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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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CXXXVI
Das Veto

Als der Vorhang niedergefallen war, wurde die Thüre wieder geöffnet.

»Sire,« sagte Dumouriez, »auf den Antrag von Herrn Vergniaud ist das Decret gegen die Priester so eben durchgegangen.«

»Oh!« rief der König, indem er aufstand, »das ist eine Verschwörung. Und wie ist das Decret abgefaßt?«

»Hier ist es, Sire, Herr Duranthon brachte es für Sie, Sire. Ich dachte, Eure Majestät würde mir die Ehre erweisen, mir allein ihre Meinung darüber zu sagen, ehe sie von dieser Sache im Cabinetsrathe spräche.«

»Sie haben Recht.

Geben Sie mir dieses Papier.« Und mit einer vor Aufregung zitternden Stimme las der König das Decret, dessen Inhalt wir schon gegeben haben.

Nachdem er gelesen, zerknitterte er das Papier in seinen Händen und warf es weit von sich.

»Nie werde ich ein solches Decret sanctioniren!« sagte er.

»Sire,« sprach Dumouriez, »entschuldigen Sie, daß ich diesmal einer der Eurer Majestät entgegengesetzten Ansicht bin.«

»Mein Herr, ich kann in politischen Dingen unschlüssig sein, in religiösen nie. In politischen Dingen urtheile ich mit meinem Geiste, und der Geist kann sich irren; in religiösen Dingen urtheile ich mit meinem Gewissen, und das Gewissen ist unfehlbar.«

»Sire,« entgegnete Dumouriez, »vor einem Jahre haben Sie das Decret über den Eid der Priester sanctionirt.«

»Ei! mein Herr,« rief der König, »ich bin genöthigt worden, dies zu thun!«

»Sire, hierbei hätten Sie Ihr Veto aussprechen müssen; das zweite Decret ist nur die Consequenz des ersten. Das erste hat alle Uebel Frankreichs herbeigeführt; das zweite ist das Mittel gegen diese Uebel: es ist hart, aber nicht grausam; das erste war ein religiöses Gesetz: es griff die Denkfreiheit in Dingen des Cultus an. Dieses ist ein politisches Gesetz, das nur die Sicherheit und die Ruhe des Königreichs betrifft; es ist die Sicherheit der nicht beeidigten Priester gegen die Verfolgung. Weit entfernt, sie durch Ihr Veto zu retten, nehmen Sie ihnen den Beistand des Gesetzes, setzen Sie dieselben der Gefahr der Ermordung aus, und treiben Sie die Franzosen an, ihre Henker zu werden. Es ist also meine Ansicht, Sire – verzeihen Sie die Offenherzigkeit eines Soldaten, – es ist meine Ansicht, daß, da Sie, ich wage es zu sagen, den Fehler begangen haben, das Decret über den Eid der Priester zu sanctioniren, Ihr Veto bei diesem zweiten Decrete angewendet, welches die Ströme des Blutes, das vergossen werden soll, aufhalten kann, auf das Gewissen Eurer Majestät alle Verbrechen laden wird, zu denen sich das Volk hinreißen läßt.«

»Zu was für Verbrechen soll es sich denn hinreißen lassen? zu was für Verbrechen, die größer als diejenigen, welche es schon begangen hat?« sagte eine Stimme, die aus der Tiefe des Gemaches kam.

Dumouriez bebte bei diesem vibrirenden Tone; er hatte den metallischen Klang der Stimme der Königin erkannt.

»Ah! Madame,« sagte er, »ich hätte lieber Alles mit dem König zu Ende gebracht.«

»Mein Herr,« erwiederte die Königin mit einem bittern Lächeln für Dumouriez und einem beinahe verächtlichem Blicke für den König, »ich habe nur eine Frage an Sie zu machen.«

»Welche, Madame?«

»Glauben Sie, daß der König noch länger die Drohungen von Roland, die Unverschämtheiten von Clavières und die Schurkereien von Servan ertragen soll?«

»Nein, Madame,« erwiederte Dumouriez, »ich bin hierüber entrüstet wie Sie; ich bewundere die Geduld des Königs, und wenn dieser Punkt zur Sprache kommt, werde ich es wagen, den König zu bitten, er möge sein Ministerium ganz und gar wechseln.«

»Ganz und gar?« versetzte der König.

