen zu können, da sie so viel wisse als jene selbst, und daß also den Unterricht derselben fortsetzen, Geld wegwerfen heiße. Da der ehrliche Buvat nichts Schöneres kannte als die Zeichnungen Bathildens; da er, wenn sie mit ihrer lieben Stimme sang, sich bis in den dritten Himmel emporgehoben fühlte, glaubte er seiner Pflegetochter um so mehr, da die Lehrer ehrlich genug waren, um zu versichern, daß sie jetzt genug wisse, um sich allein weiter helfen zu können.

Aber Bathilde begnügte sich nicht damit, für die Ersparniß zu wirken, sie wollte auch zu dem Verdienste beitragen. Obgleich sie im Zeichnen wie in der Musik fast gleiche Fortschritte gemacht hat begriff sie dennoch, daß nur das Erstere für sie eine Hilfsquelle werden, die Letztere ihr nur als Erholung dienen könne. Sie widmete daher auch dem Zeichnen ihren ganzen Fleiß, und gelangte bald dahin allerliebste Bilder in Pastell fertigen zu können. Eines Tages wollte sie so gern den Werth ihr Arbeiten kennen lernen, und bat Buvat, wenn dieser auf ein Büreau ginge, dem Farbenhändler bei dem sie ihre Zeichenmaterialien kaufte, zwei Kinderköpfe zu zeigen, welche sie nach ihrer Phantasie gefertigt hatte, und ihn zu fragen, was sie werth wären. Buvat übernahm diesen Auftrag, ohne irgend etwas zu ahnen. Der Farbenhändler betrachtete dieselben mit einem geringschätzenden Blick und entgegnete, daß das Stück nur mit 15 Livres bezahlen könne. Buvat verletzt, nicht durch den wie es ihm schien geringen Preis, wohl aber durch die verächtliche Art und Weise, mit welcher der Kaufmann von Bathildens Talent sprach, entzog die Bilder etwas ungestüm wieder aus dessen Hand und dankte ihm.

Der Farbenhändler, welcher meinte, daß das geringe Gebot den ehrlichen Buvat erzürnt habe, bemerkte darauf, daß er für beide Köpfe aus alter Bekanntschaft 40 Livres zahlen wolle; Buvat entgegnete ihm aber in seinem Verdruß, daß diese Bilder gar nicht zu verkaufen wären.

Jederman weiß, daß wenn etwas nicht zu verkaufen ist, es ist im Preise steigt, und der Farbenhändler bot also bis zu 50 Livres. Buvat aber, noch sehr verletzt, legte die Bilder wieder in ihre Mappe, nahm diese dann unter den Arm und schritt mit einem gewissen Stolz aus dem Laden, seinem Bureau zu.

Als Bathildens Pflegevater wieder zu Hause ging, mußte er an dem Laden vorbeigehen; der Farbehändler stand wie zufällig vor der Thür; Buvat wollte ohne Weiteres an ihm vorüber. Jener aber hielt ihn zurück und fragte, ob er sich nicht entschlossen habe, ihm die Bilder für den gebotenen Preis zu überlassen. Buvat entgegnete ihm noch bestimmter als vorhin: daß die Zeichnungen nicht verkauft werden sollten.

»Das thut mir in der That leid,« entgegnete der Kaufmann, »ich wäre bis achtzig Livres gegangen.« – Er trat in seinen Laden zurück, verfolgte aber Buvat mit seinen Blicken.

Bathilde eilte ihrem Pflegevater bis an Treppe entgegen, denn sie war in ängstlicher Spannung, das Resultat einer Nachfrage zu vernehmen.

»Nun, fragte sie, »mein lieber Papa, hat Ihnen Herr Papillon gesagt?«

»Herr Papillon! Herr Papillon!« sprach Buvat indem er sich die Stirn trocknete, »Herr Papillon ein Unverschämter!«

Die arme Bathilde erblaßte. »Wie das,« fragte sie.

»Ja, ja, ein recht Unverschämter!« fuhr Buvat fort, »statt vor Deinen Zeichnungen niederzuknien unterfing er sich, sie zu kritisieren.«

»Wenn es weiter nichts ist als das,« entgegnete Bathilde lachend, »da hat er ja Recht. Bedenken Sie, daß ich nur noch eine Schülerin bin. Aber hat er auch nicht den kleinsten Preis dafür geboten?«

»Ey ja wohl, er hatte auch diese Unverschämtheit!«

»Und was bot er Ihnen denn?«, fragte Bathilde zitternd.

