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Die Taube

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Siebenter Brief

12. Mai.

Ja, Sie haben Alles begriffen; ja, während ich zu den Füßen Gottes kniete, indem ich von ihm Rechenschaft über seine Strenge verlangte,statt ihn über meine Zweifel um Verzeihung zu bitten, gab mir Gott durch eine Art von Wunder diesen Trost wieder, den ich mir genommen glaubte, und unsere durch ihre Ergebenheit ungetreue Botin überbrachte Ihnen von selbst diese Ueberfülle meiner Gedanken, oder vielmehr meines Herzens, welche auf das Papier übergetreten war.

Sie wollen unbekannt bleiben; es sei! was liegt mir daran, daß die Sonne sich in den Wolken verbirgt, daß das Feuer sich in seinem Rauche verschleiert, wenn durch den Rauch oder durch die Wolke, der Strahl der einen mich erleuchtet oder die Flamme des anderen mich erwärmt? Gott auch ist unsichtbar und unbekannt; fühlt man darum weniger die Hand Gottes über die Welt ausgestreckt?

Ich werde Ihnen nicht sagen, daß ich eine geringe Frau bin; ich sage Ihnen: Ich bin von Adel gewesen, ich bin reich gewesen, ich bin glücklich gewesen; ich bin nichts von alle dem mehr, ich habe von ganzer Seele einen Mann geliebt, der auch mich von ganzer Seele liebte; dieser Mann ist gestorben; die eisige Hand des Schmerzes hat mich meiner weltlichen Kleider entledigt,und mich mit dem heiligen Gewande angethan, ein einstweiliges Gewand, ein Leichenschmuck derer, die nicht mehr leben, und die gleichwohl noch nicht gestorben sind.

Sehen wir jetzt,wo die Wunde ist.

Ich bin ins Kloster gegangen,um den zu vergessen der gestorben ist, und mich nur an Gott zu erinnern, und zuweilen vergesse ich Gott, um mich nur dessen zu erinnern, der todt ist

Deshalb beklage ich mich, deshalb jammere ich; deshalb rufe ich dem Herrn zu, Herr, habe Erbarmen mit mir! O! sagen Sie mir, wie Sie es angefangen haben, um Ihre Seele von diesem Schmerze zu leeren, der sie erfüllte. Haben Sie es ausgeschüttet, wie man einen Becher ausschüttet? Ich thue es so in meinen Gebeten, und nach jedem Gebete finde ich meine Seele noch immer mehr mit irdischer Liebe erfüllt, als vorher, wie als ob sie statt die Bitterkeit auszuschütten, welche sie enthält, nur eine neue Bitterkeit aus dem glühenden See zu schöpfen gewußt hätte, indem sie sich zu ihm neigte.

Ihre Antwort wird einfach sein und ich höre sie im Voraus: »Ich habe niemals geliebt.«

Mit welchem Rechte rühmen Sie sich dann, gelitten zu haben, wenn Sie niemals geliebt haben?

Sie hätten damit anfangen und mir sagen müssen: »Ich habe niemals geliebt.«

Dann hätte ich weder Beistand noch Trost von Ihnen verlangt; dann hätte ich Ihre Entfernung und Ihr Schweigen nicht allein angenommen, sondern ich wäre auch an Ihnen vorübergegangen, wie man an einem Marmor vorübergeht, dem,der Bildhauer eine menschliche Gestalt gegeben hat, in dessen Brust aber niemals ein Herz geschlagen hat.

Wenn Sie niemals geliebt haben, so bin ich es, die Ihnen dieses Mal sagt: Antworten Sie mir nicht, wir gehören nicht derselben Welt an, wir haben nicht dasselbe Leben gelebt. Ich habe mich durch den Schein getäuscht, wozu nutzt es, von nun an unnöthige Worte auszuwechseln. Sie werden das nicht verstehen, was ich sage; ich werde das nicht verstehen, was Sie sagen werden. Wir sprechen nicht dieselbe Sprache.

