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Isaak Laquedem

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Neuntes Kapitel.
Der Blutschweiß

Jesus entfernte sich aus Jerusalem durch dasselbe Thor, durch welches er eingetreten war.

Es mochte ungefähr sechs Uhr Abends sein.

Der Mond, der hinter dem Berge Kroge ausgegangen, rückte bleich gegen einen tiefen Ocean von schwarzen Wolken vor, welche ihn verschlingen zu wollen schienen; der Wind wehte von Südwest traurig wie eine Klage der Natur, und die Holztauben erhoben, trotz der vorgerückten Stunde, ein unheimliches Geschrei in den Cypressen von Zion.

Jesus ging über die Brücke des Kidron, ließ zu seiner Rechten den Weg nach Engeddi und Jericho und betrat den Fußpfad des Oelbergs, der nach Gethsemane führt. Er war schweigsam, und durch dieses Schweigen wurden seine Jünger sehr beunruhigt; ihre ganze Stärke beruhte aus ihm, und sobald diese Stärke sie verließ, bogen sie sich wie Rohre.

Johannes verlor ihn nicht aus den Augen; er so seinen Meister mit langsamen Schritten, die Arme träge an seinen Seiten herabhängend, den Kopf vorgebeugt, das Gesicht noch blässer als gewöhnlich, hingehen. Noch bevor man Gethsemane erreichte, näherte er sich Ihm, und da er seine Besorgnis nicht länger in seiner Seele verschließen konnte, sprach er zu ihm:

»Meister, wie kommt es, daß Du so niedergeschlagen, Du, der Du gewöhnlich die Stütze bist der Andern?«

Aber Jesus schüttelte den Kopf und erwiederte:

»Oh! mein lieber Johannes, meine Seele ist betrübt bis in den Tod.«

»Was kann ich für meinen Herrn Jesus thun?«

»Nichts,« antwortete Christus, »denn Eure Augen sehen nicht, was ich sehe.«

»Was siehst Du denn so Erschreckliches?«

»Ich sehe die Angst und die Anfechtung, welche herannahen, und ich bin so tief betrübt bei dem Gedanken, mich von denjenigen zu trennen, welche ich liebe, daß ich unterliegen werde, wenn mir mein Vater nicht zu Hilfe kommt. Darum, statt mich zu umgeben und mir beizustehen, sollt Ihr fern von mir bleiben, damit meine Schwäche für Euch nicht sei ein Gegenstand des Aergernisses.«

Und als man zum Dorfe Gethsemane kam, ließ er in einer Art von Gehege Simon, Bartholomäus, Thaddäus, Philippus, Thomas, Andreas, Matthäus, Jacobus den Jüngern, und ging weiter mit Petrus, Jacobus und Johannes.

»Bleibet hier,« sprach er zu den Erstern, »wachet und betet, daß Ihr nicht in Anfechtung fallet.«

Dann ging er aus dem Dorfe hinaus, wandte sich ein wenig links und schritt aus das zu, was man den Oelgarten nannte, weil hier die ältesten Oelbäume des Berges waren.

Dieser Garten war umschlossen von einer Erdmauer, in deren Mitte man aber eine Oeffnung angebracht hatte, welche Jedem einzutreten gestattete. An einem der abgelegensten Orte, unter dem tiefsten Schatten der alten Oelbäume, fand man eine Grotte, deren Eingang beinahe ganz durch Epheuzweige und wilde Reben bedeckt war.

In diese Grotte pflegte sich Jesus zurückzuziehen, um sich vor dem Herrn niederzuwerfen; gewöhnlich trat er auch allein in den Garten ein, und die Apostel, welche sich aus dem einen oder dem anderen Punkte des Berges gruppirten, sahen zu ihrem Erstaunen, daß, sobald Jesus im Gebete war, lange Lichtstreifen die Luft durchfurchten wie Sternschnuppen und gegen die Grotte, wo Jesus betete, ausliefen.

