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Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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II.
Der Mann von La Logerie

Courtin – denn er war’s, den Aubin den »Mann von La Logerie« genannt hatte – war wirklich in der Schenkstube erschienen.

Abgesehen von dem leisen Pfiff, den man für den Schrei eines zahmen Rebhuhnes halten konnte, schien seine Anwesenheit in der Schenkstube gar kein Aufsehen zu machen. Die Gäste plauderten fort, aber das Gespräch wurde sehr lustig, sogar lärmend.

Courtin sah sich um, und da er die Person, die er suchte, nicht zu finden schien, öffnete er ohne Zögern die Glasthür und schaute in das zweite Zimmer.

Auch hier schien ihn Niemand zu beachten. Nur Mariette, die Nichte Aubins, welche die Gäste bediente, fragte ihn ganz unbefangen, wie einen täglichen Gast ihres Oheims:

»Was steht zu Diensten, Herr Courtin?«

»Eine Schale Kaffee,« antwortete Courtin, indem er alle Anwesenden musterte und in alle Winkel schaute.

»Gut, setzt Euch,« erwiderte Mariette, »ich will ihn sogleich bringen.«

Courtin war also genöthigt, näher zu treten.

»Wie geht‘s, Aubin?«« fragte er den Wirth.

»Wie Ihr sehet,« antwortete dieser, ohne sich umzudrehen..

Courtin konnte leicht bemerken, daß man ihn in der Gesellschaft eben nicht gern sah; aber er ließ sich nicht so leicht abschrecken..

»Gib mir einen Schämel, Mariette,« sagte er, »ich will mich zu deinem Oheim setzen.«

»Es ist kein Schämel mehr da,« antwortete das Mädchen, »Ihr habt Gott sey Dank, gesunde Augen, um es zu sehen-«

»Nun, dann muß mir dein Onkel seinen Schämel geben,« sagte Courtin mit kecker Vertraulichkeit, obgleich er sich durch den Empfang, den er fand, nicht sehr ermuthigt fühlte.

»Wenn’s durchaus seyn muss,« murrte Aubin, »so sollst Du ihn haben; ich will mir nicht nachsagen lassen, daß ich einem Gast einen Schämel verweigert.«

»Nun, so gib her, Du Schwätzer; denn ich sehe den, den ich suche.«

»Wen suchst Du denn?« fragte Aubin aufstehend.

Er hatte sogleich die Wahl zwischen zwanzig Schämeln, die ihm angeboten wurden.

»Ich suche Jean Oullier,« erwiderte Courtin, »und mich dünkt, da sitzt er.«

Jean Oullier sprang auf und fragte in fast drohendem Tone:

»Was wollt Ihr von mir?«

»Nun, Ihr braucht mich deshalb nicht zu fressen,« sagte der Maire von La Logerie, »was ich Euch zu sagen habe, interessirt Euch noch mehr als mich.«

»Wir sind keine Freunde, Courtin,« erwiderte Jean Oullier ernst, »Ihr könnt daher auch nicht in guter Absicht hierhergekommen seyn. – Courtin,« fuhr Jean Oullier fort, ohne die Winke Aubins zu beachten. »so lange wir uns kennen, habt Ihrs mit den Blauen gehalten; Ihr habt schlechtes Gut gekauft —«

»Schlechtes Gut!« unterbrach der Bauer mit seinem pfiffigen Lächeln.

»O! Ihr wißt schon was ich sagen will! ich meine Güter, die aus einer schlechten Quelle kommen. Ihr habt mit den Stadtleuten gemeinsame Sache gemacht! Ihr habt die Landleute wegen ihres Glaubens und ihrer Ueberzeugung verfolgt: was können wir Beide also miteinander zu thun haben?«

»Es ist wahr, Oullier,« erwiderte Courtin, »ich habe euren Strom nie befahren, aber unter Nachbarn soll man einander nicht den Tod wünschen, wenn man auch in den Meinungen nicht übereinstimmt. Ich versichere Euch, daß ich Euch aufgesucht habe, um Euch einen Dienst zu erweisen.«

»Ich brauche eure Dienste nicht,« antwortete Jean Oullier verächtlich.

»Warum nicht?« fragte Courtin.

»Weil ich gewiss weiß, daß Ihr einen Verrath im Schilde führet.«

»Ihr wollt mich also nicht anhören?«

»Nein!« erwiderte der Waldhüter trotzig.

»Du hast Unrecht,« sagte leise der Wirth, dem die rauhe offene Sprache seines Genossen ein falsches Manöver schien.

