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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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CLXXII
Was im Tempel während der Metzelei vorging

Die Commune, während sie die Metzelei organisirte, von der wir eine Probe zu geben versucht haben, die Commune, während sie die Nationalversammlung und die Presse durch den Schrecken unterjochen wollte, hatte sehr bange, es könnte den Gefangenen des Tempels Unglück widerfahren.

Und in der That, in der Lage, in der man sich befand, – Longwy genommen, Verdun eingeschlossen, der Feind fünfzig Meilen von Paris, – waren der König und die königliche Familie kostbare Geißeln, die das Leben der am meisten Compromittirten sicherten.

Es wurden also Commissäre nach dem Tempel geschickt.

Fünfhundert bewaffnete Leute wären unzulänglich gewesen, um dieses Gefängniß zu bewachen, das sie vielleicht selbst dem Volke geöffnet hätten! ein Commissär fand ein Mittel, das sicherer als alle Pieken und alle Bajonnete von Paris; es bestand darin, daß man den Tempel mit einem dreifarbigen Bande mit der Inschrift umzog:

»Bürger, die Ihr mit einer Rache die Liebe zur Ordnung zu verbinden wißt, achtet diese Schranke! sie ist nothwendig für unsere Beaufsichtigung und unsere Verantwortlichkeit!«

Seltsame Epoche, wo man die eichenen Thüren erbrach, wo man die eisernen Gitter sprengte und vor einem Bande niederkniete!

Das Volk kniete vor dem dreifarbigen Bande des Tempels nieder und küßte es; Niemand überschritt dasselbe.

Der König und die Königin wußten am 2. September nicht, was in Paris vorging; es herrschte wohl um den Tempel eine Gährung, welche größer als sonst doch man fing an sich an diese Fieberverdoppelungen zu gewöhnen.

Der König speiste in der Regel um zwei Uhr zu Mittag: um zwei Uhr speiste er wie gewöhnlich, dann nach dem Essen, ging er, auch wie gewöhnlich, mit der Königin, mit Madame Elisabeth, Madame Royale und dem kleinen Dauphin in den Garten hinab.

Während der Promenade verdoppelte sich das Geschrei.

Einer von den Municipalbeamten, die dem König folgten, neigte sich sodann ans Ohr von einem seine Collegen und sagte zu ihm, jedoch nicht so leise, daß es Cléry nicht hören konnte:

»Wir haben schlimm gethan, daß wir einwilligten, sie heute Nachmittag spazieren zu führen.«

Es war ungefähr drei Uhr und folglich gerade der Augenblick, wo man die von der Commune nach der Abtei versetzten Gefangenen zu ermorden anfing.

Der König hatte als Kammerdiener nur noch Cléry und Herrn Hue bei sich.

Der arme Thierry, den wir am 10. August sein Zimmer haben der Königin leihen sehen, damit sie sich hier mit Herrn Röderer besprechen könnte, war in der Abtei und sollte hier am 3. getödtet werden.

Wie es scheint, war es auch die Ansicht des zweiten Municipalbeamten, daß man Unrecht gehabt, die königliche Familie herausgehen zu lassen; denn Beide ertheilten ihr den Befehl, sogleich wieder hineinzugehen.

Man gehorchte.

Doch kaum war man im Zimmer der Königin versammelt, da traten zwei andere Municipale ein, welche nicht den Dienst im Thurme hatten, und einer von ihnen, ein Excapuziner Namens Mathieu, schritt auf den König zu und sagte zu ihm:

»Mein Herr, Sie wissen nicht, was vorgeht? Das Vaterland ist in der größten Gefahr.«

»Wie soll ich hier etwas wissen?« versetzte der König; »ich bin im Gefängniß, in engem Gewahrsam gehalten.«

»Nun wohl, dann will ich Sie von dem, was Sie nicht wissen, unterrichten: der Feind ist in die Champagne eingerückt, und der König von Preußen marschirt gegen Chalons.«

Die Königin konnte eine Bewegung der Freude nicht bewältigen.

Der Municipal gewahrte diese Bewegung, so rasch sie war.

»Ah! ja,« sagte er, sich an die Königin wendend, »ja, wir wissen, daß wir, unsere Frauen, unsere Kinder umkommen werden; doch Sie werden uns für Alles haften: Sie werden vor uns sterben, und das Volk wird gerächt sein.«

»Es komme, was Gott gefällt,« antwortete der König; »ich habe Alles für das Volk gethan, und habe mir nichts vorzuwerfen.«

Hiernach wandte sich der Municipalbeamte gegen Herrn Hue um, der bei der Thüre stand, und sagte: »Was Dich betrifft, – die Commune hat mich beauftragt, Dich in Verhaft zu nehmen.«

»Wen in Verhaft nehmen?« fragte der König.

