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Isaak Laquedem

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Und während Satan sprach, zog Europa vorüber; zuerst Griechenland, dann Italien mit Sicilien zu seiner Rechten, mit Germanien und Scandinavien zu seiner Linken; dann England, dann Gallien, dann Spanien.

Und einen Augenblick sah man nichts mehr als Wasser vom Nordpol bis zum Südpol, vom arctischen Pol bis zum antarctischen Pol.

»Sckau!« sagte Eatan.

Jesus bedeutete durch ein Zeichen, daß er schaue.

»Nach der hinfälligen Welt die gealterte Welt, nach der civilisirten Welt die barbarische Welt, nach der barbarischen Welt die unbekannte Welt. Schau, hier ist ein ganzes Land, das man nicht kennt. Es ist allerdings kaum dreitausend Meilen lang und fünfzehnhundert Meilen breit; es ist allerdings zuletzt aus dem Schooße der Gewässer hervorgegangen, so daß es Seen hat so groß wie das Mitteiländische Meer, Flüsse von einem Laufe von fünfzehnhundert Meilen, achtzehntausend Fuß hohe Berge, Wüsten ohne Grenzen, Wälder ohne Ende. Allerdings keimen dort das Gold und das Silber, wie anderswo das Kupfer und das Blei; allerdings schneidet es, an den Nordpol gelöthet, wie das Eisen an den Magnet, die Welt entzwei, abgesehen von dem für die Durchfahrt eines Schiffes nothwendigen Raum; das ist das Land, welches ein Narr oder ein Weiser Griechenlands, wie Du willst, träumte; er hieß Plato und nannte es Atlantis.«

Und Amerika zog vorüber mit seinen jungfräulichen Wäldern, seinem Niagarafalle, der sich auf die Entfernung von zehn Meilen ausbreitet, seinem Amazonenstrome, seinem Missisippi, seinen Cordilleren, seinen Andes, seinem Chimborasso und seinem Pic von Miste.

Der Ocean erschien abermals.

»Schau,« sagte Satan.

Jesus bedeutete durch ein Zeichen, daß er schaue.

Und der Erzengel fuhr fort: »Siehst Du jene unermeßliche Fläche, welche ein Spiegel von polirtem Stahl, stellenweise gesteckt mit dunklen Punkten, zu sein scheint? Dieser Spiegel ist die Südsee; diese dunklen Punkte sind Inseln; je mehr die tiefe Welle unter unsern Füßen vorrückt, desto häufiger werden die Flecken; das ist so, weil wir uns Australien nähern, wo die Inseln auf der Oberfläche des Meeres weiden wie eine Herde riesiger Schaafe. Siehe, dort sind sie so nahe an einander gedrängt, daß Du kaum unter ihnen das Meer wie ein bewegliches Netz unterscheidest. Noch nichts von Allem dem hat einen Namen, doch gleichviel! Alles dies hat Menschen, Thiere, Seen, Wälder; das ist ein fünfter Welttheil, eine zweite Atlantis in den Ocean zerkrümelt. Durch diese Inseln geht man von den Cordilleren zum blauen Flusse, dessen Mündung vierhundert Meilen von uns und dessen Quelle unter unsern Füßen ist.«

Und das südliche Weltmeer zog vorüber mit seinen Gruppen von Inseln, seinem Neu-Guinea, Neu-Holland, Borneo, Sumatra, den Philippinen und Formoso.

Und von fern sah man den schneebedeckten Gipfel des Dschawahir kommen; die Erde hatte sich um ihre Achse gedreht, die Welt war mit allen ihren Reichen unter den Augen von Jesus vorübergezogen.

Und Satan sprach zu ihm:

»Alle diese Macht will ich Dir geben und ihre Herrlichkeit, wenn Du mich willst anbeten, denn sie ist mir übergeben, und ich schenke sie wem ich will.«

Da antwortete Jesus:

»Hebe Dich hinweg von mir, Satan; es steht geschrieben. Du sollst Gott Deinen Herrn anbeten und ihm allein dienen.«

Da erscholl im Raume ein entsetzlicher Schrei, ein Schrei des Hasses, des Fluches und der Verzweiflung.