»Achtzig Livres hat er mir dafür geboten.«

»Achtzig – Livres! –« wiederholte Bathilde ganz erstaunt. »Ach, Sie irren sich gewiß, mein lieber Papa.«

»Ich sage Dir achtzig Livres für beide Bilder,« wiederholte Buvat, indem er die letzten Worte betonte.

»Aber, mein lieber Papa, das ist ja viermal so viel als die werth sind!« rief das junge Mädchen, indem sie freudig in die Hände klatschte. Um aber ihre Gefühle nicht ferner zu verrathen, brach sie schnell das Gespräch ab und berichtete, daß das Mittagessen bereit say und seiner warte; eine Kunde, welche den Ideen des ehrlichen Buvat schnell eine andere Richtung gab. Er gab ihr ruhig ihre Mappe zurück und setzte sich mit ihr zu Tisch, indem er sein Lieblingslied trällerte: Laissez moi aller u. s. w.

Noch an demselben Abend, während ihr Pflegevater sich auf sein Dachstübchen begeben hatte, und dort Abschriften zu fertigen, übergab Bathilde die Mappe mit den Bildern der treuen Nanette, um gebot ihr, diese dem Herrn Papillon zu überbringe und dagegen achtzig Livres in Empfang zu nehmen.

Nanette gehorchte, und Bathilde erwartete mit Herzklopfen ihre Rückkehr, denn noch immer fürchte sie, daß Buvat sich hinsichtlich des Preises geirrt habe. Bald war sie indeß beruhigt, denn schon mal zehn Minuten kehrte die gute Frau mit den achtzig Livres zurück.

Bathilde nahm ihr das Geld ab und betrachte es einen Augenblick lang mit Thränen in den Augen. Dann legte sie es auf den Tisch und knieete fromm und andächtig vor dem Crucifixe nieder, welches vor ihrem Bette stand, und vor dem sie allabendlich betete. Jetzt sprach sie heiße Dankgebete aus, den jetzt konnte sie dem guten Buvat einen Theil desse vergelten, was er für sie gethan.

Als Buvat am folgenden Tage von seiner Bureau zurückkehrte, und an dem Laden des Herr Papillon vorüberkam, gewahrte er zu einem unbeschreibbaren Erstaunen, an den Fenstern desselben in kostbaren Rahmen, die beiden Kinderköpfe, die auf ihn herabschaueten. In diesem Augenblick öffnete sich die Ladenthür und der Bilderhändler erschien auf der Schwelle derselben.

»Nun, Papa Buvat,« sprach er, wir haben uns denn doch anders besonnen, und uns entschlossen, endlich die Kinderköpfe loszuschlagen, die gar nicht zu verkaufen waren, he, hi? Hielt ich Sie doch nicht für so gerieben, Nachbar. Sie haben mir auf diese Weise achtzig blanke Livres aus der Tasche zu locken gewußt. Aber gleichviel sagen Sie der Demoiselle Bathilde, die ein liebes chermantes Mädchen ist, daß wenn sie sich verpflichten will, mir ein Jahr lang alle Monat zwei solche Bilder zu liefern, ich ihr demselben Preis zahlen werde wie für diese.«

Buvat fand wie niedergedonnert da; er murmelte eine Antwort, die der Kaufmann nicht verstehen konnte, und setzte seinen Weg fort. Er öffnete die Thür, ohne daß Bathilde es bemerkt hatte. Das junge Mädchen zeichnete, sie hatte bereits wieder eine Kopf angefangen.

Als sie ihren lieben Papa mit ernstem Gesicht auf der Schwelle gewahrte, sprang sie auf und fragt was ihm begegnet sei; ohne zu antworten, wischt Buvat sich ein Paar große Thränen hinweg.

