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Der Arzt auf Java

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»Sei ruhig, Esther, ich werde ihn suchen lassen und sich hoffe, daß es uns gelingt, ihm unsere Dankbarkeit zu beweisen.«

»Aber ich bin noch nicht zu Ende,« sagte die junge Frau.

»Was gibt es denn noch?« sagte Eusebius, welcher fürchtete, sie möchte auf die Unterredung zurückkommen, welche die fürchterlichen Ereignisse des vorhergehenden Tages herbeigeführt hatten, und ihn zwingen, sich über die Verwendung der Nacht zu erklären, die er bei Mynheer Cornelis zugebracht hatte.

»Was es gibt? Daß ich Dir das hübscheste kleine Mädchen schenkte, welches ein Vater träumen kann, einen Cherubin, so blond, so frisch, so rosig, so rundlich, so mit kleinen Grübchen geziert, wie die Engel, die das Bild der heiligen Jungfrau auf dem Hochaltar der Kirche umgeben, in welcher wir getraut wurden, und daß der barbarische und unnatürliche Vater damit den Anfang macht, das reizende Geschenk, welches ich ihm gebe, vor Hunger sterben zu lassen.«

»Was willst Du damit sagen?«

»Acht« entgegnete die junge Frau, über deren Wangen schweigend zwei Thränen glitten und indem sie ihren traurigen Blick auf ihre zusammengefallene Brust richtete, deren Umrisse die Mutterschaft nicht verriethen, »Du weißt wohl, daß der gute Gott mir das höchste Glück versagt hat, zweimal Mutter zu sein, und daß ich durch die Fakultät dazu verurtheilt bin, dieses süße Vorrecht einer Fremden zu überlassen!«

»O, mein Gott! – eine Amme, das ist wahr!« rief Eusebius. »Mein Gott, verzeihe mir, doch ich war so verwirrt, so außer mir, diesen Morgen, daß ich nicht mehr wußte, was ich that.«

»Du hast meine Verzeihung,« erwiderte Esther, »und umso mehr, da Deine Gleichgültigkeit uns nicht verhindert hat, uns die lieblichste Amme von der Welt zu verschaffen.«

»Ha!« rief Eusebius, »und wer hat es übernommen, sie ausfindig zu machen?«

»Wer? Unsere Vorsehung.«

»Ich verstehe Dich nicht.«

»Ich spreche mich gleichwohl deutlich genug aus. Ist unsere Vorsehung nicht der arme Mensch, der sich in seiner Einfachheit gelehrter gezeigt hat, als der Arzt-? – Der Indier?«

»Harruch! Harruch hat Dir eine Amme zugeführt?« sagte Eusebius voll Staunen. »Aber man müßte doch das Mädchen kennen, man müßte wissen, wo er sie her hat, woher sie kommt, wer sie ist.«

»Ei, solltest Du nicht etwa glauben, der arme, Mensch, der mir seine Sorgfalt widmete, wollte unser Kind vergiften? Der Arzt hat sie untersucht und die Wahl so vollkommen gebilligt, daß ich Deine Verwerfung keineswegs fürchte.Willst Du sie sehen, so betrachte sie hier.«

Indem Madame van der Beek diese Worte sprach, zog sie einen der Vorhänge zurück, die ihr Bett umgaben, und zeigte Eusebius eins junges Weib, das mit dem Kinde in seinen Armen auf einem niedrigen Sessel saß.

Das Weib war eine Negerin, ihre Schönheit aber so ausgezeichnet, daß sie ungeachtet der Farbe ihrer Haut auffiel, welche schwarz und glänzend war, wie Ebenholz. Sie schien nicht über sechzehn Jahre alt zu sein. Ihr Gesicht zeigte ein vollkommenes Oval, ihre eingebogene Adlernase war an den Nasenlöchern ein wenig erweitert und geöffnet wie die eines Rennpferdes und ebenso hellpurpur von Farbe; ihr Mund war etwas rund, aber ihre Lippen, roth wie die Granatblüthe, thaten der Regelmäßigkeit ihrer Züge keinen Eintrag und man hätte glauben können, sie sei nach einer griechischen Bildsäule geformt Ihre Mutterschaft hatte ihre Hüften entwickelt, der Anmuth und ihrer schlanken Taille aber nichts geraubt. Als Kopfputz trug sie eine Art von Netz aus kleinen Gold und Silbermünzen und Korallenstücken, zwischen denen ihr leise gekräuseltes schwarzes Haar funkelnd wie Schmelz hervorschimmerte. Als Kleidung trug sie einen Sacong von weißem Batist mit rothen Blumen, am Halse weit ausgeschnitten, so daß man eine Schulter und eine Brust sehen konnte, welche die einer Hebe zu sein schienen. Aus den Falten dieses Gewandes sahen zwei kleine zarte Füße gleich denen eines Kindes hervor, deren zierliche Linien durch die mit Gold eingelegten Ringe von Elfenbein, die auf den Knöchelgelenken lagen, hervorgehoben wurden.