»Ja; Eure Majestät entlasse uns alle Sechs, und sie wähle, wenn sie solche finden kann, Männer, welche keiner Partei angehören.«

»Nein, nein,« versetzte der König; »nein, Sie sollen bleiben, Sie und der gute Lacoste, und Duranthon auch; thun Sie mir aber den Gefallen, mich von diesen drei unverschämten Meuterern zu befreien; denn ich schwöre Ihnen, mein Herr, meine Geduld ist zu Ende.«

»Die Sache ist gefährlich.«

»Und Sie weichen vor der Gefahr zurück?« sagte die Königin.

»Nein, Madame,« erwiederte Dumouriez, »nur werde ich meine Bedingungen machen.«

»Ihre Bedingungen?« rief hoffärtig die Königin.

Dumouriez verbeugte sich.

»Sprechen Sie, mein Herr,« sagte der König.

»Sire,« sprach Dumouriez, »ich bin den Streichen von drei Parteien, welche Paris theilen, bloßgestellt. Girondisten, Feuillants, Jacobiner schlagen gegen mich um die Wette; ich bin völlig der Popularität beraubt und da man nur durch die öffentliche Meinung einige Fäden der Regierung festhalten kann, so kann ich Ihnen wirklich nur unter einer Bedingung nützlich sein.«

»Unter welcher?«

»Daß man laut sagt, Sire, ich sei mit meinen zwei Collegen nur geblieben, um die zwei Decrete, welche so eben erlassen worden, zu sanctioniren.«

»Das kann nicht sein!« rief der König.

»Unmöglich! unmöglich!« wiederholte die Königin.

»Sie schlagen dies aus?«

»Mein grausamster Feind würde mir nicht härtere Bedingungen, als die, welche Sie mir machen, auferlegen,« sagte der König.

»Sire, so wahr ich ein Edelmann bin, bei meiner Soldatenehre, ich glaube, daß sie für Ihre Sicherheit nothwendig sind,« sprach Dumouriez.

Sodann sich an die Königin wendend:

»Madame, wenn es nicht für Sie selbst ist, wenn die unerschrockene Tochter von Maria Theresia nicht nur die Gefahr verachtet, sondern sogar, nach dem Beispiele ihrer Mutter, bereit ist, derselben entgegenzugehen, so bedenken Sie, daß Sie nicht allein sind, denken Sie an den König, denken Sie an Ihre Kinder; statt sie an den Abgrund zu treiben, verbinden Sie sich mit mir, um Seine Majestät am Rande des Abgrundes, gegen den sich der Thron neigt, zurückzuhalten! Habe ich die Sanction der Decrete für nothwendig erachtet, ehe Seine Majestät gegen mich ihren Wunsch ausdrückte, von diesen zwei Meuterern, die ihr beschwerlich sind, befreit zu werden,« fügte er bei, indem er sich an den König wandte, »so beurtheilen Sie, wie sehr ich sie, wenn es sich darum handelt, dieselben zu entfernen, für unerläßlich halten muß; entlassen Sie die Minister, ohne die Decrete zu sanctioniren, so wird das Volk zwei Motive haben, ans Sie aufgebracht zu sein: es wird Sie als einen Feind der Constitution ansehen, und die entlassenen Minister werden in seinen Augen für Märtyrer gelten, und ich stehe nicht dafür, daß binnen wenigen Tagen nicht die gewichtigsten Ereignisse zugleich Ihre Krone und Ihr Leben in Gefahr setzen. Ich für meine Person mache Eure Majestät zum Voraus daraus aufmerksam, daß ich nicht, selbst um ihr zu dienen, ich sage nicht gegen meine Grundsätze, sondern gegen meine Ueberzeugungen gehen kann. Duranthon und Lacoste denken wie ich; ich habe jedoch keinen Auftrag, für sie zu sprechen. Ich, was mich betrifft, das habe ich Ihnen gesagt, Sire, und ich wiederhole es, werde nur im Ministerium bleiben, wenn Eure Majestät die zwei Decrete sanctionirt.«

Der König machte eine Bewegung der Ungeduld.

