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Das Brautkleid

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»Herr Duval ist aber dennoch ein sehr, guter Mann, liebe Großmutter, und ich hörte Sie ja dieses selbst sagen.«

»Ja, es ist wahr, und er stand lange im Dienste der Herzogin, auch habe ich diese immer seine Redlichkeit loben hören.«

»Madame Duval ist eine sehr anmutige und ausgezeichnete Dame.«

»O ja, diese Engländerinnen, mit ihrem blassen Teint, ihren schlanken Taillen, und ihren langen Haaren, haben immer das Aussehen, einer gewissen Welt anzugehören; allein ungeachtet dieses Aussehens war, wie Du es weißt, mein liebes Kind. Madame Duval gleich ihrem Manne in dem Dienste der Herzogin.«

Als Erzieherin, liebe Großmutter; man darf das Erziehen nicht mit dem Dienen verwechseln.«

»Das ist wahr, ich räume es ein, es ist nicht ganz dasselbe, obwohl es sich sehr gleicht; aber wenn ich zu Dir von Herrn und Madame Duval spreche, was wirst Du zu ihrem Sohne sagen?«

»Von Eduard?«fragte das junge Mädchen schüchtern.

»Ja, von Eduard.«

»Gute Großmutter fuhr Cäcilie ganz furchtsam fort, ich werde sagen, daß Eduard ein guter und ehrbarer junger Mann ist, arbeitsam, redlich, der eine Erziehung erhalten hat. . .«

»Die seinen Verhältnissen entspricht, meine Tochter; denn es wäre lächerlich von seinen Eltern, ihn über seinen Stand erheben zu wollen und zu versuchen, ihm eine Erziehung zu geben, wie sie der Chevalier de Sennones erholten hat,«

Cäcilie zitterte, schlug die Augen nieder, und ein lebhaftes Roth überflog ihre Stirne. Keines dieser drei Zeichen entging der Marquise.

»Nun, Du antwortest nicht?«sagte sie.

»Was wollen Sie denn, gute Großmutter, daß ich antworten soll?« fragte Cäcilie.

»Wie es mir scheint, könntest Du mir sagen, was Du von diesem jungen Manne denkst?«.

Ist es schicklich, liebe Großmutter, daß junges Mädchen ihre Meinung so über junge Männer sagen?«

»Du hast mir doch Deine Meinung über Eduard gesagt.«

»O, über Eduard, das ist etwas anderes,« antwortete das junge Mädchen.

»Ja,« entgegnete die Marquise, »ich begreife, Du liebst Eduard nicht. . .«

»Meine gute Mutter!« rief Cäcilie, wie wenn sie von ihrer Großmutter Stillschweigen erflehen wollte.

»Und Du liebst Heinrich?«fuhr die Marquise unbarmherzig fort.

»O!« murmelte Cäcilie, indem sie ihren Kopf auf dem Kissen der Marquise verbarg.

Nun,« sagte diese, »nun, warum schämst Du Dich? Wenn Du Eduard liebtest, dann hättest Du Dich zu schämen, nicht aber wenn Du Heinrich liebst, welcher ein in jeder Beziehung passender Junge ist, ein sehr schöner Chevalier, und der meiner Treu ganz und gar dem armen Baron d'Ambrée gleicht, welcher bei der Belagerung von Mahon den Tod fand.«

Die Marquise stieß einen Seufzer aus.

»Aber, gute Großmutter, vergessen Sie die Absichten meiner Mutter hinsichtlich Eduards, vergessen Sie. . .«

»Meine liebe Cäcilie, Deine Mutter hat immer einen etwas schwachen Kopf gehabt; das Unglück hat sie zur Närrin gemacht. Man muß den Ereignissen die Stirne bieten, nicht aber vor ihnen zurückweichen. Deine Mutter hat Dir gesagt, daß Du Eduard Heiraten sollst, und ich, mein Kind, sage Dir, daß Du Heinrich Heiraten wirst.«

Cäcilie erhob ihr blondgelocktes Haupt und betrachtete mit gefalteten Händen und mit starren Blicken ihre Großmutter, wie wenn sie eine Madonna betrachte, die ihr die Erfüllung eines für unmöglich gehaltenen Wunders verspreche.

In diesem Augenblicke ertönte die Klingel der Baronin heftig, Cäcilie verließ erschrocken das Zimmer der Marquise und stürzte in das ihrer Mutter. Sie traf Frau von Marsilly ohnmächtig; ein heftiges Blutspucken hatte diese Schwäche hervorgerufen. Cäcilie vergaß Heinrich und Eduard, sie vergaß Alles, um nur an ihre Mutter zu denken.