Das war der Abschied von Satan an Jesus, den er als den Sohn Gottes anerkennen mußte.

Und als dieser furchtbare Schrei, nachdem er wie ein Donner hingerollt, erloschen war, hörte man eine sanfte, traurige Stimme murmeln: .

»O schöner Erzengel, leuchtender Stern des Morgens! wie bist Du gefallen vom Himmel, Du, der Du so glänzend schienst beim Aufgang des Tages . . .«

Diese Stimme war die von Jesus, der über den Fall Satans weinte.

Viertes Kapitel.
Die Sünderin

Einige Tage nachher kam Jesus in eine am nördlichen Ende des Sees Genezareth liegende Stadt, genannt Capernaum, was besagen will: Stadt des Trostes, gefolgt von seinen vier ersten Jüngern. Diese vier Jünger waren: Andreas, Petrus, Philippus und Nathanaet.

Andreas war einer von den Schülern von Johannes gewesen, und der Täufer hatte zu ihm gesagt, als er Jesus bei seiner Rückkehr aus der Wüste der Versuchung vorüber kommen sah:

»Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünden trägt.«

»Woher weißt Du das?« hatte ihn Andreas gefragt.

»Derjenige, welcher mich gesandt hat, um zu taufen mit Wasser, sprach zu mir: »»Ueber welchen Du sehen wirst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, derselbe ist es, das ist der Sohn Gottes, den Du taufen wirst!«« Und ich sah den heiligen Geist herabfahren und zeuge, daß dieser der Sohn Gottes ist.«

Da war Andreas Jesus gefolgt.

Auf dem Wege hatte er seinen Bruder Simon getroffen und zu ihm gesagt:

»Komm, Bruder, denn wir haben den Messias gefunden.«

Und er hatte ihn zu Jesus geführt.

Dann, als Simon Jesus mit einem Erstaunen anschaute, das nicht ganz vom Zweifel frei war, sprach Jesus:

»Du erkennst mich nicht?«

»Nein, Meister,« antwortete Simon.

»Ich habe Dir, als ich ein Kind war, das Leben gerettet, da Du gebissen warst von einer Schlange. Ich sage Dir also: Du bist der Sohn von Jonas; Du heißest Simon, Du wirst Petrus heißen: Du wirst mein Jünger sein und mich verleugnen.«

Bei diesen Worten warf sich Simon Jesus zu Füßen, küßte seinen Rock und sprach:

»Herr, ich danke Dir das Leben, mein Leben gehöret also Dir.

Ich heiße nicht mehr Simon, ich heiße Petrus und bin Dein Jünger, doch ich hoffe, der Herr wird mir die Gnade gewähren, daß ich Dich nie verleugne.«

Jesus lächelte und sprach:

»Komm.«

Und Petrus war Jesus gefolgt.

Am andern Tage hatte Jesus auf der Straße Philippus getroffen, der von Bethsaida war, wie Andreas und Petrus, und er hatte zu ihm gesagt:

»Folge mir, Philippus.«

Philippus war ihm gefolgt, und nachdem er sich bei Andreas und Petrus erkundigt, hatte er seinerseits Nathan«! getroffen und zu ihm gesagt:

»Folge uns, Nathanael, denn wir haben denjenigen gefunden, von welchem Moses und die Propheten geschrieben.«

Ganz erstaunt, fragte Nathanael, wer dieser sei, und Philippus antwortete:

»Es ist Jesus von Nazareth.«

Nathanael aber zuckte die Achseln und wiederholte:

»Von Nazareth! Was kann von Nazareth Gutes kommen?«

Da trat Jesus dazwischen und sprach:

»Siehe, ein rechter Israeliter, in welchem kein Falsch ist.«

»Woher kennst Du mich?« fragte Nathanael.