Dumouriez verbeugte sich und ging nach der Thüre.

Der König wechselte einen raschen Blick mit der Königin.

»Mein Herr!« rief diese.

Dumouriez blieb stehen.

»Bedenken Sie doch, wie hart es für den König ist, ein Decret zu sanctioniren, das nach Paris zwanzigtausend Schufte führt, die uns umbringen können!«

»Madame,« erwiederte Dumouriez, »ich weiß, die Gefahr ist groß; darum muß man ihr ins Gesicht schauen und sie nicht übertreiben. Das Decret sagt, die executive Gewalt werde den Ort der Zusammenkunft dieser zwanzigtausend Mann bezeichnen, welche nicht lauter Schufte sind; es sagt auch, der Kriegsminister werde ihnen Officiere und eine Organisationsweise geben.«

»Aber, mein Herr, der Kriegsminister ist Servan!«

»Nein, Sire: der Kriegsminister bin ich von dem Augenblicke an, wo Servan sich zurückzieht.«

»Ah! ja, Sie?« sagte der König.

»Sie werden also das Kriegsministerium übernehmen?« fragte die Königin.

»Ja, Madame, und ich werde hoffentlich gegen Ihre Feinde das über Ihrem Haupte schwebende Schwert drehen.«

Der König und die Königin schauten sich aufs Neue an, als wollten sie sich miteinander berathen.

»Nehmen Sie an,« fuhr Dumouriez fort, »ich bezeichne Soissons als Platz für das Lager, ich ernenne dort als Commandanten einen festen und verständigen Generallieutenant mit zwei guten Generalmajoren, man wird diese Leute in Bataillons formiren; sowie vier bis fünf vorhanden sind, wird der Minister Gesuche der Generale benützen, um sie an die Grenze zu schicken, und dann, Sie sehen es wohl, Sire, wird dieses, in schlimmer Absicht gemachte Decret, weit entfernt, schädlich zu sein, nützlich werden.«

»Sind Sie aber sicher, daß Sie die Erlaubniß erhalten, die Versammlung in Soissons stattfinden zu lassen?« fragte der König.

»Ich stehe dafür.«

»Dann übernehmen Sie das Kriegsministerium.«

»Sire,« sagte Dumouriez, »beim Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten habe ich nur eine leichte, mittelbare Verantwortlichkeit; ganz anders ist es beim Kriegsministerium! Ihre Generale sind meine Feinde; Sie haben ihre Schwäche gesehen; ich werde für ihre Fehler verantwortlich sein; doch es handelt sich um das Leben Eurer Majestät, um die Sicherheit der Königin, um die ihrer erhabenen Kinder, um die Aufrechthaltung der Constitution, und ich nehme an! Ueber diesen Punkt, Sire, über die Sanction des Decrets die zwanzigtausend Mann betreffend, sind wir also einverstanden?«

»Sind Sie Kriegsminister, mein Herr, so verlasse ich mich ganz auf Sie.«

»Kommen wir nun auf das Decret hinsichtlich der Priester.«

»Dieses, mein Herr, werde ich, wie ich Ihnen schon gesagt habe, nie sanctioniren.«

»Sire, dadurch, daß Sie das erste sanctionirten, haben Sie sich selbst in die Nothwendigkeit versetzt, das zweite zu sanctioniren.«

 

»Ich habe einen ersten Fehler gemacht, den ich mir vorwerfe, das ist aber kein Grund, um einen zweiten zu machen.«

»Sire, sanctioniren Sie dieses Decret nicht, so wird der zweite Fehler noch viel größer sein, als der erste.«

»Sire!« sagte die Königin.

Der König wandte sich gegen Marie Antoinette um.

