Free

Der Arzt auf Java

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

Das junge Mädchen blieb stumm; sie machte nicht eine einzige Bewegung, welche vermuthen ließ, daß sie verstand, was ihr Vater ihr sagte.

»Arroa, Arroa,« fuhr dieser fort, »wenn es sein muß, so werde ich Deine Liebkosungen entbehren; wenn Du es verlangst, füge ich mich darein, den Namen Vater nicht mehr von Deinem Munde zu vernehmen; ich bin alt, ich bin häßlich, ich bin arm, und Du, ach, Du bist leider an andere Küsse gewöhnt, als die, welche Du von meinen welken Lippen empfangen könntest; Du bist jetzt an die reichen Kleider der Rajahs gewöhnt, und die Lumpen, welche meinen Körper bedecken, erfüllen Dein Herz mit Ekel. Ich werde ergebungsvoll zu Buddha beten, daß er die Bestrafung Deines Fehltritts auf auf Die schleudere, welche, strafbarer als Du, Dich die Wollust kennen lehrten; aber sprich wenigstens, laß mich Deine Stimme hören, damit meine andern Sinne gleich meinen Augen mir sagen: Deine Tochter ist nicht todt!«

Von allen Worten, die Argalenka gesprochen hatte, schien ein einziges das junge Mädchen zu ergreifen.

Als der Beduis von Wollust sprach, hatten die feuchten Augen Arroa’s in einem eigenthümlichen Feuer geleuchtet; ihre Lippen öffneten sich wie in dem Entzücken des Vergnügens; ihr Busen hob sich heftig, und die Goldfarbe ihrer Haut wurde dunkler.

»Die Wollust,« sagte sie mit leiser Stimme und mit dem monotonen Klange eines Gesanges, »die Wollust, die himmlische Gabe, welche Buddha dem Menschen verlieh, der einzige Schatz, welcher allen andern Schätzen einen Preis gibt. Wer würde sich bücken, um das Gold aufzuheben, das in den Eingeweiden der Erde verborgen liegt, wenn das Gold nicht der vollkommenste Ausdruck der Wollust wäre?

»Komm, Du, den mein Herz sich erwählt, und dessen Annäherung sein Klopfen beschleunigt. Die Stunde ist gekommen, wo die Nacht ihren sternendurchwebten Schleier über die Erde breitet, um das große Mysterium der Wiederauferstehung und des Lebens zu verhüllen die Schatten vermählen sich dem erlöschenden Lichte des Tages, der Wald erbebt wie eine Jungfrau die das Verlangen erfaßt. Die Erde öffnet ihren Schooß den Dünsten, die sie befruchten, die Blume neigt sich zur Blume, um mit ihr von Liebe zu flüstern, während das vom Winde bewegte Bananenblatt die Brautlieder anstimmt, und der Bengali mit den Flügeln schlägt, indem er dem Rufe seines Weibchens antwortet, während das Liebesgebrüll des Tigers das Gewölbe der mächtigen Wälder erschüttert.

»Komm aus mein frisches, Wohlgerüche athmendes Lager, meine Seele wartet nur auf die Deinige, um sich mit ihr zu vermischen, wie die süßen Dünste des Citronenbaumes sich in der Nachtluft mischen mit dem scharfen Geruche der Gardonia. – Kamm, mein Mund kennt süßere Worte, als das Rauschen der Blätter, als den Gesang der Blume, als das Girren des Bengali, und um Dich an mein Herz zu pressen, sollen meine Arme Dich mächtiger umarmen, wie der Tiger die Tigerin.«

Argalenka hörte mit schmerzhaftem Staunen auf seine Tochter; er suchte sie nicht zu unterbrechen; als er aber an ihren Warten erkannte, daß ihr Verstand sich verwirrt hatte, verbarg er das Gesicht in die Hände und weinte reichlich.

Arroa fuhr nach längere Zeit in ihren verliebten Aeußerungen fort, allmälig aber wurde ihre Stimme schwächer und sie versank wieder in die Schlafsucht, aus der ihr Vater sie aufgestört hatte.

Harruch saß ernst und schweigend da, und stand nur von Zeit zu Zeit auf, um auf die erlöschende Flamme einige Arme voll trocknen Reisigs zu werfen. Die Werte Arroa’s schienen durchaus keinen Eindruck auf den Guebern gemacht zu haben, aber mehrmals heftete sein Auge sich auf Argalenka mit einem Ausdrucke der Theilnahme, der gegen die gewöhnliche Härte seiner Züge abstach. Mehrere Stunden ließ er den Beduis seinem Schmerz freien Lauf geben; dann schritt er auf ihn zu, faßte ihn beim Arme und zog ihn nach dem Theile des Heiligthums, der von Arroa am weitesten entfernt war; hier zwang er ihn, sich niederzusetzen.

