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Der Graf von Bragelonne

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Im Hintergrunde dieser Alleen liefen mit deutlichen Zeichen der Angst erschrockene Rehe hin und her, welche, nachdem sie einen Augenblick mitten auf dem Wege stille gehalten und den Kopf emporgestreckt hatten, wie Pfeile entflohen und mit einem Sprung in das Dickicht zurückkehrten, wo sie verschwanden, während man von Zeit zu Zeit ein philosophisches Kaninchen erblickte, das auf seinem Hintertheil hockend sich mit den Vorderläusen an der Schnauze kratzte und die Luft befragte, um, zu erkennen, ob allen den Leuten, welche herbeikamen und es so in seinen Meditationen, in seinem Mahle oder in seiner Liebe störten, nicht ein Hund mit verdrehten Beinen folgte oder ob sie nicht ein Gewehr unter dem Arm trügen.

Die ganze Gesellschaft war indessen aus dem Wagen gestiegen, als sie die Königin hatte aussteigen sehen.

Maria Theresia nahm eine von ihren Ehrendamen beim Arm und ging, nachdem sie einen schiefen Blick auf den König geworfen, der gar nicht wahrzunehmen schien, daß er nur im Geringsten der Gegenstand der Aufmerksamkeit der Königin sei, auf dem ersten Fußpfad, der sich vor ihr öffnete, in den Wald hinein.

Zwei Piqueurs schritten Ihrer Majestät mit Stöcken voran, deren sie sich bedienten, um die Zweige aufzuheben, oder die Brombeersträuche, die den Weg versperren konnten, auf die Seite zu schieben.

Als Madame ausstieg, fand sie an ihrer Seite Herrn von Guiche, der sich vor ihr verbeugte und sich zu ihrer Verfügung stellte.

Entzückt von seinem Bade zwei Tage vorher, hatte Monsieur erklärt, er gebe dem Flusse den Vorzug, und war, nachdem er Guiche entlassen, mit dem Chevalier von Lorraine und Manicamp im Schloß zurückgeblieben.

Es fand sich in ihm nicht mehr ein Schatten von Eifersucht.

Man hatte ihn daher vergebens im Zuge gesucht; da aber Monsieur ein sehr persönlicher Prinz war, der gewöhnlich nur wenig zum allgemeinen Vergnügen beitrug, so war seine Abwesenheit mehr ein Gegenstand der Zufriedenheit, als des Bedauerns gewesen.

Jedermann hatte das von der Königin und von Madame gegebene Beispiel befolgt und seine Bequemlichkeit nach dem Zufall oder nach seinem Geschmack gesucht.

Der König war, wie gesagt, bei La Vallière geblieben, und er hatte dieser, da er in dem Augenblick vom Pferde stieg, wo man den Wagenschlag öffnete, die Hand geboten.

Sogleich entfernten sich Montalais und Tonnay-Charente, die Eine aus Berechnung, die Andere aus Discretion.

Nur fand zwischen Beiden der Unterschied statt, daß die Eine sich mit dem Wunsch entfernte, dem König angenehm zu sein, die Andere mit dem, dem König unangenehm zu sein.

Während der letzten halben Stunde hatte auch das Wetter seine Verfügungen getroffen; wie durch einen heißen Wind angetrieben, hatte sich dieser ganze Schleier im Wasser zusammengeballt, und rückte dann wieder, durch eine entgegengesetzte Strömung zurückgeworfen, langsam, schwerfällig heran.

Man fühlte den Sturm herannahen; da ihn aber der König nicht sah, so glaubte sich Niemand berechtigt, ihn zu sehen.

Die Promenade wurde also fortgesetzt; einige ängstliche Geister schlugen indessen von Zeit zu Zeit die Augen zum Himmel auf.

Noch Furchtsamere gingen auf und ab, ohne sich von den Wagen zu entfernen, in denen sie für den Fall eines Sturmes Schutz zu suchen gedachten.

Aber der größte Theil her Gesellschaft folgte dem König, als man ihn muthig mit La Vallière in den Wald eindringen sah.

Sobald dies der König gewahrte, nahm er La Vallière bei der Hand und führte sie in eine Seitenallee, wohin ihm diesmal Niemand zu folgen wagte.

