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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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CLXXIX
Die Legende vom Märtyrer-König

Der König, als er ankam, verlangte vor Allem, daß man ihn zu seiner Familie führe; doch man antwortete ihm, es sei in dieser Beziehung kein Befehl da.

Ludwig begriff, daß er, wie jeder Verurtheilte, dem man einen Proceß auf den Tod macht, in engem Gewahrsam war.

»Unterrichten Sie wenigstens meine Familie von meiner Rückkehr,« sagte er.

Sodann, ohne sich um die vier Municipale zu bekümmern, die ihn umgaben, beschäftigte er sich mit seiner gewöhnlichen Lectüre.

Der König hatte noch eine Hoffnung! zur Stunde des Abendbrods würde seine Familie zu ihm heraufkommen.

Er wartete vergebens. Niemand erschien.

»Ich denke aber,« sagte er, »mein Sohn wird Nacht bei mir zubringen, da seine Effecten hier sind?

Ach! der Gefangene hatte, hinsichtlich seines Sohnes nicht einmal die Gewißheit, die er zu haben sich den Anschein gab.

Man antwortete ebensowenig auf diese Frage, als man es bei den anderen gethan hatte.

»Nun, so legen wir uns zu Bette!« sagte der König.

Cléry kleidete ihn wie gewöhnlich aus.

»Ah! Cléry,« murmelte er, »ich erwartete entfernt nicht die Fragen, die sie an mich gemacht haben.«

Und in der That, fast alle an den König gerichteten Fragen hatten ihre Quelle in dem eisernen Schranke, und der König, der nichts von dem Verrathe von Gamain wusste, ahnte nicht, der eiserne Schrank sei entdeckt worden.

Nichtdestoweniger legte er sich zu >Bette, und kaum liegend entschlief er mit jener Ruhe, von der er schon so viele Proben gegeben, und die man unter gewissen Umständen für Lethargie halten konnte.

Nicht dasselbe war bei den anderen Gefangenen der Fall; dieser enge Gewahrsam war für sie erschrecklich bezeichnend; es war der Gewahrsam der Verurteilten.

Da der Dauphin sein Bett und seine Effekten beim König hatte, so legte die Königin das Kind in ihr eigenes Bett, und die ganze Nacht zu seinen Häupten stehend, schaute sie dem Schlafenden zu.

Ihr Schmerz war so düster, diese Stellung glich so sehr der Statue einer Mutter am Grabe ihres Kindes, daß Madame Elisabeth und Madame Royale die Nacht auf Stühlen neben der stehenden Königin zuzubringen beschlossen; doch die Municipale nöthigten die zwei Frauen, zu Bette zu gehen.

Am andern Tage richtete die Königin zum ersten Male eine Bitte an ihre Wächter.

Sie verlangte zwei Dinge: den König zu sehen, und die Journale zu empfangen, um über den Proceß dem auf dem laufenden erhalten zu sein.

Man überbrachte diese zwei Gesuche dem Rathe.

Das eine wurde völlig abgeschlagen: das der Journale; das andere wurde zur Hälfte bewilligt.

Die Königin durfte ihren Gatten, die Schwester ihren Bruder nicht mehr sehen; doch die Kinder konnten ihren Vater sehen, unter der Bedingung, daß sie weder ihre Mutter, noch ihre Tante mehr sehen würden.

Man eröffnete dem König dieses Ultimatum.

Er dachte einen Augenblick nach; dann sagte er mit seiner gewöhnlichen Resignation:

»Gut; welches Glück es mir auch bereitet, meine Kinder zu sehen, ich werde auf dieses Glück verzichten. Die große Angelegenheit, die mich beschäftigt, würde mich überdies verhindern, ihnen die Zeit zu weihen, der sie bedürfen . . . Die Kinder werden bei ihrer Mutter bleiben.«

Auf diese Antwort brachte man das Bett des Dauphin in das Zimmer seiner Mutter, welche ihre Kinder nur verließ, als sie sich sollte vom Revolutionstribunal verurtheilen lassen, wie der Vater vom Convente verurtheilt werden sollte.

Man mußte auf Mittel eines Verkehrs trotz dieses geheimen Gewahrsams bedacht sein.

