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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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CLII
Die Nacht vom 9. auf den 10. August

Vom König gerufen, hatte Pétion vorhergesehen, er werde nicht so leicht aus dem Palaste herauskommen, als er in denselben eingetreten; er hatte sich einem Manne mit rauhem, noch durch eine Narbe, die seine Stirne bedeckte, verhärteten Gesichte genähert.

»Herr Billot,« sagte er zu ihm, »was meldeten Sie mir so eben von der Nationalversammlung?«

»Sie werde die Nacht in Permanenz zubringen.«

»Sehr gut! . . . Was haben Sie, wie Sie mir mittheilten, auf dem Pont-Neuf gesehen?«

»Kanonen und Nationalgarden, auf Befehl von Herrn Maudat dahin gestellt.«

»Und sagen Sie nicht auch, unter der Saint Jean-Arcade, bei der Mündung der Rue Saint-Antoine, seien bedeutende Streitkräfte versammelt?«

»Ja, mein Herr, immer auf Befehl von Herrn Mandat.

»Nun, so hören Sie mich wohl an, Herr Billot.«

»Ich höre.«

»Hier ist ein Befehl an die Herren Manuel und Danton, die Nationalgarden der Saint-Jean-Arcade nach Hause gehen zu lassen und den Pont-Neuf zu entwaffnen: dieser Befehl muß, es koste, was es will, vollzogen werden, – verstehen Sie?«

»Ich werde ihn selbst Herrn Danton überbringen.«

»Es ist gut . . . Sie wohnen in der Rue Saint-Honoré?«

»Ja, mein Herr.«

»Ist der Befehl Herrn Danton überbracht, so so kehren sie nach Hause zurück und ruhen Sie einen Augenblick; gegen zwei Uhr stehen Sie sodann auf und gehen jenseits der Mauer der Terrasse der Feuillants auf und ab; sehen oder hören Sie Steine aus dem Garten der Tuilerien geworfen fallen, so werde ich gefangen sein, und man thut mir Gewalt an.«

»Ich verstehe.«

»Begeben sie sich sodann zur Schranke der Nationalversammlung und sagen sie Ihren Collegen, sie sollen mich reclamieren. Sie begreifen, Herr Billot? Ich lege mein Leben in Ihre Hände.

»Und ich hafte für dasselbe,« erwiederte Billot; »gehen Sie ruhig.«

Pétion war in der That, sich auf den wohlbekannten Patriotismus von Billot verlassend, abgegangen.

Dieser hatte für alles um so dreister gehaftet, als Pitou eingetroffen war.

Er schickte Pitou zu Danton, und ermahnte ihn, nicht ohne Danton zurückzukommen.

Trotz der Trägheit von Danton, vollzog Pitou seinen Auftrag gewissenhaft und brachte ihn zurück.

Danton hatte die Kanonen des Pont-Neuf gesehen; er sah die Nationalgarden der Saint-Jean-Arcade; er begriff, wie dringlich es war, nicht solche im Rücken der Volksarmee zu lassen.

Mit dem Befehle von Pétion in der Hand hießen Manuel und er die Nationalgarden die Saint-Jean-Arcade nach Hause zu gehen und schickten die Kanoniere des Pont-Neuf weg.

Von da war die große Straße des Aufstandes gefegt.

Mittlerweile kamen Billot und Pitou nach der Rue Saint-Honoré zurück; hier war immer noch die alte Wohnung von Billot; Pitou sagte ihm guten Morgen mit dem Kopfe wie einem alten Freunde.

Billot setzte sich und winkte Pitou, dasselbe zu thun.

»Ich danke,« erwiederte Pitou, »ich bin nicht müde.«

Billot wiederholte aber seinen Wink, und Pitou setzte sich.

