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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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CLXVI
Wo man noch einmal Herrn von Beausire begegnet

In Folge des Tages vom 10. August hatte man ein spezielles Gerücht instituiert, um Kenntniß von den Diebstählen zu erlangen, welche in den Tuilerien begangen worden waren. Das Volk hatte wohl, wie Peltier erzählt, auf der Stelle zwei bis dreihundert auf frischer That ertappte Diebe erschossen; doch neben diesem gab es, wie man leicht begreift, fast ebenso viele, welchen es, wenigstens für den Augenblick, ihre Diebstähle zu verbergen gelungen war.

Unter der Zahl dieser ehrlichen Industriels fand sich unser alter Bekannter, Herr von Beausire, ehemaliger Gefreiter Seiner Majestät.

Unsere Leser, die sich der Lebensvorgänge des Liebhabers von Mademoiselle Oliva, des Vaters vom jungen Toussaint, erinnern, werden nicht erstaunt sein, ihn unter denjenigen wiederzufinden, die, nicht der Nation, sondern den Gerichten über den Antheil, den sie an der Plünderung der Tuilerien genommen, Rechenschaft zu geben hatten.

Herr von Beausire war in der That nach aller Welt ins Schloß eingedrungen; das war ein zu verständiger Mensch, um zuerst oder Einer der Ersten da einzutreten, wo es gefährlich, vor den Andern einzudringen.

Es waren nicht die politischen Meinungen von Herrn von Beausire, die ihn in den Palast der Könige führten, um hier über den Sturz des gefallenen Königthums zu weinen oder dem Siege des Volkes Beifall zuzuklatschen; nein: Herr von Beausire kam als Liebhaber dahin; er schwebte über den menschlichen Schwächen, die man die Meinungen nennt, und hatte keinen andern Zweck, als den, zu sehen, ob diejenigen, welche den Thron verloren, nicht zu gleicher Zeit irgend ein Juwel verloren hätten, das tragbarer und leichter in Sicherheit zu bringen wäre.

Doch um den Schein zu wahren, hatte Herr von Beausire eine rothe Mütze aufgesetzt, sich mit einem ungeheuren Säbel bewaffnet, sodann leicht sein Hemd befleckt und seine Hände in das Blut des ersten Todten getaucht, den er getroffen, so daß dieser dem Eroberungsheere folgende Wolf, dieser nach dem Kampfe über dem Schlachtfelde schwebende Geier durch einen oberflächlichen Blick für einen Sieger gehalten werden konnte.

Für einen Sieger hielten ihn auch der Mehrzahl nach diejenigen, welche hörten, wie er: »Tod den Aristokraten!« schrie, und sahen, wie er unter den Betten herumstörte, die Schränke und sogar die Schubladen der Commoden öffnete, um sich zu versichern, ob nicht einige Aristokraten darin verborgen seien.

Nur befand sich hier zu gleicher Zeit mit ihm, zum Unglücke für Herrn von Beausire, ein Mann, der nicht schrie, der nicht unter die Betten schaute, der die Schränke nicht öffnete, der aber, eingetreten mitten unter dem Feuer, obgleich er ohne Waffen war, mit den Siegern, obgleich er nichts besiegt hatte, die Hände auf dem Rücken auf und abging, wie er es in einem öffentlichen Garten an einem Festabend gethan hatte, – kalt und ruhig in seinem abgetragenen, jedoch reinlichen Rocke, und nur darauf sich beschränkend, daß er von Zeit zu Zeit die Stimme erhob, um zu sagen:

»Vergeßt nicht, Bürger, daß man die Frauen nicht tödtet und die Juwelen nicht anrührt!«

Was diejenigen betrifft, welche er die Männer tödten und die Meubles zu den Fenstern hinauswerfen sah, so glaubte sich unser Mann nicht berechtigt, ihnen etwas zu sagen.

Er hatte mit dem ersten Blicke bemerkt, daß Herr von Beausire nicht zu den Letzteren gehörte.