Lächelnd erwiederte Jesus:

»Ehe Dich Philippus rief, sah ich Dich unter dem Feigenbaume«

Und Nathanael, der wirklich unter einem Feigenbaume gefrühstückt hatte, verbeugte sich und sprach:

»Meister, Du bist der König von Israel.«

»Du glaubst es, weil ich Dir gesagt habe, daß ich Dich unter dem Feigenbaume gesehen,« sprach Jesus, »aber Du wirst noch viel Größeres sehen, Nathanael: Du wirst den Himmel offen sehen und die Engel hinauf und herab fahren auf des Menschen Sohn.«

Dann begab er sich begleitet von seinen vier Jüngern nach Canaan, wo die Jungfrau Maria war; zu einer Hochzeit eingeladen, verrichtete er hier auf die Bitte seiner Mutter und zur großen Verwunderung der Gäste sein erstes Wunder, indem er Wasser in Wein verwandelte; wonach er sich wieder aus den Weg begab und nach Capernaum kam.

Es war das erste Mal, daß der junge Meister diese Stadt besuchte, und dennoch erregte hier sein Einzug großes Erstaunen. Die Schönheit des Knaben war an ihm bewahrt geblieben; nur lag in den Zügen des Mannes etwas Ernstes, Schwermüthiges, Geprüftes, besonders seit seinem Kampfe mit dem Feinde des Menschengeschlechts.

Capernaum war wohl die Stadt, welche Jesus entsprach, um hier die ersten Proben von seiner Göttlichkeit zu geben; ihre Entfernung vom eigentlichen Judäa, von dem sie durch ganz Samaria getrennt war, ließ ihn dieselbe als einen Mittelpunkt der Finsterniß betrachten, und Jesus dachte, unter dieser Finsterniß werde das göttliche Licht glänzender hervorbrechen als irgend anderswo.

Ueberdies ist das Leben von Jesus die Erfüllung der Worte der Propheten, und Jesaias hat gesagt:

»Das Land von Zabulon und das Land von Nephtali am Wege des Meeres, und jenseits des Jordans, die heidnische Galiläa, dieses Volk, das in der Finsterniß saß, hat ein großes Licht gesehen, und dieses Licht ist aufgegangen denjenigen, welche saßen im Schatten des Todes.«

Capernaum und seine Umgegend wählte also Jesus zum Schauplatze seiner ersten Prophezeiungen und seiner ersten Wunder. In Capernaum spricht er: »Thut Buße und glaubet an das Evangelium, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.«

Von Capernaum bis zum galiläischen Meere war es nur ein Schritt, so daß zuweilen seine Jünger, welche Fischer waren, ihn verließen und ihre Netze im Meere auswarfen. Er sucht sie hier auf und spricht zu ihnen: »Folget mir nach, ich will Euch zu Menschenfischern machen.«

Und als er etwas entfernter Jacobus, den Sohn von Zebedäus, und Johannes seinen Bruder sah, welche in einem Schiffe saßen und ihre Netze flickten, da rief er ihnen ebenfalls; und wie es Petrus und Andreas gethan, verließen sie ihr Schiff, ihre Netze und ihren alten Vater Zebedäus, um Jesus zu folgen, so schwer war es, ihm zu widerstehen, wenn er mit seiner sanften und hinreißenden Stimme aus einem Befehle eine Bitte machte und sprach: »Kommt!«

Ein großer Plan beschäftigte von diesem Augenblicke an Jesus: er wollte Ostern in Jerusalem feiern und hier seine entstehende Macht versuchen, die schon eine wirkliche war, obgleich sie zur Grundlage nur die Worte der Verleugnung von Johannes dem Täufer hatte, welcher die Sendung des Heilands ganz laut aussprach und zu Jedem, der es hören wollte, sagte: »Ich bin nur der Vorläufer, Jesus ist der Messias.«

 

Jesus ging also in Begleitung seiner sechs ersten Schüler nach Jerusalem ab.

Wir haben schon gesagt, was Jerusalem an diesen Festtagen war; wir haben seine von Reisenden überströmten Herbergen, seine von Zelten bedeckten öffentlichen Plätze und seine Gäste gezeigt, welche die Vorsäle der Theater und sogar die Säulengänge des Tempels füllten.

Im Vorplatze dieses Tempels und im Tempel selbst wurde eine Art von Markt gehalten. Handelsleute verkauften hier, einander die Käufer entreißend, mit großem Geräusche Tauben, Schafe und sogar Ochsen, um sie zu opfern. Das war ein Handel, den die Priester duldeten, weil sie einen Nutzen dabei fanden, und da dieser Handel groß war zu jeder Zeit und unermeßlich während der drei Ostertage, so stellten sich hier Wechsler auf mit ihren Tischen, welche mit Silberstücken und mit Stößen von Gold beladen waren.

