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Die Taube

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II

Einige Schritte weit von da bot das Haus der Siadoux ein sehr verschiedenes Schauspiel von dem, welches wir so eben unsern Lesern vorgeführt haben.

Der Gewinn an einem großen Oelhandel, verbunden mit dem Ertrage von ein Hundert Morgen Landes, ließ in demselben einen großen Wohlstand herrschen, und dieser Wohlstand unterhielt in demselben die Heiterkeit. Besonders an diesem Tage war die Fröhlichkeit in dem Hause noch mehr gesteigert. Nach den Aufträgen des Familienhauptes bereitete man in ihm das zur Feier seiner Rückkehr bestimmte Mahl. Die Wittwe Mirailhe war angekommen, und die Familie Saturnin Siadoux, welche aus drei Söhnen und zwei Töchtern bestand, überhäufte sie mit Liebkosungen. Man lachte, man umarmte sich, man sang, und alles das mit jener ausgelassenen Lebhaftigkeit der südlichen Charaktere. Wahr ist es, daß wenn die Wittwe Mirailhe sich ein Mal unter ihren Neffen und Nichten befand, welche sie liebte, als ob sie ihre eigenen Kinder gewesen wären, sie niemals weder von ihrem seligen Gatten noch von denen sprach, welche die Absicht hatten seine Stelle einzunehmen, im Gegentheile, sie sprach den Vorsatz aus, daß sie, sobald sie ihren Trödelladen in Toulouse verkauft hätte, bei der Familie in Croix-Daurade wohnen wollte, ein Gedanke, der, wie man sich wohl denken wird, von ihren drei Neffen und ihren beiden Nichten mit Entzücken aufgenommen wurde, bei denen, wir müssen es zur Schande der Menschheit sagen, die Hoffnung auf eine gute Erbschaft, nicht wenig zu der Liebe beitrug, welche sie für sie hegten. Sobald sie freilich nach Toulouse zurückgekehrt, von Neuem den Lockungen einer zweiten Ehe und besonders den Schmeicheleien Cantagrels ausgesetzt war, dann schwankte das Herz der Wittwe sogleich in den Wolken der Unschlüssigkeit, und empfand sogar von Zeit zu Zeit heftige Versuchungen, zu einer zweiten Ehe zu schreiten.

Aber durch den guten Genius der Familie verscheucht, entflohen in Croix-Daurade alle diese bösen Gedanken. Die gute Tante ließ sich ganz gemächlich von ihren Nichten und von ihren Neffen hätscheln, und die Zeit verfloß rasch und vergnügt.

Inzwischen begann der Abend hereinzubrechen, und Saturnin Siadoux, der seine Ankunft für den Nachmittag gemeldet hatte, war immer noch nicht zurück. Jeder begann daher bereits jene unbestimmte Unruhe zu empfinden, welche Verspätungen gewöhnlich erzeugen, als die Gevattern Delguy und Cantagrel den Anfang von Besorgnis in eine einfache Ungeduld zu verwandeln kamen. Sie meldeten, daß sie erfahren hätten, wie ein gräßliches Gewitter am Tage zuvor zwischen Montgiscar und Villefranche ausgebrochen wäre. Man schloß daraus natürlicher Weise, daß die durchweichten! Wege und die geschwollenen Bäche Saturnin Siadoux gezwungen hätten, in Castelnaudary zu bleiben, oder in Montgiscar bei einem Vetter der Familie einzukehren. Was die Wahrscheinlichkeit dieser Vermuthung rechtfertigte, war, daß das Gewitter, welches am Tage zuvor zwanzig Stunden weit von da ausgebrochen war, sich in diesem Augenblicke bis nach Toulouse zu erstrecken schien. Der Wind hatte sich erhoben, der Himmel war mit Wolken beladen, der Regen fiel in Strömen. Die Nacht wurde finster, man hoffte daher nicht mehr, ihn ankommen zu sehen.

– Aber warum ist der Pfarrer Chambard auch nicht gekommen?

– Marie hat mir gesagt, daß er heute Morgen nach Toulouse gegangen wäre, sagte Josephine Siadoux als Antwort auf diese Frage, welche ihre Tante an sie richtete, und vielleicht ist er noch nicht zurückgekehrt.