Argalenka leistete keinen Widerstand; er fügte sich wie ein Kind dem Willen Dessen, dem er unwillkürlich gehorchte.

»Nun,« sagte Harruch, dessen Lippen ein finsteres Lächeln bewegte, »sie haben gewissenhaft ihr Versprechen erfüllt, und Dir Dein Kind zurückgegeben!«

»Ja,« erwiederte der Beduis, der in seiner Niedergeschlagenheit den Sinn nicht erkannte, den der spöttische Ton Harruch’s in dessen Worte legte. »Ja, sie haben den armen Vater nicht getäuscht. Buddha, dessen Hand sich schwer auf mein Haupt gelegt hatte, möge ihnen das Böse verzeihen, das sie mir zufügten, da sie endlich mit meiner Betrübniß Mitleid hatten.«

Der Gueber zuckte geringschätzig die Achseln, und das Gefühl des Mitleids, welches sein Gesicht gezeigt hatte, verwandelte sich in ein verächtliches Lächeln.

»Hat dich der Midujak, dessen Wipfel in die Wolken ragt, und der schon ein großer Baum war, als auf allen diesen Bergen die Feuer brannten, welche Ormuzd’s Hand angezündet hatte, nicht mehr gelehrt, als das Haidekraut, welches in der Dauer einer Jahreszeit zu seinen Füßen geboren wird, wächst und stirbt? Du trägst auf Deinem Haupte die Krone der Weisheit und auf Deiner Stirn die Zeichen des Verfalles. Hast Du denn niemals sagen hören, daß der Mensch in der Wissenschaft des Bösen beinahe eben so mächtig sei, wie Ahriman, daß er das furchtbare Geheimniß der Getränke erforschte, welche den Verstand verwirren, und den Körper leben lassen, indem sie den göttlichen Hauch daraus vertreiben, der ihn beseelt?«

»Was willst Du sagen, Gueber?«

»Ich will sagen; daß Deine Tochter einen dieser Tränke genossen hat.«

»Wer soll ihn ihr eingegossen haben?« erwiederte Argalenka; wer ist der Mensch, so sehr von Gott verlassen, daß er dieses entsetzliche Verbrechen ohne Zweck und ohne Nutzen vollbringen konnte.«

»Ich habe Dir nicht gesagt, daß der Wahnsinn Deiner Tochter keinen Zweck hat, und daß man ihn uneigennützig hervorrief. Nein, das sage ich Dir nicht.«

»Ich verstehe Dich nicht.«

»Höre. Wenn ich Deinen Augen die Schlingen offenbare, die Dich umgeben, wenn ich Dir die Hand zeige, welche die Pflanzen und die Insecten zermalmte, das Gift bildete und eingoß, wenn ich Dir den Willen bezeichne, der zweimal gelehrige Sclavinnen gefunden hatte, und diesmal weil er fürchtete, minder glücklich zu sein, der dritten Sclavin einen Trank bereitete, damit sie das duldende Werkzeug seiner Absichten werde; – wenn ich Dir diesen Menschen bezeichne, diese Art höllischen Geistes, der unsere Hülle anlegte, um uns zu verfolgen, verhaßt dem Himmel, wieder Erde, unerbittlich seinem Ziel zu schreitend, welches darin besteht, sein verabscheuungswertes Leben durch Blut und Thränen zu verlängern, ohne über die Leichen zu straucheln, mit denen sein Weg bedeckt ist; wenn ich Dir das Alles beweise, sage, wirst Du dann endlich begreifen, daß die Rache zuweilen eine göttliche Eingebung ist, ein heiliges Werk, und wirst Du dann im Angesicht dessen, was man aus Deinem Kinde gemacht hat, nicht dringend verlangen, daß ich Dir die Hälfte meiner Rache übertrage?«

»Schon zwei Mal hast Du diese Fragen an mich gerichtet und zwei Mal gab ich Dir die gleiche Antwort. Du kannst heute sehen, daß die Zunahme meines Schmerzes mein Vertrauen auf die heiligen Lehren meines Gesetze nicht verminderte. Wenn der Mensch die Verbrechen beging, die Du ihm zuschreibst, wird er der Hand Buddha’s nicht entrinnen, wie groß auch seine Kraft und sein Stolz sein mögen; der Hauch Buddha’s kann, wenn er es will, die hohen Berge dieser Insel auseinander blasen, wie die Körner des Sandes am Meere; aber ich will ihn nicht beleidigen, indem ich seine Rache mir anmaße; die Menschen können mein Herz mit Schmerz übersättigen, aber sie vermögen es nicht mit einem Tropfen Galle zu erfüllen; sie können alle Thränen rinnen machen, die meine Augen enthalten, aber sie werden nicht einen Fluch meinem Munde entreißen, der nicht die Macht empfing, zu verwünschen.«