Es war abermals Cléry, der die Organisation der Correspondenzen mit Hilfe eines Dieners der Prinzessinnen Namens Turgy übernahm.

Turgy und Cléry begegneten sich, wenn sie für die Bedürfnisse des Dienstes hin und hergingen; doch die Beaufsichtigung der Municipale machte jedes Gespräch zwischen ihnen schwierig. Die einzigen Worte, welche sie austauschen konnten, beschränkten sich gewöhnlich auf die: »Der König befindet sich wohl. – Die Königin, die Prinzessinnen und die Kinder befinden sich wohl.«

Eines Tags übergab indessen Turgy Cléry ein Billetchen.

»Madame Elisabeth bat es mir, indem sie mir ihre Serviette zurückgab, in die Hand gesteckt.«

Cléry brachte schleunigst dem König das Billet.

Es war mit Nadelstichen geschrieben; seit langer Zeit halten die Prinzessinnen weder mehr Tinte, noch Federn, noch Papier; es enthielt folgende Zeilen:

»Wir befinden uns wohl, mein Bruder. Schreiben Sie uns auch.«

Der König antwortete, denn seit der Eröffnung des Processes hatte man ihm Federn, Tinte und Papier zurückgegeben.

Er reichte sodann den Brief offen Cléry und sagte zu ihm:

»Lesen Sie, mein lieber Cléry, und Sie werden sehen, daß dieser Brief nichts enthält, was Sie compromittiren kann.«

Cléry weigerte sich ehrfurchtsvoll, zu lesen, und schob erröthend die Hand des Königs zurück.

Zehn Minuten nachher hatte Turgy die Antwort.

An demselben Tage ließ der Letztere, als er am Zimmer von Cléry vorbeiging, durch die ein wenig geöffnete Thüre dieses Zimmers einen Knäul Faden bis unter das Bett rollen; dieser Knäul Faden bedeckte ein neues Billet von Madame Elisabeth.

Das war ein angedeutetes Mittel.

Cléry wickelte den Faden um ein Billet des Königs und verbarg den Knäul in einem Tellerschranke; Turgy fand ihn und legte die Antwort wieder an denselben Ort.

Dasselbe Manoeuvre wiederholte sich mehrere Tage; nur so oft ihm sein Kammerdiener einen neuen Beweis von Treue oder von Gewandtheit dieser Art gab, schüttelte der König den Kopf und sagte:

»Nehmen Sie sich in Acht, mein Freund, Sie compromittiren sich hierdurch!«

Das Mittel war in der That zu precär; Cléry suchte ein anderes.

Die Commissärs übergaben dem König die Wachskerzen zusammengeschnürt; Cléry hob sorgfältig die Schnüre auf, und als er eine hinreichende Quantität davon besaß, sagte er dem König, er habe ein Mittel, um die Correspondenz thätiger zumachen; das war, seine Schnur Madame Elisabeth zukommen zu lassen; Madame Elisabeth, welche über ihm schlief und ein Fenster hatte, das senkrecht mit dem eines an das Zimmer von Cléry anstoßenden kleinen Flurganges correspondirte, konnte in der Nacht ihre Briefe an diese Schnur hängen und durch dasselbe Mittel die vom König empfangen.

Ueberdies konnte man an derselben Schnur Federn, Papier und Tinte herablassen, was die Prinzessinnen der Mühe, mit Nadelspitzen zu schreiben, überheben würde.

Es war so den Gefangenen jeden Tag gestattet, Nachrichten, den Prinzessinnen vom König, dem König von den Prinzessinnen und seinem Sohne, zu erhalten.

Die Lage von Ludwig XVI. hatte sich indessen moralisch sehr verschlimmert, seitdem er vor dem Convente erschienen war.

Man glaubte allgemein zwei Dinge: entweder das Beispiel von Karl I., dessen Geschichte er so gut kannte, befolgend, werde sich der König weigern, dem Convente zu antworten, oder, wenn er antworte, werde er hochmüthig, stolz, im Namen des Königthums antworten, nicht wie ein Angeklagter, der ein Urtheil über sich ergehen läßt, sondern wie ein Ritter, der die Herausforderung annimmt und den Fehdehandschuh aufhebt.