»Pitou,« sprach Billot zu ihm: »ich habe Dir sagen lassen, Du mögest zu mir hierher kommen.«

»Und Sie sehen, Herr Billot,« erwiederte Pitou mit dem treuherzigen Lächeln, das die zweiunddreißig Zähne zeigt und Pitou eigenthümlich war, »ich habe Sie nicht warten lassen.«

»Nein . . . Nicht wahr, Du erräthst, daß etwas Ernstes vorgeht?«

»Ich vermuthe es,« antwortete Pitou, »doch sagen Sie mir, Herr Billot . . . «

»Was, Pitou?«

»Ich sehe weder Herrn Bailly, noch Herrn Lafayette mehr.«

»Bailly ist ein Verräther, der uns auf dem Marsfelds hat ermorden lassen.«

»Ja ich weiß es, da ich Sie fast in Ihrem Blute schwimmend aufgehoben habe.«

»Lafayette ist ein Verräther, der den König entführen wollte.«

»Ah! das wußte ich nicht . . . Herr Lafayette ein Verräther! wer hätte das vermuthet? Und der König?«

»Der König ist der größte Verräther von Allen, Pitou.«

»Was das betrifft, – das wundert mich nicht.«

»Der König conspirirt mit dem Auslande und will Frankreich dem Feinde überliefern; die Tuilerien sind ein Herd der Conspiration, und man hat beschlossen, die Tuilerien zu nehmen . . . Du begreifst, Pitou?«

»Bei Gott! ob ich begreife! . . . sagen Sie doch, nicht wahr, Herr Billot, so, wie wir die Bastille genommen haben?«

»Ja.«

»Nur wird das nicht so schwierig sein.«

»Darin täuschst Du Dich, Pitou.

»Wie! das wird schwieriger sein?«

»Ja.«

»Mir scheint doch, die Mauern sind minder hoch.«

»Ja, doch sie sind besser bewacht. Die Bastille hatte als ganze Garnison nur ein Hundert Invaliden, während drei bis viertausend Mann im Schlosse sind.«

»Ah! Teufel, drei bis viertausend Mann!«

»Abgesehen davon, daß die Bastille überrumpelt wurde, während seit dem 1. dieses Monats die Tuilerien vermuthen, sie sollen angegriffen werden, und sich in Vertheidigungsstand gesetzt haben.«

»So daß sie sich vertheidtgen werden?« fragte Pitou.

»Ja,« antwortete Billot, »um so mehr, als man sagt, die Vertheidigung sei Herrn von Charny anvertraut.«

»Er ist in der That gestern mit Post von Boursonne in Begleitung seiner Frau abgereist . . . Herr von Charny ist also auch ein Verräther.«

»Nein, das ist nur ein Aristokrat; er ist immer für den Hof gewesen und hat daher das Volk nicht verrathen, da er das Volk nicht aufgefordert, sich ihm zu vertrauen.«

»Wir werden uns also gegen Herrn von Charny schlagen?«

»Das ist wahrscheinlich, Pitou.«

»Ist das seltsam? Nachbarn!«

»Ja, das nennt man den Bürgerkrieg, Pitou; doch Du bist nicht verbunden, Dich zu schlagen, wenn es Dir nicht zusagt.«

»Entschuldigen Sie, Herr Billot, sobald das Ihnen zusagt, sagt es auch mir zu.«

»Es wäre mir sogar lieber, wenn Du Dich nicht mitgingest, Pitou.«

»Warum haben Sie mich dann kommen lassen, Herr Billot?«

Das Gesicht von Billot verdüsterte sich.

»Ich habe Dich kommen lassen, um Dir dieses Papier zu übergeben,« sagte der Pächter.

»Dieses Papier, Herr Billot?«

»Ja.«

»Was für ein Papier ist das!«

»Es ist die beglaubigte Abschrift von meinem Testamente.«

»Wie! die Abschrift von Ihrem Testamente? Ei! Herr Billot,« fuhr Pitou lachend fort, »Sie haben nicht das Ansehen eines Menschen, der sterben will.«

»Nein,« erwiederte Billot, auf seine Flinte und seine Patrontasche deutend, welche an der Wand hingen; »doch ich habe das Ansehen eines Mannes, der getödtet werden kann.«

»Ah!« sprach Pitou sententiös, »es ist wahr, wir sind Alle sterblich!«

»Nun wohl, Pitou, ich habe Dich kommen lassen, um Dir eine Abschrift von meinem Testamente zu übergeben.«

»Mir, Herr Billot?«

»Dir, Pitou, in Betracht, daß, da ich Dich zu meinem Universalerben mache . . . «

»Mich, zu Ihrem Universalerben? Nein, ich danke, Herr Billot! Was Sie da sagen, ist zum Lachen!«

»Ich sage das, was ist, mein Freund.«

»Das kann nicht sein, Herr Billot.«

»Wie! das kann nicht sein?«

»Oh! Nein . . . wenn ein Mensch Erben hat, kann er nicht sein Gut Fremden schenken.«

»Du täuschst Dich, Pitou, er kann.«

»Dann soll er nicht, Herr Billot.«

Eine finstere Wolke zog über die Stirne von Billot.