»Und Sie auch, Madame?«

»Sire, ich muß gestehen, daß ich bei diesem Punkte und nach den Erklärungen, die er uns gegeben hat, der Ansicht von Herrn Dumouriez bin.«

»Nun wohl, dann . . . « sprach der König.

»Dann, Sire . . . wiederholte Dumouriez.

»Ich willige ein, doch unter der Bedingung, daß Sie mich so bald als möglich von den drei Meuterern befreien.«

»Glauben Sie, Sire,« erwiederte Dumouriez, »ich werde die erste Gelegenheit ergreifen, und diese Gelegenheit, dessen bin ich sicher, Sire, wird nicht auf sich warten lassen.«

Und er verbeugte sich vor dem König und der Königin und ging ab.

Beide folgten mit den Augen dem neuen Kriegsminister, bis die Thüre wieder geschlossen war.

»Sie haben mir gewinkt, daß ich annehmen soll,« sprach der König; »was haben Sie mir nun zu sagen?«

»Nehmen Sie vor Allem das Decret in Betreff der zwanzigtausend Mann an,« erwiederte die Königin; »lassen Sie ihn sein Lager in Soissons machen, lassen Sie ihn seine Leute zerstreuen, und hernach . . . Nun, wohl, hernach werden Sie sehen, was Sie hinsichtlich des Decretes über die Priester zu thun haben.«

»Er wird mich an mein Wort mahnen, Madame.«

»Gut! er wird compromittirt sein, und Sie werden ihn festhalten.

»Er wird im Gegentheil mich festhalten, Madame; er wird mein Wort haben.«

»Bah!« versetzte die Königin, »es gibt ein Mittel hierfür, wenn man ein Zögling von Herrn de la Vauguyon ist!«

Und sie nahm den Arm des Königs und zog ihn in das anstoßende Zimmer fort.

CXXXVII
Die Gelegenheit

Der wahre Krieg des Augenblicks wurde, wie gesagt, zwischen der Rue Guénégaud und den Tuilerien, zwischen der Königin und Madame Roland geführt.

Seltsamer Weise hatten die zwei Frauen auf ihre Männer einen Einfluß, der sie alle Vier zum Tode führte.

Nur ging Jeder auf einem entgegengesetzten Wege dahin.

Die von uns so eben erzählten Ereignisse waren am 10. Juni vorgefallen; am Abend des 11. Juni trat Servan ganz freudig bei Madame Roland ein.

»Wünschen Sie mir Glück, liebe Freundin,« sagte er; »ich habe die Ehre, aus dem Conseil gejagt worden zu sein.«

»Wie dies?« fragte Madame Roland.

»Die Sache verhält sich ganz genau so: Diesen Morgen begab ich mich zum König, um mit ihm über einige Angelegenheiten meines Departements zu sprechen, und nachdem dies beendigt war, nahm ich warm die Frage über das Lager von zwanzigtausend Mann in Angriff; aber . . . «

»Aber . . . «

»Beim ersten Worte, das ich hiervon sagte, wandte mir der König sehr übler Laune den Rücken zu, und heute Abend hat mir Herr Dumouriez im Namen Seiner Majestät das Portefeuille des Krieges wieder abgenommen.«

»Dumouriez?«

»Ja.«

»Er spielt da eine garstige Rolle, was mich aber nicht wundert. Fragen Sie Roland, was ich ihm über diesen Menschen an dem Tage sagte, wo ich ihn zum ersten Male sah. Ueberdies sind wir davon unterrichtet, daß er täglich Besprechungen mit der Königin hat.«

»Das ist ein Verräther!«

»Nein, doch ein Ehrgeiziger. Holen Sie Roland und Clavières.«

»Wo ist Roland?«

»Er gibt Audienzen im Ministerium des Innern.«

»Und Sie, was werden Sie mittlerweile machen?«

»Einen Brief, den ich Ihnen bei Ihrer Rückkehr mittheilen werde . . . Gehen Sie.«

»Sie sind wahrhaftig die berühmte Göttin Vernunft, welche die Philosophen seit so langer Zeit anrufen.«

