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Die schwarze Tulpe

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»Ha, ha, habt Ihr gelesen, um so besser; Ihr habt da ein Paar verteufelt gute Augen, ich beneide Euch darum, sie ersparen mir jede weitere Erklärung, und mögen Euch nur zeugen, wie man mit denjenigen Leuten verfährt, die gegen Wilhelm von Oranien, mit dessen kühnsten und erbittertsten Feinden im Einverständnisse stehen.«

Baerle sank, einer Ohnmacht nahe, auf das Bett zurück. Mit beiden Händen sich die Augen bedeckend, schluchzte er laut:

»Also ermordet, die beiden edlen von Witt—« und der Schweiß rann einem Bache gleich über die bleichen Wangen des Leidenden.

»Nennt Ihr es, wie Ihr es immer wollt. Todt. sind sie.– Ihr behauptet, es wäre Mord, ich meine, es ist nur gerechte, vollkommen begründete Volksjustiz.«

Dann warf Gryphus nochmals einen forschenden, von Schadenfreude durchzitternden Blick auf den jungen Mann, und als ihn dieser überzeugt hatte, daß derselbe, überwältigt von Schmerz und Seelenangst, im Zustande völliger Ruhe und Vernichtung, regungslos, da lag, schlug er die Thüre heftig zu, und zugleich erklangen wieder die schweren eisernen Riegeln, die Thüre mit der Mauer bindend.

Cornelius kam wieder zu sich. Seine Lebensgeister erwachten nach und nach, er unterschied langsam die ihn umgebenden Gegenstände, alle erst kurz vergangenen Ereignisse schwebten neu und lebhaft vor seiner Seele, er erkannte mit Gewißheit, daß dieser öde, düstere Raum, den Gryphus das Familienzimmer nannte, der Uebergang vom Leben zum Tode sei.

Er war Philosoph und Christ. Zuerst begann er damit, für die Seele seines Pathen zu beten, dann that er dasselbe für den Großpensionär, und gestärkt durch diesen erhabenen Trost, ganz hingegossen in die Anschauung einer höhern, unendlichen Macht, die jeden Schritt des Menschen leitet, ergab er sich mit ruhiger, würdevoller Selbstverläugnung ganz in sein drohendes Geschick.

O schöne, göttliche, himmlische Empfindung, wohl dem, der sie in reiner Brust, durch alle Phasen dieses Lebens treu bewahrt – den Blick empor zum Raume der Unendlichkeit, das Herz vertrauend, einer väterlich waltenden Vorsehung, steht der Mensch, ein Felsen im Gewittersturme da.

Langsam senkte sich seine Seele zur Erde nieder. Er durchblickte seinen Kerker, kurz war vielleicht die Zeit, die man ihm noch zum Leben gönnte, er hatte viel zu thun.

So manches, was die Vergangenheit in sich verschloß.

So manches in der Gegenwart— da blieb er still, regungslos, vor seinem Auge stand der blühende, reizende Garten mit den edlen Sprossen seines tiefen Denkens, da waren sie, die fünf Könige der Blüthenwelt, da erschien auch sie – die große, schwarze Tulpe.

Er griff nach der Brust, er fühlte sie, er zog sie hervor, er drückte sie ganz dem Leben der Hoffnung wieder gegeben, freudenstrahlend an die Lippen.

Dann erblaßte er wieder, er zitterte, er sollte, er mußte ja sterben, bald sterben.

Gab es denn keine Rettung für das mit ihm zugleich bedrohte Kind?

Aengstlich machte sein Blick die Runde, da gewahrte er den schweren steinernen Zeug in einer Ecke.

Er sprang hin, triumphirend barg er hinter dem massiven Steine, das unschätzbare Kleinod.

Also so viele nutzlose Plage, so namhafter, jahrelanger Kummer, so tiefes Denkens Alles sollte vergeblich sein, jede Hoffnung zertrümmert, er selbst dem Tode geweiht werden.

Und um ihn herum, so weit er auch blickte, gab es keinen Grashalm, kein bischen Erde, keinen erquikenden Sonnenstrahl.

Dumpfe Verzweiflung malte sich in seinen Zügen, alles schien rettungslos verloren.

Da erschien ein heller strahlender Stern.

Und wer war dieser Stern, woher kam er?

Diese Aufklärung behalten wir uns für das nächste Kapitel vor.

IV.
Des Gefangenenwärters Tochter

Gryphus passirte seiner Gewohnheit, nach am Abende des eben beschriebenen Tages sämmtliche Gefängnisse, um den darin Verwahrten das Abendessen zu bringen. Gleichsam als verfolge ihn ein Verhängniß, glitt er vor Baerles Thüre auf dem glatten Steinpflaster aus, und beschädigte sich am Arme so heftig, daß er einen lauten Schmerzensruf ausstieß.

