Thriller Spannung 2021: 13 Urlaubs-Krimis auf 1527 Seiten

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8


Roberto Tardelli wollte sich des hübschen brünetten Mädchens und des Mannes, der daneben stand, annehmen. Aber zwischen ihnen und ihm arbeitete noch die Polizei, und ein Cop versperrte Roberto den Weg.

„Hier können Sie nicht durch“, sagte der Uniformierte. „Sie sollten überhaupt Ihrer Wege gehen. Hier gibt es nichts mehr zu sehen. Der Tote ist bereits im Leichenwagen.“

Der Cop hatte mit lauter Stimme gesprochen. Was er gesagt hatte, galt nicht nur für Roberto Tardelli, sondern auch für alle anderen Schaulustigen.

Roberto wollte sich nicht zurückdrängen lassen.

„Ich muss dort hinüber“, sagte er ärgerlich.

„Haben Sie nicht gehört, was ich gesagt habe, Mann? Hier wird gearbeitet, falls Ihnen das noch nicht aufgefallen sein sollte. Wollen Sie dem Captain und seinen Leuten auf die Finger treten?“

Roberto sah, wie sich das Mädchen und der Mann umwandten. Scheu blickten sie nach links und rechts, während sie sich entfernten. Sie verschwanden zwischen zwei Lagerhäusern.

Roberto machte auf den Hacken kehrt und lief zu seiner Kawasaki. Als er seinen Sturzhelm aufsetzte, rief ihm Joe Atkins zu: „He, Roberto! Wo willst du hin?“

„Ich muss noch mal schnell weg.“

„Es ist gleich Arbeitsbeginn. George Keller sieht es nicht gern, wenn jemand nicht pünktlich ist.“ George Keller war der Vorarbeiter. Er führte ein strenges Regime. Der hätte früher gut als Peitschenknaller auf eine Galeere gepasst.

„Sag Keller, ich komm’ später“, erwiderte Roberto. Gleichzeitig startete er die Maschine. Seine Worte gingen in dem Geknatter unter.

„Wie?“, rief Atkins. „Was hast du gesagt?“

„Nichts. Ciao!“ Roberto fuhr los. Er hatte keine Zeit. Das Pärchen durfte ihm nicht entwischen. Er hatte einige Fragen an sie. Zum Beispiel die, wovor sie sich fürchteten, denn Angst hatten sie, das war ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben.

Er fuhr einen Halbkreis, bog um die Ecke des Lagerhauses und fuhr an dessen Rückfront entlang. Schon nach kurzem erblickte er das Pärchen wieder. Sie hatten inzwischen die Straße erreicht, die am Hafen vorbeiführte. Soeben hielten sie ein Taxi an und stiegen ein.

Also hinterher, dachte Roberto Tardelli. Egal, wohin ihr fahrt, ich bin hinter euch.

Das gelbe Taxi fuhr zum Gowanus Expressway, fuhr diesen in südwestlicher Richtung hinunter, bog in die 26. Straße ein und stoppte vor einem schäbigen Haus. Wer da drin wohnte, der war mit Reichtümern bestimmt nicht gerade gesegnet. Roberto verlangsamte die Geschwindigkeit. Er sah das Pärchen aussteigen, ließ die Kawasaki ausrollen, nahm den Sturzhelm ab, versorgte ihn und ging den beiden, die inzwischen das altersschwache Haus betreten hatten, nach.

Er erreichte den Eingang. Die Stufen, die zur Tür hinaufführten, waren wackelig und an mehreren Stellen gebrochen. Das Tor hing so schief in den Angeln, dass es sich wohl kaum mehr schließen ließ. Von den Ziegeln war der Verputz abgebröckelt. Die Kunststeinplatten im Gang klapperten, wenn man auftrat. Roberto versuchte so leise wie möglich zu sein. Er schritt den Gang entlang und erreichte eine Hinterhoftür. Sie war halb offen. Roberto sah in einer Entfernung von etwa dreißig Yards das Mädchen und den Mann. Sie sprachen mit einem alten Männchen, das nicht mehr gerade stehen konnte und schwerhörig war. Deshalb mussten sie so laut sprechen, dass Roberto auch mitbekam, was sie sagten.

