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Der Frauenkrieg

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IV

Der Reiter, welchen Canolles mit dem Namen Richon begrüßt hatte, war in den ersten Stock des Gasthofes zum Goldenen Kalb hinaufgestiegen und speiste in Gesellschaft des Vicomte zu Nacht.

Er war es, den der Vicomte ungeduldig erwartete, als ihn her Zufall zum Zeugen der feindseligen Vorkehrungen des Herrn von Epernon machte und ihn in den Stand setzte, dem Baron von Canolles den von uns bezeichneten Dienst zu leisten.

Er hatte Paris acht Tage vorher und Bordeaux an demselben Tage verlassen, und brachte also die neusten Nachrichten über die Wirren, die von Paris bis Bordeaux entstanden und ein immer mehr beunruhigendes Ansehen gewannen. Während er bald von der Einkerkerung der Prinzen, der Angelegenheit den Tages, bald von dem Parlament von Bordeaux, der Macht den Ortes, bald von Mazarin, dem König des Augenblicks, sprach, betrachtete der junge Mann stillschweigend sein männliches, gebräuntes Antlitz, sein sicheres, durchdringendes Auge, seine weißen, scharfen, unter dem langen schwarzen Schnurrbart schimmernden Zähne, und alle die verschiedenen Zeichen, welche aus Richon das Musterbild des wahren Glücksritters machten.

»Also,« sprach der Vicomte nach einem Augenblick, »also ist die Frau Prinzessin zu dieser Stunde in Chantilly?«

Bekanntlich bezeichnete man auf diese Art die zwei Herzoginnen von Condé, nur fügte man bei der Herzogin von Condé Mutter den Titel Wittwe bei.

»Ja,« antwortete Richon, »und sie erwartet Euch dort sobald als möglich.«

»Und in welcher Lage ist sie in Chantilly?«

»In einer wahren Verbannung; man bewacht sie wie ihre Schwiegermutter mit der größten Sorgfalt, denn man vermuthet bei Hofe, daß sie sich nicht allein an Klagen beim Parlamente halten werde, sondern etwas Wirksameres zu Gunsten der Prinzen machinire. Leider fehlt es wie immer an Geld. . . Doch bei, dieser Gelegenheit: habt Ihr das, was man Euch schuldig war, eingezogen? Es ist dies eine Frage, die man an Euch zu stellen mich ganz besonders beauftragt.«

»Mit großer Mühen,« antwortete der Vicomte, »brachte ich zwanzigtausend Livres zusammen, die ich in Gold bei mir habe; das ist Alles.

»Das ist Alles! Teufel, Vicomte, man sieht wohl, daß Ihr Millionär seid: so verächtlich von einer solchen Summe in einem solchen Augenblick sprechen! Zwanzigtausend Livres; wir sind minder reich als Herr von Mazarin, aber reicher als der König.«

»Ihr glaubt also Richon, die Frau Prinzessin werde die bescheidene Gabe annehmen?«

»Mit Dankt Ihr bringt Ihr genug, um ein Heer damit zu bezahlen.«

»Glaubt Ihr, daß wir dessen bedürfen werden?«

»Wessen? Eines Heeres? Gewiß, und wir beschäftigen uns damit, eines zu sammeln. Herr von Larochefoucault hat vierhundert Edelleute angeworben, unter dem Vorwande, sie dem Leichenbegängnisse seines Vaters beiwohnen zu lassen. Der Herzog von Bouillon geht mit derselben Anzahl, wenn nicht mit einer größeren, nach Guienne ab. Herr von Turenne verspricht einen Gang gegen Paris zu machen, in der Absicht, Vincennes zu überfallen und die Prinzen durch einen Handstreich zu entführen: er wird dreißigtausend Mann, seine ganze Nordarmee, die er dem königlichen Dienste abspenstig macht, bei sich haben. Oh! seid unbesorgt, die Dinge sind in gutem Zuge,« fuhr Richon fort; »ich weiß nicht, ob wir große Geschäfte machen werden, sicherlich aber machen wir gewaltigen Lärmen. . .«

»Seid Ihr dem Herzog von Epernon nicht begegnet?« unterbrach ihn der junge Mann, dessen Augen funkelten bei dieser Aufzählung von Kräften, welche ihm den Triumph der Partie verhieß, der er angehörte.

»Dem Herzog von Epernon?« fragte der Glücksritter ganz verwundert, »wo soll ich ihm denn begegnet sein? Ich komme nicht von Agen, sondern von, Bordeaux.«

»Ihr könntet ihn einige Schritte von hier getroffen haben,« versetzte der Vicomte lächelnd.