O! wenn Sie aber im Gegentheile geliebt hätten, so sagen Sie mir wo, sagen Sie mir wen, sagen Sie mir wie, oder, wenn Sie mir von alle dem nichts sagen wollen, so sprechen Sie mir von den gleichgültigsten Dingen, gleichviel von welchen, alle werden mir interessant sein, nichts wird mir nutzlos sein, sagen Sie mir, wie Ihr Zimmer ist, ob es sich nach Osten oder nach Westen, nach Süden oder nach Norden öffnet; ob Sie die Sonne begrüßen, wenn sie erscheint, ob Sie Abschied von ihr nehmen, wenn sie flieht, oder ob Sie, die Augen durch die glühenden Strahlen ihres Mittags geblendet, das Antlitz Gottes in Mitte ihres unauslöschlichen Ausstrahlens zu erkennen suchen. Sagen Sie mir Alles das, dann, sagen Sie mir noch das, was Sie v0n Ihrem Fenster aus sehen, Ebenen oder Berge Gipfel oder Thäler, Bäche oder Flüsse, einen See oder den Ocean; sagen Sie mir Alles das, ich werde meinen Geist mit allen diesen geheimnißvollen Problemen des durch den Willen sichtbar gemachten Unbekannten beschäftigen, und vielleicht wird es meinem Herzen, durch meine Gedanken zerstreut, gelingen zu vergessen, wäre es auch nur einen Augenblick lang.

Nein, nein, nein, sagen Sie mir Nichts von alle dem; ich will nicht vergessen.

Achter Brief

13. Mai.

Der, den Sie geliebt haben, ist gestorben,deshalb haben Sie noch Thränen; die, welche ich geliebt habe, hat mich verrathen, deshalb habe ich keine mehr!

Sprechen Sie mir von ihm so lange als Sie wollen, verlangen Sie nicht, daß ich Ihnen von ihr spreche.

Seit vier Jahren bewohne ich ein Kloster, und doch bin ich noch nicht Priester!

Warum das? werden Sie mich fragen.

Als ihre Liebe, die das letzte Band war,welches mich an das Leben fesselte, mir gefehlt hat, bin ich in eine solche Verzweiflung versunken, daß es kein Verdienst von mir war, mich in Folge eines solchen Schmerzes Gott zu widmen. Nun habe ich abgewartet, daß diese Verzweiflung sich beruhigte, damit der Herr mich nicht empfing, wie der Abgrund den Blinden oder den Sinnlosen empfängt, der sich hineinstürzt,sondern wie in gastfreundlicher Wirth den ermüdenden Pilger empfängt, der ihn am Ende eines beschwerlichen Marsches, am Ende eines mühseligen Tages um die Ruhe der Nacht zu bitten kommt.

Ich wollte ihm ein inbrünstiges Herz und kein gebrochenes Herz, einen Körper und nicht eine Leiche darbringen.

Und es sind jetzt vier Jahre her, daß ich mich durch die Einsamkeit absondere,daß ich mich durch das Gebet reinige, und ich habe bis jetzt nicht gewagt,das Gewandt des Novizen mit der Kutte des Mönches zu vertauschen, so viel bleibt noch von dem alten Menschen in mir, so sehr finde ich, daß es eine Ruchlosigkeit wäre, mich dem Schöpfer so unvollständig zu widmen, nachdem ich mich dem Geschöpfe so vollständig hingegeben hatte.

Jetzt kennen Sie von meinem vergangenen und geheimen Leben alles das, was Sie von meinem gegenwärtigen und äußern Leben wissen können, hier ist das, was ich Ihnen sagen kann.

Ich bewohne nicht in einem Kloster, sondern in einer auf halber Höhe eines Hügels erbauten Einsiedelei, ein Zimmer mit weißen Wänden, ohne andere Verzierung als das Porträt eines Königs, für den ich eine ganz besondere Verehrung habe, und einen Christus von Elfenbein,ein Meisterstück des sechzehnten Jahrhunderts, den mir meine Mutter geschenkt hat. Mein ganz mit einem ungeheuren Jasmin eingefaßtes Fenster, dessen mit Blumen beladenen Zweige in mein Zimmer eindringen, das sie mit Duft erfüllen, öffnet sich gegen die aufgehende Sonne und wahrscheinlich auf den Punkt des Horizontes den Sie bewohnen, denn ich sehe von weitem und in einem geraden Fluge noch unsere Taube, die ich in derselbe Richtung wieder aufbrechen sehe und der ich in den Lüften bis auf die Entfernung von, ungefähr einer Viertelmeile weit folge; worauf der Punkt, der sie vorstellt und der beständig keiner geworden ist, sich, in dem blauen Firmament oder in der grauen Wolke verschmilzt, je nach dem der Himmel rein oder neblig, ist. Die Morgendämmerung hat für mich ganz besondere Reize, die von der Lage des Bodens herrühren, der die Landschaft bildet, die mein Blick übersehen kann und die ich Ihnen zu beschreiben versuchen will.