Cornelius in seinen Betrachtungen gestört, sprang unverzüglich auf, und eilte gegen die Kerkerthüre, allein Gryphus, die Größe des ihn befallenen Unglückes weder ahnend noch fühlend, hatte sich bereits erhoben, und sagte bloß kalt:

»Bleibt nur ruhig, eine Kleinigkeit, sie ist nicht der Mühe werth.«

Er wollte sich in demselben Augenblicke erheben, stützte die Last seines Körpers zu diesem Behufe auf die beschädigte Hand, und stürzte dann, einen heftigen, stechenden Schmerz fühlend, während ihn zugleich seine;Kraft verließ, mit einem furchtbaren Schrei zur Erde.

Jetzt erst erhielt er die Ueberzeugung daß der Arm gebrochen war.

Und dieser Mann, der mit eiserner Ruhe, die einzelnen Gliedmassen der zur Tortur verurtheilten Unglücklichen brechen, quetschen, schneiden oder brennen sah, derselbe, der den Tod der Brüder Witt einen Akt der Gerechtigkeit nannte, er, in jedem Augenblicke bereit, dem furchtbaren Handwerke des Henkers, wenn dieser in seiner Anstrengung erwartete, thätige Hilfe zu leisten, diese kalte, rohe, unmenschliche Natur, sank bei der Empfindung des eigenen Schmerzes, bei der Wahrnehmung eines zwar großen, doch nur durch den Zufall hervorgerufenen Uebels, ohnmächtig, bewußtlos an der Thürschwelle nieder.

Er hatte, was wir zu bemerken vergaßen, noch vor dem Falle die Gefängnißthüre geöffnet, und diese befand sich, während seine Lebensgeister bereits vollständig entschwunden waren, noch in derselben Lage, dem Gefangenen die besten Mittel zur Flucht bietend.

Allein Baerle, weit entfernt, aus dem Unglücke eines Zweiten, für sich selbst einen Nutzen zu ziehen, eilte vielmehr herbei, dem Bewußtlosen mit thätiger Hilfe zu unterstützen. Seine Sachkenntniß, so wie das scharfe prüfende Auge, gaben ihm bei näherer Untersuchung die unumstößliche Ueberzeugung, daß hier ein äußerst schmerzlicher und gefährlicher Beinbruch stattgefunden habe, und ohne weiter des, durch die letzte Unterredung klar an den Tag gelegten Hasses zu gedenken, neigte er sich der Gefangene über den Gefängnißwärter, bemüht, dessen so peinliche Lage für den Augenblick nach Möglichkeit zu bessern.

Beinahe gleichzeitig, als Gryphus den zweiten heftigen Scherzensruf, der im ganzen Gebäude wiederhallte, ausgestoßen hatte, hörte man im Souterrain das rasche Oeffnen und Schließen einer Thüre, und gleich darauf einen leichten, schwebenden Schritt, der sich dem ersten Stockwerke nahte.

Baerle, ganz mit dem Verwundeten beschäftigt, achtete auf diese Bewegung gar nicht, bis ein eben so lauter, dem Tone eines Glöckchens ähnlicher, ängstlicher Ruf ihn aus seinen Betrachtungen aufschreckte. Er blickte empor, aber gleichzeitig ließ er die noch emporgehaltene Hand los, und that vor Staunen ergriffen, einen Schritt zurück.

Am Rande der Stiege, die Hände gefaltet, das zarte Antlitz blaß, in den Augen eine funkelnde Thräne des Schmerzes, stand jenes, seinem Gedächtnisse noch nach dem ersten nächtlichen Erscheinen, tief eingeprägte, entzückende Bild da.

Es war Rosa.

Sie hatte den Schmerzensruf ihres Vaters gehört, sie war unverzüglich herbeigeeilt, dessen Ursachen zu ergründen. Bei dem Anblicke der Scene, die sich ihrem Auge, am Rande der Treppe angelangt, darbot, glaubte sie anfänglich, ihr Vater habe durch einen Ausbruch seiner bekannten Rohheit, den Gefangenen erboßt, einen Streit, der zu Tätlichkeiten überging, hervorgerufen, und sei endlich in dem hierauf folgenden Kampfe von dem kräftigen, jungen Manne überwältigt und zu Boden-geworfen werden.

Baerle errieth augenblicklich alle Zweifel, die im Innern des reizenden Mädchens entstanden.