»Ah! Richtig, wohnt nicht die schöne Nanon von Lartigues in der Gegend?«

»Zwei Musketenschüsse von hier.«

»So erklärt mir die Anwesenheit des Baron von Canolles im Gasthofe zum Goldenen Kalb.«

»Kennt Ihr ihn?«

»Wen? den Baron? Ja. Ich könnte mich sogar seinen Freund nennen, wäre Herr von Canolles nicht von vortrefflichem Adel, indeß ich ein armer Bürgersmann bin.

»Bürgersleute wie Ihr, Richon, sind so viel werth als Prinzen, in der Lage in der wir uns befinden. Ihr wißt übrigens, daß ich Euren Freund, den Baron von Canolles, vor Prügeln oder vielleicht vor etwas noch Schlimmerem bewahrt habe.«

»Ja, er hat mir ein paar Worte davon gesagt, aber ich horte ihn nicht sehr aufmerksam an, denn ich hatte Eile zu Euch zu gelangen. Seid Ihr sicher, daß er Euch nicht erkannt hat?«

»Man erkennt diejenigen schlecht, welche man nie gesehen hat.«

»Ich errieth auch nur, was ich ihm erwiedern sollte.«

»In der That,« sagte der Vicomte, »er schaute mich sehr aufmerksam an.«

Richon versetzte lächelnd:

»Ich glaube es wohl, man trifft nicht jeden Tag Edelleute Eurer Art.«

»Er scheint mir ein lustiger Cavalier zu sein,« sprach der Vicomte nach kurzem Stillschweigen.

»Lustig und gut; ein reizender Geist und ein großes Herz. Der Gascogner ist, wie Ihr wißt, nie mittelmäßig: entweder ist er vortrefflich oder er taugt nichts. Dieser ist von gutem Gehalt. In der Liebe wie im Kriege ist er zugleich ein Petit-maitre und ein braver Kapitän; es thut mir leid, daß er gegen uns hält. Ihr hättet in der That, da der Zufall Euch in Verbindung mit ihm brachte, diesen Umstand benutzen sollen, um ihn für unsere Sache zu gewinnen.«

Eine flüchtige Röthe zog wie ein Meteor über die bleichen Wangen des Vicomte hin.

»Euer Freund kam mir unbedeutend vor,« sagte der Vicomte.

»Ei, mein Gott,« erwiederte Richon mit der schwermüthigen Philosophie, die man zuweilen bei Männern von kräftigem Schlage trifft, »sind wir denn so ernsthaft und vernünftig, wir, die wir in unseren unklugen Händen die Fackel des Bürgerkrieges halten, wie wir es mit einer Kirchenkerze thun würden? Ist der Herr Coadjutor, welcher Paris mit einem Worte beschwichtigt oder in Aufruhr bringt – ein sehr ernster Mann? Ist Herr von Beaufort, der einen so großen Einfluß in der Hauptstadt ausübt, das man ihn den König der Hallen nennt, ein sehr ernster Mann? Ist Frau von Chevreuse, welche nach Belieben Minister macht und absetzt, eine sehr ernste Frau? Ist Frau den Longueville, welche drei Monate im Stadthause gethront hat, sehr ernst? Ist endlich die Frau Prinzessin von Condé, welche sich gestern noch mit Kleidern, Juwelen und Diamanten beschäftigte, eine sehr ernste Frau? Ist der Herr Herzog von Enghien ein sehr ernster Parteiführer, er, der noch unter den Händen von Frauen mit Puppen spielt, und vielleicht seine erste Hose anzieht, um ganz Frankreich umzuwälzen? Ich selbst, wenn man mir erlaubt, meinen Namen nach so vielen erhabenen Namen anzuführen, bin ich eine so ernste Person, ich, der Sohn eines Müllers aus Angoulême, ich, ein ehemaliger Diener des Herrn von Larochefoucault, ich, dem eines Tages mein Herr statt einer Bürste oder eines Mantels ein Schwert gegeben hat, das ich, mich zum Kriegsmanne improvisierend, muthig an meine Seite schnallte? Und dennoch ist der Sohn des Müllers von Angoulême, der ehemalige Kammerdiener von Herrn den Larochefoucault, Kapitän geworden. Er bringt eine Compagnie auf die Beine, welche vier bis fünfhundert Mann vereinigt, mit deren Leben er spielt, als hätte ihm Gott das Recht dazu gegeben. Er steht auf der Leiter zur Größe, wird Oberster, Gouverneur, und wer weiß was sonst noch werden. Es geschieht vielleicht, daß er zehn Minuten lang, eine Stunde, sogar einen Tag das Geschick des Königreichs in seinen Händen hält. Ihr seht, das hat große Aehnlichkeit mit einem Traume, und doch werde ich es für eine Wirklichkeit halten, bis zu dem Tage wo irgend eine mächtige Katastrophe mich erweckt . . .«

