Free

Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

CLVI
Von neun Uhr bis Mittag

Als er ins Schloß zurückkam, fand Röderer den Kammerdiener, der ihn im Auftrage der Königin suchte; er selbst suchte die Königin, da er wußte, daß sie in diesem Augenblicke die wahre Stärke des Schlosses war.

Er war also glücklich, da er erfuhr, sie erwarte ihn an einem abgelegenen Orte, wo er allein und ohne gestört zu werden mit ihr sprechen könnte.

Dem zu Folge ging er hinter Weber hinauf.

Die Königin saß am Kamine, den Rücken dem Fenster zugewandt.

Bei dem Geräusche, das die Thüre machte, drehte sie sich rasch um.

»Nun! mein Herr?« fragte sie, ohne ihrer ein bestimmendes Ziel zu geben.

»Die Königin bat mir die Ehre erwiesen, mich zu rufen?« erwiederte Röderer.

»Ja, mein Herr; Sie sind einer der ersten Beamten der Stadt; Ihre Gegenwart im Schlosse ist ein Schild für das Königthum; ich will Sie also fragen, was wir zu hoffen oder zu fürchten haben.«

»Zu hoffen, wenig, Madame; zu fürchten, Alles!«

»Das Volk marschirt also entschieden gegen das Schloß?«

»Seine Vorhut ist auf dem Carrousel und parlamentirt mit den Schweizern.«

»Parlamentirt, mein Herr? Ich habe doch den Schweizern Befehl gegeben, die Gewalt durch die Gewalt zu vertreiben. Sollten sie zum Ungehorsam geneigt sein?«

»Nein, Madame; die Schweizer werden auf ihrem Posten sterben.«

»Und wir auf dem unsern, mein Herr; wie die Schweizer Soldaten im Dienste der Könige sind, so sind die Könige Soldaten im Dienste der Monarchie.«

Röderer schwieg.

»Sollte ich unglücklicher Weise einer Ansicht sein, welche nicht mit der Ihrigen übereinstimmen würde?« fragte die Königin.

»Madame,« antwortete Röderer, »ich werde nur eine Ansicht haben, wenn Eure Majestät mir die Gnade erweist, eine von mir zu verlangen.«

»Mein Herr, ich verlange sie von Ihnen.«

»Nun wohl, Madame, ich will sie Ihnen mit der Freimüthigkeit eines überzeugten Mannes sagen. Meiner Ansicht nach ist der König verloren, wenn er in den Tuilerien bleibt.«

»Wenn wir aber nicht in den Tuilerien bleiben, wohin werden wir gehen?« rief die Königin, während sie ganz erschrocken aufstand.

»Es gibt zur Stunde nur ein Asyl, das die königliche Familie zu beschützen vermag,« erwiederte Röderer.

»Welches, mein Herr?«

»Die Nationalversammlung.«

»Wie haben Sie gesagt, mein Herr?« fragte die Königin schnell mit den Augen blinzelnd und fragend wie eine Frau, welche überzeugt ist, sie habe schlecht gehört.

»Die Nationalversammlung,« wiederholte Röderer.

»Und Sie glauben, mein Herr, ich werde etwas von diesen Leuten verlangen?«

Röderer schwieg.

»Wenn es sich um Feinde handelt, so sind mir die lieber, mein Herr, welche uns von vorne und am hellen Tage angreifen, als die, welche uns von hinten und in der Dunkelheit vernichten wollen!«

»Nun wohl, Madame, dann entscheiden Sie sich: gehen Sie dem Volke entgegen, oder ziehen Sie sich nach der Nationalversammlung zurück.«

»Zurückziehen! Ei! sind wir dergestalt von Vertheidigern entblößt, daß wir uns zurückziehen müssen, ehe wir nur das Feuer versucht haben?«

»Wollen Sie, ehe Sie einen Entschluß fassen, Madame, den Bericht von einem competenten Manne anhören und die Kräfte kennen lernen, über die Sie verfügen können?«

Weber, hole mir einen von den Officieren des Schlosses, Herrn Maillardoz, Herrn de la Chesnaye, oder . . . «

Sie wollte sagen: »Oder den Grafen von Charny;« sie hielt inne.