Vermöge der Salze, welche Cäcilie sie einatmen ließ und mittelst frischen Wassers, welches ihr die Kammerfrau auf die Stirn spritzte, kam die Baronin schnell zu sich.

Ihre erste Bewegung war, vor ihrer Tochter das voll von Blut befindliche Taschentuch zu verbergen, welches ihr während ihrer Ohnmacht entfallen war. Allein es war der erste Gegenstand gewesen, welcher Cäcilien in die Augen gefallen, und Cäcilie hielt es schon in ihrer Hand.

»Mein armes Kind!« rief die Baronin.

»Meine gute Mutter!« flüsterte Cäcilie. »Es ist nichts, es ist nichts; Sie sehen wohl, daß Sie wieder bei sich sind.«

In demselben Augenblick kam Mademoiselle Aspasia, um im Namen der Marquise sich nach dem Befinden der Baronin zu erkundigen.

»Besser, viel besser,« antwortete die Kranke; »sagen Sie meiner Mutter, daß es nichts, als ein momentaner Krampf war, und daß sie sich ja nicht in ihrer Ruhe solle stören lassen.«

Cäcilie ergriff die Hände ihrer Mutter und küßte sie weinend.

Wie es die Baronin wirklich gesagt hatte, war die Krisis vorbei, aber jede ihrer Krisen schwächte sie schrecklich. So sehr ihre Mutter sie bat, wollte Cäcilie doch nicht in ihr Zimmer zurückkehren, die Kammerfrau machte ihr ein Gurtbett neben das der Baronin, und so brachte sie die Nacht bei ihr zu.

Jetzt erst konnte Cäcilie bemerken, wozu die Nächte ihrer Mutter geworden waren, Nächte der Aufregungen, in welchen kurze Augenblicke fieberhaften Schlafes die Kräfte nicht wieder herstellen konnten, welche durch einen ununterbrochenen Husten erschöpft worden waren.

Bei jeder Bewegung, welche die Baroness, machte, war Cäcilie nahe an ihrem Bette, denn eine ernstliche und tiefe Unruhe hatte sich des Herzens des jungen Mädchens bemächtigt. Die Baronin, indem sie versuchte, sich zusammenzunehmen, vermehrte ihre Schmerzen. Indessen schlief gegen Morgen die Baronin in Folge ihrer Entkräftung ein; Cäcilie überwachte noch einen Augenblick diesen Schlaf, dann wurde aber bei ihr die Natur über den Willen Herr, und auch sie schlief ein.

Jetzt konnte Cäcilie erkennen, wie unabhängig von unserem Willen die Träume sind; denn kaum hatte sie die Augen geschlossen, als sie Alles, was um sie vorgegangen war, vergaß, und das Zimmer ihrer Mutier sich in prachtvolle Gärten verwandelte, voll von Blumen und von Vögeln. Aber diesmal waltete ein seltsames Mysterium ob, und in ihrem Geiste hatte sich, ohne daß sie sich erklären konnte, wie, der Duft der Blumen in eine Sprache und der Gesang der Vögel in eine Idee verwandelt, welche sie vollständig begriff, nicht vermöge einer Anschauung, wie man sie auf der Erde hat, sondern vermöge eines viel mehr vervollkommten Organien; denn ein dunkles Gefühl sagte Cäcilien, daß sie im Himmel sei, daß Vögel und Blumen Gott lobpreisen.

Dann befand sich Cäcilie plötzlich, ohne daß sie ihn gesehen hatte, ohne daß sie fühlte, wie er sich nahte, in Heinrichs Armen.

Indessen fühlte sie weder seine Arme, noch seinen Körper, und Heinrich war sehr blaß.

Heinrich betrachtete sie mit Blicken einer unendlichen Zärtlichkeit, und Cäcilie gewahrte, daß sie sich in den Augen dessen, den sie liebt, wie in einem Spiegel sehen könne. Sie betrachtete sich darin und erkannte mit einem gewissen Schrecken, daß sie eben so blass sei, als er.

Sie legte die Hand auf ihr Herz; es schlug nicht mehr; eine Stimme flüsterte ihr in das Ohr, daß sie Beide gestorben seien. In der Tat schien es Cäcilien, als habe sie gar nichts Irdisches mehr an sich. Ihr Blick drang durch die Gegenstände hindurch, sie sah von der andern Seite die Stämme der Bäume, die Mauern schienen Dünsten gleich, alle Gegenstände waren durchsichtig, und man hätte sagen können, daß der Garten, in welchem sie sich befand, nichts als immaterielle Seelen enthalte, daß diese aber dennoch ihre irdische Form, das Düstere derselben abgerechnet, bewahrt hätten.

