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Der Frauenkrieg

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Aber es war, als vermuthete der Herzog Alles, was in ihr vorging, als läse er die Unruhe ihres Geistes durch die heitere Maske, mit der sie ihr Gesicht bedeckt hatte, und als hätte er sich selbst geschworen, ihr nicht einen Augenblick die Freiheit zu lassen, die ihr doch so nothwendig war.

Nanon hatte Migräne: Herr von Epernon wollte ihr nicht erlauben, aufzustehen, um ihr Riechfläschchen zu holen, und holte es selbst.

Nanon stach sich mit einer Nadel, wodurch plötzlich ein Rubin an der Spitze ihres zarten Fingers erschien; sie wollte in ihrem Necessaire ein Stückchen von dem berühmten Rosataffet holen, den man zu jener Zeit zu schätzen anfing. Unermüdlich in seiner Zuvorkommenheit stand Herr von Epernon auf, schnitt das Stückchen Rosataffet mit einer verzweiflungsvollen Geschicklichkeit ab und verschloß das Necessaire wieder.

Nanon stellte sich, als wäre sie in tiefen Schlaf versunken: sogleich fing der Herzog auch an zu schnarchen; da öffnete Nanon ihre Augen wieder und versuchte es bei dem Scheine der Nachtlampe, welche in ihrer alabasternenden Umhüllung auf dem Tische stand, aus dem in der Nähe ihres Bettes und im Bereiche ihrer Hand liegenden Leibrocke des Herzogs dessen Schreibtafel zu ziehen; aber in dem Augenblick wo sie bereits den Bleistift in ihren Fingern hielt und ein Blatt Papier ausgerissen hatte, öffnete der Herzog ein Auge und sagte:

»Was macht Ihr, mein Herzchen?«

»Ich suchte, ob kein Kalender in Eurer Schreibtafel wäre.«

»Wozu?«

»Um zu sehen, auf welchen Tag Euer Namensfest fällt.«

»Ich heiße Louis, und mein Namenstag fällt auf den 24. August, wie Ihr wißt: Ihr habt also gehörig Zeit, Euch darauf vorzubereiten.«

Und er nahm ihr die Schreibtafel wieder aus der Hand und steckte sie in seinen Rock.

Nanon hatte bei dem lebten Manoeuvre wenigstens einen Bleistift und ein Stück Papier gewonnen. Sie steckte Beides unter ihren Kopfpfühl und warf sehr geschickt die Nachtlampe um, in der Hoffnung, in der Finsterniß schreiben zu können; aber der Herzog läutete und verlangte mit gewaltigem Geschrei Licht, indem er behauptete, er könne ohne Licht nicht schlafen. Francinette lief so schnell herbei, daß Nanon nicht Zeit gehabt hatte, nur die Hälfte ihren Satzes zu schreiben, und der Herzog befahl aus Furcht, es könnte sich dieser Unfall wiederholen, die zwei Kerzen auf den Kamin zu stellen. Nun erklärte Nanon, sie könne nicht bei Licht schlafen; drehte ganz fieberhaft vor Ungeduld die Nase gegen die Wand und erwartete den Tag mit einer leicht begreiflichen Bangigkeit.

Dieser Tag begann an dem Gipfel der Pappelbäume zu erscheinen und ließ die zwei Kerzen erbleichen. Der Herzog von Epernon der sich ein Verdienst daraus machte, die Gewohnheiten den militärischen Lebens zu befolgen, erhob sich bei dem ersten Strahle, welcher durch die Fensterläden drang, kleidete sich allein an, um seine kleine Nanon nicht einen Augenblick zu Verlassen, hüllte sich in einen Schlafrock und läutete, um zu erfahren, ob nichts Neues vorgefallen wäre.

Francinette erwiederte diese Frage, indem sie dem Herzog ein Päckchen mit Depeschen übergab, welche Courtauvaux, sein Lieblingspiquer, in der Nacht gebracht hatte.