Gegen halb zehn Uhr sah auch Pitou, der, wie wir schon wissen, unter dem Titel eines Ehrenpostens die Bewachung des Vestibule de l’Horloge erhalten hatte, Pitou sah eine Art von Riesen auf sich zukommen, welcher mit Höflichkeit, aber auch mit Festigkeit, als wäre ihm der Auftrag zu Theil geworden, Ordnung in die Unordnung, Gerechtigkeit in die Rache zu bringen, zu ihm sagte:

»Kapitän, Sie werden sogleich einen Mann mit einer rothen Mütze auf dem Kopf, einen Säbel in der Hand haltend und große Geberden machend herabgehen sehen; Sie verhaften ihn und lassen Sie ihn von Ihren Leuten durchsuchen: er hat ein Diamantenetui gestohlen.«

»Ja, Herr Maillard,« antwortete Pitou, indem er die Hand an den Hut legte.

»Ah! ah!« fragte der ehemalige Huissier, »Sie kennen mich, mein Freund?«

»Ich glaube wohl, daß ich Sie kenne,« erwiderte Pitou; »Sie erinnern sich nicht, Herr Maillard? Wir haben mit einander die Bastille genommen!«

»Das ist möglich!« sagte Maillard.

»Sodann sind wir, am 5. und 6. October, abermals in Versailles beisammen gewesen.«

»Ich war wirklich dort.«

»Bei Gott! Sie führten ja die Frauen an, und Sie hatten ein Duell vor dem Thore der Tuilerien mit einem Hüter, der Sie nicht wollte passiren lassen.«

»Dann werden Sie thun, was ich Ihnen sage, nicht wahr?«

»Dies und Anderes, Herr Maillard; Alles was Sie mir befehlen! Ah! Sie sind ein Patriot!«

»Ich rühme mich dessen,« sprach Maillard; »und darum dürfen wir nicht erlauben, daß man den Namen, auf den wir ein Recht haben, entehrt. Achtung! hier kommt unser Mann!«

In diesem Augenblicke stieg in der That Beausire die Treppe des Vestibule herab: er schwang seinen großen Säbel und rief: »Es lebe die Nation!«

Pitou winkte Tellier und Maniquet; sie stellten sich, ohne daß es den Anschein hatte, als geschähe es absichtlich, vor die Thüre, und Pitou selbst erwartete Herrn von Beausire auf der letzten Stufe der Treppe.

Dieser hatte aus dem Augenwinkel die getroffenen Anordnungen gesehen, und diese Anordnungen beunruhigten ihn, denn er hielt an und machte dann, als habe er etwas vergessen hätte, eine Bewegung, um wieder hinaufzusteigen.

»Verzeihen Sie, Bürger,« sagte Pitou, »hierdurch passirt man.«

»Ah! man passirt hierdurch?«

»Und da Befehl gegeben ist, die Tuilerien zu räumen, so passiren Sie gefälligst.«

Beausire richtete den Kopf hoch auf und stieg weiter die Treppe herab.

Auf der letzten Stufe angelangt, legte er die Hand an seine Mütze und sagte, den militärischen Ton affectirend:

»Sprechen Sie, Kamerad, passirt man oder passirt man nicht?«

»Man passirt; doch zuvor muß man sich einer einen Förmlichkeit unterwerfen.«

»Hm! . . . Und welcher, mein schöner Kapitän?«

»Man muß sich durchsuchen lassen, Bürger.«

»Durchsuchen?«

»Ja.«

»Einen Patrioten durchsuchen, einen Bürger, einen Mann, der die Aristokraten vertilgt hat?«

»So lautet der Befehl; also, Kamerad, da Sie Kamerad sagen, stecken Sie Ihren großen Säbel in die Scheide, – es ist nun unnöthig, daß die Aristokraten getödtet werden, – und unterziehen Sie sich gutwillig oder ich bin genöthigt, Gewalt zu gebrauchen.«

»Gewalt?« versetzte Beausire. »Ah! Du spricht so, mein schöner Kapitän, weil Du da zwanzig Mann unter Deinen Befehlen hat; doch wären wir unter vier Augen! . . . «

»Wären wir unter vier Augen,« erwiederte Pilot, »höre, was ich thun würde: ich würde Dich so mit der rechten Hand am Faustgelenke nehmen; ich würde Dir den Säbel mit der linken Hand herausreißen und ihn unter meinem Fuße zerbrechen, als nicht mehr würdig von der Hand eines ehrlichen Mannes berührt zu werden, nachdem er von der eines Diebes berührt worden ist.«

Und die Theorie, die er entwickelte, in Ausführung bringend, bog Pitou das Faustgelenke des falschen Partrioten mit einer rechten Hand, entriß ihm den Säbel mit seiner linken, zerbrach die Klinge unter einem Fuße und warf den Griff fern von sich.

