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Der Frauenkrieg

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Zu Erklärung den Aufenthaltes von Nanon in der Nähe des Dorfes Matifou wird die Geschichte genügen. Der Herzog von Epernon hatte sich, wie wir erwähnten, in Guienne verhaßt gemacht. Nanon, der man die Ehre erwies, sie in einen bösen Genius zu verwandeln, hatte sich verwünscht gemacht. Ein Aufstand verjagte Beide von Bordeaux und trieb sie nach Agen. In Agen aber begann der Aufruhr abermals. Eines Tage warf man auf einer Brücke den vergoldeten Wagen um, in welchem Nonen den Herzog einholen sollte. Nanon befand sich, ohne daß man wußte wie, im Flusse, und Canolles zog sie heraus. In einer Nacht brach in dem Hause von Nanon Feuer aus. Canolles drang bis in ihr Schlafzimmer und rettete sie aus den Flammen. Nanon dachte, ein dritter Versuch könnte den Bewohnern von Agen wohl gelingen. – Obgleich Canolles sich so wenig als möglich von ihr entfernte, so hätte er doch nur durch ein Wunder stets im bestimmten Augenblicke bei ihr sein können, um sie der Gefahr zu entziehen. Sie benutzte einen Abgang den Herzogs, der eine Runde in seinem Gouvernement versuchen wollte, und eine Eskorte von zwölfhundert Mann, von welcher ein Theil zu dem Regiment Navailles gehörte, um sich aus der Stadt zu gleicher Zeit mit Canolles zu entfernen, wobei sie aus dem Schlage, ihrer Carrosse den Pöbel verhöhnte, der gern den Wagen in Stücke geschlagen hätte, aber nicht den Muth dazu besaß.

Dann wählten der Herzog und Nanon, oder Canolles hatte vielmehr insgeheim das kleine Landhaus gewählt, wo Nanon wohnen sollte, bis man ihr ein Haus in Libourne eingerichtet haben würde. Canolles erhielt einen Urlaub, scheinbar um einige Familienangelegenheiten in der Heimath abzumachen, in Wirklichkeit aber, um das Recht zu haben, sein Regiment zu verlassen, das nach Agen zurückgekehrt war, und um sich nicht zu weit von Matifou zu entfernen, wo seine beschützende Gegenwart nothwendiger wurde, als je. Die Ereignisse begannen wirklich einen beunruhigenden Ernst anzunehmen. Die Prinzen von Condé, von Conti und Longueville boten, am vorhergehenden 17. Januar verhaftet und in Vincennes eingesperrt, den vier oder fünf Parteien, welche Frankreich zu dieser Zeit theilten, ernten vortrefflichen Vorwand zum Bürgerkriege. Der Widerwille des Volkes gegen den Herzog von Epernon, von dem man wußte, daß er ganz und gar dem Hofe angehörte, Wuchs immer mehr, obgleich man vernünftiger Weise hätte hoffen sollen, er könnte nicht mehr zunehmen. Eine von allen Parteien, welche in der seltsamen Lage, in der sich Frankreich befand, nicht mehr wußten, woran sie waren, gewünschte Katastrophe stand nahe bevor. Nanon verschwand wie die Vögel, welche den Sturm kommen sehen, vom Horizont und kehrte in ihr Blätternest zurück, um dunkel und unbekannt das Ereigniß abzuwarten.

Sie gab sich für eine Wittwe aus, welche die Einsamkeit sucht: so hatte sie, wie man sich erinnern wird, Meister Biscarros bezeichnet.

Herr von Epernon war also am Tage vorher zu der reizenden Einsiedlerin gekommen und hatte ihr angekündigt, er würde zu einer Rundreise von acht Tagen abgehen. Sobald er sich entfernt hatte, schickte Nanon durch den Einnehmer, ihren Günstling, ein Wort an Canolles, der sich, seinen Urlaub benützend, in der Gegend aufhielt. Nur verschwand dieses kleine Wort im Original, wie wir erzählt haben, unter den Händen des Boten, und es wurde daraus eine Einladungsabschrift von der Feder von Cauvignac. Der sorglose Baron beeilte sich, dieser Einladung Folge zu leisten, als ihn der Vicomte von Cambes vierhundert Schritte von seinem Ziele zurückhielt.