»Und die die Leute von Gewissen gefunden haben . . . Kommen Sie nicht ohne Clavières zurück.«

»Diese Ermahnung wird wahrscheinlich einen Verzug veranlassen.«

»Ich brauche eine Stunde.«

»Arbeiten Sie! und der Genius Frankreichs inspirire Sie.«

Servan ging ab. Als die Thüre kaum geschlossen war, saß Madame Roland an ihrem Bureau und schrieb folgenden Brief:

»Sire,

»Der gegenwärtige Zustand Frankreichs kann nicht länger fortwähren: das ist eine Krise, deren Heftigkeit den höchsten Grad erreicht hat; sie muß mit einem Ausbruche endigen, der Eure Majestät eben so sehr interessiren soll, als er von gewichtiger Bedeutung für das ganze Reich ist.

»Mit Ihrem Vertrauen beehrt und auf einen Posten gestellt, wo ich die Wahrheit sehen muß, wage ich es, sie Ihnen zu sagen; das ist eine Verpflichtung, die mir durch Sie selbst auferlegt wird. Die Franzosen haben sich eine Constitution gegeben; sie hat Unzufriedene und Rebellen gemacht; die Majorität der Nation will sie aufrecht erhalten; sie hat geschworen, sie um den Preis ihres Blutes zu vertheidigen, und mit Freuden hat sie den Bürgerkrieg gesehen, der ihr ein großes Mittel sie zu sichern bot. Doch die Minorität bat, unterstützt durch Hoffnungen, alle ihre Kräfte zusammengerafft, um den Vortheil zu erringen; hiervon dieser innere Krieg gegen die Gesetze, diese Anarchie, über welche die guten Bürger seufzen und die die Böswilligen sich zu Nutze zu machen besorgt gewesen sind, um das neue Regime zu verleumden; hiervon die überall erregte Spaltung, denn nirgends besteht Gleichgültigkeit: man will entweder den Sieg oder die Abänderung der Constitution; man handelt, um sie aufrecht zu halten oder um sie zu verwandeln. Ich enthalte mich, zu prüfen, was sie an und für sich ist, um nur zu erwägen, was die Umstände heischen, und indem ich mich der Sache so viel als möglich fremd mache, suche ich, was man erwarten kann und was zu begünstigen sich geziemt.

»Eure Majestät genoß große Prärogative, von denen sie glaubte, sie gehören dem Königthum; erzogen in der Idee, sie sich zu bewahren, konnte sie sich dieselben nicht mit Vergnügen nehmen sehen: das Verlangen, dieselben sich zurückgeben zu lassen, war ebenso natürlich, als das Bedauern, sie vernichten zu sehen. Diese Gefühle, welche der Natur des menschlichen Herzens gleichsam ankleben, mußten an der Berechnung der Feinde der Revolution Theil nehmen; sie zählten also auf eine geheime Gunst, bis die Umstände eine erklärte Protection erlauben würden. Es konnten diese Gesinnungen der Nation selbst nicht entgehen, und sie mußten sie im Mißtrauen erhalten. Eure Majestät war daher beständig in der Alternative, ihren ersten Gewohnheiten, ihren Privatneigungen nachzugeben, oder durch die Philosophie dictirte, durch die Nothwendigkeit geforderte Opfer zu bringen; folglich die Rebellen dadurch kühn zu machen, daß Sie die Nation beunruhigten, oder diese dadurch zu beschwichtigen, daß Sie sich mit ihr verbanden. Alles hat sein Ziel, und das der Ungewißheit ist endlich gekommen.

»Kann Eure Majestät heute sich offen mit denjenigen verbinden, welche die Constitution abzuändern sich bestreben, oder muß sie sich edelmüthig und ohne Rückhalt dem weihen, daß sie ihr den Sieg verschafft? Das ist die wahre Frage, deren Lösung der gegenwärtige Zustand der Dinge unvermeidlich macht.