»Also,« begann er endlich in einem gereizten Tone, »das Kind meiner Wohlthäter, die Tochter Alberts und Clarissens, arbeitet für Geld!«

»Aber lieber Papa,« erwiderte Bathilde halb weinend, halb lachend, »ich arbeite ja nicht, ich unter halte mich.«

»Ich bin nicht Ihr lieber Papa,« entgegnet Buvat, noch immer traurig, »ich bin nichts als den arme Buvat, den der König nicht bezahlt, und den mit seinen Schreibstunden nicht genug verdient, um Ihnen eine Erziehung geben zu lassen, wie sie für eine Demoiselle Ihres Standes paßt.«

Bei diesen Worten ließ er die Arme entmuthigend sinken, so daß der Stock seiner Hand entfiel.«

»Sie wollen mich also vor Schmerz und Beschämung sterben lassen!« rief Bathilde in Thränen ausbrechend.

»Ich dich sterben lassen,« entgegnete Buvat mit dem Ausdrucke der innigsten Zärtlichkeit. »Was hab’ ich denn gesagt? Was hab’ ich denn gethan?«

Und Buvat faltete die Hände und war nahe daran, vor ihr auf die Kniee zu sinken.

Bathilde vergoß noch immer Thränen.

»Ich will nicht, daß Du weinen sollst,« rief Buvat mit gutmüthigem Zorne, »das fehlte nur noch, daß ich Dich weinen sehen müßte.«

»Ich werde aber weinen, wenn Sie mich nicht mein Vorhaben ausführen lassen,« versetzte das junge Mädchen.

Diese Drohung Bathildens, so kindisch sie auch war, erfüllte dennoch Buvat mit Schrecken, denn seit den Tagen, in welchen das junge Mädchen ihre Mutter beweinte, waren keine Tränen ihren Augen entquollen.

»Wohlan,« rief Buvat endlich, »so mache was Du willst, aber versprich mir, daß Du von dem Tage an, an welchem mir der König wieder mein Gehalt auszahlen läßt – – –

»Schon gut, schon gut, lieber Papa,« unterbrach ihn Bathilde lebhaft, das wird sich später finden; »unterdessen sind Sie schuld, wenn die Suppe kalt geworden ist.«

Man setzte sich zu Tisch, und die heitere Laune des jungen Mädchens hatte aus dem Gesicht ihr Pflegevaters bald jede Spur von Traurigkeit verwischt.

Was aber würde Buvat gesagt haben, hätte er Alles gewußt. Im Voraus überzeugt, daß sie nicht zu viel Bilder fertigen müsse, wolle sie den Preis derselben nicht herabsetzen, beschloß Bathilde, das zwei Köpfe in zehn bis zwölf Tagen vollenden konnte, ihre übrige Zeit gleichfalls zu Geld zu machen, um hatte daher schon an diesem Morgen Nanette beauftragt, sich nach irgend einer Handarbeit umzuschauen mit der sie sich während Buvats Abwesenheit beschäftigen könne.

Nanette, welche gewohnt war, ihrer Gebieterin blindlings zu gehorchen, hatte sich sogleich auf der Weg gemacht, und brauchte nicht lange zu suchen. Die Spitzen waren damals gerade in der Mode, die vornehmen Damen wogen sie mit Gold auf, und bei dem hohen Preise dieses Gegenstandes, der leicht beschädigt wurde, ward auch das Ausbessern derselben theuer bezahlt. Bathildens Nadel bewirkte in dieser Rücksicht wahrhafte Wunder und sie theilte jetzt ihre Zeit zwischen Handarbeit und Zeichnen. Der ehrliche Buvat ergab sich endlich mit der ihm eigenthümlichen Fügsamkeit in ihre Anordnung, und da er den früheren Spaziergängen entsagt hatte, weil es ihn langweilte, sie allein zu machen, so richtete er wieder sein Augenmerk auf die oft erwähnte, kleine Terasse. Acht Tage lang traf er in dieser Rücksicht Morgens und Abends eine vorläufigen Anstalten so insgeheim, daß Niemand ahnen konnte, was er vorhatte. Auf diese Weise legte er oben auf dem Dache eine kleine Laube, einen Springbrunnen, und sogar eine Grotte an, welche letztere ihm indeß am meisten zu schaffen machte.

 

Endlich kam er auch hiermit zu Stande, jedoch waren sehr viele Monate vergangen bis Alles vollendet war.

