DER UNDANKBARE ZWERG

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DER UNDANKBARE ZWERG
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KERSTIN PESCHEL/

JÖRG MARTIN MUNSONIUS (Hrsg.)

Der undankbare Zwerg

Märchen, Sagen und Erzählungen aus aller Welt

Edition Bärenklau

Impressum

Copyright dieser Ausgabe © by Ines Schweighöfer und Edition Bärenklau.

Lektorat: Kerstin Peschel.

Cover: Kathrin Peschel.

Illustrationen: Arthur Rackham.

Satz: Christian Dörge.

Verlag: Edition Bärenklau, Koalabärweg 2, 16727 Oberkrämer.

Verlags-Homepage: www.editionbaerenklau.de

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Das Buch

Vorwort

Schönchen Goldhaar

Die böse Frau

Der wunderliche Spielmann

Der undankbare Zwerg

Der goldene Hirsch

Die Blattlaus

Das Kätzchen und die Stricknadeln

Das goldene Schloss

Der Kobold auf der Hochzeit

Die blinde Königstochter

Die schöne Königstochter

Das Buch


Es war einmal...

Mit dieser Zauberformel beginnt im Allgemeinen die fantastische Reise in eine wundervolle Welt der Märchen, einer Welt voller wunderschöner Prinzessinnen, mutiger Prinzen, sprechender Tiere, guter und böser Feen, Hexen und Zwerge.

Die Gebrüder Grimm, Wilhelm Hauff und Hans Christian Andersen sind mit die bekanntesten Autoren und Sammler von Märchen. Doch sind es bei Weitem nicht alle, die sich in den letzten Jahrhunderten dem Sammeln und Niederschreiben von bezaubernden Märchen verpflichtet haben.

In diesem Band vereinen wir eine kleine Auswahl der eher nicht überall bekannten und bereits zuhauf veröffentlichten und trotzdem nicht minder schönen, gar zauberhaften Märchen, Erzählungen und Sagen aus aller Welt.

Wir suchen bewusst auch Märchen heraus, von denen es abgewandelte oder sogar ursprünglichere Version der überall bekannten gibt wie Der undankbare Zwerg in diesem mit zahlreichen Illustrationen versehenen Band.

Alle hier veröffentlichten Märchen, Erzählungen und Sagen wurden umfassend überarbeitet, einige sind auch mit einem eigenen kleinen Vorwort versehen worden.

Wir wünschen allen Kindern und jenen Erwachsenen, die sich ein kleines Stück Kindheit bewahren konnten, mit diesem Band viel Freude.

Vorwort

Wer kennt sie nicht, die großen Autoren und Sammler von Märchen wie den Gebrüdern Grimm, Wilhelm Hauff und Hans Christian Andersen. Doch sind es bei Weitem nicht alle, die sich dem Sammeln und Niederschreiben von Märchen verpflichtet haben. Da wären unter anderem auch Karoline Stahl, Ludwig Bechstein, Johann Karl August Musäus, Johann Wilhelm Wolf und Heinrich Pröhle, um nur einige zu nennen.

Märchen wurden seit Anbeginn der Zeit überall auf der Welt bis etwa zum Ende des 18. Jahrhunderts fast ausschließlich mündlich weitergetragen, da nur wenige Menschen lesen und schreiben konnten und Bücher daher fast keine eine Bedeutung hatten – nur in den Bibliotheken der Klöster fanden sich größere Ansammlungen an Büchern; vereinzelt auch in den Bibliotheken der Schlösser und Burgen sowie bei den reichen Kaufleuten, jedoch waren in den seltensten Fällen Märchenbücher darunter –. Auch waren Bücher in der Anschaffung viel zu teuer, als dass sich die breite Masse so etwas leisten konnte. Bücher wurden anfangs von Hand geschrieben, wollte man davon ein weiteres Exemplar haben, musste das Buch per Hand abgeschrieben werden. Auch war zu dieser Zeit das Papier – zu noch früheren Zeiten das Pergament, eine nicht gegerbte, nur leicht bearbeitete Tierhaut – viel zu teuer, um sie für Texte wie Märchen zu verwenden. Erst als der technische Fortschritt weiter voranstrebte, Papier dadurch preiswerter und Drucktechniken entwickelt wurden sowie immer mehr Menschen das Lesen und Schreiben erlernten – das war allerdings der Hauptgrund –, gewannen auch niedergeschriebene Märchen immer mehr an Bedeutung.

