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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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CXXXVIII
Der Zögling von Herrn de la Vauguyon

In dem Augenblick, wo die Nationalversammlung den Dank für die drei abtretenden Minister durch Zuruf votierte und den Druck und die Versendung in die Departements des Briefes von Roland beschloß, erschien Dumouriez an der Thüre des Sitzungssaales.

Man wußte, daß er muthig, man wußte nicht, daß er verwegen war.

Er hatte gehört, was vorging, und kam kühn, um den Stier bei den Hörnern anzugreifen.

Der Vorwand seiner Anwesenheit in der Nationalversammlung war eine merkwürdige Denkschrift über den Zustand unserer militärischen Kräfte; Kriegsminister seit dem vorhergehenden Tage, hatte er diese Arbeit in der Nacht gemacht und machen lassen: es war eine Anklage gegen Servan, welche in Wirklichkeit auf Grave und besonders auf Narbonne, seinen Vorgänger, zurückfiel.

Servan war nur zehn bis zwölf Tage lang Minister gewesen.

Dumouriez kam sehr stark: er verließ so eben den König, den er beschworen hatte, er möge treu sein dem von ihm in Betreff der Sanction der zwei Beschlüsse gegebenen Worte, und der König hatte ihm nicht nur ein Versprechen erneuert, sondern ihm auch gesagt, die Geistlichen, die er zu Rathe gezogen, um sein Gewissen sicher zu stellen, seien alle derselben Ansicht wie Dumouriez gewesen.

Der Kriegsminister ging auch gerade auf die Tribüne zu; er bestieg sie unter verworrenem Geschrei und wildem Gebrülle.

Hier angekommen, verlangte er kalt das Wort.

Es wurde ihm unter einem entsetzlichen Tumulte bewilligt.

Die Begierde, zu hören, was Dumouriez sagen würde, machte endlich, daß man sich besänftigte.

»Meine Herren,« sprach Dumouriez, »der General Gouvion ist getödtet worden, Gott hat ihn für seine Tapferkeit belohnt; er ist die Feinde Frankreichs bekämpfend gestorben; er ist sehr glücklich! Er ist nicht Zeuge unserer gräulichen Zwistigkeiten! Ich beneide ihn um sein Loos!«

Mit großer Würde und tiefer Melancholie gesprochen, machten diese paar Worte Eindruck auf die Nationalversammlung; überdies war dieser Tod eine Diversion für die ersten Gefühle. Man berathschlagte über das, was man thun sollte, um der Familie des Generals sein Beileid zu bezeigen, und es wurde beschlossen, der Präsident sollte einen Brief schreiben.

Dann verlangte Dumouriez zum zweiten Male das Wort.

Es wurde ihm bewilligt.

Er zog seine Denkschrift ans der Tasche, doch kaum hatte er den Titel: Denkschrift über das Kriegsministerium gelesen, als Jacobiner und Girondisten zu brüllen anfingen, daß man die Lesung nicht gestatte.

Da las der Minister, unter dem Lärmen, den Eingang mit so kräftigem Ausdruck, mit so klarer Stimme, daß man hörte, dieser Eingang sei gegen die Factionen gerichtet und handle von den einem Minister schuldigen Rücksichten.

Eine solche Festigkeit war gemacht, um die Zuhörer von Dumouriez im höchsten Grade zu erbittern, wären sie selbst in einer minder reizbaren Stimmung des Geistes gewesen.

»Hört Ihr ihn?« rief Guadet; »er glaubt sich schon so der Macht, daß er uns Rathschläge zu geben wagt!

»Warum nicht?« erwiederte ruhig Dumouriez, indem er sich gegen den Unterbrecher umwandte.

Wir haben vor langer Zeit schon gesagt, das Klügste in Frankreich sei der Muth: der Muth von Dumouriez imponierte seinen Gegnern; man schwieg oder man wollte wenigstens hören, und man horchte.

Die Denkschrift war verständig, lichtvoll, geschickt berechnet: so sehr man gegen den Minister eingenommen war, bei zwei Stellen klatschte man Beifall.

Lacuée, der Mitglied des Militär-Ausschusses war, bestieg die Tribune, um Dumouriez zu antworten; da rollte dieser eine Denkschrift zusammen und steckte sie ruhig in die Tasche.