Das Uebrige wissen wir.

Nanon erwartete also Canolles, wie eine liebende Frau wartet, das heißt, zehnmal in der Minute ihre Uhr aus der Tasche ziehend, jeden Augenblick sich dem Fenster nähernd, aus jedes Geräusche horchend und mit dem Blicke die rothe, glänzende Sonne befragend, welche hinter den Berg hinabsank, um dem ersten Schatten der Nacht Platz zu machen. Zuerst klopfte man an die Vorderthüre, und sie schickte hastig Francinette dahin. Aber es war nichts Anderes, als der vorgebliche Küchenjunge, welcher das Abendbrod brachte, wozu der Gast fehlte. Nanon tauchte ihre Blicke in das Vorzimmer und sah den falschen Boten von Meister Biscarros, welcher seinerseits in das Schlafzimmer schaute, wo ein kleiner Tisch mit zwei Gedecken bereit stand. Nanon empfahl Francinette die Fleischspeisen warm zu halten, schloß traurig die Thüre und kehrte an ihr Fenster zurück, das ihr, so viel man bei der ersten Dunkelheit sehen konnte, eine leere Straße zeigte.

Ein zweiter Schlag, ein Schlag besonderer Art, erscholl an der Hinterthüre und Nanon rief: »Er ist es!« Aber befürchtend, er könnte es abermals nicht sein, blieb sie unbeweglich mitten im Zimmer stehen. Einen Augenblick nachher öffnete sich die Thüre, und Mademoiselle Francinette erschien, mit bestürzter Miene, stumm und das Billet in der Hand haltend, auf der Schwelle. Die junge Frau erblickte das Papier, lief auf die Zofe zu, entriß ihr dasselbe, öffnete es und las mit der größten Angst.

Nanon war wie vom Blitze getroffen, Sie liebte Canolles in hohem Maße, aber bei ihr war der Ehrgeiz ein Gefühl, das der Liebe gleich kam, und wenn sie den Herzog verlor, verlor sie nicht nur ihr zukünftiges Glück sondern vielleicht auch Alles, was ihr das frühere Glück gebracht hatte. Doch es war eine Frau von Kopf; sie fing damit an, daß sie die Kerze auslöschte, welche ihren Schatten hätte zeigen können, und lief an das Fenster. Es war die höchste Zeit. Vier Männer näherten sich dem Hause, von dem sie nur noch etwa zwanzig Schritte entfernt waren. Der Mann mit dem Mantel ging voraus und in dem Mann mit dem Mantel erkannte Nanon ganz genau den Herzog. In diesem Augenblick trat Mademoiselle Francinette ein Licht in der Hand, ein. Nanon warf einen Blick der Verzweiflung auf den Tisch, auf die zwei Gedecke, auf die zwei Fauteuils, auf die zwei gestickten Kopfkissen, welche ihre freche Weiße auf dem carmoisinrothen Grund der Damastvorhänge ausbreiteten, auf das appetitliche Nachtnegligé endlich, das so gut mit allen diesen Vorbereitungen im Einklange stand.

»-Ich bin verloren,« dachte sie.

Aber beinahe in demselben Augenblicke kam diesem feinen Gedanke, und ein Lächeln umschwebte die Lippen von Nanon. Rasch wie der Blitz ergriff sie das für Canolles bestimmte einfache Kristallglas und warf es auf den Zufall in den Garten, zog aus einem Etui den goldenen Becher mit dem Wappen des Herzogs, legte neben den Teller sein Gedeck von Vermail, lief dann, zwar kalt vor Schrecken, aber mit einem in Eile gebildeten Lächeln, die Stufen hinab und gelangte in dem Augenblick zur Thüre, wo ein ernster, feierlicher Schlag daran ertönte.