– Doch, sagte Constantia, die andere Tochter, denn ich habe ihn gegen vier Uhr Nachmittags in die Kirche gehen sehen, und es wäre möglich, daß er krank wäre, denn er war bleich wie der Tod.

– Wer das? der Pfarrer? fragte Johann Siadoux, der in diesem Augenblicke nach Haus kam, er ist nicht krank, denn als ich meinem Vater entgegenging, habe ich ihn auf dem Kirchhofe gesehen. Nur habe ich nichts von dem begriffen, was er that, er kniete am Fuße des Kreuzes und schien dort zu beten.

– Und ich, sagte Ludwig, ich habe ihn an dem Ende des Dorfes trotz dem Regen ohne Hut gesehen, und ich gestehe, daß ich, da ich nicht begriff, was er dort im bloßen Kopfe machte, mich ihm genähert habe, um ihn da« um zu fragen; aber als er mich erblickte, ist er hinter die Hecken getreten, wie um mich zu vermeiden. Meiner Treue, da ich denen nicht nachlaufe, welche mich vermeiden, so habe ich ihn gehen lassen.

– Das ist sonderbar, sagte die Wittwe Mirailhe, welche eine große Freundschaft für den guten Abbé Chambard hatte. Thomas, fügte sie hinzu, indem sie sich an den ältesten der drei Söhne wandte, Sie sollten ihn holen.

– Mit Vergnügen, sagte der junge Mann; nahm seinen Hut und entfernte sich, ohne andere Bemerkungen zu machen.

Aber auf halbem Wege begegnete er der alten Marie, welche er bei dem Scheine ihrer Laterne erkannte.

– Nun! Frau Marie, sagte er, woran denkt denn der Herr Pfarrer? wir erwarteten ihn um sieben Uhr, und jetzt ist es acht. . .

–Ist Ihr Vater etwa angekommen? fragte Marie.

– Nein, wir rechnen sogar für heute nicht mehr auf ihn, aber wir rechnen auf den Herrn Pfarrer.

– Nun denn! mein lieber Herr Thomas, Sie rechnen, wie man zu sagen pflegt, ohne ihren Wirth, denn ich weiß nicht, was der Herr Pfarrer seit dem Morgen hat, der arme liebe Mann! Aber so viel weiß ich, daß er mich beauftragt hat, ihn bei Ihnen zu entschuldigen, und daß ich im Begriffe stand meinen Auftrag auszuführen.

– Wie, er kommt nicht! rief Thomas aus, vielleicht nur, weil es schlechtes Wetter ist? Ah! bei Gott, wenn ich ihn tragen müßte. . .

– Sehen Sie, mein Sohn, sagte die alte Marie mit jener Vertraulichkeit der Leute des Pfarrhauses, welche in unsern Dörfern noch so gewöhnlich ist, wenn ich Ihnen einen Rath zu geben habe, so ist es der, den Herrn Pfarrer heute in Ruhe zu lassen; ich glaube nicht, daß er gelaunt ist, sich zu unterhalten.

– Wäre er etwa krank?

– Nein, aber ich weiß nicht, welche Nachricht er in Toulouse erfahren hat, ich weiß nur so viel, daß er ganz bestürzt aus der Stadt zurückgekehrt ist, und daß er seit seiner Rückkehr nur weint, stöhnt und betet.

– Nun denn! ein Grund mehr, daß wir ihn zu zerstreuen suchen; er wird dagegen im Hause sehr lustige und sehr fröhliche Leute finden, und dann hat meine Tante Mirailhe geschworen, daß sie sich nicht zu Tische setzen würde, wenn sie nicht ihren guten Freund Chambard zu ihrer Rechten hätte, ich will ihn also holen, Marie, und mit Gutem oder mit Gewalt nehme ich ihn mit.

– Kommen Sie, sagte Marie den Kopf schüttelnd, aber ich zweifle, daß er sich entschließt, Ihnen zu folgen.

Beide schlugen nun wieder den Weg nach dem Pfarrhause ein, und da die Haushälterin einen Hauptschlüssel hatte, so traten sie ohne Geräusch ein, Marie ging voraus, und Thomas Siadoux drang sogleich in das Zimmer des Abbé Chambard.