»Und an diesem Tage,« versetzte der Vicomte, »wehe allen Denen, welche Euch erwecken, Richon, denn Ihr werdet ein Held sein . . .«

»Ein Held oder ein Verräther, je nachdem wir die Stärkeren oder die Schwächeren sind. Unter dem vorigen Cardinal hätte ich die Augen zweimal aufgemacht, denn der Einsatz beim Spiele wäre mein Kopf gewesen.«

»Stille, Richon, sucht mich nicht glauben zu machen, Betrachtungen dieser Art halten einen Mann wie Euch zurück, Euch, den man als einen der bravsten, Soldaten des Heeres anführt.«

»Ei, allerdings,« entgegnete Richon, mit einer unübersetzbaren Bewegung der Schultern, »ich war brav als König Ludwig XIII. mit seinem bleichen Gesichte, seinem blauen Ordensbande und seinem wie ein Karfunkel glänzenden Auge, an seinem Schnurrbarte kauend, mit schriller Stimme uns zurief: »»Der König sieht Euch, vorwärts; meine Herren!«« Aber wenn ich nicht, mehr hinter mir, sondern mir gegenüber auf der Brust des Sohnes dasselbe blaue Band, das ich noch auf, der Brust des Vaters sehe, wiederfinden und meinen Soldaten zurufen sollt: Feuer auf den König von Frankreich!«« an diesem Tag,« fuhr Richon den Kopf schüttelnd fort, »an diesem Tag, Vicomte, fürchte ich bange zu haben und schief zu schießen . . .«

»Was ist Euch denn heute Unangenehmes widerfahren, das Ihr die Dinge in so schlimmem Lichte betrachtet, mein lieber Richon?« fragte der junge Mann. »Der Bürgerkrieg, ich weiß wohl, ist, eine traurige Sache, zuweilen aber sehr nöthig.«

»Ja, wie die Pest, wie das gelbe Fieber,wie das schwarze Fieber, wie das Fieber aller Farben. Glaubt Ihr z.B., Herr Vicomte, es sei sehr nothwendig, das ich, der ich diesen Abend mit so großem Vergnügen dem Baron Canolles die Hand gedrückt habe, ihm morgen den Degen in den Leib renne, weil ich der Frau Prinzessin diene, die meiner spottet, und er Herrn von Mazarin, der seiner spottet, und dennoch wird es so sein.«

Der Vicomte machte eine Bewegung des Abscheus.

»Wenigstens, wenn ich mich nicht täusche,« fuhr Richon fort, »und er mir nicht auf irgend eine Weise die Brust durchbohrt. Ah, Ihr begreift den Krieg nicht, Ihr Andern, Ihr seht nur ein Meer von Intriguen und stürzt Euch darein als in Euer natürliches Element. Ich sagte es einst Seiner Hoheit und man gab mir Recht, Ihr lebt in einer Sphäre, von der aus das Artilleriefeuer, das uns tödtet; Euch nur wie ein einfaches Feuerwerk erscheint.«

 

»In der That, Richon,« Ihr macht mir bange,« sagte der Vicomte, »und wenn ich nicht überzeugt wäre, das ich Euch zu meinem Schutze hätte, würde ich es nicht wagen, mich auf den Marsch zu begeben. Aber unter Eurem Geleite,« fügte der junge Mann, dem Parteigänger seine kleine Hand reichend, bei, »fürchte ich nichts.«

»Unter meinem Geleite,« sagte Richon, »ah! ja, Ihr erinnert mich daran. Ihr müßt meines Geleites entbehren, Herr Vicomte, und die Partie ist abgebrochen.«

»Sollt Ihr denn nicht mit mir nach Chantilly zurückkehren?«

»Das heißt, ich sollte in einem Fall zurückkehren, wenn ich hier nicht nothwendig wäre. Aber meine Wichtigkeit hat, wie ich Euch sagte, so sehr zugenommen, daß ich bestimmten Befehl von der Frau Prinzessin erhielt, die Gegend des Fort, auf welches man eine bestimmte Absicht zu haben scheint, nicht zu verlassen.«

Der Vicomte stieß einen Ausruf des Schreckens aus.