Eusebius blieb dieser Erscheinung gegenüber gleichgültig; sie erinnerte ihn an nichts, sie ließ ihn nichts befürchten. Das Geheimniß dieser Sicherheit beruhte auf dem Glücke, mit welchem er die Geschäfte dieses Morgens abgemacht hatte.

Geldgewinn hat das Charakteristische, daß Der, welcher ihn macht, augenblicklich ein unbedingtes Vertrauen zu dem gewinnt, was er seinen Glücksstern nennt und bis zu neuem Mißgeschick an dessen Unfehlbarkeit glaubt, wie schwer er auch zuvor geprüft worden sein war.

Es schien Eusebius allerdings etwas sonderbar, daß Harruch, der Schlangenbeschwörer, Bekanntschaften der Art hatte; als man ihm aber sagte, daß diese junge Negerin einer reichen Dame der Colonie gehört hatte und daß von dieser der Gueber sie im Namen Esther’s kaufte und daß sie seiner Frau gehörte, der Arzt die Wahl billigte, der Preis ihm nicht zu hoch schien, machte er keinen Einwurf und ließ sie zur Hausgenossin werden, ohne sich weiter mit ihr zu beschäftigen und ohne zu bemerken, daß die langen Wimpern der Sklavin, als sie ihn ansah, Mühe gehabt hatten, das Feuer der funkelnden Augen zu bekämpfen, indem sie sich senkten.

VI.
Die Religion einer Gläubigen

In dem Augenblicke, in welchem wir Argalenka in unserer Geschichte erscheinen ließen, fühlen wir das Bedürfniß, einige Worte über den Ursprung dieses Menschen zu sagen.

Es ist unmöglich, die Zeit zu bestimmen, zu welcher die Javanesen, welche einige Gelehrte für Abkömmlinge einer egyptischen Colonie halten, aus ihrem Vaterlande verbannt wurden und in Hindostan die Religion Brahmas und Buddhas annahmen. Die Handschriften der Eingebornen sagen nur, daß gegen das Jahr 76 unserer Aera der Cultus der großen indischen Halbinsel der der Insulaner Java’s war.

Gegen das Jahr 1400 beschloß Mulane Ibrahim, ein berühmter arabischer Scheikh, welcher erfahren hatte, daß die Bewohner eines so großen und volkreichen Districts Hindu wären, sie zu bekehren.

Seine geringen Hilfsquellen gestatteten ihm nicht, die Mittel anzuwenden, der sich der Prophet bedient hatte, und er glaubte, daß mit Hilfe Gottes zwei schöne Augen für seinen Ruhm eben so viel zu bewirken vermöchten, als die schärfste Schwertklinge. Er hatte eine Tochter von wunderbarer Schönheit, schiffte sich mit ihr und seiner hinreichenden Anzahl von Dienern ein, landete bei Disa Leran, wo er sogleich eine Moschee bauen ließ und bewirkte binnen kurzer Zeit viele Bekehrungen unter dem Volke.

Aber der Zweck Mulane Ibrahims war noch nicht erreicht. Er wünschte Einen der Mächtigen der Insel für den Cultus des wahren Gottes zu gewinnen, indem er hoffte, daß dann die ganze Bevölkerung dem Beispiele ihres Häuptlings folgen würde. Er schickte seinen Sohn zudem Könige von Madjapahir, um ihm seinen Besuch ansagen zu lassen und machte sich dann selbst auf den Weg nach der Residenz des javanesischen Monarchen.

Der König von Madjapahir kam dem Scheikh entgegen und empfing ihn mit großen Ehren; aber da der Scheikh dem Herrscher in einem einfachen Korbe nur eine Granate überreicht hatte, fühlte sich derselbe durch die Geringfügigkeit des Geschenkes beleidigt und faßte eine große Geringschätzung für einen Menschen, der seinem Freunde nichts weiter zu geben vermochte, als eine auf dem Boden Javas so gemeine Frucht.

Mulane Ibrahim bemerkte, was in der Seele des Fürsten vorging, und nachdem er sich bei ihm verabschiedet hatte, verließ er ihn, um nach Disa Leran zurückzukehren.