»Ich habe keine Erben,« sagte er.

»Gut!« versetzte Pitou, »Sie haben keine Erben! Und wie nennen Sie denn Mademoiselle Catherine?«

»Ich kenne Niemand dieses Namens, Pitou.«

»Ah! Herr Billot, sagen Sie nicht solche Dingt, das empört mich!«

»Pitou, sobald eine Sache mir gehört, kann ich sie geben, wem ich will: gerade wie Du, wenn ich sterbe, da die Sache Dir gehören wird, Pitou, sie geben kannst wem Du willst.«

»Ah! ah! gut! ja,« sagte Pitou, der zu begreifen anfing; »also wenn Ihnen ein Unglück widerführe . . . Doch wie dumm bin ich! es wird Ihnen kein Unglück widerfahren!«

»Du sagtest es so eben, Pitou, wir sind Alle sterblich.«

»Ja . . . Nun wohl, Sie haben im Ganzen Recht; ich nehme das Testament, Herr Billot; doch ganz gewiß in der Voraussetzung, daß ich, wenn ich das Unglück habe, Ihr Erbe zu werden, berechtigt sein werde, mit Ihren Gütern zu machen, was ich will?«

»Allerdings, da sie Dir gehören werden . . . Und zwar Dir, einem guten Patrioten, Du verstehst, Pitou? man wird Dir keine Chicane machen, wie man sie Leuten machen könnte, welche mit den Aristokraten in Verbindung standen.«

Pitou begriff immer besser.

»Nun wohl, es sei, Herr Billot,« sagte er; »ich nehme an.«

»Dann, da dies Alles ist, was ich Dir zu sagen hatte, stecke dieses Testament in Deine Tasche und ruhe aus.«

»Warum, Herr Billot?«

»Weil wir aller Wahrscheinlichkeit nach morgen, oder vielmehr heute, denn es ist zwei Uhr Morgens, Arbeit haben werden.«

»Sie gehen aus, Herr Billot?«

»Ja, ich habe längs der Terrasse der Feuillants zu thun.«

»Und Sie bedürfen meiner nicht?«

»Im Gegentheil, Du würdest mich belästigen.«

»Wohl, Herr Billot, so will ich einen kleinen Bissen essen.«

»Es ist wahr,« rief Billot, »und ich vergaß, Dich zu fragen, ob Du Hunger habest.«

»Oh!« versetzte Pitou lachend, »das ist so, weil Sie wissen, daß ich immer Hunger habe.«

»Ich brauche Dir nicht zu sagen, wo die Speisekammer ist . . . «

»Nein, nein, Herr Billot, bekümmern Sie sich nicht um mich . . . Nur . . . nicht wahr, Sie kommen wieder hierher?«

»Ich komme zurück.«

»Sonst müßten Sie mir sagen, wo ich Sie treffen könnte.«

»Unnöthig! in einer Stunde werde ich hier sein.«

»Nun, so gehen Sie,« sagte Pitou.

Und er unternahm die Aufsuchung seiner Nahrung mit jenem Appetit, der bei ihm, wie beim König, nie durch die Ereignisse, so ernst sie auch sein mochten, gestört wurde, indeß sich Billot nach der Terrasse der Feuillants begab.

 

Wir wissen, was er dort thun wollte.

Kaum war er an Ort und Stelle, als ein zu seinen Füßen fallender Stein, gefolgt von einem zweiten, dann von einem dritten, ihn belehrte, das, was Pétion befürchtet, sei geschehen, und Pétion sei Gefangener in den Tuilerien.

Sogleich war er, nach den Instructionen, die er erhalten, in die Nationalversammlung gegangen, welche, wie wir gesehen, Pétion reclamirt hatte.

Als Pétion frei war, durchschritt er nur die Assemblée, kehrte zu Fuße nach dem Stadthause zurück, und ließ, um ihn zu repräsentiren, seinen Wagen im Hofe der Tuilerien.