Die »Märchensammler«, unter ihnen auch die Gebrüder Grimm, zogen durchs Land und schrieben alles auf, was sie in Wirtshäusern, am Ofen einsamer Katen oder auf den Straßen der Welt an Märchen aufschnappten und machten IHR Märchen daraus.

Bis dahin wurden abends meist von den Alten am warmen Herd der Familie Märchen erzählt, die sie bereits aus ihrer Kindheit kannten oder sich selber ausdachten, während die Kinder in den Betten lagen und deren Eltern mit der Herstellung von Waren für den täglichen Bedarf sowie Gütern zum späteren Verkauf beschäftigt waren oder einfach nur zum Vergnügen.

So entstanden auch die Märchen der einzelnen Regionen.

Auf den Burgen und Schlössern sorgten unter anderem die Troubadoure, Geschichtenerzähler und Barden für Unterhaltung. Sie erzählten den Reichen Geschichten, die sie auf ihrem Weg quer durch das Land aufgeschnappt und nach eigenem Ermessen weiter ausgeschmückt oder abgeändert haben, manchmal erfanden sie auf ihren Wegen auch eigene Geschichten, die sie später vortrugen. Dafür erhielten sie freie Kost und Unterkunft und gelegentlich sogar ein paar Münzen.

Da jeder Märchenerzähler, ob es die Großmutter im Winter an einem warmen Ofen war oder das fahrende Volk in einem hochherrschaftlichen Haus, die Geschichten über Prinzen und Prinzessinnen, Hexen und Teufel, oder vielerlei anderer Charaktere anders erzählte, variierten sie stets. Für jedes Märchen gab es so viele verschiedene Versionen, wie es Erzähler gab, die dieses Märchen vortrugen.

Auch gibt es noch heute für eine Vielzahl von Märchen, die unterschiedliche Namen tragen; so ist zum Beispiel das Märchen Dornröschen von den Gebrüdern Grimm, die von 1785 und 1786 bis 1859 beziehungsweise 1863 lebten, bereits 1696 von Charles Perraut unter dem Namen »Die schlafende Schöne im Walde« niedergeschrieben und 1697 veröffentlicht worden.

In späteren Zeiten, als das Radio und der Fernseher in unser Leben Einzug hielten, verschwand weitestgehend die Bedeutung des Märchens als allgemeine Unterhaltung für die Erwachsenen. Heute liest man zumeist den kleineren begeisterten Kindern, denen, die noch nicht lesen können, abends vor dem Zubettgehen ein Märchen vor, so wie man sie ihnen bereits vor Jahrhunderten erzählt und später vorgelesen hat, denn die Faszination eines Märchens hat im Laufe der Zeit bei den Kindern nicht an Bedeutung verloren. Auch viele Erwachsene erinnern sich mit leuchtenden Augen an ihre Kindheit zurück, wenn um Weihnachten herum auch im Fernseher allerlei Märchen gezeigt werden.

»Das wichtigste Element des Märchens ist das Wundersame, wo dieses fehlt, ist ein wenn noch so gut erzählter und dichterisch bearbeiteter Stoff kein Märchen. Es muss im Märchen etwas geschehen, das im alltäglichen Leben nicht geschieht: z.B. dass Tiere reden, dass Menschen und Tiere sich verwandeln oder verwandelt werden, dass Verstorbene wieder erscheinen, dass mythische Wesen oder auch Gespenster, Tote, um nur einige zu nennen, in den Kreis der Handelnden treten, dass der Teufel eine Rolle spielt, dass die Begabungen mit ungeheurer Kraft, mit Unsichtbarkeit und allem, was in das Gebiet der Wunschdinge gehört, vorkommen.« (Ludwig Bechstein)

Die Sage, ist dem Märchen sehr ähnlich. Wie diese basierten auch sie zunächst auf eine mündliche Überlieferung, die jedoch von fantastischen, die Wirklichkeit übersteigenden Ereignissen berichtet. Da sie auf reale Geschehnisse, Personen oder örtliche Gegebenheiten Bezug nimmt, entsteht der Eindruck eines Berichtes, der auf Wahrheiten beruht. Auch ihr möchten wir in dieser Zusammenstellung Platz einräume, denn Sagen sind auch heute noch durchaus erzählenswert.