»Nun gut,« erwiderte Courtin mit Nachdruck, »Ihr habt es Euch selbst zuzuschreiben, Jean Oullier, wenn den Bewohnern des Schlosses Souday ein Unglück begegnet.«

In dem Worte Bewohner lag offenbar eine ausgedehnte Bedeutung: die Gäste waren ohne Zweifel mit inbegriffen. Jean Oullier konnte dies nicht verkennen, und ungeachtet seiner gewohnten Geistesstärke erblaßte er.

Er bereute, daß er so weit gegangen war; aber es war gefährlich, seinen ernsten Entschluß zu ändern. Wenn Courtin Verdacht hatte, so mußte er durch diesen Rückzug darin bestärkt werden.

Oullier suchte daher seine Bewegung zu bekämpfen und nahm mit scheinbarer Gleichgültigkeit seinen Platz wieder ein.

Seine Haltung war so unbefangen, dass sich selbst der schlaue Courtin dadurch täuschen ließ. Dieser entfernte sich daher nicht mit der Eile, welche nach der derben Antwort wohl zu erwarten gewesen wäre, sondern suchte lange in seinem ledernen Geldbeutel, um gerade soviel Geld herauszunehmen als er für den Kaffee schuldig war.

Aubin Courte-Joie, der die Absicht dieses Zauderns erkannte, benutzte die Pause, um das Wort zu nehmen.

»Höre, Jean,« sagte er zu Oullier, »es ist lange, dass wir Freunde sind und auf dem gleichen Wege wandeln; diese beiden Stelzfüße geben Zeugnis davon. Du hast Unrecht. So lange eine Hand geschlossen ist, kann nur ein Narr sagen: ich weiß, was sie enthält. Herr Courtin,« setzte Aubin hinzu, indem er den Titel, den er dem Maske von La Logerie gab, stark betonte, »Herr Courtin ist freilich keiner von den Unserigen, aber er ist auch nicht gegen uns gewesen; er hat nur an sich gedacht, das ist Alles, was man ihm vorwerfen kann. Aber heute, wo der Streit auf immer ruht, wo es keine Blauen und keine Chouans mehr gibt, heute wo wir Frieden haben, was liegt an der Farbe der Cocarde? Warum willst Du Herrn Courtin nicht anhören, wenn er Dir, wie er sagt, etwas Gutes mitzutheilen hat!?«

Jean Oullier zuckte unmuthig die Achseln.

»Alter Fuchs!« dachte Courtin, der von der Lage der Dinge zu gut unterrichtet war, als daß er sich durch die schönen Worte Aubins hätte täuschen lassen.

»Um so mehr,« sagte er laut, »da die Politik mit dem, was ich ihm mitzutheilen habe, gar nichts zu thun hat.«

»Hörst Du wohl?« sagte Aubin, »nichts hindert Dich, mit dem Herrn Maire zu sprechen. Mach ihm Platz, damit Ihr ganz gemächlich plaudern könnt.«

Aber Jean Oullier wurde nicht freundlicher gegen Courtin, er kehrte ihm immerfort den Rücken zu. Der Maire nahm aber doch neben ihm Platz.

»Ich bin der Meinung,« begann Courtin, »daß die Worte am besten fließen, wenn die Zunge gehörig angefeuchtet wird. Wie wärs Oullier, wenn wir eine Flasche zusammen tränken? Vielleicht würde Euch die Zunge gelöst.«

»Wie Ihr wollt,« antwortete Jean Oullier, der zwar sehr ungern mit Courtin trank, aber dieses Opfer zum Besten der Sache, der er sich gewidmet, doch für nothwendig hielt.

»Habt Ihr Wein?« fragte Courtin.

»Eine schöne Frage,« erwiderte Mariette schnippisch, »es versteht sich, daß wir Wein haben.«

»Aber einen guten alten Wein, in versiegelter Flasche.«

»Wir haben schon Wein mit Siegel,« sagte die hübsche Kellnerin mit Selbstgefühl, »aber er kostet vierzig Sous die Flasche.«

»Bah! der Herr Maire kann schon zahlen,« sagte Aubin, der auf der andern Seite des Camins Platz genommen hatte, um von der Mittheilung, welche Courtin dem Waldhüter machen wollte, wo möglich einige Worte aufzufangen, »vierzig Sous werden ihn nicht hindern, der Frau Baronin den Grundzins zu zahlen.«

Courtin bereute, daß er so weit gegangen war; bei einem etwa wieder ausbrechenden Kriege war; vielleicht gefährlich, für zu reich zu gelten.