Der Herzog fing an dieselben zu entsiegeln und las sie mit einem Auge das andere Auge, von der Herzog den verliebtesten Ausdruck zu geben suchte, verließ Nanon nicht.

Nanon hätte den Herzog in Stücke zerrissen, wenn sie es im Stande gewesen wäre.

»Wisst Ihr,« sagte der Herzog, nachdem er einen Theil der Depeschen gelesen hatte, »wißt Ihr, was Ihr thun solltet, liebe Freundin?«

»Nein, Monseigneur,« antwortete Nanon, »aber wenn Ihr Befehle geben wolltet, so wurde man sich darnach richten.«

»Ihr solltet Euren Bruder holen lassen. Ich erhalte so eben von Bordeaux einen Brief, welcher die von mir gewünschte Auskunft enthält; er könnte sogleich abreisen, und bei seiner Rückkehr hätte einen Vorwand, ihm das Commando zu übergeben, das Ihr für ihn nachsucht.«

Das Antlitz des Herzogs drückte das unzweideutigste Wohlwollen aus.

»Auf,« sagte Nanon zu sich selbst, »Muth gefaßt! ich darf hoffen, das Canolles in meinen Augen lesen oder ein halbes Wort verstehen wird.«

Dann antwortete sie laut:

»Schickt selbst, mein lieber Herzog;« denn sie vermuthete, der Herzog würde sie nicht gewähren lassen, wenn sie die Sache besorgen wollte.

Der Herzog von Epernon rief Francinette und beauftragte sie, sich nach dem Gasthause zum Goldenen Kalbe zu begeben, ohne eine andere Instruktion als die Worte:

»Sagt dem Herrn Baron von Canolles, Fräulein von Lartigues erwarte ihn beim Frühstück.«

Nanon warf Francinette einen Blick zu, aber so beredt dieser Blick auch war, so konnte Francinette doch nicht darin lesen: »Sagt dem Herrn Baron von Canolles, ich sei seine Schwester.«

Francinette ging ab; sie begriff, daß ein Betrug hinter dieser Sache verborgen war, der eine gefährliche Wendung nehmen konnte.

Mittlerweile stand Nanon auf und stellte sich hinter den Herzog, um Canolles mit dem ersten Blicke auffordern zu können, er möge auf seiner Hut sein, und zugleich beschäftigte sie sich damit, eine Phrase bereit zu halten, mit deren Hilfe der Baron schon bei den ersten Worten von Allem unterrichtet werden sollte, was er wissen mußte, um nicht falsche Noten in dem Familientrio anzuschlagen, das nun aufgeführt werden würde.

Sie umfaßte mit dem Augenwinkel die ganze Straße bis zu der Biegung, wo sich der Herzog von Epernon am Abend vorher mit seinen Sbirren verborgen hatte.

»Ah!« sagte plötzlich der Herzog, dort kommt Francinette zurück.«

Und er heftete seine Augen, auf die von Nanon, welche nun genöthigt war ihren Blick von der Straße abzuwenden, um den des Herzogs zu erwiedern.

Das Herz von Nanon schlug, daß es die Brust hatte zersprengen sollen; sie hatte nur Francinette sehen können, und hätte so gern Canolles gesehen, um in seinem Gesichte irgend eine beruhigende Linie zu suchen.

Man kam die Stufen herauf der Herzog schickte sich zu einem zugleich vornehmen und freundschaftlichen Lächeln an. Nanon drängte die Röthe zurück, die ihr in die Wangen stieg, und belebte sich zum Kampfe.

Francinette klopfte leicht an die Thüre.

»Herein!« rief der Herzog.

Nanon nahm die Phrase, mit der sie Canolles begrüßen wollte, auf die Zungenspitze.

Die Thüre öffnete sich; Francinette war allein.

Nanon befragte das Vorzimmer mit einem gierigen Blicke; es war Niemand ins Vorzimmer.

»Madame,« sprach Francinette mit dem unstörbaren Gleichgewichte einer Komödien-Soubrette, »der Herr Baron von Canolles ist nicht mehr im Gasthause zum Goldenen Kalb.«

Der Herzog machte große Augen und wurde düster.