Er saß in seinem großen Sessel, den Kopf auf seine Brust gesenkt, die beiden Hände auf feine Knie ausgestreckt wie eine Bildsäule der Niedergeschlagenheit.

Er sah das Licht der Laterne; er glaubte, daß Marie allein zurückkehrte, und ließ sich daher nicht stören.

– Herr Pfarrer! sagte Marie, da ist Siadoux.

Welcher Siadoux? rief der Pfarrer erbebend aus.

– Ich, Thomas! sagte der junge Mann.

– Ah! mein Gott und kommen Sie etwa – um mir zu sagen, Thomas? fragte der Pfarrer, indem er seine bestürzten Augen auf ihn heftete.

– Ich komme, Ihnen zu sagen, daß Sie sich verspätet haben, Herr Pfarrer, sonst nichts. Und da wir nicht ohne Sie essen wollen, so komme ich, Sie zu holen.

– Kehren Sie nach Haus zurück, Thomas, mein Sohn, sagte der Pfarrer mit unendlicher Traurigkeit, entschuldigen Sie mich bei Ihrer Familie; ich habe beschlossen, heute Abend nicht auszugehen.

– Aber ich bitte Sie, Herr Pfarrer, sagte Thomas, was sollen wir ohne Sie anfangen? Mein Vater fehlt uns schon, und nun weigern Sie sich auch zu kommen; zwei leere Plätze an dem Familien,Tische, und noch dazu die beiden Ehrenplätze! das ist unmöglich, Herr Pfarrer, Sie wollen also, daß wir alle Freude und allen Appetit verlieren? dabei wissen Sie wohl, daß meine Tante Mirailhe nur durch Sie sieht, nur durch Sie hört, und daß nur Sie dieselbe allmählich auf die Nachricht vorbereiten können, welche ihr mein Vater in Bezug auf ihren Fleischer zurückbringen wird; denn ich ahne, was mein Vater sagen wird; – der Cantagrel ist verheirathet, – ich möchte dafür stehen, sehen Sie, so wahr wir beide, Sie ein frommer und ich ein rechtschaffener Mann sind.

– Mein armer Sohn, mein armer Sohn, flüsterte der Pfarrer.

– Nun denn, was, mein armer Sohn? fragte Thomas, was will das sagen?

– Das will sagen, daß es besser ist, ich bleibe hier, Thomas, als Euch alle durch meine Anwesenheit traurig zu machen.

– Ei! bei Gott, Sie werden uns nicht traurig machen! wir werden Sie erheitern, wir haben, Gott sei Dank, Mittel dazu.

– Laß mich, Thomas, laß mich.

– Herr Pfarrer, ich habe versprochen, Sie mitzubringen; ich bitte Sie daher in unser aller Namen, im Namen meines Vaters, dessen Stelle Sie vertreten wer« den, zu kommen, wenn er hier wäre, so würde er Sie wohl zu bestimmen« wissen. . .

Der Pfarrer stieß einen Seufzer aus, der einem Stöhnen glich.

– Nun denn, Herr Pfarrer, ein wenig Muth, bei Gott! Sie, der Sie die andern in ihrer Betrübnis so gut zu trösten wissen, geben Sie das Beispiel, opfern Sie sich!.

Zu gleicher Zeit faßte der junge Mann den Abbé unter einen Arm und hob ihn auf.

– Sie wollen es also durchaus, sagte der Abbé Chambard, der einer Bitte eben so wenig zu widerstehen vermochte, als einem Befehle.

– Wie denn, ob ich es will! Ich will es nicht allein, sondern ich verlange es auch im Namen der alten Freundschaft, welche sie mit meinem Vater verbindet; es ist einige Zeit her, daß Sie mit Saturnin Siadoux bekannt sind, he! fuhr der junge Mann lachend fort.

 

– Am Sanct Peters Tage sind es vier und zwanzig Jahr, daß ich zum ersten Male bei ihm zu Mittag gegessen habt, armer Saturnin!

Und der Pfarrer sprach diese letzten Worte mit einem so schmerzlichen Ausdrucke aus, daß der junge Mann eint Art von Schauder durch die Adern rieseln fühlte.