»Nun ja,« erwiderte er, »ich kann meinen Grundzins schon zahlen, aber wenn ich meine Schuldigkeit abgetragen habe, bin ich froh, wenn ich mein Leben fortschleppe —«

»Es kümmert uns nichts, ob Ihr reich oder arm seyd,« sagte Jean Oullier, »laßt hören, was Ihr mir zu sagen habt, und macht es kurz.«

Courtin nahm die Flasche, die ihm Mariette reichte, wischte den Hals sorgfältig mit dem Aermel ab, schüttete einige Tropfen Wein in sein Glas, füllte das Glas des Waldhüters, nahm das seinige, stieß an und kostete den Wein.

»Ein gutes Gewächs,« sagte er, mit der Zunge schnalzend, »wer täglich solchen Wein trinkt, ist fürwahr nicht zu beklagen.«

»Zumal wenn man mit ruhigem Gewissen trinkt,« erwiderte Jean Oullier, »das macht den Wein erst recht gut!«

»Jean Oullier,« sagte Courtin, ohne diese philosophische Bemerkung zu beachten und sich zu dem Waldhüter neigend, so daß er nur von diesem verstanden werden konnte, »Ihr habt Unrecht, einen Groll auf mich zu haben.«

»Beweiset es und ich will Euch glauben. Dies ist das Vertrauen, das ich zu Euch habe.«

»Ich sorge für mich selbst,« fuhr Courtin fort, »und das ist doch gewiß nicht unrecht. Um fremde Angelegenheiten kümmere ich mich nicht, denn ich denke: Wenn Du zu Ostern und Weihnachten dein Geld nicht im Säckel bereit hast, so wird es den König, er heiße nun Heinrich V. oder Ludwig Philipp, nicht im mindesten kümmern, und Du wirst ein Papier mit seinem Bildnis erhalten, welches eine große Ehre für Dich seyn, aber viel Geld kosten wird. Laß daher Heinrich V. und Ludwig Philipp ganz aus dem Spiel und denke an Dich. Ihr denkt freilich anders, das weiß ich wohl; aber Ihr mögt es thun, ich tadle Euch deshalb nicht, ich kann Euch höchstens beklagen.«

»Spart euer Mitleid nur für Andere auf,« erwiderte Jean Oullier höhnisch, »ich brauche es so wenig als eure Mittheilungen.«

»Wenn ich sage, Oullier, daß ich Euch beklage, so meine ich damit eben so wohl euren Herrn, als Euch. Der Herr Marquis ist ein Mann, den ich verehre; er hat in dem großen Kriege sein Leben oft in die Schanze geschlagen, und was hat er damit gewonnen?»

»Ihr habt gesagt, Courtin, dass Ihr nicht von Politik sprechen wollt: Ihr haltet nicht Wort.»

»Ja, ich habe es gesagt; aber es ist nicht meine Schuld, wenn in diesem Satanslande die Politik so mit unseren Verhältnissen verwickelt ist, daß man gar nicht davon loskommen kann. Ich meinte nur, daß es mir leid thut, ihn, der sonst der Erste in der Provinz war, von einem Schwarm reicher Emporkömmlinge erdrückt zu sehen.«

 

»Was kümmert’s Euch, wenn er mit seinem Schicksal zufrieden ist?« entgegnete Jean Oullier, »Ihr seyd weder sein Vertrauter noch sein Gläubiger.«

»Was würdet Ihr sagen, wenn Euch Jemand den Antrag machte, allen Reichthum, der das Schloß Souday verlassen hat, wieder hineinzubringen?« erwiderte Courtin, ohne sich durch die harten Reden Oulliers irre machen zu lassen. »Meint Ihr etwa, ein solcher Mann sey euer Feind? Und findet Ihr nicht, daß ihm der Herr Marquis Dank schuldig sey? Antwortet offen und ehrlich, wie ich mit Euch spreche.«

»Ja wohl, wenn er's auf ehrliche Weise zu Stande bringen könnte, aber ich zweifle daran.«

»Auf ehrliche Weise? Würde man Euch zumuthen, von anderen Mitteln Gebrauch zu machen? Kurz und gut, ich kann machen, daß die Tausender und Hunderter im Schlosse Souday häufiger werden, als jetzt die Fünf-Livres-Thaler sind. Aber —«

»Ein Aber dabei? Laßt hören, wo Euch der Schuh drückt.«

»Aber ich müßte meinen Nutzen dabei finden!«

»Nicht mehr als billig, daß Ihr euren Antheil daran bekommt, wenn das Geschäft gut ist.«

»Nicht wahr? Und ich verlange sehr wenig dafür, daß ich mit am Rade schiebe.«

»Kurz und gut, was habt Ihr mir zu sagen?« erwiderte Jean Oullier, der seine Neugierde nicht mehr zu verbergen vermochte.