Harruch stand auf, zog die Falten seines Sacong zusammen und murmelte:

»Armer Thor! Das Schicksal will Deinem Herzen nicht eine einzige Qual ersparen. Zwei Mal führte es Dich auf meinen Weg, zwei Mal erfüllte es meine Seele mit Mitleid an Deinem Geschick, zwei Mal versuchte ich es, Dich demselben zu entreißen, zwei Mal bliebst Du taub gegen meine Stimme, unerschütterlich in Deiner feigen Schwäche, wie ich in meinem Hasse. – Vielleicht ist es so besser, denn Du würdest unfähig zu dem Opfer gewesen sein, welches zu der Erreichung meiner Absichten nothwendig ist; Du würdest die Rache gehindert haben, zu deren Theilnehmer ich Dich annehmen wollte. Die mächtigen Thiere unserer Wälder suchen die Gazellen und die Tauben nicht auf, um sie Theil an ihren Plänen gegen die Mensch annehmen zu lassen; der Orkan, der das Meer aufwühlt, die Felsen spaltet, die Wälder niederwirft, wie die Halme eines Kornfeldes, kann nicht durch die Klagen gerührt werden, die er hervorruft. Lebe wohl! Wie auf der Straße von Weltevrede sage ich Dir trennen wir uns; verfolge Deinen Weg, wie ich den meinigen. Du, der Du verzeihst, daß ich meinen Namen gegen einen fürchterlicheren vertauschte, der ich mich die Züchtigung nenne, der ich nicht erwarte, daß Buddha, Ormuzd oder Mohamed es übernehmen werden, die drei Menschen zu bestrafen, die mich beleidigten, ich bleibe auf ihrer Spur; denn der Tag naht, an dem ich ihnen das Böse mit Bösem, die Verzweiflung mit Verzweiflung, vergelten werde. – Vernimm dies Stimme des Lori, welcher die Gebüsche verläßt, in denen er schlief, und der nun zu den höchsten Gipfeln auffliegt, um der Morgenröthe seinen Gruß zuzuschmettern; es ist Zeit, den Tempel zu verlassen.«

Argalenka blieb nachdenkend stehen. Der arme Mensch fragte sich, wo er ein Asyl für seine unglückliche Tochter finden könnte.

Harruch las, was in der Seele des Beduis vorging, und sagte:

»Höre noch einen letzten Rath; bleibe nicht in diesem Lande, denn das hieße Gott versuchen; steige in die Provinz Preangers hinab auf dem westlichen Abhange des Berges Gagah, am Fuße des Hügels, auf welchem dieser Tempel errichtet ist. Da wirst dort einen Quell finden, der an dem Fels entspringt, und dessen Wasser sich in einem schmalen Bache in die Ebene ergießt; folge den Ufern dieses Baches in der Richtung, in welcher die Sonne untergeht; bald wirst Du ihn wachsen sehen, wie das Kind, welches von der Jugend zum Mannesalter übergeht; er wird Sturzbach, dann Fluß, und endlich so breit und mächtig, wie der Tjiliwong, wenn er Weltevrede erreicht. Verlasse seine Ufer nicht; wenn Du das Meer gleich einem grünlichen Streifen an dem Horizont erblickst, suche den Punct auf, an welchem der Gipfel des Berges Kavogan, den Du vor Dir hast, genau einen zweiten Berg bedeckt, den Du an dem Horizont erblicken wirst; mache tausend Schritt in dieser Richtung, und Du wirst dann zu Deiner Rechten in einem Wäldchen, welches nur eine halbe Wegstunde von dem Dorfe Zand entfernt ist, eine verlassene Hütte finden. Diese Hütte erbaute ich, als ich die Cobra Capella in dem Thale von Kavogan verfolgte. Tritt ohne Furcht in meine Wohnung ein; der Vogel benutzt für sich das verlassene Nest, das er auf seinem Wege findet; in einer Ecke der Hütte, unter einem Haufen von Haidekraut, wirst Du Matten finden, und die Geräthschaften, welche zur Erhaltung des Lebens nothwendig sind; die Wälder, die Felder und das Meer werden Dir reichlich Deine Nahrung gewähren. Dort wirst Du besser in Sicherheit sein, als hier. Dort wird die Gefahr, welche Dich noch bedroht, vielleicht von Deinem Haupte und dem Deiner Tochter abgewendet werden.«