Die Girondisten sahen die Bewegung; Einer von ihnen rief:

»Seht Ihr ihn, den Verräther? Er steckt eine Denkschrift wieder in die Tasche; er will sich mit seiner Denkschrift aus dem Staube machen . . . Halten wir ihn zurück! dieses Stück wird zu einer Beschämung dienen.«

Dumouriez, der nicht einen Schritt gegen die Thüre gemacht hatte, zog aber auf dieses Geschrei eine Denkschrift wieder aus der Tasche und übergab sie dem Huissier.

Ein Secretär streckte sogleich die Hand danach aus und suchte, nachdem er sie erhalten, die Unterschrift.

»Meine Herren,« sagte der Secretär, »die Denkschrift ist nicht unterzeichnet.«

»Er unterzeichne sie! er unterzeichne sie!« rief man von allen Seiten.

»Das war wohl meine Absicht,« erwiederte Dumouriez, »und die Schrift ist so gewissenhaft gemacht, daß ich nicht anstehe, ihr meinen Namen beizusetzen. Geben Sie mir Tinte und eine Feder.«

Man gab ihm eine in die Tinte getauchte Feder.

Er setzte seinen Fuß auf die Stufen der Tribüne und unterzeichnete die Denkschrift auf seinem Schooße.

Der Huissier wollte sie sodann wieder nehmen; Dumouriez schob aber seinen Arm zurück und legte die Denkschrift auf das Bureau; dann ging er mit kleinen Schritten und von Zeit zu Zeit stillstehend durch den Saal, und entfernte sich durch die unter den Bänken der Linken liegende Thüre.

Ganz das Gegentheil vom Eintritt, der von Geschrei und Gezische bedeckt gewesen war, wurde der Abgang von der größten Stille begleitet; die Zuschauer der Tribünen stürzten in die Gänge, um den Mann zu sehen, der einer ganzen Versammlung Trotz geboten hatte. Vor der Thüre der Feuillants war er von drei bis vierhundert Personen umgeben, die sich mit mehr Neugierde als Haß um ihn drängten, als hätten sie am Ende vorhersehen können, drei Monate später werde er Frankreich bei Valmy retten.

Einige royalistische Abgeordnete gingen hinter einander aus dem Saale weg und liefen Dumouriez nach; für sie unterlag es keinem Zweifel mehr: der General gehörte zu den Ihrigen. Das war es gerade, was Dumouriez vorhergesehen, und darum hatte er den König versprechen lassen, er werde den zwei Decreten seine Sanction geben.

»Ei! General,« sagte Einer von ihnen, »sie machen den Teufel da drinnen.«

»Sie sind ihm das wohl schuldig,« erwiederte Dumouriez, »denn ich kenne nur den Teufel, der sie hat machen können.«

»Sie wissen nicht,« sagte ein Anderer, »es ist in der Nationalversammlung davon die Rede, Sie nach Orleans zu schicken und Ihnen dort den Proceß zu machen.«

»Gut!« versetzte Dumouriez, »ich brauche Feierzeit; ich werde dort Bäder nehmen, Molken trinken und ausruhen.«

»General,« rief ein Dritter, »sie haben so eben den Druck Ihrer Denkschrift beschlossen.«

»Desto besser! das ist eine Ungeschicklichkeit, welche alle Unparteiische zu mir zurückführen wird.«

Mitten unter diesem Geleite und unter diesen Aeußerungen kam er nach dem Schlosse.

Der König empfing ihn vortrefflich.

Der neue Conseil war versammelt.

Servan, Clavières und Roland entlassend, hatte Dumouriez für ihre Ersetzung besorgt sein müssen.

Als Minister des Innern hatte er Mourgues von Montpellier vorgeschlagen, einen Protestanten, Mitglied mehrerer Academien, ehemaligen Feuillant, der sich aus dem Clubb zurückgezogen.

Der König hatte diesen angenommen.

Als Minister der auswärtigen Angelegenheiten hatte er Maulde, Sémonville oder Naillac vorgeschlagen.

Der König hatte Naillac gewählt.

Als Finanzminister hatte er Vergennes, einen Neffen des früheren Ministers, vorgeschlagen.

Vergennes hatte dem König vollkommen zugesagt, und der König hatte sogleich nach ihm geschickt, doch Vergennes hatte, während er die tiefste Ergebenheit für den König kundgegeben, die Stelle ausgeschlagen.

Man hatte sodann beschlossen, dem Minister des Innern sollte interimistisch auch das Finanzministerium übertragen werden, und Dumouriez sollte, ebenfalls interimistisch, – in Erwartung von Naillac, der von Paris abwesend, – die auswärtigen Angelegenheiten besorgen.