Francinette wollte öffnen, aber Nanon ergriff sie beim Arme, stieß sie auf die Seite und sagte mit dem raschen Blicke, welcher bei ertappten Frauen den Gedanken so gut ersetzt:

»Es ist der Herr Herzog, den ich erwarte, und nicht Herr von Canolles.«

Dann zog sie selbst die Riegel zurück und warf sich dem Manne mit der weißen Feder, der eines seiner wildesten Gesichter bereit hielt, um den Hals.

»Ah!« rief Nanon, »mein Traum hat mich also nicht getäuscht. Kommt, mein lieber Herzog, Ihr sollt bedient werden, wir speisen sogleich zu Nacht.«

Epernon war ganz verblüfft; da jedoch die Liebkosung einer hübschen Frau immer gut hinzunehmen ist, so ließ er sich küssen.

Alsbald aber erinnerte er sich wieder, welche niederschmetternde Beweise er gegen sie besaß und sagte:

»Einen Augenblick, mein Fräulein, erklären wir uns, wenn es Euch gefällig ist.«

Und er machte mit der Hand den Männern, die ihm folgten, ein Zeichen. Sie wichen ehrfurchtsvoll zurück, jedoch ohne sich gänzlich zu entfernen; er war allein mit ernstem, abgemessenem Schritte in das Haus.

»Was habt Ihr denn, mein lieber Herzog?« sagte Nanon, mit einer so gut geheuchelten Heiterkeit, daß man sie hätte für natürlich halten sollen. »Habt Ihr vielleicht das letzte Mal, da Ihr hierher kamt, etwas vergessen, daß Ihr Euch so ängstlich nach allen Seiten umschaut?«

»Ja,« sprach der Herzog- »ich habe vergessen, Euch zu sagen, ich wäre kein Dummkopf, kein Géronte, wie Herr Cyano von Bergerac sie in seinen Komödien bringt, und da ich vergessen habe, Euch zu sagen, so komme ich in Person zurück, um es Euch zu beweisen.« .

»Ich begreife Euch nicht Monseigneur,« erwiederte Nanon mit der ruhigsten, offensten Miene. »Ich bitte, erklärt Euch.«

Der Blick des Herzogs heftete steh auf die zwei Fauteuls, ging von den zwei Fauteuils auf die zwei Gedecke und von den zwei Gedecken auf die zwei Kopfkissen über. Auf diesen verharrten seine Augen länger, und die Röthe des Zornes stieg dem Herzog ins das Gesicht.

Nanon hatte Alles dies vorhergesehen und erwartete den Erfolg der Prüfung mit einem Lächeln, das ihre Zähne, so weiß wie Perlen, enthüllte. Nur glich dieses Lächeln erneut Zusammenziehen der Nerven, und diese Zähne würden wohl geklappert haben, hätte sie die Furcht nicht aneinander geschlossen gehalten.

Der Herzog wandte seinen zornigen Blick auf sie.

»Ich warte immer noch auf das Belieben von Monseigneur,« sprach Nanon mit einer anmuthigen Verbeugung.

»Das Belieben von Monseigneur,« antwortete er, »besteht darin, daß Ihr mir erklären sollt, warum dieses Abendbrod?

»Weil ich, wie gesagt, einen Traum hatte, der mir ankündigte, daß Ihr, obgleich Ihr mich gestern verlassen, doch heute zurückkommen würdet. Meine Träume täuschen mich nie. Ich ließ also ein Abendbrod nach Eurem Geschmacke bereiten.«

Der Herzog machte eine Grimasse, welche seiner Absicht nach für ironisches Lächeln gelten sollte.

»Und diese zwei Kopfkissen?« sagte er.