„Zu Oleg Darski wollen wir“, wiederholte Jossip Wassinski soeben.

Das Männchen bildete mit der dürren Hand einen Trichter am Ohr.

„Wie war das?“

„Darski. Oleg Darski. Er wohnt hier. Wir wollen zu ihm“, sagte Jossip Wassinski ungeduldig.

„Meinen Sie den Polen?“

„Ja.“

„Ich hatte keine Ahnung, dass der Darski heißt. Hier sprach jeder nur vom Polen, wenn von ihm die Rede war.“

„Wo wohnt er?“

Das Männchen zuckte mit den Schultern.

„Kann ich Ihnen leider nicht sagen.“

Jossip Wassinski warf seiner Schwester einen nervösen Blick zu.

„Der Mann macht mich rasend.“

„Lass mich mal“, sagte das Mädchen. Sie beugte sich leicht vor, griff nach den Schultern des dürren Männchens und sagte eindringlich: „Wir sind Freunde von Oleg Darski. Landsleute. Es wäre sehr wichtig für uns, ihn zu sehen.“

„Das glaube ich Ihnen gern, aber der Pole wohnt nicht mehr hier. Er ist vor einem Monat ausgezogen.“

„Wohin?“, fragte Maria Wassinski enttäuscht.

„Das weiß ich nicht. Niemand hier weiß es. Er hatte keinen besonders guten Kontakt mit uns. Nicht einmal verabschiedet hat er sich, als er seine Siebensachen packte und auf Nimmerwiedersehen verschwand. Missis Jennings wohnt jetzt in seiner Wohnung.“

Jossip blickte seine Schwester ernst an.

„Was tun wir jetzt?“, fragte Maria ihn verzweifelt.

„Wir werden ohne Oleg Darski zurechtkommen. Sei unbesorgt!“

Er blickte über die Schulter seiner Schwester und bemerkte Roberto Tardelli, der in diesem Augenblick den Hinterhof betrat. Maria sah ihrem Bruder an, dass er erschrocken war.

„Was ist?“, fragte sie beunruhigt.

„Der Mann ...“, presste Jossip Wassinski aufgeregt hervor. „Er war im Hafen. Jetzt taucht er hier auf. Er muss hinter uns her sein. Komm, wir müssen verschwinden! Schnell! Schnell!“

Es gab einen langen schmalen Durchgang, durch den man die 27. Straße erreichen konnte. Das Pärchen ließ den alten Mann stehen und ergriff die Flucht.

„Halt!“, rief Roberto Tardelli. „Warten Sie!“

Jossip und Maria Wassinski verschwanden im Durchgang. Das klapperige Männchen schüttelte verwundert den Kopf.

„Wie die Verrückten“, sagte der Kleine. „Wie die Verrückten ...“

Roberto stürmte durch den Hinterhof. Der Mann dachte, er würde auf ihn zurennen und hob abwehrend beide Hände. Roberto beachtete ihn nicht. Er eilte an ihm vorbei.

„Noch ein Verrückter“, stellte der Alte fest.

Roberto erreichte den Durchgang. Von den Polen war nichts mehr zu sehen. Sie mussten die 27. Straße erreicht haben. Roberto forcierte sein Tempo. Mit langen Sätzen hastete er zwischen den Häuserfronten hindurch. In der nächsten Sekunde passierte es.

Aus einer Mauernische flog eine Gestalt heraus. Jossip Wassinski katapultierte sich Roberto Tardelli entgegen. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Er war entschlossen, um seine Freiheit zu kämpfen. Der fremde Mann war hinter ihm und Maria her. Sie wollten beide nicht wieder nach Polen abgeschoben werden. Wenn sie aber in Amerika bleiben wollten, mussten sie sich dieses Verfolgers entledigen.