Weber ging ab.

»Wenn Eure Majestät ans Fenster treten wollte, so könnte sie durch sich selbst urtheilen.«

Die Königin machte mit einem sichtbaren Widerwillen ein paar Schritte gegen das Fenster, schob die Vorhänge auf die Seite und sah das Carrousel und sogar den Königshof voll von Piekenmännern.

»Mein Gott!« rief sie, »was thun denn diese Menschen da?«

»Ich habe es Eurer Majestät gesagt, sie parlamentiren.«

»Sie sind ja bis in den Hof des Schlosses eingedrungen!«

»Ich glaubte Zeit gewinnen zu sollen, um Eurer Majestät Muße zu geben, einen Entschluß zu fassen.«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre.

»Kommen Sie! kommen Sie!« rief die Königin, ohne zu wissen, an wen sie sich wandte.

Charny trat ein.

»Hier bin ich, Madame,« sagte er.

»Ah! Sie sind es! . . . ich habe Sie nichts zu fragen; denn Sie haben mir vorhin schon gesagt, was uns zu thun bleibe.«

»Und nach der Ansicht dieses Herrn,« fragte Röderer, »bleibt Ihnen . . . «

»Zu sterben,« sprach die Königin.

»Sie sehen, das, was ich Ihnen vorschlage, ist vorzuziehen, Madame.«

»Oh! bei meiner Seele, ich weiß es nicht,« erwiederte die Königin.

»Was schlägt der Herr vor?« fragte Charny.

»Den König in die Nationalversammlung zu führen.«

»Das ist nicht der Tod, aber es ist die Schande!« sagte Charny.

»Sie hören, mein Herr!« rief die Königin.

»Gäbe es wohl keinen Mittelweg?« versetzte Röderer.

Weber trat vor und sagte:

»Ich bin sehr wenig, und ich weiß, daß es sehr keck von mir ist, das Wort in einer solchen Gesellschaft zu nehmen; vielleicht inspiriert mich aber meine Ergebenheit . . . Wenn man sich darauf beschränken würde, daß man die Nationalversammlung bäte, sie möge eine Deputation schicken, um über die Sicherheit des Königs zu wachen?«

»Gut, es sei,« sprach die Königin; »hierzu willige ich ein . . . Herr von Charny, wenn Sie diesen Vorschlag billigen, so gehen Sie gefälligst und theilen Sie denselben dem König zur Entscheidung mit.«

Charny verbeugte sich und ging ab.

»Folge dem Grafen, Weber, und melde mir die Antwort des Königs.«

Weber ging hinter dem Grafen hinaus.

Die Gegenwart von Charny, dem kalten, ernsten, ergebenen Manne, war, wenn nicht für die Königin, doch wenigstens für die Frau ein so grausamer Vorwurf, daß sie ihn nur schauernd wiedersah.

Sodann hatte sie vielleicht eine furchtbare Ahnung von dem, was vorgehen sollte.

Weber kam zurück.

»Der König nimmt an,« sagte er, »und die Herren Champion und Dejoly begeben sich auf der Stelle in die Nationalversammlung, um die Bitte Seiner Majestät zu überbringen.«

»Aber schauen Sie doch!« rief die Königin.

»Was, Madame?« fragte Röderer.

»Was machen sie denn?«

Die Belagernden waren beschäftigt, Schweizer zu fischen.

Röderer schaute, doch ehe er Zeit gehabt, sich eine Idee von dem zu machen, was vorfiel, ging ein Pilolenschuß los, auf den die fürchterliche Salve folgte.

Das Schloß zitterte, wie in einen Grundfesten erschüttert.

Die Königin stieß einen Schrei aus, wich einen Schritt zurück, und kam dann, durch die Neugierde angezogen, ans Fenster zurück.

»Oh! sehen Sie! sehen Sie!« rief sie, die Augen entflammt, »sie fliehen! sie sind in Verwirrung gebracht! Was sagten Sie denn, Herr Röderer, Sie haben kein anderes Hilfsmittel mehr, als die Nationalversammlung?«

»Will Ihre Majestät die Gnade haben, mir zu folgen?« erwiederte Röderer.