– Nun denn, Herr Abbé, sagte er, indem er ihm seinen Hut in die Hand gab, den der arme Priester suchte, ohne ihn zu finden, ich glaube, daß es Zeit ist, daß ich Sie fortführe; denn der Teufel soll mich holen! Sie würden mich sonst ebenso traurig machen, als Sie sind.

Wahrend dieser Zeit warf Marie dem Abbé Chambard seinen Mantel über die Schultern, und da die Laterne noch brannte, so machte sie sich auf den Weg, um zu leuchten.

Auf den Arm des jungen Mannes gestützt, folgte ihr der Priester maschinenmäßig.

Nach einigen Minuten langte man an dem Hause Siadoux an, wo die Ankunft des Pfarrers mit allgemeinem Jubel begrüßt wurde.

– Kommen Sie doch, kommen Sie doch, Herr Pfarrer, riefen zugleich alle Mitglieder der Familie und die beiden eingeladenen Gevattern aus kommen Sie doch, der Braten brennt an. Zu Tische! zu Tische!

Mit Hilfe einiger Selbstüberwindung gelang es dem guten Priester auf diesen Empfang durch ein Lächeln zu antworten, und er setzte sich auf die Stelle, welche ihm vorbehalten war, während die ihm gegenüber für Saturnin Siadoux bestimmte Stelle leer blieb.

Aber, obgleich er gewöhnlich in diese Arten von Gesellschaften einen Theil von sanfter Heiterkeit und väterlicher Freundschaft brachte, so blieb doch der gute Pfarrer zum großen Erstaunen Aller kalt wie Marmor. Indessen waren die Anstrengungen sichtlich, welche er machte, um zu lachen und um zu scherzen; aber die Rede erstarb auf seinen Lippen, und jedes Mal, daß bei einem von Außen gekommenen Geräusche einer der Tischgenossen aufstand, um zu sehen, ob es nicht Saturnin Siadoux wäre, welcher käme, schüttelte der Pfarrer wie von einem unwiderstehlichen Gefühle bewegt den Kopf, und stieß einen tiefen Seufzer aus.

Inzwischen kehrte die Unterhaltung, welche man an« fange sorgenlos und heiter hatte machen wollen, ewig wieder auf den abwesenden Reisenden zurück. Man fragte sich, wo er in diesem Augenblicke sein, was er wohl machen könne. Ueber das, woran er dächte, war man nicht in Zweifel, er dächte, daß seine Kinder und seine Freunde versammelt wären und ihn erwarteten, und er wäre zuverlässig ärgerlich, nicht unter ihnen zu sein.

Aber allen diesen durch das Gefühl der Verwandtschaft und der Freundschaft belebten Aeußerungen blieb der Abbé fremd, indem er nur mit einem Gedanken beschäftigt, nur durch eine Erinnerung vernichtet schien.

Während dieser Zeit brach das Gewitter aus, welches schon lange am Himmel gedroht hatte. Man hörte den Regen schaurig an die Fensterscheiben peitschen; der Wind, der sich in den Gängen und in den Kaminen fing, heulte und glich der Klage einer in Noth befindlichen Seele, welche Gebete verlangte. Dann ließ von Zeit zu Zeit ein Blitz, der allemal einem fürchterlichen Donner schlage vorherging, mit seinem bläulichen Scheine das Licht der Lampen erbleichen.

Ganz im Gegensatze von dem, was Thomas Siadoux vorhergesagt hatte, erheiterten die Tischgenossen den Abbé Chambard nicht, im Gegentheile hatte die Traurigkeit des würdigen Priesters sie Alle angesteckt.

Die Unterhaltung war allmählich erloschen. Wenn man noch sprach, so geschah es mit leiser Stimme; man aß nicht mehr, man trank kaum, und, statt die Tischgenossen zur Fröhlichkeit zu stimmen, schienen die feurigen Weine des Südens im Gegentheile in ein einschläferndes Getränk verwandelt, sie zu einer weit liefern Schwermuth zu stimmen.

Man fühlte, daß ein unbekanntes Unglück in der Luft schwebe, und daß es sich von einem Augenblicke zum andern, wie ein Geier auf seine Beute, auf die Familie herablassen würde.