Der erste Faustschlag traf Roberto Tardelli, und da der Angriff unverhofft gekommen war, hatte Roberto Tardelli auch Mühe, den Treffer wegzustecken. Der Pole prallte gegen ihn. Sie fielen beide gegen die Hausmauer.

Roberto sah Maria in der schattigen Nische stehen. Ihre Augen waren groß wie Tennisbälle und voll von Furcht und Verzweiflung. Gespannt presste sie ihre Fäuste gegen das bleiche Gesicht, während sie den Kampf verfolgte, mit dem sie nicht einverstanden war.

Jossip schlug wieder zu. Er kämpfte mit dem Herz eines Löwen. Aber dann riss Roberto seine Fäuste als Deckung hoch. Die nächsten Hiebe blockte er ab. Zwei Faustschläge sah er rechtzeitig kommen. Die pendelte er aus, und als sich eine günstige Gelegenheit bot, konterte er.

Der Pole stöhnte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf.

„Jossip!“, schrie Maria entsetzt.

Ihr Bruder setzte alles auf eine Karte. Wie von Sinnen schlug er auf Roberto Tardelli ein, doch dieser hatte seinen Gegner bereits unter Kontrolle. Kein Schlag landete mehr da, wo Jossip Wassinski es haben wollte. Der Pole keuchte schwer, er verausgabte sich zu sehr. Bald war er so erschöpft, dass er mit seinen Schlägen nicht einmal mehr einem Kind hätte wehtun können.

Ein Aufwärtshaken warf ihn an die Wand. Er sackte daran langsam nach unten.

„Jossip!“, schrie Maria verzweifelt. „Oh, heilige Muttergottes, Jossip!“

Sie stieß Roberto Tardelli beiseite, ließ sich neben ihrem Bruder auf die Knie fallen und drückte seinen Kopf gegen ihre üppigen Brüste.

„Jossip, Jossip, warum hast du das getan?“

„Das möchte ich auch wissen“, sagte Roberto Tardelli schneidend.

„Was wissen Sie denn, in was für einer Lage wir uns befinden?“, schrie Maria ihn mit Tränen in den Augen an.

„Warum sind Sie uns gefolgt?“, fragte Jossip Wassinski heiser.

„Weil ich der Ansicht bin, dass Sie beide mir eine Menge zu erzählen haben“, erwiderte Roberto Tardelli ernst.




9


Vom frühesten Morgen an war Tony Tornado für Pietro Gravina unterwegs. Er sprach mit vielen Leuten, suchte TV-Redakteure in ihren Büros oder zu Hause auf, sprach mit Reportern und Journalisten, schmierte diesen, setzte jenen unter Druck. Einen Journalisten, der ihn vor die Tür setzen wollte, schlug er sogar zusammen, aber der Mann war nicht so ergiebig, wie Tornado gehofft hatte. Langsam tastete er sich vorwärts.

 

Woher war die Story vom privaten Rächer gekommen? Wer hatte sie in Umlauf gebracht?

Dieser Redakteur hatte es von jenem Kollegen erfahren. Der wiederum war von einem anderen angerufen worden. Es stellte sich als ziemlich schwierig heraus, den Ursprung der Meldung zu finden.

Aber dann fiel zum ersten Mal der Name Christopher Copeland. Und kurz darauf hörte Tony Tornado denselben Namen noch einmal und ein drittes Mal. Als der Name dann noch ein viertes Mal auftauchte, wusste der Mafioso, dass er den richtigen Mann gefunden hatte.

Christopher Copeland musste von Brian Cusack den Auftrag erhalten haben, das Gerücht vom schwarzen Mann zu verbreiten, und er hatte gleich vier seiner wichtigsten Kollegen angerufen. Wahrscheinlich waren es sogar mehr als vier Journalisten gewesen, die von ihm das Märchen serviert bekommen hatten.