 

»Ach,« sagte der Beduis, »es sind fünf Tagesmärsche von hier bis zum Ufer des Meeres; wie kann ich armer, gebrechlicher Greis so weit die Unglückliche führen, die mich weder hört noch versteh?«

»Als ich Deine Tochter auf dem Fußpfade, der hierher führt, kommen sah, ritt sie eines von den Pferden Thsermai’s. Der, welcher sich nicht gescheut hatte, ihr das köstlichste aller Güter, den Verstand, zu rauben, fürchtete, daß die Füße seines Opfers sich an den Kieseln des blutig reißen möchten; dieses Pferd ist noch in der ersten Umhegung des Tempels.«

»Noch einen letzten Dienst« leiste mir, Harruch; hilf mir Arroa auf das Pferd heben.«

Der Gueber that, was Argalenka von ihm verlangte. Dieser erweckte seine Tochter, und führte sie mit Hilfe des Schlangenbeschwörers zum Tempel hinaus. Das Pferd wurde gesattelt, und Arroa, die, ohne ein Wort zu sagen, ihrem Vater gefolgt war, und ihm wie mechanisch gehorchte, wurde auf den Rücken des Thieres gesetzt, dessen Zügel der Beduis ergriff.

»Ich danke Dir, Harruch,« sagte er zudem Guebern, der zur Seite trat, um ihn vorüber zu lassen. »Buddha wird Dich für das Mitleid belohnen, das Du mir zeigtest, und für die Dienste, die Du mir leistetest. Meine Gebete sollen ihn täglich darum anflehen.«

Harruch antwortete ihm nicht; er betrachtete Arroa mit finsterer Aufmerksamkeit; plötzlich aber rief er Maha, und ohne seinem Gefährten Lebewohl zu sagen, entfernte er sich in der östlichen Richtung, welche die der Provinz Batavia war, mit seiner gewöhnlichen Schnelligkeit.

Argalenka machte sich auf den Weg und stieg die Höhe zu dem District von Preangers hinab; dann folgte er dem Laufe des Baches, den der Gueber ihm bezeichnet hatte.

III.
Das Heilmittel ist schlimmer, als das Uebel

Nach dem Tode der Negerin Cora, nach dem Erscheinen Noungal’s auf dem Schauplatz des Drama’s, in welchem Eusebius van der Beek eine so verhängnißvolle Rolle spielte, war der junge Holländer der Ebene zugeeilt.

Die Verwirrung seines Geistes war so groß, daß er, ohne sich Rechenschaft davon zugeben, ob er dem Dorfe Gavoet, wo er Esther gelassen hatte, den Rücken zuwendete oder nicht, so schnell vorwärts lief, wie seine Kräfte es ihm gestatteten, seine Stirn dem Winde preisgebend; Er bemühte sich, sein brennendes Hirn abzukühlen, durchschritt bebaute Felder, eilte durch die Thaler, erkletterte die Berge, floh die Wohnstätten und die Menschen, denn in jedem der letztern glaubte er einen Feind zu erkennen, nachdem er Noungal gesehen hatte.

Dieser wilde Lauf dauerte so lange, bis die Ermüdung, und noch mehr, als die Ermüdung, die brennenden Strahlen der Sonne Eusebius’ Kraft erschöpft hatten; keuchend, kraftlos, sank er auf den Boden nieder und blieb ohnmächtig liegen.

Als er wieder zu sich kam, neigte sich der Tag seinem Ende zu; die gold’ne Scheibe der Sonne sank an dem Horizont nieder, umgeben von einem Netze röthlicher Wolken und mit ihren Strahlen die Wipfel des Taikoekoie purpurn umsäumend.

Eusebius hatte einige Mühe, seine Gedanken zu sammeln; er besann sich kaum auf das, was während der vorhergehenden Nacht sich zugetragen hatte; seine Verzweiflung ließ nur eine Art schmerzhafter Betäubung zurück. Er schwankte, auf den Beinen wie ein Betrunkener; sein Kopf schien leer zu sein; das leiseste Geräusch, die geringste Bewegung, tönte darin wieder, und verursachte ihm stechende Schmerzen; glühender Durst, ein fürchterliches Fieber, verzehrten ihn. Instinctmäßig sah er sich nach Wasser um. Als er so seine Blicke umherschweifen ließ, bemerkte er Gras und Kräuter, deren frisches Grün gegen das dürre Haidekraut rings umher abstach, und das Bett eines Baches anzudeuten schien. Er schleppte sich bis dorthin, die brennende Mittagshitze hatte den Bach ausgetrocknet, doch die Erde war feucht geblieben, und indem er an dem Laufe aufwärts ging, durfte er hoffen, die Quelle zu erreichen.