Plötzlich hörte man einen an die Hausthür gethanen Schlag erschallen, einen einzigen, festen und dumpfen Schlag, wie man, fest überzeugt, daß er genüge, um ein ganzes Haus erbeben zu lassen, nur einen thut.

Die Tischgenossen sahen einander an; dann, wie in ein« gemeinschaftlichen Uebereinstimmung, richteten sich alle Augen auf den Pfarrer.

Er war bleich wie ein Gespenst; ein kalter Schweiß rann von seiner Stirn, seine Zähne klapperten.

Die Thür des Eßzimmers ging auf. Alle Tischgenessen standen im Vorgus entsetzt über den Besuch auf den sie empfangen würden, obgleich sie noch nicht wußten, was es für ein Besuch wäre.

Man sah zuvörderst einen Schöffen und Beisitzer im richterlichen Gewande eintreten, dann Offiziere des Stadthauses, dann Polizeisoldaten, dann untergeordnete Beamte der Justiz, dann eine von vier Mann getragene Bahre.

Auf dieser Bahre lag eine Leiche, deren Gestalt man unter einem blutigen Tuche erkannte.

Thomas begriff, was man von ihm verlangte. Ohne ein Wort zu sagen, ohne eine Frage zu stellen, näherte er sich mit vor Schreien gesträubten Haaren der Bahre und hob langsam das Tuch auf, welches die Leiche bedeckte.

Ein einziger und alleiniger, unendlicher und verzweifelter Schrei erschallte aus dem Munde Aller. Diese Leiche war die Saturnins Siadoux!

Man hatte sie diesseits Villefranche von elf Messerstichen durchbohrt, in ihrem Blute gebadet, an den Ufern des Flusses Lers gefunden, in welchem der Mörder ohne Zweifel nicht die Zeit gehabt hatte, sie zu werfen.

Nun sah man voller Erstaunen den Pfarrer Chambard, statt zu bleiben, wie es seine Pflicht war, um der Familie die Tröstungen der Freundschaft und der Religion zu bieten, von seinem Stuhle aufstehen und, indem er sich durch die halbgeöffnete Thür schlich, verschwinden, ohne irgend Jemand ein Wort zu sagen.

Zwölf Stunden waren seit dem eben von uns erzählten Ereignisse verflossen; auf das Geschrei der Verzweiflung, auf das lärmende Jammern des ersten Augenblickes war jener finstere und tiefe Schmerz gefolgt, der von Zeit zu Zeit einen erstickten Seufzer entschlüpfen und eine stumme Thräne fallen läßt. Die Leiche Saturnin Siadoux lag auf einem Bette ausgestellt, das man in einem Zimmer des Erdgeschosses aufgeschlagen hatte, in das allmählich das ganze Dorf getreten war. Zwei, die eine an dem Kopfe, die andere zu den Füßen der Leiche angezündete Kerzen von gelbem Wachs verbreiteten ihren bleichen und schwankenden Schein in Mitte eines düsteren Tageslichtes, die Frauen hatten sich in ihr Zimmer zurückgezogen, und Johann und Ludwig, die beiden jüngsten Söhne des Todten, wachten allein, regungslos und stumm einander gegenüber vor einem großen Kamine sitzend, in welchem die letzten Ueberreste des Feuers der Nacht brannten.

Von Zeit zu Zeit stand einer der beiden jungen Leute auf, küßte die weißen Haare seines Vaters und setzte sich weinend wieder nieder.

Beide waren traurig, und von Zeit und Zeit verriet ein Unglück verkündender und drohender Ausdruck, der auf ihre Stirn trat, die Gedanken, welche ihr Herz erfüllten.

Seitdem sie dasaßen, und es waren seitdem fünf bis sechs Stunden verflossen, hatten sie nur folgende Worte ausgewechselt:

– Weißt Du, wo unser Bruder Thomas ist? hatte Johann gefragt.

– Nein, hatte Ludwig geantwortet.

Und Beide waren wieder in jenes frühere Schweigen versunken, da« entsetzlich für jeden war, der diese sonst so lebhaften und gesprächigen Naturen kannte.