»So reisen ohne Euch!« rief er, »reisen mit dem würdigen Pompée der noch tausendmal mehr Hasenfuß ist, als ich, die Hälfte von Frankreich allein oder beinahe allein durchziehen! Oh! nein, ich reise nicht, das schwöre ich Euch, ich würde vor Angst sterben, ehe ich ankäme.«

»Oh, Herr Vicomte,« versetzte Richon in ein schallendes Gelächter ausbrechend, »Ihr denkt also nicht mehr an den Degen, der an Eurer Seite hängt?«

»Lacht immerhin, ich reise nicht. Die Frau Prinzessin hat mir versprochen, Ihr würdet mich geleiten, und nur unter dieser Bedingung machte ich mich anheischig.«

»Wie Ihr wollt, Vicomte,« versetzte Richon mit geheucheltem Ernste. Jedenfalls zählt man auf Euch in Chantilly, und nehmt Euch in Acht, die Prinzen verlieren leicht die Geduld, besonders wenn sie Geld erwarten.«

»Und zu allem Unglück,« sagte der Vicomte, »soll ich noch in der Nacht abreisen.«

»Desto besser,« sprach Richon lachend, »man wird nicht sehen, daß Ihr bange habt, und Ihr findet am Ende noch Feigherzigere, als Ihr seid, und schlagt sie in die Flucht.«

»Ihr glaubt?« sagte der Vicomte, trotz dieser Verheißung nur schlecht beruhigt.

»Ueberdies gibt es ein Mittel, Alles auszugleichen,« sagte Richon. »Ihr habt wegen des Geldes Furcht, nicht wahr? Gut, so laßt es mir, und ich schicke es durch drei bis vier sichere Männer ab. Alles wohl beachtet, ist es übrigens doch das sicherste Mittel, das Geld an Ort und Stelle gelangen zu lassen, wenn Ihr es selbst dahin bringt.«

»Ihr habt Recht, ich reise, Richon, und da man, völlig wacker sein muß, so behalte ich das Geld. Ich glaube, daß Ihre Hoheit nach dem, was Ihr sagt, noch mehr des Geldes bedarf, als meiner. Käme ich ohne Geld, so würde mir vielleicht nicht der beste Empfang zu Theil.

»Ich sagte Euch schon von Anfang, Ihr hättet das Aussehen eines Helden. Auch gibt es überall Soldaten des Königs, und wir sind noch nicht im Kriege begriffen. Traut indessen nicht zu viel und befehlt Pompée seine Pistolen zu laden.«

»Ihr sagt mir das, um mich zu beruhigen?«

»Allerdings, wer die Gefahr kennt, läßt sich nicht überraschen. Geht also, die Nacht ist schön und Ihr könnt vor Tag in Monlieu sein.«

»Und wird unser Baron unsere Abreise nicht bespähen?«

»Oh, in diesem Augenblick thut er, was wir gethan haben, das heißt, er speist zu Nacht, und wenn sein Abendbrod dem unserigen gleich kommt, so ist er ein zu guter Gast, um die Tafel ohne einen mächtigen Beweggrund zu verlassen. Ueberdies will ich hinabgehen und ihn zurückhalten.«

»Dann entschuldigt mich wegen meiner Unhöflichkeit gegen ihn. Er so nicht, wenn er mich eines Tags in minder edelmüthiger Stimmung als heute trifft, Streit mit mir anfangen. Euer Baron muß in dieser Beziehung ein raffinierter Mensch sein.«

»Ihr habt das rechte Wort gesagt, und er wäre in der That der Mann, Euch bis an das Ende der Welt zu folgen, nur um den Degen mit Euch zu kreuzen. Doch seid ruhig, ich werde Euch entschuldigen.«

»Ja, wartet aber nur, bis ich abgegangen bin.«

»Ich werde nicht verfehlen, dies zu thun.«

»Und Ihr habt keinen Auftrag an Ihre Hoheit?«

»Ich glaube wohl, Ihr erinnert mich an den allerwichtigsten Auftrag.«

»Habt Ihr geschrieben?«

»Nein, es sind ihr nur zwei Worte zu überbringen.«

»Welche?«

»Bordeauxja

»Sie weiß, was dieß bedeutet?«

»Vollkommen. Auf diese zwei Worte kann sie ganz sicher abreisen. Ich stehe für Alles.«

»Vorwärts, Pompée,« sagte der Vicomte zu dem, alten Diener, der in diesem Augenblick den Kopf durch die halb geöffnete Thüre streckte, »vorwärts, mein Freund, wir müssen reisen,«

»Oh, oh! Reisen!« rief Pompée, »der Herr Vicomte denkt nicht daran. Es kommt ein furchtbarer Sturm.«

»Was sagt Ihr da; Pompée?« versetzte Richon, »es ist keine Wolke am Himmel.«

»Aber in der Nacht können wir uns verirren.«

»Das wäre schwierig; Ihr braucht nur der Landstraße zu folgen. Ueberdies ist prächtiger Mondschein.«

»Mondschein! Mondschein!« murmelte Pompée, »Ihr begreift wohl, daß ich dies nicht meinetwegen sage, Herr Richon.«

»Allerdings,« versetzte Richon, »ein alter Soldat!«

»Wenn man den Krieg gegen die Spanier mitgemacht hat, und in der Schlacht von Corbie verwundet worden ist . . .« fuhr Pompée, sich brüstend, fort.«