Christopher Copeland also. Tornado suchte dessen Büro auf. Er fuhr mit dem Lift zur siebzehnten Etage hoch, wie es ihm der Portier erklärt hatte, und wandte sich dann nach rechts. Zwei hübsche Girls gingen vor ihm. Da die Röcke wieder kürzer wurden, zeigten sie viel Bein, und das gefiel ihm. Sie betraten eines der Büros, und Tornado ging allein den Gang weiter entlang. An einer Tür stand Copelands Name. Der Mafioso klopfte und trat ein. Er gelangte in ein kleines Vorzimmer, das von hellem Tageslicht durchflutet war. An einem gläsernen Schreibtisch saß eine nette Rothaarige. Elegant. Piekfein. Ihre Fingernägel waren lang und blutrot. Sie trug ein Kleid, dessen Ausschnitt einen beachtlichen Einblick gewährte. Ihr Lächeln war freundlich, aber unverbindlich. Neben ihr klebten eine Menge Ansichtskarten an der Wand. Hawaii, Bahamas, Acapulco ...

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie mit einer weichen, einschmeichelnden Stimme.

„Ich möchte Mister Copeland sprechen. Ist er da?“

„Leider nein.“

Tony Tornado war enttäuscht, aber er ließ es sich nicht anmerken.

„Ich bin ein Bekannter von Christopher. Er sagte, ich solle ihn doch mal besuchen, wenn ich in der Nähe zu tun hätte, und nun ergibt es sich mal, und er ist nicht da.“

„Er müsste bald kommen, Mister ...“

Tornado überhörte die versteckte Frage nach seinem Namen.

„Dumm“, murmelte er. „Zu dumm.“

„Wenn Sie hier auf Mister Copeland warten wollen“, sagte die Sekretärin des Journalisten und wies auf einen bequemen Sessel, neben dem auf einem kleinen Glastisch mindestens zehn Illustrierte lagen.

Der Mafioso tat geschäftig.

„Ich weiß nicht. Ich habe auch noch einen Termin, den ich unter keinen Umständen verbummeln darf. Eine Menge Geld ist dabei im Spiel, Sie verstehen? Ich dachte, ich schau' nur mal schnell herein und sag’ guten Tag.“

„Ich kann Mister Copeland etwas bestellen, wenn Sie möchten.“

„Ach, das ist nicht nötig. Ich rufe ihn einfach im Laufe des Vormittags an, okay?“

„Wie’s Ihnen lieb ist. Wie war doch gleich Ihr Name, Mister ...“

„Miller. Frank Miller.“

„Ich werde Mister Copeland sagen, dass Sie da waren, Mister Miller.“

„Sehr freundlich. Ach, sagen Sie, fährt Christopher noch seinen Buick?“

„Soviel ich weiß, hatte Mister Copeland noch nie einen Buick, Mister Miller.“

„Ach nein? Sollte ich mich wirklich so irren?“

„Er fährt seit Jahren stets den neuesten Oldsmobile.“

„Ach ja, richtig. Er ist doch wohl zufrieden damit, oder?“

„Ich denke schon. Jedenfalls hat er über seine Fahrzeuge noch nie etwas Nachteiliges gesagt. Er würde der Marke ja auch wohl kaum treu bleiben, wenn er damit nicht zufrieden wäre.“

„Das ist richtig“, sagte der Mafioso. „Ich möchte mir in den nächsten Tagen auch einen neuen Wagen zulegen, deshalb habe ich gefragt.“ Er blickte wieder geschäftig auf seine Uhr. „Tut mir leid, den alten Knaben nicht angetroffen zu haben. Vielleicht klappt's beim nächsten Mal. War auf jeden Fall nett, Sie kennenzulernen.“

Er verließ das Büro. Ein kleiner aufgeblasener Mann kam ihm auf dem Gang entgegen. Sie wichen beide nach derselben Seite aus und wären beinahe zusammengestoßen.

„Entschuldigung“, sagte der Aufgeblasene.

„Meine Schuld“, sagte Tony Tornado höflich und ging weiter. Er verstand es gut, sich zu verstellen. Aber Christopher Copeland würde ihn anders kennenlernen. Ganz anders!