XVIII.
Der Regen

In demselben Augenblick und in der Richtung, die der König und La Vallière genommen hatten, statt der Allee zu folgen, nur daß sie außer dem Wald gingen, schritten zwei Männer sehr unbesorgt um den Zustand des Himmels einher.


Sie hielten ihre Köpfe gesenkt, wie Leute, welche an ernste Interessen denken.

Sie hatten weder Guiche, noch Madame, noch den König, noch La Vallière gesehen.

Plötzlich zog etwas durch die Lust wie ein Flammenschub, gefolgt von einem dumpfen, entfernten Murren.

»Oh!« sagte der Eine, das Haupt erhebend, »der Sturm kommt. Kehren wir zu den Wagen zurück, mein lieber d’Herblay.«

Aramis schlug die Augen auf und befragte das Wetter.

»Oh!« rief er, »es hat noch keine Eile.«

Dann die Unterredung fortsetzend, wo er sie ohne Zweifel gelassen hatte, sprach er:

»Ihr sagt also, der Brief, den wir gestern Abend geschrieben, müsse zu dieser Stunde an seine Bestimmung gelangt sein.«

»Ich sage, es sei dies gewiß.«

»Durch wen habt Ihr ihn überbringen lassen?«

»Durch meinen Geheimboten, wie ich Euch zu bemerken die Ehre hatte.«

»Hat er Antwort gebracht?«

»Ich habe ihn nicht wieder gesehen; ohne Zweifel war die Kleine im Dienst bei Madame, oder sie kleidete sich in ihrem Zimmer an, sie wird ihn haben warten lassen. Es kam die Stunde der Abfahrt und wir sind weggefahren. Ich kann folglich nicht wissen, was dort vorgegangen ist.«

»Ihr habt den König vor dem Abgang gesehen?«

»Ja.«

»Wie habt Ihr ihn gefunden?«

»Vortrefflich . . . oder schändlich, je nachdem er mehr oder weniger Heuchler gewesen ist.«

»Und das Fest?«

»Wird in einem Monat stattfinden.«

»Er hat sich dazu eingeladen?«

»Mit einer Dringlichkeit, in der ich Colbert erkannte.«

»Das ist gut.«

»Hat Euch die Nacht Eure Illusionen nicht benommen?«

»Worüber?«

»Ueber die Unterstützung, die Ihr bei diesem Umstand gewähren könnt?«

»Nein, ich habe die Nacht mit Schreiben zugebracht, und alle Befehle sind gegeben.«

»Das Fest wird mehrere Millionen kosten, verhehlt Euch das nicht.«

»Ich werde für sechs sorgen, haltet Eurerseits für jeden Fall zwei bis drei bereit.«

»Ihr seid ein wunderbarer Mann, mein lieber d’Herblay.«

Aramis lächelte.

»Aber,« fragte Fouquet, mit einem Ueberrest von Besorgniß, »warum habt Ihr, da Ihr so in den Millionen wühlt, Baisemeaux vor einigen Tagen nicht aus Eurer Tasche die fünfzig tausend Franken gegeben?«

»Weil ich vor einigen Tagen arm war wie Hiob.«

»Und heute?«

»Heute bin ich reicher als der König.«

»Sehr gut,« sagte Fouquet, »ich verstehe mich auf den Menschen, und weiß, daß Ihr unfähig seid, mir Euer Wort nicht zu halten; ich will Euch Euer Geheimniß nicht entreißen: sprechen wir nicht mehr davon.«

In diesem Augenblick vernahm man ein dumpfes Rollen, das plötzlich in einem Donnerschlag losbrach.

»Ho! ho!« machte Fouquet, »ich sagte es Euch wohl.«

»Nun, so laßt uns zu den Wagen zurückkehren,« erwiederte Aramis.

»Wir werden nicht mehr Zeit haben, es fängt schon an zu regnen.«

In der That, als ob der Himmel geöffnet wäre, ließ ein Guß von großen Tropfen plötzlich den Dom des Waldes ertönen.

»Oh!« entgegnete Aramis, »wir haben Zeit, die Wagen zu erreichen, ehe das Blätterwerk überströmt ist.

»Besser wäre es, wenn wir uns in irgend eine Grotte zurückziehen könnten.«

»Ja, aber wo gibt es eine Grotte?« fragte Aramis.