Der junge Holländer sammelte seine ganzen Kräfte und seinen ganzen Muth und schleppte sich in dieser Richtung vorwärts. Bald bemerkte er einen Fels, aus welchem das Wasser in Tropfen hervorquoll und in ein Becken fiel, welches der Schatten des Felsens gegen die Strahlen der Sonne schützte.

Statt sich auf diese Quelle der Wiederbelebung zuzustürzen, blieb Eusebius stumm, regungslos und voll Entsetzen stehen. Er richtete sich hoch empor, blickte umher und erkannte, daß der Zufall ihn zu der Diamantenquelle geführt hatte, welche der armen Cora so verderblich gewesen war.

Seine Haare sträubten sich ihm auf dem Kopfe, sein ganzer Körper zitterte krampfhaft; erbebte bei dem Gedanken, den zuckenden Leichnam der Negerin zu seinen Füßen zu erblicken, und schloß unwillkürlich die Augen. Dann jedoch besiegte er sein Entsetzen und blickte umher. Nirgends gewahrte er die Leiche Cora’s. Er würde geglaubt haben, das Opfer eines fürchterlichen Alps zu sein, wenn er nicht zwei Schritt von sich entfernt den Boden mit einer bräunlichen Farbe und einer klebrigen Masse bedeckt gesehen hätte. Dieser Fleck war offenbar durch das Blut der Negerin hervorgebracht. Mochte dem indeß sein, wie ihm wollte, so fühlte Eusebius sich doch glücklich, die Leiche seines Opfers nicht zu erblicken, und athmete hoch auf. Dann aber bemächtigte sich seiner ein furchtbarer Wahnsinn. Am Morgen hatte er in seiner Verwirrung sich die Gelegenheit entschlüpfen lassen, ungeheure Reichthümer zu erwerben und die bösen Absichten des Doctor Basilius zu verspotten; diese Gelegenheit gab ein glücklicher Zufall ihm zurück.

Er vergaß seine Schmerzen, das Fieber, den Durst, kniete am Rande des Quelle nieder und senkte seine Arme bis auf den Boden herab, um die kostbaren Steine zu ergreifen, die er einige Stunden zuvor gesehen und berührt hatte. Aber die, welche er mit seinen Händen hervorzog, unterschieden sich in nichts von den Kieseln, mit denen der Fuß des Felsens bedeckt war. Er nahm einen derselben, zerschmetterte ihn zwischen zwei Steinen und fand weiter nichts, als Feuersteine.

Keuchend vor Erwartung wiederholte er zehn Mal den Versuch, und zehn Mal fand er denselben Erfolg. Da zerriß sein Herz; er setzte sich auf einen Vorsprung des Felsens und weinte. Die heftige Erschütterung, die er empfunden hatte, gab seinem Verstande seine Klarheit zurück; er besann sich aufs Alles.

Die erste Thräne, die er vergaß, war seinen thörichten Hoffnungen gewidmet, aber die durch Schmerz erwachte Seele kehrte schnell zu zärtlicheren Gefühlen zurück; er weinte über sich selbst, über sein trauriges Schicksal, besonders aber über Esther.

Er war jetzt weit entfernt von dem Dünkel seiner ersten Tage; er erkannte seine Schwäche, er sah, wie alle die finsteren Prophezeiungen des Doctor Basilius sich eine nach der andern erfüllten; er fragte sich, ob er den Muth und die Kraft haben würde, der letzten Prüfung zu widerstehen; und indem er in Gedanken die Schlinge maß, in welche er sich verwickelt fühlte, schwand, der übernatürlichen Macht Dessen gegenüber, der in diesem Kampf sein Gegner war, sein Muth.

Er dachte daran, Esther aufzusuchen, ihr zu gestehen, was vorgegangen war, ihre Verzeihung zu erstehen und ihr den Vorschlag zu machen, in einem gemeinschaftlichen Tode den Triumph ihrer Gefühle gegenseitiger Zärtlichkeit und eine Zuflucht gegen die höllischen Umtriebe des fürchterlichen Noungal zu suchen.