Billot seinerseits ging wieder nach Hanse und fand Pitou sein Abendbrod vollendend.

»Nun, Herr Billot,« fragte Pitou, »was gibt es Neues?«

»Nichts,« erwiederte Billot, »wenn nicht, daß der Tag kommt, und daß der Himmel blutroth ist.«

CLIII
Von drei Uhr bis sechs Uhr Morgens

Man hat gesehen, wie der Tag erschienen war.

Seine ersten Strahlen beleuchteten zwei Reiter, welche im Schritte ihrer Pferde dem öden Quai der Tuilerien folgten.

Diese zwei Reiter waren der Obercommandant der Nationalgarde Maudat und sein Adjutant.

Gegen ein Uhr Morgens in das Stadthaus berufen, hatte Maudat Anfangs sich geweigert, dahin zu gehen.

Um zwei Uhr war der Befehl gebieterisch erneuert worden; Maudat wollte abermals widerstehen, doch, der Syndicus Röderer trat auf ihn zu und sagte zu ihm:

»Mein Herr, achten Sie wohl daraus, daß nach den Worten des Gesetzes der Commandant der Nationalgarde unter den Befehlen der Municipalität steht.«

Hierauf hatte sich Maudat entschlossen.

Uebrigens wußte der Obercommandant zwei Dinge nicht:

Einmal, daß siebenundvierzig Sectionen von achtundvierzig der Municipalität jede drei Commissäre beigegeben hatten, deren Auftrag es war, sich auf dem Stadthause zu versammeln und das Vaterland zu retten. Maudat glaubte also die frühere Municipalität zu finden, zusammengesetzt, wie sie es bis dahin gewesen war, und erwartete keinesweges hunderteinundvierzig neue Gesichter hier zu treffen.

Sodann wußte Maudat nichts von dem von eben dieser Municipalität erlassenen Befehle, den Pont-Neuf zu entwaffnen und die Saint-Jean-Arcade räumen zu lassen, ein Befehl, dessen Vollziehung in Betracht seiner Wichtigkeit Manuel und Danton in Person geleitet hatten.

Als er auf den Pont-Neuf kam, war Maudat auch sehr erstaunt, da er ihn ganz verlassen sah. Er hielt an und schickte den Adjutanten auf Recognoscirung ab.

Nach Verlauf von zehn Minuten kam der Adjutant zurück; er hatte weder Kanonen, noch Nationalgarde erblickt: die Place Dauphine, die Rue Dauphine, der Quat des Augustins waren verlassen wie der Pont-Neuf.

Maudat ritt weiter. Er hätte vielleicht nach dem Schlosse zurückkehren müssen, doch die Menschen gehen, wohin sie ihr Geschick treibt.

So wie er gegen das Stadthaus vorrückte, schien es ihm, als rückte er gegen das Leben vor. Wie bei gewissen organischen Kataklysmen das Blut, indem es sich nach dem Herzen zurückzieht, die Extremitäten verläßt, welche bleich und eiskalt bleiben, so waren die Bewegung, die Wärme, die Revolution auf dem Quai Pelletier, auf dem Grève-Platze, im Stadthause, dem wirklichen Sitze vom Volksleben, dem Herzen von diesem großen Körper, den man Paris nennt.

Maudat hielt an der Ecke des Quai Pelletier an und schickte seinen Adjutanten nach der Saint-Jean-Arcade.

Durch die Saint-Jean-Arcade ging die Volkswoge frei hin- und her: die Nationalgarde war verschwunden.

Maudat wollte umkehren: die Woge hatte sich hinter ihm angehäuft und trieb ihn, wie eine Seedrift, nach den Stufen des Stadthauses.

Maudat überließ sich dieser Woge, die ihn fortriß; der Adjutant, dessen Uniform seine secundäre Bedeutung bezeichnete, blieb an der Ecke des Quai Pelletier, wo ihn Niemand beunruhigte; alle Blicke waren auf Oberkommandanten gerichtet.

Im großen Saale des Stadthauses ankommend, sieht sich Maudat fremden strengen Gesichtern gegenüber.