»Ihren Kammerdiener.«

»Meinen Kammerdiener? Welchen?«

»Diesen,« erwiederte der Municipal.

Und er deutete ans Herrn Hue.

»Herrn Hue!« sagte der König. »Welches Vergehens beschuldigt man ihn?«

»Das geht mich nichts an; doch er wird heute Abend abgeführt werden, und man wird seine Papiere versiegeln.«

Sodann, während er abging, sagte der Excapuziner zu Cléry:

»Geben Sie Acht auf die Art, wie Sie sich benehmen; denn es wird Ihnen dasselbe geschehen, wenn Sie nicht einen geraden Weg gehen!«

Am andern Tage, am 3., um elf Uhr Morgens, war der König mit seiner Familie im Zimmer der Königin versammelt; ein Municipalbeamter gab Cléry den Befehl, in das des Königs hinaubzugehen.

Manuel und einige Mitglieder der Commune befanden sich hier.

Alle diese Gesichter drückten sichtbar eine große Besorgnis aus. Manuel war, wie gesagt, kein Blutmensch, und es gab eine gemäßigte Partei selbst in der Commune.

»Was denkt der König von der Abführung seines Kammerdieners?« fragte Manuel.57

»Seine Majestät ist sehr in Unruhe hierüber,« antwortete Cléry.

»Es wird ihm nichts geschehen,« sprach Manuel: »ich bin jedoch beauftragt, dem König zu sagen, er werde nicht wiederkommen, der Rath werde ihn ersetzen. Sie können den König hiervon benachrichtigen.«

»Ich habe keine Mission, dies zu thun, mein Herr,« erwiederte Cléry; »haben Sie also die Güte, mich der Unannehmlichkeit zu entbinden, meinem Herrn eine Nachricht mitzutheilen, die ihm schmerzlich sein wird.«

Manuel überlegte einen Augenblick und sagte dann:

»Es sei; ich gehe zum König hinab.«

Er ging wirklich hinab und fand den König.

Der König empfing mit einer ruhigen Miene die Kunde, die ihm der Procurator der Commune eröffnete; dann sagte er mit demselben unempfindlichen Gesichte, das er am 20. Juni und am 10. August gehabt hatte, und das er bis vor dem Schaffot haben sollte:

»Es ist gut, mein Herr; ich danke Ihnen. Ich werde den Kammerdiener meines Sohnes benützen, und widersetzt sich diesem der Rath, so werde ich mich selbst bedienen.«

Und mit einer leichten Kopfbewegung fügte er bei:

»Ich bin hierzu entschlossen.«

»Haben Sie irgend eine Reclamation zu machen?« fragte Manuel.

»Es fehlt uns an Wäsche erwiederte der König, »und das ist eine große Entbehrung für uns. Glauben Sie, Sie können es bei der Commune dahin bringen, daß man uns nach unseren Bedürfnissen liefert?«

»Ich werde dem Rathe hierüber berichten,« antwortete Manuel.

Sodann, da er sah, daß sich der König über nichts von außen bei ihm erkundigte, zog Manuel sich zurück.

Um ein Uhr äußerte der König den Wunsch, spazieren zu gehen.

Während der Promenaden gewahrte man immer ein gewisses Zeichen von Sympathie von einem Fenster, von einer Mansarde ans, hinter einem Jalousieladen hervor gemacht, und das war ein Trost.

Die Municipalbeamten weigerten sich, die königliche Familie hinabgehen zu lassen.

Um zwei Uhr setzte man sich zu Tische.

Gegen die Mitte des Mahles hörte man den Lärmen von Trommeln und eine Verdoppelung des Geschreis; dieses Geschrei näherte sich dem Tempel.

Die königliche Familie stand von Tische auf und versammelte sich im Zimmer der Königin.

Der Lärm kam immer näher.

Was verursachte diesen Lärmen?

Man metzelte in der Force wie in der Abtei; nur geschah es nicht unter dem Präsidium von Maillard, sondern unter dem von Hébert; die Schlächterei war auch viel gräßlicher.