Kaum war er fort, als der König von Madjapahir von heftigen Kopfschmerzen befallen wurde; unwillkürlich griff er nach der Granate, um sie zu essen, aber statt der saftigen und erfrischenden Körner, die er unter der Schale zu finden glaubte, bemerkte er voll Staunen, daß sie mit prachtvollen Rubinen angefüllt war. Er schickte eiligst Mulane Ibrahim nach, um ihn bitten zu lassen, wieder umzukehren. Aber wenn die Demuth eine christliche Tugend ist, so wird sie dagegen von den Muselmännern nur wenig gewürdigt, und der neue Missionär, der sich durch die empfangene Beschimpfung verletzt fühlte, verweigerte hartnäckig die Umkehr.

Als Mulane Ibrahim nach Disa Leran kam, fand er seine Tochter krank, und ungeachtet der Sorgfalt, die er ihr widmete, starb sie einige Tage darauf in seinen Armen.

Als der König von Madjapahir das Unglück erfuhr, von welchem der arme Mann betroffen worden war, begab er sich zu ihm. Seit drei Tagen lag die junge Araberin bleich und erstarrt auf ihrem Lager, seit drei Tagen hatte der Engel des Todes seine finsteren Fittiche über diesen schönen Körper gebreitet und schon nahm die Farbe einen bläulichen Ton an; aber man hatte dem Rajah die wunderbare Schönheit so sehr gerühmt, daß er nach den ersten Begrüßungen des Greises das sehen wollte, was von dieser Schönheit übrig blieb.

Man gab seinen Bitten nach, und als eine von den Frauen der jungen Muselmännin den Schleier weggenommen hatte, der die Leiche bedeckte, blieb der König von Madjapahir, geblendet durch das, was er sah, einige Augenblicke stumm vor Ueberraschung und Bewunderung; dann warf er sich nieder auf die Knie und flehte Brahma laut an, der Seele des jungen Mädchens zu gestatten, wieder in diesen schönen Körper zurückzukehren.

»Höre auf, Deine Götter anzuflehen, denn sie sind von Gold und Elfenbein und können Dich nicht hören, der meinige allein kann Deinen Wunsch erfüllen,« sagte Mulane Ibrahim.

Der König von Madjapahir erlag jetzt einem göttlichen Einflusse und betete voll Inbrunst zu dem Gotte der Rechtgläubigen und zu Mohamed, seinem Propheten, und zur großen Ueberraschung der Anwesenden sah man den bläulichen Ring, der die Augen der Leiche umgab, allmälig verschwinden, ihre Lippen sich rosig färben und eine leise Purpurröthe auf ihren Wangen hervortreten. Ihre langen gebogenen Augenwimper erhoben sich langsam und zeigten ihre großen schwarzen Augen, die man für immer geschlossen gehalten hatte. Sie reichte ihre Hände dem Könige von Madjapahir, der Moslem wurde und sie heirathete.

 

Gegen das Jahr 1421 hatte der Islamismus sich auf Java auf Kosten des Brahmaismus und Buddhaismus festgesetzt, deren prachtvolle Tempel verlassen wurden und verfielen.

Indeß gab es auf Java von dem ursprünglichen Cultus der Eingebornen noch etwas Anderes, als die prachtvollen Ruinen der Tempel Brambanhan, Boro-Boda, Thandi-Süvu und noch vieler anderer. Gleich allen verfolgten Religionen hatte auch die Buddhas ihre treuen Anhänger, Herzen von Gold und Erz, welche viele Menschenalter hindurch, ungeachtet aller Martern, den Glauben bewahrten, den sie von ihren Vorfahren empfingen.

Ein ganzer Stamm der Anhänger Buddhas, oder Beduis, wie die Moslemiten sie nannten, wohnte in der Provinz Bantam.

Sie waren größtentheils Ackerbauer, arm, sanft und ruhig, arbeitsam und rechtschaffen, und gleichwohl war die Hand des Regenten, die sich von ihnen zurückzog, wenn es galt, sie gegen Bedrückungen niederer Beamten zu schützen, sehr hart gegen sie, wenn es eine Auflage zu erheben, irgend eine Naturalleistung zu gewähren galt. Aufrechterhalten durch den Spiritualismus ihres Glaubens, ertragen sie geduldig das Elend ihrer traurigen Existenz, in der Hoffnung auf ein besseres Leben und entwaffneten durch diese Tugend den bösen Willen, den die moslemischen Herrscher oder Lehensträger erblich gegen sie bewiesen.