»Sollte Monseigneur im Sinne haben, zum Nachtlager nach Libourne zurückzukehren? Diesmal hätte mein Traum gelogen, denn er kündigte mir an, Monseigneur würde bleiben.«

Der Herzog machte eine zweite Grimasse, welche noch bezeichnender war als die erste.

 

»Und diesen reizende Negligé, Madame? und diese ausgezeichneten Wohlgerüche?«

»Es ist eines von denjenigen, welche ich anzuziehen pflege, wenn ich Monseigneur erwarte. Diese Wohlgerüche kommen von den Säckchen Peau d’Espagnet, welche ich in meine Schränke lege, und die Monseigneur, wie er mir oft gesagt hat, allen andern Odeurs vorzieht, weil es auch der Lieblingsgeruch der Königin ist.«

»Ihr erwartetet mich also?« fuhr der Herzog mit einem ironischen Lachen fort.

»Ah, Monseigneur,« sprach Nanon, ebenfalls die Stirne faltend, »Gott vergebe mir! ich glaube, Ihr habt Lust in die Schränke zu schauen. Solltet Ihr zufällig eifersüchtig sein?«

Der Herzog nahm eine majestätische Miene an.

»Eifersüchtig, ich? oh, nein! Gott sei Dank! ich habe diese Lächerlichkeit nicht an mir. Alt und reich, weiß ich natürlich wohl, daß ich getäuscht werden muß; aber denjenigen, welche mich täuschen, will ich wenigstens beweisen, daß ich nicht ihr Thor bin.«

»Und wie werdet Ihr ihnen dies beweisen?« sprach Nanon. »Ich bin begierig, es zu erfahren.«

»Oh, das wird nicht schwierig sein; ich brauche ihnen nur diesen Papier zu zeigen.«

Der Herzog sog ein Billet aus seiner Tasche.

»Ich habe keine Träume mehr,« sagte er; »in meinem Alter träumt man nicht mehr, selbst im wachen Zustande, aber ich erhalte Briefe. Lest diesen, er ist interessant.«

Nanon nahm zitternd den Brief, den ihr der Herzog reichte, und bebte, als sie die Schrift sah; aber diesen Beben war unmerklich, und sie las:

»Monseigneur der Herzog von Epernon wird benachrichtigt, daß diesen Abend ein Mann, der sich seit sechs Monaten eines vertraulichen Umgangs mit Fräulein Nanon von Lartigues erfreut, zu dieser kommen und bei ihr Abendbrod nehmen und die Nacht zubringen.

»Da man Monseigneur den Herzog von Epernon nicht in irgend einer Ungewißheit lassen will, so setzt man ihn davon in Kenntniß, daß sich dieser glückliche Nebenbuhler Baron von Canolles nennt.«

Nanon erbleichte, der Streich traf mitten in das Herz.

»Ah, Roland! Roland!« Murmelte sie, »ich glaubte doch von Dir befreit zu sein!«

»Bin ich unterrichtet?« sprach der Herzog triumphierend.

»Ziemlich schlecht,« antwortete Nanon, »und wenn Eure politische Polizei nicht besser ist, als Eure Liebespolizei, so beklage ich Euch.«

»Ihr beklagt mich?«

»Ja; denn dieser Herr von Canolles, dem Ihr die unentgeltliche Ehre erweist, ihn für Euren Nebenbuhler zu halten, ist nicht hier, und Ihr könnt überdies warten und Ihr werdet dann sehen, ob er kommt.«

»Er ist gekommen!«

»Ei!« rief Nanon, »das ist nicht wahr!«

Diesmal lag ein Ausdruck tiefer Wahrheit in dem Tone der Angeschuldigten.

»Ich will sagen: er ist bis auf vierhundert Schritte hierher gekommen und hat zu seinem Glücke in dem Gasthause zum Goldenen Kalb angehalten.«

Nanon begriff, daß der Herzog viel weniger weit vorgerückt war, als sie Anfangs geglaubt hatte. Sie zuckte die Achseln; denn ein anderer Gedanke, den ihr ohne Zweifel der Brief eingegeben hatte, welchen sie in ihren Händen hin und her drehte, keimte in ihrem Innern.