Unter diesem Geschrei von Käufern und Verkäufern und Wechslern, unter diesem Geklirre von Gold und Silber, unter diesem Geblöke der Schafe und Brüllen der Ochsen, erstieg ein Mann mit einer Peitsche in der Hand die Stufen des Tempels und rief, als er in das Vorhaus gelangt war:

»Nehmet Alles dies von hier weg und machet aus dem Hause meines Vaters nicht ein Handelshaus!«

Und da diejenigen, an welche er sich wandte, zu gehorchen zögerten, hob er seine Peitsche auf, und obgleich diese Peitsche nur aus kleinen Stricken bestand, war doch eine solche Majestät auf der Stirne dieses Mannes, der den Tempel des Herrn das Haus seines Vaters nannte, ein solches Gebieten in seiner Stimme, daß Kaufleute, Käufer, Wechsler über einander stürzten, ganz verwirrt die Arme zum Himmel erhoben und die Stufen des Tempels hinabeilten, wo ihnen Jesus erschien, dem Engel ähnlich, der Heliodorus mit Ruthen gezüchtigt hatte; denn dieser Mensch war Jesus, und Jesus sprach mit seiner Stimme, welche so mächtig, wenn er die Milde in den Befehl verwandeln wollte:

»Es stehet geschrieben: »»Mein Haus ist ein Bethaus, Ihr aber habt es gemacht zur Mördergrube.««

Die furchtbare Erscheinung blieb lebendig vor den Augen der Bewohner von Jerusalem, und obgleich Jesus, diesen Act der Stärke vollführend, die Rechte eines Bürgers überschritten hatte, wagte es doch Niemand, Rechenschaft von ihm zu fordern. Als er indessen erfuhr, Herodes Antipas habe Johannes den Täufer verhaften lassen, der ihm vorgeworfen, daß er die Witwe seines Bruders geheirathet, da schlug Jesus wieder den Weg nach Capernaum ein.

Er mußte durch Samaria ziehen. Das von Salmanasser, der seine Einwohner über den Euphrat hinüber verpflanzte, eroberte Samaria, das durch Assar Haddon wieder bevölkerte, sodann von Antiochus dem Großen und endlich von Johannes Hyrcanus genommene Samaria war seit der Invasion der Assyrier eine Mischung von Fremden und Götzenanbetern, welche immer im Kriege mit dem Reiche Juda, das sie haßten und von dem sie gehaßt wurden. Eine Folge hiervon war, daß sich die Samariter, um nicht nach Jerusalem zu kommen, auf dem Berge Garizim ein eigenes Allerheiligstes gebaut hatten.

Jesus zog zu Fuße durch diese Provinz; als er sich gegen Mittag durch den Marsch, den er gemacht, und durch die Hitze des Tages müde fühlte, setzte er sich unter einen Maulbeerfeigenbaum beim Brunnen Jacobs, während seine Jünger in die Stadt gegangen waren, um Speise zu holen. Er war seit einigen Augenblicken hier, da kam ein Weib, um Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen.

Da sprach Jesus zu ihr: »Gib mir zu trinken.«

Das samaritische Weib schaute ihn mit einer erstaunten Miene an und versetzte:

»Wie bittest Du von mir zu trinken, da Du ein Jude bist, und ich ein samaritisches Weib.« .