Auch Rosa erkannte es, so wie die noch unveränderte Lage ihres Vaters, zugleich einen andern Unglücksfall vermuthen ließ.

Kann uns eine solche Erscheinung wundern? Nein, gewiß nicht, wer das so viel, ja Alles sprechende Auge des Menschen erforscht hat, wird wissen, wie man in, einem einzigen Blicke dieses Zauberers oft eine ganze Welt von Empfindungen erräth.

Und zwei solche forschende Augen, hatten sich hier in einem langen, fragenden Blicke begegnet.

Gleichsam beschämt über das, was sie hatte denken können, erhob das reizende Mädchen, das noch immer thränenfeuchte Auge zu dem jungen, in tiefer Bewunderung dastehenden Manne empor, und sprach bebend.

»Ich danke Euch, mein Herr, ich danke Euch für das, was Ihr so eben gethan habt; vergebt mir aber auch, nämlich das, was ich in einem Augenblicke tiefen Schmerzes und kindlicher Liebe zu denken wagte.«

»Ich that nur, was ich in jedem andern Falle gethan haben würde, « erwiderte Cornelius erröthend, »es ist Christenpflicht, die mir gebietet, dem bedrängten Nebenmenschen zu Hilfe zu eilen.«

Und noch erstaunt über die edlen, schönen Worte des jungen Mädchens, die dem Volke entsprossen, unter ihm ausgezogen und gebildet, sich der Redensarten einer höheren Bildung und Erziehung bediente, heftete er erstaunt und verwundert, immer unverändert sein forschendes Auge auf das himmlische, in seiner Angst nur verklärte und erhabene Wesen.

Da erwachte aber Gryphus aus seiner Ohnmacht, alle Lebensgeister kehrten wieder, und mit ihnen die ganze Macht einer, nur der wildesten menschlichen Natur eigenen Brutalität. Er blickte um sich, sah den Gefangenen, sah die Tochter, fühlte, daß er sich noch unverändert in seiner schmerzlichen Lage befand, und sprach so laut, als es seine Kräfte nur immer zuließen.

»Schönen Dank. Ich beeile mich, meinen Vögeln das Abendessen zu bringen, falle, breche mir die Hand, »zwei Menschen befinden sich in meiner Nähe, lassen mich mit meinen unsäglichen Schmerzen liegen, und scheinen nur noch das entzückende Schauspiel abwarten zu wollen, wenn ich mein Leben aushauche.«

 

»Beruhigt Euch Vater« rief Rosa, ihm in die Rede fallend. »Ihr seid hart und ungerecht gegen diesen jungen Mann, ich kam gerade in dem Augenblicke, wo »er thätig beschäftigt war, Euch, so viel es sein eigener Zustand erlaubte, zu helfen.«

»Mir helfen – wer sagst Du, that es, dieser junge Mann da?«

»Ja, ich, mein Herr, und ich wäre auch gesonnen, wenn Ihr mir vollständig vertraut, Euch bis zur gänzlichen Genesung beizustehen.«

»Bis zur Genesung? ich glaube wohl, daß ich mich da werde an einen Arzt wenden müssen.«

»Der bin ich selbst, und wie ich es mir gestehen kann, gerade keiner der Schlechteren.«

»Ihr wäret also auch im Stande mir den Arm einzurichten und gänzlich wieder herzustellen?«

»Ich sagte Euch bereits ein Mal, vertraut mir ganz.«

»Nun, sagt mir vorläufig, was Ihr zu so einer Geschichte braucht«

»Aeußerst wenig. Einige reine, starke Leinen und zwei Bretterschienen.«

»Meinetwegen, versuchen wir’s. Rosa, hast Du gehört, der Gefangene wird mir den Arm einrichten, ich, erspare dabei gewiß unendlich viel. Vorläufig helfe mir, aber aufstehen mein liebes Kind, denn ich bin wirklich, schwer wie Blei.«

Während Cornelius in das Zimmer eilte um einen Stuhl herbei zu holen, hatte Rosa ihrem Vater die Achsel dargereicht, um welche dieser seinen Arm, schlang, sich langsam emporhob, und auf den bereits, hergerichteten Sitz niederließ.

Dann, nachdem sich seine Schmerzen wieder ein wenig gelindert hatten, wandte er sich an seine Tochter:

»Jetzt gehe schnell, und hole das, was Dir durch diesen Herrn hier angezeigt wurde.«

Rosa eilte fort, kam aber nach wenigen Augenblicken mit mehreren schmalen Hölzern und festen Leinwandbinden zurück.