»Sehen Sie! sehen Sie!« fuhr die Königin fort, die Schweizer machen einen Ausfall und verfolgen sie . . . Oh! das Carrousel ist frei! Sieg! Sieg!«

»Aus Mitleid für Sie selbst, Madame, folgen Sie mir,« sprach Röderer.

Die Königin kam wieder zu sich und folgte dem Syndicus.

»Wo ist der König?« fragte Röderer den ersten Kammerdiener, dem er begegnete.

»Der König ist in der Gallerie des Louvre,« antwortete dieser.

»Gerade dahin wollte ich Eure Majestät führen,« sagte Röderer.

Die Königin folgte, ohne sich einen Begriff von der Absicht ihres Führers zu machen.

Die Gallerie war bei der Hälfte ihrer Länge verrammelt und beim Drittel durchschnitten; zwei bis dreihundert Mann vertheidigten sie und konnten sich gegen die Tuilerien vermittelst einer Art von fliegenden Brücke zurückziehen, welche, vom Letzten mit dem Fuße abgestoßen, in das Erdgeschoß fiel.

Der König stand am Fenster mit den Herren de la Chesnaye, Maillardoz und fünf bis sechs Edelleuten.

Er hatte ein Augenglas in der Hand.

Die Königin lief nach dem Balcon, und sie bedurfte keines Augenglases, um zu sehen, was vorging.

Das Insurrectionsheer rückte lang und dicht heran, – die ganze Breite des Quai bedeckend und ins Unabsehbare erstreckend.

Durch den Pont-Neuf schloß der Faubourg Saint-Marceau eine Verbindung mit dem Faubourg Saint-Antoine.

Alle Glocken von Paris läuteten wüthend Sturm, wobei der Bourdon53 von Notre-Dame all dieses eherne Vibrieren übertönte.

Eine glühende Sonne prallte in Tausenden von Blitzen an den Läufen der Flinten und den Eisen der Lanzen zurück.

Dann hörte man, wie das entfernte Getöse des Sturmes, das dumpfe Rollen des schweren Geschützes.

»Nun, Madame?« fragte Röderer.

Mehr als fünfzig Personen hatten sich hinter dem König versammelt.

Die Königin warf einen langen Blick auf diese ganze Menge, die sie umgab; dieser Blick schien bis in der Tiefe der Herzen Alles das zu suchen, was von Ergebenheit darin bleiben mochte.

Sodann, – eine stumme, arme Frau, die nicht wußte, an wen sie sich wenden, noch welche Bitte die thun sollte! – nahm sie ihr Kind, zeigte es den Schweizer Officieren, den Officieren der Nationalgarde, den Edelleuten.

Es war nicht die Königin einen Thron für ihren Erben fordernd; es war die Mutter in der Herzensangst mitten in einer Feuersbrunst schreiend: »Mein Kind! er wird mein Kind retten?«

Während dieser Zeit sprach der König leise mit dem Syndicus der Commune, oder Röderer wiederholt ihn vielmehr das, was er schon der Königin gesagt hatte.

 

Zwei sehr von einander verschiedene Gruppen hatten sich um die zwei erhabenen Personen gebildet: die Gruppe des Königs kalt, ernst, bestehend aus Räthen, welche die von Röderer ausgesprochene Ansicht zu billigen schienen; die Grnppe der Königin glühend, enthusiastisch, zahlreich, bestehend aus jungen Militären, die ihre Hüte schwangen und ihre Degen zogen, die Hände zum Dauphin erhoben, auf den Knieen der Königin das Kleid küßten und schworen, sie werden für den Einen und für die Andere sterben.

In ihrem Enthusiasmus fand die Königin wieder einige Hoffnung.

In diesem Augenblicke vereinigte sich die Gruppe des Königs mit der der Königin, und der König mit seiner gewöhnlichen Unempfindlichkeit bildete den Mittelpunkt der zwei vereinigten Gruppen. Diese Unempfindlichkeit war vielleicht Muth.