»Ich kenne eine zehn Schritte von hier,« erwiederte Fouquet lächelnd.

Dann, indem er sich umschaute, fügte er bei:

»Ja, so ist es.«

»Wie glücklich seid Ihr, daß Ihr ein so gutes Gedächtniß besitzt,« sagte Aramis ebenfalls lächelnd; »befürchtet Ihr aber nicht. Euer Kutscher, wenn er uns nicht wieder erscheinen sieht, könnte glauben, wir haben einen andern Rückweg genommen, und den Wagen des Hofes folgen?«

»Oh! es ist keine Gefahr,« erwiederte Fouquet, »wenn ich meinen Kutscher und meinen Wagen an einem Orte aufstelle, so kann ihn nur ein ausdrücklicher Befehl des Königs bewegen, seinen Posten zu verlassen, und überdies scheint es mir, daß wir nicht die Einzigen sind, die so weit vorgerückt. Ich höre Tritte und ein Geräusch von Stimmen.«

Während Fouquet diese Worte sprach, wandte er sich um, und öffnete mit seinem Stock eine Masse von Blättern, die ihm den Weg verbarg.

Der Blick von Aramis drang zugleich mit dem seinigen durch die Oeffnung,

»Eine Frau!« sagte Aramis.

»Ein Mann!« sagte Fouquet.

»La Vallière!«

»Der König!«

»Oh! ho!« sagte Aramis, »sollte der König Eure Höhle auch kennen? Darüber würde ich mich nicht wundern; er scheint mir einen ziemlich geregelten Verkehr mit den Nymphen von Fontainebleau zu unterhalten.«

»Gleichviel,« versetzte Fouquet, »gehen wir immerhin zur Grotte; kennt er sie nicht, so werden wir sehen, was geschieht, kennt er sie, so gehen wir, da sie zwei Oeffnungen hat, während er durch die eine eintritt durch die andere hinaus.«

»Ist sie fern von hier?« fragte Aramis, »der Regen sickert schon durch.«

»Wir sind an Ort und Stelle.«

Fouquet schob einige Zweige auf die Seite, und man konnte eine Felsaushöhlung erblicken, welche Heidekraut, Epheu und aufgehäufte Eicheln völlig verbargen.

Fouquet zeigte den Weg.

Aramis folgte ihm.

In dem Augenblick, wo sie in die Grotte eintreten wollten, wandte sich Aramis um.

»Ho! ho!« sagte er, »sie kommen gerade in das Gehölze herein und wenden sich nach dieser Seite.«

»Nun wohl! treten wir ihnen, den Platz ab,« sprach Fouquet lächelnd, indem er Aramis am Mantel zog: »ich glaube aber nicht, daß der König meine Grotte erkennt.«

»Sie suchen in der That,« erwiederte Aramis, »doch nur einen dichten belaubten Baum.«

Aramis täuschte sich nicht, der König schaute in die Luft, und nicht um sich her.

Er hielt den Arm der La Vallière unter dem seinigen, er hielt seine Hand auf der ihrigen.

La Vallière fing an, auf dem feuchten Gras, auszuglitschen.

Ludwig spähte mit noch mehr Aufmerksamkeit umher, und führte, als er eine ungeheure dick belaubte Eiche erblickte, La Vallière unter das Obdach dieser Eiche.

 

Die Arme schaute sich um, sie schien zugleich zu wünschen und zu befürchten, daß man ihr folge.

Der König ließ sie an den Stamm des Baumes anlehnen, dessen weiter Umkreis beschützt durch das dichte Blätterwerk so trocken war, als ob nicht in diesem Augenblick der Regen in Strömen herabfiele.

Er selbst stand mit entblößtem Haupte vor ihr.

Nach einem Augenblick sickerten einige Tropfen durch die Zweifle des Baumes und fielen auf die Stirne des Königs, der nicht darauf achtete.

»Oh! Sire,« murmelte La Vallière, indem sie nach dem Hut des Königs griff.

Doch der König verbeugte sich und weigerte sich hartnäckig, sich zu bedecken.

»Jetzt oder nie habt Ihr Anlaß, Euren Platz anzubieten,« flüstere Fouquet Aramis ins Ohr.