»Es ist ganz einfach: ich mochte vor Allem, daß ich für den Meierhof, den ich noch auf zwölf Jahre habe, die Pacht nicht erneuern, keinen Zins mehr zahlen müßte —«

»Ihr meinet, man soll ihn Euch erlassen?«

»Wenn’s der Herr Marquis wollte, so würde ich’s nicht ausschlagen; Ihr wißt ja, Jeder ist sich selbst der Nächste.«

»Aber wie könnte dies zu Stande kommen? Euer Meierhof gehört dem Sohne Michel oder seiner Mutter; ich habe nicht gehört, daß sie ihn verkaufen wolle: wie könnte man Euch schenken, was uns nicht gehört?«

»Ganz recht,« fuhr Courtin fort, »aber wenn ich mich in die bewußte Angelegenheit mengte, so würde Euch der Meierhof vielleicht bald gehören – oder Ihr würdet wenigstens Ansprüche darauf haben – dann ginge es ganz leicht. Was sagt Ihr dazu?«

»Ich sage, daß ich Euch nicht verstehe.«

»Ihr wollt mich nicht verstehen. Unser junger Herr ist eine schöne Partie; denn außer La Logerie hat er noch La Coudraie, die Mühlen zu La Ferronnerie, die Waldungen bei Gervaise, und diese Besitzungen tragen durchschnittlich achttausend Pistolen jährlich ein. Und die alte Baronin hat ihm für den Fall ihres Todes noch eben so viel verschrieben.«

»Was hat aber der Sohn Michel mit dem Marquis von Souday zu thun?« erwiderte Oullier. »Und inwiefern kann das Vermögen eures Herrn den meinigen interessiren?«

»Wir wollen ganz offen mit einander reden, Jean Oullier. Ihr werdet bemerkt haben, daß unser junger Herr in eine von euren Fräulein verliebt ist – in welche, das weiß ich nicht. Der Herr Marquis braucht nur ein Wort zu sagen, und mir über den Meierhof etwas Schriftliches zu geben: wenn das Fräulein einmal verheirathet ist, so wird sie ihren Mann am Gängelbande führen und von ihm erlangen, was sie will. Er wird es auf ein Stück Land nicht ansehen, zumal wenn es für einen Mann bestimmt ist, dem er viel Dank schuldig ist. Dann ist mir und Euch geholfen. Das einzige Hinderniß ist die Mutter,« setzte Courtin leise hinzu, »und dieses Hinderniß will ich auch aus dem Wege räumen.«

Jean Oullier antwortete nicht, aber er sah Courtin mit Verachtung an.

»Ja,« fuhr der Maire fort, »wenn wir Alle einverstanden sind, wird uns die Frau Baronin nichts verweigern. Unter uns gesagt, Oullier, ich weiß viel von dem seligen Baron.«

»Wozu braucht Ihr dann uns? Warum verlangt Ihr nicht von ihr, was Ihr wünscht?«

»Warum? Weil die Aussage eines Knaben, der beim Hüten der Schafe gehört hat, wie der Handel abgeschlossen wurde, unterstützt werden müßte durch das Zeugniß dessen, der im Walde La Chabotière das Blutgeld auszahlen sah. Du weißt wohl, wer das Zeugniß ablegen kann. Sobald wir gemeinsame Sache machen, wird die Baronin geschmeidig werden wie ein waschlederner Handschuh. Sie ist geizig, aber ihr Stolz ist noch größer als ihr Geiz; die Furcht vor einem öffentlichen Scandal wird sie fügsam machen. Sie wird finden, daß das Fräulein von Souday, trotz ihrer Armuth und zweifelhaften Abstammung, immerhin so viel werth ist wie der Sohn des Baron Michel, dessen Großvater ein Bauer war, wie wir, und dessen Vater – kurz und gut, euer Fräulein wird reich, unser junger Herr wird glücklich. Was ist dagegen zu sagen? Wir werden gute Freunde, Oullier; eure Freundschaft ist mir werth, und die meine ist nicht ganz ohne.«

»Eure Freundschaft,« antwortete Jean Oullier, der seine Entrüstung über Courtins Antrag kaum zu bezähmen vermochte.