Er verließ das Bürohaus und kaufte sich eine Zeitung. Dann legte er sich auf dem Parkplatz auf die Lauer und wartete auf den Oldsmobile des Journalisten.

Seine Geduld wurde auf keine harte Probe gestellt. Schon nach fünfzehn Minuten bog das Fahrzeug auf den Parkplatz ein und stoppte auf einem der markierten Felder, die den Wagen von Leuten vorbehalten waren, die im Bürohaus tätig waren. Es war bei weitem nicht für alle Wagen Platz, und ohne seine guten Beziehungen hätte Copeland wohl kaum ein Parkfeld ergattert.

Tony Tornado faltete die Zeitung zusammen und trabte los. Er hatte mit Christopher Copeland einige ernste Takte zu plaudern.




10


Sie saßen einander in einer Cafeteria gegenüber. Roberto Tardelli hatte die beiden Geschwister aus Polen eingeladen. Bisher hatten sie nur vage Andeutungen gemacht. Jossip hatte eine Lügengeschichte zu erzählen versucht, doch Roberto war schnell dahinter gekommen, dass der Mann nicht die Wahrheit sagte.

„Sie müssen in mir keinen Feind sehen“, sagte er.

„Warum haben Sie uns verfolgt?“, fragte Jossip Wassinski vorwurfsvoll. „Sind Sie von der Polizei?“

„Nein“, antwortete Roberto. „Wäre es schlimm, wenn ich ein Cop wäre?“

Der Pole biss sich auf die Lippe und schwieg.

„Was haben Sie zu verbergen?“, fragte Roberto. „Sie sollten es mir sagen. Vielleicht kann ich Ihnen helfen.“

Der Pole blickte Roberto ungläubig an.

„Warum sollten Sie uns helfen? Was hätten Sie davon?“

„Muss man immer etwas davon haben, wenn man für jemanden etwas tut? Ich sehe Ihnen an, dass Sie Hilfe brauchen. Wenn ich Ihnen aber helfen soll, müssen Sie sich mir anvertrauen.“

Jossip Wassinski nahm einen Schluck von seinem Kaffee.

„Ich wüsste nicht, warum ich Ihnen vertrauen sollte. Ich kenne Sie nicht. Sie sind ein Hafenarbeiter. Sie waren dabei, als man den Toten aus dem Wasser fischte. Als wir den Hafen verließen, folgten Sie uns. Wir wissen immer noch nicht, was Sie eigentlich von uns wollen. Wir kennen noch nicht einmal Ihren Namen. Soll man so einem Menschen blind vertrauen?“

„Ich heiße Roberto Tardelli. Sie haben versucht, mich niederzuschlagen. Würden Sie so einem Mann Ihre Hilfe anbieten?“

„Nein.“

„Sehen Sie, aber ich tu’s.“ Roberto wies auf das Mädchen. „Ist sie Ihre Freundin?“

„Sie ist meine Schwester“, antwortete Jossip Wassinski schroff. „Wir hätten mit Ihnen nicht in dieses Lokal gehen sollen. Das war ein Fehler.“

„Es soll Ihnen kein schlimmerer Fehler in Ihrem Leben unterlaufen“, sagte Roberto lächelnd. „Sie wollten zu Oleg Darski, einem Landsmann von Ihnen, einem Polen.“

„Na und? Ist das verboten?“

„Wissen Sie, was ich glaube?“

„Was?“

„Dass Sie illegal in dieses Land gekommen sind. Oleg Darski sollte Ihnen weiterhelfen, aber er ist fortgezogen, und nun sind Sie ratlos. Ist es nicht so?“

Jossip Wassinski schwieg hartnäckig. Roberto wusste aber trotzdem, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Er brauchte nur Maria Wassinski anzusehen. In ihrem Gesicht konnte er wie in einem aufgeschlagenen Buch lesen. Sie brauchte kein Wort zu sagen. Er wusste auch so Bescheid.