Für sie unterlag es keinem Zweifel, daß diese Lichtstreifen die Spuren waren, welche am dunkeln Azur der Nächte die Engel hinterließen, die Jesus während seiner Betrachtungen besuchten.

Ein paar Schritte von der Gartenthüre verließ der Herr die drei Apostel.

»Ihr,« sprach er, »Ihr, die Ihr mir aus den Thabor gefolgt seid und dort meine Stärke und meine Größe gesehen habt, bleibet hier, denn Ihr allein könnt, ohne zu zweifeln, meine Schwäche sehen.«

Petrus, Jacobus und Johannes blieben zurück und setzten sich, wie es die acht ersten Apostel gethan hatten.

Jesus ging weiter und trat voll Bangigkeit in die Grotte ein.

Eine Tradition aus dem Anfange der Welt sagt, in diese Grotte haben sich nach der ersten Sünde, welche Jesus sühnen sollte, Adam und Eva geflüchtet, wie auch eine andere Tradition versichert, der Vater und die Mutter des Menschengeschlechts schlafen den ewigen Schlaf aus dem Gipfel von Golgatha, gerade an dem Orte, wo die Hinrichtungen stattfanden.

Die Stadt Jerusalem trennte also allein die Grotte, wo die aus dem Paradiese Verbannten lebend geweint und gebetet hatten, von dem Grabe, wo sie todt und stumm ruhten.

Kaum war Jesus in der Grotte, da warf er sich mit dem Gesichte auf die Erde.

Plötzlich, mitten unter dem Gebete Christi, erscholl in den Lüften die furchtbare Trompete, welche am Tage des jüngsten Gerichts die Todten auferwecken soll, und zwar auf eine so unvorhergesehene Art, daß, wie beim Lärmen eines Clarins ein Pferd sich bäumt und davon läuft, ebenso beim Tone dieser unseligen Trompete die Menschen unter ihren Füßen die Erde springen fühlten, welche erschrocken fortstürzte, um sich im Raume zu verlieren, hätte sie nicht die mächtige Hand Gottes aufgehalten und genöthigt, in ihren Kreis zurückzukehren.

Dann, auf das Schmettern der Trompete, folgte eine nicht minder furchtbare Stimme und sprach: »Im Namen desjenigen, welcher die Schlüssel des Unendlichen hält, der der Hölle ihre Flamme, dem Tode seine Allmacht gibt, ist unter dem Himmelsgewölbe ein Mensch, welcher vor Gott statt des Menschengeschlechts erscheinen will? Lebt dieser Mensch, so antworte er.«

Ein Schauer, ähnlich dem des Todes, durchlief die Adern von Jesus und drang bis in das Mark seiner Gebeine ein.

Doch er richtete sich auf seine Kniee auf, hob die Arme und die Augen zum Himmel empor und sprach: »Herr hier bin ich.«

Und er blieb eine Zeit lang in die Beschallung versunken, die ihm erlaubte, Gott durch die Dicke des Berges, durch die Tiefe des Feuerhimmels zu sehen.

Allmälig schloß sich die himmlische Oeffnung wieder, und Alles kehrte in die Stille und in die Finsterniß zurück; doch dieser kurze Augenblick, in welchem es Jesus das Antlitz des Herrn zu betrachten gestattet gewesen, verlieh ihm wieder seine ganze Stärke.

Dann lehnte er sich an die Wände der finsteren Grotte an und sprach: »Und nun, komm, Satan . . . ich bin bereit, Dich zu empfangen.«

Sogleich schoben sich die Epheuzweige und die wilden Reben, welche den Eingang der Grotte verschleierten, auseinander, und der Engel des Bösen erschien, wie er sich schon einmal Jesus in jener Nacht gezeigt, wo er, nachdem er ihn aus die Zinne des Tempels versetzt, von der Höhe des Dschawahir alle Reiche der Welt hatte an ihm vorüberziehen lassen.

Die drei Stunden der letzten Versuchung sollten beginnen.

Erste Stunde

»Du hast mich gerufen,« sprach Satan.