Plötzlich schien es ihr, als wenn sie vor sich eine verschleierte Frau sehe, welche den Gang ihrer Mutter habe. Je mehr diese Frau nahte, um so mehr wurde Cäcilie in ihrer Meinung bestärkt; nur ging die Frau nicht, sie schwebte, und statt in ein Kleid gehüllt, war sie mit einem Betttuche bedeckt. Nun warf Cäcilie von Neuem ihre Blicke auf sich und Heinrich, und sie sah, daß sie alle drei mit Leichengewändern bekleidet waren. Ihre Mutter kam immer näher. Endlich erkannte Cäcilie durch die Falten des sie bedeckenden Schleiers die Züge ihres Gesichts.

»O meine Mutter,« rief sie, indem sie versuchte, den Schatten zu umarmen, »ich glaube, daß wir sehr glücklich sind; denn wir sind alle drei gestorben.«

Bei diesen in ihrem Traum deutlich ausgesprochenen Worten, ließ sich ein so tiefer und so schmerzlicher Seufzer vernehmen, daß Cäcilie ihre Augen öffnete.

Die Baronin stand vor ihrem Bette wie eine Tote gekleidet und fast einem Schatten gleichend.

Die arme Mutter war zuerst aufgewacht, sie hatte den Schlaf ihrer Tochter bewacht, wie das Mädchen den ihrigen bewacht hatte. Als sie dann sah, daß ein schwerer Traum sie quäle, war sie aufgestanden, um sie zu wecken, und da hatte sie die eben erwähnten Worte Cäciliens vernommen, welche diese ganz laut ausgesprochen.

Cäcilie glaubte einen Augenblick ihren Traum fortzusetzen, allein die Rede ihrer Mutter zeigte ihr bald ihren wachen Zustand.

»Du bist also unglücklich, armes Kind, weil Du es für ein Glück betrachtest, mit mir gestorben zu sein.«

»O nein, nein, meine Mutter!« rief Cäcilie, »und wenn Ihre Gesundheit wieder hergestellt ist, was sollte mir dann fehlen, um wieder glücklich zu sein? Ich glaube, daß ich einen unsinnigen Traum geträumt habe, verzeihen Sie mir, verzeihen Sie mir!«

»Ach, mein liebes Kind, ist es nicht viel mehr an mir, Dich um Verzeihung zu bitten? Indessen habe ich, Gott weiß es, Alles getan, um Dich an ein einfaches und demütiges Leben zu gewöhnen. Warum hat Gott in Dich die Gesinnungen Deiner Geburt, und nicht die des Reichtums gelegt? Sage mir, mein Kind, habe ich Dich, ohne es zu wissen, in den Vorurteilen der Kaste, im Stolze des Ranges aufgezogen?«

»O, meine Mutter, meine Mutter!« rief Cäcilie, »Sie haben es versucht, aus mir eine Heilige zu machen, wie Sie sind, und es ist nicht Ihre Schuld, wenn Sie nur ein stolzes Mädchen geschaffen haben.«

 

»Du liebst also?. . .«fragte die Baronin aufathmend.

»Ach, meine Mutter, ich weiß nicht, aber in meinem Traume schien es mir, daß ich viel glücklicher sei, wenn ich sterbe, als wenn ich mit einem andern lebe.«

»So geschehe denn der Wille des Herrn und nicht der meinige,« rief die Baronin, indem sie die Hände faltete und ihre Augen zum Himmel«mit einem Blicke unbeschreiblicher Resignation erhob.