»Was die sehr metaphysische Frage betrifft, ob die Franzosen für die Freiheit reif seien, so ist ihre Erörterung hier ohne Werth, denn es handelt sich nicht darum, zu beurtheilen, was in einem Jahrhundert aus uns wird geworden sein, sondern zu sehen, wozu die gegenwärtige Nation fähig ist.

»Die Erklärung der Menschenrechte ist ein politisches Evangelium geworden und die französische Contitution eine Religion, für welche das Volk umzukommen bereit ist. Man ist in der Hitze zuweilen auch schon so weit gegangen, daß man das Gesetz ergänzt hat, und war dieses nicht streng genug, um die Störer im Zaume zu halten, so haben sich die Bürger erlaubt, sie selbst zu bestrafen. So sind Güter von Emigrierten oder von Personen, die man als zu ihrer Partei gehörend erkannte, den Verwüstungen, welche die Rache einflößte, preisgegeben gewesen; darum haben sich so viele Departements genöthigt gesehen, streng gegen die Priester zu verfahren, welche die öffentliche Meinung geächtet hatte, und aus denen sie Opfer gemacht haben würde.

»Bei diesem Zusammenstoß der Interessen haben alle Gefühle den Ausdruck der Leidenschaft angenommen. Das Vaterland ist kein Wort, das die Einbildungskraft aus Wohlgefallen verschönert hat; es ist ein Wesen, dem man Opfer gebracht, dem man sich alle Tage mehr durch die Besorgnisse, die es verursacht, anschließt, das man durch große Anstrengungen geschaffen hat, das sich mitten unter Unruhen erhebt, und das man eben so sehr durch das, was es kostet, als durch das, was man davon hofft, liebt.

Bis zu welchem Grade muß diese Begeisterung steigen in dem Augenblicke, wo die auswärts vereinigten feindlichen Kräfte sich mit den inneren Intriguen einverstehen, um die unseligsten Streiche zu führen!

»Die Gährung ist außerordentlich in allen Theilen des Reiches; sie wird auf eine furchtbare Art losbrechen, wenn sie nicht endlich ein durch die Vernunft begründetes Vertrauen zu besänftigen vermag; doch dieses Vertrauen wird sich nicht mit Betheuerungen wieder herstellen: es vermöchte nur Thatsachen zur Basis zu haben.

»Es ist für die französische Nation augenscheinlich, daß ihre Constitution fortschreiten kann, daß die Regierung jede Stärke, die ihr nothwendig ist, haben wird, sobald Eure Majestät durchaus den Sieg dieser Constitution will, darum den legislativen Körper mit der ganzen Macht der Vollziehung unterstützt und so den Besorgnissen des Volkes jeden Vorwand und den Unzufriedenen jede Hoffnung benimmt.

»So sind, zum Beispiel, zwei Beschlüsse gefaßt worden; beide interessieren wesentlich die öffentliche Ruhe und die Wohlfahrt des Staates. Die Verzögerung ihrer Sanction flößt Mißtrauen ein; zieht sie sich in die Länge, so wird sie Unzufriedenheit verursachen, und ich muß sagen: bei der gegenwärtigen Gährung der Geister kann die Unzufriedenheit zu Allem führen!

»Es ist nicht mehr Zeit, zurückzuweichen; es ist sogar nicht mehr möglich; zu temporisiren. Die Revolution ist in den Geistern gemacht; sie wird sich um den Preis des Blutes vollenden und mit diesem besiegelt werden, kommt die Weisheit nicht Mißgeschicken zuvor, die sich noch vermeiden lassen.

»Ich weiß, daß man sich einbilden kann, man vermöge Alles zu bewerkstelligen und Alles im Zaume zu halten durch extreme Maßregeln; hätte man aber die Gewalt angewendet, um die Nationalversammlung zu zwingen, hätte man den Schrecken in Paris, die Spaltung und die Bestürzung in seinen Umgebungen verbreitet, so würde sich ganz Frankreich mit Entrüstung erheben und, sich selbst in den Gräueln eines Bürgerkrieges zerreißend, jene finstere Energie, die Mutter der Tugenden und der Verbrechen, entwickeln, die immer unheilvoll für diejenigen, welche sie hervorgerufen haben.