»Ein Dieb!« rief der Mann mit der rothen Mütze, »ein Dieb, ich, Herr von Beausire?«

»Mein Freunde,« sprach Pitou, indem er den ehemaligen Gefreiten mitten unter seine Leute schob, »durch sucht Herrn von Beausire.«

»Nun! so durchsucht!« sagte der Mann, die Arme wie ein Opfer ausstreckend; »durchsucht.«

Man brauchte nicht die Erlaubniß von Herrn von Beausire, um zur Durchsuchung zu schreiten; doch zum großen Erstaunen von Pitou und besonders von Maillard mochte man immerhin suchen, die Taschen umkehren, die geheimsten Orte betasten, man fand beim ehemaligen Gefreiten nur ein Kartenspiel mit kaum sichtbaren Figuren, so alt waren sie, sodann eine Summe elf Sous.

Pitou schaute Maillard an.

Dieser machte mit den Schultern eine Geberde, welche bezeichnete: »Was wollen Sie?«

»Fangt wieder an!« sprach Pitou, bei dem, wie man sich erinnert, eine der Haupteigenschaften die Geduld war.

Man fing wieder an; die zweite Durchsuchung war genau so fruchtlos, wie die erste; man fand nichts, als selbe Kartenspiel und dieselben elf Sous.

Herr von Beausire triumphirte.

»Nun,« sagte er, »ist ein Säbel immer noch entehrt, weil er meine Hand berührt hat?«

»Nein, mein Herr,« erwiederte Pitou, »und zum weise diene, daß, wenn Sie mit den Entschuldigung, die ich Ihnen mache, nicht zufrieden sind, einer von meinen Leuten Ihnen den seinigen leihen soll, und werde Ihnen jede andere Genugthuung, die Ihnen beliebt, geben.«

»Ich danke, junger Mann,« sprach Herr von Beausire, indem er sich in die Brust warf; »Sie haben kraft eines Befehles gehandelt, und ein alter Militär weiß, daß ein Befehl eins heilige Sache ist. Nun aber bemerke ich Ihnen, daß Frau von Beausire wegen meiner langen Abwesenheit besorgt sein muß, und ist es mir erlaubt, mich zu entfernen . . . «

»Gehen Sie, mein Herr,« sagte Pitou.

Beausire grüßte mit einer ganz ungezwungenen Miene und ging ab.

Pitou suchte mit den Augen Maillard: Maillard war nicht mehr da.

»Habt Ihr Herrn Maillard gesehen?« fragte er.

»Mir scheint, ich habe ihn die Treppe hinaufgehen sehen,« antwortete ein Haramonter,

»Es scheint Ihnen richtig,« versetzte Pitou, »da er kommt eben wieder herab.«

Maillard stieg wirklich die Treppe herab und war Dank sei es seinen langen Beinen, bald unter den Vestibule.

»Nun,« fragte er, »haben Sie etwas gefunden.«

»Nein,« antwortete Pitou.

 

»Dann bin ich glücklicher gewesen, als Sie habe das Etui gefunden.«

»Wir hatten also Unrecht?«

»Nein, wir hatten Recht.«

Und das Etui öffnend, zog Maillard die goldene Fassung heraus, welche aller Edelsteine, die sie umschlossen hatte, beraubt war.

»Ei« fragte Pitou, »was will das besagen?«

»Das will besagen, daß der Bursche den Streich vermuthet, die Diamanten aus der Fassung gebrochen und diese, da er sie für zu lästig hielt, mit dem Etui in das Cabinet, wo ich sie entdeckt, geworfen hat.«

»Gut!« sagte Pitou; »und die Diamanten?«

»Er hat Mittel gefunden, sie uns zu escamotiren.«

»Ah! der Schurke!«

»Ist er schon lange weggegangen?« fragte Maillard.

»Als Sie herabkamen, schritt er durch das Tor des mittleren Hofes.«

»Und nach welcher Seite ging er?«

»Er neigte sich dem Quai zu.»

»Adieu, Kapitän.«

»Wohin gehen Sie?«

»Ich will mit dieser Sache ins Reine kommen.« antwortete der ehemalige Huissier.

Und seine langen Beine wie einen Cirkel öffnend, schritt er zur Verfolgung von Herrn von Beausire.