»So hat man vor nichts mehr Furcht, nicht wahr? Gut, das kommt vortreffliche denn der Herr Vicomte ist nicht in jeder Beziehung beruhigt, das sage ich Euch wohl.«

»Oh, oh,-»rief Pompée erbleichend, »Ihr habt Furcht?«

»Mit Dir nicht, mein braver Pompée,« erwiederte der junge Mann, »ich kenne Dich und weiß, daß Du Dich tödten lassen würdest, ehe man an mich käme.«

»Allerdings, allerdings,« sprach Pompée, »wenn Ihr aber zu sehr Angst hättet, so müßte man warten bis morgen.«

»Unmöglich, mein guter Pompée; packe also dieses Gold auf Dein Pferd. Ich folge Dir sogleich.«

»Das ist eine schwere Summe für einen Nachtritt,« sprach Pompée den Sack abwägend.

»Es ist keine Gefahr dabei, wenigstens behauptet es Richon. Sind die Pistolen in den Holftern, ist der Degen in der Scheide, die Muskete am Haken?«

»Ihr vergeßt,« antwortete der alte Diener, »daß man sich, wenn man sein ganzes Leben Soldat gewesen ist, nicht aus einem Versehen ertappen läßt. Ja, Herr Vicomte, Alles ist an seiner Stelle.«

»Seht,« sagte Richon, »kann man mit einem solchen Gefährten Furcht haben? Glückliche Reise also, Vicomte!«

»Ich danke für den Wunsch, aber der Weg ist lang,« antwortete der Vicomte, mit einem Reste von Angst, den das martialische Gesicht von Pompée nicht zu zerstreuen vermochte.«

»Bah!« sprach Richon, »jeder Weg hat einen Anfang und ein Ende. Meine unterthänigste Empfehlung an die Frau Prinzessin. Sagt ihr, ich gehöre ihr und Herrn von Larochefoucault bis zum Tode, und vergeßt nicht die zwei fraglichen Worte: Bordeaux – ja! Ich suche Herrn von Canolles auf.«

»Sagt mir doch, Richon,« sprach der Vicomte, diesen beim Arme in dem Augenblick zurückhaltend, wo er den Fuß auf die erste Stufe der Treppe setzte, »wenn dieser Canolles ein so braver Soldat und ein, so guter Edelmann ist, wie Ihr sagt, warum macht Ihr nicht einen Versuch, ihn für unsere Partei zu gewinnen? Er könnte uns entweder in Chantilly oder schon auf der Reise einholen. Da ich ihn bereits ein wenig kenne, so würde ich ihn vorstellen.«

Richon schaute den Vicomte mit einem so seltsamen Lächeln an, das, dieser, welcher ohne Zweifel an den Zügen des Parteigängers erkannte, was in seinem Geiste vorging, rasch beifügte:

»Uebrigens will ich nichts gesagt haben, macht unten, was Ihr machen zu müssen glaubt. Gott befohlen!«

Und er reichte ihm die Hand und kehrte rasch in sein Zimmer zurück, sei es aus Furcht, Richon könnte die plötzliche Röthe sehen, die sein Gesicht bedeckte sei es, daß er bange hatte, von Canolles gehört zu werden, dessen schallendes Gelächter bis in den ersten Stock drang.

Er ließ also den Parteigänger die Treppe hinabsteigen, gefolgt von Pompée, welcher das Felleisen mit einer scheinbaren Nachlässigkeit trug, um nicht errathen zu lassen, was es enthalten könnte. Nachdem einige Minuten vorübergegangen waren, betastete er sich, um zu sehen, ob er nichts vergessen hatte, löschte seine Kerzen aus, stieg ebenfalls behutsam die Treppe hinab, wagte einen schüchternen Blick durch den erleuchteten Spalt einer Thüre des Erdgeschosses, hüllte sich in einen Mantel, den ihm Pompée reichte, setzte seinen kleinen Fuß auf die Hand des Stallmeisters, schwang sich leicht auf sein Pferd, brummte einen Augenblick über die Langsamkeit des alten Soldaten und verschwand im Schatten.

In der Sekunde Richon in das Zimmer von Canolles trat, den er unterhalten sollte, während der kleine Vicomte Anstalten zu seiner Abreise traf, erscholl ein Freudengeschrei aus dem Munde des halb auf seinem Stuhl zurückgelehnten Barons, was zum Beweise diente, daß dieser nicht grollte.