Unterdessen hatte Cornelius die Weste des Gefangenenwärters aufgemacht, und das Hemd auf dem beschädigten Arme derart emporgeschoben, daß dieser ganz entblößt wurde. »

»Ist das, was ich Euch gebracht habe, auch recht,« fragte Rosa schüchtern.

Cornelius warf einen flüchtigen Blick auf die herbeigeholten Gegenstände.

»Ja, ja, Alles ist in der Ordnung. Jetzt seid aber so gut, und helfet mir hier den Tisch fest halten, während ich den verwundeten Arm unterstützen werde.«

Rosa befolgte diesen Auftrag unverzüglich. Cornelius legte den verwundeten Arm mit aller Sorgfalt und Behutsamkeit auf den Tisch, so, daß er auf demselben horizontal lag, und richtete ihn dann mit besonderer Gewandtheit ein. Hierauf brachte er die Schienen an, befestigte sie mittelst der Binden, und schloß die Enden, mit mehreren, ihm von Rosa gereichten starken Nadeln. Schon beinahe mit dieser schwierigen Arbeit zu Ende, wurde Gryphus zum zweiten Male ohnmächtig, und sank mit dem Kopfe auf die Stuhllehne zurück.

»Holt schnell Essig,« rief Cornelius, »ich werde ihm die Schläfe reiben, er muß augenblicklich wieder zu sich kommen.«

Aber Rosa, dem neuen Auftrage keine Folge leistend, überzeugte sich vielmehr von der gänzlichen Bewußtlosigkeit ihres Vaters, trat dann ganz nahe zu Cornelius und sprach leise:,

»Mein Herr! Ihr habt einen edlen, für uns höchst's wichtigen Dienst geleistet, er fordert daher auch einen Gegendienst.«

»Was wollt Ihr damit sagen, mein schönes Kind erklärt Euch deutlicher.«

»Nun so hört mich denn aufmerksam. Der Richter, der Euch Morgen vernehmen soll, ist Heute hier angekommen. Er fragte in welchem Gefängnisse Ihr seid, und da man ihm erwiderte, Ihr bewohnet dasselbe Zimmer, in welchem Cornelius von Witt die Zeit, seiner Gefangenschaft zubrachte, zuckte er mit den Achseln und lachte so unheimlich, daß ich all’ das Ungemach, all’ das Euch bevorstehende Elend klar vor Augen sah.«

»Mir ein Ungemach und Elend. Wer kann mir etwas dergleichen anthun.«

»Seht durch dies Fenster den dunkeln Gegenstand am andern Ende des Platzes, es ist ein Galgen.«

»Was wollt Ihr wieder damit sagen, ich bin rein und schuldlos.«

»Waren es jene, deren zerissene, zerfetzte Ueberreste dort hängen, nicht eben so wie Ihr?«

»Ja gewiß, da habt Ihr Recht;« Eine Wolke schmerzhafter Erinnerungen umlagerte die glatte Stirne des jungen Mannes.

»Und dann,« fuhr Rosa fort, ist hier vorzüglich; als richtende Stimme die allgemeine Meinung angekommen. Sie will mit aller Gewalt, daß Ihr schuldig seid; ob dies nun wahr oder unwahr ist, der Proceß wird Morgen beginnen, an demselben Tage seid Ihr verurtheilt, und Uebermorgen erfolgt die Execution, denn in der jetzigen gesetzlosen Zeit, werden derlei Kleinigkeiten, wie man zu sagen pflegt, sehr schnell abgemacht.«

»Ich habe Euch sorgfältig und aufmerksam zugehört, macht mich jetzt noch mit dem Schluße dieser Angelegenheit bekannt.«

»Nun gebt noch ein Mal recht genau acht. Ich bin ein schwaches, hilfloses Wesen, mein Vater liegt bewußtlos, mit gebrochenem Arme da, der Hund hängt an der Kette und hat einen Maulkorb, das Thor ist offen, kein Mensch in diesem Augenblicke im Gebäude. O laßt Euch nicht langer zureden, eilt, flieht, rettet Euch, aber schnell.«

»Was sprecht Ihr da?«

»O so wollt Ihr mich denn durchaus nicht begreifen. Ich wollte Cornelius und Johann von Witt retten, es gelang mir trotz allen Bemühungen nicht, vielleicht gelingt es mir durch Gottes Gnade bei Euch. Eilt, eilt, ich bitte Euch, seht nur, mein Vater beginnt schon wieder aufzuathmen, in wenigen Minuten öffnet er die Augen, und dann ist alles verloren, alles zu spät. Rettet Euch, flieht.«

Aber Cornelius stand unbeweglich da wie eine Bildsäule, er that, als verstände er keines dieser herzlichen Worte.