Nur waren die vier Minister, die sich die ernste Lage der Dinge nicht verbargen, übereingekommen, wenn der König, nachdem er die Entlassung von Servan, Clavières und Roland erlangt, das Versprechen nicht halte, gegen welches diese Entlassung gemacht worden sei, werden sie abtreten.

Der neue Conseil war also, wie gesagt, versammelt.

Der König wußte schon, was in der Nationalversammlung vorgefallen; er beglückwünschte Dumouriez wegen der Haltung, die er beobachtet, sanctionirte unmittelbar den Beschluß über das Lager von zwanzigtausend Mann, verschob jedoch auf den andern Tag die Sanction des Decretes über die Priester.

Er wand einen Gewissensskrupel ein, der wie er sagte, von seinem Beichtiger gehoben werden müsse.

Die Minister schauten einander an; ein erster Zweifel hatte ihr Herz beschlichen.

Im Ganzen konnte aber das furchtsame Gewissen des Königs dieser Frist bedürfen, um sich wiederzubefestigen.

Am andern Tage kamen die Minister ans die Frage vom vorhergehenden Abend zurück.

Doch die Nacht hatte ihr Werk gethan: der Wille, wenn nicht das Gewissen des Königs, hatte sich wiederbefestigt; er erklärte, er setze sein Veto dem Beschluß entgegen.

Die vier Minister, Einer nach dem Andern, – Dumouriez zuerst, er, dem das Wort verpfändet worden war, – sprachen mit Ehrfurcht, aber mit Festigkeit zum König.

Der König hörte sie, die Augen schließend, in der Haltung eines Mannes an, dessen Entschluß gefaßt ist.

Als sie geendigt hatten, sprach der König in der That:

»Meine Herren, ich habe einen Brief an den Präsidenten der Nationalversammlung geschrieben, um ihm meinen Entschluß mitzutheilen. Einer von Ihnen wird ihn contrasigniren, und Sie alle Vier werden ihn miteinander in die Nationalversammlung tragen

Das war ein Befehl ganz im Wesen des alten Regime, aber übel klingend in den Ohren constitutioneller, folglich verantwortlicher Minister.

»Sire,« sagte Dumouriez, nachdem er mit dem Blicke seine Collegen um Rath gefragt hatte, »haben Sie uns nichts mehr zu befehlen?«

 

»Nein,« antwortete der König.

Und er zog sich zurück.

Die Minister blieben und beschlossen sogleich, eine Audienz für den andern Tag zu verlangen.

Sie kamen überein, sich in keine Erklärung einzulassen, sondern gemeinschaftlich ihren Abschied zu begehren.

Dumouriez begab sich nach Hanse. Es war dem König beinahe geglückt, ihn, den seinen Politiker, den verschmitzten Diplomaten, den General mit dem durch die Intrigue verstärkten Muthe, zu hintergehen!

Er traf drei Billets von verschiedenen Personen, die ihm mittheilten, es finden Zusammenrottungen im Faubourg Saint Antoine und Berathungen bei Santerre statt.

Er schrieb sogleich an den König, um ihn von dem, was man ihm mittheilte, in Kenntniß zu setzen.

Eine Stunde nachher erhielt er folgendes, nicht vom König unterzeichnetes, aber eigenhändig von ihm geschriebenes Billet:

»Glauben Sie nicht, mein Herr, daß es gelingt, mich durch Drohungen einzuschüchtern; mein Entschluß ist gefaßt.«

Dumouriez nahm eine Feder und schrieb dagegen:

»Sire, Sie beurtheilen mich schlecht, wenn Sie mich der Anwendung eines solchen Mittels fähig glaubten. Meine Collegen und ich, wir haben die Ehre gehabt, an Eure Majestät zu schreiben, daß sie uns die Gnade bewillige, uns morgen Vormittag um zehn Uhr zu empfangen; ich bitte mittlerweile Eure Majestät inständig, einen Nachfolger für mich zu wählen, der mich binnen vierundzwanzig Stunden, in Betracht der Dringlichkeit der Angelegenheit des Kriegsministeriums, ersetzen kann, und meine Entlassung anzunehmen.«

Er ließ diesen Brief durch seinen Secretär überbringen, um einer Antwort darauf sicher zu sein.

Der Secretär wartete bis Mitternacht und kam um halb ein Uhr mit folgendem Billet zurück:

»Ich werde morgen um zehn Uhr meine Minister sehen, und wir sprechen sodann über das, was Sie mir schreiben.«

Die Gegenrevolution zettelt sich augenscheinlich im Schlosse an.