Auf dem Tische, mitten zwischen zwei durchsichtigen Körpern, welche volle Flaschen gewesen waren, stand untersetzt und stolz auf ihre Rundheit eine Phiole umflochten von Rohren, durch deren Zwischenraum das lebhafte Licht von vier Kerzen Funken von Topasen und Rubinen hervorspringen ließ. Es war eine Flasche von jenen alten Collioure-Weinen, von denen ein bereits erwärmter Gaumen den honigartigen Saft zu schlürfen liebt; schöne getrocknete Feigen, Mandeln, Biscuite, scharfe Käse, eingemachte Trauben offenbarten die interessierte Berechnung des Wirthes, eine Berechnung, für deren weise Genauigkeit zwei leere Flaschen und eine dritte halbvolle zum Belege dienten. Es war in der That gewiß, das Jeder, der ein solches herausforderndes Dessert berühren würde, so nüchtern er auch war, eine bedeutende Stimme Flüssigkeit aufbrauchen mußte.

Canolles setzte seinen Stolz nicht in ein Einsiedlerleben. Als Hugenott (Canolles war von einer protestantischen Familie und bekannte sich wohl oder übel zu der Religion seiner Väter), als Hugenott, sagen wir, glaubte Canolles vielleicht auch nicht an die Heiligsprechung der frommen Einsiedler, die den Himmel Wasser trinkend und Wurzeln essend gewonnen hatten. So traurig oder so verliebt er auch sein mochte, so war er doch nie unempfindlich für den Geruch eines guten Mittagsbrodes oder für den Anblick jener Flaschen von besonderer Form mit rothem, gelbem oder grünem Wuchse, welche unter getreuem Korke das Reinste vom Gascogner, Champagner- oder Burgunderblute verschlossen halten. Bei diesem Umstande hatte also Canolles wie gewöhnlich den Reizen des Anblicks, nachgegeben. Von dem Anblick war er auf den Geruch, von dem Geruch auf den Geschmack übergegangen, und da von den fünf Sinnen, womit ihn die gute gemeinschaftliche Mutter, welche man Dame Natur nennt, drei völlig befriedigt waren, so fasten sich die zwei andern in Geduld und warteten, bis die Reihe an sie käme, mit einer Resignation voll Glückseligkeit.

In diesem Augenblick trat Richon ein und fand Canolles sich auf seinem Stuhle wiegend.

»Ah!« rief dieser, »Ihr kommt zur rechten Zeit, mein lieber Richon; ich mußte irgend Jemand finden, um das Lob von Meister Biscarros auszusprechen, und war beinahe darauf angewiesen, ihn gegen diesen Schafskopf von Castorin zu rühmen, der nicht weiß, was trinken heißt, und den ich nie essen lehren konnte.« Schaut diese Etagère an, lieber Freund, und werft einen Blick auf diesen Tisch, an dem ich Euch Platz zu nehmen bitte. Ist er nicht ein wahrer Künstler, ein Mensch, den ich meinem Freunde, dem Herzog von Epernon empfehlen will, dieser Wirth zum Goldenen Kalbe? Hört die Einzelheiten meines Mahles und urtheilt selbst, mein lieber Richon, Ihr, der Ihr ein Kenner seid. Kraftsuppe, Hors-d’oevore von marinierten Austern, Sardellen und kleinem Geflügel, Kapaun mit Oliven, nebst einer Flasche Medoc, von der hier der Leichnam steht, ein junges Feldhuhn mit Trüffeln, Erbsen in Caramel, eine Gelèe von Vogelkirschen mit der hier liegenden Flasche Chambertin angefeuchtet; sodann dieses Dessert und diese Flasche Collioure, welche sich zu vertheidigen sucht, aber das Schicksal der andern theilen wird, besonders wenn wir zu zwei Krieg gegen dieselbe führen. Ich bin bei Gott! sehr guter Laune, und Biscarros ist ein großer Meister. Seht Euch hierher, Richon, Ihr habt zu Nacht gespeist, ich habe auch gespeist; doch gleichviel, wir fangen wieder von vorne an.«

»Ich danke, Baron,« sprach Richon lachend, »ich habe keinen Hunger mehr.«

»Streng genommen, will ich das zugeben, man kann keinen Hunger mehr haben, hat aber stets Durst. Kostet einmal diesen Collioure.«

 

Richon reichte ihm sein Glas.«

»Ihr habt also,« fuhr Canolles fort, »mit Eurem kleinen einfältigen Vicomte zu Nacht gespeist? Ah! ich bitte um Vergebung, Richon, Nein, ich täusche mich, es ist im Gegentheil ein reizender Junge, dem ich das Vergnügen schulde, das Leben von seiner schönen Seite zu kosten, statt die Seele durch drei bis vier Löcher hinzugeben, die der brave Herzog von Epernon meiner Haut beizubringen gedachte. Ich bin also diesem jungen Vicomte, diesem bezaubernden Ganymed zu Dank verpflichtet. Ah, Richon, Ihr habt ganz das Aussehen, als wäret Ihr das, was man den Euch sagt, das heißt, der wahre Diener von Herrn von Condé«

»Stille, Baron!« rief Richon; »habt keine solche Gedanken, Ihr macht mich vor Lachen sterben.«

»Von Lachen sterben! Geht doch, nein, mein Lieber.