Es ist die ganze Insurrection, welche Rechenschaft über sein Benehmen von dem Manne zu fordern beabsichtigt, der sie hat nicht nur in ihrer Entwickelung bekämpfen, sondern sogar in ihrer Geburt ersticken wollen.

In den Tuilerien befragte er; – man erinnere sich seiner Scene mit Pétion.

Hier soll er verhört werden.

Eines der Mitglieder des neuen Gemeinderaths, – dieses erschrecklichen, Gemeinderathes, der die legislative Versammlung ersticken und mit dem Convente kämpfen wird, – eines der Mitglieder des neuen Gemeinderats tritt vor und fragt im Namen Aller:

»Auf wessen Befehl hast Du die Wache des Schlosses verdoppelt?«

»Auf Befehl des Maire von Paris,« antwortete Mandat.

»Wo ist dieser Befehl?«

»In den Tuilerien, wo ich ihn gelassen habe, damit dieser Befehl in meiner Abwesenheit vollzogen werden kann.«

»Warum hast Du die Kanonen marschieren lassen?«

»Weil ich das Batallion marschieren ließ, und wenn das Batallion marschiert, so marschieren die Kanonen auch mit ihm.«

»Wo ist Pétion?«

»Er war im Schlosse, als ich das Schloß verließ.«

»Gefangener?«

»Nein, frei und im Garten umhergehend.«

In diesem Augenblicke wurde das Verhör unterbrochen.

Ein Mitglied des neuen Gemeinderaths bringt einen entsiegelten Brief und verlangt, daß er laut gelesen werde.

Maudat braucht nur einen Blick auf diesen Brief zu werfen, um zu sehen, daß er verloren ist.

Er hat die Handschrift erkannt.

Dieser Brief ist der um ein Uhr Morgens an den Commandanten des bei der Saint-Jean-Arcade aufgegestellten Baitaillons überschickte Befehl, der diesem Commandanten einschärft, den Volksauflauf, wenn er sich nach dem Schlosse wenden würde, von hinten anzugreifen, während ihn das Bataillon vom Pont-Neuf von der Seite angreifen sollte.

Der Befehl ist in die Hände der Commune nach dem Rückzuge des Bataillons gefallen.

Das Verhör ist beendigt. Welches Geständniß vermöchte man von dem Angeklagten zu erlangen, das furchtbarer wäre, als dieser Brief?

Der Rath beschloß, Maudat solle nach dem Gefängnisse der Abtei geführt werden.

Dann wird das Urtheil Maudat vorgelesen.

Hier beginnt die Interpretation.

Dieses Urtheil Maudat vorlesend, machte der Präsident, wie man versichert, mit der Hand eine von jenen Geberden, die das Volk leider nur zu gut zu interpretiren weiß: eine horizontale Geberde.

»Der Präsident,« sagt Herr Peltier, Verfasser der Revolution vom 10. August 1792, »machte eine sehr ausdrucksvolle horizontale Geberde, indem er sagte: Man schleppt ihn fort.«

Die Geberde wäre in der That ein Jahr später sehr ausdrucksvoll gewesen, doch eine horizontale Geberde, welche 1793 viel bedeutet hätte, bedeutete 1792, um welche Zeit die Guillotine noch nicht functionierte, nicht viel: – erst am 21. August fiel auf dem Carrousel-Platze der Kopf des ersten Royalisten; wie konnte elf Tage früher eine horizontale Geberde, wenn das nicht ein zum Voraus verabredetes Zeichen war, – besagen: »Tödtet diesen Herrn!«

Leider scheint die Thatsache die Beschuldigung rechtfertigen.

Kaum ist Maudat drei Stufen der Freitreppe des Stadthauses hinabgestiegen, so trifft in dem Augenblick wo ihm sein Sohn entgegen stürzt, ein Pistolenschuß den Gefangenen an den Kopf.

Dasselbe war drei Jahre früher Flesselles begegnet.

Maudat war nur verwundet: er stand auf, und in derselben Sekunde fiel er von zwanzig Piekenstichen duchbohrt wieder nieder.

»Das Kind streckte die Arme aus und schrie: »Mein Vater! mein Vater!«

Man gab nicht Acht auf das Geschrei des Kindes.