Nanon warf den Kopf zurück und athmete.

»Wie,« sagte der Herzog, »der Herr Baron von Canolles ist nicht mehr im Gasthause zum Goldenen Kalb?«

»Du täuschest Dich sicherlich, Francinette,« fügte Nanon bei.

»Madame,« erwiederte Francinette, »ich wiederhole, was mir Herr Biscarros selbst gesagt hat.«

»Er wird Alles errathen haben, dieser liebe Canolles,« murmelte ganz leise Nanon. »Eben so gescheit, eben so gewandt, als muthig und schön.«

»Holt mir sogleich den Meister Biscarros,« sagte der Herzog mit der Miene seiner schlimmen Tage.

»Oh! ich denke mir,v sprach Nanon rasch, »er wird erfahren haben, Ihr wäret hier, und befürchtete ohne Zweifel, er könnte stören. Der arme Canolles ist so schüchtern!«

»Er, schüchtern!« rief der Herzog, »es scheint mir, er steht nicht in diesem Rufe.«

»Nein, Madame,« versetzte Francinette, »der Herr Baron ist wirklich abgereist.«

»Aber Madame,« sagte der Herzog, »wir kommt es, das der Baron Furcht vor mir gehabt hat, während Francinette nur beauftragt war, ihn in Eurem Namen einzuladen? Ihr habt ihm also gesagt, ich wäre hier, Francinette?«

»Ich konnte es ihm nicht sagen, Herr Herzog, »denn er war nicht mehr da.«

Trotz dieser Erwiederung von Francinette, welche mit der Eile der Offenherzigkeit und Wahrheit gegeben wurde, schien der Herzog wieder von seinem ganzen Mißtrauen erfaßt zu werden. Nanon war voll Freude und hatte nicht mehr die Kraft, etwas zu sagen.

»Soll ich immer noch Meister Biscarros holen?«, fragte Francinette.

»Mehr als je,« erwiederte der Herzog mit seinem rauhen Tone, »oder vielmehr, ja wartet. Bleibt hier, Eure Gebieterin könnte Eurer bedürfen, und ich will Courtauvaux abschicken.«

Francinette verschwand. Fünf Minuten nachher erschien Courtauvaux an der Thüre.

»Gehe zu dem Wirthe zum Goldenen Kalbe,« sprach der Herzog, »sage ihm, er solle hierher kommen und den Küchenzettel zu einem Frühstück mitbringen. Gib ihm diese zehn Louisd’or damit er ein gutes Mahl bereitet. Vorwärts.«

Courtauvaux empfing das Gold auf seinem Rockschoße und entfernte sich, um den Befehl seines Gebieters zu vollziehen.

Er war ein Diener von gutem Hause, der sein Handwerk so genau kannte, als alle Crispine und alle Mascavilles jener Zeit. Er suchte Biscarros auf und sagte zu ihm:

»Ich habe den gnädigen Herrn überredet, ein feines Frühstück bei Euch zu bestellen; er hat mir acht Louisd’or gegeben, zwei behalte ich natürlich für die Commission; hier sind sechs für Euch, kommt geschwinde.«

Zitternd vor Freude band Biscarros eine weiße Schürze um seine Hüften, steckte die sechs Louisd’or ein, drückte Courtauvaux die Hand und eilte dem Piqueur nach, der ihn im schnellsten Laufe nach dem kleinen Hause führte.

Diesmal bebte Nanon nicht: die Versicherung von Francinette hatte sie vollkommen beruhigt; sie fühlte sogar das lebhafteste Verlangen, mit Biscarros zu sprechen. Er wurde daher, sobald er ankam, eingeführt.

Biscarros trat, seine Schürze artig in den Gürtel zurückgeschlagen und die Mütze in der Hand, ein.

»Ihr habt gestern einen jungen Edelmann bei Euch gehabt,« sagte Nanon, »den Herrn Baron von Canolles, nicht wahr!«

 

»Was ist aus ihm geworden?« fragte der Herzog.