Mein Horizont ist im Süden durch die große Kette d«r Pyrenäen mit violetten Seiten, mit schneeigen Gipfeln geschlossen, im Westen durch eine Reihe von Hügeln, die, indem sie sich immer erheben, sich eine untergeordnete Kette an diese Hauptkette anschließen; im Norden erstreckt sie sich endlich so weit, als das Auge reichen kann, in ein Land von Ebenen, ganz mit Gruppen von Olivenbäumen bedeckt, ganz mit kleinen Bächen durchschnitten, in deren Mitte, wie ein Fürst, der den Tribut seiner Unterthanen empfängt, majestätisch einer der größten Flüsse dahinrollt, die Frankreich bewässern.

Die Anhöhe, welche ich übersehe, neigt sich von Süden nach Norden, von den Bergen in die Ebenen.

Sie bietet drei sehr verschiedene Aussichten: am Morgen, am Mittag, am Abend. Am Morgen geht die Sonne hinter der Hügelkette im Osten auf; zehn Minuten, bevor sie erscheint, sehe ich einen rosigen Dunst aufsteigen, der sich langsam, aber siegreich des Himmels bemächtigt, indem er den schwarzen Schattenriß der Hügel noch verfinstert, die sich auf ihm durch diesen Dunst zeigen, der durch alle Zwischentöne, von dem feurigen Rosa bis zu dem glühenden Gelb übergeht und durch dm wie Lanzenspitzen einige vorausgehende Strahlen der Sonne dringen, welche fortfährt, hinter den Hügeln aufzugehen, deren Umrisse an, fangen, sich mit ihren Strahlen zu vergolden. Bald wallt auf dem doppelten Gipfel, welchen der höchste Kamm dieser Kette bildet, etwas wie ein bewegliches Feuer, das sich immer mehr ausbreitet, bis das Gestirn selbst, glänzend, funkelnd, von Flammen strahlend, ein unauslöschbarer Krater des göttlichen Vulkans erscheint.

Dann, und in dem Maße, als sie an dem Himmel aufsteigt, erwacht auf der Erde Alles wieder zu dem Leben; der Gipfel der Pyrenäen geht von einem matten Weiß zu dem feurigsten Silberscheine über, ihre schwarzen Seiten erleuchten sich allmälig, indem sie von dem Schwarz zu dem Violett, von dem Violett zu dem Hellblau übergehen. Wie eine Ueberschwemmung von Licht, welche von den hohen Gipfeln herabfiele, verbreitet sich der Tag in der Ebene. Dann glänzen die Bäche wie Silberfäden, des Fluß windet sich und wogt wie ein gewässertes Band; die kleinen Vögel singen in den Oleandergebüschen, in den Reihen der Granatbäume, in den Myrthengesträuchen, und ein Adler, der König des Firmamentes, kreist an dem Himmel, indem er mit seinem unermeßlichen Fluge einen Kreis von mehr als einer Weile beschreibt, in welchem ich ihn abwechselnd verschwinden und wieder erscheinen sehe.

 

Um Mittag verwandelt sich das ganze Becken, das ich soeben beschrieben habe,in eine heiße Gluth; von Oben nach Unten erleuchtet, vermögen die Gebirge ihre nackten Seiten nicht mehr zu verbergen, welche die Granitgebeine der Erde durchziehen, man sieht von den leuchtenden Oberflächen des Felsens die gebrochenen Strahlen der Sonne zurückprallen; die Bäche und der Fluß gleichen Strömen geschmolzenen Bleies, die Blumen verwelken, das Laub neigt sich, die Vögel schweigen; die unsichtbaren Grillen. zirpen auf den Zweitgen der Olivenbäume, welche knistern, und auf der Borke der Fichten, welche krachten, und die einzigen lebendigen Wesen, welche diese Einöde der Flammen beleben, sind bald eine grüne Eidechse, welche an dem Gitter meines Fensters aufsteigt, bald eine marmorirte Schlange, die, in ein Spiral gerollt, mit ihrem halbgeöffneten Rachen, in welchem ein schwarzer und unschädlicher Stachel spielt, die Mücken einathmet, die im Bereiche ihres Athems vorüberkommen.