Thsermai, den seine Erziehung toleranter hätte machen sollen, zeigte sich im Gegentheil tyrannischer, als seine Vorgänger. Diese hatten die Beduis unterdrückt; er verfolgte sie. Nicht zufrieden damit, ihre Abgaben zu verdoppeln, machte er sich auch noch ein Vergnügen daraus, ihre Felder zu verwüsten, indem er seine Hunde darüber trieb, mit seinen Pferden und seinen Elephanten darauf umher ritt. Es schien, als sei die sanfte demüthige Tugend dieser Menschen für ihn ein Vorwurf und als wollte er ihr daher ein Ende machen.

Eine lange Zeit hielten die Beduis Alles aus. Gleich den Ameisen, wenn die Bosheit eines Kindes ihr vergängliches Gebäude zerstört hat, verdoppelten sie ihre Thätigkeit und ihre Arbeit, um Alles wieder herzustellen.

Ohne sich zu beklagen, ohne Widerspruch, ohne der Rache, die nicht in ihren Sitten lag, nur einen Gedanken zu widmen, erbauten sie die Hütten wieder, die eine Laune ihres Herrn niedergebrannt hatte, streuten sie neuen Samen in die Felder, welche seine Lustbarleiten verwüsteten, brachen sie ihren Nächten die Zeit ab, wenn die Tage zu dieser Aufgabe nicht genügten, und beteten zu Buddha, ihrem Feinde das Böse mit Gutem zu vergelten, wie nur die Christen es gethan haben könnten.

Allmälig jedoch genügte diese Ergebung nicht mehr zu ihrer Vertheidigung; sie fielen einzeln ab, wie die Früchte einer überreifen Traube; das Fieber raffte Diese hin, die Anstrengung tödtete Jene; Andere, die sich von Allem entblößt sahen, entflohen in die Wälder, um ihren armen Glaubensgenossen nicht zur Last zu fallen. Nach Verlauf eines Jahres war die kleine Colonie auf die Hälfte zusammengeschmolzen. Ein Mitglied dieses Stammes, welches – eine seltene Sache bei den Beduis – die Hälfte seines Lebens außerhalb seines Geburtslandes zugebracht hatte, kehrte aus Hindostan, wo er sich verheirathete, mit einer kleinen Tochter zurück, der er nach dem Tode seiner Frau seine ganze Sorgfalt widmete und die er liebte, wie der Geizige seinen Schatz.

Mit zwölf Jahren versprach dieses Kind so schön zu werden, wie seine Mutter gewesen war, das heißt, eines der prachtvollsten Muster des afghanistanischen Stammes.

Eines Abends kehrte das junge Mädchen zu der gewohnten Stunde nicht in die Hütte zurück. Ihr Vater dachte an die Tiger, welche in diesem Theile der Insel zahlreich sind. Er gewährte seiner Besorgniß nicht die Zeit, zu wachsen; er ergriff als Waffe eines seiner Arbeitsgeräthe, nahm eine Fackel in die Hand und durchsuchte die Gebüsche des Waldes, ohne sich darum zu kümmern, ob er nicht statt der blutigen Ueberreste seiner Tochter, die wilden Thiere selbst finden würde.

Mit Tagesanbruch suchte er noch und als er die Augen umher warf, erkannte er, daß er sich in der Nähe von Dalam, oder dem Palaste Thsermais, befand. Plötzlich durchblitzte ihn ein Gedanke. Er hatte den Tigern Unrecht gethan. Nicht in ihren Höhlen, in ihren Junglen, sollte er sein Kind finden, sondern in der Wohnung seines Herrschers. Er schritt derselben zu, als er einem Beduis begegnete, der seinen Büffel zur Arbeit trieb-. Dieser Beduis erzählte ihm, daß er am Abend zuvor, bei der Rückkehr von der Arbeit, dem vertrauten Diener Thsermais begegnet wäre, welcher das junge Mädchen mit sich führte. In seiner unschuldigen Einfalt wagte er indeß, dem verzweifelten Vater zu sagen, die junge Indianerin wäre scheinbar mit der Entführung ganz einverstanden gewesen; sie wäre heiter und lachend erschienen.

Der Vater wagte, was Keiner seiner Glaubensgenossen vor ihm gewagt hatte. Er betrat den Dalam Thsermais, wie er die Höhle der Tiger betreten haben würde, ohne zu erbleichen und zu zittern. Er wandte sich an den ersten Diener des Rajah, dem er begegnete, er bat mit den Thränen, mit dem Flehen eines Vaters, ihm sein Kind zurückzugeben. Der Mensch lachte ihm in das Gesicht und seine Genossen, die herbei kamen, ahmten seinem Beispiele nach. Jede Klage des Beduis fand ein spöttisches Echo, und da der Lärm die Ruhe des Gebieters stören konnte, schlug man ihn, bis er zu Boden fiel und warf ihn dann zu dem Schlosse hinaus.