»Ich habe Dich nicht gerufen,« antwortete Jesus, »doch da ich wußte, daß Du hier warst, sagte ich zu Dir: »»Komm.««

»Du befürchtest dies Mal also ebenso wenig zu unterliegen, als das erste Mal?«

»Ich hoffe, der Herr wird mich unterstützen.«

So bist Du also immer noch entschlossen, die Missethaten und Sünden der Menschen zu sühnen?«

»Du hast gehört, was ich so eben dem Engel des Herrn geantwortet, als er die Menschheit aufforderte, vor ihm zu erscheinen.«

»Und warum hast Du die Menschheit sich nicht selbst vertheidigen lassen?«

»Weil sie verurtheilt worden wäre, weil, um sie zu retten, eine Tugend nöthig war, die das Gegengewicht aller Sünden bilden konnte: die Hingebung

»Du willst also die Ungerechtigkeiten der Erde auf Dich nehmen?«

»Ja,« antwortete Jesus.

»Die Last wird schwer sein, das sage ich Dir zum Voraus.«

»Wenn ich sie nur bis aus den Gipfel der Schädelstätte trage, mehr brauche ich nicht.«

»Du kannst wohl mehr als einmal unter Weges fallen.«

»Die Hand des Herrn wird mich wieder aufheben.«

»Wohl,« sprach Satan.

»Du nimmst also den Fehler der guten Mutter Eva und des guten Vaters Adam aus Dich?«

»Ja,« erwiederte Jesus.

»Das Verbrechen des ersten Mörders, das Verbrechen von Cain nimmst Du auf Dich?«

»Ja.«

»Die Verbrechen des Geschlechtes, das Dein Vater für so verdorben gehalten, daß er kein anderes Mittel fand, um es zu heilen, als dasselbe zu ersäufen, – Du nimmst sie auf Dich?«

»Ja.«

»Wohl!« sagte Satan. »Doch wir sind kaum beim Eingange der Welt, und das Drama eröffnet sich wahrhaft erst nach der Sündfluth. Was sagst Du von Nimrod, diesem großen Jäger vor dem Herrn, der die Hirsche, die Elendthiere, die Tiger, die Panther und die Löwen als seiner unwürdige Thiere betrachtete und seinen Bogen auf die Menschen spannte?«

»Ich sage, daß Nimrod ein Tyrann war, doch ich sterbe für die Tyrannen wie für die Anderen.«