Und die Gefangenen waren doch viel leichter zu retten; es befanden sich hier weniger politische Gefangene als in der Abtei; die Mörder waren weniger zahlreich die Zuschauer weniger erbittert; doch statt daß es, wie in der Abtei, Maillard war, der die Metzelei beherrscht, war es die Metzelei, von der Hébert beherrscht wurde.

Man rettete zweiundvierzig Personen in der Abtei man rettete nicht sechs in der Force.

Unter den Gefangenen der Force war die arme kleine Prinzessin von Lamballe. Wir haben sie in den drei letzten Büchern, die wir geschrieben, im Halsbande der Königin, im Ange Pitou und in der Gräfin von Charny, wie den ergebenen Schatten der Königin vorüberziehen sehen.

Man war ungeheuer gegen sie aufgebracht; man nannte sie die Räth in der Oesterreicherin: Sie war ihre Vertraute, ihre innige Freundin, etwas mehr vielleicht, – man sagte es wenigstens, – aber durchaus nicht ihre Rathgeberin. Die zierliche Prinzessin von Savoyen,58 mit ihrem feinen, jedoch zusammengepreßten Munde, mit ihrem beständigen Lächeln, war fähig, zu lieben, sie bewies es; aber zu rathen, und zwar einen männlichen, halsstarrigen, herrschsüchtigen Weibe, wie es die Königin war, zu rathen, nie!

Die Königin hatte sie geliebt, wie sie Frau von Guémené, Frau von Marsan, Frau von Polignalc geliebt hatte; aber, leichtsinnig, ungleich, unbeständig in allen ihren Gefühlen, hatte sie dieselbe vielleicht eben soviel als Freundin leiden lassen, wie sie Charny als Geliebten hatte leiden lassen; nur war der Geliebte, wie wir gesehen, müde geworden: die Freundin war, im Gegentheile, treu geblieben.

 

Beide starben für die, welche sie geliebt hatten.

Man erinnert sich jenes Abends im Pavillon de Flore, wohin wir den Leser geführt.

Frau von Lamballe empfing in ihren Gemächern, und die Königin sah bei Frau von Lamballe diejenigen, welche sie nicht bei sich empfangen konnte: Suleau und Barnave in den Tuilerien, Mirabeau in Saint-Cloud.

Einige Zeit nachher hatte sich Frau von Lamballe nach England zurückgezogen; sie konnte dort bleiben und ein langes Leben behalten: die sanfte, gute Creatur, da sie die Tuilerien bedroht wußte, kam zurück und verlangte ihren Platz bei der Königin.

Am 10. August war sie von ihrer Freundin getrennt worden; Anfangs mit der Königin in den Tempel geführt, hatte man sie fast unmittelbar daraus in die Force versetzt.

Hier hatte sie sich unter der Last ihrer Ergebenheit erdrückt gefühlt; sie hatte bei der Königin, mit der Königin sterben wollen; unter den Augen von dieser hätte ihr der Tod süß geschienen: fern von ihr, besaß sie nicht mehr den Muth, zu sterben. Sie war keine Frau vom Schlage von Andrée, – Sie wurde krank vor Angst.

Sie wußte nichts von all dem Hasse, der sich gegen sie erhoben. In eine der höchsten Stuben des Gefängnisses mit Frau von Navarra eingesperrt, hatte sie in der Nacht vom 2. auf den 3. Frau von Tourzel abgeben sehen; das war, als ob man ihr gesagt hätte: »Du bleibst, um zu sterben.«

In ihrem Bette liegend, sich unter ihre Tücher steckend bei jeder Lärmströmung, die zu ihr aufstieg, wie es ein Kind macht, das Angst hat, wurde sie jede: ohnmächtig, und wenn sie wieder zu sich kam, sagte sie:

»Oh mein Gott! ich hoffte, todt zu ein!«

Und sie fügte bei:

»Wenn man sterben könnte, wie man ohnmächtig wird. Das ist weder sehr schmerzlich, noch sehr schwer!«

Der Mord war indessen überall; im Hof, vor der Thüre, in den unteren Stuben; der Blutgeruch gelangt zu ihr wie ein Leichendunst.

Um acht Uhr Morgens öffnete sich die Thüre ihres Zimmers.

Ihr Schrecken war diesmal so groß, daß sie nicht in Ohnmacht fiel, sich nicht unter ihren Betttüchern verbarg.

Sie wandte den Kopf um und sah zwei Nationalgarden.