»Ist es möglich,« sagte sie, »daß ein Mann von Geist, einer der gewandtesten Politiker des Königreichs, sich von anonymen Briefen fangen läßt?«

»Anonym so lange Ihr wollt, aber wie erklärt Ihr mir diesen Brief?«

»Oh! die Erklärung ist nicht schwierig, es ist eine Folge des schönen Benehmens unserer Feinde in Agen. Herr von Canolles bat Euch in Familienangelegenheiten um einen Urlaub, den Ihr ihm bewilligtet. Man wußte, daß er hier durchkam und baute auf seine Reise diese lächerliche Anschuldigung.«

Nanon gewahrte, wie daß das Gesicht des Herzogs, statt sich zu entrunzeln, immer düsterer wurde.

»Die Erklärung wäre gut,« sagte er, »wenn diesem Briefe, den Ihr Euren Feinden zuschreibt, nicht eine gewisse Nachschrift beigefügt wäre, die Ihr in Eurer Unruhe zu lesen vergessen habt.«

»Ein tödtlicher Schauer durchlief den ganzen Körper der jungen Frau. Sie fühlte, daß sie den Kampf, wenn ihr der Zufall nicht zu Hilfe käme, nicht länger aushalten könnte.

»Eine Nachschrift?« wiederholte sie.

»Ja, lest,« sagte der Herzog.

Nanon versuchte zu lächeln, aber sie fühlte, daß ihre Züge sich nicht mehr zu diesem Anscheine der Ruhe hergaben. Sie begnügte sich also, mit dem sichersten Tone, den sie anzunehmen vermochte, zu lesen:

»Ich habe in meinen Händen den Brief von Fräulein von Lartigues an Herrn von Canolles, durch welchen das Rendezvous, das ich Euch melde, auf diesen Abend festgesetzt ist. Ich gebe diesen Brief für ein Blanquett, das mir der Herr Herzog durch einen einzigen Menschen in einem Schiffe auf der Dordogne vor dem Dorfe Saint-Michel-la-Rivière um sechs Uhr Abends einhändigen läßt.«

»Und Ihr hattet diese Unklugheit!« rief Nanon.

»Eure Handschrift ist mir so kostbar, liebe Dame, daß ich dachte, ich könnte einen Brief von Euch nicht zu theuer bezahlen.«

»Ein solches Geheimnis der Indiscretion eines Mitwissers aussetzen! Ah, Herr Herzog! . . .«

»Dergleichen vertrauliche Mittheilungen, Madame, nimmt man in Person in Empfang, und so habe ich es auch mit dieser gemacht. Der Mann, der sich auf die Dordogne begab, war ich selbst.«

»Ihr habt also meinen Brief?«

»Hier ist er.

Durch eine rasche Anstrengung des Gedächtnisses suchte Nanon sich dessen zu erinnern, was der Brief enthielt, aber es war ihr unmöglich. Ihr Gehirn fing an sich zu verwirren.

Sie war also genöthigt, ihren eigenen Brief zu, übernehmen und wieder zu lesen. Er enthielt kaum drei Zeilen: Nanon erfaßte sie mit einem gierigen Blicke und erkannte zu ihrer unbeschreiblichen Freude, daß dieser Brief sie nicht völlig compromittirte.

»Lest laut,« sprach der Herzog, »ich bin wie Ihr, ich habe den Inhalt dieses Briefes vergessen.«

Nanon fand das Lächeln wieder, das sie einige Secunden vorher vergeblich gesucht hatte, und las, der Aufforderung des Herzogs gehorchend:

»Ich werde um acht Uhr zu Nacht speisen. Seid Ihr frei? Ich bin es. In diesem Falle seid pünktlich, mein lieber Canolles, und fürchtet nichts für unser Geheimniß.«

»Das ist klar, wie es mir scheint!« rief der Herzog bleich vor Wuth.