In diesem, den bereits erschienen und allen folgenden Bänden wenden wir uns den eher nicht überall bekannten und bereits zuhauf veröffentlichten Geschichten und deren Fassungen zu. Unser Ziel ist es, gerade die etwas unbekannteren und trotzdem nicht minder schönen, gar zauberhaften Märchen, Sagen und Erzählungen aus aller Welt zusammenzutragen, manchmal eben auch in einer etwas abgewandelten oder ursprünglicheren Version der überall bekannten.

Aber auch die bekannten Märchen und Sagen werden wir aus diesen Bänden nicht verbannen.

Alle hier veröffentlichten Märchen, Sagen und Erzählungen wurden von mir umfassend überarbeitet.

Ich wünsche allen Kindern und jenen Erwachsenen, die sich ein kleines Stück Kindheit bewahren konnten, mit diesem Band viel Freude, wenn es wieder einmal heißt: Es war einmal …

Ihre Ines Schweighöfer

Schönchen Goldhaar

Französisches Märchen (Übersetzung von Dr. Kletke)

 

Es war einmal eine Königstochter, die war so schön, dass es nichts Schöneres auf der Welt gab, denn sie besaß eine glockenhelle Stimme und ihr goldgelbes Haar war viel feiner als Gold und fiel ihr in langen Locken bis zu den Knien herab. Sie war wie eingehüllt darin, trug fast immer einen bunten Blumenkranz auf dem Kopf und Kleider, die mit kostbaren Edelsteinen und Perlen besetzt waren. Niemand konnte sie ansehen, ohne sie zu lieben, und deshalb nannte man sie Schönchen Goldhaar.

Im benachbarten Königreich gab es einen jungen König, der noch unverheiratet war, sehr hübsch und überaus reich. Als er vernahm, was man alles von Schönchen Goldhaar erzählte, empfand er, ohne sie überhaupt jemals gesehen zu haben, eine so heftige Liebe zu ihr, dass er alle Lust zum Essen und Trinken verlor und sich entschloss, einen Gesandten auszuschicken und sie zu seiner Gemahlin zu verlangen. Er ließ seinem Gesandten eine prächtige Kutsche bauen, gab ihm eine reich verzierte Truhe mit den wunderbarsten Geschenken, mehr als hundert der edelsten Pferde sowie eine große Anzahl von Dienern mit und forderte von ihm, unter allen Umständen die Prinzessin in sein Königreich mitzubringen.

Als der Gesandte von dem König Abschied genommen hatte und abgereist war, sprach man im ganzen Schloss von nichts anderem. Und der König, der keinen Augenblick zweifelte, dass Schönchen Goldhaar »Ja« sagen werde, ließ für sie schon prächtige Kleider nähen und wunderschöne Möbeln bauen.

Während sich nun die Schneider und Handwerker in voller Emsigkeit an ihre Arbeit machten, die Aufträge des Königs bis zum Eintreffen der künftigen Königin zu dessen vollster Zufriedenheit zu erfüllen, traf der Gesandte bei Schönchen Goldhaar ein und unterbreitete seinen Auftrag.

Vielleicht war die Königstochter an diesem Tag nicht bei guter Laune, oder ihr gefielen die in schönsten Worten vorgetragenen Kompliment nicht, denn sie entgegnete hochmütig: »Ich danke dem König vielmals, habe aber kein Verlangen mich mit ihm zu verheiraten.«

Sehr betrübt über diese Antwort, verließ der Gesandte kurz darauf den Hof der Prinzessin und nahm auch alle die Geschenke wieder mit, die er ihr von Seiten des Königs überreicht hatte; denn wohlerzogen wie sie war, gab sie diese selbstverständlich zurück. Sie wusste, dass die Kostbarkeiten für die künftige Königin gedacht waren und wollte daher weder die schönen Edelsteine, noch alles Übrige behalten. Nur einen Brief in feiner Schrift verfasst nahm sie an, um den König nicht zu beleidigen.

Als der Gesandte in das Schloss des Königs, wo er bereits mit großer Ungeduld erwartet wurde, wieder anlangte, waren alle sehr traurig, dass er Prinzessin Schönchen Goldhaar nicht mitbrachte. Darüber weinte der König bitterlich; alle Bemühungen, ihn zu trösten, waren vergebens.