Sehr in Unruhe, denn der Piqueur und die sechs Louisd’or ließen ihn ahnen, daß eine große Person unter dem Schlafrock verborgen war, antwortete Biscarros Anfangs ausweichend:

»Gnädiger Herr, er ist abgereist.«

»Abgereist,« sagte der Herzog, »wirklich abgereist.«

»Wirklich abgereist.«

»Wohin ist er gegangen?« fragte Nanon.

»Das kann ich nicht sagen, denn in Wahrheit, ich weist es nicht, Madame.«

»Ihr wißt wenigstens, welchen Weg er eingeschlagen hat?«

»Den Weg nach Paris.«

»Um wie viel Uhr hat er diesen Weg eingeschlagen?« fragte der Herzog.

»Gegen Mitternacht.«

»Und ohne etwas zu sagen?« fragte schüchtern Nanon.

»Ohne etwas zu sagen; er hat nur einen Brief zurückgelassen, mit dem Befehl, ihn an Mademoiselle Francinette zu übergeben.«

»Und warum habt Ihr den Brief nicht abgegeben, Schuft?« sagte der Herzog. »Ist das Eure Achtung vor dem Befehle eines Edelmannes?«

»Ich habe ihn übergeben gnädiger Herr.«

»Francinette!« rief der Herzog.

Francinette, welche horchte, machte nur einen Sprung von dem Vorzimmer in das Schlafzimmer.

»Warum hast Du den Brief Deiner Gebieterin nicht übergeben, den Herr von Canolles für sie zurückließ?« fragte der Herzog.

»Aber Monseigneur . . .« murmelte die Kammerfrau ganz erschrocken.

»Monseigneur,« dachte Biscarros, sich in die entfernteste Ecke des Zimmers kauernd; »Monseigneur . . . das ist ein verkleideter Prinz.«

»Ich habe ihn nicht verlangt,« sprach Nanon ganz bleich.

»Gib,« sagte der Herzog und streckte die Hand aus.

Die arme Francinette reichte ihm langsam den Brief dar während sie ihrer Gebieterin einen Blick zuwandte, mit dem sie sagen wollte:

»Ihr seht, daß es nicht mein Fehler ist; dieser Dummkopf, von einem Biscarros hat Alles verdorben.«

Ein doppelter Blitz schoß aus dem Augapfel von Nanon und erdolchte ihn gleichsam in seiner Ecke.

Der Unglückliche schwitzte große Tropfen und hätte gern die Louisd’or gegeben, die er in seiner Tasche hatte, wäre er, den Stiel einer Casserole in der Hand, vor seinem Herde gestanden.

Während dieser Zeit nahm der Herzog den Brief, öffnete ihn und las. So lange er las, stand Nanon kälter und bleicher als eine Bildsäule da und fühlte kein Leben mehr in ihrem Herzen.

»Was bedeutet dieses verwirrte Geschreibsel?« sagte der Herzog.

Nanon begriff nach diesen paar Worten, daß der Brief sie nicht gefährdete, und erwiederte:

»Lest laut und ich kann es Euch vielleicht erklären.«

»Teure Nanon,« las der Herzog.

Und nach diesen Worten wandte er sieh nach der jungen Frau um, welche, sich immer mehr beruhigend, seinen Blick mit bewunderungswürdiger Keckheit aushielt.

»Teure Nanon,« fuhr der Herzog fort, »ich benütze den Urlaub, den ich Euch zu verdanken habe, und mache zu meiner Zerstreuung einen kleinen Galopp auf der Straße nach Paris. Auf Wiedersehen; ich empfehle Euch mein Glück.«

»Oh! er ist ein Narr, dieser Canolles!«

»Ein Narr! Warum?« fragte Nanon.

»Reist man so ohne allen Grund um Mitternacht ab?«

»In der That,« sagte Nanon mit sich selbst sprechend.