Die Königin nahm ein Paar Pistolen aus dem Gürtel von Herrn Maillardoz, dem Commandanten der Schweizer, und sprach:

»Auf, Sire! es ist für Sie der Augenblick, gekommen, sich zu zeigen oder unter Ihren Freunden zu sterben!«

Diese Bewegung der Königin steigerte die Begeisterung auf den höchsten Grad; Jeder erwartete die Antwort des Königs mit offenem Munde und gehemmtem Athem.

Ein junger König, schön, muthig, der sich, das Auge glühend, die Lippe bebend, diese zwei Pistolen in der Hand, mitten in den Kampf geworfen hätte, konnte vielleicht das Glück zu sich zurückrufen!

Man wartete, man hoffte.

Der König nahm die Pistolen aus den Händen der Königin und gab sie Herrn Maillardoz zurück.

Dann wandte er sich gegen den Syndicns um und fragte:

»Sie sagen also, mein Herr, ich soll mich in die Nationalversammlung begeben?«

»Sire,« antwortete Röderer sich verbeugend, das ist meine Meinung.«

»Vorwärts, meine Herren,« sprach der König, »es ist nichts mehr hier zu machen.«

Die Königin stieß einen tiefen Seufzer aus, nahm den Dauphin in ihre Arme, wandte sich an Frau von Lamballe und Frau von Tourzel und sagte:

»Kommen Sie, meine Damen, da es der König so will!«

Das hieß zu den Anderen sagen: »Ich verlasse Euch.«

Madame Campan erwartete die Königin in der Flur, durch welche sie gehen mußte.

Die Königin sah sie.

»Erwarten Sie mich in meinem Zimmer,« sagt, sie; »ich werde zu Ihnen kommen oder Sie holen lassen um . . . Gott weiß wohin . . . zu gehen.«

Sodann, indem sie sich gegen Madame Campan neigte, flüsterte sie:

»Oh! einen Thurm am Ufer des Meeres!«

Die verlassenen Edelleute schauten einander an und schienen sich zu sagen »Haben wir für diesen König hier den Tod gesucht?«

Herr de la Chesnaye verstand diese stumme Frage und erwiederte:

»Nein, meine Herren, für das Königthum! Der Mensch ist sterblich; das Princip ist unvergänglich!«

Was die unglücklichen Frauen betrifft, – und es waren viele da: Einige, welche aus dem Schlosse abwesend, hatten unerhörte Anstrengungen gemacht, um in dasselbe zurückzukommen; – die Frauen waren mit Schrecken erfüllt.

Man hätte glauben sollen, es seien eben so viele Marmorstatuen in den Winkeln der Corridors oder längs den Treppen stehend.

Endlich geruhte der König, an diejenigen zu denken, welche er verließ.

Unten an der Treppe hielt er an und sagte:

»Was wird aber aus allen den Personen werden, die ich da oben gelassen habe?«

»Sire,« erwiederte Röderer, »nichts wird für sie leichter sein, als Ihnen zu folgen: sie sind im Stadtkleide und werden durch den Garten gehen.«

»Es ist wahr,« versetzte der König. »Vorwärts!«

»Oh! Herr von Charny,« sprach die Königin, als sie den Grafen erblickte, der an der Gartenthüre mit bloßem Degen wartete, »warum habe ich Ihnen vorgestern kein Gehör gegeben, als Sie mir zu fliehen riethen?«

Der Gras antwortete nicht; er näherte sich aber dem König und sagte:

»Sire, wollte der König nicht die Gnade haben, meinen Hut zu nehmen und mir den seinigen zu geben, der ihn erkenntlich machen könnte?«

»Ah! Sie haben Recht,« erwiederte der König, »wegen der weißen Feder . . . Ich danke, mein Herr.«

Und er nahm den Hut von Charny und gab ihm den seinigen.

»Mein Herr,« fragte die Königin, »sollte der König auf diesem Gange eine Gefahr laufen?«

»Sie sehen, Madame, daß ich, wenn diese Gefahr besteht, thue, was ich kann, um sie von demjenigen, welchen sie bedroht, abzuwenden.«

»Sire,« sprach der Schweizer Kapitän, der beauftragt war, die Passage des Königs durch den Garten zu beschützen, »ist Eure Majestät bereit?«

»Ja,« antwortete der König, indem er den Hut von Charny ans seinen Kopf drückte.