»Das spricht mich frei,« dachte Nanon.

»Ah! Ah!« fuhr der Herzog fort, »Ihr habt ein Geheimnis mit Herrn von Canolles?«

Nanon begriff, daß ein Zögern von einer Secunde sie in das Verderben stürzen würde. Ueberdies hatte sie alle Muße gehabt, den ihr von dem anonymen Briefe eingeflößten Plan in ihrem Gehirn reifen zu lassen.

»Nun ja,« sprach sie, den Herzog fest anschauend, »ich habe ein Geheimnis mit diesem Herrn.«

»Ihr gesteht es zu?« rief der Herzog von Epernon.

»Ich muß wohl, da man Euch nichts verbergen kann.«

»Oh!« schrie der Herzog.

»Ja, ich erwartete Herrn von Canolles,« fuhr »Nanon ruhig fort.

»Ihr erwartetet ihn?«

»Ja, ich erwartete ihn.«

»Ihr wagt es, dies zu gestehen?«

»Laut, Wißt Ihr wohl, was Herr von Canolles ist?«

»Ein Dummkopf, den ich grausam für seine Unklugheit bestrafen werde.«

»Er ist ein hochherziger und braver Edelmann, den Ihr auch fortan wohlwollend behandeln werdet.«

»Oh! ich schwöre, bei Gott, daß dem nicht so sein soll.«

»Keinen Schwur, Herr Herzog, wenigstens nicht, ehe ich gesprochen habe,« antwortete Nanon.

»Sprecht, aber sprecht geschwinde.«

»Ihr habt also nicht wahrgenommen, Ihr, der Ihr die tiefsten Falten des Herzens durchforschte versetzte Nanon, welchen Vorzug ich Herrn von Canolles gönnte? Ihr habt sie nicht wahrgenommen, die Bitten, die ich zu seinen Gunsten an Euch richtete, das Kapitänspatent, welches ich ihm verschaffte, die Bewilligung von Geldern zu einer Reise nach der Bretagne mit Herrn de la Meilleraye, den Urlaub neulich, mit einem Wort, Ihr habt mein beständiges Trachten, mir ihn zu verpflichten, nicht wahrgenommen?«

»Madame, Madame,« sprach der Herzog, »Ihr überschreitet die Grenzen.«

»Um Gotteswillen, Herr Herzog, wartet bis zum Ende.«

»Was brauche ich nach ferner zu warten, und was habt Ihr mir nach zu sagen?«

»Daß ich für Herrn von Canolles die zärtlichste Theilnahme hege.«

»Ich weiß es, bei Gott! ich weiß es wohl!«

»Daß ich ihm mit Leib und Seele ergeben bin.«

»Madame, Ihr mißbraucht . . .«

»Daß ich ihm bis zum Tode dienen werde, und zwar weil . . .«

»Weil er Euer Liebhaber ist; das ist nicht, schwer zu errathen.«

»Weil er,« fuhr Nanon mit einer dramatischen Bewegung, den zitternden Herzog beim Arm ergreifend, fort, »weil er mein Bruder ist.«

Der Arm des Herzogs fiel an seiner Lende herab.

»Eure Bruder!« sprach er.

Nanon machte ein Zeichen mit dem Kopfe, begleitet von einem triumphierenden Lächeln.

Nach einem kurzen Augenblicke rief der Herzoge:

»Das erfordert Erläuterung.«

»Ich will sie Euch geben,« versetzte Nanon. »Um welche Zeit ist mein, Vater gestorben?«

»Vor ungefähr acht Monaten.«

»Um welche Zeit habt Ihr das Kapitänspatent für Herrn den Canolles unterzeichnet?«

»Ich denke, um dieselbe Zeit,« fuhr der Herzog fort.