Zu seinem Unglücke war Ludwig XVI. nicht von einer genug königlichen Natur, um bei einem von diesen beiden Entschlüssen zu beharren.

Er antwortete, wie wir gesagt haben, schlecht furchtsam, linkisch, und fühlend, daß er vor allen diesen, ohne sein Wissen, in die Hände seiner Feinde gefallenen Stücken sich selbst fing, bat der arme König am Ende um einen, Rechtsberather.

Nach einer stürmische, Behandlung welche an den Abgang des Königs folgte, wurde der Rechtsberather bewilligt.

Am andern Tage begaben sich vier, zu diesem Ende als Kommissare ernannte, Miglieder des Convents zum König und fragten ihn, wer der von ihm gewählte Rechtsberather sei.

»Herr Target,« antwortete der König.

Die Kommissärs entfernten sich, und man benachrichtete Herrn Target von der Ehre, die ihm der König erwies.

Unerhört! – dieser Mann, – ein Mann von großem Werthe, ehemaliges Mitglied der constituierenden Versammlung, einer von diejenigen, welche den thätigen Antheil an der Abfassung der Constitution genommen, – dieser Mensch hatte Angst.

Er weigerte sich feige, erbleichend aus Furcht vor seinem Jahrhundert, um zu erröthen aus Scham vor der Nachwelt.

Doch schon am andern Tags, nachdem der König erschienen war, erhielt der Präsident des Convents folgenden Brief:

»Bürger Präsident,

»Ich weih nicht, ob der Convent dem König einen Rechtsberather geben wird, um ihn zu zu vertheidigen, und ihm die Wahl desselben überlassen wird; in diesem Falle wünsche ich, daß Ludwig XVI. erfahre, ich sei, wenn er mich zu dieser Funktion wählt, bereit, mich derselben zu unterziehen. Ich bitte Sie nicht, dem Convente mein Anerbieten mitzutheilen, denn ich bin eine zu unwichtige Person, als das, er sich mit mir beschäftigen sollte; doch ich wurde zweimal in den Rath von demjenigen berufen, der mein Herr war in der Zeit, wo alle Weit nach dieser Function trachtete: ich bin ihm denselben Dienst schuldig, da es eine Function ist, welche viele Leute gefährlich finden.

»Kennete ich ein mögliches Mittel, um ihn mit meiner Gesinnung bekannt zu machen, so würde ich mir nicht die Freiheit nehmen, mich an Sie zu wenden.

»Ich dachte, auf dem Platze, den Sie einnehmen, haben Sie mehr als irgend jemand Mittel, ihm diese Nachricht zukommen zu lassen,

»Ich bin mit aller Hochachtung u. s. w.

»Malesherbes.«

Zwei andere Gesuche kamen zu gleicher Zeit, das eine war von einen, Advocaten von Troyes, Herrn Sonrdat. Er sagte kühn: »Ich sehe mich angetrieben, Ludwig XVI. Zu veitheidigen durch das Gefühl, das ich von seiner Unschuld habe.« Das andere von Olympia von Gonges, der seltsamen südlichen Improvisatrice, welche ihre Komödien dictirte, weil sie wie sie sagte, nicht schreiben konnte.

 

Olympia von Gonges halte sich zum Advocaten der Frauen gemacht, sie wollte, das, man ihnen dieselben Rechte gebe, wie den Männern, das, sie sich um die Deputation bewerben, die Gesetze discutiren, Krieg und Frieden erklären können; und sie hatte ihre Forderung mit einen, erhabenen Worte untersucht! »Warum sollten die Frauen nicht die Tribüne besteigen?« sagte sie: »sie besteigen wohl das Schaffot?«

Sie bestieg es in der That, die arme Creatur; doch in dem Augenblicke, wo man ihr Urtheil sprach, wurde sie wieder Weib, das beißt schwach: sie wollte die Wohlthat des Gesetzes benützen und erklärte sich für schwanger.

Das Tribunal übergab die Verurtheilte einer Consultation von Aerzten und Hebammen; das Resultat der Consultation war, wenn eine Schwangerschaft vorhanden sei, so sei sie zu neu, als daß man sie constatiren könnte.