XIV.
Der Todeskampf einer Heiligen

Man täusche sich nicht, die Resignation der Baroneß war verdienstlich; alle ihre Bemühungen waren seit zehn Jahren darauf gerichtet gewesen, Cäcilie ganz von der Welt zu trennen und diese junge Seele rein und unbekannt mit jeder Leidenschaft zu erhalten. Ihr Vorhaben, sie mit Eduard zu verbinden, war in der Überzeugung der Baronin gegründet, daß sie ihre Tochter den Wechselfällen der Politik entziehe, welche zu jener Zeit die am höchsten gestellten Namen und Köpfe traf; sie hatte geglaubt, ihr ein ruhiges und ungetrübtes Glück zu sichern, und dieser Gedanke hatte sich in ihrem Geiste von dem Tage an festgesetzt, an welchem ihr Herr Duval die Eröffnung gemacht hatte. Sie hatte die Opposition der Marquise vorausgesehen, und sich entschlossen, dieselbe mit Erfolg zu bekämpfen. Aber sie hatte nicht geträumt, daß die Ausführung dieses Vorhabens, ein schmerzliches Opfer für Cäcilie werden könne, und in der Tat hatte sich bis zu dem Augenblicke, in welchem das junge Mädchen Heinrich gesehen, keine Stimme in ihrem Herzen gegen Eduard erhoben; glücklich im Gehorchen, glücklich, den Wünschen ihrer Mutter zu gehorchen, hatte sie, wie wir sagten, zwei oder dreimal diesen Gegenstand selbst zur Sprache gebracht, um sie zu beruhigen; aber der Zufall, oder vielmehr das Verhängnis hatte Heinrich nach Hendon geführt. Die Marquise hatte sich der Mesalliance ihrer Enkelin, welche abgeschlossen werden sollte, widersetzt, und sie hatte die Sympathien bemerkt, welche die beiden jungen Leute gegenseitig für sich hegten. Die mit Cäcilie gepflogene Unterredung hatte sie über die Gesinnung derselben aufgeklärt; diese Gefühle waren in der Mitte ihres Schlafes wach geblieben, und die über ihr Bett gebeugte Mutter hatte die Geheimnisse ihres Herzens erraten, welche der Traum ausgeplaudert hatte.

Heinrich war bei dem Anblick Cäciliens lebhaft betroffen worden, groß war sein Erstaunen gewesen, in Mitte eines kleinen Dorfes ein junges Mädchen zu finden, welches ohne einen andern Unterricht, als den ihrer Mutter, zu einem so hohen Grade der Auszeichnung emporgestiegen war, daß es alles weit übertraf, was er bisher in der Welt gesehen hatte. Der Eindruck, den sie auf ihn machte, war tief, und während der Rückreise hatte er mit seiner Tante nur von Cäcilien gesprochen. Die Herzogin de Lorges erzählte ihm die tragische Geschichte der Frau von Marsilly, wie ihr Mann am zehnten August getödtet worden und wie die Baroness, ihre Mutter und die kleine Cäcilie, geführt von einem Bauern und auf einem Karren flüchtend, vermöge der Nachsicht des Herrn Duval wohlbehalten und glücklich in England angekommen seien. Das Pittoreske dieser Erzählung hatte, wie man sich leicht denken kann, die Glorie der Poesie, welche in den Augen Heinrichs Cäcilien schon umgab, nur vermehrt, so daß er bei seiner Zurückkunft nach London kein anderes Verlangen hatte, als das nach Hendon zurückzukehren, keine andere Beschäftigung, als die, einen schicklichen Vorwand für einen zweiten Besuch zu finden.

Dieser Vorwand zeigte sich unglücklicherweise bald. Die Aufregung, welche Frau von Marsilly empfand, als sie die keimende Liebe ihrer Tochter für einen anderen, als den gewahrte, den sie ihr bestimmt hatte, führte eine neue Krisis herbei, die Baronin hatte sich am nämlichen Tage schrecklich leidend wieder zu Bette gelegt, und die Marquise hatte natürlich, ohne etwas über die Ursachen zu sagen, an die Herzogin geschrieben, um sie von dem Zustande ihrer Tochter in Kenntnis zu setzen. Cäcilie hatte ihrerseits an Herrn Duval geschrieben, um ihr den Arzt zu schicken, und sie hatte ihm die Furcht, welche ihr die Schwäche ihrer Mutter einflößte nicht verborgen.

Daher kam es, daß am folgenden Morgen, fast in dem nämlichen Augenblicke zwei Wagen an der Türe des kleinen Landhauses anhielten; der eine brachte die Herzogin de Lorges und ihren Neffen, der andere Madame Duval und ihren Sohn.

Wenn Heinrich und seine Tante allein gekommen wären, hätte sich vielleicht Cäcilie in ihr Zimmer einschließen und so vermeiden können, Heinrich zu sehen; aber der zweifache Besuch machte ihre Gegenwart notwendig. Die beiden jungen Männer konnten in das Zimmer der Baronin, welche das Bett hütete, nicht eintreten und wurden von der Marquise empfangen. Diese ließ sogleich ihre Enkelin rufen, um ihr Gesellschaft zu leisten.

Cäcilie, welche durch die Fensterläden den Wagen der Herzogin de Lorges gesehen und ihren kleinen Rückzugsplan entworfen hatte, war also, trotz des gefassten Entschlusses, gezwungen, hinabzugehen, und sie gestand sich selbst, daß es sie viel Mühe gekostet haben würde, ihren Vorsatz zu halten.