»Sprecht, erklärt mir diese Abreise!«

»Ei mein Gott! Monseigneur,« erwiederte Nanon mit einem reizenden Lächeln, »nichts ist leichter.«

»Sie nennt ihn auch Monseigneur!« murmelte Biscarros. »Offenbar ein Prinz.«

»Sprecht, sprecht!«

»Wie, Ihr wißt nicht, um was es sich handelt?«

»Nicht entfernt.«

»Wohl, Canolles ist siebenundzwanzig Jahre alt; er ist jung, schön, sorglos. Welcher Thorheit glaubt Ihr, daß er den Vorzug gönnt? der Liebe. Er wird an dem Gasthause des Meister Biscarros eine hübsche Reisende haben vorüberkommen sehen, und ist ihr dann wahrscheinlich gefolgt.«

»Verliebt! Ihr glaubt?« rief der Herzog, lächelnd bei dem ganz natürlichen Gedanken, daß Canolles, wenn er in irgend eine Reisende verliebt wäre, nicht in Nanon verliebt sein könnte.

»Ganz gewiß verliebt. Nicht wahr, Meister Biscarros?« sagte Nanon, entzückt, als sie sah, daß der Herzog ihren Gedanken annahm. »Antwortet offenherzig: habe ich nicht richtig errathen?«

Biscarros dachte, der Augenblick wäre gekommen, die Gunst der jungen Frau wieder zu gewinnen, und antwortet, während er auf seinen Lippen ein Lächeln von vier Zoll in der Weite hinstreifen ließ:

»In der That, die gnädige Frau könnte Recht haben.«

Nanon machte einen Schritt gegen den Wirth und sprach unwillkürlich zitternd:

»Nicht wahr?«

»Ich denke wohl,« antwortete Biscarros mit schlauer Miene.

»Ihr denkt?«

»Ja, wartet nur; in der Thai, Ihr öffnet mir die Augen.«

»Ah! Erzählt uns das, Meister Biscarros,« versetzte Nanon, welche sich dem ersten Verdachte der Eifersucht hinzugeben anfing; »sagt, wer sind die reisenden Frauen, welche in dieser Nacht in Eurem Gasthause angehalten haben?«

»Ja, sprecht,« sagte der Herzog, seine Seine ausstreckend und sich mit den Ellbogen auf die Lehnen seines Stuhles stützend.

»Es sind keine reisende Frauen angekommen,« antwortete Biscarros,

Nanon athmete.

»Sondern nur,« fuhr der Wirth fort, ohne zu vermuthen, daß jedes von seinen Worten das Herz von Nanon hüpfen machte, »sondern nur ein blonder, zierlicher, kleiner Edelmann, der nicht aß, nicht trank und Furcht hatte, sich bei Nacht auf den Weg zu begeben. Ein Edelmann, welcher Furcht hatte,« fügte Biscarros mit einer kleinen Kopfbewegung voll Schlauheit bei: »Ihr begreift, nicht wahr?«

»Ah! Ah! Ah!« rief voll Heiterkeit der Herzog, geradezu in die Angel beißend.

Nanon erwiederte sein Lachen mit einer Art den Zähneknirschen.

»Fahrt fort,« sagte sie, »das ist reizend. Ohne Zweifel erwartete der junge Edelmann Herrn von Canolles?«

»Nein, nein, er erwartete zum Abendbrod einen großen Herrn mit einem Schnurrbart und hat sogar Herrn von Canolles etwas angefahren, als er mit ihm zu Nacht speisen wollte; aber der wackere Edelmann ließ sich durch eine solche Kleinigkeit nicht aus der Fassung bringen. Das ist ein unternehmender Kamerad, wie es scheint, und nach der Abreise den Grafen, der rechts abgegangen war, eilte er dem Kleinen nach, welcher sich nach Links gewendet hatte.

Als Biscarros nach dein Schlusse seiner Rede das frohe Gesicht des Herzogs wahrnahm, glaubte er in eine Tonleiter, so furchtbaren Lachens ausbrechen zu dürfen, daß die Fensterscheiben zitterten.