»Vierzehn Tage hernach,« sagte Nanon.

»Vierzehn Tage hernach . . . es ist möglich.«

»Es ist traurig für mich,« fuhr Nanon fort, »die Schande einer andern Frau zu enthüllen, dieses Geheimniß aufzudecken, das unser Geheimnis ist, versteht Ihr wohl? Aber Eure seltsame Eifersucht treibt mich an, Euer grausamen Benehmen zwingt mich dazu. Ich ahme Euer Beispiel nach, Herr Herzog ich begehe eine Sünde gegen die Großmuth.«

»Fahrt fort, fahrt fort!« rief der Herzog, welcher bereits sich an die Phantasieen zu halten anfing, welche die schöne Gascognerin schmiedete.

»Nun wohl, mein Vater war ein Advokat, dem es nicht an einer gewissen Berühmtheit fehlte. Vor achtundzwanzig Jahren war mein Vater noch jung; mein Vater war stets schön gewesen. Er liebte schon vor seiner Verheirathung die Mutter von Herrn von Canolles, deren Hand man ihm verweigert hatte, weil sie adelig und er bürgerlich war. Die Liebe übernahm es, wie dies so oft geschieht, den Fehler der Natur gut zu machen, und während einer Reise von Herrn von Canolles . . . Begreift Ihr nun?«

»Ja, aber wie kommt es, daß diese Freundschaft für Herrn von Canolles Euch so spät erfaßt hat?«

»Weil ich erst bei dem Tode meines Vaters das Band erfuhr, das uns vereinigte; weil dieses Geheimniß in einem Briefe enthalten war, den mir der Baron selbst, mich seine Schwester nennend, überreichte.«

»Und wo ist dieser Brief?« fragte der Herzog.

»Vergeßt Ihr den Brand, der Alles bei mir verzehrt hat, meine kostbarsten Juwelen, meine geheimsten Papiere?«

»Das ist wahr.«

»Zwanzigmal wollte ich Euch diese Geschichte erzählen, überzeugt, Ihr würdet Alles für denjenigen thun, welchen ich ganz leise meinen Bruder nenne; aber er hat mich stets zurückgehalten, stets gebeten den Zins seiner noch lebenden Mutter zu schonen. Ich achtete seine Bedenklichkeiten, weil ich sie verstand.«

»Ah! Wirklich?« sprach der Herzog beinahe gerührt. »Armer Canolles!«

»Und dennoch war es sein Glück, daß er sich weigerte,« fuhr Nanon fort.

»Es zeugt von einem zarten Geheimniß,« versetzte der Herzog, »und sein Skrupel macht ihm Ehre.«

»Ich hatte noch mehr gethan, ich hatte ihm einen Eid geleistet, diesen Geheimniß niemals irgend jemand in der Welt zu enthüllen. Aber Euer Verdacht machte den Becher überströmen. Wehe mir! ich habe meinen Eid vergessen; wehe mir! ich habe das Geheimniß meinen Bruders verrathen.«

Und Nanon zerfloß in Thränen.

Der Herzog fiel vor ihr auf die Kniee und küßte ihre schönen Hände, die sie ganz niedergeschlagen hängen ließ, während ihre Augen, zum Himmel emporgerichtet, Gott um Vergebung wegen ihren Meineiden zu bitten schienen.

»Ihr sagte Wehe mir!« rief der Herzog, »Sagt doch: Glück für Alle! Die verlorene Zeit soll dem lieben Canolles wieder eingebracht werden. Ich kenne ihn nicht, aber ich will ihn kennen lernen. Ihr stellt Canolles vor, und ich werde ihn lieben, wie einen Sohn.«

»Sagt, wie einen Bruder,« versetzte Nanon lächelnd.