Sie traf die beiden jungen Leute bei ihrer Großmutter. Heinrich und Eduard kannten sich, jedoch so, wie sich der Neffe der Herzogin de Lorges und der Sohn des Herrn Duval kennen konnten, das heißt, sie kannten sich ohne irgend ein intimeres Verhältnis. Heinrich war viel zu gebildet, um auf irgend eine Weise den Vorzug geltend zu machen, welchen ihm seine Geburt und seine Stellung in der Welt über Eduard gaben, und Eduard war durch seine Familie in einer viel zu einfachen Weise erzogen worden, als daß er ohne Veranlassung versucht hätte, über die Kluft sich hinwegzusetzen, welche ihn von Heinrich trennte. Kurz, Heinrich gegenüber blieb Eduard immer, nicht der Sohn des Banquier Duval, viel reicher und überhaupt viel unabhängiger, als seine frühere Gebieterin, sondern der Sohn des Intendanten der Herzogin de Lorges. Cäcilie verlor, wie man leicht begreifen wird, keine der früheren Rücksichten aus den Augen, und die Marquise mit dem Vorsatze, ihren Schützling in dem Geiste des jungen Mädchens noch mehr zu erhöhen, ließ sie gewähren. Übrigens muß man einräumen, dich die Überlegenheit Heinrichs über Eduard nicht bloß in der zufälligen Geburt und in den Vorzügen der Erziehung, sondern in Allem beruhte, in dem Tone seiner Stimme, in der Zierlichkeit seiner Bewegung, in der Unbefangenheit seines Benehmens. Eduard konnte einst etwas werden, Heinrich war es schon.

Überdies öffnete Eduard, mag es nun aus Schüchternheit oder Unwissenheit gewesen sein, den Mund kaum. Es ist wahr, man sprach von vielen Gegenständen, welche der arme Junge nicht kannte, nämlich von auswärtigen Höfen. Heinrich war seit drei Jahren gereist, sein Name und der seiner Tante, die von seiner Familie dem Unglücke bewährte Treue, das Wohlwollen, welches das erlauchte Haus, dem das seinige so sehr ergeben war, für ihn hegte, hatten ihm die Paläste der Könige der Erde geöffnet. Er kannte daher, soviel es einem jungen Manne von seinem Alter möglich war, alle ausgezeichneten Personen Italiens, Deutschlands und Englands, während der arme Eduard von eminenten Personen niemand, als den Banquier kannte, in dessen Haus, wie gesagt, sein Vater Kassierer gewesen war, und dann den kleinen Anteil bekommen hatte, der sich so fruchtbringend für ihn zeigte.

Die Marquise hatte, ohne gerade böse zu sein, dennoch in ihrem Charakter einige unversöhnliche Züge, und diese betrafen vorzüglich die Aufrechterhaltung der sozialen Stellung. Sie behandelte daher den armen Eduard mit einer solchen Verachtung, und zwar mehr noch durch den Mangel aller Beachtung, als durch die Bitterkeit ihrer Worte, welche sie an ihn richtete, daß sie den Zweck, welchen sie sich vorgesetzt hatte, nicht erreichte und Cäcilien ein tiefes Mitleid für ihren jungen Freund einflößte. Cäcilie fühlte sich daher durch diesen allzu sichtlichen Vorzug beengt, stand auf und entfernte sich unter dem Vorwand, daß sie sich über den Zustand ihrer Mutter unterrichten wolle.

Das junge Mädchen wandte sich in der Tat gegen das Zimmer der Kranken, aber hier erwartete sie ein anderer Gegenstand der Verlegenheit. Die Herzogin de Lorges saß am oberen Teile des Bettes der Baronin, Madame Duval am Fuße desselben. Die Herzogin hatte den ersten Armstuhl ergriffen, Madame Duval hatte sich einen Stuhl gesucht. Die Frau von Marsilly wandte sich mit einer gleichen Herzlichkeit und mit derselben Zuvorkommenheit an die Herzogin und an Madame Duval. Aber Madame Duval sprach zu der Herzogin nicht anders, als in der dritten Person, was eine alte Gewohnheit von ihr war, die sie auch jetzt nicht abgelegt hatte, weil ihr das Gefühl ihrer eigenen Würde nicht erlaubte, auf ihren kleinen kaufmännischen Reichtum stolz zu sein.