»Jetzt oder nie haben wir Anlaß zu horchen, und kein Wort von dem zu verlieren, was sie sprechen,« erwiederte Aramis ebenfalls leise.

Sie schwiegen wirklich Beide, und die Stimme des Königs konnte bis zu ihnen dringen.

»Oh! mein Gott, mein Fräulein,« sagte der König, »ich sehe oder ich errathe vielmehr Eure Angst; glaubt mir, daß ich es aufrichtig bedaure, Euch von der übrigen Gesellschaft getrennt zu haben, und zwar, um Euch an einen Ort zu führen, wo Ihr unter dem Regen leiden werdet. Ihr seid schon durchnäßt, Ihr friert vielleicht.«

»Nein, Sire.«

»Ihr zittert aber doch.«

»Sire, es ist die Furcht, man könnte meine Abwesenheit in dem Augenblick, wo sicherlich schon Alle wieder versammelt sind, schlecht auslegen.«

»Ich würde Euch den Vorschlag machen, zu den Wagen zurückzukehren, mein Fräulein, doch schaut und horcht, und sagt mir, ob es möglich ist, in diesem Augenblick den geringsten Gang zu versuchen.«

Der Donner rollte in der That und der Regen fiel in Strömen herab.

»Ueberdies ist keine Auslegung zu Eurem Nachtheil möglich,« fuhr der König fort. »Seid Ihr nicht beim König von Frankreich, das heißt beim ersten Edelmann des Reiches?«

»Gewiß, Sire, und das ist ein großes Glück für mich,« erwiederte La Vallière; »ich fürchte auch die Deutung nicht für mich.«

»Für wen denn?«

»Für Euch, Sire.«

»Für mich, mein Fräulein!« versetzte der König lächelnd. »Ich begreife Euch nicht.«

»Hat denn Eure Majestät schon vergessen, was gestern bei Ihrer Königlichen Hoheit vorgefallen ist?«

»Oh! ich bitte, vergessen wir das, oder erlaubt mir vielmehr, mich dessen nur zu erinnern, um Euch noch einmal zu danken, und zwar sowohl für Euren Brief, als . . . «

»Sire,« sagte La Vallière, »das Wasser fällt herab, und Eure Majestät bleibt barhäuptig.«

»Ich bitte, bekümmern wir uns nur um Euch, mein Fräulein.«

»Oh! ich,« versetzte La Vallière lächelnd, »ich bin eine Bäuerin, gewohnt, auf den Wiesen an der Loire und in den Gärten von Blois umherzulaufen, wie das Wetter auch sein mag. Und was meinen Anzug betrifft,« fügte sie, ihr einfaches Mousselinkleid anschauend, bei, »Eure Majestät sieht, daß da nicht viel gefährdet ist.«

»Wahrhaftig, mein Fräulein, ich habe schon mehr als einmal bemerkt, daß Ihr beinahe Alles Euch selbst, und nichts der Toilette zu verdanken habt. Ihr seid nicht gefallsüchtig, und das ist für mich eine große Eigenschaft.«

»Sire, macht mich nicht besser, als ich bin und sagt nur: Ihr könnt nicht gefallsüchtig sein.«

»Warum dieß?«

»Hm! weil ich nicht reich bin.«

»Damit gesteht Ihr, daß Ihr die schönen Dinge liebet!« rief der König lebhaft.

»Sire, ich finde nur die Dinge schön, die ich erlangen kann. Alles, was für mich zu hoch ist . . . «

»Ist Euch gleichgültig.«

»Nein, ist mir fremd, als ob es mir verboten wäre.«

»Und ich, mein Fräulein,« sagte der König, »ich finde, daß Ihr an meinem Hofe nicht auf dem Fuße seid, auf dem Ihr sein solltet. Man hat mir sicherlich nicht genug von den Diensten Eurer Familie gesagt. Der Wohlstand Eures Hauses ist von Eurem Oheim grausam vernachläßigt worden.«

»Oh! nein, Sire, Seine Hoheit, Monseigneur, der Herzog von Orleans, ist stets sehr gut gegen Herrn von Saint-Remy, meinen Stiefvater, gewesen. Die Dienste waren geringfügig, und man kann wohl sagen, daß wir nach unseren Werken belohnt worden sind. Es hat nicht Jedermann das Glück, Gelegenheiten zu finden, seinem König mit Auszeichnung zu dienen. Allerdings zweifle ich nicht, daß, wenn sich solche Gelegenheiten gefunden hätten, das Herz meiner Familie eben so groß gewesen wäre, als ihr Verlangen; doch wir haben dieses Glück nicht gehabt.«