Die kurze Ruhe, die er genossen, der Entschluß, den er gefaßt hatte, verliehen ihm neue Kräfte; er stand auf und machte sich auf den Weg; aber die Dunkelheit war so groß geworden, daß er es fürchtete, sich auf die von giftigen Dünsten erfüllte Ebene zu wagen, und nur langsam und zögernd vorwärts schritt. So ging er seit etwa einer Stunde, als ein dumpfen, verworrener Lärm das Schweigen unterbrach. Es war der Ton, welchen die Pferde machen, wenn sie mit ihren Hufen die ausgedörrte Erde berühren. Das Geräusch kam schnell in der Richtung auf Eusebius zu näher; dieser sprang in eine Caffeepflanzung hinein und verbarg sich hinter dem Laubwerk eines der Bäume.

Etwa ein Dutzend der eingebornen Reiter, welche die Garde des Gouverneurs bilden und mit der Districtpolizei in den Provinzen beauftragt sind, ritten einige Schritt vor dem jungen Mann vorüber. An ihrer Spitze galoppirte auf einem ungesattelten Pferde ein Mensch, der nicht gleich seinen Begleitern die lange Lanze mit dem dreieckigen Wimpel trug.

Dieser Mensch schien den übrigen zum Führer zu dienen. Eusebius sah, wie er mit dem Arme gegen die Höhen des Benderango deutete, und glaubte in diesem Führer Noungal zu erkennen. Alles Blut erstarrte in seinen Adern, und kalter Schweiß perlte auf seiner Stirn. Ohne Zweifel hatte der Malaye ihn den Behörden der Provinz angezeigt und sich dann erboten, ihnen den Strafbaren auszuliefern.

In einer ersten Regung fühlte Eusebius sich versucht, seinen Versteck zu verlassen, sich den Soldaten auszuliefern und sein Geschick der Gerechtigkeit seiner Mitmenschen anzuvertrauen; aber die Zeit rascher Entschlüsse war für den Holländer vorüber; seine Seele hatte die jugendliche Rechtschaffenheit und Thatkraft verloren, seitdem Eusebius sich durch den Dämon des Geizes in Versuchung führen ließ. Ein kaum bemerkbarer Flecken genügt, um eine gute Frucht zu verderben.

Er empfand Furcht, indem er in Gedanken sah, welche Folgen ein solcher Entschluß nach sich ziehen könnte; es war ein Wahnsinn, Richter des 19. Jahrhunderts überreden zu wollen, daß man das Opfer übernatürlicher Verfolgungen sei. Würden sich diese Richter nicht viel mehr überzeugt gefühlt haben, daß die Angaben, die er zu machen hatte, nichts wären, als die gemeine List des Verbrechers, der den Wahnsinn erheuchelt, um seinen Kopf zu retten? Er sah sich entehrt, beschimpft, verurtheilt, und mindestens für den Rest seines ganzen Lebens in ein Irrenhaus gesperrt.

Daun dachte er an Esther, und um seine Feigheit zu entschuldigen, versteckte er sich hinter seiner Zärtlichkeit für dieselbe. Er leugnete die Möglichkeit, daß sie diese Prüfung siegreich bestehen würde; es schien ihm unwahrscheinlich, daß die Liebe seiner Frau, die er für das Kostbarste der ihm gebliebenen Güter erklärte, nicht verlöschten sollte, wenn die menschliche Gerechtigkeit, das Haupt Dessen traf, dessen Namen sie trug, wenn die Oeffentlichkeit der Sitzung das Aergerniß noch dem Verrath hinzufügte, den sie ihm zum Vorwurf machen durfte, und den er durch die Einmischung Noungal’s zu rechtfertigen versuchen wollte.

Indem er die Gewissensruhe verlor, büßte er auch die Grundlage jeder Kraft ein; indem er an sich selbst zweifelte, lernte er auch den Zweifel an den Andern. Er beschloß daher, Esther zu sehen, ehe er sich dem Richterspruch, der seiner wartete, blos stellte. Wenn man ihn aber in der Umgegend von Taikoekoie verfolgte, dann war es wahrscheinlich, daß man es nicht vernachlässigt hatte, das Gasthaus von Gavoet, wo man ihn offenbar erwarten mußte, zu umstellen.