Als der Greis wieder zu sich kam, dachte er nicht daran, nach seiner Hütte zurückzukehren. Ohne sein Kind, ohne das, was er als das Licht und die Freude seines Lebens betrachtete, mußte sie ihm jetzt abscheulich und verhaßter erscheinen, als die Wüste; er erhob sich, sagte dem Thale, das ihn geboren werden sah, Lebewohl und richtete einen letzten Blick auf den Palast, aus welchem in diesem Augenblicke der Lärm von Tambourins und anderen Instrumenten tönte, und ging, sich denen seiner Brüder anzuschließen, die in der Einsamkeit der Wälder ein Asyl gesucht hatten.

Unsere Leser haben bereits errathen, daß dieser Vater, dieser Greis, Argalenka war, den wir von einer Laune des Glückes das erbitten sahen, dessen er bedurfte, um die Habgier des javanesischen Fürsten zu befriedigen, indem er das Lösegeld seiner Tochter bezahlte. Nur täuschte Er sich, indem er annahm, Arroa sei sogleich in den Harem Thsermais gekommen. Der Vertraute eines Herrschers hatte sie für sich selbst entführt; erst nachdem sie beinahe zwei Jahre in einem Hause des Doctor Basilius in Batavia zugebracht hatte, wie wir sahen, war sie dem javanesischen Fürsten zugeführt worden.

Am Abend nach dem Tage, an welchem Madame van der Beek Mutter geworden war, erfolgte Argalenka den Weg, der von Tangwang nach Jasinga führt. Die Nacht war angebrochen, eine jener lauen, würzigen Nächte, wie man sie nur in den Tropenländern kennt. Die Seeluft kühlte die Atmosphäre etwas ab und strich über Java hin, indem sie sich mit den süßen Düften der wohlriechenden Bäume seiner Wälder schwängerte und vor sich die brennenden Dünste hertrieb, die aus dem Boden aufstiegen, welchen das Feuer des Tages ausgedörrt hatte. Alles war Schweigen. Das Geheul des Schakals, der seine Beute an den Rändern der Reisfelder suchte, und der grelle Schrei der Geier, störte allein die majestätische Ruhe der Natur.

Bei dem matten Scheine, welcher, selbst lohne den Mond, die schönen Nächte erhellt, bemerkte man die Umrisse der Bäume des Thales, die grauen Gebüsche der Kaffeepflanzungen und an dem Horizont die hohen Wipfel des Panderango und des Salek, die schwarz gegen den Himmel abstachen.

Fühllos gegen die Pracht und den Zauber der ihn umgebenden Natur, schien Argalenka seine ganze Aufmerksamkeit auf die unzugänglichen Gipfel dieser Berge zu richten, denen er beständig seine Blicke zuwendete, sobald er seine Schritte den ersten Abhängen derselben zu lenkte.

Durch die Ermüdung erschöpft, was sein gebeugter Körper und die mühsamen Bewegungen seiner Füße verriethen, schien er durch die Betrachtung des Zieles, das er erreichen wollte, neue Kräfte zu schöpfen. Aber der Weg war weit, die Aufgabe schwer und die Ueberreizung, die ihn aufrecht erhielt, erschöpfte auf die Dauer seine Kräfte immer mehr und mehr. Gleichwohl schritt er immer vorwärts, den Blick auf den Berg Salek gewendet; da strauchelte er über einen-Stein auf seinem Wege, fiel zu Boden, und als er sich wieder aufrichten wollte, fühlte er sich so erschöpft, daß er das Bedürfniß empfand, eine kurze Ruhe zu genießen. Gleichwohl schien er sich nicht leicht zu entschließen, seine Reise zu unterbrechen. Mehrmals versuchte er es, sich wieder auf den Weg zu machen und als er die Nutzlosigkeit seiner Anstrengungen erkannte, rief er, die Arme zum Himmel erhebend, mit Thränen des bittersten Schmerzes: »König des Weltalls, Herr der Götter und der großen Menschen, Buddha, Dich rufe ich an! Möge Deine Hand sich gegen mich ausstrecken und mich aufrecht erhalten während des Weges, den ich noch zurückzulegen habe, um Die zu treffen, die mich erwartet!« -

Argalenka hatte diese Worte noch nicht vollendet, als er, zehn Schritte von sich entfernt, das wohlbekannte Zischen der Cobra Capella hörte und eine schwarze Linie sah, die sich über den Weg schlängelte. Er machte keine Bewegung des Schreckens, er that nichts, um dem fürchterlichen Thiere zu entrinnen. Dieses aber suchte keine Beute, sondern floh und der Beduis sah es sogleich in dem Gebüsch verschwinden. Beinahe in demselben Augenblick wogten die Reishalme an der entgegengesetzten Seite des Weges; ein Mann trat daraus hervor und blieb am Saume der Straße stehen. Dieser Mann war Harruch. Er bemerkte Argalenka und suchte den zu erkennen, den er hier im Staube sitzend erblickte.