Die Gartenarbeiten des guten ehrlichen Buvat hatten fast ein ganzes Jahr weggenommen. Bathilde war jetzt sechzehn Jahre alt, und zur vollkommen schönen Jungfrau aufgeblüht. Es war gerade in dieser Periode, daß ihr Nachbar gegenüber, Bonifaz Denis, sie bemerkte, und daß seine Mutter, die ihren Sohn nichts abschlagen konnte, und über Bathildens und Buvats Verhältnisse befriedigende Erkundigungen eingezogen hatte, mit ihnen eine nachbarliche Bekanntschaft anknüpfte, und sie einlud, die Sonntag-Abende in ihrem Hause zuzubringen. Die Einladung war auf so freundliche, zuvorkommende Weise geschehen, daß man sie nicht zurückweisen konnte, so ungern sich auch die anmuthige Bathilde ihrer Einsamkeit entzog. Der ehrliche Buvat war dagegen hocherfreut, daß sich irgend eine Gelegenheit zur Zerstreuung für Bathilde zeigte. Auch freute er sich insgeheim mit ächt väterlichem Stolze über den Triumph, den diese neben Emilie und Athenais feiern würde.

Die Dinge gingen indeß nicht ganz genau den Weg, den ihnen der wackere Mann in seinem Kopfe angewiesen hatte. Bathilde sah auf den ersten Blick, mit wem sie es hier zu thun habe; sie begriff ganz die niedrige Stellung ihrer Nachbarinnen, und als man sie dringend ersuchte, doch eine ihrer Zeichnungen zu zeigen, versicherte sie, daß sie keine derselben im Hause habe, während Buvat recht gut wußte, daß sich in ihrer Mappe ein Jesuskopf und ein Kopf des heiligen Johannes in höchst gelungener Ausführung befanden. Das war noch nicht Alles. Als man in sie drang, zu singen, nachdem die Töchter des Hauses sich hatten hören lassen, trug sie eine kleine Romanze vor, die noch nicht fünf Minuten währte, statt die große Arie vorzutragen, auf welche Buvat gerechnet hatte, und die dreiviertel Stunden ausgefüllt haben würde.

Zu Buvats großem Erstaunen nahm aber gerade dieses Betragen. Madame Denis zu Gunsten des jungen Mädchens ein; denn da man ihr Bathildens musikalisches Talent hoch gepriesen hatte, freuete sie sich, daß die Letztere in dieser Rücksicht ihre Töchter nicht allzusehr überrage. Bathilde ward daher von der guten Frau mit Liebkosungen überhäuft, welche, nachdem das liebliche Mädchen sich hinweg begeben, jedermann versicherte, daß es ein außerordentlich talentvolles und bescheidenes junges Mädchen say, und daß man nicht zu viel zu ihrem Lobe gesagt habe.

Was nun den saubern Herrn Bonifaz betraf, so hatte er sich an dem genannten Abend so schweigsam benommen, daß ihn die reizende Nachbarin kaum bemerkte. Mit Bonifaz war es aber etwas Anderes. Der arme Bursche, der sie schon aus der Ferne bewundert hatte, war jetzt bis über die Ohren in die verliebt. Hieraus folgte nun, daß Bonifaz fast nicht mehr von einem Fenster wich, welches natürlich zur Folge hatte, daß Bathilde das ihrige geschlossen hielt, denn man wird sich erinnern, daß der junge Mann das Zimmer bewohnte, welches später der Chevalier Harmental inne hatte.

Das zurückgezogene Betragen Bathildens steigerte die Leidenschaft ihres jungen Nachbars noch mehr, auch drang er so unablässig in seine Mutter, daß diese sich endlich nach der Rue des Orties begab, wo sie von der unterdessen fast ganz erblindeten und taub gewordenen Pförtnerin erfuhr, was sich am Sterbelager Clarissens zugetragen, und welchen edlen Character der wackere Buvat dabei entfaltet hatte. Die gute alte Frau hatte übrigens alle Namen vergessen, und erinnerte sich nur, daß Bathildens Vater ein schöner, stattlicher Offizier gewesen say, der in Spanien getödtet worden, so wie, daß seine junge, liebenswürdige Gattin vor Schmerz im Elende verstorben say.

Der junge Bonifaz hatte seinerseits gleichfalls Nachforschungen angestellt und durch seinen Principal, Herrn Jouy, erfahren, daß Buvat bei einem Procurator Herrn Ladureau, seit 10 Jahren jährlich 500 Livres auf Bathildens Namen deponiert habe, welche Summe, da die Zinsen immer dazu geschlagen wurden, jetzt schon ein hübsches Capital von 7 bis 8000 Livres ausmache. Sieben bis achttausend Livres war gerade kein bedeutender Gegenstand für Bonifaz, welcher, der Versicherung seiner Mutter zufolge, auf 3000 Livres jährlicher Einkünfte rechnen konnte; so klein aber dies Capital auch war, so war es doch besser als wenn Bathilde gar nichts gehabt hätte.