Aus diesem Kreise, wo man nur niedertauchende Arme unter den Blitzen der Säbel und der Pieken sah, erhob sich sodann ein blutiges, vom Rumpfe getrenntes Haupt.

Das war der Kopf von Mandat.

Das Kind viel in Ohnmacht. Der Adjutant sprengte im Galopp weg, um in den um in den Tuilerien zu melden, was er gesehen hatte. Die Mörder theilten sich in zwei Banden; die Einen warfen den Leib in den Fluß; die Anderen trugen den Kopf von Maudat an der Pieke in den Straßen von Paris umher.

Es war ungefähr vier ihr Morgens.

Gehen wir dem Adjutanten, der die unselige Kunde überbringen soll, in die Tuilerien voran und sehen wir, was sich dort ereignet.

Der König hat gebeichtet, und, sobald sein Gewissen im Frieden, hinsichtlich des Uebrigen fast beruhigt, hat sich der König, der keinem der Bedürfnisse der Natur zu widerstehen vermochte, niedergelegt. Er hat sich allerdings ganz angekleidet niedergelegt.

Auf ein verdoppeltes Sturmläuten und auf den Lärmen des Generalmarsches, den man zu schlagen anfing, weckte man den König.

Derjenige, welcher den König aufweckte, – Herr de la Chesnaye, dem Mandat, als er sich entfernte, seine Vollmacht zurückgelassen hatte, – weckte den König auf, damit er sich den Nationalgarden zeige und durch einige zur rechten Zeit gesprochene Worte ihren Enthusiasmus wiederbelebe.

Der König stand schwerfällig schwankend, schlecht geweckt aus; er war mit Puder frisirt und eine ganze Seite seiner Frisur, aus die er sich gelegt hatte, war platt gedrückt.

Man suchte den Friseur: er war nicht da. Der König ging aus seinem Zimmer, ohne frisirt zu sein.

Im Conseilsaale, wo sie war, davon benachrichtigt, daß sich der König seinen Vertheidigern zeigen wollte, lief die Königin dem König entgegen.

Ganz das Gegentheil vom armen Monarchen mit seinem trüben Blicke, der Niemand anschaute, mit den gespannten und von Zeit zu Zeit von unwillkürlichen Bewegungen zuckenden Muskeln des Mundes, mit seinem violetten Fracke, der ihm das Ansehen gab, als trüge er Trauer um das Königthum, war die Königin bleich, glühte aber vor Fieber; sie hatte rothe, aber trockene Augenlieder.

Sie hing sich an dieses Gespenst der Monarchie an, das, statt um Mitternacht zu erscheinen, sich am hellen Tage mit dem dicken blinzelnden Auge zeigte.

Sie hoffte ihm das zu geben, was bei ihr an Muth Stärke und Leben überströmte.

Alles ging übrigens gut, solange die königliche Ausstellung im Innern der Gemächer blieb, obgleich die mit den Edelleuten vermischten Nationalgarden von nahe den König sehend, – diesen kraftlosen, schwerfälligen armen Mann, dem es schon einmal in einer ähnlichen Situation, auf dem Balkon von Herrn Sauce in Varennes, so schlecht geglückt war, – sich fragten, ob das der Held vom 20. Juni sei, dieser König, dessen poetische Legende die Priester und die Frauen auf einen Trauerflor zu sticken anfingen.

Und man muß sagen, nein, es war nicht der König, den die Nationalgarde zu sehen, erwartete.

Gerade in diesem Augenblicke zieht der alte Herzog von Mailly, – mit einer von den guten Absichten, welche der Hölle einen Pflasterstein mehr zu liefern bestimmt sind, – gerade in diesem Augenblicke, sagen wir, zieht der alte Herzog von Mailly den Degen, wirft sich vor dem König auf die Kniee und schwört im einer zitternden Stimme, er und der Adel Frankreichs, den er vertrete, werden für den Enkel von Heinrich IV. sterben.

Das waren zwei Ungeschicklichkeiten statt einer: die Nationalgarde hatte keine große Sympathien für diesen Adel Frankreichs, den Herr von Mailly vertrat; sodann wollte sie nicht den Enkel von Heinrich IV. vertheidigen, sondern den constitutionellen König.

Es brach auch als Antwort auf ein paar Rufe: »Es lebe der König« von allen Seiten da Geschrei »Es lebe die Nation!« los.