Man hatte in der that Kräfte, auf die man rechnen konnte;

Eine constitutionelle Garde von sechstausend Mann, zwar verabschiedet, aber bereit, sich auf den ersten Ruf zu versammeln;

Sieben bis achttausend St. Ludwigs-Ritter, deren rothes Band das Erkennungszeichen war;

Drei Batallione Schweizer, jedes von sechzehnhundert Mann, eine Elitetruppe, unerschütterlich wie die alten helvetischen Felsen;

Sodann, besser als Alles dies, einen Brief von Lafayette, in welchem sich der Satz fand:

»Harren Sie aus, Sire! Stark durch Machtvollkommenheit, die Ihnen die Nationalversammlung zuerkannt hat, werden Sie alle gute Bürger um Ihren Thron geschaart finden!«

Man vernehme, was man thun konnte, was man im Sinne hatte:

Mit einem Pfiffe constitutionelle Garde, St. Ludwigs-Ritter und Schweizer versammeln;

An demselben Tag, zur selben Stunde die Kanonen der Sektionen nehmen; den Clubb der Jacobiner und die Nationalversammlung schließen; alle Royalisten der Nationalgarde vereinigen, – was ein Contingent von ungefähr fünfzehntausend Mann bilden würde, – und Lafayette erwarten, der in drei Tagen mit forcirten Märschen von den Ardennen kommen konnte.

Zum Unglück wollte die Königin nichts von Lafayette hören.

Lafayette war die gemäßigte Revolution, und nach der Ansicht der Königin konnte diese Revolution sich feststellen, ausdauern, Halt bekommen; die Revolution der Jacobiner würde im Gegentheil das Volk bald aufs Aeußerte treiben, und könnte keine Consistenz haben.

Oh! wenn Charny da gewesen wäre! doch man wußte nicht einmal, wo Charny war, und hätte man es auch gewußt, so wäre es eine zu große Erniedrigung, wenn nicht für die Königin, doch für die Frau gewesen, zu ihm seine Zuflucht zu nehmen.

Die Nacht verging im Schlosse stürmisch und in Berathungen; man hatte die Mittel zur Vertheidigung und sogar zum Angriffe, doch keine Hand, welche stark genug, um sie zu vereinigen und zu lenken.

Um zehn Uhr Morgens befanden sich die Minister beim König.

Das war am 16. Juni.

Der König empfing sie in seinem Zimmer.

Duranthon führte das Wort.

Im Namen Aller bat er, mit einer zarten und tiefen Ehrfurcht, um die Entlassung seiner Collegen und um die seine.

»Ja, ich begreife,« sagte der König, »die Verantwortlichkeit!«

»Sire,« rief Lacoste, »die königliche Verantwortlichkeit, ja; was uns betrifft, glauben Sie, wir sind bereit, für Eure Majestät zu sterben; aber für die Priester sterbend würden wir nur den Fall des Königthums beschleunigen!«

Ludwig XVI. wandte sich an Dumouriez und sagte zu ihm:

»Mein Herr, sind Sie immer noch der Gesinnung, die Ihr Brief von gestern gegen mich ausdrückte?«

»Ja, Sire,« antwortete Dumouriez, »wenn sich Eure Majestät nicht durch unsere Treue und unsere Ergebenheit besiegen läßt.«

»Nun wohl,« sprach der König mit düsterer Miene, »da Ihr Entschluß gefaßt ist, so nehme ich Ihre Entlassung an; ich werde die nöthigen Vorkehrungen treffen.«

Alle Vier verbeugten sich; Mourgues hatte sein Entlassungsgesuch schriftlich bei sich; er gab es dem König.

Die drei Andern trugen es mündlich vor.

Die Höflinge warteten im Vorzimmer; sie sahen die vier Minister herauskommen und erkannten an ihren Mienen, daß Alles beendigt war.

Die Einen freuten sich, die Andern erschraken darüber.

Die Atmosphäre wurde schwer wie an den heißen Sommertagen; man fühlte den Sturm kommen.

Vor der Thüre der Tuilerien traf Dumouriez den Commandanten der Nationalgarde, Herrn von Romainvilliers.

Er war so eben in aller Hast hier angekommen.

»Herr Minister,« sagte er, »ich laufe hierher, um Ihre Befehle einzuholen.«

»Ich bin nicht mehr Minister, mein Herr,« erwiederte Dumouriez.

»Man bemerkt aber Zusammenrottungen in den Vorstädten.«

»Lassen Sie sich die Befehle vom König geben.«

»Das drängt.«

»So beeilen Sie sich! Der König hat meine Entlassung angenommen.«

Herr von Romainvilliers sprang die Stufen hinab.