 
Igne tantum perituri
Quia estis . . .
Landeriri.
 

Ihr kennt doch den Klagegesang, nicht wahr? Es ist ein Weihnachtslied von Eurem Patron, verfaßt auf den germanischen Fluß Ryenus als er eines Tags einen seiner Gefährten beruhigte, der durch das Wasser sterben zu müssen bange hatte. Teufel von einem Richon! Ich habe einen Abscheu vor Eurem kleinen Edelmanne, der sich auf diese Art um den nächsten besten vorüberziehenden Cavalier bekümmert.«

Und Canolles warf sich in seinem Stuhle lachend und seinen Schnurrbart mit einem solchen Anfalle von Heiterkeit kräuselnd zurück, daß Richon nothwendig daran Theil nehmen mußte.

»Also ernsthaft, mein lieber Richon,« sagte Canolles, »nicht wahr, Ihr conspirirt?«

Richon fuhr zu lachen fort, aber auf eine minder offenherzige Weise.

»Wißt Ihr, daß ich große Lust hatte, Euch und Euren kleinen Edelmann verhaften zu lassen? Bei Gott, das wäre lustig und besondere ganz leicht gewesen. Ich hatte die Stockträger meines Gevatters Epernon bei der Hand. Ah! Richon in der Wachtstube und der kleine Edelmann ebenfalls!«

In diesem Augenblick hörte man den Galopp von zwei sich entfernenden Pferden.

»Oho!« sprach Canolles horchend. »Was ist das, Richon, wißt Ihr es?«

»Ich glaube es zu vermuthen.«

»So sprecht.«

»Der kleine Edelmann reist ab.«

»Ohne von mir Abschied zu nehmen?« rief Canolles. »Das ist offenbar ein armseliger Wicht.«

»Nein, mein lieber Baron, es ist ein Mensch, der Eile hat, und nichts Anderes.«

Canolles faltete die Stirne und erwiederte:

»Was für sonderbare Manieren! Wo ist dieser Junge erzogen worden? Richon, mein Freund, ich sage Euch, daß er Unrecht thut. Unter Edelleuten benimmt man sich nicht so. Bei Gott, ich glaube, wenn ich ihn hier hätte, ich würde ihm die Ohren reiben. Der Teufel hole seinen guten Tropfen von einem Vater, der ihm aus Knickerei ohne Zweifel keinen Lehrer gegeben hat.«

»Ärgert Euch nicht, Baron,« sprach Richon lachend, »der Vicomte ist nicht so schlecht erzogen, als Ihr wohl glauben möget, denn er hat mich bei seinem Abgange beauftragt, Euch sein Bedauern auszudrücken, und mir anempfohlen, Euch tausend schmeichelhafte Dinge zu sagen.«

»Gut, gut,« erwiederte Canolles, »Weihwasser von Hof, das aus einer großen Unverschämtheit eine kleine Unhöflichkeit macht, weiter nichts. Beim Henker, ich bin in einer sehr wilden Laune. Sucht Streit mit mir, Richon! Ihr wollt nicht? Wartet. Gottes Tod, Richon, ich finde Euch sehr häßlich.«

Richon fing an zu lachen und versetzte:

»Mit dieser Laune, Baron, wäret Ihr, wenn Ihr spieltet im Stande, mir hundert Pistolen abzugewinnen. Das Spiel begünstigt, wie Ihr wißt, großen Ärger.«

Richon kannte Canolles und wußte, was er that, wenn er der schlimmen Laune des Barons einen solchen Abfluß öffnete.

»Ah, bei Gott, das Spiel!« rief er, »ja, das Spiel, Ihr habt Recht! Mein Freund, das ist ein Wort, welches mich mit Euch aussöhnt, Richon, ich finde Euch sehr angenehm. Ihr seid schön, wie Adonis, und ich verzeihe Herrn von Cambes. Castorin, Karten!

Castorin lief von Biscarros begleitet herbei. Beide richteten einen Tisch zu, und die zwei Gefährten fingen an zu spielen. Castorin, dem es seit zehn Jahren von einer Martingale träumte, und Biscarros, der das Geld mit gierigem Auge betrachtete, blieben auf jeder Seite des Tisches stehen, um zuzuschauen. In weniger als einer Stunde gewann Richon, trotz dessen, was er prophezeit hatte, seinem Gegner achtzig Pistolen ab. Canolles, welcher kein Geld mehr bei sich hatte, befahl nun Castorin ans seinem Mantelsacke zu holen.