Cäcilie fand bei der Mutter dieselbe Unterwürfigkeit, welche sie bei dem Sohne gefunden hatte; nur das Schreckliche bestand für Eduard, daß es bei der Mutter eine einfache soziale, bei Eduard aber eine Unterwürfigkeit des Organismus war. So brachte dieser Besuch Eduard im Geiste Cäciliens den letzten Stoß bei. Heinrich hatte, ohne an Cäcilie ein einziges Wort zu richten, welches von seiner Seite als eine Anspielung auf die Gefühle hätte betrachtet werden können, welche er für sie hegte, die Sprache der Augen mit ihr gesprochen, welche junge Herzen niemals täuscht, und mehrmals hatte Cäcilie an der Verlegenheit und dem Erröten Eduards bemerken können, daß der junge Mensch sich der Stellung vollkommen, bewusst sei, in welcher er sich befand. Auch als sie von Madame Duval und Eduard Abschied nahm, reichte sie wie gewöhnlich der Mutter die Stirne und dem Sohne die Hand. Madame Duval antwortete auf diese doppelte freundliche Bewegung, dadurch, daß sie auf die Stirne küßte, Eduard begnügte sich damit, sie zu grüßen.

Während dieses zweifachen Besuches war der Arzt gekommen, allein er hatte sich begnügt, einige besänftigende Getränke vorzuschreiben, und die Fortsetzung derselben Lebensweise anzuempfehlen.

Cäcilie hatte große Lust, die Nacht in dem Zimmer ihrer Mutter zuzubringen, allein noch errötend über das, was sich in der vergangenen Nacht ereignet hatte, gab sie den Bitten der Frau von Marsilly nach und zog sich in ihr Zimmer zurück.

So wie sie mit sich allein war, dachte sie über die Ereignisse dieses Tages nach, und die zweifache Erinnerung, die an Heinrich und jene an Eduard, ging an ihrem Geiste vorüber. Man wird jedoch leicht erkennen, daß Eduard bald den Platz räumte und mehr und mehr aus dem Gedächtnisse des Mädchens entschwand, welches sich bald nur mit seinem Nebenbuhler beschäftigte.

Indessen muß man es einräumen, daß vielleicht unter andern Umständen die Erfolge Heinrichs auf das einfache und unerfahrene Herz des jungen Mädchens viel schneller gewesen wären; allein in diesem Momente war das Herz derselben von einem zu großen Schmerze ergriffen. Der Zustand der Frau von Marsilly, welcher dem unbegreiflichen Leichtsinne der Marquise ganz entging, entschleierte sich ganz vor dem sorgsam forschenden Blicke Cäciliens; diese fühlte, daß ihre Mutter tödlich erkrankt sei, und unter solchen Umständen betrachtete sie es fast als Verbrechen, einen einzigen andern Gedanken, als den an ihre Mutter zu haben.

Was kindliche Liebe an Sorgfalt und Aufopferung erfinden kann, das bewährte Cäcilie gegen ihre Mutter. In dem Augenblicke, in welchem man die verlässt, die man liebt, empfindet man den Wert der Augenblicke, welche noch gegönnt sind, um mit ihnen zu leben, am meisten, und man wirft sich bitter die Stunden der Gleichgültigkeit vor, in welchen man sich von ihnen entfernt hatte. Cäcilie brachte jetzt alle ihre Augenblicke im Zimmer der Baronin zu, und sie verließ ihr Lager nur zur Essenszeit, und auch da blieb sie immer nur einen Augenblick bei Tische. Die Marquise kam von Zeit zu Zeit, um ihrer Tochter einen Besuch abzustatten, aber, wie sie sagte, liebte sie diese so sehr, daß sie nicht lange Zeit den Anblick der allzu sichtbaren Zerstörung ertragen konnte, welche die Krankheit verursachte.

Fast alle Tage kam Heinrich, um sich nach, Frau von Marsilly zu erkundigen; bald begleitete er die Herzogin de Lorges in ihrem Wagen, bald kam er allein und zu Pferde. In dem einen, wie in dem andern Falle war Cäcilie selten bei dem Empfange des jungen Mannes; allein obgleich sie sich sagte, daß es eine Profanation sei, mit dem schmerzlichen Gefühle, welches ihr der Zustand ihrer Mutter verursachte, ein anderes Gefühl zu paaren, so konnte sie es doch nicht über sich gewinnen, Heinrich durch die geschlossenen Jalousien nicht zu betrachten, wenn er ankam und wenn er abging.

Eduard, durch die Geschäfte des Bureau abgehalten, konnte nur an Sonntagen kommen.