Am 17. Morgens sah Dumouriez die Herren von Chambounas und Lajard bei sich eintreten. Beide erschienen im Auftrage des Königs, Chambounas, um das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten, und Lajard, um das des Krieges in Empfang zu nehmen.

Der König erwartete am andern Morgen, am 18., Dumouriez, um mit ihm seine letzte Arbeit der Verrechnung und der geheimen Ausgaben abzuschließen.

Als man ihn wieder im Schlosse erscheinen sah, glaubte man, er kehre zu seinem Posten zurück, und man drängte sich um ihn, um ihm Glück zu wünschen.

»Meine Herren,« sagte Dumouriez, »nehmen Sie sich in Acht! Sie haben es nicht mit einem Manne zu thun, der zurückkehrt, sondern mit einem Manne, der abgeht: ich komme, um meine Rechenschaft abzulegen!«

Sogleich entstand ein leerer Raum um ihn.

In diesem Augenblicke meldete ein Huissier, der König erwarte Herrn Dumouriez in seinem Gemache.

Der König hatte seine ganze Heiterkeit wiedererlangt.

War das Seelenstärke? war es trügerische Sicherheit?

Dumouriez legte seine Rechenschaft ab.

Nachdem die Arbeit beendigt war, stand Dumouriez auf.

»Sie werden sich also wieder zur Armee von Luckner begeben?« sagte der König, während er sich in seinem Lehnstuhle zurückwarf.

»Ja, Sire; ich scheide mit Wonne von dieser gräulichen Stadt und habe nur ein Bedauern: daß ich Sie hier in Gefahr lasse.«

»In der That,« sprach der König mit anscheinender Gleichgültigkeit, »ich kenne die Gefahr, die mich bedroht!«

»Sire,« sagte Dumouriez, »Sie müssen einsehen, daß ich nun nicht mehr aus persönlichem Interesse zu Ihnen rede: einmal aus dem Conseil entfernt, bin ich auf immer von Ihnen getrennt; aus Treue also, im Namen der reinsten Anhänglichkeit, aus Vaterlandsliebe, für Ihr Heil, für das der Krone, der Königin, Ihrer Kinder, im Namen Alles dessen, was dem Herzen des Menschen theuer und heilig ist, flehe ich Eure Majestät an, sie möge nicht auf der Anwendung ihres Veto bestehen: diese Hartnäckigkeit wird zu nichts nützen, und Sie werden sich zu Grunde richten, Sire.«

»Reden Sie nicht mehr hiervon,« entgegnete ungeduldig Ludwig XVI.: »mein Entschluß ist gefaßt.«

»Sire! Sire! Sie haben mir dasselbe hier in diesem Zimmer vor der Königin gesagt, als Sie mir die Decrete zu sanctioniren versprachen.«

»Ich habe Unrecht gehabt, Ihnen dies zu versprechen, und ich bereue es.«

»Sire, ich wiederhole Ihnen, – es ist dies das letzte Mal, daß ich die Ehre habe, Sie zu sehen, verzeihen Sie also meine Freimüthigkeit: ich bin drei und fünfzig Jahre alt und besitze Erfahrung, – nicht, als Sie mir die Decrete zu sanctioniren versprachen, hatten Sie Unrecht, sondern heute, da Sie sich weigern, Ihr Versprechen zu halten, haben Sie Unrecht . . . Man mißbraucht Ihr Gewissen, Sire; man führt Sie zum Bürgerkriege; Sie sind ohne Macht, Sie werden unterliegen: und die Geschichte wird Ihnen, während sie Sie beklagt, vorwerfen, Sie haben die Mißgeschicke Frankreichs verursacht.«

»Die Mißgeschicke Frankreichs?« versetzte der König; »mir, behaupten Sie, werde man sie vorwerfen?«

»Ja, Sire.«

»Gott ist aber mein Zeuge, daß ich nur sein Glück will.«

»Ich bezweifle es nicht, Sire; Sie sind jedoch Gott nicht nur für die Reinheit, sondern auch für die erleuchtete Ausführung Ihrer Intentionen Rechenschaft schuldig. Sie glauben die Religion zu retten: Sie vernichten sie; die Priester werden umgebracht werden; Ihre zerbrochene Krone wird in Ihrem Blute, in dem der Königin, in dem Ihrer Kinder vielleicht rollen, o mein König! mein König!« rief Dumouriez.