»O! ich bitte Euch,« rief Rosa wieder in ihrer Angst, so laut, daß man es unten hören mußte. »Versteht Ihr mich denn nicht«

»O ja, ich begreife Euch recht wohl, ich verstehe jedes Wort, aber —«

»Nun, Aber? —«

»Ich thue diesen Schritt nicht. Ich würde Euch durch ihn anklagen.«

»O! das laßt Euch wenig kümmern, daran soll, und darf Euch nichts gelegen sein.«

»Nehmt meinen Dank schönes Kind, aber nichts vermag meinen Entschuß zu andern, ich bleibe.«

»Wie, höre ich recht? Aber wie ist denn das nur möglich. Seid Ihr bei Sinnen, denkt doch nur nach, zum Tode verurtheilt, auf dem Schaffot hingerichtet, vielleicht auch auf schändliche Art meuchlings gemordet und in Stücken zerrissen, wie Euere armen Verwandten, Cornelius und Johann von Witt. In des Himmels Namen bitte ich Euch nochmals mit aufgehobenen Händen, kümmert Euch nicht um mich, flieht, eilt aus diesem Zimmer, es bringt all den von Witt, Unheil und Verderben.«

»Was gibt es da,« schrie der Gefangenenwärter aus seiner Ohnmacht erwachend,, wer wagt es hier, von diesen elenden Schurken, diesen Verräthern und Bösewichtern zu sprechen.«

»Strengt Euch nicht so sehr an, und unterdrückt jede wie immer geartete Aufwallung, denn ich versichere Euch, nichts schadet bei Brüchen so sehr, als jede heftige Gemüthsbewegung.«

Dann wandte er sich an Rosa, und sagte dieser leise:

»Ich bin schuldlos, ich werde auf diese Ueberzeugung gestützt, meinen Richtern mit Ruhe und Heiterkeit entgegen treten.«

»Schweigt,« erwiderte Rosa, den bestürzten Blick nach ihrem Vater richtend. 1

»Schweigen soll ich, weshalb?«

»Mein Vater darf nicht einmal den Argwohn fassen, daß wir mit einander gesprochen haben.«

»Könnte auch aus diesen wenigen, unbedeutenden Worten ein Uebel erfolgen?«

»Ein Uebel? wohl, und zwar ein sehr großes Uebel, denn von diesem Augenblicke, würde er es mir unmöglich machen, Euch jemals wieder zu nahen.«

Cornelius war von diesen vertraulichen und herzlichen Worten tief ergriffen, ein Stern der Hoffnung leuchtete in seinem Unglücke, sein Blick verweilte mit Wonne und innerer, stiller Rührung auf dem milden Antlitze des himmlischen Mädchens.

Was habt Ihr da mit einander zu zischeln und geheim zu thun?« rief Gryphus, der nunmehr vollkommen zum Bewußtsein gelang, sich langsam erhob, den gebrochenen rechten Arm, mit der linken Hand unterstützend

»Einige, für Euere Lage sehr wichtige Dinge,« sprach Rosa, »der Herr gibt mir nur die Verhaltungsregeln bekannt, denen Ihr in dem gegenwärtigen Zustande genau nachkommen müßt.«

»Also Verhaltungsregeln für mich gibt er Dir an?« ganz gut, jetzt merke aber auch auf die Regeln auf, die ich Dir gebe.«

»Nun mein Vater, ich höre.«

»Du hast in den Zimmern, und in der Nähe der Gefangenen Nichts zu thun, und wenn gerade die Nothwendigkeit es erfordert, irgend einen Gang für mich abzutun, dann liegt es in Deiner Pflicht, dem Auftrage kurz und schnell nachzukommen, und Dich eben so wieder zu entfernen. Gehe also voraus, und wie ich gesagt habe, so schnell als möglich.«

Noch einmal begegnete Rosas trübes, umschleiertes Auge, an dessen Wimpern eine neue Thräne erglänzte, dem dankenden Blicke, des jungen Mannes.

Beide verstanden sich, und welche Worte lagen wohl in diesem einzigen Blicke.

Der ihre sprach:

»Habe ich Unrecht gehabt?«

Der seine erwiderte:

»Der Wille des Herrn geschehe.«

V.
Verhör und Urtheil

Der Morgen graute, der sonst öde, ruhige, menschenleere Buytenhoff erhielt ein etwas regeres Leben. Zeitweise wurden die Thore geöffnet, einzelne, schwarz gekleidete Männer mit ernsten Mienen traten ein.

Es waren die Richter.