»Was machst Du da?« sagte er endlich.

»Ich erwarte, daß das Gebet, welches ich an Buddha richtete, erfüllt werde,« erwiderte der Beduis, »daß er mir die Kraft sende, welche mir mangelt, oder einen Menschen, der lieber ein gutes Werk thun, als einen Schatz erringen will.«

Harruch hörte auf die Antwort Argalenka’s nur mit der größten Zerstreutheit; er schien damit beschäftigt, die Spur zu erkennen, welche die Schlange in dem Sande zurückgelassen hatte, und ehe er dem Beduis antwortete, verfolgte er diese Spur, den Kopf gegen den Boden gesenkt, bis zu dem Orte, wo die Cobra die Straße verlassen hatte; dann erst näherte er sich dem, der seine Hilfe anflehte.

»Ei,« sagte er, »es ist unmöglich, diese Nacht die blauen Berge zu erreichen. Du bedachtest nicht, daß Du, wenn Du den Jasinga überschrittest, in den Wald des Lebak kommst, der so von wilden Thieren erfüllt ist, daß Buddha und Mahomed selbst ihre Gebeine nicht retten könnten.«

»Und wären sie von Menschen erfüllt, die auf mein Verderben sinnen, und die weit mehr zu fürchten sind, als die wilden Thiere, so würde ich dennoch dahin gehen, wohin ich zu gehen habe.«

»Welcher Beweggrund läßt Dich dieser Gefahr trotzen? Ich, der ich ein Günstling der Dadung-Arvu bin, der guten Geister der Jäger, ich, der ich mein Geschäft daraus mache, die wilden Thiere in ihren geheimsten und dunkelsten Verstecken aufzusuchen, ich selbst würde zögern.«

Argalenka antwortete nicht.

Harruch schien die Zurückhaltung, die der Beduis bewahrte, nicht übel zu nehmen.

»Das ist Dein Geheimniß«, begnügte er sich zu sagen.«

»Nein,« entgegnete Argalenka, »der Bittende hat kein Geheimniß mehr; sein Herz gehört Dem, von welchem er das Leben erfleht. Weshalb sollte ich Dir übrigens auch meine Absichten verbergen? Mein Herz ist rein, wie das Wasser, welches Gott in den Stock des Ravenalia, den Baum der Reisenden, legte.«

»Gut,« sagte Harruch, »Dein Vertrauen soll Dich nicht täuschen. Ich schwöre, für Dich zu thun, was ein armer Mensch für einen noch ärmeren thun kann, und Dir mit dem beizustehen, was ich besitze, mit meiner Kraft und meinem Muthe; aber erspare Dir die Mühe, mir Deine Geschichte zu erzählen; ich kenne diese« – fuhr Harruch fort, der seit einigen Augenblicken den Beduis mit großer Aufmerksamkeit betrachtet hatte.

»Du kennst mich?« sagte dieser. »Ja; Du nennst Dich Argalenka und bist aus Dritter Hütte entflohen, weil der Vertraute Thsermais Dir Deine Tochter raubte; Du kamst vor zwei Tagen zu Mynheer Cornelis; Du hast den Chinesen ausgeplündert und dessen Gold Deinem Fürsten geboten, daß er Dir Dein Kind zurückgebe; er hat es verweigert und Du bist fortgegangen. Du kehrtest nach Weltevrede zurück und erwartetest am nächsten Tage auf dem Königsplatze die Eröffnung des Palastes. Ist das Alles so wahr?«

»Das Alles ist die Wahrheit,« erwiderte Argalenka.«.