Wenn Du erkennen würdest, wer der ist, der zu Dir sagt: »Gib mir zu trinken,«« sprach Jesus, »Du bätest ihn, und er gäbe Dir lebendiges Wasser.«

Die Samariterin betrachtete Jesus aufmerksam, und als sie das Gepräge dieser sanften Majestät in seinem Gesichte sah, sagte sie zu ihm: Herr, Du hast nichts, um damit zu schöpfen, und der Brunnen ist tief: woher wirst Du denn dieses lebendige Wasser nehmen? . . . Bist Du größer, denn unser Vater Jacob, der uns diesen Brunnen gegeben? und er hat daraus getrunken, und seine Kinder und sein Vieh.«

»Wer dieses Wasser trinkt,« erwiederte Jesus, »den wird wieder dürsten, während wer das Wasser, das ich ihm gebe, trinken wird, den wird ewig nicht dürsten, denn es wird ihm ein Brunnen des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.«

Da schaute das samaritische Weib Christus mit wachsendem Erstaunen an und sprach:

»Herr, so gib mir dieses Wasser, auf daß ich nicht mehr dürste und nicht mehr hierher kommen muß, um zu schöpfen.«

»Es sei,« sagte Jesus, »gehe hin, rufe Deinen Mann und komm mit ihm zurück.«

Doch das Weib schüttelte den Kopf und sprach:

»Herr, ich habe keinen Mann.«

Lächelnd erwiederte Jesus:

»Weib, Du hast recht geantwortet, indem Du gesagt: »»Ich habe keinen Mann.«« Fünf Männer hast Du gehabt, und derjenige, mit dem Du nun lebst, ist nicht Dein Mann.«

Da sprach das Weib mit einer Ehrfurcht, in die sich Scham mischte:

»Herr, Herr, ich sehe wohl, daß Du ein Prophet bist: erleuchte mich! . . . Unsere Väter haben auf diesem Berge geopfert, der der Berg Garizim ist, und Ihr Propheten sagt, zu Jerusalem sei die einzige Stätte, da man opfern solle.«

»Weib,« erwiederte Jesus, »glaube mir, es kommt die Zeit, und sie ist schon gekommen, daß die Menschen weder auf diesem Berge, noch zu Jerusalem den Vater anbeten werden, sondern wo sie anbeten werden meinen Vater im Geiste und in der Wahrheit.«

»Ja,« antwortete die Samariterin, »ich weiß, daß Messias kommt: wenn er kommt, wird er uns Alles verkündigen.«

Jesus lächelte mit seinem unaussprechlichen Lächeln und sagte:

»Ich, der ich mit Dir rede, bin der Messias.«

Und als die Samariterin, ganz erstaunt über diese Antwort, noch nicht wußte, ob derjenige, welcher sie gegeben, spottete oder die Wahrheit sagte, kamen die Jünger von der Stadt zurück, und da sie mit Jesus sprachen, wie die Knechte mit dem Herrn sprechen, so blieb kein Zweifel im Geiste dieser Frau, und sie ließ ihren Krug stehen, ging hin in die Stadt und rief:

»Kommt Alle, kommt, denn es ist beim Brunnen von Jacob ein Mensch, der mir gesagt hat Alles, was ich gethan; sehet, ob er nicht der Messias ist.«

Und auf die Stimme dieser Frau kamen alle Einwohner aus der Stadt und gingen Jesus entgegen.

Doch die Jünger, welche wußten, daß Jesus ein Bedürfniß nach Speise haben mußte, sprachen zu ihm: »Meister, iß.«

Jesus schüttelte den Kopf und erwiederte:

»Ich habe eine Speise zu essen, von der Ihr nichts wisset.«

Die Jünger schauten einander an und fragten sich leise:

»Wer hat denn in unserer Abwesenheit dem Meister Speise gebracht?«

Jesus aber sprach zu ihnen:

»Höret, meine Speise ist die, daß ich den Willen thue dessen, der mich gesandt hat, und vollende sein Werk.«

Dann fuhr er in seiner bildlichen Sprache fort:

»Sagt Ihr nicht, es seien noch vier Monate, bis die Ernte komme? Ich aber sage Euch,« sprach Christus, indem er auf die Menge deutete, die ihn umgab, »hebet Eure Augen auf und schaut auf dem Felde umher, und Ihr seht, daß die Frucht reif ist und das Feld weiß zur Ernte.«

Von da an wurde der Gedanke von Jesus verständlich, selbst für die Samariter, und begreifend, daß er der Schnitter war, und daß sie die Ernte waren, führten sie ihn in ihre Stadt, das heißt nach Sichem, und Christus verweilte hier zwei Tage. Und als er wegging, glaubten die meisten Einwohner an ihn.