»Ja, meine Freundschaft,« sagte Courtin, »Du magst immerhin den Kopf schütteln, es ist doch so. Ich habe Dir gesagt, daß ich mehr als sonst Jemand von dem Leben des Baron Michel weiß; ich hätte hinzusehen können: auch von seinem Tode. Ich war auf der Jagd, wo er ums Leben kam, unter den Treibern, und ich kam gerade auf seinen Posten zu. Ich war damals noch sehr jung, aber ich hatte schon damals die Gewohnheit, nicht anders zu sprechen, als wenn ich meinen Vortheil dabei sah. Glaubst Du jetzt noch, daß ich deiner Partei keine Dienste erweisen könnte, wenn ich meinen Vortheil dabei finde?«

»Ich habe keinen Einfluß auf den Marquis von Souday,« antwortete Jean Oullier, die Stirn runzelnd, »aber wenn ich das Geringste über ihn vermöchte, so sollte der Meierhof nie aus der Familie kommen, und wenns der Fall wäre, so sollte er nie zur Belohnung eines Verrathes dienen.«

«Das ist eitel Prahlerei!« sagte Courtin.

»Nein. Wie arm auch die Fräulein von Souday sind, so wird sich doch keine von Beiden verkaufen – und wenn der reiche junge Herr auch einen andern Namen führte. Es wäre eine Erbärmlichkeit —«

»Eine Erbärmlichkeit nennst Du es? Ich finde nur, daß es ein gutes Geschäft ist.«

»Für Euch mag’s wohl nichts Anderes seyn; aber für meine Herrschaft wäre es eine Niedertracht, die Heirath durch ein Einverständnis; mit Euch zu Stande zu bringen.«

»Nehmt Euch in Acht, Jean Oullier! Ich bin in guter Absicht zu Euch gekommen; Ihr würdet es vielleicht bereuen, wenn ich mit anderer Gesinnung fortginge.«

»Eure Drohungen nutzen so wenig wie eure Versprechungen,« erwiderte Jean Oullier. »Merkt Euch das ein- für allemal.«

»Hör’ mich an, Oullier. Ich habe Dir gestanden, daß ich reich werden will, ich habe einmal meinen Sinn darauf gesetzt – so wie Du Dir in den Kopf gesetzt hast, deiner Herrschaft treu wie ein Hund zu seyn, obgleich sie nicht so viel auf Dich halten, wie Du auf deinen Dachshund. Ich glaubte deinem Herrn nützlich seyn zu können; ich hoffte, er werde einen solchen Dienst nicht unbelohnt seyn lassen. Du sagst, es könne nichts daraus werden, wir reden also nichts mehr davon. Aber wenn sich deine Herrschaft dankbar beweisen wollte, so würde ich ihr lieber als anderen Leuten gefällig seyn. Dies wollte ich Dir noch sagen.«

»Weil Ihr hofftet, meine Herrschaft würde Euch besser bezahlen als andere Leute, nicht wahr?«

»Allerdings, ich gestehe es Dir ganz aufrichtig, Du hast vollkommen Recht.«

»Mit solchen Dingen will ich nichts zu thun haben, Courtin. Ueberdies könnte ich Euch nur eine sehr kleine Belohnung versprechen, wenn sie den Diensten, die man von Euch erwarten könnte, angemessen wäre.«

»Ei, wer weiß?« erwiderte Courtin. »Du dachtest gewiß nicht, daß ich die Geschichte von der Chabotière kenne. Vielleicht würdest Du Dich sehr wundern, wenn ich Dir Alles sagen wollte, was ich weiß.«

Jean Oullier fürchtete, Courtin könne ihn durchschauen und seine Besorgniß merken.

»Genug!« erwiderte er. »Wenn Ihr Euch verkaufen wollt, so wendet Euch an andere Leute; solche Anträge würden mir zuwider seyn, wenn ich auch in der Lage wäre sie anzunehmen.«

»Ist dies dein letztes Wort, Oullier?«

»Mein erstes und letztes Wort. Gehet eurer Wege, Courtin, und laßt uns in Ruhe!«

»Nun gut,« sagte Courtin aufstehend, »lieber wär’s mir freilich gewesen, mit Euch gemeinsame Sache zu machen.«

Er winkte dem Waldhüter zu und ging fort.

Kaum hatte er die Schwelle überschritten, so hinkte Aubin Courte-Joie auf seinen Stelzfüßen heran und sagte leise zu Jean Oullier:

»Du hast eine Dummheit gemacht.«

»Wie so?«

»Courtin kann Dir schaden, sonst wäre er nicht mit solcher Zuversicht gekommen.«

»Was soll ich denn thun?«

»Ihm folgen und ein wachsames Auge auf ihn haben.«

Jean Oullier besann sich einen Augenblick, dann stand er ebenfalls auf.