Eusebius beschloß daher, diese Gegend zu verlassen, und später einen Boten an seine Frau zu.senden, um sie zu sich zu berufen. Er richtete sich nach den Sternen und versuchte sich dem Ufer des Meeres zu nähern, das, wie er wußte, einige Stunden gegen Westen liegen mußte. Mit Tagesanbruch erreichte er die Küste, und wendete sich dann gegen Norden. So hoffte er den bebauten Theil des Districts von Preangers zu erreichen, wo er ein Asyl zu finden hoffte, von wo es ihm leicht sein würde, Esther von seiner Lage zu benachrichtigen. Vier Tage lang schritt er in dieser Richtung vorwärts, von Muscheln lebend, die er an der Meeresküste sammelte, von wilden Früchten, die er von den Gesträuchen des Küstendistricts pflückte, und auf den Felsen der Klippen schlafend.

 

Aber Eusebius van der Beek hatte von seinen schon erschöpften Kräften zu viel erwartet; das Fieber, an dem er litt, nahm zu; seine zersetzten Kleider schützten seinen Körper nicht mehr gegen die Wirkung der brennenden Strahlender Sonne; seine Füße, nur mangelhaft durch sein zerrissenes Schuhwerk bedeckt, bluteten unter der Berührung der spitzen Steine und der zerbrochenen Muscheln mit denen der Weg bedeckt war, den er verfolgte.

Bald verweigerten seine Füße ihm den Dienst; ihm schwindelte, und tausend blendende Phantasiebilder tanzten ihm vor den Augen. Die Verzweiflung bemächtigte sich seiner und flößte ihm die Verachtung des Entsetzens ein, dem er gewichen war, als er vor den Reitern entfloh, welche Noungal führte. Einen Tod für den andern genommen, schien ihm der, dem er in dieser Wüste ausgesetzt war, fern von jeder Hilfe, jedes Trostes beraubt, noch entsetzlicher als der, welchen das Gesetz den Mördern bestimmt. Er beschloß daher, sich den menschlichen Wohnungen wieder zu nähern, die er bisher vermieden hatte.

Er befand sich. in diesem Augenblicke in einer nackten Wüste, welche durch den Wiederschein der Sonnenstrahlen zu einer gewaltigen Feuermasse gemacht wurde. Zu seiner Rechten bemerkte er eine grünende Oase und zwischen hohen Palmenstämmen die Bambusdächer mehrerer Wohnungen. Er versuchte dorthin zu gelangen; aber indem er vorwärts schritt, schien die grüne Insel vor ihm zurückzuweichen. Er glaubte schon, sie zu berühren, und plötzlich sah er sie wieder, eine halbe Stunde vor sich liegen und erblickte ringsum sich her nichts als verkrüppeltes Holz, verbranntes Gesträuch, verdorrtes Gras und unfruchtbare Felsen. Seine Verzweiflung verwandelte sich jetzt in eine Art von Wuth; er brach in rasende Verwünschungen gegen Noungal aus, gegen Die, welche das letzte Werkzeug dieses Dämons gewesen war; er verwünschte sein Geschick, er lästerte die Vorsehung, die ihn verließ; er wälzte sich in dem Sande, schlug sich mit geballten Fäusten und stieß Geschrei aus, welches nichts Menschliches mehr hatte.

Allmälig schwanden seine Sinne; eine Art von Nebel breitete sich zwischen seinen Augen und seiner Umgebung aus; seine ausgetrocknete Kehle ließ kaum noch keuchende, mühsame Athemzüge hindurch; es schien als hätte für den armen Eusebius die Todesqual begonnen, und diese Qual war so schmerzhaft, daß er den Tod herbeirief, der allein seine Leiden verkürzen konnte.

Als ob dieser letzte Wunsch Erhörung gefunden hätte; fühlte er plötzlich auf seinem Fuße einen eigenthümlichen kalten Druck, und als er die Augen darauf wendete, bemerkte er eine kleine Schlange, die sich um sein Knöchelgelenk geschlungen hatte.

Es war eine jener Nattern, die man in Java Bidudaks nennt, die kleinste der zahlreichen Schlangenarten der Insel, aber von allen vielleicht die, deren Biß am gefährlichsten ist. Das Thier ließ in der Sonne seine schwarzen und goldenen Schuppen funkeln. Seine blutigen Augen waren fest auf Eusebius’ Augen gerichtet, und es streckte ihm seine gespaltene Zunge mit einem leisem drohenden Zischen entgegen.

In dem Zustande der Ermattung, in welchem Eusebius sich befand, hatte er nicht die Kraft, sich der drohenden Gefahr zu entziehen; er sank zurück und wurde ohnmächtig. In diesem Augenblick trat ein Mensch, der mit einem Bündel trockenen Holzes beladen war, auf die Lichtung, auf welcher dieser Auftritt stattfand; mit einem Blick bemerkte er Eusebius und den Bidudak, welcher, durch die Regungslosigkeit seines Opfers sicher gemacht, an den Kleidern des Holländers hinaufgeglitten war, bis zu dessen Halse, als wollte er den Ort suchen, wo die Wirkung des Bisses am sichersten war.