Man mußte eine Genugthuung nehmen. Man trieb den König Ludwig XVI. an, in den Königshof hinabzugehen. Ach! dieser arme König, gestört in seinen Mahlen, er, der eine Stunde geschlafen, statt sieben, eine ganz materielle Natur, hatte keinen eigenen Willen; es war ein Automat, der seinen Impuls den Willen empfing.

Wer gab ihm diesen Impuls?

Die Königin, eine nervöse Natur, welche weder gegessen, noch geschlafen hatte.

Es gibt unglücklich organisirte Wesen, denen, sobald die Umstände sie gleichsam überholen, Alles mißglückt, was sie unternehmen. Statt die Dissidenten anzuziehen, schien Ludwig XVI., indem er sich denselben näherte, ausdrücklich zu kommen, um ihnen zu zeigen, wie wenig Blendwerk das Königthum, das fällt, auf der Stirne des Menschen läßt, wenn dieser Mensch weder das Genie, noch die Stärke für sich hat.

Hier, wie in den Gemächern, gaben die unbedingten Royalisten einige Rufe: »Es lebe der König!« von sich; doch ein ungeheurer Schrei: »Es lebe die Nation!« antwortete ihnen.

Als sodann die Royalisten die Ungeschicklichkeit begingen, daß sie beharrlich blieben, da riefen die Patrioten:

»Nein, nein, nein, keinen andern König, als die Nation.«

 

Und der König antwortete ihnen fast flehend:

»Ja, meine Kinder, die Nation und Euer König sind nur Eins und werden immer nur Eins sein!«

»Bringt den Dauphin,« sagte leise Marie Antoinette zu Madame Elisabeth; »der Anblick eines Kindes wird sie vielleicht rühren.«

Man holte den Dauphin.

Mittlerweile setzte der König diese traurige Revue fort; es kam ihm dann der schlimme Gedanke, sich den Artilleristen zu nähern. Das war ein Fehler: die Artilleristen waren fast lauter Republicaner.

Hätte der König zu sprechen verstanden, hätte er sich Gehör bei diesen Menschen zu verschaffen gewußt, welche ihre Ueberzeugung von ihm entfernte, so wäre es etwas Muthiges gewesen, was gelingen konnte, – diese Spitze gegen die Kanonen; – doch es war weder in der Rede, noch in der Geberde von Ludwig XVI. etwas Hinreißendes. Er stammelte; die Royalisten wollten sein Zaudern dadurch bedecken, daß sie aufs Neue den unglücklichen Rus! »Es lebe der König!« versuchten, der schon zweimal gescheitert war; dieser Ruf hätte beinahe eine Collision herbeigeführt.

Kanoniere verließen ihren Posten, stürzten auf den König zu, bedrohten ihn mit der Faust und sagten:

»Du glaubst also, um einen Verräther Deiner Art zu vertheidigen, werden wir auf unsere Brüder Feuer geben?«

Die Königin zog den König zurück.

»Der Dauphin! der Dauphin!« riefen mehrere Stimmen; »es lebe der Dauphin!«

Niemand wiederholte diesen Ruf; das arme Kind kam nicht zu seiner Stunde: es verfehlte seinen Auftritt, wie man beim Theater sagt.

Der König schlug wieder den Weg nach dem Schlosse ein, und das war ein wahrer Rückzug, fast eine Flucht.

In seinem Gemache angekommen, fiel Ludwig XVI, ganz athemlos in einen Lehnstuhl.

Die Königin, welche an der Thüre geblieben war, suchte mit den Augen rings umherschauend und verlangte eine Stütze von irgend Jemand.

Sie erblickte Charny, der an die Einfassung der Thüre von ihrem, der Königin, Zimmer angelehnt dastand; sie ging auf ihn zu und sagte zu ihm:

»Ah! mein Herr, Alles ist verloren!«

»Ich befürchte es, Madame,« antwortete Charny.

»Können wir noch fliehen?«

»Es ist zu spät, Madame.«

»Was bleibt uns dann zu thun?«

»Zu sterben!« erwiederte Charny sich verbeugend.

Die Königin stieß einen Seufzer aus und kehrte in ihr Gemach zurück.

Von sechs Ahr bis neun Uhr Morgens.