»Ich glaube,« sagte er, »Du hast Recht.«

Und er ging ganz bekümmert fort.

III.
Der Jahrmarkt zu Montaigu

Die im westlichen Frankreich herrschende Gährung fand die Regierung nicht unvorbereitet; ein Aufstand, der ein so weit ausgedehntes Gebiet umfaßte, eine Verschwörung, welche so viele Theilnehmer bedingte, konnte nicht lange geheim bleiben.

Lange vor dem Erscheinen der Herzogin von Berry an der Südküste wußte man in Paris, daß eine Erhebung vorbereitet wurde; es wurden rasche, kräftige Maßregeln beschlossen, sobald ermittelt wurde, daß die Prinzessin ihren Weg in die westlichen Provinzen genommen. Diese Maßregeln brauchten nur noch in Ausführung gebracht und zuverlässige, gewandte Männer damit beauftragt werden.

Die Départements, deren Erhebung man fürchtete, waren in eben so viele Militärbezirke getheilt worden, als Unterpräfecturen vorhanden waren. Jeder dieser Bezirke, unter dem Befehle eines Bataillonschefs, war der Mittelpunkt mehrer, unter Capitänen stehenden Cantonnirungen, welche wieder noch kleinere Truppenabtheilungen unter dem Befehle von Lieutenants so weit die Communicationsmittel es gestatteten, in das Innere des Landes entsendeten.

In Montaigu lag eine Compagnie des 32. Linienregimentes.

An dem Tage, wo die eben erzählten Vorgänge statt fanden, war diese Besatzung durch zwei von Nantes beorderte Brigaden Gendarmerie und etwa zwanzig Mann Cavallerie verstärkt worden.

Die Cavallerie bildete die Escorte eines Generals, der von Nantes aus eine Inspectionsreise unternahm.

Als der General Dermoncourt, ein eben so intelligenter als entschlossener Offizier, die Besatzung von Montaigu inspicirt hatte, hielt er es für angemessen, »seine alten Freunde, die Vendéer,« die er in so dichten Reihen auf dem Marktplatze und in den Straßen von Montaigu gesehen, ebenfalls zu inspiciren.

Er legte seine Uniform ab und begab sich in Civilkleidern in Begleitung eines Beamten unter die Menge.

Die Stimmung der Bevölkerung war finster und trotzig, aber ruhig. Man machte den beiden Herren Platz, und obgleich die martialische Haltung des alten Generals die Verkleidung ziemlich überflüssig machte, so fand doch nicht die mindeste feindselige Kundgebung statt.

»Ich sehe wohl,« sagte der General, »meine alten Freunde, die Vendéer, haben sich nicht geändert, und ich finde sie eben so verschlossen wie vor achtunddreißig Jahren.«

»Diese Gleichgültigkeit scheint mir ein gutes Zeichens,« erwiderte der Beamte mit wichtiger Miene. »Die beiden Monate, die ich in Paris zugebracht, haben mir Gelegenheit gegeben, die sich fast täglich wiederholenden Emeuten zu beobachten, und ich glaube versichern zu können, daß sich ein Volk, welches einen Aufstand vorbereitet, ganz anders benimmt. Sehen Sie nur, Herr General, man sieht fast keine Gruppen, kein Fanatiker redet das Volk an, Alles ist ruhig. Die Leute denken nur an ihre Geschäfte, ich stehe Ihnen dafür, daß nichts zu fürchten ist.«

»Sie haben Recht, ich bin ganz Ihrer Meinung, die Leute denken nur an ihre Geschäfte; diese aber bieten die beste Gelegenheit, Kugeln und Waffen im Kleinen zu kaufen, um sie bei uns sobald als möglich wieder an den Mann zu bringen.«

»GIauben Sie?«

»Ich glaube es nicht, ich weiß es gewiß. Wenn das religiöse Element zum Glück für uns bei dieser neuen Schilderhebung nicht fehlte und mich vermuthen ließe, daß sie nicht allgemein ist, so würde ich Ihnen dreist antworten, dass jeder dieser Leute in Kitteln und Holzschuhen seinen Posten, seinen Rang, seine Nummer in einem der Bataillone hat, die von den Edelleuten errichtet werden.