»Gut. Jetzt höre das Ende. Am 13. Tage des Monats Katigo hatten sich Männer, Javanesen, Beduis, Chinesen, Malayen und Mauren in dem Walde von Tjidaval versammelt und dort davon gesprochen, die Herren der Insel niederzumetzeln. Der Beduis Argalenka, der indem hohlen Stamme eines Liquidamber verborgen war, welcher ihm seit einem Jahre zur Zufluchtsstätte diente, hatte Alles gehört, und wenn Argalenka am Tages darauf aus dem Gouvernementsplatze die Eröffnung des Hauses des weißen Sultans erwartete, so geschah es, weil er diesen sagen wollte, was jene Männer beriethen.«

 

»Das ist« wahr,« entgegnete Argalenka. »Meine Religion gebietet-mir, so viel ich es vermag, das Blutvergießen der Geschöpfe zu verhindern, die sämmtlich aus den Händen Buddha’s hervorgegangen sind.«

»Ja,« sagte Harruch, »aber wenn Du Dich so sehr beeiltest, die Vorschriften Deiner Religion zu erfüllen, so geschah das auch, weil Du in dem Walde von Tjidaval Thsermai erkannt hattest; und gleichwohl sagt ein anderes Wort Buddha’s: Du sollst denen nichts Böses thun, die Dir welches zufügten.«

Argalenka senkte den Kopf Und antwortete nicht.

»Noch mehr; eine Minute hat genügt, um Dich das zweite Gebot Deines Gottes vergessen zu lassen, wie Du das erste vergessen hattest. Während Da den blau und gelb gekleideten Soldaten betrachtetest, der vor den Bogengängen des Palastes auf- und nieder schritt, beobachtete Dich ein Mensch, ein Malaye, als Seemann gekleidet. Dieser Mensch näherte sich Dir und sagte: Argalenka, willst Du Deine Tochter wieder sehen? Du erbebtest, wie Du in diesem Augenblicke erbebst, und antwortetest: Für einen Kuß meines Kindes gebe ich mein Leben hin. – Du dachtest schon nicht mehr daran. Das Gebot Buddha’s zu erfüllen, zu verhindern, daß das Blut seiner Nebenmenschen vergossen würde, ebenso wenig, wie ich daran denke, den Lauf des Tjidaval aufhalten zu wollen.«

Argalenka achtete nicht auf diese letzte Aeußerung des Guebern; er hatte ihn athemlos vor Angst angehört.«

»Ja,« entgegnete er, »ja, er versprach mir, daß ich mein Kind wiedersehen sollte; Du hast es gehört, Du, und kannst es bezeugen. Wie glaubtest Du, daß ich an etwas Anderes denken werde, als an meine süße Arroa, als an die Liebkosungen deren ihr alter Vater noch genießen wird? Denn jetzt, da Du weißt, daß sie es ist, die ich auf dem Berge Sidjiva finden soll, daß sie mich dort vielleicht erwartete – ach, mein Gott, ich werde nicht hinkommen und sie könnte glauben, ich liebte sie nicht-mehr! – Du wirst Dich nicht weigern, mich hinzuführen. – Ein Vater der sein Kind wiedersehen will, das ist etwas Heiliges für einen Menschen, für ein Volk, für alle Götter. Komm, leiste mir Beistand, aufzustehen, hilf mir; diese widerspenstigen Beine bezwingen, stütze mich, und wenn mein Körper mich wieder verräth, so laß ihn am Wege liegen, aber öffne seine Brust nimm sein Herz heraus und trage es zu Der, von der es ganz erfüllt ist.«

»Argalenka,« sagte ernst der Schlangenbeschwörer, »Arroa erwartet Dich nicht auf dem Berge Sidjiva.«

»Du irrst Dich, Mensch, das ist unmöglich. Der Malaye sagte mir: »Erwarte Deine Tochter auf dem Berge Sidjiva, an dem Orte, wo die steilen Gipfel beginnen. Ehe die Sonne die blauen Spitzen fünf Mal mit Purpur umsäumt hat, wird Arroa in Deinen Armen liegen; die Klage des Greises hat mich gerührt und ich werde von Thsermai erlangen, daß er thut, was Du begehrst. —« So hat er gesprochen und er kann mich nicht haben betrügen wollen. – Und sobald Arroa erfahren hat, daß man ihr erlaubt, ihren alten Vater wieder in die Arme zu schließen, wird sie sich wohl gehütet haben, dies zu unterlassen – »Du glaubst vielleicht, daß meine Tochter mich nicht liebt? Ach, mein Gott,« rief der Greis, indem er sich selbst aufregte, »wir kann man so etwas denken? – Wenn Du in unserer Hütte gesehen hättest, wie sie Abends meinen Segen erbat! Da waren es Küsse, Liebkosungen, die kein Ende nehmen wollten; und am Morgen fing es wieder ebenso an. Sie war so hübsch, meine Arroa, so schön, daß Du sie eher für die Tochter eines Genius gehalten hättest, als für die eines armen Beduis! Nein, sage das nicht, Mann; sage vielmehr, daß sie, gleich mir, die Nacht damit zugebracht hat, auf die Schläge ihres Herzens zu hören, wie sie meinen Namen aussprachen, ganz so, wie das Klopfen meines Herzens mir ihren Namen zuruft, seitdem ich Weltevrede verlassen habe. Sage das, sage, daß sie kommen wird, sage, daß sie mich liebt. Sprich es aus; es kann Dir nicht schwer werden, denn es ist die Wahrheit, und Du mußt daran glauben. – Und sage, wenn Du es auch nicht glaubst, sage es dennoch, aus Mitleid für den armen Beduis, der Dich auf den Knien darum anfleht! – Mir das Gegentheil zu beweisen würde mich tödten; wie ich auch sterben würde, wenn nach so vielen Hoffnungen ich das Glück verschwinden sähe, das mich seit sechzehn Stunden beinahe wahnsinnig macht!«