Und er drückte fast erstickend seine Lippen auf die Hand, die ihm Ludwig XVI. reichte.

Da sprach der König mit einer Heiterkeit und einer Majestät, der man ihn nicht hätte sollen fähig halten:

»Sie haben Recht, ich bin auf den Tod gefaßt; und ich verzeihe ihn zum Voraus meinen Mördern . . . Sie haben mir gut gedient; ich schätze Sie und weiß Ihnen Dank für Ihre Empfindsamkeit . . . Gott befohlen, mein Herr!«

Und rasch aufstehend, zog sich der König in eine Fenstervertiefung zurück.

Dumouriez nahm langsam seine Papiere zusammen, um Zeit zu haben, sein Gesicht den Umständen anzupassen, und dem König Zeit zu lassen, ihn zurückzurufen. Dann wandte er sich mit kleinen Schritten nach der Thüre, bereit, auf das erste Wort, das ihm der König sagen würde, zurückzukommen; doch dieses erste Wort war zugleich das letzte.

»Gott besohlen, mein Herr! seien Sie glücklich!« sagte der König.

Nach diesen Worten war es nicht möglich, einen Augenblick länger zu bleiben.

Dumouriez ging ab.

Das Königthum hatte mit seiner letzten Stütze gebrochen; der König hatte seine Larve abgenommen.

Er stand mit entblößtem Gesichte vor dem Volke.

Sehen wir, was es seinerseits that, – dieses Volk.

CXXXIX
Eine Zusammenkunft in Charenton

Ein Mann war den ganzen Tag im Faubourg Saint-Antoine, in Generalsuniform, auf einem dicken flämischen Rosse hin- und hergeritten, hatte rechts und links die Hände gedrückt, hier die schönen Mädchen geküßt, dort den jungen Leuten zu trinken bezahlt.

Das war einer von den sechs Erben von Lafayette, der Bataillonschef Santerre.

Bei ihm, wie ein Adjutant bei seinem General reiten würde, ritt auf einem kräftigen Pferde ein Mann, in welchem man nach seiner Tracht einen Patrioten vom Lande erkennen konnte.

Eine Narbe ließ ihre Spur auf seiner Stirne, und wie der Bataillonschef ein treuherziges Lächeln, ein offenes Gesicht hatte, so hatte er ein finsteres Auge, eine drohende Physiognomie.

»Haltet Euch bereit, meine guten Freunde, wachet über die Nation! Die Verräther haben sich gegen sie verschworen, doch wir sind da,« sagte Santerre.

»Was sollen wir thun, Herr Santerre?« fragten die Vorstädter. »Sie wissen, daß wir Ihnen gehören! Wo sind die Verräther? führen Sie uns gegen sie.«

»Wartet,« erwiederte Santerre. »Wenn der Augenblick gekommen ist! . . . «

»Und der Augenblick kommt?«

Santerre wußte es nicht; doch aufs Gerathewohl antwortete er:

»Ja, ja, seid ruhig, man wird Euch davon in Kenntniß setzen.«

Und der Mann, der Santerre folgte, neigte sich auf den Hals eines Pferdes, sprach gewissen Leuten, die er an gewissen Zeichen erkannte, ins Ohr und sagte zu Ihnen:

»Am 20. Juni am 20. Juni! Am 20. Juni!«

Und die Leute gingen mit diesem Datum: auf zehn, zwanzig, dreißig Schritte bildete sich eine Gruppe um sie, und das Datum kreiste: »Am 20. Juni!«

Was würde man am 20. Juni thun? Man wußte es nicht; was man aber wußte, war, man würde etwas thun.

Unter der Zahl der Menschen, denen dieses Datum mitgetheilt worden, konnte man einige erkennen, die den schon von uns erzählten Ereignissen nicht fremd sind.

 

Saint-Huruge, den wir am 5. October Morgens, vom Garten des Palais-Royal eine erste Schaar nach Versailles führend, haben abgehen sehen; Saint-Huruge, dieser von seiner Frau vor 1789 betrogene Ehemann, in die Bastille gesetzt, am 14. Juli befreit, und sich am Adel und am Königthum für seine ehelichen Mißgeschicke und seine ungesetzliche Einkerkerung rächend.

Verrières, – nicht wahr, Sie kennen ihn? – er ist uns zweimal erschienen, dieser bis ans Kinn gespaltene Buckelige der Apokalypse: einmal in der Schenke von Sèvres mit Marat und dem als Frau verkleideten Herzog von Aiguillon; ein andermal auf dem Marsfelde einen Augenblick, ehe das Feuer begann.