Da zog Jesus abermals nach seinem getreuen Galiläa. Die Erinnerung an seinen Aufenthalt in Capernaum war in allen Geistern geblieben; er begegnete auch schon in Canaan einem Königischen, der ihm entgegen kam.

»O, Herr Jesus,« sagte dieser Mann zu ihm, sobald er ihn erblickte, »ich bitte, beeile Dich, denn mein Sohn ist todeskrank, und Du allein kannst ihn retten!«

Doch Jesus streckte nur die Hand gegen Capernaum aus und sprach mit einem Ausdrucke seiner Stimme, der nicht gestattete, daß man zweifelte:

»Gehe hin, Dein Sohn lebt.«

Und dieser Mensch hatte einen solchen Glauben, daß er, ohne daß ihm irgend eine Furcht im Herzen blieb, Jesus dankte und wieder nach der Stadt zurückkehrte; und während er noch auf dem Wege war, begegneten ihm seine Knechte und sagten zu ihm:

»Oh! Herr, freue Dich, Dein Sohn ist nicht nur außer Gefahr, sondern völlig geheilt.«

»Und seit wann?« fragte der arme Vater ganz freudig.

»Seit gestern.«

»Seit gestern! . . . Und zu welcher Stunde hat ihn das Fieber verlassen?«

»Gegen ein Uhr Nachmittags.«

Und das war gerade die Stunde, wo Jesus gesagt hatte: »Gehe hin, Dein Sohn lebt!«

Die Rückkehr des Messias nach Capernaum war eine Freude für Jedermann; zu Capernaum wird er auch seinen Lieblingsaufenthalt nehmen, er wird sich darin gefallen, in der Umgegend von Capernaum das Wort des Herrn zu verbreiten; der See Genezareth besonders soll der Ort sein, wo er seine Gottheit wird strahlen lassen: auf der Oberfläche dieses Sees gleitet er hin, ohne daß seine Füße das Wasser berühren; am Ufer dieses Sees speist er mehrere tausend Menschen mit ein paar Broden und einigen Fischen; unter einem Sturme, der die Wellen dieses Sees aufwühlt, aus das Geschrei seiner Jünger erwachend, erhebt er sich aus der Tiefe des Schiffes, das dem Versinken nahe war, und spricht zum brausenden Winde: »Schweige!« zum tobenden Meere: »Sei ruhig!« Und der Wind und das Meer gehorchen ihm.

Jede von seinen Rückkehren nach Capernaum wird dann durch ein neues Wunder bezeichnet: einem Besessenen treibt er den Teufel aus, die Schwiegermutter von Petrus heilt er, die Tochter Jairi weckt er wieder auf. Das große Blatt seiner Gottheit entrollt sich, aus jeder Zeile durch eine der Menschheit gespendete Wohlthat bezeichnet.

»Und Jesus ging umher im ganzen galiläischen Lande, lehrte in ihren Schulen, predigte das Evangelium vom Reiche Gottes und heilte allerlei Seuche und Krankheit im Volke; und sein Rus erscholl im ganzen Syrier»Lande, und sie brachten zu ihm viele Kranke, welche mit mancherlei Seuchen und Qualen behaftet waren, die Besehenen, die Mondsüchtigen und die Gichtbrüchigen, und er machte sie Alle gesund, und es folgte ihm nach viel Volk aus Galiläa, aus den zehn Städten, von Jerusalem, aus dem jüdischen Lande und von jenseits des Jordan.«

Als Johannes, der nicht um sich selbst, sondern um den Heiland besorgt ist, ihn aus seinem Gefängnis, um Nachricht über seine göttliche Sendung bitten ließ, antwortete Jesus auch seinen Abgesandten: »Gehet hin und saget Johannes, was Ihr gesehen habt und was Ihr gehört habt: daß die Blinden sehen, daß die Lahmen gehen, daß die Aussätzigen rein werden, daß die Tauben hören, daß die Todten auferstehen, und daß das Evangelium gepredigt wird den Armen.«