Nach einem Monat also, in welchem seine Leidenschaft mit jedem Tage wuchs, die Achtung der Madame Denis für Bathilde aber gleichfalls zunahm, beschloß die sorgsame Mutter, für ihren lieben Sohn förmlich um die Letztere anzuhalten.

Eines Nachmittags also, als Buvat wie gewöhnlich von seinem Bureau heimkehrte, erwartete ihn Madame Denis vor ihrer Thür, und als er in sein Haus treten wollte, winkte sie ihm zum Zeichen, daß sie ihm etwas Wichtiges mitzutheilen habe. Buvat zog höflich seinen Hut und trat zu Madame Denis ein, die ihn zu dem entlegendsten Zimmer ihres Hauses führte, die Thür verschloß, ihn feierlich ersuchte, sich niederzulassen, und alsdann mit gebührender Förmlichkeit um Bathildens Hand für ihren Sohn anhielt.

Buvat ward durch diesen Antrag in die größte Bestürzung versetzt. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, daß Bathilde sich verheirathen könne; das Leben ohne Bathilde zu ertragen, schien ihm ganz unmöglich, so daß er bei dem Gedanken, sie könne ihn verlassen, zusammenschauderte und die Farbe wechselte. Madam Denis war eine zu scharfe Beobachterin, als daß sie den mächtigen Eindruck nicht hätte bemerken sollen, den ihr Antrag auf ihren Nachbar hervorbrachte. Sie stellte sich indeß als wäre ihr seine Aufregung entgangen, während Buvat auch schon seine Fassung wieder zu erlangen sich bestrebte, und nach einer kurzen Pause, ziemlich gesammelt, erwiderte, daß ein solcher Antrag für Bathilde allerdings sehr ehrenvoll, daß er aber nur ihr Pflegevater say und in dieser Sache durchaus nichts entscheiden könne; er werde sie indeß mit der Bewerbung des jungen Herrn Denis bekannt machen, und müsse es ihr gänzlich überlassen, sich für oder gegen ihn auszusprechen.

Buvat stieg zu seiner Wohnung hinauf, wo er Bathilde seinetwegen in großer Unruhe fand, denn er war eine halbe Stunde über die gewöhnliche Zeit ausgeblieben, welches seit zehn Jahren das Erste mal war. Die Besorgniß des jungen Mädchens aber verdoppelte sich, als sie das bestürzte Wesen ihres Pflegevaters bemerkte. Auch beschloß sie sogleich nach der Ursache desselben zu forschen. Buvat wollte die Sache bis nach Tische verschieben, Bathilde ab erklärte, daß sie keinen Bißen genießen würde, erführe sie nicht zuvor, was ihren lieben Papa dergestalt beunruhige; und so blieb ihm nichts anders übrig, als ihr ohne Weiteres den Antrag der Madame Denis vorzulegen.

Bathilde erröthete anfangs, wie alle jungen Mädchen, wenn man ihnen von einer Heirath sprich dann aber erfaßte sie beide Hände Buvats, der sich niedergesetzt hatte, weil er fühlte, daß seine Füße ihn ihren Dienst versagten, blickte ihn mit jenem sanften hinreißenden Lächeln an, welches für den ehrliche Schreiblehrer die Sonne des Himmels war und sprach: »Sie wollen Ihr armes Töchterchen also los seyn, lieber Papa? Sind Sie ihrer denn ganz überdrüssig?«

»Ich, ich,« stammelte Buvat, »ich Deiner überdrüssig! Ich sterbe an dem Tage, an dem Du mich verläßt.«

»Aber, lieber Papa,« entgegnete Bathilde, warum sprechen Sie mir denn von einer Heirath?«

»Weil, siehst Du – weil –« fuhr Buvat stammelnd fort, »weil Du Dich doch einmal verheirathen mußt, und weil sich nicht immer eine so gute Parthie findet; obgleich, Gott say Dank, meine gute Bathilde einen ganz andern Mann verdient, als Herrn Bonifaz.