»Nun wohl! mein Fräulein, es ist die Sache des Königs, den Zufall zu verbessern, und mit Freuden übernehme ich es, auf das Schnellste in Beziehung auf Euch das Unrecht des Glücks gut zu machen.«

»Nein, Sire, nein!« rief la Vallière lebhaft. »Ihr werdet gefälligst die Dinge in dem Zustande lassen, in dem sie sind.«

»Wie, mein Fräulein, Ihr schlagt aus, was ich für Euch thun muß, thun will?«

»Man hat Alles gethan, was ich wünschte, Sire, als man mir das Glück bewilligte, zu dem Hause von Madame zu gehören.«

»Wenn Ihr es für Euch ausschlagt, so nehmt es wenigstens für die Eurigen an.«

»Sire, Eure so großmüthige Intention blendet und erschreckt mich, denn wenn Ihr das thätet, was Eure Güte zu thun Euch antreibt, so würde Eure Majestät uns Mörder und sich Feinde machen. Laßt mich in meiner Mittelmäßigkeit, Sire; laßt allen Gefühlen, die mich bewegen können, die freudige Zartheit, daß kein Eigennutz obgewaltet.«

»Ah! das ist eine bewunderungswürdige Sprache!« rief der König.

»Es ist wahr, und er muß nicht daran gewöhnt sein,« flüsterte Aramis Fouquet ins Ohr.

»Wenn sie aber eine solche Antwort auf mein Billet gibt?« sagte Fouquet.

»Gut!« erwiederte Aramis, »urtheilen wir nicht zum Voraus und warten wir das Ende ab.«

»Und dann, mein lieber Herr d’Herblay,« sprach der Oberintendant, nicht sehr geneigt, an alle die Gefühle zu glauben, welche La Vallière ausgedrückt hatte; »ja es ist häufig eine geschickte Berechnung, bei den Königen uneigennützig zu scheinen.«

»Das dachte ich in dieser Minute,« erwiederte Aramis. »Horchen wir.«

Der König näherte sich La Vallière, und da das Wasser immer durch das Blätterwerk der Eiche herabsikerte, hielt er seinen Hut über den Kopf des Mädchens.

La Vallière schlug ihre schönen blauen Augen zu dem königlichen Hut auf, der sie beschirmte, schüttelte den Kopf und gab einen Seufzer von sich.

»Oh! mein Gott,« sagte der König, »welcher traurige Gedanke kann bis zu Eurem Herzen gelangen, während ich ihm einen Wall aus dem meinigen mache?«

»Sire, ich will es Euch sagen. Ich hatte diese für ein Mädchen von meinem Alter so schwer zu verhandelnde Frage schon ergriffen, aber Eure Majestät hat mir Stillschweigen auferlegt. Sire, Eure Majestät gehört nicht sich. Sire, Eure Majestät ist verheirathet; jedes Gefühl, das Eure Majestät von der Königin entfernen und bewegen würde, sich mit mir zu beschäftigen, wird für die Königin eine Quelle tiefen Kummers sein.«

Der König wollte La Vallière unterbrechen, sie fuhr aber mit einer flehenden Geberde fort:

»Die Königin liebt Eure Majestät mit einer Zärtlichkeit, die sich begreifen läßt; die Königin folgt Eurer Majestät auf jedem Schritt, der sie von ihr entfernt. Da sie das Glück gehabt hat, einen solchen Gatten zu finden, so bittet sie den Himmel mit Thränen, ihr seinen Besitz zu erhalten, und sie ist eifersüchtig auf die geringste Bewegung Eures Herzens.«

Der König wollte abermals sprechen, doch auch dießmal wagte es La Vallière, ihn zurückzuhalten.