Es kam Ostern; Jesus nahm wieder seinen Weg gen Jerusalem, und überall aus seiner Spur machte die ausgesäete Wohlthat die Dankbarkeit emporkeimen; doch während Jesus groß wurde, wurde er zugleich gefährlich. Jesus war nicht der Erste, der als Messias ausgetreten; nur waren die Anderen politische Messias, neue Judas Maccabäus gewesen, welche das Volk aufzuwiegeln versucht hatten; und das jüdische Volk war, müde der römischen Herrschaft, gegen die es beinahe zweihundert Jahre kämpfte, immer geneigt, sich zu erheben. Sobald sich das Gerücht von den Wundern Christi verbreitete, schickten sich auch Banden von Bewaffneten an, ihn an ihrer Spitze fortzuführen und zu ihrem König zu nehmen; doch Jesus verwarf diese Menschen und sagte zu ihnen: »Alle diejenigen, welche vor mir gekommen sind, waren Diebe und Mörder, darum haben sich die Lämmer geweigert, auf sie zu hören.«

Als er sich Jerusalem näherte, erhob sich eine neue Furcht, welche ernster als die andern, auf seinem Wege: man hatte Johannes den Täufer enthauptet.

Der Vorläufer war, wie man gesehen, Anfangs wegen seiner einen neuen König der Welt verkündigenden Prophezeiungen verhaftet worden; die Welt gehörte aber damals dem argwöhnischen Tiberius, der sich aus seinen Felsen Capreä geflüchtet, und dessen Agenten keinen Unterschied zwischen dem geistigen Königthum, das Jesus eben eroberte, und der materiellen Herrschaft, welche ihr Herr besaß, zu machen wußten oder machen wollten. Hernach hatte sich, wie wir erwähnt, Johannes der Täufer nicht gescheut, dem Tetrarchen von Galiläa Vorwürfe über seine Heirath mit seiner Schwägerin Herodias zu machen, und, unter dem Vorwande des öffentlichen Wohls seine Privatrache verbergend, hatte der Tetrarch Johannes den Täufer festnehmen und ins Gefängnis, bringen lassen.

Das war vielleicht genug für Herodes, doch es war nicht genug für Herodias.

 

Sie hatte eine Tochter, jung, schön und angebetet vom Tetrarchen, der ihr nichts zu verweigern vermochte. Diese nahm natürlich Partei für ihre Mutter; bei einem Feste bat sie Herodes, zu tanzen, doch sie willigte nur unter der Bedingung ein, daß der Tetrarch schwöre, er werde ihren ersten Wunsch erfüllen. Herodes verhieß ihr mit einem Eide, zu thun, was sie verlange, vorausgesetzt, daß das, was sie von ihm fordere, das Maß seiner Macht nicht überschreite. Die Tochter von Herodes tanzte, und als sie getanzt hatte, verlangte sie das Haupt von Johannes dem Täufer.

Herodes war der Sklave seines Wortes; das Haupt von Johannes dem Täufer wurde in einer goldenen Schüssel herbeigebracht, und als unterthänige Tochter setzte die schöne Mörderin die Schüssel zu den Füßen ihrer Mutter nieder.

Dies war ein Beispiel vom Schicksal, das Jesus vorbehalten.

Jesus beschloß daher, in einiger Entfernung von der Stadt zu verweilen.

Bethania, das nur fünfzehn Stadien von Jerusalem entfernt lag, war für dieses, aus dem östlichen Abhange des Oelberges gebaut, unsichtbar. Bethania sagte also Jesus für diesen Aufenthalt zu, und er verweilte auch hier.

Kaum hatte sich übrigens das Gerücht von seiner Ankunft verbreitet, als ein Pharisäer, Namens Simon der Aussätzige, Jesus zum Essen einlud.

Jesus nahm die Einladung an, um zu beweisen, daß er, wenn er gegen die Secte der Pharisäer predigte, dies wegen ihrer Hoffart und ihrer absoluten Grundsätze that, daß er aber keinen Haß gegen die Einzelnen hegte.

Das Mahl war glänzend: die ganze Pracht von Simon war entwickelt worden, um denjenigen zu empfangen, welcher sich den Sohn Gottes nannte; doch eine Episode, auf die der Herr des Hauses selbst nicht gerechnet hatte, verlieh diesem Mahle einen neuen Charakter von Größe.