Plötzlich ging die Thür auf und Thomas erschien auf der Schwelle; die beiden Brüder hatten zu gleicher Zeit den Kopf erhoben, um ihn zu fragen, woher er käme; aber sie bemerkten auf seinem Gesichte einen so seltsamen Ausdruck, daß sie ihren älteren Bruder nicht zu befragen wagten und warteten.

Thomas legte seinen Mantel neben die Thür, schritt langsam auf die Leiche zu, und indem er sein Haupt entblößte, küßte er sie auf die Stirn; hierauf kehrte er zurück, um sich zwischen seinen beiden Brüdern niederzulassen, und indem er seinen Hut wieder auf seinen Kopf setzte und die Arme übereinanderschlug sagte er:

– Woran denkst Du, Johann?

– Ich denke daran, den Tod meines Vaters zu rächen, antwortete der junge Mann.

– Und Du, Ludwig?

– Ich auch, antwortete er.

– Nur, begann Johann wieder, wer kann der Mörder sein?

– Er hatte niemals Jemand Leid zugefügt, sagte Ludwig.

– Und dennoch ist sein Tod nur das Werk irgend einer Rache, fuhr Johann fort.

– Und woher weißt Du, daß er das Werk einer Rache ist? fragte Thomas.

– Ach! es ist wahr, sagte Ludwig, Du warst bereits fort, als man seine Kleider untersucht hat; man hat in seinen Taschen seine goldene Uhr, einen silbernen Becher, zwölf sechs Livres-Thaler mit dem Gepräge des Königs, einen Quadrupel von seinem Golde und fünf bis sechs Münzen von Barcelona gefunden.

– Du siehst wohl, Bruder, daß es eine Rache ist, sagte Johann.

– Der schändliche Mörder! rief Ludwig aus.

– O! ja, sehr schändlich, murmelte Johann.

– Aber ich habe einen Schwur gethan, sagte Ludwig.

– Und ich auch, erwiderte Johann.

– Welchen?

– Daß ich den Mörder ausfindig machen werde, müßte ich auch mein Leben damit zubringen, ihn aufzusuchen, und daß er durch die Hand des Henkers sterben soll.

– Schlag ein, Bruder, rief Ludwig aus, denn ich habe denselben Schwur gethan.

– Wohlan! wollt Ihr ihn kennen lernen? fragte Thomas, indem er auf die Schultern von jedem seiner Brüder die Hand legte.

–O! ja, riefen die beiden jungen Leute aus, indem, sie hastig aufstanden.

–Nun denn! es hängt nur von Euch ab, sagte Thomas.

– Du kennst ihn? riefen die beiden Brüder aus.

– Nein, aber ich weiß einen Mann, der ihn kennt.

– Wer ist dieser Mann? fragten Ludwig und Johann zu gleicher Zeit.

– Der Pfarrer Chambard, sagte Thomas.

– Der Pfarrer Chambard? erkläre Dich.

– Hört mich wohl an, sagte Thomas, und sammelt alle Eure Erinnerungen.

– Gestern Morgen ging der Herr Pfarrer heiter, ruhig und vergnügt nach Toulouse.

– Ja, sagte Johann, ich bin ihm begegnet, wie er in seinem Brevier las, und er hat sich unterbrochen, um mich zu fragen, ob das Tiktak der Mühle von Saint-Genice mich immer noch verhindere, zu schlafen.

– Ich verstehe, äußerte Ludwig, wegen der kleinen Margarethe.

– Ganz recht.

– Er sollte den ganzen Tag in Toulouse zubringen, begann Thomas wieder, da seine Haushälterin ihn erst um sechs Uhr Abends erwartete.

– Weiter.

– Um Mittag langte er bleich und verwirrt an, schloß sich ein, stöhnte, weinte und betete, um fünf Uhr fand man ihn auf dem Kirchhofe knieend, um sechs Uhr begegnete man ihm ohne Hut trotz bei Windes und des Regens; um sieben Uhr weigerte er sich, obgleich das eine verabredete Sache war, mit uns zu Nacht zu essen, um acht Uhr war ich genöthigt, ihn zu holen, und ich mußte ihn fast mit Gewalt mitnehmen; während des ganzen Abendessens war er traurig, zerstreut, tiefsinnig, endlich, als man um elf Uhr die Leiche unseres Vaters uns gebracht, als er wußte, daß die ganze Familie seiner Tröstungen bedurfte, fehlte er gegen alle seine Wichten, nicht allein als Freund, sondern auch als Priester, indem er sich entfernte, ohne irgend Jemand ein Wort zu sagen, ohne zu melden, daß er ginge, und seit dieser Zeit. . .