»Die Wohlfahrt des Staates und das Glück Eurer Majestät sind innig verbunden; keine Macht ist im Stande, sie zu trennen; grausame Bangigkeiten und sichere Unglücksfälle werden Ihren Thron umgeben, wird er nicht durch Sie selbst auf die Grundlagen der Constitution gestützt und befestigt in dem Frieden, den ihre Aufrechthaltung uns endlich verschaffen muß.

»Die Stimmung der Geister, der Lauf der Dinge die Gründe der Politik, das Interesse Eurer Majestät machen somit die Obliegenheit, sich mit dem gesetzgebenden Körper zu vereinigen und dem Wunsche der Nation zu entsprechen, unerläßlich; sie machen eine Nothwendigkeit aus dem, was die Principien als eine Pflicht darstellen; die diesem liebreichen Volke natürliche Empfänglichkeit ist aber bereit, ein Motiv der Dankbarkeit hierin zu finden. Man hat Sie grausam getäuscht, Sire, wenn man Ihnen Entfremdung oder Mißtrauen gegen dieses leicht zu rührende Volk einflößte; indem man Sie in beständiger Unruhe erhielt, hat man Sie zu einem Benehmen gebracht, das dieses Volk selbst beunruhigen mußte. Es sehe, daß Sie entschlossen sind, ihren Gang die Constitution, an die es seine Glückseligkeit geknüpft hat, nehmen zu lassen, und bald werden Sie der Gegenstand einer Dankesäußerungen sein.

»Das Benehmen der Priester an vielen Orten, die Vorwände, die der Fanatismus den Unzufriedenen lieferte, haben ein weites Gesetz gegen die Ruhestörer veranlaßt. Eure Majestät gebe ihm ihre Sanction! die öffentliche Ruhe fordert sie und das Heil der Priester verlangt danach; besteht dieses Gesetz nicht in Kraft, so werden die Departements genöthigt sein, ihm, wie sie es allenthalben thun, Gewaltsmaßregeln zu substituieren, und das aufgebrachte Volk wird durch Excesse dabei ergänzen.

»Die Versuche unserer Feinde, die Aufregung, die sich wiederholt in der Hauptstadt kundgegeben hat, die außerordentlichen Besorgnisse, welche das Benehmen Ihrer Garde einflößte, und die durch die Beweise von Zufriedenheit unterhalten werden, welche man ihr durch Eure Majestät in einer unter den obwaltenden Umständen wahrhaft unpolitischen Proclamation hat geben lassen, die Lage von Paris, seine Nähe bei der Grenze haben das Bedürfniß eines Lagers in seiner Nachbarschaft fühlbar gemacht; diese Maßregel, deren Weisheit und Dringlichkeit von allen guten Geistern entschieden anerkannt worden ist, erwartet nur noch die Sanction Eurer Majestät. Warum müssen ihr Zögerungen das Ansehen der Unlust geben, während ihr die Schnelligkeit alle Herzen gewinnen würde! Schon haben die Versuche des Generalstabs der Pariser Nationalgarde gegen diese Maßregel auf die Vermuthung geführt, er handle durch höhere Eingebung; schon erregen die Declamationen einiger übertriebenen Demagogen den Verdacht, sie stehen in Verbindung mit den beim Umsturze der Constitution Interessirten; schon compromittirt die öffentliche Meinung alle Intentionen Eurer Majestät. Noch ein Verzug, und das Volk wird betrübt in seinem König den Freund und Genossen der Verschwörer sehen.

 

»Gerechter Himmel! solltest du mit Blindheit die Mächte der Erde geschlagen haben, und werden sie immer nur Räthe hören, die sie zu ihrem Untergange fortreißen?

»Ich weiß, daß die strenge Sprache der Wahrheit selten beim Throne angenommen wird; ich weiß auch, daß, weil sie sich nie dort hörbar macht, die Revolutionen nothwendig werden; ich weiß besonders, daß ich sie gegen Eure Majestät führen muß, nicht nur als den Gesetzen untergebener Bürger, sondern auch als mit ihrem Vertrauen beehrter oder mit Functionen, die es voraussetzen, bekleideter Minister, und ich kenne nichts, was mich abhalten kann, eine Pflicht zu erfüllen, deren Bewußtsein ich habe.