»Wäre es nicht,« sagte sie, »wäre es nicht eine strafbare Handlung, wenn Eure Majestät, da sie eine so warme und edle Zuneigung wahrnehmen muß, der Königin Anlaß zur Eifersucht geben würde? Oh! verzeiht mir dieses Wort, Sire. Ah! mein Gott! ich weiß wohl, es ist unmöglich, oder es müßte vielmehr unmöglich sein, daß die größte Königin der Welt auf ein armes Mädchen, wie ich, eifersüchtig würde. Doch sie ist Weib, diese Königin, und wie das eines einfachen Weibes kann sich ihr Herz dem Argwohn öffnen, den die Bosheit mit Gift schwängern würde. In des Himmels Namen, Sire, beschäftigt Euch nicht mit mir, ich verdiene es nicht.«

»Oh! mein Fräulein,« rief der König, »Ihr bedenkt also nicht, daß Ihr, so sprechend, wie Ihr es thut, meine Werthschätzung in Bewunderung verwandelt!«

»Sire, Ihr nehmt meine Worte für das, was sie nicht sind; Ihr haltet mich für besser, als ich bin; Ihr macht mich größer, als mich Gott gemacht hat. Gnade für mich, Sire, denn wenn ich nicht wüßte, daß der König der edelmüthigste Mann seines Reiches ist, so würde ich glauben, der König wolle meiner spotten.«

»Oh! dergleichen befürchtet Ihr nicht, dessen bin ich sicher!« rief Ludwig.

»Sire, ich wäre genöthigt, es zu glauben, wenn der König eine solche Sprache mit mir zu sprechen fortführe.«

»Ich bin also ein sehr unglücklicher Fürst,« sagte der König mit einer Traurigkeit, die nichts Geheucheltes hatte, »der unglücklichste Fürst der Christenheit, da ich nicht einmal die Macht habe, meinen Worten Glauben vor der Person zu verschaffen, die ich am meisten in der Welt liebe, und die mir das Herz dadurch bricht, daß sie an meine Liebe zu glauben sich weigert.«

»Oh! Sire,« erwiederte La Vallière, indem sie den König, der sich ihr immer mehr genähert hatte, sanft zurückschob, »ich glaube, der Sturm legt sich und der Regen hört auf.«

In dem Augenblick aber, wo die Arme, um ihrem Herzen zu entfliehen, das ohne Zweifel zu sehr mit dem des Königs übereinstimmte, diese Worte sprach, übernahm es der Sturm, sie Lügen zu strafen; ein bläulicher Blitz beleuchtete den Wald mit einem phantastischen Reflex, und ein Donnerschlag, einer Artilleriesalve ähnlich, brach über dem Haupt der beiden jungen Leute los, als hätte die Höhe der Eiche, die sie beschirmte, den Donner hervorgerufen.

Das Mädchen konnte sich eines Angstschreis nicht erwehren.

Der König zog sie mit einer Hand an sein Herz und streckte die andere über ihren Kopf aus, als wollte er sie vor dem Blitz schützen.

Es trat ein Augenblick des Stillschweigens ein, in dem diese Gruppe, reizend, wie Alles was jung ist, unbeweglich blieb, während Fouquet und Aramis sie nicht minder unbeweglich, als der König und La Vallière, betrachteten.

»Oh! Sire, Sire,« murmelte la Vallière, »höret Ihr?«

Und sie ließ ihren Kopf auf Ihre Schultern fallen. »Ja,« antwortete Ludwig, »Ihr seht wohl, daß der Sturm nicht vorübergeht,«

»Sire, das ist eine Verkündigung.«

Der König lächelte.

»Sire, es ist die Stimme Gottes, welche droht.«

»Wohl,« sprach der König, »Ich nehme diesen Donnerschlag wirklich als eine Verkündigung und sogar als eine Drohung an, wenn er sich von jetzt in fünf Minuten mit derselben Gewalt und Heftigkeit wiederholt; geschieht dieß aber nicht, so erlaubt mir zu denken, der Sturm sei der Sturm und nichts Anderes.«

Und zu gleicher Zeit erhob der König das Haupt, als wollte er den Himmel befragen.

Doch als wäre der Himmel der Genosse von Ludwig gewesen, während der fünf Minuten Stille, die auf die Explosion folgte, welche die Liebende erschreckt hatte, ließ sich kein neuer Roller vernehmen, und als der Donner abermals hallte, so geschah es, indem er sich auf eine sichtbare Weise entfernte und als hätte der Sturm während dieser fünf Minuten in die Flucht geschlagen, vom Winde gepeitscht, weite Räume durchlaufen.