»Vorwärts! stehen Sie auf,« sagte ungeschlacht der Eine von ihnen zur Prinzessin; »Sie müssen nach der Abtei gehen.«

»Oh meine Herren,« erwiederte sie, »es ist mir unmöglich, das Bett zu verlassen; ich bin so schwach, daß ich nicht gehen könnte.«

Dann fügte sie mit einer kaum verständlichen Stimme bei:

»Ist es, um mich zu tödten, so werden Sie mich ebenso gut hier tödten, als anderswo.«

Einer von den Männern neigte sich an ihr Ohr, während der Andere an der Thüre spähte.

»Gehorchen Sie, Madame,« sagte er; »wir wollen Sie retten.«

»Dann ziehen Sie sich zurück, damit ich mich ankleiden kann.«

Die zwei Männer zogen sich zurück, und Frau von Navarre half ihr sich ankleiden oder kleidete sie vielmehr an.

Nach zehn Minuten kamen die zwei Männer wieder herein.

Die Prinzessin war bereit; nur konnte sie, wie sie gesagt hatte, nicht gehen; die arme Frau zitterte am ganzen Leibe. Sie nahm den Arm des Nationalgarde, der mit ihr gesprochen, und gestützt auf diesen Arm stieg sie die Treppe hinab; als sie in den Thorweg kam, befand sie sich plötzlich vor dem Blutgerichte, bei welchem Hébert präsidirte.

Bei dem Anblicke dieser Menschen mit zurückgestreiften Aermeln, die sich als Richter constituirt hatten; bei dem Anblicke dieser Menschen mit den blutigen Händen, die sich zu Henkern gemacht hatten, fiel sie in Ohnmacht.

Dreimal befragt, wurde sie dreimal ohnmächtig, ohne antworten zu können.

»Man will Sie ja retten!« wiederholte leise der Mann, der ihr schon zugeflüstert hatte.

Dieses Versprechen verlieh der unglücklichen Frau wieder ein wenig Stärke.

»Was wollen Sie von mir, meine Herren?« murmelte sie.

»Wer sind Sie?« fragte Hébert.

»Marie Louise von Savoyen-Carignan, Prinzessin von Lamballe.«

»Ihr Stand?«

»Obersthofmeisterin vom Hause der Königin.«

»Haben Sie Kenniniß von den Complotten des Hofes am 10. August?«

»Ich weiß nicht, ob Complotte am 10. August stattgefunden haben; haben aber stattgefunden, so war ich denselben völlig fremd.«

»Beschwören Sie die Freiheit, die Gleichheit, den Haß gegen den König, die Königin und das Königthum.«

»Ich werde leicht die zwei Ersten beschwören; doch das Uebrige kann ich nicht beschwören, da es nicht in meinem Herzen ist.«

»Schwören Sie doch!« sagte leise zu ihr der Nationalgarde, »oder Sie sind des Todes!«

Die Prinzessin streckte beide Hände aus und machte instinctartig einen Schritt vorwärts.

»Aber schwören Sie doch!« wiederholte ihr Protector.

Da, als hätte sie in ihrer Todesangst befürchtet, sie dürfte einen schändlichen Schwur aussprechen, legte sie ihre Hand auf ihren Mund, um die Worte zu unterdrücken, die ihr wider ihren Willen hätten entschlüpfen können.

Einige Seufzer drangen durch die Finger.

»Sie hat geschworen!« rief der Nationalgarde, der sie begleitete.

Dann fügte er leise sich an die Prinzessin wendend bei:

»Gehen Sie rasch durch das Thor hinaus, das vor Ihnen ist; wenn Sie hinauskommen, rufen Sie: »»Es lebe die Nation!«« und Sie sind gerettet.

Als sie hinaustrat, fand sie sich in den Armen eines Schlächters, der sie erwartete; dieser Schlächter war der große Nicolas, derselbe, der den zwei Gardes du corps in Versailles die Kopfe abgeschnitten hatte.

Diesmal hatte er die Prinzessin zu retten versprochen.

Er zog sie gegen etwas Ungestaltes, Schauerndes, mit Blut Beflecktes fort und sagte zu ihr:

»Rufen Sie: »»Es lebe die Nation!«« so rufen Sie doch: »»Es lebe die Nation!««

Ohne Zweifel war sie im Begriffe, zu rufen; unglücklicher Weise öffnete sie die Augen: sie sah sich vor einem Berge von Leichen, auf welchen ein Mann mit beschlagenen Schuhen herumstampfte, daß er das Blut unter seinen Füßen hervorspritzen machte, wie der Winzer den Saft aus der Traube spritzen macht.