Fournier der Americaner, der durch die Räder eines Wagens auf Lafayette geschossen hat, und dessen Flinte versagte; er verspricht sich diesmal einen Höheren Punkt, als den Commandanten der Nationalgarde zu treffen, und damit sein Gewehr nicht versagte, wird er mit einem Schwerte schlagen.

Herr von Beausire, der die Zeit, die wir ihn im Schatten gelassen, nicht benützt hat, um sich zu bessern; Herr von Beausire, der Mademoiselle Oliva aus den Händen des sterbenden Mirabeau wiederangenommen, wie der Chevalier des Grieux Manon Lescaut aus den Händen wiedernahm, die, nachdem sie sie einen Augenblick aus dem Kothe aufgehoben, dieselbe wieder in den Schlamm fallen ließen.

Monchy, ein krummes, hinkendes, säbelbeiniges Männchen, aufgeputzt mit einer ungeheuren dreifarbigen Schärpe, die ihm den halben Leib bedeckt, Municipalbeamter, Friedensrichter, was weiß ich?

Gonchon, der Mirabeau des Volkes, den Pitou noch häßlicher fand als den Mirabeau des Adels; Gonchon, der mit dem Aufruhr verschwand, wie in einem Zauberstücke, um später und immer hitziger, immer erschrecklicher, immer giftiger wiederzuerscheinen, der Dämon verschwindet, dessen der Autor für den Augenblick nicht bedarf.

Sodann, mitten unter dieser ganzen um die Ruinen der Bastille, wie auf einem zweiten Aventinischen Berge, versammelten Menge ging ein junger Mann hin und her, – mager, bleich, mit glatten Haaren, mit Augen voller Blitze, einsam wie der Adler, den er später zum Emblem nehmen sollte, Niemand kennend und Niemand bekannt.

Das war der Artillerielieutenant Bonaparte, zufällig im Urlaub in Paris, der junge Mann, über den wie man sich erinnert, am Tage, wo er bei den Jacobinern erschienen war, Cagliostro Gilbert eine so seltsame Prophezeiung gemacht hatte.

Durch wen war diese ganze Menge in Bewegung gesetzt, angereizt? Durch einen Mann mit der mächtigen Halsgestalt, mit der Löwenmähne, mit der brüllenden Stimme, den Santerre, nach Hause kehrend, in seiner Hinterbude, wo er ihn erwartete, finden sollte, – durch Danton!

Das ist die Stunde, wo der furchtbare Revolutionsmann, – der uns nur durch den Lärm, den er im Parterre des Théâtre-Francis bei der Vorstellung von Karl IX. von Chénier gemacht hat, und durch seine entsetzliche Beredtsamkeit auf der Tribüne der Cordeliers bekannt ist, – wirklich auf der politischen Bühne erscheint, von der er seine Riesenarme ausstrecken soll?

Woher kommt die Macht dieses Menschen, der so unheilvoll für das Königthum sein wird? Von der Königin selbst!

Sie hat Lafayette nicht bei der Mairie von Paris haben wollen, die haßerfüllte Oesterreicherin; sie hat ihm Pétion vorgezogen, der Mann der Reise von Varennes, der sich, kaum auf der Mairie, durch seinen Befehl, die Tuilerien zu überwachen, mit dem König in Kampf gesetzt.

Pétion hatte zwei Freunde, die er zu seiner Rechten und seiner Linken an des Tage führte, wo er vom Stadthause Besitz ergriff: Manuel zu seiner Rechten, Danton zu seiner Linken.

Er hatte Manuel, zum Anwalt der Commune gemacht, Danton zu seinem Substituten.

Vergniaud hatte, nach den Tuilerien deutend, auf der Tribüne gesagt:

»Der Schrecken ist so oft aus diesem unseligen Palaste im Namen des Despotismus hervorgegangen; er kehre dahin im Namen des Gesetzes zurück!«

Nun, es war die Stunde gekommen, durch einen materiellen Act das schöne und furchtbare Bild des Redners der Gironde zu übersetzen; man mußte den Schrecken im Faubourg Saint-Antoine holen und ihn mit seinem mißtönigen Geschrei und seinen gekrümmten Armen in den Palast von Catharina von Medici treiben.

Wer konnte ihn besser hervorrufen, als der entsetzliche revolutionäre Zauberer, den man Danton nannte?