»Wie! die Bettler auch?«

»Ja, die Bettler vor Allen. Dieser Krieg hat das Eigenthümliche, daß wir einen Feind zu bekämpfen haben, der überall und nirgends ist. Man sucht ihn und findet nur einen Bauer, der den Hut zieht, einen Bettler, der die Hand ausstreckt, einen Hausirer, der seine Waare feilbietet, einen Musikanten, der seiner Trompete ohrenzerreißende Töne entlockt, einen Quacksalber, der seine Pillen und Latwergen anpreist, einen Hirtenknaben der ganz freundlich und unbefangen lacht, ein Weib, das vor der Thür sitzt und einen Säugling auf dem Schooße hält, einen Busch, der ganz harmlos am Wege steht. Alle diese Bauern, Hirten, Bettler, Musikanten, Quacksalber, Weiber, Hausirer sind Feinde, selbst der Busch am Wege ist ein Feind. Einige kriechen zwischen den Farnkräutern und Wachholderstauden fort und verfolgen uns wie unser Schatten, um uns zu beobachten und bei dem mindesten verdächtigen Manöver ihre Freunde zu warnen, ehe wir diese erreicht haben. Andere holen aus einem Graben, unter Gestrüpp aus einer Furche eine lange rostige Flinte hervor, und verfolgen uns, wie Jene, bis sie auf Schußweite herankommen können. Sie sind sehr geizig mit ihrem Pulver. Der Busch schickt uns eine bleierne Pille zu, und wenn er einmal fehlt, wenn wir den Busch durchsuchen, so finden wir nichts als – einen Busch, nämlich Zweige, Dornen und Blätter. Das sind die stillen harmlosen Landleute in der Vendée.«

 

»Uebertreiben Sie nicht etwas, Herr General?« sagte der Civilbeamte, ungläubig lächelnd.

»Wir können ja selbst die Probe machen, Herr Unterpräfect. Wir sind hier mitten unter einer ganz friedlichen Menge, wir haben nur Freunde, Franzosen, Landsleute unter uns: lassen Sie einmal einen Einzigen von ihnen verhaften.«

»Was würde dann geschehen?«

»Das will ich Ihnen sagen. Irgend einer von ihnen, z.B. jener Bursch dort in der weißen Jacke, vielleicht jener Bettler, der auf der Thürschwelle sitzt und seinen Brotkuchen verzehrt, ist vielleicht ein Bandenführer; er würde ein Zeichen geben und ein paar Dutzend Knittel würden über unseren Köpfen geschwenkt werden, und ehe uns meine Escorte zu Hilfe kommen könnte, wären wir zusammengedroschen wie zwei Garben. Sie scheinen noch zu zweifeln; wollen Sie einen, Versuch machen?«

»O nein, ich glaube Ihnen, Herr General,« erwiderte der Unterpräfect hastig, »ich bin kein Freund von solchen Späßen. Jetzt, da Sie mich über die Stimmung des Landes unterrichtet haben, kommen mir alle diese Gesichter verdächtig vor —«

»O! es sind sehr brave Leute; man muß sie nur zu behandeln wissen, und leider ist dies nicht allen denen, die man hierherschickt, gegeben,« sagte der General spöttisch lächelnd. »Wollen Sie ein Pröbchen von der Redeweise dieser Leute haben? Sie sind vermuthlich Advocat gewesen; ich wette, daß unter Ihren Collegen kaum einer ist, der so geschickt und beredt schweigen kann. Höret, Freund,« rief der General einen Bauer an, der einen Brotkuchen in der Hand trug, »sagt mir doch, wo man die so appetitlich aussehenden Brotkuchen verkauft.«

»Die Brotkuchen werden nicht verkauft, sondern verschenkt,« war die Antwort.

»Wirklich? ich möchte auch einen haben.«

»Es ist sonderbar,« sagte der Präfect, »daß man so gute Brotkuchen, die man theuer verkaufen könnte, unentgeltlich vertheilt.«

»Ja, es ist ausfallend; aber eben so sehr wundert’s mich, daß der Erste, der uns in den Wurf kommt, nicht nur unsere Fragen beantwortet, sondern auch denen, die wir noch an ihn richten könnten, entgegenkommt. – Zeiget mir doch eure Brotkuchen, Freund.«

Der General nahm den Brotkuchen, den ihm der Bauer überreichte, genau in Augenschein.

Es war ein gewöhnlicher Kuchen von Mehl und Milch, in welchen man vor dem Backen ein Kreuz und vier Querstriche eingeschnitten hatte.