Seit dem Tage, an welchem die Rede von dem Verbindungsprojekte zwischen den beiden jungen Leuten gewesen und Frau von Marsilly, den Wünschen des Herrn Duval entsprechend, ihm gesagt hatte, daß er ihrer Klugheit die Leitung dieser Angelegenheit überlassen solle, seit diesem Tage war zwischen den beiden Familien nicht ein Wort mehr über diesen Gegenstand gewechselt worden. Die Baronin hatte Mühe, ihre Verlegenheit zu unterdrücken, wenn sie den Besuch ihrer alten Freunde empfing, und daraus entwickelte sich ein Gefühl der Beengung und des Zweifels, welches nach und nach veranlasste, daß Herr Duval und Eduard von ihren kleinen Reisen nach Hendon abließen und daß Madame Duval fortfuhr, allein zu kommen.

 

Während dieser Zeit wurde die Schwächen der Baroness immer bedeutender, sie durchlebte den Sommer, in den Abwechselungen der Besserung und der Verschlimmerung, welche diesen Brustkrankheiten eigen ist; aber als der Herbst kam und mit ihm die feuchten Ausdünstungen der Erde, steigerte sich die Krankheit auf eine solche Weise, daß es keinem Zweifel unterworfen war, das gefürchtete Ende sei nicht ferne.

Cäcilie verließ, wie gesagt, ihre Mutter nie, und so groß ist die Macht eines tiefen und wirklichen Schmerzes, daß sie dahin gelangte, daß sie alles Andere vergaß und nur an ihre Mutter dachte.

Heinrich kam fortwährend. Obgleich das junge Mädchen, so oft er kam, einen freudigen Eindruck empfand, so schien es doch, als ob das Gefühl, welches sie für den jungen Mann hegte, seine Natur geändert habe. Auf dem Punkte, auf welchen sie jetzt gelangte, war jeder Entwurf für die Zukunft in ihrem Geiste beseitigt, und von der Schwere der gegenwärtigen Gefahr niedergedrückt, hatte sie nur die Kraft, gegen diese Gefahr anzukämpfen. Frau von Marsilly, die gewohnt war, stets in dem Herzen ihrer Tochter, wie in einem vor ihr aufgeschlagenen Buche zu lesen, entging auch nicht eine der Aufregungen, welche Cäcilie empfand, und da sie überzeugt war, daß es viel gefährlicher sei, wenn ihre Tochter einen Mann heirathe, den sie nicht liebe, als wenn man die Sorge für ihre Zukunft der Vorsehung anheim stelle, sprach sie von ihrer Verbindung nicht mehr mit ihr.

Cäcilie dagegen gedachte oft dessen, was ihr ihre Mutter eines Tags gesagt hatte; oft überraschte sie den Blick der Sterbenden, welcher voll Unruhe auf sie gerichtet war, und dann ergriff sie ein heißes Verlangen, sich in die Arme ihrer Mutter zu werfen, und ihr zu sagen, daß sie sehr glücklich sein werde, wenn sie Eduard heirate. So groß aber auch die Macht der kindlichen Liebe gegen den Willen der Mutter war, so sehr sie entschlossen, ihm zu folgen, so wie er ausgesprochen werden würde, so hatte sie doch nicht den Mut, diesem vorzugreifen.

Inzwischen raubte jeder Tag einen Teil der noch übrigen Kräfte der Baronin, jede Nacht brachte eine fieberhafte Aufregung, welche sie noch schwächer machte; der Schlaf, diese große Unterstützung der Natur, war bei ihr von so schrecklichen Träumen erfüllt, daß er wie eine Art von Vampir erschien, welcher ihr das Leben aussaugte. In Mitte dieser Leiden bewahrte sie aber eine bewunderungswürdige Geisteskraft, und das durchaus physische Übel, welches auf ihr lastete, schien auf ihren Geist keine andere Wirkung zu haben, als die, ihre Einbildungskraft aufzuregen, und ihre Gedanken zur Poesie zu steigern.

Wenn Cäcilie sah, daß dieser Zuwachs der Seele, wenn man sich so ausdrücken darf, in dem Augenblicke, in welchem dieser den Körper, verlassen wolle, aus den Augen und in den Worten ihrer Mutter überströme, dann konnte sie sich dem Glauben nicht hingeben, daß die Baronin so nahe daran sei, sie zu verlassen. Die Baroness ihrerseits fühlte sich über die Unwissenheit ihrer Tochter glücklich, und hütete sich wohl, ihr zu sagen, daß der Augenblick ihrer Trennung so nahe sei. Die Marquise mutmaßte wohl, daß ihre Tochter sehr krank sei; aber sie war noch viel weiter als Cäcilie davon entfernt, den hohen Grad und die Schwere der Krankheit zu erkennen.