Vor dem Schaffot wurde sie wieder Mann: und sie starb, wie eine Frau wie sie sterben mußte.

Was Herrn von Malesherbes betrifft, das war derselbe Lamoiguon von Malesherbes, der mit Turgot Minister gewesen und mit ihm gefallen war.

Wir haben anderswo erwähnt, es sei ein kleiner Mann von siebzig bis zweiundsiebzig Jahren gewesen, von Natur linkisch und zerstreut, und, von gemeinem Aussehen, »ein wahres Apothekergesicht,« sagt Michelet, in welchem man entfernt nicht einen Heldenmuth der alten Zeiten ahnte.

Vor dem Convente nannte er den König nie anders als Sire.

»Was macht Dich so kühn, so vor uns zu sprechen?’ fragte ihn ein Conventsmitglied.

»Die Verachtung des Todes,« antwortete einfach Malesherbes.

Und er verachtete ihn wirklich, diesen Tod, zu dem er mit seinen Gefährten im Wagen plaudernd ging, und den er empfing, als ob er, nach dem Worte von Guillotin, indem er ihn empfing, nichts Anderes fühlen sollte, als eine leichte Kühle auf dem Halse. Der Concierge von Monceaux, – nach Monceaux brachte man die Hingerichteten, – der Concierge von Monceaux bekräftigte einen seltsamen Beweis von dieser Todesverachtung: im Hosentäschchen dieses enthaupteten Körpers fand er die Uhr von Malesherbes; sie bezeichnete die zweite Stunde. Nach seiner Gewohnheit hatte der Verurtheilte um Mittag, das heißt zur Stunde, wo er nach dem Schaffot ging, seine Uhr aufgezogen.

In Ermangelung von Target, nahm der König also Malesherbes und Trouchet; von der Zeit gedrängt, gesellten sich diese den Advocaten Desèze bei.

Am 11. December eröffnete man Ludwig, er habe Erlaubnis;, mit seinen Vertheidigern zu verkehren, und er werde an demselben Tage den Besuch von Herrn von Malesherbes empfangen.

Die Ergebenheit von diesem hatte ihn sehr gerührt, obschon ihn sein Temperament für dergleichen Gemüthsbewegungen ziemlich unzugänglich machte.

Als er mit einer erhabenen Einfachheit diesen siebzigjährigen Greis auf sich zukommen sah, da schwoll sein Herz an, seine Arme, – diese königlichen Arme, die sich so selten auseinander thun, – öffneten sich, und er sprach ganz in Thränen zerfließend:

»Mein lieber Herr von Malesherbes, umarmen Sie mich!«

Sodann, nachdem er ihn liebevoll an seine Brnst gedrückt hatte, fuhr der König fort:

»Ich weiß, mit wem ich es zu thun habe; ich erwarte den Tod, und ich bin vorbereitet, ihn zu empfangen. So wie Sie mich in diesem Augenblicke sehen, – und ich bin ruhig, nicht wahr? – nun, so werde ich zum Schaffot gehen!«

Am 16. erschien eine Deputation im Tempel; sie bestand ans vier Mitgliedern des Convents: diese waren Valazé, Cochon, Grandpré und Duprat.

Man hatte einundzwanzig Deputirte ernannt, um den Proceß des Königs zu prüfen; alle Vier gehörten zu dieser Commission.

Sie brachten dem König seine Anklageacte und die auf seinen Prozeß bezüglichen Papiere.

Der ganze Tag wurde zur Bewahrheitung dieser Papiere angewendet.

Der Secretär las jedes Stück vor; nach der Lesung fragte Valazé: »Haben Sie Kenntniß . . . Der König antwortete ja oder nein, und Alles war abgethan.

Einige Tage nachher kamen dieselben Commissäre wieder und lasen dem König einundfünfzig neue Actenstücke vor, die er unterschrieb und wie die vorhergehenden mit seinem Namenszuge bezeichnete.

Im Ganzen hundert einundfünfzig Stücke, von denen man ihm die Abschriften zurückließ.

Mittlerweile wurde der König von einem Flusse befallen.