Danton hatte breite Schultern, eine mächtige Hand, eine athletische Brust, in der ein starkes Herz schlug; Danton, das war der Tamtam der Revolution; den Schlag, den er empfing, gab er sogleich durch ein gewaltiges Vibriren zurück, das sich auf die Menge, diese berauschend, verbreitete; Danton berührte einerseits das Volk durch Hubert, andererseits den Thron durch den Herzog von Orleans. Danton, zwischen dem Contremarquenhändler an der Straßenecke und dem königlichen Prinzen an der Ecke des Thrones, Danton hatte vor sich ein ganzes vermittelndes Clavier, von dem jede Taste mit einer socialen Fiber correspondirte.

Werft die Blicke auf diese Tonleiter! sie durchläuft zwei Octaven und ist im Einklange mit seiner mächtigen Stimme:

Hébert, Legendre, Gonchon, Rossignol, Momore, Brune, Huguénin, Rotondo, Santerre, Fabre d’Eglantine, Camille Desmoulins, Dugazon, Lazuski, Sillery, Genlis, der Herzog von Orleans.

Denn bemerke wohl, daß wir hier nur die sichtbaren Grenzen setzen. Wer wird uns nun sagen, wie tief sie hinabgeht, und wie hoch sie sich erhebt, diese Macht, über deren Grenzen unser Auge sich verliert?

Diese Macht war es, die den Faubourg Saint-Antoine aufwiegelte.

Schon am 16. nimmt ein Danton ergebener Mann, der Pole Lazuski, Mitglied des Rathes der Commune, die Sache in Angriff.

Er kündigt im Rathe an, am 20. Juni werden die zwei Vorstädte, der Faubourg Saint-Antoine und der Faubourg Saint-Marceau, der Nationalversammlung und dem König Petitionen in Beziehung auf das Veto über das die Priester betreffende Decret überreichen, und sie werden zugleich auf der Terrasse der Feuillants einen Freiheitsbaum zum Andenken an die Sitzung vom Ballhause und an den 20. Juni 1789 pflanzen.

Der Rath verweigert seine Genehmigung.

»Man wird sie entbehren können,« flüsterte Danton Lazuski ins Ohr.

Und Lazuski wiederholte laut: »Man wird sie entbehren können.«

Das Datum des 20. Juni hatte folglich eine sichtbare Bedeutung und eine verborgene Bedeutung.

Die eine, die der Vorwand war: dem König eine Petition überreichen und einen Freiheitsbaum pflanzen.

Die andere, die das nur einigen Adepten bekannte Ziel war: Frankreich von Lafayette und den Feuillants erretten, und den unverbesserlichen König, den König des alten Regime, davon unterrichten, es gebe politische Stürme, in denen ein Monarch mit seinem Throne, mit seiner Krone, mit seiner Familie untergehen könne, wie in den Abgründen des Oceans ein Schiff mit Mann und Maus versinkt.

Danton erwartete, wie gesagt, Santerre in seiner Hinterbude. Er hatte ihm am vorhergehenden Tage durch Legendre sagen lassen, er brauche am nächsten Tage einen Anfang von Aufstand im Faubourg Saint-Antoine.

Am andern Tage war sodann Billot beim patriotischen Bierbrauer erschienen, hatte das Erkennungszeichen gemacht und ihm angekündigt, der Ausschuß gebe ihn für den ganzen Tag seiner Person bei.

Darum wußte Billot, während er das Ansehen hatte, als sei er der Adjutant von Santerre, mehr als Santerre selbst.

Danton hatte sich mit Santerre auf die Nacht des kommenden Tages in einem kleinen Hanse in Charenton, das auf dem rechten User der Marne, am Ende der Brücke lag, zusammenbestellt.

Hier sollten sich alle jene Männer mit den seltsamen, unbekannten Existenzen treffen, die man immer den Lauf der Aufstände lenkend findet.

Jeder war pünktlich beim Rendez-vous.

Die Leidenschaften von allen diesen Menschen waren verschieden. Wo hatten sie ihren Ursprung genommen? Darüber wäre eine ganze düstere Geschichte zu schreiben.

Einige handelten ans Liebe für das Vaterland; Viele, wie Billot, aus Rache für empfangene Beleidigungen; eine noch größere Zahl aus Haß, aus Nothdurft, aus schlechten Instincten.

Im ersten Stocke war ein geschlossenes Zimmer, in das nur die Häupter einzutreten das Recht hatten; sie kamen daraus herab, mit genauen, scharfen Instructionen: man hätte glauben sollen, es sei ein Tabernakel, wo ein unbekannter Gott die Aussprüche von sich gebe.

Ein riesiger Plan von Paris war auf einem Tische aufgelegt.