Frau von Marsilly hatte stets sehr strenge religiöse Gesinnungen genährt, jene innige Überzeugung von der himmlischen Gerechtigkeit, von der Wiedervergeltung, welche, die Seele in einer andern Welt erwartet, und diese Gedanken hatten sie in Mitte des Unglücks, welches sie umwogte, ruhig und heiter erhalten. So wie sie das Gefahrvolle ihrer Lage erkannt, hatte sie einen katholischen Priester kommen lassen, welcher, ein Irländer von Geburt, in dem kleinen Dorfe Edgware, ungefähr zwei Meilen von Hendon wohnte. Dieser Priester besuchte die Baronin während ihrer Krankheit alle Tage.

Eines Morgens, wenige Minuten vor der Stunde, in welcher der Priester gewöhnlich kam, ergriff Frau von Marsilly die Hände der vor ihrem Bette sitzenden Cäcilie und zog diese an sich, um sie, wie sie des Tages wohl zwanzigmal tat, zu umarmen.

»Mein Kind,« sagte sie, »betrübe Dich nicht über das, was Du vorgehen siehst; Du gewahrst es, ich werde von Tag zu Tag, von Augenblick zu Augenblick schwächer, Gott kann mich zu sich rufen und ich muß mich vorbereiten, vor seinem Throne rein vor allen menschlichen Schwächen zu erscheinen. Ich habe daher gestern dem Priester gesagt, daß er heute wiederkommen solle, um mich mit den Heilmitteln des Herrn zu versehen. Heute, mein Kind, werde ich kommunizieren, und Du, nicht wahr, Du verlässt mich während dieser heiligen Handlung nicht. Du wirst an meinen Kissen knien, Du wirst zu gleicher Zeit mit mir beten, damit Du, wenn mir die Stimme verfallen sollte, das angefangene Gebet fortsetzen kannst.«

»O, meine Mutter, meine Mutter!« rief Cäcilie, »o, seien Sie ruhig; ich werde Sie nicht eine Stunde, nicht eine Minute, nicht einen Augenblick verlassen/ und Gott wird Ihnen ein langes Leben schenken, damit ich es ganz mit Ihnen hinbringen kann! Aber war es denn so dringend, einen Priester zu fordern, und hatten Sie nicht Zeit, um sich auf diese traurige Zeremonie vorzubereiten.«

Die, Baroness lächelte, zog dann Cäcilie von Neuem an ihre Brust und sagte:

»Ich habe nach der Anweisung des Arztes gehandelt,«

Cäcilie schrack zusammen; dieses letzte Wort hatte ihr alle Hoffnung geraubt, welche ihr noch geblieben war.

In diesem Augenblicke ertönte das Glöckchen des Sakristans und erweckte ein schmerzliches Echo in dem innersten Grunde des Herzens des jungen Mädchens. Da öffneten sich die Türen wie von selbst. Zwei Chorknaben traten ein, jeder eine brennende Kerze in der Hand, ihnen folgte der Priester, welcher die Hostie trug. Man sah die Marquise im Korridor erscheinen, bleich und durch ihre Kammerfrau unterstützt; das Vorzimmer füllte sich mit einigen armen Katholiken, welchen die Baronin, so arm sie selbst war, die gewöhnlichen Almosen gab. Hierauf ertönte abermals das Glöckchen, die Baronin erhob sich auf ihrem Bette, alle Umher stehenden knieten nieder und die heilige Handlung begann.

Man muß einer solchen Handlung beigewohnt, man muß die Gebete Sterbender über dem Haupte einer geliebten Person gehört haben, um Alles das begreifen zu können, was in dem Herzen eines Kindes vorgeht, welches den Leib seiner Mutter zurückbehält, während die Engel sich schon mit ihrer Seele zum Himmel emporschwingen.

Die Baronin hörte die Gebete des Priesters mit ihrer gewohnten Heiterkeit und Ruhe, sie betete selbst, und antwortete auf die geheiligten Worte; aber zweimal wurde sie während der Zeremonie ohnmächtig, sie ging von einer verzehrenden Röte, zu einer solchen Blässe über, daß man sie zweimal hätte für tot halten können, wenn nicht ihr Puls gezeigt hätte, daß sie noch lebe, und daß das Feuer des Fiebers jene Quelle, des Lebens noch nicht verzehrt habe, welche Gott in den Grund unseres Herzens legte.

Endlich erhielt die Baroness die geweihte Hostie. Der Priester entfernte sich, wie er gekommen war, seine Assistenten folgten ihm, und man hörte ferner und ferner das Tönen des Glöckchens, dessen Schall einen so tiefen Eindruck auf das Herz des jungen Mädchens gemacht hatte.