– Das ist wahr, sagte Johann, er ist nicht zurückgekehrt.

–Wäre er der Mitschuldige des Mörders? rief Ludwig aus.

–Nein, aber er kennt ihn.

– Du. glaubst es?

– Ich bin davon überzeugt.

– Nun denn, was können wir thun?

– Es gibt einen Mann, der den Mörder meines Vaters kennt, und Du fragst mich, was dabei zu thun ist, Johann? rief Thomas aus.

– Er muß den Namen des Schändlichen nennen, sagte Ludwig.

– So ist es recht, erwiderte Thomas, indem er ihm die Hand reichte, Du verstehst mich.

– Wohlan! laßt uns zu dem Pfarrer eilen, rief Johann aus.

– Still, sagte Thomas, wir werden nichts erlangen, wenn wir uns nicht dabei zu benehmen wissen.

– Nun denn! laß hören, Du bist der älteste, leite uns, Bruder!

– Laßt uns zuvörderst auf die Leiche unseres Vaters schwören, seinen Tod durch alle möglichen Mittel zu rächen.

Die drei Brüder näherten sich wie von einem Willen beseelt, und, indem sie ihre Hände vereinigten, die sie auf die Stirn des unglücklichen Greises legten, sprachen sie den schrecklichen Schwur aus, die Rache zu vollziehen, welche sie als eine heilige Pflicht ansahen.

– Jetzt, sagte Thomas, laßt uns die Nacht abwarten.

Wie um sich in dem gefaßten Entschlusse zu ermuthigen, blieben die drei jungen Leute in dem unteren Zimmer, in welchem die Leiche ihres Vaters ausgestellt war, indem sie sich das Mittagessen bei ihm auftragen ließen, als hierauf die Nacht hereingebrochen, gingen sie ihre Schwestern und ihre Tante zu umarmen, welche, ein wenig beruhigt, von Neuem in Thränen und Schluchzen ausbrachen, als sie sie erblickten.

 

Die Stirn der jungen Leute war traurig und ihr Auge finster, aber sie vergossen nicht eine Thräne, sie stießen nicht einen Seufzer aus.

– Mein armer Vater! mein armer Vater! riefen die beiden jungen Mädchen aus, und wir haben ihm nicht einmal Lebewohl sagen können.

– Und seinen Mörder nicht zu kennen! rief die Wittwe Mirailhe mit drohender Gebärde aus.

– Was das anbetrifft, so beruhigen Sie sich, meine Tante, sagte Thomas; wir sind auf der Spur, ihn auszuwittern, und wir werden ihn kennen lernen.

– Ich würde die Hälfte meines Vermögens darum geben, zu wissen, wer meinen armen Bruder umgebracht hat, sagte die Wittwe.

– Und ich die Hälfte meines Lebens, sagte jede der beiden Schwestern.

– Wohlan! rührt Euch nicht von hier, sagte Thomas; wenn Ihr Geräusch hört, so bekümmert Euch nicht darum, wir sind es, die es verursachen werden; wenn Ihr Geschrei hört, so sagt Euch, die drei Brüder sind am Werke. Betet für unsern Vater, aber rührt Euch nicht, und morgen, ich schwöre es Euch, morgen werden wir Alles wissen.

– O! mein Gott! riefen die jungen Mädchen aus, o! mein Gott! was wollt Ihr thun?

– Geht, sagte die Wittwe Mirailhe, es ist die Pflicht der Kinder, ihren Vater zu rächen, und die beiden jungen Mädchen umarmend, fügte sie hinzu: schließt uns ein, wenn Ihr an uns zweifelt.

Die beiden jungen Leute umarmten von Neuem ihre Schwestern und ihre Tante, verließen das Zimmer und verschlossen die Thür desselben.