Er erinnerte sich des Grußes von Gilbert in dem Augenblicke, wo er in den Convent eingetreten war, und verlangte von der Commune, daß man seinem ehemaligen Arzte erlaube, ihm einen Besuch zu machen: die Commune schlug es ab.

»Capet trinke kein Eiswasser mehr, und er wird keinen Fluß haben,« sagte eines ihrer Mitglieder.

Am 26. sollte der König zum zweiten Male vor den Schranken des Convents erscheinen.

Sein Bart war gewachsen; – wir haben gesagt, sein Bart sei häßlich, fadblond, schlecht gepflanzt gewesen . . . Ludwig verlangte seine Rasirmesser; sie wurden ihm zurückgegeben, doch unter der Bedingung, daß er sich derselben nur vor vier Municipalen bediene!

Am 25., um elf Uhr Abends, fing er an sein Testament zu schreiben. . . Dieses Actenstück ist so sehr bekannt, daß wir es, so rührend und christlich es ist, nicht hier aufzeichnen.

Zwei Testamente haben immer unsere Aufmerksamkeit angezogen: das Testament von Ludwig XVI., das sich der Republik gegenüber fand und nur das Königthum sah; das Testament des Herzogs von Orleans, das sich dem Königthum gegenüber fand und nur die Republik sah.

Wir wollen mir einen Satz aus dem Testamente von Ludwig XVI. anführen, weil er uns eine Frage des Gesichtspunktes aufklären helfen wird. Jeder sieht, sagt man, nicht nach der Wirklichkeit der Sache, sondern nach dem Gesichtspunkte seiner Stellung.

»Ich endige,« schrieb Ludwig XVI., »indem ich vor Gott, und bereit, vor ihm zu erscheinen, erkläre, daß ich mir keines der Verbrechen, die man gegen mich vorgebracht hat, vorwerfe.«

Wie konnte nun Ludwig XVI., welchem die Nachwelt den Ruf eines ehrlichen Mannes gemacht hat, den er übrigens vielleicht diesem Satze verdankt; wie konnte Ludwig XVI., der an allen seinen Schwüren eidbrüchig geworden, der eine Protestation gegen die geleisteten Eide hinterlassend nach dem Auslande floh; wie konnte Ludwig XVI. welcher die den Feind in das Herz Frankreichs rufenden Pläne von Lafayette und Mirabeau erwogen, erörtert, mit Noten versehen hatte; wie konnte Ludwig XVI. bereit, wie er es selbst sagt, vor dem Gotte zu erscheinen, der ihn richten sollte, folglich an diesen Gott, an seine Gerechtigkeit, an seine Vergeltung der guten und der schlimmen Handlungen glaubend; wie konnte Ludwig XVI. sagen: »Ich werfe mir keines der Verbrechen vor, die man gegen mich vorgebracht hat?«

Nun wohl, die Construction des Satzes selbst erklärt das.

Ludwig XVI. sagt nicht: »Die Verbrechen, die man gegen mich vorbringt, sind falsch;« nein, er sagt: »Ich werfe mir keines der Verbrechen vor, die man gegen mich vorgebracht hat;« was durchaus nicht dasselbe ist.

Bereit, zum Schafott zu gehen, ist Ludwig XVI, immer der Zögling von Herrn de la Vanguyon!

Sagen: »Die Verbrechen, die man gegen mich vorbringt, sind falsch,« hieß diese Verbrechen leugnen; und Ludwig XVI. konnte sie nicht leugnen; sagen: »Ich werfe mir keines der Verbrechen vor, welche gegen mich vorgebracht werden,« hieß streng genommen sagen: »Diese Verbrechen existiren, doch ich werfe sie mir nicht vor.«

Und warum warf sich Ludwig XVI. dieselben nicht vor?

Weil er, wie wir so eben sagten, in den Gesichtspunkt des Königthums gestellt war; weil, – Dank sei es der Mitte, in der sie erzogen werden, Dank sei es dieser Weihe der Legitimität, dieser Unfehlbarkeit des göttlichen Rechtes, – die Könige die Verbrechen, und besonders die politischen Verbrechen, nicht aus demselben Gesichtspunkte anschauen, wie die anderen Menschen.