Baerle wurde vorgerufen, die Versammlung war vollständig, man schritt dazu, ihn zu verhören. In wenigen Stunden war dieser so ernste Act abgemacht, eine klare, unumstößliche Gewißheit lag vor Augen.

Baerle hatte die geheime und verhängnißvolle Correspondenz der von Witt, in einem Kasten seiner Wohnung verwahrt.

Der Angeklagte läugnete keine Silbe.

Nur ein Zweifel lag vor, ein mächtiger Anhaltspunkt für den Gefangenen, es mußte erwiesen werden, daß er die Papiere unmittelbar aus der Hand des Cornelius empfangen hatte, und dadurch mit dem Inhalte vollständig vertraut gemacht wurde.

Baerle fand es tief unter seiner Würde, sich durch eine Lüge aus seiner wohl sehr schweren Lage zu helfen. Cornelius von Witt war todt, er hatte demnach auch hier weiter keine Rücksichten zu beobachten, er zweifelte keinen Augenblick, wie er zu handeln habe, und entschloß sich unmittelbar und streng der Wahrheit getreu zu bleiben. Daher erzählte er auch den Vorgang ganz so, wie er stattgefunden, erzählte die Art und Weise der Uebergabe des Packets und dessen Verwahrung, bis zu dem Augenblicke der ihm noch immer rähselhaften Verhaftung. Aber gerade diese offene, freie Mittheilung, bereitete den unvermeidlichen Abgrund.

Für die Richter erhellte daraus, wenigstens nach ihrer Meinung, die unmittelbare Theilnahme des von Baerle, an dem angeblichen Verbrechen seines Pathen Cornelius von Witt.

Der Gefangene hatte bei dieser Aussage nicht nur allein das erwähnte Geständniß abgelegt, er fügte demselben noch einen kurzen, wahren Ueberblick seines ganzen Lebens und Treibens bei. Er berief sich auf die Aussage und Zeugnisse derjenigen, die ihn genau kannten, er erklärte den Richtern, daß er sich nie in seinem Leben Politik befaßt habe, er vertraute ihnen, wie sein ganzes Denken und Trachten, die angestrengteste Mühe bei Tag und Nacht, ja sogar sein Leben, nur einem Zwecke, derer Veredlung und Vervollkommnung der Tulpen gewidmet sei, und wie ihm sonst seine Umgebung und das Treiben der Welt nie im Mindesten bekümmert habe. Dann langte er bei dem Zeitpunkte an, in dem ihn Cornelius das Paket überreichte, gestand, daß er es, dessen Inhalt weder kennend, noch darnach fragend angenommen und verwahrt habe. Seid jenen Augenblick sei es aber weder berührt, noch von seinem zuerst eingenommen Platze auch nur um einen Zoll fortgerückt worden.

Gerade diesen Punkt, erklärten die Richter für eine Unmöglichkeit, da sich der bezeichnete Gegenstand an einem Orte befand, an dem Baerle alle Tage die Zwiebel der verschiedenen Tulpen zu ordnen und mit, Aufschriften zu versehen pflegte.

Cornelius gestand auch dieses zu, bemerkte aber, daß seine ganze Arbeit in dem genannten Fache nur darin bestand, die dort aufbewahrten Zwiebel zu untersuchen, ob sie trocken waren, zu welchem Behufe, er die Lade nur ein wenig zu öffnen, und die Hand hineinzugeben brauchte.

Hierauf warf man ihm ein, daß die angegebene Unkenntniß des ihm anvertrauten Gutes, nach Vernunftschlüssen unmöglich sei – denn er mußte beim ersten Empfange wenigstens halbwegs die Wichtigkeit deselben erfahren, um den zur Aufbewahrung nöthigen Platz darnach zu bestimmen.

 

Dieser Platz war die Trockenkammer. Das unverletzbare Heiligthum des Tulpenfreundes, das außer ihm kein Mensch betreten durfte.

Mithin hatte er einen der Wichtigkeit angemessen Ort gewählt.

Auch konnte Niemand aus dem vorerwähnten Grunde hiervon eine Kenntniß haben.

Cornelius erklärte hierauf, daß er seinen Pathen zu sehr liebte, und in seine Rechtschaffenheit einen zu hohen Werth legte, als daß es im jemals hätte einfallen können, einem von ihm gestellten Ansuchen nicht zu willfahren, oder aber nach dem Inhalte des ihm vertrauten Gegenstandes zu fragen.