Der König ging in der Mitte von zwei Reihen Schweizer, welche mit demselben Schritte marschirten wie er.

Plötzlich hörte man gewaltiges Geschrei rechts.

Das Thor, welches unweit des Café de Flore in die Tuilerien führte, war gesprengt. Eine Volksmasse, die erfahren hatte, daß sich der König in die Nationalversammlung gegeben, stürzte in den Garten. Ein Mann, der diese Schaar anzuführen schien trug als Banner einen Kopf auf einer Pike.

Der Oberst ließ Halt machen und befahl seinen Leuten sich schlagfertig zu halten.

»Herr von Sharny,« sagte die Königin, »versprechen Sie mir, mich zu tödten, wenn Sie sehen, daß ich diesen Unholden nicht entgehen kann!«

»Das kann ich Ihnen das nicht versprechen, Madame,« antwortete Charny.

»Warum nicht?« rief die Königin.

»Weil der Weg zu Ew. Majestät nur über meine Leiche geht.«

»Das ist der Kopf des armen Maudat,« sagte der König; »ich erkenne ihn.«

Die Mörderbande wagte sich nicht näher, aber sie überhäuften den König und die Königin mit Schmähungen. Fünf bis sechs Flintenschüsse fielen; ein Schweizer fiel todt nieder, ein anderer wurde verwundet.

Der Oberst wollte Feuer commandieren, aber der Graf von Charny hielt ihn zurück.

»Lassen Sie nicht schießen, warnte er, »sonst kommt keiner von uns lebend in die Nationalversammlung.«

»Sie haben Recht,« erwiderte der Oberst, »Gewehr in Arm!«

Die Soldaten gehorchten, und der Zug setzte seinen Weg durch den Garten fort.

Die erste Sommerhitze des Jahres hatte die Kastanienbäume das frische Grün genommen, und obgleich es erst der zehnte August war, lagen schon trockene Blätter auf dem Boden. Der kleine Dauphin rollte sie unter seinen Füßen und belustigte sich damit, daß er sie unter die seiner Schwester stieß.

»Die Blätter fallen frühzeitig in diesem Jahre,« sprach der König.

»Hat nicht Einer von diesen Menschen geschrieben: »»Das Königthum wird nicht bis zum Falle der Blätter gehen?«« sagte die Königin.

»Ja, Madame,« antwortete Charny.

»Und wie heißt dieser geschickte Prophet?«

»Manuel.«

Es bot sich indessen ein anderes Hinderniß vor den Schritten der königlichen Familie: das war eine beträchtliche Gruppe von Männern und Weibern, welche, mit drohenden Geberden und Waffen schwingend, auf der Treppe und der Terrasse warteten, die man hinaufsteigen und überschreiten mußte, um sich vom Garten der Tuilerien in die Reitschule zu begeben.

Die Gefahr war um so größer, als es den Schweizern unmöglich wurde, in ihren Gliedern zu bleiben.

Der Kapitän versuchte es nichtsdestoweniger, sie durch die Menge dringen zu lassen; doch es zeigte sich eine solche Wuth, daß ihm Röderer zurief:

»Nehmen Sie sich in Acht, mein Herr! Sie werden machen, daß man den König tödtet.«

Man hielt an, und ein Bote ging ab und benachrichtete die Nationalversammlung, der König komme, um Asyl von ihr zu verlangen.

Die Nationalversammlung schickte eine Deputation, doch der Anblick dieser Deputation verdoppelte die Wuth der Menge.

Man hörte die mit dem heftigsten Grimme ausgestoßenen Rufe:

»Nieder mit Veto! nieder mit der Oesterreicherin! Die Entsetzung oder den Tod!«

Die zwei Kinder, da sie begriffen, ihre Mutter werde hauptsächlich bedroht, drängten sich an sie an. Der kleine Dauphin fragte: »Herr von Charny, warum wollen denn alle diese Leute meiner Mutter das Leben nehmen.