Pitou blieb ganz nachdenkend über das, was vor vorgefallen, und er war noch mit diesen Gedanken beschäftigt, als er die Gräfin von Charny zu erkennen glaubte und die Ereignisse sich zutrugen, die wir an anderem Orte erzählt haben, da wir es nicht für geeignet achteten, sie mit einem Vorfalle zu verflechten, der eine Ordnungsnummer anderswo finden sollte.

CLXVII
Die Purganz

So rasch Maillard auch lief, er konnte Herrn von Beausire nicht einholen; dieser hatte drei günstige Umstande für sich: einmal zehn Minuten Vorsprung; sodann die Dunkelheit, und endlich die vielen Menschen, welche durch den Hof des Carrousel gingen, und unter denen Herr von Beausire verschwunden war.

Als er aber einmal das Quai der Tuilerien erreicht hatte, setzte der Exhuissier vom Chatelet nichtsdestoweniger seinen Gang fort: er wohnte, wie gesagt, im Faubourg Saint-Antoine, und es war sein Weg oder ungefähr ein Weg, den Quais bis zur Grève zu folgen.

Ein großer Zusammenlauf von Volk drängte sich auf dem Pont-Neuf und auf dem Pont au Charge: man hatte eine Ausstellung von Leichen auf dem Platze des Justizpalastes gemacht, und Jeder begab sich dahin, in der Hoffnung, oder vielmehr in der Furcht, einen Bruder, einen Verwandten oder einen Freund wiederzufinden.

Maillard folgte der Menge.

An der Ecke der Rue de la Barillerie und der Place du Palais hatte er einen Freund, der Apotheker war.

Maillard trat bei seinem Freunde ein, setzte sich und plauderte über die Angelegenheiten des Tages, indes die Wundärzte vom Apotheker Binden, Salben, Charpie, kurz alle zum Verbinden der Verwundeten nothwendigen Dinge fordernd, ab und zugingen; – man erkannte nämlich unter den Todten von Zeit zu Zeit an einem Schrei, an einem Winseln, an einem Stöhnen einen noch lebenden Unglücklichen, und dieser Unglückliche wurde auf der Stelle aus der Mitte der Leichname hevorgezogen, verbunden und nach dem Hopital-Dien gebracht.

Es herrschte also eine große geschäftige Unruhe in der Officin des würdigen Apothekers; Maillard war aber nicht lästig, und dann empfing man mit Vergnügen an solchen Tagen einen Patrioten vom Schlage von Maillard, der wie Balsam in der Altstadt und in den Vorstädten roch.

Er saß ungefähr seit einer Viertelstunde, eine langen Beine über einander geschlagen und sich so klein als möglich machend, da, als eine Frau von siebenunddreißig bis achtunddreißig Jahren eintrat, welche unter der Livree des gräulichsten Elends ein gewisses Ansehen von ehemaliger Wohlhabenheit bewahrte und durch ihren Gang ihre, wenn nicht angeborene, doch wenigstens in studirte Aristokratie verrieth.

Was aber Maillard besonders auffiel, das war die seltsame Aehnlichkeit dieser Frau mit der Königin: er würde einen Schrei des Erstaunens ausgestoßen haben, hätte er nicht die uns schon bekannte große Selbstbeherrschung besessen.

Sie hielt an der Hand einen kleinen Knaben von acht bis neun Jahren und trat an das Comptoir mit einer Art von Schüchternheit, indem sie so gut, als sie nur immer konnte, die Dürftigkeit ihrer Kleidung verhüllte, welche indessen nur noch mehr sichtbar wurde durch die Sorge, die in ihrer Noth diese Frau auf ihr Gesicht und ihre Hände verwandte.

Eine Zeit lang wurde es ihr unmöglich, sich Gehör zu verschaffen, so groß war die Menge; endlich wandte sie sich an den Herrn des Etablissement und sagte:

»Mein Herr, ich sollte nothwendig ein Purgirmittel für meinen Mann haben, der krank ist.«

»Welches Purgirmittel wünschen Sie zu haben, Bürgerin?« fragte der Apotheker.

»Welches Sie wollen, mein Herr, wenn es nur nicht mehr als elf Sous kostet.«

Die Zahl elf Sous fiel Maillard auf; elf Sous waren gerade die Summe, die sich, wie man sich erinnert, in der Tasche von Herrn von Beausire gefunden hatten.