»Fürwahr, ein hübsches Geschenk!« sagte der General: »es verbindet das Angenehme mit dem Nützlichen. Diese kleine Zeichnung muß ein Rebus seyn. Wer hat Euch diesen Kuchen geschenkt?«

»Man hat mir ihn nicht geschenkt, man traut mir nicht.«

»Aha! Ihr seyd ein Patriot!«

»Ich bin Maire meiner Gemeinde und halte es mit der Regierung.

»Ich sah, wie ein Frauenzimmer solche Kuchen unter den Burschen von Machecoul vertheilte, ohne daß diese welche verlangten und etwas dafür zahlten. Da verlangte ich einen zu kaufen und sie mochte mir’s nicht abschlagen. Ich nahm zwei; ich verzehrte einen, und den andern nahm ich mit.«

»Wollt Ihr mir ihn überlassen, Freund? Ich sammle Rebus, und dieser gefällt mir.«

»Ich kann ihn verschenken oder verkaufen, wie Sie wollen.«

»Aha! ich glaube Dich zu verstehen,« sagte der General, indem er den Bauer aufmerksamer betrachtete, »Du kannst mir diese Zeichen erklären?«

»Vielleicht, auf jeden Fall aber andere Auskunft geben, die nicht zu verachten ist.«

»Aber Du willst dafür bezahlt werden?«

»Das versteht sich!« antwortete der Bauer keck.

»So dienst Du also der Regierung, die Dich zum Maire gemacht hat?«

»Die Regierung hat kein Ziegeldach auf meine Meierei gelegt, sie hat keine steinernen Wände aufgemauert; die Gebäude sind mit Stroh gedeckt, aus Holz und Lehm erbaut; sie gerathen leicht in Brand und es bleibt nichts als die Asche zurück. Wer viel wagt, muß viel gewinnen; denn es kann Alles in einer Nacht verbrennen.«

»Ihr habt Recht. – Die Sache gehört in Ihren Wirkungskreis, Herr Unterpräfect. Ich bin nur Soldat, und die Waare muß bei der Ablieferung bezahlt werden; bezahlen Sie also und liefern Sie sie mir.«

»Beeilen Sie sich,« sagte der Bauer, »denn wir werden von allen Seiten beobachtet.«

Die Bauern hatten sich wirklich allmälig genähert, dem Anschein nach blos aus Neugierde, welche durch die Anwesenheit von Fremden ganz gerechtfertigt schien.

Der General bemerkte es.

»Ich will Ihnen nicht zumuthen,« sagte er zu dem Unterpräfecten, »den Worten dieses Mannes unbedingt zu glauben. Er verkauft Ihnen zwei Säcke Hafer zu hundert neun Francs den Sack; es fragt sich jetzt, ob er sie Ihnen liefern wird; geben Sie ihm ein Aufgeld und lassen Sie sich eine schriftliche Zusicherung geben.«

»Ich habe weder Papier, noch Bleistift bei mir,« entgegnete der Unterpräfect, der die Absicht des Generals merkte.

»So gehen Sie in den Gasthof!« sagte der General. »Hat sonst noch Jemand Hafer zu verkaufen? Wir haben viele Pferde zu füttern.«

Ein Bauer antwortete bejahend, und während der General mit ihm über den Preis unterhandelte, konnte sich der Unterpräfect mit dem Andern entfernen, ohne allzu großes Aufsehen zu machen.

Der Bauer mit dem Brotkuchen – unsere Leser haben es bereits errathen – war kein Anderer als Courtin.

Wir wollen sehen, was er seit dem frühen Morgen gethan hatte.

Nach der Unterredung mit seinem jungen Herrn hatte er sich lange besonnen. Eine einfache Anzeige schien ihm nicht vortheilhaft genug: die Regierung würde den Dienst eines untergeordneten Beamten vielleicht unbelohnt lassen. Es war ein sehr gewagter Schritt, denn Courtin würde dadurch die im Canton so zahlreichen Royalisten aufs Aeußerste erbittert haben.

Er hatte nun das Plänchen ausgedacht, welches er dem Waldhüter Oullier mitgetheilt. Er hoffte als Heirathsvermittler das Wohlwollen des Marquis von Souday zu erwerben, welchem wie er glaubte, eine solche Heirath sehr willkommen seyn müsse. Der Marquis, meinte er, werde ein Stillschweigen, welches einen für die royalistische Partei so theuern Kopf rette, gewiß sehr theuer bezahlen.

Wir haben gesehen, wie Jean Oullier den Antrag Courtin‘s aufgenommen hatte. Das vermeinte glänzende Geschäft war vereitelt, und Courtin war, um wenigstens ein kleines Geschäft zu machen, wieder auf die Seite der Regierung getreten.