Am Abend erwacht das Leben wieder für einen Augenblick, wie das Licht der Lampe, die auszugehen im Begriffe steht, wieder für einen Augenblick erwacht, dann schweigen die Grillen eine nach der andern, und der klagende und eintönige Ruf des Heimchens folgt ihrem Gezirpe; die Eidechsen fliehen, die Schlangen verschwinden, die Gebüsche bewegen sich unter dem unruhigen Fluge der Vögel, die eine Herberge. suchen, um die Nacht darin zuzubringen, die Sonne geht an dem Horizonte unter, der mir verborgen ist, und in dem Maße, als sie untergeht, sehe ich den Schnee der Pyrenäen von dem zarten Rosa, roth zu dem Purpurrosaroth übergehen, während die auf dem Grunde der Ebene hereingebrochene Finsterniß jede Stufe der Riesentreppe ersteigt, welche das Licht verläßt, bis daß dem Naturgesetze gemäß die ganze Welt ihr angehört; dann hört alles Geräusch auf, alles irdische Licht erlöscht, die Sterne erscheinen schweigend an dem Himmel, und in Mitte des nächtlichen Schweigens erwacht eine einzige Melodie in dem Raume, das ist der Gesang der Nachtigall, der Geliebten der Sterne, die Improvisatrice der Dunkelheit.

Sie haben mich gefragt,was ich von meinem Fenster aus sehe,ich habe es Ihnen gesagt; prägen Sie diese dreifache Aussicht Ihrem Gedanken ein, beschäftigen Sie Ihren Geist, um Ihr Herz zu zerstreuen; Ihr Heil auf dieser Welt und in der anderen liegt ganz in dem Worte: Vergessen Sie!

Neunter Brief,

13.Mai.

Sie sagen mir zu vergessen. Hören Sie, was in mir vorgeht, sobald die Dunkelheit sich verbreitet; dann, begreifen Sie etwas Entsetzliches, Unerhörtes, Unnatürliches? Nämlich daß während meines Schlafes der Todte nicht mehr Todt ist, der Gestorbene zum Leben zurückgekehrt,er ist bei mir mit seinem langen schwarzen Haaren, seinem bleichen und männlichen Gesichte; voll von dem Gepräge des Adels seines Geschlechts. Er ist da, ich spreche mit ihm, ich strecke die Hand aus, ich rufe aus; Du lebst also noch! Du liebst mich also immer noch! Und er antwortet mit Ja, daß er noch lebt, daß er mich immer noch lieb, und dieselbe unaufhörliche, regelmäßige, fast materielle Erscheinung erneuert sich jede Nacht,um erst mit den ersten Strahlen der Tages zu verschwinden.Ei! mein Gott,was habe ich nicht gethan,damit diese Erscheinung, ohne Zweifel das Werk des Engels der Finsterniß,aufhöre, mich zu Quälen! Ich habe mich unter geweihtem Buchsbaum begraben, ich habe geweihte Rosenkränze um meinen Hals und um meine Handgelenke geschlungen, ich habe ein Kruzifix auf meine Brust gelegt, und bin mit über die Füße des göttlichen Märtyrers gefalteten Händen eingeschlafen: Alles ist eitel, vergebens, fruchtlos gewesen; der Tag führt mich zu Gott zurück, aber die Dunkelheit zu ihm, ich bin wie jene Königin, von welcher der Dichter Homer spricht, und von der jede Nacht die Arbeit jeden Tages wieder auflöste.

Wenn es keine Nacht, keinen Schlaf, keine Träume mehr gäbe, so würde ich vielleicht vergessen.

Können Sie das von Gott erlangen?

Zehnter Brief

14. Mai.

Alles, was man von Gott durch das Gebet erlangen kann, werde ich für Sie erlangen, denn Sie sind wirklich verwundet, und die Wunde ist tief und blutend.

Lassen Sie uns beten.

Elfter Brief

15. Mai.

Ich weiß nicht, ob ich, seitdem ich Ihnen schreibe, mehr Ruhe empfinde, aber zuverlässig empfinde ich mehr Erleichterung.