Ein Mann von colossaler Gestalt, der unter allen am lautesten schrie, suchte mit seiner Pieke bald den König bald die Königin zu treffen. Das Wuthgeschrei wurde immer heftiger. Die Schweizer waren nach und nach von der anstürmenden Menge auseinandergetrieben worden. Die königliche Familie hatte nur noch die sechs Edelleute, die mit ihr aus den Tuilerien gekommen waren, den Grafen von Charny und die Deputation Nationalversammlung um sich. Man mußte noch mehr als dreißig Schritte durch eine dicht gedrängte Menge gehen, und es war offenbar, daß man den Könige und zumal der Königin nach dem Leben trachtete.

Unten an der Treppe begann der Kampf.

»Herr Graf, sagte Röderer zu Charny, »stecken Sie Ihren Degen ein, oder ich stehe für nichts.«

Charny gehorcht ohne ein Wort zu sprechen.

Die königliche Gruppe wurde von der wogenden Menge gegen die Nationalversammlung gedrängt, wie im Sturm eine Barke von den Wellen geschaukelt und fortgetrieben wird. Der König sah sich genöthigt, einen Mann zurückzustoßen, der ihm die Faust vor das Gesicht hielt. Der kleine Dauphin, der fast erdrückt wurde, rief um Hilfe und streckte die Arme aus. Ein Mann stürzte auf ihn zu und entriß ihn seiner Mutter.

»Mein Sohn!« rief Marie Antoinette. »Herr von Charny, um Gottes willen! Retten Sie meinen Sohn!

Charny ging auf den Mann zu, der das Kind forttrug; doch kaum hatte er die Königin demaskiert, da streckten sich ein paar Arme gegen sie aus, und eine Hand packte sie bei dem Tuche, das ihre Brust bedeckte.

Die Königin stieß einen Schrei aus.

Charny vergaß die Ermahnung von Röderer, und sein Degen verschwand ganz im Leibe des Mannes, der es gewagt, Hand an die Königin zu legen.

Die Menge brüllte vor Wuth, als sie Einen der Ihrigen fallen sah, und griff noch heftiger die Gruppe an.

Die Weiber schrieen:

»Ei! tödtet sie doch, die Oesterreicherin! gebt sie doch uns, daß wir sie erwürgen! Tod! Tod!«

Und zwanzig Arme streckten sich aus, um sie zu ergreifen.

Doch wahnsinnig vor Schmerz, ohne sich mehr um ihre eigene Gefahr zu bekümmern, schrie Marie Antoinette unablässig:

»Mein Sohn! mein Sohn!«

Man berührte beinahe die Schwelle der Nationalversammlung; die Menge machte eine letzte Anstrengung: sie fühlte, daß ihre Beute ihr entgehen sollte.

Charny war so bedrängt, daß er nur noch mit dem Knopfe seines Degens schlagen konnte.

Er sah unter allen diesen geschlossenen und drohenden Fäusten eine mit einer Pistole bewaffnete Hand, welche die Königin suchte.

Er ließ seinen Degen los, ergriff mit beiden Händen die Pistole, entriß sie dem, welcher sie hielt, und schoß damit dem nächsten Angreifenden mitten auf die Brust.

Der Mann stürzte todt zu Boden.

Charny bückte sich, um feinen Degen aufzuheben.

Der Degen war schon in den Händen eines Menschen aus dem Volke, der die Königin damit zu treffen suchte.

Charny warf sich auf den Mörder.

In diesem Augenblicke trat die Königin im Gefolge des Königs in das Vestibule der Nationalversammlung ein: sie war gerettet.

Freilich schloß sich hinter ihnen die Thüre wieder und auf der Schwelle dieser Thüre fiel Charny zugleich von einem Schlage mit einer eisernen Stange an den Kopf und von einem Piekenstoße in die Brust getroffen.

»Wie meine Brüder!« murmelte er fallend. »Arme Andrée! . . . «

Das Geschick von Charny ging in Erfüllung, wie das von Isidor, wie das von Georges! . . . Das der Königin sollte in Erfüllung gehen.

In demselben Momente verkündigte übrigens eine entsetzliche Artilleriesalve, die Aufrührer und das Schloß seien im Kampfe begriffen.

53Die große Glocke von Notre-Dame.