*

Am Hofe des Königs lebte auch ein junger Mann. Der war schön wie ein sonniger Frühlingstag, klug und aufrichtig. Daher hatte man ihm den Namen Liebhold gegeben. Von nahezu allen wurde er geliebt. Es gab nur einige neidische Höflinge, die sich über ihn ärgerten und darüber Bitterkeit verspürten, dass der König ihn bevorzugte und zu seinem Vertrauten machte.

Als Liebhold sich einmal unter diesen Höflingen befand, die ihm nicht wohlgesonnen waren, und von der Rückkehr und der erfolglosen Reise des Gesandten gesprochen wurde, äußerte er unvorsichtigerweise: »Wenn mich der König zu Prinzessin Schönchen Goldhaar geschickt hätte, so bin ich mir sicher, sie wäre mit mir gekommen.«

Sofort gingen diese boshaften Menschen zum König und sprachen: »Majestät, wisst Ihr was Liebhold soeben verkündet hat? Er sagte: Wenn er zu Prinzessin Schönchen Goldhaar geschickt worden wäre, er hätte sie mitgebracht! Seht nur den Hochmut, er will schöner sein als Ihr und bildet sich ein, die Prinzessin würde so entzückt von ihm gewesen sein, dass sie ihm überall hin gefolgt wär’.«

Auf diese Rede hin geriet der König in Zorn, so sehr in Zorn, dass er ganz außer sich war und ausrief: »Ha! Macht sich dieser Schönling etwa über mein Unglück lustig und glaubt er klüger zu sein als ich? Man bringe ihn sogleich in den großen Turm und lasse ihn dort verhungern!«

Die Leibwache des Königs ergriff Liebhold, der gar nicht mehr an das dachte, was er kurz zuvor gesagt hatte, und warf ihn in den dunklen und schmutzigen Kerker, wo er mit der äußersten Härte behandelt wurde. Der arme Mann erhielt nichts weiter als einen Sack mit Stroh, den er sich als Schlafstätte zurechtlegte. Er wäre längst verdurstet, würde nicht eine winzig kleine Quelle hinten in der Ecke durch sein Verlies fließen, von der er trinken konnte.

Eines Tages, da er kaum noch atmen konnte und geschwächt auf seinem Strohsack lag, sagte er seufzend: »Weshalb ist der König nur so zornig auf mich? Er hat kein treuerer Untertan als mich, ich habe ihn nie hintergangen oder beleidigt.«

Genau in diesem Augenblick ging zufällig der König an dem Turm vorüber und als er die Stimme des Menschen vernahm, den er einst so sehr geliebt hatte, blieb er stehen, um seinen Worten zu lauschen, obgleich seine Begleiter, welche Liebhold hassten, den König davon abzuhalten wollten, indem sie sagten: »Wozu verweilt Ihr, Majestät? Ihr wisst doch, dass er ein Bösewicht ist.«

Aber der König antwortete: »Lasst mich, ich will hören, was er zu sagen hat.«

Als er die Klagen vernahm, konnte er sich der Tränen nicht erwehren, öffnete rasch selbst die Tür zum Kerker und rief den völlig entkräfteten Mann. Liebhold erschien in seinem verwahrlosten Zustand, warf sich vor ihm auf die Knie, küsste seine Füße und sagte zu ihm: »Wodurch, mein König, habe ich diese harte Behandlung verdient?«

»Du hast dich über mich und meinen Abgesandten lustig gemacht«, versetzte der König. »Du hast gesagt, wenn ich dich zu Prinzessin Schönchen Goldhaar geschickt hätte, du würdest sie wohl mitgebracht haben.«

»Ganz recht, mein König«, erwiderte Liebhold, »denn ich würde Eure herausragenden Eigenschaften so gewandt geschildert haben, dass ich überzeugt bin, sie hätte sich durchaus nicht weigern können und damit glaube ich nichts gesagt zu haben, was Euch missfällig sein könnte.«

Der König fand, dass er in der Tat gar nicht unrecht habe, warf denen, welche ihm von seinem Günstlinge Böses berichtet hatten, einen zornigen Blick zu und nahm ihn mit sich, indem er sein hartes Verfahren gegen ihn sehr bereute.