Dann zu einem andern Gedanken übergehend, rief sie den Brief zerknitternd, den sie in das Feuer zu werfen sich stellte, während sie ihn sorgfältig in die Tasche steckte, um später den Urheber damit zu fassen:

»Ungeheuer von Anzeigern!«

»Aber ich bedenke,« sagte der Herzog, »warum kommt denn der Junge nicht? Warum sollte ich warten, um ihn zu sehen? Ich werde ihn sogleich im Goldenen Kalbe holen lassen.«

»Ah! ja, damit er erfährt, daß ich nichts zu verbergen vermag, und daß ich Euch mit Hintansetzung meines Eides Alles gesagt habe.«

»Ich werde diskret sein.«

 

»Ah! mein Herr Herzog. nun muß ich Euch den Krieg ankündigen,« versetzte Nanon mit jenem Lächeln, das die Teufel von den Engeln entlehnt haben.

»Und warum denn, meine teure Schöne?«

»Weil Ihr einst lüsterner nach einem-Zusammensein unter vier Augen waret, als jetzt. Glaubt mir, wir wollen zu Nacht speisen, und morgen früh ist es noch Zeit, Canolles holen zu lassen.« (Von jetzt bis morgen kann ich Canolles benachrichtigen, dachte Nanon.)

»Es sei,« sprach der Herzog, »setzen wir uns zu Tische.«

Und von einem Reste von Zweifel gepeinigt, fügte er ganz leise bei:

»Von jetzt bis morgen werde ich sie nicht verlassen, und wenn sie nicht eine Zauberin ist, wird sie kein Mittel finden, ihn zu unterrichten.«

»Also,« sprach Nanon und legte ihren Arm auf die Schulter den Herzogs, »also ist es mir erlaubt, meinem Freunde eine Bitte für meinen Bruder vorzutragen?«

»Wie!« Versetzte Epernon, »Alles, was Ihr wollt, Geld . . .«

»Oh! Geld,« sagte Nanon, »dessen bedarf er nicht; er hat mir den prächtigen Ring gegeben, den Ihr bemerkt habt, und der von seiner Mutter kommt.«

»Avancement also?«

»Ja, Avancement. Wir machen ihn zum Obersten, nicht wahr?«

»Teufel! zum Obersten; wie rasch Ihr verfahrt, meine Geliebte! Er müßte zu diesem Behufe der Sache des Königs einen Dienst geleistet haben.«

»Er ist bereit, alle Dienste zu leisten, die man ihm nennen wird.«

»Oh!« sprach der Herzog, Nanon aus einem Winkel seines Auges betrachtend, »oh! ich hätte wohl einen Vertrauensauftrag für den Hof.«

»Einen Auftrag für den Hof!« rief Nanon.

»Ja,« versetzte der alte Hofmann, »aber das würde Euch trennen.«

Nanon sah, hast sie diesen Ueberrest von Mißtrauen vollends vernichten mußte.

»Oh! fürchtet dieß nicht, mein lieber Herzog. Was liegt in her Trennung, wenn diese von Vortheil für ihn sein kann. Verbannt ihn, schickt ihn aus dem Vaterlande, wenn es zu seinem Besten gereicht, und kümmert Euch nicht mehr um mich. Bleibt mir nur die Liebe meines teuren Herzogs, ist das nicht mehr, als ich brauche, um glücklich zu sein?«

»Gut, es ist abgemacht,« erwiederte der Herzog, »morgen früh lasse ich ihn holen und gehe ihm seine Instruktionen. Und nun, wie Ihr gesagt habt,« fügte er mit einem sehr besänftigten Blick auf die zwei Fauteuils, auf die zwei Gedecke und die zwei Kopfkissen beim »und nun wollen wir zu Nacht speisen, meine Schönste.«

Und jedes von ihnen setzte sich zu Tisch, das Gesicht so lächelnd, daß selbst Francinette, so genau sie auch als vertraute Kammerfrau hie Art und Weise des Herzogs und den Charakter ihrer Gebieterin kannte, glaubte, ihre Gebieterin wäre vollkommen ruhig und der Herzog völlig beruhigt.