»Gut, Nimrod mag hingehen! Doch wir haben einen gewissen Procrustes, der seine Gäste in ein Bett legte und, waren sie zu klein, verlängerte, waren sie zu groß, sie verkürzte. Wir haben einen gewissen Sinnis, der die Vorübergehenden viertheilte, indem er sie an zwei Bäume band, die er mit Gewalt niederbog, und sodann sich wieder erheben ließ . . . Wir haben einen gewissen Anthäos, der Neptun einen Tempel mit den Schädeln der Fremden baute, welche durch seine Staaten reisten . . . Wir haben einen gewissen Phalaris, der mit dem Todesgeschrei der Gefangenen, die er enthielt, einen glühenden ehernen Stier brüllen ließ . . . Wir haben einen gewissen Skyron, der auf einem schmalen Wege stand und die Reisenden ins Meer stürzte! . . . Du übernimmst Alles dies? Gut! gehen wir zu Anderen über! Oh! wir werden nicht lange suchen, der Mensch ist ein häßliches Thier, und die Geschichte der Menschheit ist eine häßliche Geschichte. Da ist Klytämnestra, die ihren Gatten tödtet; da ist Orestes, der seine Mutter tödtet; da ist Oedipus, der seinen Vater tödtet; da ist Romulus, der seinen Bruder tödtet; da ist Kambyses, der seine Schwester tödtet; da ist Medea, die ihre Kinder tödtet; da ist Thyestes, der sie frißt! . . . Du übernimmst es, Alles dies den Eumeniden streitig zu machen? Vortrefflich! . . . Sehen wir ein wenig, was Du von den Bacchantinnen sagst, welche Orpheus zerfleischen; von Pasiphae, welche Griechenland mit dem Minotaurus beschenkt; von Phädra, welche Hippolyt von seinen Pferden zerreißen läßt; von Tullia, welche mit ihrem Wagen über den Leib von Servius Tullius fährt? . . . Kleinigkeiten! Reden wir nicht mehr davon . . . Reden wir von Sardanapal, der eine Provinz demjenigen verspricht, welcher ein neues Vergnügen erfinde; von Nabochudonosor, der den Tempel plündert und Deine Vorfahren in die Gefangenschaft schleppt; von Balthasar, der Daniel in die Löwengrube werfen läßt; von Manasse, der Jesaias entzwei sägen läßt, und zwar von unten nach oben, damit die Sache länger dauere; von Ahab, der so viele Verbrechen begangen hat, daß Saul von Samuel verflucht wird, weil er ihn nicht getödtet! Sprechen wir von Ixion, welcher eine Göttin schänden will! Reden wir von der Blutschande des Patriarchen Loth, von den Geheimnissen der Venus Mylitta, von der Prostitution in Tyrus, von den Bacchanalien in Rom, von der Vergiftung des Sokrates, von der Verbannung des Aristides, von der Ermordung der Gracchen, von den Erdrosselungen des Marius, von den Aechtungen von Octavius, von der Meuchelung des Cicero; von Antonius, der seiner Frau die Köpfe von denjenigen schickt, welche er nicht kennt; von Scipio, der Numantia den Flammen preisgibt; von Mummius, der Korinth niederbrennt; von Sylla, der Athen mit Feuer und Schwert verwüstet! . . . Bemerke wohl, daß ich die Hebräer, die Phönicier, die Griechen und die Aegypter, welche ihre Kinder dem Moloch opfern, beiseit lasse; ebenso die Bretannier, die Carnuten und die Germanen, die ihre Kinder Teutates opfern; die Indianer, die unter dem Wagen von Wischnu sich zermalmen lassen; die Pharaonen, welche die Pyramiden bauen und diese Gebilde ihrer Laune mit dem Schweiße und dem Blute von zwei Millionen Menschen verkitten! . . . Und Alles dies, um zu Herodes dem Großen zu gelangen, der Deinetwegen fünftausend männliche Kinder erwürgen läßt, und zu Johannes dem Täufer, dem Herodes Antipas, immer Deinetwegen, den Kopf abschlagen läßt! . . . Nun! Sohn des Menschen oder Sohn Gottes, was sagst Du hierzu? Sprich! antworte! Nimmst Du immer noch die Missethaten der Welt auf Dich, und glaubst Du, das sei eine Last, welche menschliche Schultern tragen können?«

 

Jesus vermochte nur durch einen Seufzer zu antworten. Doch er machte eine Anstrengung gegen sich selbst und murmelte:

»Mein Gott, Dein Wille geschehe und nicht der meinige!«

Satan stieß ein Gebrülle des Zorns aus.

Die erste Stunde der Bangigkeiten, die erste Stunde der Prüfungen, die erste Stunde der Leiden, welche dem Weltall den Frieden geben sollten, war abgelaufen!

Zweite Stunde

»Lassen wir die Vergangenheit,« sprach Satan, »was geschehen ist, ist geschehen; kommen wir zur Gegenwart. Du hast zwölf Apostel zu Dir gerufen. . . . ich spreche nicht von den Jüngern, das würde uns zu weit führen . . . Du hast wackere Leute genommen, die Einen von ihren Nachen und ihren Netzen, die Andern von ihrem Pfluge und ihrem Weinberge, wieder Andere aus ihren Schreibstuben und ihren Zollbuden; ohne Dich wären sie glücklich gewesen: sie hätten gelebt bei ihren Familien, sie wären gestorben in ihren Betten, umgeben von ihren Kindern! Doch nein, Du hast aus ihnen Bettler während Deines Lebens gemacht und wirst aus ihnen Landstreicher nach Deinem Tode machen . . . Willst Du wissen, was ihnen widerfahren wird, daß sie Deine Lehre gepredigt haben, und auf welchem Wege sie Dir in das Reich Deines Vaters nachfolgen werden? Ich lasse Judas beiseit: würde dieser gehenkt, so hätte er es wohl verdient! – Ich beschäftige mich nur mit den Eifrigen, mit den Getreuen, mit den Unerschütterlichen! . . . Fangen wir mit dem Ersten an, der den Marsch eröffnen wird, mit Jacobus dem Aeltern.