»Unnöthig,« sprach Richon, dem dieser Befehl nicht entgangen war; »ich habe keine Zeit, um Euch Revanche zu geben.«

»Wie! Ihr habt keine Zeit?« sagte Canolles.

»Nein, es ist elf Uhr, und um Mitternacht muß ich auf meinem Posten sein.«

»Geht doch, Ihr scherzt wohl.«

»Mein Herr Baron,« erwiederte Richon mit ernstem Tone, »Ihr seid Militär und kennt folglich die Strenge des Dienstes.«

»Warum seid Ihr dann nicht abgegangen, ehe Ihr mir das Geld abgewonnen hattet?« sprach Canolles, halb lachend, halb mürrisch.

»Macht Ihr es mir vielleicht zum Vorwurfe, daß ich Euch einen Besuch abstattete?« fragte Richon.

»Gott behüte! Ich habe nur nicht die geringste Lust zu schlafen und werde mich hier furchtbar langweilen. Wenn ich Euch den Vorschlag machte, Euch zu begleiten, Richon?«

»So würde ich diese Ehre zurückweisen, Baron. Angelegenheiten, wie die, mit welcher ich beauftragt bin, werden ohne Zeugen abgemacht.«

»Ganz gut; in welcher Richtung geht Ihr?«

»Ich bitte Euch, mich dies nicht zu fragen.«

»In welcher Richtung ist der Vicomte gereist?«

»Ich muß Euch hierauf antworten, daß ich es nicht weiß.«

Canolles schaute Richon an, um sich zu versichern, ob kein Hohn in dieser unhöflichen Antwort läge; aber das gutmüthige Auge und das offenherzige Lächeln des Gouverneur von Vayres entwaffneten, wenn nicht seine Ungeduld, doch wenigstens seine Neugierde.

»Ihr seid diesen Abend ganz aus Geheimnissen zusammengesetzt, mein lieber Richon; doch Ihr habt vollkommene Freiheit. Ich hätte mich vor drei Stunden, wenn man mir gefolgt wäre, auch bedeutend geärgert, obgleich der Folgende nicht minder enttäuscht worden wäre, als ich. Also noch ein Glas Collioures Wein und glückliche Reise.«

Hiernach füllte Canolles die Gläser, und Richon entfernte sich, nachdem er auf die Gesundheit des Barons getrunken hatte, ohne das es diesem nur in den Kopf kam, er wolle zu erfahren suchen, auf welchem Weg er sich entfernte. Aber allein mitten unter halb abgebrannten-Kerzen, leeren-Flaschen und zerstreuten Karten fühlte sich der Baron in eine von jenen traurigen Stimmungen versetzt, die man nur versteht, wenn man sie selbst erlebt hat; denn seine Heiterkeit von dem ganzen Abend war mit einem Verdrusse gemacht worden, über welchen er sich zu betäuben gesucht hatte, ohne daß es ihm völlig gelungen war.

Er schleppte sich also nach seinem Schlafzimmer und warf dabei durch die Scheiben des Ganges einen Blick voll Sommer und Zorn nach dem vereinzelten Hause, von dem ein Fenster mit einem röthlichen Reflexe beleuchtet war, und das von Zeit zu Zeit von Schatten durchzogen wurde, woraus deutlich genug hervorging, daß Fräulein von Lartigues eine Nacht minder einsam als die seinige zubrachte.

Auf der ersten Stufe der Treppe stieß Canolles mit seinem Stiefel an etwas. Er blickte sich und hob einen von den kleinen perlgrauen Handschuhen des Vicomte auf, den dieser bei seinem eiligen Abgange aus dem Gasthause von Meister Biscarros hatte fallen lassen und ohne Zweifel nicht für kostbar genug hielt, um seine Zeit mit Suchen zu verlieren.

Was auch Canolles in einem Augenblicke der Menschenfeindlichkeit, der einem getäuschten Liebhaber wohl zu verzeihen war, denken mochte, es herrschte in dem einen einsamen Hause keine größere Freude, als im Gasthofe zum Goldenen Kalb.

Unruhig und bewegt wälzte Nanon die ganze Nacht hindurch tausend Pläne in ihrem Gehirne umher, um Canolles in Kenntniß zu setzen; sie suchte Alles, was an Geist und List in dem Kopfe einer wohl organisierten Frau enthalten ist, zu benützen, um sich der precären Lage zu entziehen in der sie sich befand. Es, handelte sich nur darum, dem Herzog eine Minute zu stehlen, um mit Francinette zu sprechen, oder zwei Minuten, um eine Zeile an Canolles auf ein Stück Papier zu schreiben.