Nachdem sich Liebhold durch eine kräftige Mahlzeit gestärkt hatte, rief ihn der König in den kleinen Saal und sagte: »Liebhold, ich liebe Prinzessin Schönchen Goldhaar noch immer, ihre abschlägige Antwort hat mich nicht zurückgeschreckt; aber ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll, um sie für mich zu gewinnen. Ich habe also Lust, dich zu ihr zu schicken, vielleicht gelingt es dir, sie zu überzeugen.«

Liebhold antwortete darauf: »Ich bin gern bereit, Euch in allen Dingen zu gehorchen und werde gleich morgen bei Sonnenaufgang meine Reise antreten.«

»Oh!«, sagte der König, »ich will dir ein stattliches Gefolge mitgeben.«

»Das ist nicht notwendig, mein König, ich benötige nur ein gutes Pferd und einen Brief von Euch.«

Der König strahlte vor Freude und umarmte ihn. Er war sofort bereit, ihm das beste Pferd aus seinem Stall zu geben, sowie den gewünschten Brief.

*

Am nächsten Morgen nahm er vom König und seinen Freunden Abschied und trat seine Reise in das benachbarte Königreich an; ganz allein, ohne Prunk und Gesang. Sein einziger Gedanke war, durch welche Mittel er Prinzessin Schönchen Goldhaar dazu bringen könne, den König zu heiraten. Er führte Papier und Feder in der Tasche mit und wenn ihm irgendein glücklicher Gedanke einfiel, der in seine Ansprache an die Prinzessin passte, so stieg er vom Pferd, setzte sich unter einen Baum und schrieb ihn auf, um ihn nicht zu vergessen.

Eines Morgens, als er in der Dämmerung aufgebrochen war und über eine große Wiese ritt, kam ihm ein besonders schöner Gedanke; er stieg ab und setzte sich unter die Weiden und Pappeln, die einen Fluss am Rande der Wiese beschatteten. Nachdem er seinen Einfall aufgeschrieben hatte, sah er sich nach allen Seiten um, denn die Gegend gefiel ihm sehr.

Da bemerkte er im Gras einen großen Goldkarpfen, der nach Luft schnappte und kaum noch atmete. Er war, als er Mücken nachhaschte, so hoch aus dem Wasser gesprungen, dass er auf das Gras fiel, wo er nahe daran war, sein Leben zu verlieren.

Liebhold empfand Mitleid mit ihm und obgleich er ihn zu seiner Mittagsmahlzeit ganz gut hätte gebrauchen können, nahm er ihn auf und setzte ihn ganz vorsichtig wieder ins Wasser. Kaum fühlte der Karpfen die Frische des Wassers, so wurde er ganz munter und tauchte geschwind zum Grund des Flusses ab, kam kurz darauf ganz frisch ans Ufer geschwommen und sagte:

»Liebhold, ich danke dir für die Wohltat, welche du mir erwiesen hast. Ohne dich wäre ich nicht mehr am Leben, du hast mich gerettet und ich werde mich dafür dir gegenüber dankbar zeigen.« Mit dieser Versicherung verschwand er abermals im Wasser und Liebhold war über den sprechenden Karpfen nicht wenig erstaunt.

Ein anderes Mal sah er auf seinem Weg einen Raben in großer Angst. Das arme Tier wurde von einem großen Adler verfolgt, der nahe daran war, ihn zu töten und wie eine Linse verschlingen würde, wenn nicht Liebhold mit dem Schicksal dieses Vogels Mitleid gehabt hätte.

»Sieh da«, rief er, »wie der Starke den Schwächeren unterdrückt! Welches Recht hat der Adler, einen Raben zu fressen?« Er nahm seinen Bogen, den er immer bei sich trug, legte einen Pfeil auf und nahm den Adler genau ins Visier. Der Pfeil, der gleich darauf durch die Lüfte flog, durchbohrte den großen Raubvogel, sodass er tot zur Erde fiel. Voller Freude flog der Rabe auf einen Baum und sagte: »Liebhold, du bist mir edelmütig zu Hilfe geeilt, obgleich ich nichts weiter bin als ein armer Rabe; doch ich werde nicht undankbar sein, ich werd’ es dir vergelten.«

Liebhold wunderte sich über die guten Worte des Raben und setzte seinen Weg fort. Als er ein anderes Mal in einen großen Wald gelangte, so früh am Tage, dass er kaum den Weg vor sich sah, hörte er eine Eule jämmerlich krächzen.

»Horch«, sagte Liebhold zu sich, »da ist eine Eule, die in großer Not scheint, sie hat sich vielleicht in einem Netz verfangen.«

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