»Nun! Louise,« sagte der König laut, »werdet Ihr mich noch einmal mit dem Zorn des Himmels bedrohen, werdet Ihr, da Ihr aus dem Gewitter ein Vorgefühl machen wolltet, daran zweifeln, daß es wenigstens kein Vorgefühl von Unglück ist?«

Das Mädchen schaute empor; das Wasser hatte mittlerweile das Blättergewölbe durchdrungen und rieselte auf das Gesicht des Königs.

»Oh! Sire, Sire!« rief sie mit einem Ausdruck unwiderstehlicher Angst, der den König im höchsten Grad bewegte.

»Bleibt der König meinetwegen so barhäuptig und dem Regen ausgesetzt,« fügte sie bei: »aber wer bin ich denn?«

»Ihr seid, wie Ihr seht, die Gottheit, die den Sturm verjagt hat, die Göttin, die das schöne Wetter zurückbringt.«

Ein den Wald durchdringender Sonnenstrahl ließ wirklich wie eben so viele Diamanten die Regentropfen herabfallen, welche auf den Blättern rollten.

»Sire,« sagte La Vallière, beinahe besiegt, aber eine äußerste Anstrengung versuchend, »Sire zum letzten Mal flehe ich Euch an, denkt an die Schmerzen, die Ihre Majestät meinetwegen auszustehen haben wird. Mein Gott! in diesem Augenblick sucht man Euch, ruft man Euch. Die Königin muß unruhig, besorgt sein, und Madame, oh! Madame,« rief das Mädchen mit einem Gefühl, das dem Schrecken glich.«

 

Dieser Name brachte eine gewisse Wirkung auf den König hervor; er bebte und ließ La Vallière los, die er bis jetzt umfangen gehalten hatte.

Dann ging er auf den Weg zu, um hinauszuschauen und kam beinahe sorglich zurück.

»Madame, habt Ihr gesagt?« sprach der König.

»Ja, Madame; Madame, die auch eifersüchtig ist,« antwortete La Vallière mit einem tiefen Ausdruck.«

Und ihre so schüchternen, so keusch flüchtigen Augen wagten es, eine Sekunde die Augen des Königs zu befragen.

»Madame,« versetzte der König, der eine innere Bewegung zu überwinden sich anstrengte, »Madame hat, wie mir scheint, keinen Grund, auf mich eifersüchtig zu sein, Madame hat kein Recht . . . !«

»Ach!« murmelte La Vallière.

»Mein Fräulein,« sprach der König beinahe im Tone des Vorwurfs, »solltet Ihr zu denjenigen gehören, welche denken, die Schwester habe ein Recht auf den Bruder, eifersüchtig zu sein?«

»Sire, es geziemt sich nicht für mich, die Geheimnisse Eurer Majestät zu ergründen.«

»Oh! Ihr glaubt das, wie die Andern,« rief der König.

»Ich glaube, daß Madame eifersüchtig ist, ja, Sire,« antwortete La Vallière mit fester Stimme.

»Mein Gott!« fragte der König besorgt, »solltet Ihr das in ihren Benehmen gegen Euch bemerkt haben? Ist Madame gegen Euch auf eine schlimme Weise verfahren, die Ihr der Eifersucht zuschreiben könnt?«

»Keines Wegs, Sire, ich bin so wenig . . . «

»Oh! wenn es so wäre,« rief Ludwig mit seltener Stärke.

»Sire,« unterbrach ihn das Mädchen, »es regnet nicht mehr; man kommt, ich glaube, man kommt.«

Und jede Etiquette vergessend, nahm sie den König beim Arm.

»Nun denn, mein Fräulein,« erwiederte der König, »lassen wir die Leute kommen; wer sollte es wagen, schlimm zu finden, daß ich Fräulein de la Vallière Gesellschaft geleistet habe.«

»Habet Mitleid, Sire; oh! man wird es seltsam finden, daß Ihr so durchnäßt seid, daß Ihr Euch für mich aufgeopfert habt!«

»Ich habe nur meine Pflicht als Edelmann gethan,« sagte Ludwig, »und wehe dem der die seinige verletzen würde, indem er das Benehmen seines Königs tadelte.«

In diesem Augenblick sah man wirklich in der Allee einige eifrige und neugierige Köpfe erscheinen, welche zu suchen, und als sie den König und la Vallière erblickt, was sie suchten gefunden zu haben schienen.