Völlig beruhigt, hätte der Herzog Biscarros umarmt, wäre er auch nur im Geringsten Edelmann gewesen. Nanon hörte bleich, ein krampfhaftes, eisiges Lächeln auf den Lippen, jeden Wort, das von dem Mund des Wirthes fiel, mit dem verzehrenden Glauben, welcher die Eifersüchtigen antreibt, in langen Zügen und bis auf die Hefe den Trank zu trinken, der sie tödtet.

»Aber was bringt Euch auf den Glauben,« sprach sie, »dieser kleine Edelmann sei eine Frau, Herr von Canolles sei verliebt in diese, und er laufe nicht aus Langweile und Laune auf der Landstraße umher.«

»Was mich auf diesen Glauben bringt?« antwortete Biscarros, dem daran lag, die Ueberzeugung im Innern seiner Zuhörer festzustellen; »ich will es Euch sagen.«

»Ja, sagt es uns, mein lieber Freund,« versetzte der Herzog; »Ihr seid in der That sehr belustigend.«

»Monseigneur ist allzu gütig!« sprach Biscarros. »Vernehmt also.«

Der Herzog wurde ganz Ohr. Nanon hörte die Fäuste zusammenpressend.

»Ich vermuthete nichts und hielt den kleinen blonden Cavalier für einen Mann, als ich Herrn von Canolles mitten auf der Treppe begegnete; in der linken Hand hielt er seine Kerze, in der rechten einen kleinen Handschuh, den er leidenschaftlich betrachtete und beroch.«

»Oh! oh! Oh!« rief der Herzog, dessen Heiterkeit immer mehr zunahm, je mehr er für sich zu fürchten aufhörte.

»Einen Handschuh!« wiederholte Nanon, indem sie sich zu erinnern suchte, ob sie nicht ein solches Pfand im Besitze ihres Ritters gelassen hätte, »einen Handschuh von dieser Art?«

Und sie zeigte dem Wirthe einen von ihren Handschuhen.

»Nein,« sagte Biscarros, »einen Männerhandschuh.«

»Einen Männerhandschuh! Herr von Canolles betrachtete und beroch einen Männerhandschuh! Ihr seid ein Narr!«

»Nein, denn es war ein Handschuh von dem kleinen Edelmann, von dem hübschen, blonden Cavalier, der nicht aß, nicht trank und bei Recht Furcht hatte; ein ganz kleiner Handschuh, in den die Hand von Madame kaum hineingekommen wäre, obgleich Madame gewiß eine sehr schöne Hand hat.«

Nanon stieß einen halblauten, dumpfen Schrei aus, als ob sie von einem unsichtbaren Pfeile getroffen worden wäre.

»Ich hoffe,« sagte sie mit einer heftigen Anstrengung, »Ihr seid nun hinreichend unterrichtet, Monseigneur, und wißt Alles, was Ihr zu wissen wünscht.«

Und die Lippen bebend, die Zähne geschlossen, die Augen starr, zeigte sie mit dem Finger Biscarros die Thüre; als der letztere aber auf dem Antlitz der jungen Frau diese Zeichen des Zornes wahrnahm, ohne die Sache begreifen zu können, blieb er mit offenem Munde und aufgesperrten Augen stehen.

»Ist die Abwesenheit dieses Cavaliers ein so außerordentliches Unglück,« dachte er, »so wird seine Rückkehr ein großen Glück sein. Wir wollen diesem edlen Herrn mit einer süßen Hoffnung schmeicheln, damit er guten Appetit bekommt.«

In Folge diesen Schlusses nahm Biscarros seine liebenswürdigste Miene an, setzte mit einer Bewegung von Anmuth seinen rechten Fuß vor und sprach:

»Dieser Cavalier ist allerdings abgereist, kann aber jeden Augenblick wiederkommen.«

Der Herzog lächelte bei dieser Bemerkung.