»Warum soll es nicht über elf Sous kosten?« bemerkte der Apotheker.

»Weil das alles Geld ist, was mein Mann mir hat geben können.«

»Machen Sie eine Mischung von Tamarinde und Fennesblättern und geben Sie das der Bürgerin,« sagte der Apotheker zu seinem ersten Gehilfen.

Der erste Gehilfe beschäftigte sich mit der Bereitung, während der Apotheker auf andere Verlangen antwortete.

Maillard aber, der durch nichts zerstreut wurde, hatte seine ganze Aufmerksamkeit bei der Frau mit dem Purgirmittel und den elf Sous concentrirt.

»Bürgerin,« sagte der erste Gehilfe, »hier ist Ihre Medicin.«

»Nun, Toussaint,« sprach die Frau mit einem gedehnten Tone, der bei ihr Gewohnheit zu sein schien, »gib die elf Sous, mein Kind.«

»Hier sind sie,« erwiederte der kleine Bursche.

Und er legte seine Handvoll Scheidemünze auf den Tisch und sagte:

»Komm, Mama Oliva; komm geschwinde: Papa wartet.«

Dann suchte er seine Mutter fortzuziehen, wieder holend:

»Aber komm doch, Mama Oliva! komm doch!«

»Verzeihen Sie, Bürgerin,« bemerkte der Gehilfe, »es sind nur neun Sous.«

»Wie, es sind nur neun Sous?« fragte die Frau.

»Ei! zählen Sie selbst,« versetzte der Gehilfe.

Die Frau zählte selbst: es waren in der That nur Sous.

»Was hast Du mit den zwei andern Sous gemacht, böses Kind?« fragte sie.

»Ich weiß es nicht,« antwortete der Knabe. »Komm, Mama Oliva!«

»Du mußt es wissen, da Du das Geld tragen wolltest, und ich es Dir gegeben habe.«

»Ich werde sie verloren haben . . . So komm doch!«

»Sie haben da einen reizenden Knaben, Bürgerin sprach Maillard; »er scheint voll Verstand zu sein, doch Sie müssen sich in Acht nehmen, daß er kein Dieb wird.«

»Ein Dieb!« versetzte die Frau, die das Bürschchen unter dem Titel Mama Oliva bezeichnet hatte; »ich bitte, warum dies, mein Herr?«

»Weil er die zwei Sous nicht verloren, sondern in einem Schuh versteckt hat.«

»Ich?« rief das Kind. »Das ist nicht wahr!«

»Im linken Schuh, Bürgerin, im linken Schuh,« wiederholte Maillard.

Mama Oliva zog dem jungen Toussaint, trotz sei es Geschreis, den Schuh vom linken Fuße und fand die zwei Sous.

Sie gab sie dem Apothekergehilfen und schleppte den Knaben fort, ihn mit einer Strafe bedrohend, die den Anwesenden entsetzlich geschienen hätte, würden sie nicht den Theil der Milderungen gemacht haben, welche ohne Zweifel die mütterliche Zärtlichkeit gestatten sollte.

An und für sich ziemlich bedeutungslos, würde dieses Ereigniß sicherlich unbemerkt, unter den ernsten Umständen, in denen man sich befand, vorübergegangen sein, hätte die Aehnlichkeit dieser Frau mit der Königin Maillard nicht ganz sonderbar in Anspruch genommen.

Eine Folge hiervon war, daß er sich seinem Freunde, dem Apotheker, näherte und ihn, sich seiner in einem Augenblicke der Ruhe, der ihm vergönnt war, bemächtigend, fragte:

»Haben Sie bemerkt?«

»Was?«

»Die Aehnlichkeit der Bürgerin, welche von hier weggeht . . . «

»Mit der Königin?« versetzte lachend der Apotheker.

»Ja ., . Sie haben sie bemerkt wie ich?«

»Schon lange!«

»Wie, schon lange?«

»Allerdings; das ist eine historische Aehnlichkeit.«

»Ich verstehe nicht.«

»Erinnern Sie sich nicht der berüchtigten Halsbandgeschichte?«

»Ob! ein Huissier vom Chatelet kann eine solche Geschichte nicht vergessen haben.«

»Dann müssen Sie sich einer gewissen Nicole Leguay, genannt die Demoiselle Oliva, erinnern?«

»Ah! es ist bei Gott wahr! Sie hatte beim Cardinal von Rohan die Rolle der Königin gespielt!«

»Und lebte mit einem aus schlimmen Geschichten zusammengesetzten Burschen, einem ehemaligen Gefreiten, einem Mouchard, Namens Beausire.«

»Wie?« rief Maillard, als ob ihn eine Schlange stäche.