Es waren die Abgesandten der Königin und von Madame; sie nahmen den Hut in die Hand, zum Zeichen, daß sie keine Majestät gesehen.

Ludwig verließ aber, so groß auch die Verwirrung der la Vallière war, seine ehrfurchtsvolle und zugleich zarte Stellung nicht.

Denn als alle Höflinge in der Allee versammelt waren, als Jedermann das Zeichen der Ehrerbietung hatte sehen können, welches er la Vallière dadurch gegeben, daß er mit entblößtem Haupt während des Sturms vor ihr stehen geblieben war, bot er ihr den Arm und führte sie zu der Gruppe zurück, die ihn erwartete, erwiederte die Verbeugung, die Jeder vor ihm machte, mit dem Kopf und geleitete sie, beständig den Hut in der Hand, bis zu ihrem Wagen.

Und da es – ein letzter Abschied des entfliehenden Sturms – fortwährend regnete, so empfingen die anderen Damen, welche die Ehrfurcht vor dem König in den Wagen zu steigen abgehalten hatte, ohne Kapuze und Mantel diesen Regen, vor dem der König mit seinem Hut, so gut, als er vermochte, die demüthigste von ihnen schützte.

Die Königin und Madame mußten wie die Anderen diese übertriebene Höflichkeit des Königs sehen; Madame verlor hierüber so sehr die Fassung, daß sie die Königin mit dem Ellbogen stieß und zu ihr sagte:

»Schaut, schaut doch!«

Die Königin schloß die Augen, als wäre sie vom Schwindel befallen worden. Sie hielt ihre Hand vor’s Gesicht und stieg in den Wagen.

Madame stieg nach ihr ein.

Der König setzte sich wieder zu Pferde, und kehrte, ohne Irgend einem Kutschenschlag den Vorzug zu gönnen, die Zügel auf dem Halse seines Pferdes, träumerisch und ganz in Gedanken versunken, nach Fontainebleau zurück.

Als sich die Menge entfernt hatte, als sie das Geräusch der Pferde und der Wagen, das nach und nach erlosch, gehört hatten, als sie sicher waren, daß sie Niemand mehr sehen könnte, traten Aramis und Fouquet aus ihrer Grotte hervor.

Dann schritten Beide stillschweigend auf die Allee zu.

Aramis tauchte seinen Blick nicht nur in den ganzen ausgedehnten Raum, der sich vor ihm und hinter ihm entrollte, sondern auch in das Dickicht des Waldes.

»Herr Fouquet,« sagte er, als er sich versichert hatte, daß Alles verlassen war, »Ihr müßt um jeden Preis den Brief an La Vallière wieder bekommen.«

»Das wird leicht sein, wenn ihn der Bote nicht übergeben hat,« erwiederte Fouquet.

»Es muß in jedem Fall möglich sein, versteht Ihr?«

»Ja, nicht wahr, der König liebt dieses Mädchen?«

»Sehr, und noch schlimmer ist, daß dieses Mädchen seinerseits den König leidenschaftlich liebt.«

»Damit wollt Ihr sagen, daß wir unsere Taktik ändern, nicht wahr?«

»Allerdings, Ihr habt keine Zeit zu verlieren, Ihr müßt La Vallière aufsuchen, und ohne mehr daran zu denken, ihr Liebhaber zu sein, was unmöglich ist, Euch für ihren theuersten Freund und ergebensten Diener erklären.«

»Das werde ich thun, und zwar ohne Widerwillen,« sagte Fouquet, »dieses Kind scheint mir voll Gemüth zu sein.«

»Oder voll Gewandtheit,« erwiederte Aramis, »doch! dann ist ein Grund mehr vorhanden.«

Nachdem er einen Augenblick geschwiegen, fügte er noch bei:

»Wenn mich nicht Alles täuscht, wird dieses Mädchen die große Leidenschaft des Königs sein.«

»Steigen wir wieder in den Wagen, und was die Pferde laufen können, bis zum Schloß.«