So ist für Ludwig XI. seine Empörung gegen seinen Vater kein Verbrechen: es ist der Krieg des öffentlichen Wohles.

So ist für Karl IX.die Barholomäusnacht kein Verbrechen: es ist eine durch das öffentliche Wohl gerathene Maßregel.

So ist in den Augen von Ludwig XIV. der Widerruf des Edicts von Nantes kein Verbrechen: es ist ganz einfach eine Staatsraison.

Derselbe Malesherbes, der heute den König vertheidigte, hatte früher, als er Minister war, die Protestanten wieder in ihre Rechte einsetzen wollen. Er hatte in Ludwig XVI. einen hartnäckigen Widerstand gefunden.

»Nein,« antwortete ihm der König, »die Proscription der Protestanten ist ein Staatsgesetz, ein Gesetz von Ludwig XIV.; rücken wir die alten Gränzsteine nicht von der Stelle.«

»Sire,« entgegnete Malesherbes, »die Politik verjährt nie gegen die Gerechtigkeit.«

»Aber,« rief Ludwig XVI. wie ein Mensch, der nicht begreift, »wo ist denn im Widerrufe des Edicts von Nantes eine Verletzung der Gerechtigkeit? Ist nicht der Widerruf des Edicts von Nantes das Wohl des Staates

Also war für Ludwig XVI. die Verfolgung der Protestanten angestiftet durch eine alte Betschwester und einen haßerfüllten Jesuiten, diese grausame Maßregel, die das Blut in Strömen in den Thälern der Cevennen fließen gemacht hat, die die Scheiterhaufen von Nimes, von Alby, von Béziers angezündet hat, das war kein Verbrechen, sondern im Gegentheil eine Staatsraison!

Dann gib, es noch etwas Anderes, was man ans den, königlichen Gesichtspunkte prüfen muß: daß ein König beinahe immer von einer fremden Prinzessin geboren, bei der er den besten Theil von seinem Blute schöpft, seinem Volke fast fremd ist; er regiert es, das ist das Ganze; . . . und durch wen regiert er es? Durch seine Minister.

Also ist das Volk nicht nur nicht würdig, mit ihm verwandt zu sein, nicht nur nicht würdig, mit ihm verschwägert zu sein, sondern es ist nicht würdig, von ihm unmittelbar regiert zu werden; während im Gegentheile die fremden Souverains die Verwandten und die Verschwägerten des Königs sind, der weder Verwandte, noch Verschwägerte in seinem Königreiche hat, und direct mit Jenen ohne die Vermittlung von Ministern correspondirt.

Bourbonen von Neapel, Bourbonen von Spanien, Bourbonen von Italien gingen zu demselben Stamme zurück: Heinrich IV.; sie waren Vetter.

Der Kaiser von Oesterreich war Schwager, die Prinzen von Savoyen waren verschwägert mit Ludwig XVI., der Sachse durch seine Mutter.

War nun das Volk so weit gekommen, daß es seinem König Bedingungen auflegen wollte, welche zu befolgen dieser nicht seinem Interesse entsprechend glaubte, an wen appellirte er gegen seine empörten Unterthanen? An seine Vetter, an seine Schwäger; für ihn waren die Spanier und die Oesterreicher keine Feinde Frankreichs, da sie seine Verwandten, seine, des Königs, Freunde waren, und aus dem Gesichtspunkte des Königthums ist der König Frankreich.

Diese Könige, was vertbeidigten sie? die heilige, unangreifbare, fast göttliche Sache des Königthums.

Darum warf sich Ludwig XVI, die Verbrechen nicht vor, deren man ihn bezichtigte.

Der königliche Egoismus hatte indessen den Volksegoismns erzeugt; und das Volk, das seinen Haß gegen das Königthum bis zur Abschaffung Gottes getrieben, weil man ihm gesagt, das Königthum entfließe Gott, hatte ohne Zweifel auch, kraft irgend einer Staatsraison, aus seinem Gesichtspunkte, den 14. Juli, den 5. und den 6. October, den 20, Juni und den 10. August gemacht.

Wir sagen nicht den 2. September: wir wiederholen, es war nicht das Volk, das den 2. September machte, es war die Commune!