Das kommt daher, weil mein Leben eine mächtige Zerstreuung erhalten hat; ich war ohne Familie, allein in der moralischen und in der materiellen Welt, bald auf den Knieen, bald auf einem Grabe liegend, bald weinend, immer verzweifelnd, und jetzt finde ich plötzlich einen Bruder wieder.

Denn es scheint mir, daß Sie für mich ein Bruder sind. Es scheint mir, daß dieser Bruder, den ich nicht kannte, Frankreich verlassen hat, bevor ich geboren wurde. Es scheint mir, daß ich ihn erwartet, ihn ohne Unterlaß gesucht habe. Jetzt ist er zurückgekehrt. Jetzt, ohne sich durch die Gegenwart zu offenbaren, offenbart er sich durch die Stimme. Ich sehe ihn nicht, aber ich höre ihn. Ich berühre ihn nicht, aber ich verstehe ihn.

Sie haben keinen Begriff, wie sehr diese so glänzend von ihrer Feder ausgemalte Landschaft meine Gedanken beschäftigt hat. Man leugne mir nicht die Wunder des doppelten Gesichts: das doppelte Gesicht besteht. Durch die beharrliche Kraft meines Willens ist diese Landschaft mir gegenwärtig, in meinem Geiste wie in einen Spiegel zurückgegeben. Ich sehe Alles, von dem rosenfarbigen Dunste des Morgens, der sich hinter dem Hügel erhebt, bis zu dem Hereinbrechen der grauen Schatten des Abends, ich höre Alles, von dem Geräusche der Blume an, die ihren Kelch dem Morgenthaue öffnet, bis zu dem Gesange der Nachtigall, der sich in der Einsamkeit und in dem Schweigen der Nacht verlängert.

Und ich sehe Alles das auf eine solche Weise, daß wenn ich mich jemals in dem Kreise befände, den Ihre Blicke übersehen, ich sagen würde: Da sind die entflammten Hügel, hier sind die Schneegebirge, hier sind die Silberbäche, hier sind die Flüsse, hier sind die Olivenbäume, hier sind die Granatbäume, hier sind die Oleander, hier sind die Myrthen, hier ist es, hier ist es!

Dann sehe ich noch Ihre Einsiedelei, wie sie sich über die Mauern des Gartens mit ihrem mit Jasmin und Reben verschleierten Fenster erhebt; dann sehe ich Sie selbst in Ihrer weißen Zelle, zu den Füßen Ihres schönen Christus knieend, indem Sie für sich und besonders für mich beten.

Sagen Sie mir, wer dieser König ist, dessen Porträt sich in Ihrer Zelle befindet, dieser König, für den Sie eins besondere Verehrung haben, damit auch ich ein Porträt dieses Königs habe, damit ich eine Verehrung mehr habe, welche Ihre Verehrung ist.

Dann möchte ich auch Sie sehen. . . o! nur durch den Gedanken; beruhigen Sie sich. Sie haben mir gesagt, daß die Vergangenheit für Sie nicht mehr Bestände, und daß ich Sie nur über die Gegenwart und über die Zukunft befragen sollte. Lassen wir die Vergangenheit in dem Nichts und sagen Sie mir, wie alt Sie sind, unter welchen Zügen ich mir ein dem Ihrigen ähnliches Bild entwerfen muß, sagen Sie mir, seit welcher Zeit Sie in diese Einsiedelei eingezogen sind, sagen Sie mir, wann Sie gänzlich von der Welt Abschied zu nehmen gedenken.

Ich möchte auch wissen, in welcher Entfernung wir von einander. sind. Ist es möglich, das zu berechnen?

Sie scheinen mir so gut, daß ich nicht fürchte, Sie zu ermüden. Sie scheinen mir so gelehrt, daß ich nicht fürchte, Sie um das Unmögliche zu fragen.

Ich will an das denken, was Ihre Antwort enthalten kann, und wenn ich sie erhalten Habe, werde ich an das denken, was sie enthalten wird.

Geh, geliebte Taube, geh und kehre schnell zurück.

Zwölfter Brief

13. Mai, Schlag 3 Uhr Nachmittags.

Wie Sie sehen, ist es mir, indem ich Ihren Geist beschäftigte, gelungen, einen Augenblick lang Ihr Herz zu zerstreuen.