Nachdem er eine Reise in Spanien gemacht, wird er nach Jerusalem zurückkehren, um Dein Evangelium zu predigen; das wird Herodes Agrippas mißfallen, der ihm auf das Verlangen der Juden den Kopf abschlagen läßt. Einer! Dann kommt Matthäus. Er wird viel reisen: er wird vor Allem nach Persien und dann nach Antiopien gehen; er wird eine Menge von Jungfrauen zur christlichen Religion bekehren; da er aber eine von diesen Jungfrauen verhindern will, den König des Landes zu heirathen, der in sie verliebt ist, so wird ihm der König einen Messerstich von hinten geben lassen, an welchem er stirbt. Zwei! Nun ist die Reihe an Thomas . . . Du siehst, daß ich der chronologischen Ordnung folge . . . Ah! Thomas, er wird in Arabien thun wollen, was Du in Aegypten gethan hast: die Götzenbilder umstürzen; doch es wird ihm weniger glücken, als Dir: der Oberpriester wird ihn selbst mit einem Schwertstreiche tödten. Drei! Gehen wir zu Petrus, der Grundsäule Deiner Kirche, dem Bewahrer Deiner Schlüssel, über. Diesen erwartet sein Golgatha in Rom: er wird gekreuzigt werden wie sein Herr; nur wird er aus Demuth verlangen, daß man ihn mit dem Kopfe nach unten kreuzige, und da er es mit einem Richter voll Milde zu thun hat, so wird man ihm diese Bitte gewähren. Vier! Ah! verzeih, ich bemerke, daß ich Jacobus den Jüngern übergangenhabe. Jacobus der Jüngere wird schon drei Jahre bei Dir sein, wenn Petrus zu Dir kommt; Du weißt, wie er sterben wird, Dein Vetter Jacobus, der erste Bischof von Jerusalem? Man wird ihn mit Gewalt thun lassen, was Du nicht gutwillig thun wolltest: man wird ihn vom Tempel herabspringen lassen; dann, da er bei seinem Falle nur zwei Beine und einen Arm gebrochen hat und seinen letzten Arm zum Himmel emporhebt, wird ihm ein wackerer Jude den Kopf mit einem Walkerhammer zerschmettern. Fünf! Wir haben noch Bartholomäus, den ehemaligen Nathanael, denjenigen, welcher behauptet hat, es könne nichts Gutes von Nazareth kommen. Er wird eines sehr unangenehmen Todes sterben; man wird ihn schinden, nicht mehr, nicht weniger, als den pflichtvergessenen Richter von Kambyses, und das wird ihm in einer Stadt begegnen, deren Namen der arme Mann nicht einmal kennt: in Albana, in Armenien. Sechs! Dann Andreas, der Zeuge Deines ersten Wunders in Kanaan gewesen ist und an ein ganz besonderes Kreuz genagelt werden wird, dessen Form man ausdrücklich für ihn erfindet und sodann nach seinem Namen benennt; was nicht mehr als gerecht ist, in Betracht, daß er an diesem Kreuze erst am Ende des zweiten Tages stirbt. Sieben! Dann Philippus, der sich wird in Phrygien steinigen lassen. Acht! Dann Simon und Thaddäus, diese zwei guten Freunde, die sich nicht einmal im Tode verlassen wollen und in Persien von den Einwohnern der Stadt Sannir gesteinigt werden. Zehn! Und endlich Johannes, Dein geliebter Jünger. Ah! ah! dieser bewegt Dich, wie es scheint, mehr als die Andern? Du hebst die Arme zum Himmel empor, Du bittest Deinen Vater, ihn zu verschonen, und, in der That, er geht unversehrt aus der Wanne mit siedendem Oel hervor, in die ihn Domitian hat tauchen lassen . . . Gut! Einer von Zwölf, das ist nicht zu viel! Ah! es kostet etwas, Dein Freund zu sein, Jesus! man bezahlt die Ehre, in Deinem Dienste zu sein, theuer, Christus! und Deine Auserwählten sind wahrhaftig die Privilegirten Deines Schmerzes, Messias!«