Wenn aber Herr von Witt durchaus bezweckte, den van Baerle in gänzlicher Unkenntniß, des ihm übergebenen, und so äußerst wichtigen Aktes zu erhalten, meinten die Richter, so mußte er als Ehrenmann, noch mehr als nahe stehender Verwandter auch bedacht sein, ihn vor aller mit dem Besitze verbundenen Verantwortung und Unannehmlichkeit zu schützen.

Dieß konnte sehr leicht geschehen, wenn er dem Ganzen, ein ebenfalls versiegeltes Certificat, die hierauf bezügliche Erklärung enthaltend beifügte, oder wenigstens in den letzten Tagen seiner Gefangennehmung, auf jeden möglich eintretenden Fall gefaßt, den Täufling brieflich von der ferneren Verwendung der Papiere benachrichtigt hätte, ein Dokument, das ihm in dem vorliegenden Falle genügend zur Rechtfertigung gedient haben würde

Auch diese Gründe widerlegte Baerle durch Wiederholung mehrerer bereits früher gemachten Aussagen. Cornelius von Witt kannte sehr genau die Abgeschiedenheit seines Täuflings, er wußte, daß dieser sich nur mit der Wissenschaft ausschließlich beschäftige und der Politik gänzlich entfremdet sei. Dieser Umstand gewährte ihm einestheils eine reelle Sicherheit für sein Geheimnis, und ließ ihn zugleich schließen, daß selbst in einem Augenblicke der Gefahr, Niemand im entferntesten, bei dem nur durch seine Blumen bekannten, jungen Mann, dasselbe suchen werde. Auf seine Verschwiegenheit in eben demselben Maße bauend, konnte ihm daher auch nicht der bloße Gedanke an die Möglichkeit der Entdeckung beikommen, und diese Sicherheit ließ sodann jedes Certificat als überflüssig erscheinen.

Was den Brief in der letzten Zeit der Verhaftung des Ruart anbelangt, so gestand Baerle ebenfalls, er erinnere sich in dem Augenblicke, wo er einige Stunden vor seiner Gefangennehmung gerade mit der Prüfung einer neu entdeckten Tulpengattung beschäftigt zwar, aus dieser Arbeit durch einen heftigen Lärm im Vorzimmer aufgeschreckt worden zu sein. Kurz hierauf sei Craecke, der Diener des Johann Witt athemlos in sein Laboratorium gestürzt, habe ein zusammengelegtes Papier auf den Tisch, und von diesem die unschätzbaren Zwiebel der neuen Tulpe in der Hast herabgeworfen, und sei sodann wieder fortgeeilt.

Was in diesem Papiere gestanden, und zu welchem Zwecke Craecke es überbrachte, wisse er nicht, da er sich selbst nur nach den herabgefallenen Zwiebeln gebückt, diese aufgehoben, und nochmals sorgfältig untersucht habe.

Eben so wisse er nicht, was mit dem fraglichen Papiere geschehen sei, ja er glaube sogar, man müsse dieses bei einer genauen, sorgfältigen Untersuchung noch in der Trockenkammer finden.

Leider waren dies für die gegen den Gefangenen eingenommenen Richter keine genügenden Widerlegungen.

Man forderte offene, sichtliche Beweise oder Zeugen.

Und wo diese finden. Craecke war nicht in Haag, und aller Wahrscheinlichkeit nach, auch nicht mehr in Holland.

Der Brief, ein bloßes zusammengelegtes Papier, mußte bei der Verwirrung, die während der Gefangennehmung in Baerles Hause sicherlich herrschte, verloren gegangen sein, und man nahm sich daher auch gar nicht die Mühe, ihn zu suchen.

Dann hätte man deswegen nach Dortrecht schreiben müssen, was wieder einen den Richtern, weder wünschenswerthen noch angenehmen Aufenthalt der Verhandlung hervorgerufen hätte, besonders da es, allen Anschein hatte, man trachte dieselbe in der kürzesten Zeit ihrem Ende zuzuführen.

Aber auch Cornelius legte auf dieses Papier so keine besondere Wichtigkeit, da er es auf jeden andern Gegenstand beziehen, und nur mit dem Pakete in keine Verbindung bringen wollte.