Die beiden hatten Angst davor, abgeschoben zu werden. Es war ihnen deshalb hoch anzurechnen, dass sie die Polizei trotzdem wenigstens anonym verständigt hatten. Er sagte es ihnen nun auf den Kopf zu: „Sie haben die Polizei angerufen.“

Jossip Wassinski zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen.

„Das ist nicht wahr!“

„Sie haben den Mord beobachtet. Ihr Gewissen ließ es nicht zu, einfach zu schweigen. Sie mussten die Polizei informieren. Aber Sie taten es anonym, weil Sie es sich nicht leisten können, offen in Erscheinung zu treten.“

„Das ist nicht ...“

Roberto hob die Hand.

„Ein Penner hat Sie belauscht. Es hat keinen Zweck, zu leugnen.“

Jossip starrte Roberto grimmig an.

„Was wollen Sie von uns, Mister Tardelli?“

„Ich werde Sie ins Vertrauen ziehen und Ihnen etwas erzählen, was im Hafen keiner weiß. Ich arbeite erst seit kurzem da. Mein richtiger Dienstgeber ist die Regierung. Ich arbeite nur deshalb im Hafen, um Material gegen einen Mann zu sammeln, der Brian Cusack heißt und den sie den König von Brooklyn nennen. Er ist ein übler Verbrecher, der mit der Mafia zusammenarbeitet. Der Mann, der heute umgebracht wurde - Brad Rafferty - war einer von Cusacks Leuten. Ich sehe zum ersten Mal eine echte Chance, dem König von Brooklyn ein Bein zu stellen. Deshalb bin ich Ihnen gefolgt. Weil ich hoffe, Brian Cusack mit Ihrer Hilfe unschädlich machen zu können.“

Maria Wassinski holte tief Luft. Sie wollte reden, doch Jossip legte ihr die Hand auf den Arm und sagte: „Still!“

„Aber es hat doch keinen Zweck mehr, zu schweigen, Jossip.“

„Still, sage ich! Hast du nicht gehört, dass dieser Mann für die Regierung arbeitet?“

Roberto nickte.

„Nun befürchten Sie, dass ich Sie und Ihre Schwester nach Polen zurückschicke, nicht wahr?“

„Müssen Sie das nicht tun?“

Roberto lächelte.

„Glauben Sie mir, mir liegt viel mehr daran, einem gewissenlosen Schurken wie Brian Cusack das Handwerk zu legen, als Sie ausweisen zu lassen.“

„Heißt das, Sie werden uns nicht ...?“

„Was haben Sie gesehen?“, fragte Roberto. „Ich sagte es schon einmal, ich möchte Ihnen helfen. Wenn Sie mir erzählen, was Sie gesehen haben, und sich bereit erklären, das auch vor Gericht zu wiederholen, verspreche ich Ihnen, dafür zu sorgen, dass man Sie nicht abschiebt. Leuten, die uns einen großen Gefallen erwiesen haben, denen erweisen auch wir unsere Dankbarkeit. Ich habe hervorragende Beziehungen. Ich könnte Ihnen beiden zur amerikanischen Staatsbürgerschaft verhelfen, wenn Sie mir helfen, Brooklyn von dieser gefährlichen Plage, deren Name Brian Cusack ist, zu befreien.“

Maria sah ihren Bruder ernst an.

„Willst du immer noch schweigen, Jossip?“

Er rang mit sich selbst. Sollte er diesem Fremden trauen? Sagte Tardelli die Wahrheit? Er atmete hörbar ein.

 

„Nein“, sagte er dann leise. „Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt rede.“

Roberto lächelte zufrieden.

„Ein vernünftiger Entschluss.“

„Ich bin Jossip Wassinski“, sagte der Pole. „Und das ist meine Schwester Maria. Wir stammen aus einem kleinen Ort, hundert Kilometer von Danzig entfernt. Sie werden ihn nicht kennen ...“

Nun erzählte Wassinski seine Lebensgeschichte. Er und seine Schwester hatten viel mitgemacht. Roberto hatte Mitleid mit ihnen.