Sie sah dieses gräßliche Schauspiel, wandte den Kopf ab und schrie nur:

»Pfui! das ist abscheulich!«

Man erstickte auch noch diesen Schrei.

Es waren, wie man sagte, von ihrem Schwager, Herrn von Penthièvre, hunderttausend Franken gegeben worden, um sie zu retten.

Man schob sie in die enge Passage, welche von der Rue Saint-Antoine nach dem Gefängniß führte, als ein Elender, ein Perrückenmacher Namens Charlot, der als Trommler bei den Freiwilligen eingetreten war, durch die Reihe drang, die sich um sie gebildet hatte, und ihr mit einer Pieke ihre Haube vom Kopfe stieß.

Wollte er ihr nur die Haube vom Kopfe stoßen? wollte er sie ins Gesicht treffen?

Das Blut floß! Blut ruft Blut: ein Mann schleuderte ein Scheit nach der Prinzessin: das Scheit traf sie hinten am Kopfe; sie stolperte und fiel auf ein Knie.

Es war keine Möglichkeit mehr, sie zu retten; von allen Seiten erreichten sie gezückte Säbel und ausgestreckte Pieken.

Sie stieß nicht einmal mehr einen Schrei ans; sie war in Wirklichkeit todt seit den letzten Worten, die sie gesprochen.

Kaum war sie verschieden, – vielleicht lebte sie noch, – als man sich auf sie stürzte; in einem Augenblicke waren ihre Kleider bis auf das Hemd zerrissen; – und zuckend von den letzten Schauern des Todeskampfes fand sie sich nackt.

Ein obscönes Gefühl hatte bei dieser Entkleidung vorgeherrscht; man wollte diesen schönen Leib sehen, dem die Frauen von Lesbos einen Cultus geweiht hätten.

Nackt, wie sie Gott erschaffen hatte, stellte man sie sodann vor Aller Augen auf einem Weichsteine zur Schau; vier Männer pflanzten sich vor diesem Weichsteine auf, wuschen und trockneten das Blut ab, das aus sieben Wunden floß; ein Fünfter zeigte die Prinzessin mit einem Stabe und detaillirte die Schönheiten, welche, der Sage nach, sie einst so sehr in Gunst gebracht und heute sicherlich ihren Tod verursacht hatten.

Sie blieb so von acht Uhr bis Mittag ausgestellt.

Endlich wurde man müde dieses Cursus der Scandalgeschichte an einem Leichname gemacht: es kam ein Mann und schnitt ihr den Kopf ab.

Ach! dieser wie der eines Schwans lange, biegsame Hals bot wenig Widerstand.

Der Elende, der dieses Verbrechen beging, das vielleicht noch abscheulicher an einem Leichname, als an einem lebendigen Wesen, hieß Grison. Die Geschichte ist die Unerbittlichste der Gottheiten: sie reißt eine Feder aus ihrem Flügel, taucht sie in Blut, schreibt einen Namen auf, und dieser Name ist dem Fluche der Nachwelt überliefert.

Dieser Mensch wurde später als Anführer einer Räuberbande guillotinirt.

Ein Zweiter, Namens Rodt, schnitt der Prinzessin die Brnst auf und riß ihr das Herz aus.

Ein Dritter, Namens Mamin, griff einen andern Theil des Körpers an.

Wegen ihrer Liebe für die Königin verstümmelte man so die arme Frau. Die Königin mußte sehr gehaßt sein!

Man pflanzte auf Pieken die von diesem Leibe getrennten drei Stücke, und man zog nach dem Tempel.

Eine ungeheure Menge folgte den drei Mördern; doch abgesehen von einigen Kindern und einigen betrunkenen Männern, welche zugleich den Wein und die Schmähungen ausspieen, beobachtete der ganze Zug eine Stille des Entsetzens.

Eine Perrückenmacherbude fand sich am Wege; man trat hier ein.

Der Mann, der den Kopf trug, legte ihn auf einen Tisch und sagte:

»Frisirt mir diesen Kopf; er soll seine Gebieterin im Tempel sehen.«

Der Perrückenmacher frisirte die herrlichen Haare der Prinzessin; dann setzte man sich wieder in Marsch nach dem Tempel, – diesmal mit gewaltigem Geschrei.

Das war das Geschrei, das die königliche Familie gehört hatte.

Die Mörder kamen an; denn sie hatten den scheußlichen Gedanken gehabt, der Königin diesen Kopf, dieses Herz und diesen andern Theil vom Leibe der Prinzessin zu zeigen.

Sie erschienen vor dem Tempel.