Diese Klagen Argalenka’s durchdrangen die rauhe Schaale, welche das Herz des Guebern umgab; er ergriff die Hand des Greises mit mehr Herzlichkeit, als er gewöhnlich zu zeigen pflegte.

»Ich sage nicht, daß Sie Den nicht mehr liebt, der ihr das Leben gab,« erwiderte er, »aber ich bestätige auch ebenso wenig, daß sie ihm ihre Zärtlichkeit bewahrte. Was ich weiß und was ich mit einem Eide bekräftigen will, ist. daß sie es nicht sein wird, die Du an dem Orte findest, wohin der Malaye Dich bestellte.«

»Was werde ich denn dort finden?«

»Zwei Crids, welche in Deinem Herzen die Zusammenkunft des Waldes von Tjidaval begraben.«

»Meine Tochter! Meine Tochter!« rief der arme Vater mit herzzerreißender Verzweiflung, als ob bei dem Tode, welchen Harruch ihm als über seinem Haupte schwebend verkündete, nur der eine Gedanke ihn ergriffen hätte, von seinem Kinde getrennt zu werden.

»Deine Tochter ist bei dem Rajah; Basilius hatte sie Dir geraubt; nach seinem Tode hat Thsermai sie genommen.«

Argalenka verbarg sein Gesicht in den Händen.

»Aber,« fuhr der Gueber fort, dessen Stimme jetzt keine Aufregung mehr verrieth, »erregt das Böse, das man Dir zusagte, bei Dir kein anderes Gefühl, als das eines vergeblichen Schmerzes?«

»Was willst Du damit sagen?««

»Ist für Dein verwundetes Herz die Rache kein Heilmittel, wie der Dajdah es gegen den Biß der Schlangen ist?«

»Ach,« entgegnete der arme Greis, »meine Tochter zu lieben, das ist Alles, worauf ich mich verstehe, und mein Herz ist so von diesem einen Gedanken erfüllt, daß es keinen Raum für einen andern hat.«

»Vater, Du hast auf Dritter Stirne einen Kranz von weißen Haaren; wenn Du unter den Menschen gelebt hast, mußt Du sie kennen. – Reicht denn Dein Blick nicht weiter, als Deine Augäpfel? – Ich brachte mein Leben in den Wäldern, in der Mitte wilder Thiere zu, und was ich sah, höre: Wenn der Kidang nur noch ein Füllen ist und sanfter als das sanfteste Weib, bedroht er doch schon seinen Vater, wenn dieser ihn in seiner Liebe stören will. Danach beurtheile, was der junge Tiger wagt? – Du bist arm und Deine Tochter lebt in Pracht. Du ruhst am Wege und sie bewohnt einen Palast; gleich mir hast Du die Hälfte Deines Sacongs an den Dornen der Wälder zurückgelassen, und die Mieder Arroa’s funkeln wie die Fluthen in den Strahlen der Sonne. Was kann noch zwischen Dir und ihr gemein sein?«

»Sprich nicht so; Du lästerst Gott in der Liebe der Kinder zu Denen, welche ihnen das Leben gaben.«

»Ich werde dennoch so sprechen. Man hat Dich zu Boden getreten und ich will, daß Du Dich erheben sollst; man hat Dich geschlagen und ich will, daß Du den Kopf aufrichtest. Wenn die Liebe Deiner Tochter Dir nicht mehr gehört, denke an Die, welche sie Dir raubten, und an Deinem Hasse, wie in deiner Zärtlichkeit, wirst Du eine unendliche Süßigkeit finden.«