Wassinski kam auf den Mord an Brad Rafferty zu sprechen. Der Mann hatte Cusack bestohlen, hatte es zunächst nicht zugegeben und war deshalb von einem bulligen Kerl mit Glotzaugen schwer zusammengeschlagen worden.

Robertos Herz machte einen Freudensprung. Er kannte nur einen einzigen Mann, auf den diese Beschreibung passte, und das war Cyril Murray, die rechte Hand des Königs von Brooklyn.

Als er diesen Namen erwähnte, bestätigte ihm der Pole, dass der Mann, der Rafferty erstochen hatte, so hieß.

„Sie wissen nicht, wieviel Ihre Aussage wert ist, Jossip“, sagte Roberto begeistert. „Cyril Murray hat Brad Rafferty in Brian Cusacks Auftrag ermordet. Sie können das bezeugen. Damit kriege ich diese Brut. Werden Sie vor Gericht diese Aussage beeiden?“

„Ja, Mister Tardelli. Dazu bin ich bereit“, sagte der Pole ernst.

„Als Kronzeuge der Anklage kann man Sie nicht abschieben“, sagte Roberto. „Nach dem Prozess kriegen Sie von uns eine funkelnagelneue Staatsbürgerschaft. Zuvor werden Sie um politisches Asyl ansuchen. Ich verspreche, Ihnen jedes Hindernis aus dem Weg zu räumen und mich für Sie und Ihre Schwester nach besten Kräften zu verwenden.“

„Dafür danke ich Ihnen in meinem und im Namen meiner Schwester, Mister Tardelli.“

„Nennen Sie mich Roberto!“

„Gut. Und was soll nun weiter geschehen?“

„Zunächst brauchen Sie schnell eine Unterkunft. Ich habe eine für Sie. Sie werden bei einer Freundin von mir wohnen, und im richtigen Moment hole ich Sie dann - wie ein Zauberer das Kaninchen - aus meinem Zylinder.“

Er rief die Kellnerin und bezahlte. Sie verließen die Cafeteria. Roberto winkte ein Taxi herbei, setzte sich mit den Polen in das Fahrzeug und nannte dem Fahrer Samantha Fords Adresse.

Zwanzig Minuten später waren sie da. Roberto stocherte mit dem Schlüssel im Schloss herum und war erstaunt, als sich die Apartmenttür plötzlich öffnete. Samantha blickte ihn lächelnd an.

„Was machst du denn für ein Gesicht?“, fragte die junge Ärztin.

„Ich dachte, du wolltest ins Museum ...“

„So ein Pech. Ausgerechnet heute war wegen Umbauarbeiten geschlossen. Ein Glück, dass ich vor dem Weggehen anrief, das hat mir den Weg erspart.“

Samantha blickte an Roberto vorbei auf die beiden Fremden. Roberto machte Jossip und Maria Wassinski mit der jungen Ärztin bekannt. Sie traten ein, und Roberto erklärte Samantha die Situation.

„Würdest du den beiden für ein paar Tage dein Gästezimmer zur Verfügung stellen, Sam?“, fragte er.

„Wir möchten Ihnen natürlich nicht zur Last fallen“, sagte Jossip Wassinski.

„Last“, sagte Samantha und lächelte. „Ich bitte Sie, Sie sind doch keine Last für mich. Sie sind mir sogar sehr willkommen. Ich wusste mit meinem freien Tag ohnedies nichts anzufangen. Nun habe ich Gesellschaft, und ich bin sicher, dass Sie mir viel Interessantes über Polen zu erzählen haben.“

Bevor Roberto ging, küsste er die junge Ärztin.

„Danke, Sam. Du bist ein Engel.“

„Das weiß ich.“

„Gleich kriege ich Komplexe“, sagte Roberto und verließ das Apartment. Das Taxi wartete noch vor dem Haus. Roberto kehrte damit nach Brooklyn zurück und schwang sich wieder in den Sattel seiner Kawasaki. An seinen Job im Hafen dachte er nicht mehr. Er hatte nun Wichtigeres zu erledigen.