»So ist wahr,« sagte er, »warum sollte er nicht wiederkommen? Vielleicht ist er bereite zurückgekehrt. Gebt nach, Herr Biscarros, und bringt mir Antwort.«

»Aber das Frühstück!« sagte Nanon lebhaft. »Ich sterbe vor Hunger.«

»Das ist richtig,« versetzte der Herzog, »Courtauvaux kann gehen. Courtauvaux, komm hierher, gehe in das Gasthaus des Meister Biscarros und sieh nach, ob der Herr Baron von Canolles nicht zurückgekommen ist. Findest Du ihn nicht dort, so frage, erkundige Dich, suche in der Umgegend. Ich will mit diesem Herrn frühstücken. Vorwärts.«

Courtauvaux entfernte sich, und Biscarros, der das verlegene Stillschweigen der zwei Personen bemerkte, machte Miene, ein neues Auskunftsmittel von sich zu geben.

»Seht Ihr nicht, daß Madame Euch gehen heißt?« sprach Francinette.

»Einen Augenblick, seinen Augenblick!« rief der Herzog, »der Teufel, nun verliert Ihr den Kopf meine liebe Nanon; und das Frühstück! Ich bin wie Ihr, ich habe Hunger zum Sterben. Nehmt, Meister Biscarros, fügt diese sechs Louisd’or den andern bei, es ist die Bezahlung für die angenehme Geschichte, die Ihr uns erzählt habt.«

Dann befahl er dem Historiker, dem Koche Platz zu machen, und wir müssen gestehen, Meister Biscarros glänzte nicht weniger in dem zweiten Geschäfte, als in dem ersten.

Nanon hatte indessen nachgedacht und mit einem Blicke die ganze Lege umfaßt, in welche sie die Vermuthung von Meister Biscarros versetzte. Einmal, war die Vermuthung richtig? und dann, war sie dies auch, ließ sich das Benehmen von Canolles nicht entschuldigen? In der That, welch’ eine grausame Täuschung für einen braven Edelmann, wie er, mußte dieses mißglückte Rendezvous sein! Welche Schmach war diese Späherei des Herzogs von Epernon und diese Canolles auferlegte Notwendigkeit, gleichsam dem Triumphe seines Nebenbuhlers beizuwohnen! Nanon war so verliebt, daß sie, sein Benehmen einem Anfalle von Eifersucht zuschreibend, Canolles nicht nur entschuldigte, sondern auch beklagte und sich beinahe dazu Glück wünschte, so sehr von ihm geliebt zu werden, daß dadurch eine kleine Rache von seiner Seite hervorgerufen worden war. Aber vor Allem mußte das Uebel an der Wurzel abgeschnitten werden, sie mußte den Fortschritt dieser kaum entstehenden Liebe hemmen.

Hier durchzuckte ein furchtbarer Gedanke den Geist von Nanon, ein Gedanke, der die arme Frau beinahe niederschmetterte.

Wenn diesen Zusammentreffen von Canolles und dem kleinen Edelmann ein Rendezvous wäre!

Aber nein, sie war toll, denn der junge Edelmann wartete auf einen Herrn mit einem Schnurrbart. Er benahm sich auf eine unhöfliche Weise gegen Canolles, und Canolles selbst erkannte das Geschlecht den Unbekannten vielleicht nur an dem zufällig von ihm aufgefundenen kleinen Handschuhe.

Gleichviel man mußte Canolles in den Weg treten.

Sich mit ihrer ganzen Energie bewaffnend, kehrte sie zu dem Herzog zurück, der Biscarros, mit Complimenten und Empfehlungen überladen, so eben entlassen hatte.

»Welch ein Unglück, Monseigneur,« sagte sie, »daß die Unbesonnenheit des närrischen Canolles ihn einer Ehre beraubt, wie Ihr sie ihm angedeihen lassen wolltet. Dem Gegenwärtigen war seine Zukunft gesichert, der Abwesende verliert sie vielleicht ganz und gar.«

 

»Doch wenn wir ihn wiederfinden?« sagte der Herzog.