»In demselben Geiste wiederhole ich Eurer Majestät meine Vorstellungen über die Verpflichtung und die Nützlichkeit, das Gesetz zu vollziehen, das einen Secretär im Conseil zu haben vorschreibt; schon die Existenz des Gesetzes allein spricht so mächtig, daß es scheinen sollte, der Vollzug müsse ohne Aufschub erfolgen; es ist aber wichtig, den Berathungen den erforderlichen Ernst, die nothwendige Weisheit und Reife zu erhalten, und verantwortliche Minister brauchen ein Mittel, ihre Meinungen zu constatieren: hätte dieses bestanden, so würde ich mich in gegenwärtigem Augenblicke nicht schriftlich an Eure Majestät wenden.

»Das Leben ist nichts für einen Mann, der seine Pflichten höher als Alles achtet; doch nach dem Glücke, sie erfüllt zu haben, ist das einzige Gut, für das er noch empfänglich ist, das, zu beweisen, daß er sie mit Treue erfüllt hat, und selbst dies ist eine Verbindlichkeit für den Staatsmann.

»Am 10. Juni 1792, im Jahre IV der Freiheit.«

Der Brief war vollendet; er war in einem Zuge geschrieben worden, als Servan, Clavières und Roland zurückkamen.

Mit zwei Worten setzte Madame Roland den Plan den drei Freunden auseinander.

Der Brief, den man unter Dreien lesen würde, sollte am andern Tage den drei abwesenden Ministern vorgelesen werden: Duranthon, Lacoste und Dumouriez.

Sie würden ihn entweder gut heißen und ihre Unterschrift der von Roland beisetzen, oder sie würden ihn verwerfen, und Servan, Clavières und Roland würden collectiv ihre Entlassung nehmen, welche motiviert wäre durch die Weigerung ihrer Collegen, einen Brief zu unterzeichnen, der den drei so eben Genannten die wahre Meinung Frankreichs auszudrücken schien.

Man würde sodann den Brief in der Nationalversammlung niederlegen, und es könnte Frankreich kein Zweifel über die Ursache des Austritts der drei patriotischen Minister bleiben.

Der Brief wurde den drei Freunden vorgelesen, und sie fanden kein Wort daran zu ändern. Madame Roland war eine gemeinschaftliche Seele, aus der Jeder das Elixir der Vaterlandsliebe schöpfte.

Nicht dasselbe war aber am andern Tage der Fall, nachdem Roland den Brief Dumouriez, Lacoste und Duranthon vorgelesen hatte.

Alle Drei billigten den Gedanken, waren jedoch verschiedener Meinung über die Art, ihn auszudrücken; schließlich weigerten sie sich, zu unterzeichnen, indem sie sagten, es sei besser sich in Person zum König zu begeben.

Das war eine Art, der Frage auszuweichen.

Roland schickte noch am Abend dem König den Brief von ihm allein unterzeichnet.

Beinahe in demselben Augenblick übersandten Lacoste, Roland und Clavières ihre Entlassung.

Wie Dumouriez gesagt, hatte die Gelegenheit nicht auf sich warten lassen.

Allerdings hatte sie der König auch nicht versäumt.

Am andern Tage wurde, wie dies verabredet war, der Brief von Roland auf der Tribüne zu gleicher Zeil vorgelesen, da man seine Entlassung und die seiner zwei Collegen Clavières und Servon verkündigte.

Die Nationalversammlung erklärte mit einer ungeheuren Stimmenmehrheit, die drei entlassenen Minister haben sich um das Vaterland wohl verdient gemacht.

So war der Krieg im Innern und auswärts erklärt.

Die Nationalversammlung wartete, um die ersten Schläge zu führen, nur noch, bis sie wüßte, was der König in Betreff der zwei Beschlüsse thun würde.