»Namens Beausire,« wiederholte der Apotheker.

»Und diesen Beausire nennt sie ihren Mann?« fragte Maillard.

»Ja.«

»Und für ihn hat sie eine Arznei geholt?«

»Der Bursche muß sich irgendwo eine Unverdaulichkeit zugezogen haben.«

»Ein Purgirmittel?« fuhr Maillard fort, wie in Mensch, der einem wichtigen Geheimniß auf der Spur ist und sich nicht will von seiner Idee abbringen lassen.

»Ein Purgirmittel, ja.«

»Ah!« rief Maillard, indem er sich vor die Stirn schlug, »ich habe meinen Mann!«

»Welchen Mann?«

»Den Mann mit den elf Sous.«

»Wer ist der Mann mit den elf Sous?«

»Herr von Beausire, beim Teufel!«

»Sie haben ihn?«

»Ja . . . Das heißt, wenn ich weiß, wo er wohnt.«

»Ich weiß es, wenn Sie es nicht wissen.«

»Gut! Wo wohnt er?«

»In der Rue de la Juiverie, Nr. 6.«

»Ganz hier in der Nähe?«

»Zwei Schritte von hier.«

»Nun! das befremdet mich nicht.«

»Was?«

»Daß der junge Toussaint seiner Mutter zwei Sous gestohlen hat.«

»Wie! das befremdet Sie nicht?«

»Nein: es ist der Sohn von Herrn von Beausire, nicht wahr?«

»Es ist sein lebendiges Ebenbild.«

»Art läßt nicht von Art! Sprechen Sie, lieber Freund,« fuhr Maillard fort, »die Hand aufs Herz, in wie viel Zeit wird Ihre Medicin wirken?«

»Im Ernste?«

»Ganz im Ernste.«

»Nicht vor zwei Stunden.«

»Mehr brauche ich nicht; ich habe Zeit.«

»Sie interessiren sich also für Herrn von Beausire?«

»Ich interessire mich so sehr für ihn, daß ich befürchtend, man könnte ihn schlecht pflegen . . . «

»Was?«

»Zwei Krankenwärter für ihn holen will . . . Adieu, lieber Freund.«

Und die Officin des Apothekers mit einem stillen Gelächter, dem einzigen, das je dieses finstere Gesicht entrunzelt hatte, verlassend, nahm Maillard wieder seinen Lauf nach den Tuilerien.

Pitou war abwesend; man erinnert sich, daß er durch den Garten mit Andrée die Spur des Grafen von Charny verfolgt hatte; in seiner Abwesenheit fand er aber Maniquet und Tellier, die den Posten bewachten.

Beide erkannten ihn.

»Ah! Sie sind es, Herr Maillard?« fragte Maniquet; »nun, haben Sie unsern Mann eingeholt?«

»Nein,« erwiederte Manuel; »doch ich bin ihm auf der Spur.«

»Bei meiner Treue! das ist ein Glück,« sagte Tellier, »denn wenn man auch nichts bei ihm gesunden, so wollte ich doch wetten, daß er die Diamanten hatte!«

»Wetten Sie, Bürger,« sprach Maillard, »weiten Sie, und Sie werden gewinnen.«

»Gut!« versetzte Maniquet; »und man wird sie ihm wieder nehmen können?« »Ich hoffe es wenigstens, wenn Sie mich dabei unterstützen.«

»Wie dies, Bürger Maillard? Wir sind zu Ihren Befehlen.«

Maillard winkte dem Lieutenant und dem Unterlieutenant, sich ihm zu nähern.

»Wählen Sie mir aus dem Truppe zwei sichere Männer.«

»Was den Muth betrifft?«

»Nein, was die Ehrlichkeit betrifft.«

»Oh! dann können Sie aufs Gerathewohl nehmen.« sagte Désiré.

Und sich gegen den Posten umwendend:

»Zwei Freiwillige!«

Es erhob sich ein Dutzend Leute.

»Boulanger,« sprach Maniquet, »komm hierher.«

Einer von den Leuten trat näher hinzu.