Die Richter gaben sich nunmehr den Anschein, als wollten sie von besonderer Liebe für den Gefangenen, oder dessen hervorragende Eigenschaften ergriffen, demselben die Mittel zu einer bessern und gehaltvollern Vertheigung an die Hand geben. Dieses Benehmen, daß wir bis auf die neuest Zeit bei allen Gerichten zu beobachten Gelegenheit hatten, scheint eher auf einer durch ihr Alter sanktionirten, herkömmlichen Form zu beruhen. Man sucht dem Deliquenten in den letzten, peinlichen Augenblicken noch den Beweis der uns unbescholtenen Gerechtigkeit beizubringen, einer Gerechtigkeit, die so fest und unerschütterlich dasteht, daß sie selbst Rettungswege andeutet, vollkommen überzeugt ihr Opfer könne diese einschlagend, dem schweren Arme nicht mehr entgehen, oder, was aber seltener der Fall war, der Richter fand an der Qual des Unglücklichen, dem der Labetrunk so entfernt gereicht wurde, daß er ihn nie erhaschen konnte, ein eigenes Wohlgefallen. Hier war wohl keines von beiden der Fall, die Richter waren instruirt, man nahm den Akt vor, um die Heiligkeit des Gesetzes, die ihr erster Träger, noch am vorhergehenden Tage mit Füssen getreten hatte, zu wahren, und wartete nur geduldig, bis der Angeklagte zu sprechen aufhörte, um sodann den bereits halbdurchsägten Stab, ganz zu brechen.

Baerle durchblickte dies Gewebe von erkünstelter Heuchelei, und entwürdigender Protektion sogleich, sein Stolz empörte sich, nach einem ohnedies ganz unnützen Mittel zu haschen, und in einer lebten, kräftigen Antwort bewahrte er seinen Seelenadel und seine Manneskraft.

»Meine Herrn, Sie fordern eine freie, wahre und ungeschmückte Mittheilung über einen Thatbestand, dessen Einzelheiten ich im Verlaufe dieses Verhöres, bereits mit der größten Klarheit darzuthun mich bemühte. Ich fasse aber, um allen weitern Fragen, und den Ihnen nie genügenden Antworten auszuweichen, das Ganze nochmals in wenigen Worten zusammen und erkläre daher.

»Das Paket ist mir auf die bereits erwähnte Art von meinem Taufpathen, Cornelius von Witt, mit dem Auftrage, es für ihn zu verwahren, übergeben worden. Ich habe es ohne alle Frage übernommen, und auf den Ihnen ebenfalls bekannten Platze, sorgfältig, aufbewahrt. Im Angesichte Gottes, und vor Ihnen Richter, schwöre ich aber zugleich hier:

»Daß mir der Inhalt dieses Pakets vollständig unbekannt war;

»Daß ich erst durch Sie erfuhr, er habe die Correspondenz des Herrn Johann von Witt, mit dem Marquis de Louvois enthalten;

»Daß mir die Art und Weise der Entdeckung dieses Geheimnisses unbekannt, und endlich: auch unerklärbar ist, wie man es in meiner Trockenkammer, dem Heiligthume, das sonst Niemand zu betreten wagte, nur vermuthen konnte.«

In diese Worte schloß Cornelius den ganzen, Bereich seiner Vertheidigung.

Nunmehr begann die Berathung der Richter.

Sie erwogen haupsächlich:

»Ein jeder Keim bürgerlicher Uneinigkeit, sei dieser anscheinend auch noch so geringfügig und klein, ist die Grundlage aller verheerenden Kriege, und muß daher schon in seinem Entstehen kräftig unterdrückt werden, und die Interessen der Gesellschaft aufrecht zu erhalten.

Baerle, dieser anscheinend phlegmatisch kalte, nach seiner Aussage der Politik ganz entfremdete junge Mann, konnte unter diesem Deckmantel sehr leicht die furchtbarsten Empfindungen, das Streben, seine Anverwandten, denen er mit warmer Liebe anhing, deren, trauriges Loos er sicher bedauerte und ungerecht fand, auf eine blutige Weise durch eine gewaltige Staatsumwälzung zu rächen.

Er ist ein Blumenfreund, er widmet sein ganzes Dasein ausschließlich der Veredlung und Vervollkommnung der Tulpe. Ganz recht, aber gerade dieser Punkt muß besonders in’s Auge gefaßt, und ernsthaft behandelt werden. Eben so wie er uns hier durch sein Phlegma rund seine erkünstelte Ruhe zu täuschen versucht, wendet er das gleiche Mittel der Welt gegenüber an. Unter dem Vorwande, seine Blumen zu pflegen, erbaut er sich abgeschlossene, geheimnißvolle Appartements in seinem Hause, zu denen, wie wir es auch gesehen haben, außer den Eingeweihten, Niemand der Zutritt gestattet wird. Um es nicht auffallend zu machen, treibt wirklich einer seiner Diener die Blumenzucht, während er in dem geheimen Raume Umsturzpläne schmiedet. Und überhaupt darf man ja nur die Geschichte etwas genauer durchforschen, so findet man eine Unzahl ganz gleicher, ja noch minder schuldiger Erscheinungen.