Jesus ließ den Kopf in seine Hände fallen, um die Thränen zu verbergen, welche über seine Wangen rieselten.

Satan lächelte, und bei diesem Lächeln trat die Finsterniß ein in der ganzen Natur.

»Warte,« sagte er, ich habe hier nur von den Aposteln gesprochen; sprechen wir nun ein wenig von den Proselyten, von den Neophiten, von den Adepten: hier werden wir nicht mehr nach zehn oder zwölf zählen, sondern nach hunderttausend, nach fünfmalhunderttausend, nach Millionen! Gegrüßet seist Du, Kaiser Nero! Was machst Du da, Sohn von Agrippina und Ahenobarbus? Bist Du bei Deinem Lieblingsschauspiel gewesen: Christen wilden Thieren vorgeworfen, beleuchtet durch Christen, welche brennen . . . Schau doch, Jesus, es ist sinnreich, was er da erfunden hat, dieser große Künstler, welcher zur Lyra Verse von Orpheus singt, während Tausende von Menschen mit dem Tode ringen! Aergerlich darüber, daß den Metzeleien die Nacht ein Ziel setzte, hatte er den Gedanken, Menschen mit Baumharz, mit Erdpech, mit Schwefel Überkleider zu lassen und sie wie Fackeln anzuzünden, so daß der Kaiser den Circus nun nicht mehr verlassen wird: er wird Schauspiel bei Tag und Schauspiel bei Nacht haben! Setzen wir dreimalhunderttausend Christen für Nero, und ich schwöre Dir, Jesus, daß ich die Sache aus das Niedrigste anschlage. Domitian wird es besser machen, als Nero: die Welt unterrichtet sich, während sie an Alter zunimmt! – Laß sehen, was hast Du erfunden, Bruder des guten Titus, während dieser Augenblicke der Langweile, wo Du nicht die Fliegen mit Deiner Pfrieme durchstichst? Die Christen mit Lanzen, mit Pfeilen und mir Wurfspießen zu durchbohren? Ei! das sind seit dem Anfange der Welt bekannte Martern . . . Ah! ah! Du lässest sie in angezündete Oefen und in Kessel mit siedendem Oel werfen? Nabuchodonosor hatte dies vor Dir erfunden . . . Du lässest sie im Circus durch Löwen, Tiger, Leoparden zerreißen? Du lässest sie durch Elephanten und Flußpferde mit den Füßen zertreten? Du lässest ihnen durch Stiere und Rhinocerosse den Bauch aufreißen! Das waren Belustigungen Deines Vorgängers Nero. . . Höre, Domitian, ist es denn ebenso schwer, eine neue Marter, als ein neues Vergnügen zu erfinden? Ah! schau dies an, Jesus, das ist nicht übel: hier sind zwei Schiffe, zehn Schiffe, zwanzig Schiffe, welche wider einander kämpfen; diese Gegner greifen sich mit entflammten Pfeilen an, so daß sie sich gegenseitig in Brand stecken . . . Ah! das ist ein schönes Schauspiel dieses Wiederstrahlen der Flammen im Wasser, und dann ist wenigstens eine Abwechselung im tode der Märtyrer: die Einen laufen vom Vordertheil nach dem Hintertheile; die Andern versuchen es, Maste zu erklettern; wieder Andere stürzen sich in's Wasser . . . Ah! gut: das Wasser ist mit Kaimans, Haifischen und Krokodilen bevölkert: das ist ein Fortschritt Claudius gegenüber. Claudius hatte das Wasser und das Feuer erfunden; doch er hatte nicht die Krokodile, die Haifische und die Kaimans erfunden. Setzen wir fünfmalhunderttausend Christen getödtet durch Pfeile, Lanzen und Wurfspieße; verbrannt in den Oefen, gesotten im Oel, zerfleischt durch die Löwen, die Tiger und die Leoparden; mit den Füßen zertreten durch die Elephanten und die Flußpferde, aufgeschlitzt durch die Stiere und die Rhinocerosse: gebraten aus den Schiffen oder gefressen von den Kaimans, den Haifischen und den Krokodilen. Fünfmalhunderttausend, das ist nicht viel; Domitian ist aber auch erst fünfundvierzig Jahre alt, da er von Stephan, dem Freigelassenen der Kaiserin, ermordert wird. Lebte er länger, so würde er Besseres vollbringen! Was er nicht gethan hat, wird übrigens Commodus thun. Komm doch hierher, Sohn von Marc Aurel, römischer Hercules, Löwentödter, der Du der Lust, tödten zu sehen, das Vergnügen, selbst zu tödten, beifügst! Du wirst siebenhundertmal in den Circus hinabsteigen. Sohn Jupiters! Es wird wohl jedes Mal fünfhundert Christen das Leben kosten: hierdurch sind dreimalhundertfünfzigtausend Märtyrer den fünfmalhunderttausend von Domitian, den dreimalhunderttausend von Nero beizurechnen; im Ganzen elfmalhunderttausend! – Ich sagte Dir ja, Jesus, Du könnest nach Millionen zählen! . . . Zähle, zähle, Jesus.«