Der Mensch ließ seine Last fallen, riß einen biegsamen Zweig von einem wilden Zimmetbaum, streifte die Blätter ab, näherte sich Eusebius leise; und traf den Bidudak mit seiner Gerte so geschickt, daß er ihn in zwei Stücke hieb, welche noch einige Augenblicke zuckten, als wollten sie sich wieder mit einander vereinigen, und dann auf den Sand hinab fielen.

Der Mann, in welchem unsere Leser Argalenka erkannt haben, betrachtete hierauf Den, welchen er gerettet hatte, aufmerksamer eine Thräne netzte seine Augen, und er sank nieder aus die Knie, erhob die Hände gen Himmel und rief:

»Dein Diener dankt Dir, Buddha! Der, welcher hier liegt, hatte für den armen Beduis die Hand der Freigebigkeit geöffnet, und Du wolltest nicht, daß eines Deiner Kinder vor Dir erscheinen sollte, das Gewissen belastet mit der Schuld unerfüllter Dankbarkeit.«

Indem Argalenka Eusebius wecken wollte, den er nur schlafend glaubte, bemerkte er die Ohnmacht des jungen Mannes. Er begriff, daß seine, Aufgabe noch nicht erfüllt sei und rief Arroa, daß sie ihm Beistand leiste.

Während der Greis die umliegenden Sträucher des trockenen Holzes beraubte, welches für die Haushaltung nöthig war, unterhielt die junge Indianerin, träge an dem Ufer eines Baches sitzend, sich damit, das Wasser über ihre Füße fließen zu sehen, die sie in den Bach gestellt hatte.«

»Tochter, Tochter,« rief Argalenka, »hier ist ein Mann, der an einem verfluchten Tage sich nicht fürchtete, seine Hände zwischen Deinem Vater und Denen auszustrecken, die ihn verfolgten; er liegt hier, des Bewußtseins beraubt. Buddha will, daß die Erinnerung an die Wohlthat die vierte Generation überleben soll. Wirst Du mir nicht beistehen, ihm Gutes mit Gutem zu vergelten? Bringe Wasser herbei, um seine Lippen zu erfrischen. – Ach mein Gott,« fuhr der arme Greis fort, »ich vergesse immer, daß von meinem Kinde der böse Geist mir nur die Hülle gelassen hat, daß ihr Verstand in der Dunkelheit umherirrt, welche den Aufenthalt der Erwählten umgibt. Hört sie mich auch, so versteht sie doch nicht, was sich von ihr verlange.«

Aber zur großen Ueberraschung des Beduis. der ausgestanden war, um selbst nach dem Bache zu gehen, erschien Arroa auf der Lichtung, in der Hand ein großes zusammengerolltes Latanenblatt tragend, aus dem das darin enthaltene Wasser Tropfen bei Tropfen herabrieselte.

Sie ging gerade auf Eusebius zu, kniete neben ihm nieder, erhob sanft den Kopf des jungen Mannes, stützte ihn auf ihre Knie, öffnete die bleichen Lippen des Holländers und träufelte die frische Feuchtigkeit, die ihr improvisirtes Gefäß noch enthielt, hinein.

»Arroa, Arroa!«. rief Argalenka, der über der Freude, welche diese Aeußerung des Verstandes bei seiner Tochter ihm verursachte, Eusebius vergaß, »Arroa, solltest Du mir zurückgegeben sein?«-

Arroa ließ einige Augenblicke vergehen, ohne zu antworten. Ihr auf den jungen Mann gerichteter Blick hatte einen eigenthümlichen, starren Ausdruck angenommen, und sie fuhr fort, ihm ihre eifrigste Sorgfalt zu beweisen.

»Greis!« rief sie endlich mit scharfer, kurz abgestoßener Stimme, »ist denn Deine Tugend nichts als eitle Worte? Gibt Deine Dankbarkeit Dir nicht ein, was Du für Den thun mußt, der Dir zu Hilfe kam? Du hast noch nicht daran gedacht, daß Buddha die Haut des weißen Mannes für den Schatten und für die Frische schuf, wie das glänzende Gewebe der Blume des Rosenstrauchs; verderblich ist für Beide die glühende Sonne unseres Klimas; denke daher vor Allem daran, Den, welchen Du Deinen Freund nanntest, der Wirkung der glühenden Strahlen zu entziehen, welche in ihm die Quelle des Lebens vertrocknen.«