Beim Nachtische trat ein Mädchen von Bethama, dessen Bruder und Schwester, genannt Lazarus und Martha, ein benachbartes Haus bewohnten, in den Speisesaal, prächtig gekleidet; und ein ganz mit Salben gefülltes alabasternes Gefäß tragend, ein.

Jeder erkannte die Eintretende und wunderte sich über ihre Ankunft.

Es war die gerühmteste und reichste Buhlerin von Jerusalem, dieser Stadt der Buhlerinnen: man nannte diese schöne Sünderin Maria Magdalena.

Ohne daß sie das Erstaunen der Gäste zu bemerken schien, näherte sie sich demüthig und mit niedergeschlagenen Augen Jesus, den sie nie gesehen, welchen sie aber ohne Zweifel an seinem Lächeln erkannte.

Und Magdalena trat zu den Füßen von Jesus, kniete nieder und fing an so reichlich zu weinen, daß sie die Füße Christi mit ihren Thränen wusch, und nachdem sie dieselben mit der in der Urne enthaltenen köstlichen Salbe eingerieben, trocknete sie Magdalena mit den Haaren ihres Hauptes.

Christus ließ sie gewähren und warf einen Blick voll Milde auf dieses Mädchen, das sich so zu seinen Füßen demüthigte.

Alle waren bis jetzt herbeigelaufen, um von ihm die Heilung der Gebrechen des Leibes zu erlangen; Niemand, weder Mann noch Frau, war gekommen, um bei ihm die Heilung der Unreinheiten der Seele zu suchen.

Und die Gäste schauten mit Verwunderung dieses schöne Geschöpf mit den Brocat-Gewändern, mit seinen von goldenen Ketten funkelnden Halse, mit den von Ringen bedeckten Händen an, das mit den schönen blonden Haaren Christus die Füße trocknete.

Und der Herr des Hauses, der reiche Aussätzige, sagte zu sich selbst:

»Ich habe Unrecht, diesen Menschen bei mir zu empfangen, der kein Prophet ist, denn wenn er ein Prophet wäre, so wüßte er, wer das Weib ist, das ihn anrührt, und er würde sich von einer so großen Sünderin entfernen.«

Jesus aber, der im Herzen des Pharisäers las, sprach mit seiner sanften Stimme und seinem milden Lächeln:

»Simon, ich habe Dir eine Frage vorzulegen.«

Welche?' versetzte der Pharisäer; »sprich.«

»Es hatte ein Wucherer zwei Schuldner: der Eine war ihm schuldig fünfhundert Groschen, der Andere fünfzig. Da sie aber Beide nichts hatten, um ihn zu bezahlen, so erließ er Beiden die Schuld. Sage an, welcher unter ihnen wird ihm am meisten dankbar sein?«

»Herr,« antwortete Simon, »da läßt sich nicht zweifeln: derjenige welchem er am meisten geschenkt hat.«

»Du hast recht gerichtet,« sagte Jesus.

Und er deutete auf Magdalena und sprach zu Simon: »Siehst Du dieses Weib? sie hat für mich das gethan, was Du nicht gethan hast. Ich bin in Dein Haus gekommen, Du hast mir nicht Wasser gegeben, um meine Füße zu waschen, diese aber hat sie mit ihren Thränen benetzt und mit den Haaren ihres Hauptes getrocknet; Du hast mir keinen Kuß gegeben, diese aber, als sie hereingekommen, hat nicht aufgehört, meine Füße zu küssen; Du hast mein Haupt weder mit Oel, noch mit Balsam gesalbt, sie aber hat Alles, was sie an wohlriechenden Salben besaß, auf meinen Füßen ausgebreitet; darum sage ich Dir: ihr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt! Der, welchem wenig vergeben wird, der liebt wenig.«

Dann legte er die Hand auf das Haupt der Sünderin und sprach:

»Gehe, arme Tochter Evas, Deine Sünden sind nicht mehr, und ich mache Dich rein vor Gott wie am Tage, wo Du aus dem Schooße Deiner Mutter hervorgegangen!«

Und Magdalena erhob sich freudig und getröstet und widmete fortan Jesus die einzige Liebe ihrer Seele und ihres Herzens.