Jesus breitete die Arme aus, fiel, das Gesicht von Schweiß und Thränen bedeckt, zitternd, schauernd, er»bleichend aus die Kniee und sprach:

»Mein Vater, ist es möglich, so laß diesen Kelch von mir gehen!«

Dann aber sammelte er sich wieder, und da er fühlte, daß Satan nahe daran war, die Hand über die Welt auszustrecken, rief er:

»Doch, mein Vater, Dein Wille geschehe aus Erden wie im Himmel!«

Satan brach in ein Gelächter aus, das erschrecklicher und schmerzlicher war, als sein erstes Gebrülle.

Und man hörte sanfte Stimmen in den Lüften singen:

»Sie ist abgelaufen, die zweite Stunde der Bangigkeiten, die zweite Stunde der Prüfungen, die zweite Stunde der Leiden, welche dem Weltall den Frieden geben sollen!«

Das war der Chor der Engel, die sich freuten, daß Jesus nicht unterlegen.

Diese sanften Stimmen trockneten den Schweiß, der von der Stirne Christi fiel, und trockneten die Thränen, die aus seinen Augen flossen.

»Hast Du mir noch etwas zu sagen?« fragte Jesus.

»Ob ich Dir noch etwas zu sagen habe?« rief Satan; »bei der Hölle, ich glaube wohl! Ich habe mit Dir von den Ketzereien zu reden . . . Ah! Du empfindsames Herz, für die Ketzereien verlange ich Deine ganze Aufmerksamkeit.«

Jesus konnte sich eines Seufzers nicht erwehren.

 

»Oh! sei ruhig,« sprach Satan, »Du weißt, daß ich nur noch eine Stunde habe: ich werde also genöthigt sein, abzukürzen und bloß das zu nehmen, was sich Bestes findet. Schau, hier ist meine Liste, Du siehst, daß sie kurz ist.«

Satan streckte die Arme aus, und an den Wänden der Grotte konnte Jesus in Flammenschrift lesen:

Arianer, – Waldenser, – Albigenser, – Templer, – Hussiten, – Protestanten.