»Oh! es ist keine Gefahr,« erwiederte Nanon, »handelt es sich um eine Frau, so ist er nicht zurückgekehrt!«

»Was ist zu thun, mein Herzchen?« sprach Herr von Epernon. »Die Jugend ist das Alter des Vergnügens; er ist jung und belustigt sich.«

»Aber ich,« versetzte Nanon, »ich, die ich vernünftiger bin, als er, wäre der Meinung, man sollte diese unzeitige Freude ein wenig stören.«

»Ah, zänkische Schwester!« rief der Herzog.

»Er wird mir vielleicht im Augenblick grollen,« fuhr Nanon fort, »aber sicherlich später Dank wissen.«

»Nun, so laßt hören, habt Ihr einen Plan? Mir ist es ganz lieb, wenn Ihr einen habt, so nehme ich ihn an.«

»Allerdings.«

»So sprecht.«

»Wolltet Ihr ihn nicht zur Königin schicken, um eine dringende Nachricht zu überbringen?«

»Wohl, aber wenn er noch nicht zurückgekommen ist?«

»Laßt ihm nachsetzen, und da er sich auf der Straße nach Paris befindet, so ist immerhin so viel Weg zurückgelegt.«

»Ihr habt bei Gott Recht.«

»Beauftragt mich hiermit, und Canolles hat den Befehl schon an diesem Abend oder spätestens morgen, dafür stehe ich Euch.«

»Aber wen werdet Ihr schicken?«

»Braucht Ihr Courtauvaux?«

»Ich durchaus nicht.«

»Gebt ihn mir, und ich schicke ihn mit meinen Instruktionen ab.«

»Oh, der diplomatische Kopf! Ihr werdet es weit bringen, Nanon.«

»Dürfte ich ewig meine Erziehung unter einem so guten Herrn machen,« sprach Nanon, »mehr begehre ich nicht.«

Und sie schlang ihren Arm um den Hals des alten Herzogs, der vor Freuden bebte.

»Was für einen köstlichen Scherz bereiten wir unserem Seladon,« sagte sie.

»Das wird reizend zu erzählen sein, meine Liebe.«

»In der That, ich möchte ihm gerne selbst nachlaufen; um das Gesicht zu sehen, das er dem Boten machen wird.«

»Leider, oder vielmehr glücklicher Weise ist das möglich, und Ihr seid genöthigt, bei mir zu bleiben.«

»Ja, aber wir wollen keine Zeit verlieren. Schreibt Euren Befehl, Herzog, und stellt Courtauvaux zu meiner Verfügung.«

»Der Herzog nahm eine Feder und schrieb auf ein Stück Papier nur die zwei Worte:

»Bordeaux – Nein!«

Und er unterzeichnete.

Dann schrieb er auf diese lakonische Depeche die Adresse:

»An Ihre Majestät die Königin Anna von Oesterreich, Regentin von Frankreich.«

Nanon aber schrieb zwei Zeilen, die sie dem Papiere beifügte, nachdem sie dieselben dem Herzog gezeigt hatte.

Diese zwei Zeilen lauteten:

»Mein lieber Baron, beifolgende Depeche ist, wie Ihr seht, für Ihre Majestät die Königin bestimmt. Bei Eurem Leben überbringt sie auf der Stelle. Eo handelt sich um das Wohl des Königreiches.

Eure gute Schwester Nanon.«

Nanon hatte kaum dieses Billet vollendet, als man das Geräusch eiliger Schritte unten an der Treppe vernahm, und Courtauvaux öffnete, rasch heraufsteigend, die Thüre mit dem freudigen Gesichte eines Menschen, welcher eine Nachricht bringt, von der er weiß, daß sie ungeduldig erwartet wird.

»Hier ist Herr von Canolles, welchen ich nur hundert Schritte von diesem Hause getroffen habe,« sagte der Piqueur.

Der Herzog stieß einen Ausruf wohlgefälligen Erstaunens aus. Nanon erbleichte murmelte: »Es steht also geschrieben, daß ich ihn nicht vermeiden soll,« und lief nach der Thüre.

In diesem Augenblick erschien auf der Schwelle eine neue Person, gekleidet in ein prachtvollen Gewand, ihren Hut in der Hand haltend und auf das Anmuthigste lächelnd.