»Und Du, Molicar.«

Ein Zweiter nahm seinen Platz neben dem Ersten.

»Wollen Sie mehr, Herr Mailand fragte Tellier.

»Nein, das genügt. Kommt meine Bürger!«

Die zwei Haramonter folgten Maillard.

Maillard führte sie nach der Rue de la Juiverie und blieb vor der Thüre Nr. 6 stehen.

»Es ist hier,« sagte er, »gehen wir hinauf.«

Die zwei Männer traten mit ihm in den Gang ein, stiegen die Treppe hinauf und gelangten endlich in den vierten Stock.

Hier wurden sie geleitet durch das Geschrei von Herrn Toussaint, der noch schlecht getröstet über die nicht mütterliche, sondern väterliche Züchtigung, – denn in Betracht des sehr gewichtigen Falles hatte Herr von Beausire ins Mittel treten und ein paar Ohrfeigen von seiner harten, dürren Hand den etwas weicheren Kläppen, welche wider Willen ihren geliebten Sohne Mademoiselle Oliva ertheilt, beifüge zu müssen geglaubt.

 

Maillard versuchte es, zu öffnen.

Der Riegel war innen vorgeschoben.

Er klopfte.

»Wer ist da?« fragte mit gedehnter Stimme Mademoiselle Oliva.

»Im Namen des Gesetzes, öffnet!«, antwortete Maillard.

Es fand ein kleines Gespräch mit leiser Stimme statt, dessen Resultat war, daß der junge Toussaint schwieg, im Glauben, wegen der zwei Sous, die er seiner Mutter zu stehlen versucht, bemühe sich die Polizei, während Beausire, das Klopfen auf Rechnung der Haussuchungen setzend, so schlecht er selbst beruhigt war, Oliva zu beruhigen sich anstrengte.

Endlich entschloß sich Frau von Beausire, und in dem Augenblicke, wo Maillard zum zweiten Male klopfen wollte, öffnete sich die Thüre.

Die drei Männer traten ein zum großen Schrecken von Mademoiselle Oliva und Herrn Toussaint, der sich hinter einen allen Strohstuhl kauerte.

Herr von Beausire lag im Belle, und auf seinem Nachttische, dem ein in einem eisernen Leuchter rauchendes schlechtes Talglicht einige Helle verlieh, bemerkte Maillard zu seiner Zufriedenheit die leere Flasche . . . Die Arznei war verschluckt: man brauchte nur ihre Wirkung abzuwarten.

Unter Weges hatte Maillard Boulanger und Molicar erzählt, was beim Apotheker vorgefallen; so daß diese, als sie ins Zimmer von Herrn von Beausire kamen, vollkommen über die Situation unterrichtet waren.

Nachdem er sie auf jede Seite vom Bette des Kranken gestellt, sagte er auch nur einfach zu ihnen:

»Bürger, Herr von Beausire ist gerade wie jene Prinzessin in Tausend und eine Nacht, welche nur sprach, wenn sie dazu gezwungen war, so oft sie aber den Mund auftat, einen Diamant daraus fallen ließ. Laßt also kein Wort vor Herrn von Beausire fallen, ohne zu ergründen, was es enthält . . . Ich will Euch auf der Municipalität erwarten: hat der Herr nichts mehr zu sagen, so werdet Ihr ihn nach dem Chatelet führen und dort von Seiten des Bürgers Maillard empfehlen; und dann kommt zu mir ins Stadthaus mit dem, was er gesagt hat.«

Die zwei Nationalgarden verbeugten sich zum Zeichen des passiven Gehorsams und stellten sich mit dem Gewehre auf jede Seite des Bettes von Herrn von Beausire.

Der Apotheker hatte sich nicht getäuscht: nach Verlauf von zwei Stunden wirkte die Medicin.

Die Wirkung dauerte ungefähr eine Stunde und war äußerst befriedigend.

Gegen drei Uhr Morgens sah Maillard die zwei Männer zu ihm kommen.

Sie brachten für hunderttausend Franken Diamanten vom reinsten Wasser in einem Verhaftungsscheine von Herrn von Beausire.

Maillard beeilte sich, in seinem und der zwei Haramonter Namen, die Diamanten auf dem Bureau des Procurators der Commune niederzulegen, und dieser übergab ihnen ein Certificat, beurkundend, die Bürger Maillard, Molicar und Boulanger haben sich um das Vaterland wohl verdient gemacht.