Man muß die Seele wie den Körper behandeln, lassen Sie einen Kranken einen Augenblick lang vergessen, daß er leidet, und er wild einen Augenblick lang nicht mehr leiden.

Sie wollen, daß ich Ihnen von mir spreche, Sie wollen suchen, ob in dem physischen oder in dem moralischen Manne, der lebendig und unbekannt ist, etwas von dem Tobten liegt, den Sie geliebt haben: es sei, hören Sie.

Ich bin am l. Mai 1607 in Fontainebleau geboren, ich bin alt dreißig Jahre und vierzehn Tage. Ich bin groß, ich habe schwarze Haare; ich habe blaue Augen, eine bleiche Gesichtsfarbe, eine hohe Stirn.

Ich habe mich seit dem 17. Januar 1633 von der Welt zurückgezogen, und ich habe das Gelübde gethan, mich, wenn sich gewisse Dinge in meinem Schicksale nicht änderten, nach fünf Jahren meiner Zurückgezogenheit Gott zu widmen.

Ich habe mich in Folge einer großen politischen Katastrophe, in welcher meine theuersten Freunde untergegangen sind, von der Welt zurückgezogen, in Folge eines großen persönlichen Schmerzes, in welchem mein Herz gebrochen worden ist.

Das Porträt dieses Königs, das in meiner Zelle ist und für den ich eine ganz besondere Verehrung habe, ist das des König Heinrichs IV.

Jetzt wünschen Sie zu wissen, in welcher Entfernung wir von einander sind: es ist drei Uhr weniger einige Minuten, ich werde meinen Brief von Schlag drei Uhr datieren, dem Augenblicke, wo ich unsere Botin stiegen lassen werde.

Die Tauben legen fünfzehn bis sechzehn Meilen in der Stunde zurück; ich habe Gelegenheit gehabt, das unter gewissen Umständen zu erforschen, in denen ich mich Ihres Dienstes bedient habe: merken Sie sich die Stunde, zu welcher Sie diesen Brief erhalten werden, und berechnen Sie.

Antworten Sie mir erst in zwei bis drei Tagen, wenden Sie diese zwei bis drei Tage dazu an, Luftschlösser oder Wirklichkeiten zu bauen; dann, arme Klausnerin, werfen Sie Alles das auf das Papier, was in Ihrem Geiste vorgehen wird, und senden Sie mir den Inhalt! Ihrer Nachforschungen, das Resultat Ihrer Träume.

Gott sei mit Ihnen!

Dreizehnter Brief

15. Mai, zwei Stunden nachdem
ich Ihren Brief erhalten habe.

Hören Sie! hören Sie! Nicht in zwei, nicht in drei Tagen muß ich Ihnen antworten, sondern auf der Stelle.

Mein Gott, welch thörigter Gedanke bemächtigt sich meines Verstandes, meines Herzens, meiner Seele! Wenn der, dm ich liebe, nicht todt wäre! Wenn Sie der wären, den ich liebe, der, den ich rufe, der, den ich suche, der, welcher mir jede Nacht erscheint!

Sie sind am 1. Mai 1607 geboren, er auch! Sie sind groß, er auch! Sie haben schwarze Haare, er auch! Sie haben blaue Augen, eine bleiche Gesichtsfarbe, eine hohe Stirn; er auch!

Dann, erinnern Sie sich der Worte, die Sie mir bereits in einem andern Brief gesagt haben, und die lebendig in meinem Gedächtnisse geblieben sind.

Sie sind durch die verschiedenen Stufen der menschlichen Größe gefallen, Sie haben bei dem Winde des Beiles nicht geschaudert, welches die Köpfe um Sie herum abschlug; Sie haben im Fallen fast ein Königreich verloren.

Ich weiß nicht, ob Alles das auf Sie anwendbar ist, aber, mein Gott! mein Gott! Alles das läßt sich wirklich auf ihn anwenden.

Sie haben in Ihrer Zelle das Portrait eines Königs, das Sie mit Verehrung und Liebe umgeben. Das Portrait ist das Heinrichs IV. Und er, er war der Sohn König Heinrichs IV.

Wenn Sie nicht Anton von Bourbon, Graf von Moret sind, von dem man sagt, daß er in der Schlacht von Castelnaudary gefallen sei, wer sind Sie denn?

Antworten Sie! im Namen des Himmels, antworten Sie.