Das dreifarbige Band versperrte ihnen den Weg.

Diese Menschen, diese Schlächter, diese Mörder wagten es nicht, über das Band zu steigen.

Sie verlangten, daß eine Deputation von sechs Mördern, – von denen drei die von uns genannten Fetzen trugen, – in den Tempel eintreten und die Runde um den Thurm machen dürfen, um diese blutigen Reliquien der Königin zu zeigen.

Das Verlangen war so billig, daß es ohne Erörterung bewilligt wurde.

Der König saß und gab sich den Anschein, als spielte er mit der Königin TrikTrak. Indem sie so unter dem Vorwande des Spieles nahe zusammenrückten, konnten die Gefangenen wenigstens ein paar Worte vor den Municipalbeamten geheim halten.

Plötzlich sah der König Einen von diesen die Thüre schließen, sodann nach dem Fenster laufen und die Vorhänge rasch zuziehen.

Das war ein gewisser Danjou, ein ehemaliger Seminarist, eine Art Riese, den man wegen seiner hohen Gestalt den Abbé Sechsfuß nannte.

»Was gibt es denn?« fragte der König.

Dieser Mann bedeutete, den Umstand benützend, daß ihm die Königin den Rücken zuwandte, dem König durch ein Zeichen mit der Hand, er möge nicht fragen.

Das Geschrei, die Schmähungen, die Drohungen gelangten bis ins Zimmer, obgleich die Thüre und die Fenster geschlossen waren; der König begriff, daß etwas Erschreckliches vorging; er legte seine Hand auf die Schulter der Königin, um sie an ihrem Platze zu halten.

In diesem Augenblicke klopfte man an die Thüre, und Danjou sah sich, sehr wider seinem Willen, genöthigt zu öffnen.

Es waren Officiere von der Wache und Municipale.

»Meine Herren,« fragte der König, »ist meine Familie in Sicherheit?«

»Ja,« antwortete ein Mann, der die Uniform der Nationalgarde und die doppelten Epauletten trug; »doch man hat das Gerücht in Umlauf gebracht, es sei Niemand mehr im Thurme, und sie haben sich alle geflüchtet. Stellen Sie sich ans Fenster, um das Volk zu beruhigen.«

Der König, da er nicht wußte, was vorging, hielt es nicht für unzweckmäßig, zu gehorchen.

Er machte eine Bewegung, um nach dem Fenster zu gehen; Danjou hielt ihn aber zurück.

»Thun Sie das nicht, mein Herr!« sagte er.

Dann wandte er sich zu den Officieren der Nationalgarde um und fügte bei:

»Das Volk soll mehr Vertrauen zu seinen Behörden zeigen.«

»Nun wohl,« sprach der Mann mit den Epauletten, »man will, daß Ihr ans Fenster tretet, um den Kopf und das Herz der Prinzessin von Lamballe zu sehen, was man Euch bringt, um Euch zu zeigen, wie das Volk seine Tyrannen behandelt. Ich rathe Euch also, zu erscheinen, wenn Ihr nicht wollt, daß man Alles dies hierher bringt.«

 

Die Königin stieß einen Schrei aus und fiel ohnmächtig in die Arme von Madame Elisabeth und Madame Royale.

»Ah! mein Herr,« sagte der König, »Sie hätten es können unterlassen, der Königin dieses gräßliche Unglück mitzutheilen.«

Und auf die Gruppe der drei Frauen deutend:

»Sehen Sie, was Sie gemacht haben.«

Der Mann zuckte die Achseln und ging die Carmagnole singend ab.

Um sechs Uhr erschien der Secretär von Pétion, um dem König zweitausend fünfhundert Franken zu bringen.

Da er die Königin stehend und unbeweglich sah, glaubte er, sie halte sich aus Respect so, und er hatte die Güte, sie zum Sitzen einzuladen.

»Meine Mutter hielt sich so.« sagt Madame Royale in ihren Denkwürdigkeiten, »weil sie seit dieser gräßlichen Scene stehend und unbeweglich geblieben war, ohne mehr etwas von dem, was um sie her vorging, zu sehen.«

Der Schrecken hatte sie in eine Bildsäule verwandelt.

57Cléry war Kammerdiener des Dauphin.
58Die Prinzessin von Lamballe, vermählt mit Stanislaus von Bourbon-Penthièvre, Fürsten von Lamballe, nach dessen Tode Obristhofmeisterin der Königin, war eine geborene Prinzessin von Savoyen-Carignan.